Ein harter Winter by Michi
Summary: Diesmal gibt es keine Zusammenfassung, da ich sonst vorweg nehmen würde, worum es geht. Nur so viel: es gibt ein Versprechen, das endlich eingelöst wird und dadurch viel Leid entsteht.
Categories: Slash Characters: Abby Sciuto, Anthony DiNozzo, Donald Mallard, Jenny Shephard, Jimmy Palmer, Leroy Jethro Gibbs, Timothy McGee, Ziva David
Genre: Angst, Drama, Established relationship, Friendship, Hurt/Comfort, Romance
Pairing: Gibbs/DiNozzo
Warnings: Dark story
Challenges:
Series: None
Chapters: 48 Completed: Yes Word count: 163541 Read: 260161 Published: 06/12/2007 Updated: 09/13/2007
Story Notes:
Das ist die FS zu "Verhängnisvolles Video" Die Story spielt 7 Monate danach und wie könnte es auch anders sein, ist sie aus der Sicht von Tony geschrieben^^
An dieser Story schreibe ich noch, von daher kann es sein, dass es immer etwas dauert, bis weitere Teile kommen.
Der kursive Text sind Rückblenden.
Was die Warnung betrifft: ich habe sie sicherheitshalber dazugefügt.
Jetzt bleibt mir nur noch, euch viel Spaß beim Lesen zu wünschen!

1. Chapter 1 by Michi

2. Chapter 2 by Michi

3. Chapter 3 by Michi

4. Chapter 4 by Michi

5. Chapter 5 by Michi

6. Chapter 6 by Michi

7. Chapter 7 by Michi

8. Chapter 8 by Michi

9. Chapter 9 by Michi

10. Chapter 10 by Michi

11. Chapter 11 by Michi

12. Chapter 12 by Michi

13. Chapter 13 by Michi

14. Chapter 14 by Michi

15. Chapter 15 by Michi

16. Chapter 16 by Michi

17. Chapter 17 by Michi

18. Chapter 18 by Michi

19. Chapter 19 by Michi

20. Chapter 20 by Michi

21. Chapter 21 by Michi

22. Chapter 22 by Michi

23. Chapter 23 by Michi

24. Chapter 24 by Michi

25. Chapter 25 by Michi

26. Chapter 26 by Michi

27. Chapter 27 by Michi

28. Chapter 28 by Michi

29. Chapter 29 by Michi

30. Chapter 30 by Michi

31. Chapter 31 by Michi

32. Chapter 32 by Michi

33. Chapter 33 by Michi

34. Chapter 34 by Michi

35. Chapter 35 by Michi

36. Chapter 36 by Michi

37. Chapter 37 by Michi

38. Chapter 38 by Michi

39. Chapter 39 by Michi

40. Chapter 40 by Michi

41. Chapter 41 by Michi

42. Chapter 42 by Michi

43. Chapter 43 by Michi

44. Chapter 44 by Michi

45. Chapter 45 by Michi

46. Chapter 46 by Michi

47. Chapter 47 by Michi

48. Chapter 48 by Michi

Chapter 1 by Michi
Washington D.C.
East Potomac Park
Samstag, 25. Januar
21:12 Uhr


Der Winter hatte Washington fest im Griff. Die Temperaturen lagen schon seit fünf Tagen beständig unter dem Gefrierpunkt und ließen die Heizkosten in die Höhe schießen. Die Menschen, die unterwegs waren, hüllten ihre Körper in warme Jacken oder Mäntel und wickelten Schals um Mund und Nase um sich davor zu schützen, sich eine Grippe oder sonst eine Erkältung einzufangen. Viel nackte Haut hatte man in letzter Zeit nicht sehen können, außer von denjenigen, die das Bedürfnis verspürten, an Erfrierungen zu sterben.
Die Straßen waren vereist und die Streufahrzeuge teilweise machtlos gegen die glitzernde Schicht, welche den Asphalt überzog. In regelmäßigen Abständen konnte man die Sirenen der Einsatzfahrzeuge hören, die zu einem der sich ständig ereignenden Unfälle gerufen wurden. Die meisten davon passierten, weil die Lenker die gefährliche Situation unterschätzten und viel zu schnell unterwegs waren. Die Folgen waren Blechsalate, Verletzte und kilometerlange Staus, die selbst der geduldigsten Person an den Nerven zehrte.
Die Notaufnahmen der Krankenhäuser waren überfüllt von Menschen, die das Pech hatten auf den Bürgersteigen auf Eisplatten ausgerutscht zu sein und sich dabei Knochenbrüche oder andere Verletzungen zugezogen hatten. Die Leichenschauhäuser klagten ebenfalls über Platzprobleme, da täglich mehrmals Leichen von erfrorenen Obdachlosen gefunden wurden, die diesem kalten Wetter hilflos ausgesetzt waren und nirgendwo einen warmen Unterschlupf fanden.
Der Januar war zwar dabei langsam in den Februar überzugehen, aber eine Besserung der Lage war nicht in Sicht. Die bunten und fröhlichen Lichter, die Washington zu Weihnachten und Silvester verziert hatten, waren schon längst abmontiert worden und hatten teilweise trostlose Straßen hinterlassen, welche selbst am Tag düster wirkten und wo sich nur fette Ratten und Gesindel herumtrieben.
Obwohl es noch fast zwei Monate bis zum Frühling waren, gierten die Menschen bereits jetzt nach warmen Sonnenstrahlen. Sonnenstudios und Reisebüros erlebten geradezu einen Boom und sackten große Erträge ein, da viele in den Süden flohen.
Mitten in dieser deprimierenden Stimmung gab es einen Mann, dem das Alles momentan mehr als egal war. Ihn interessierten weder das kalte Wetter, der eisige Wind, der an seinem Mantel zerrte und ihn aufbauschte, noch die Verkehrsprobleme, mit denen sich die Polizei herumplagte. Zu sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt, die ihn seit Stunden quälten und ihn nicht mehr losließen. Gesellschaft hätte er zu diesem Zeitpunkt nicht ausgehalten, hätte es nicht ertragen, Stimmen zu hören oder Personen, die sich unbeschwert über verschiedenste Themen unterhielten und die scheinbar keine Probleme hatten. Der East Potomac Park schien ihm der ideale Ort zu sein, um vor allem zu fliehen, besonders weil er riesengroß war und um diese Uhrzeit hielt sich normalerweise kein Mensch hier auf. Außer er hatte den Wunsch, von irgendeinem Junkie überfallen und ausgeraubt zu werden, der sich auf diese Weise Geld für seine Drogensucht beschaffte. Sollte doch jemand versuchen, ihn zu überrumpeln, dann hätte er wenigstens eine Möglichkeit, seine Verzweiflung mit ein paar gut gezielten Schlägen abzureagieren – noch dazu könnte er behaupten, es wäre Notwehr gewesen. Aber niemand ließ sich blicken oder kam auch nur in seine Nähe, so als ob jeder spüren würde, dass er nicht zum Spaßen aufgelegt war.
Mit weit ausholenden Schritten ging er den Weg entlang, der von Laternen abschnittsweise erhellt wurde, bevor er wieder in Dunkelheit versank. Das Licht beleuchtete sein Gesicht, nur um es kurz darauf wieder in Schatten zu legen. Unter seinen Füßen knirschte der Kies, der gestreut worden war, um zu verhindern, dass man allzu leicht ausrutschen konnte. Am Rand seines Blickfeldes tauchten einsame Parkbänke auf, die selbst am Tag nicht besetzt waren, da das Holz viel zu kalt war. Er registrierte sie genauso wenig wie den Schnee, der auf den normalerweise grünen Wiesen lag und im Schein der Lampen vor sich hinglitzerte. Weiße Atemwölkchen stoben aus seinem Mund, um sich in Luft aufzulösen und für immer zu verschwinden. Die Hände hatte er tief in den Manteltaschen vergraben, aber ihm wäre es egal, wenn seine Finger abfrieren würden. Es wäre nur ein weiterer Schmerz, der zu demjenigen in seinem Inneren dazukommen würde.
Seit langer Zeit hatte er wieder das Bedürfnis laut loszuschreien, aber er hielt sich zurück. Stattdessen beschleunigte er seine Schritte noch mehr, sodass die blätterlosen Bäume, deren Äste gespenstisch in den dunklen Himmel ragten, schnell an ihm vorbeizogen. Sein Atem ging in keuchenden Stößen, aber er wurde nicht langsamer – im Gegenteil. Er rannte fast den Weg entlang, versuchte durch die körperliche Anstrengung den Aufruhr in seinem Inneren zu besänftigen, jedoch ohne Erfolg. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, krampfte sich sein Herz mehr und mehr zusammen und ein riesiger Felsblock schien auf seiner Brust zu lasten. Das Atmen fiel ihm so unglaublich schwer und so blieb ihm nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben, um nicht zu ersticken. Vor ihm erstreckte sich ein Kinderspielplatz, der um diese Uhrzeit längst verlassen, aber tagsüber sicher mit vielen Kindern überfüllt war, ungeachtet dessen, dass es Winter war. Der Schnee war an vielen Stellen von kleinen Fußabdrücken platt gedrückt und hatte seine pulvrige Konsistenz verloren. Das Areal wurde von einer einzelnen Laterne erhellt, die den Rest in dämmrige Schatten tauchte. Der eisige Wind bewegte die Schaukeln wie von Zauberhand, sodass sie sich leise knarrend vor und zurück bewegten, wobei das Geräusch laut in der sonst so ruhigen Umgebung widerhallte.
Obwohl es düster war, beruhigte der Ort den Mann, der soeben seinen Kopf in den Nacken legte und zum Himmel emporblickte, in der Hoffnung, dort eine Lösung für seine Probleme zu finden. Die eiskalte Luft, die er gierig in seine Lunge sog, linderte den Schmerz in seinem Inneren ein wenig, vertrieb ihn aber nicht. Seine Augen ruhten am schwarzen Himmel. Als er aus seinem Wagen ausgestiegen war, hatten noch Abermillionen Sterne vom Firmament geblinkt, die einen hellen Mond umrahmt hatten, aber innerhalb kürzester Zeit waren Wolken aufgezogen und der Wind wurde stärker, zog an seinem Mantel und seinen Haaren. Aber er begrüßte die Kälte, die sich wie Balsam auf seinen Körper legte. Er konnte den Schnee bereits riechen, der bald fallen und Washington erneut in eine weiße Schicht tauchen würde. Die erste kleine Flocke landete auf seiner Nase, wo sie sofort schmolz und einen Tropfen hinterließ. Unwirsch wischte er sich das störende Nass von der Haut und senkte seinen Kopf wieder, bevor er Gefahr lief, einen steifen Nacken zu bekommen.
Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und steuerte auf den Spielplatz zu, wo er sich auf eine der Schaukeln setzte, die unter seinem Gewicht gefährlich knackte, was ihm aber egal war. Sollte sie doch zusammenbrechen und ihn begraben. Dann könnte er wenigstens vor der Entscheidung fliehen, vor der er stand. Wieso musste das Leben manchmal so schrecklich kompliziert sein?
Ein ungewohnt lauter Seufzer kam ihm über die Lippen und er senkte seinen Blick auf seine zitternden Hände, was aber nicht an der Kälte lag, sondern an dem Kampf, der in seinem Inneren tobte. Vor über einer Stunde hatte er von einer Chance erfahren, auf die er schon jahrelang wartete, aber jetzt, wo der Moment gekommen war, hatte er plötzlich Skrupel es durchzuziehen. Mittlerweile hatte sich alles verändert - sein Leben hatte sich verändert. Aber da war dieses Versprechen, das er vor Jahren jemandem gegeben und von dem er sich geschworen hatte, es nie zu brechen, sondern es zu erfüllen. Und jetzt war dieser Zeitpunkt gekommen, aber dennoch zögerte er. Niemand wäre ihm böse, wenn er einfach nichts unternehmen würde, denn die Person, der er das Versprechen gegeben hatte, war seit mehr als drei Jahren tot. Aber trotzdem fühlte es sich wie Verrat an, wenn er nur daran dachte, es nicht zu erfüllen - vor allem Verrat sich selbst gegenüber.
Ein weiterer Seufzer bahnte sich einen Weg an die Luft. Er griff in seine Manteltasche und holte einen kleinen Gegenstand heraus, den er sich auf die Handfläche legte. Normalerweise nahm er das glänzende Kleinod nie ab, aber vor einer Stunde hatte er es trotzdem getan, weil er gedacht hatte, sich daran die Haut zu verbrennen, dabei war es lediglich lauwarm. Liebevoll strich er mit dem Finger seiner linken Hand darüber, immer und immer wieder. Er wusste, dass es Personen gab, die er verletzen würde, würde er sich entscheiden, dass Versprechen einzulösen. Ihr Schmerz würde unendlich groß sein und es war dieses Wissen, das ihn derart quälte, und ihn in diesen Park getrieben hatte, wo er alleine sein konnte, wo ihn niemand sah.
Unwillkürlich ballte er seine rechte Hand zur Faust, so fest, dass sich der kleine Gegenstand schmerzhaft in seine Haut bohrte, aber er ließ nicht locker, hieß den körperlichen Schmerz willkommen. Er merkte nicht einmal, wie der Schneefall immer dichter wurde, die Flocken lautlos zu Boden schwebten und sich auf seinen Haaren und seinem Mantel niederließen. Während er einsam auf der Schaukel saß, unfähig die Kälte zu spüren, sondern nur den Gegenstand in seiner Faust und den Schmerz in seinem Inneren, traf er eine Entscheidung - eine Entscheidung, die viele Leben verändern würde, seines inklusive. Aber hatte er eine andere Wahl? Er war an das Versprechen gebunden, hatte es mit Blut besiegelt und jetzt holte ihn die Vergangenheit ein.
Auf einmal überkam ihn Traurigkeit und ein großer Kloß bildete sich in seinem Hals. Mühsam öffnete er seine Hand und blickte auf den kleinen Gegenstand hinunter, der jetzt ganz warm war und der ihm ein wenig Trost spendete. Die nächsten Tage, wenn nicht sogar Wochen, würden die reinste Qual werden, für ihn und für die Menschen, die am Boden zerstört sein würden.
„Es tut mir leid", flüsterte er, so als ob er sich bereits im Vorhinein dafür entschuldigen würde. Eine Träne löste sich aus seinem linken Auge, rann seine Wange hinab und tropfte auf seine geöffnete Hand. „Es tut mir leid."

Fortsetzung folgt...
Chapter 2 by Michi
Washington D.C.
Samstag, 25. Januar
22:15 Uhr


Während draußen zahlreiche Schneeflocken dicht vom Himmel fielen, der Wind laut heulte und die kahlen Äste der Bäume hin und her wiegte und die Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt lagen, saß ich warm in eine Decke eingepackt auf meinem Sofa und sah mir meine Lieblingsfolge Magnum an. Eine einzelne Lampe, die auf einem kleinen Tisch stand, tauchte das Wohnzimmer in ein gedämpftes Licht und verbreitete eine gemütliche Atmosphäre. Der Raum hatte sich in den letzten sieben Monaten nicht verändert, bis auf das Bild von Gibbs, das ich auf den Kaminsims gestellt und welches dort seit letzten Juli einen festen Platz hatte. So konnte ich ihn ansehen, auch wenn er einmal nicht in der Nähe war. War in meinem Haus alles gleich geblieben – bis auf die Küche, die ich mit Hilfe meines Freundes nach dem Vorfall im Frühsommer neu renoviert hatte – hatte sich mein Leben von Grund auf verändert. Seit Jethro und ich ein Paar waren, hatte ich selten einen Abend alleine verbracht und es war ein wunderbares Gefühl zu wissen, dass es jemanden gab, der sich um einen sorgte und genauso viel gab wie er bekam. Mein Image als Schürzenjäger war dahin, wie auch das Bedürfnis nach einem One-Night Stand, das ich in den vergangenen Jahren ziemlich oft gehabt hatte. Ich hatte in letzter Zeit nicht einmal einen Gedanken an eine Affäre verschwendet – außerdem wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben, würde Gibbs davon erfahren. Er erfüllte mein Leben mit so viel Liebe und Leidenschaft, dass ich gar nicht in Versuchung geriet, ihn zu betrügen. Außerdem quälte mich alleine schon das schlechte Gewissen, wenn ich auch nur daran dachte.
Obwohl zwischen uns pure Harmonie herrschte, hieß das noch lange nicht, dass er mich im Dienst nicht wie früher behandelte. Ich musste weiterhin den Truck auftanken, wurde an Tatorten von einer Ecke zur anderen gescheucht und erhielt Kopfnüsse, wenn ich es wieder einmal nicht geschafft hatte, meinen Mund zu halten. Allerdings gab es auch genügend Zärtlichkeiten, die wir in aller Öffentlichkeit austauschten und nicht warteten, bis wir alleine waren. So kam es nicht selten vor, dass er anfing, mich mitten im Großraumbüro vor aller Augen zu küssen oder mir zärtlich durch die Haare zu fahren.
Am Anfang unserer Beziehung hatten uns die anderen Agents ungläubig nachgesehen, wenn wir Hand in Hand den Fahrstuhl verlassen oder uns liebevolle Blicke zugeworfen hatten. Für lange Zeit waren wir das Gesprächsthema Nummer eins in der Kantine oder hinter vorgehaltenen Händen gewesen, was mich aber nicht sonderlich gestört hatte. Sollten alle anderen ruhig mitbekommen, wie glücklich ich mit dem sonst so grummeligen Chefermittler war – der im Büro aber allzu oft seine griesgrämige Miene aufsetzte, vor allem, wenn er einen Verdächtigen verhörte. Hatte ich mich vorher noch vor diesen funkelnden Blicken gefürchtet, so fand ich sie mittlerweile äußerst anziehend und sexy. Ein Grund mehr, ihn bei Verhören zu beobachten.
Direktor Sheppard war am Anfang nicht sehr glücklich darüber gewesen, dass Jethro und ich zusammen waren und vor allem in den ersten Wochen hatte ich ihre Eifersucht deutlich gespürt, was mich mehr als verwundert hatte. Mein Freund hatte mir dann unter dem Siegel der Verschwiegenheit verraten, dass er mit ihr eine Affäre gehabt hatte, als sie Partner gewesen waren. Über diese neue Information war ich mehr als überrascht gewesen, hatte aber nie wieder ein Wort darüber verloren, so wie ich es ihm versprochen hatte – auch wenn es mir ab und zu mehr als schwer gefallen war. Mittlerweile hatte sich auch Jenny an unsere Beziehung gewöhnt und sich damit abgefunden, wobei sie uns Nahe gelegt hatte, ja nicht im Büro wild rumzuknutschen und somit die anderen von der Arbeit abzulenken.
Vor allem Ziva hatte sich oft nicht verkneifen können, einen Spruch nach dem anderen von sich zu geben – aber nur, wenn Gibbs nicht in der Nähe gewesen war - dass ich plötzlich auf Männer stand und es noch dazu geschafft hatte, ihn um den kleinen Finger zu wickeln. Bald hatte sie jedoch eingesehen, dass ich anfing, sie zu ignorieren, wenn sie auf das Thema zu sprechen kam und hörte schließlich ganz auf, mich zu nerven und wir kehrten zu unseren üblichen kleinen Streitereien zurück. McGee hingegen hatte meistens etwas beschämt seinen Kopf gesenkt und seine Schuhspitzen gemustert, wenn Jethro und ich öffentlich zärtlich wurden. Für ihn war es mehr als verwirrend gewesen, dass der Chefermittler und ich innerhalb von vier Wochen zueinander gefunden hatten, wo wir beide vorher unübersehbar auf Frauen gestanden hatten. Aber jetzt, sieben Monate später, hatte sich selbst Tim daran gewöhnt und für ihn war es nichts Neues mehr, wenn Jethro und ich Händchen hielten oder uns küssten.
Die einzigen, die unsere Beziehung gelassen gesehen hatten, waren Abby und Ducky gewesen. Die beiden hatten sich für uns einfach gefreut, dass wir privat unser Glück gefunden hatten. Die junge Goth war mehrere Tage mit einem Dauergrinsen herumgelaufen und hatte es nicht lassen können, mir einen riesigen Strauß schwarzer Rosen zu schenken, mit dem Hinweis, dass ich es mir mit Gibbs nicht versauen sollte, da sie ihn schon so lange nicht mehr derart glücklich gesehen hatte – außerdem brachte er ihr auf einmal viel mehr CafPow als sonst.
Ducky hatte letztes Jahr gerne seinen „Patienten" erzählt, wie Jethro und ich zusammengefunden hatten und ich wusste, dass diese Geschichte auch noch in Zukunft in den Räumen der Pathologie erklingen würde. Selbst Jimmy hörte sie immer wieder gerne, wobei er mittlerweile jedes Wort auswendig kennen musste.

Mehr als sieben Monate waren vergangen, seit sich mein Leben verändert hatte und ich hatte keine Sekunde davon bereut. Zwar hatten Gibbs und ich hin und wieder kleinere Auseinandersetzungen – die wohl in jeder guten Beziehung vorkamen – aber wir hatten uns jedes Mal versöhnt und das mehr als leidenschaftlich. Ein Grinsen huschte über mein Gesicht, als ich an unseren letzten Streit dachte, an dessen Ende wir es nicht einmal mehr bis hoch ins Schlafzimmer geschafft hatten.
Ich seufzte leise, kuschelte mich tiefer in die Decke und sah zu, wie Magnum vom Bildschirm verschwand und dem ersten Werbeblock Platz machte. Es war der erste ruhige Abend seit langem. Die gesamte Woche waren wir mit einem äußerst komplizierten und langwierigen Fall beschäftigt gewesen, der uns allen viel abverlangt und jeden Tag viele Überstunden eingebracht hatte. Drei Nächte hatten wir sogar im Hauptquartier verbracht, weshalb Jethro und ich seit letztem Wochenende nicht sehr viel Zeit alleine miteinander verbracht hatten. Der Fall hatte uns alle frustriert und am meisten meinen Freund, der seinen Frust an den Abenden, wo wir nicht im Büro geschlafen hatten, an seinem Boot abreagiert hatte. Seine Laune war an einem ungewohnten Tiefpunkt angelangt und er hatte gemeint, bevor er seinen Ärger darüber, dass wir nicht weiterkamen, an mir auslassen würde, würde er das lieber in seinem Bastelkeller machen. So konnte er mich nicht verletzen, wenn er etwas sagen sollte, was ihm später leid tun würde. Zwar war ich ein wenig enttäuscht gewesen, hatte Gibbs aber verstanden. Er war die ganze Zeit angespannt gewesen und mit seinen Gedanken bei dem Fall, weshalb ich wusste, dass er unausstehlich werden konnte, selbst wenn ich versuchte, ihn abzulenken. Deshalb hatte ich die letzten Tage alleine in meinem Haus verbracht. Obwohl wir schon so lange zusammen waren, hatten wir beschlossen, nicht zusammenzuziehen. Wir brauchten beide hin und wieder Freiraum und so bestand die Gefahr nicht, dass wir uns allzu sehr einengten und jeder konnte dem nachgehen, wozu er gerade Lust hatte. Aber eine Woche jeden Abend alleine zu verbringen – die im Büro miteinbezogen - war ich einfach nicht mehr gewohnt und ich vermisste Jethro, obwohl wir uns erst seit wenigen Stunden nicht mehr gesehen hatten.
Heute hatten wir es endlich geschafft und den Mörder eines Lieutenant Commanders verhaftet, der nach einem mehr als zweistündigen Verhör ein Geständnis abgelegt hatte. Nicht nur ich war froh gewesen, den Fall abgeschlossen zu haben, auch McGee und Ziva waren sichtlich erleichtert darüber. Ich hatte mich richtig darauf gefreut, diesen Erfolg gebührend mit Gibbs zu feiern, als er – kurz nachdem wir alle Berichte beendet hatten – von Jenny zu einer wichtigen Videokonferenz gerufen worden war, und das an einem Samstagabend. Zwar hatte er sich anfangs geweigert und sich ein wahres Wortgefecht mit ihr geliefert, hatte aber schließlich den Kürzeren gezogen, da es der Befehl seiner direkten Vorgesetzten gewesen war. Deshalb saß ich heute erneut alleine auf meiner Couch, während Gibbs sich noch immer im Hauptquartier befand, anstatt bei mir. Ich rechnete nicht damit, dass er heute noch bei mir vorbeischauen würde – immerhin war es fast halb elf und so eine Videokonferenz konnte Stunden dauern.
Ich gähnte ausgiebig und verfolgte einen Werbespot über einen neuen Geschirrspüler, der angeblich äußerst wassersparend funktionierte. Desinteressiert betrachtete ich die mit einem üppigen Vorbau ausgestattete Blondine und fragte mich, ob ich mir eine Flasche Bier holen sollte, bevor Magnum weiterging, als ich das leise Geräusch eines Schlüssels hörte, der in ein Schloss gesteckt wurde. Unversehens vollführte mein Herz einen Hüpfer und ich setzte mich innerhalb einer Sekunde gerade auf, wobei mir die Decke von den Schultern rutschte. Ich drehte mich um, sodass ich in den Vorraum sehen konnte. Ein freudiges Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als die Tür geöffnet wurde, Gibbs hereinkam und er sie mit dem Fuß wieder ins Schloss warf. Gleich darauf schüttelte er sich den Schnee aus den Haaren, der sich dort gesammelt hatte, obwohl der Weg von der Auffahrt zur Tür nicht weit war. Schließlich drehte er seinen Kopf, seine Augen begegneten den meinen und sein Mund verzog sich ebenfalls zu einem Lächeln. Mit eiligen Schritten kam er auf mich zu, zog seinen schwarzen Mantel im Gehen aus und warf ihn achtlos auf einen der beiden Sessel, anstatt ihn in den Schrank zu hängen.
„Hey", sagte ich und beobachtete ihn, wie er vor dem Sofa stehen blieb, seine Hände auf der Lehne abstützte und sich zu mir herunterbeugte. Sein Atem strich warm über meine Haut und unbändige Freude darüber, dass er heute lieber bei mir sein wollte als bei seinem Boot erfüllte mein Inneres. „Ich hätte nicht gedacht, dass du noch vorbeischauen würdest", fuhr ich fort und ließ meinen Blick sehnsüchtig zu seinen Lippen wandern. Sieben Monate hatten nicht ausgereicht, um genug von seinen Küssen zu bekommen. „Ich hatte gehofft, dass du noch nicht schläfst", erwiderte er und brachte sein Gesicht ganz nah an meines. „Und ich wurde nicht enttäuscht." Er überbrückte die letzten Zentimeter Distanz zwischen uns und presste seine Lippen auf meine. Ich umschlang seinen Nacken mit meinen Armen, zog ihn ganz nah zu mir und ließ meine Zunge mit seiner spielen. Die ganze Sehnsucht, die ich in den letzten Tagen nach ihm empfunden hatte, legte ich in diesen Kuss. Ich war froh zu sitzen, denn sonst hätte es mir buchstäblich den Boden unter den Füßen weggezogen. Seine körperliche Nähe ließ die schwierige Woche in Vergessenheit geraten und mir wurde ganz schwindelig. Erst als ich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen, löste ich mich von ihm, was mir aber äußerst schwer fiel. „Das nenne ich einen Begrüßungskuss", keuchte ich und sah in Jethros tiefblaue Augen, die mich voller Liebe anfunkelten. Sein Atem ging genauso stoßend wie meiner und das Lächeln von vorher kehrte auf seine Lippen zurück. „Da kann ich dir nur Recht geben", erwiderte er, richtete sich wieder auf und streckte sich ein wenig. „Ich liebe es, wenn du das sagst", meinte ich breit grinsend und langsam normalisierte sich meine Atmung. Allerdings blieb sein Geschmack in meinem Mund präsent, was meinen Körper mit einem leichten Kribbeln überzog. „Wie war die Videokonferenz?" „Ich denke, grauenvoll ist der richtige Ausdruck", antwortete er und fuhr sich mit einer Hand über sein Gesicht. Auf einmal sah er erschöpft aus und die Anspannung der letzten Tage ließ sichtlich nach. „So schlimm?" Er nickte und gab ein Brummen von sich. „Zuerst brach die Verbindung ständig ab und als endlich alles funktionierte, gerieten wir in eine hitzige Diskussion. Dieser Agent aus Bahrain hätte mir beinahe den letzten Nerv geraubt. Und dann hat sich auch noch Jenny eingemischt und mich nachher wegen meines rüden Tons zu Recht gewiesen. Und die ganze Zeit hatte ich keine Gelegenheit, mir auch nur einen Schluck Kaffee zu gönnen." Ich schluckte unwillkürlich, denn Gibbs ohne sein geliebtes Koffein war gar nicht gut und behagte mir überhaupt nicht. „Aber ich habe mir gleich einen gekauft, als ich das Hauptquartier verlassen habe", fügte er hinzu, so als ob er meine Gedanken gelesen hätte. „Dann ist ja alles Bestens", erwiderte ich und linste zum Fernseher, wo soeben die Werbung zu Ende ging und Magnum erneut auf dem Bildschirm auftauchte. „So würde ich das nicht sagen. Jenny meinte, dass sie wegen meines Verhaltens am Montagmorgen mit mir sprechen will. Als ob das etwas daran ändern würde." „Mach dir mal keine Sorgen. Sie wird dich nicht gleich hinausschmeißen, nur weil du sauer geworden bist. Willst du dich nicht setzen?" fragte ich nach, da Jethro noch immer stand. „Es geht doch nichts über eine gute Folge Magnum, um den Abend ausklingen zu lassen." Er verzog sein Gesicht, blickte zum Fernseher und beugte sich schließlich erneut zu mir herunter. Sieben Monate und er weigerte sich beharrlich, sich meine Lieblingsserie anzusehen. „Ich habe auf etwas ganz anders Lust, Tony", sagte er leise und ließ seine Augen mit einem solchen Verlangen über meinen Körper huschen, dass mir innerhalb einer Sekunde derart heiß wurde, dass ich mich am liebsten draußen im Schnee abgekühlt hätte. „Tja, also…" begann ich, hielt aber inne, um mich zu räuspern, damit meine Stimme nicht so schrecklich gekrächzt klang. Seine körperliche Nähe brachte mich total aus dem Konzept und ich hatte Mühe, überhaupt irgendwelche sinnvollen Worte zu bilden. „Andererseits", wagte ich einen neuen Versuch – noch immer mit kratziger Stimme – „habe ich die Folge schon fünf Mal gesehen und kenne sie in und auswendig." Ein zufriedenes Grinsen huschte über Gibbs' Gesicht und diesmal war ich es, der die letzte Distanz zwischen uns überbrückte. Voller Verlangen presste ich meine Lippen auf seine, vergrub meine Hände in seinen Haaren und nur die Lehne der Couch bildete eine lästige Barriere zwischen unseren Körpern. Vergessen war Magnum, dessen Stimme aus den kleinen Lautsprechern erklang, gleich gefolgt vom Aufheulen des Motors seines Ferraris. Ich liebte es, ihm zuzusehen, wenn er mit hoher Geschwindigkeit auf den Straßen Hawaiis dahin raste, aber zurzeit war ich mehr als anderweitig beschäftigt.
Jethros Zunge schien sich in meinem Mund wie zu Hause zu fühlen und spielte mal zärtlich, mal aufreizend mit meiner und überzog meinen gesamten Körper mit einem heftigen Kribbeln – ein Kribbeln, das ich seit letztem Wochenende, an dem wir unsere letzte gemeinsame Nacht verbracht hatten, nicht mehr gespürt hatte. War ich vor etwa fünf Minuten noch müde gewesen, so erwachten meine Sinne zu neuem Leben und versorgten mich mit frischer Energie.
Eine Spur ungeduldig legte ich meine Arme um Gibbs' Nacken und zog seinen Oberkörper zu mir herunter, wodurch er sein Gleichgewicht verlor und ein überraschtes Keuchen ausstieß. Unsere Lippen verloren den Kontakt, seine Füße streiften nur mehr den Boden und der Rest von ihm hing über der Rückenlehne, wobei mich sein Gewicht fast vom Sofa warf. Nur die Tatsache, dass meine Arme noch immer seinen Nacken umschlangen und meine Couch ziemlich breit war, verhinderte, dass ich unsanft auf der Erde landete. Instinktiv hielt mich mein Freund fest und grinste amüsiert. „So stürmisch?" fragte er atemlos mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Eine Woche ist eine lange Zeit", erwiderte ich und zog ihn – diesmal nicht so ruckartig – zu mir herunter. Jethro wehrte sich nicht und schwang seine Beine über die Lehne. Kurz darauf saß er mir gegenüber, allerdings nicht lange. Mit einer schnellen Bewegung nahm er die Decke von mir herunter, warf sie zur Seite und ehe ich mich versah, legte er seine Hände auf meine Schultern und drückte mich mit seinem Gewicht rücklings in die weichen Polster. Automatisch spreizte ich meine Beine, sodass er zwischen ihnen lag und sich seine wachsende Erregung hart gegen mein Glied presste. Seine Erektion und die Tatsache, dass er anfing, sich langsam an mir zu reiben, ließ den Platz in meiner Hose schnell schrumpfen und ich keuchte lustvoll auf. Unwillkürlich umschlang ich ihn mit meinen Schenkeln, um ihn noch näher zu mir zu ziehen. „Eine Woche ist wirklich eine viel zu lange Zeit", sagte Gibbs mit kratziger Stimme und küsste mich voller Leidenschaft. Seine Hände legten sich seitlich auf meine Hüften und versuchten ungeduldig meinen Pullover nach oben zu schieben, was aber nicht so richtig funktionierte, da er auf mir lag und somit sein Bewegungsfreiraum eingeschränkt war. Deshalb löste er sich von mir und erhob sich ein wenig, wobei meine Arme von seinem Nacken rutschten. In seinen blauen Augen lag eine Begierde, die ich selten bei ihm wahrnehmen konnte und er war unübersehbar scharf auf mich. Er nahm meine linke Hand und zog mich mit einem Ruck in eine sitzende Position, wobei wir fast wieder das Gleichgewicht verloren hätten, da ich ihn noch immer mit meinen Beinen umklammerte. Dennoch schafften wir es erneut, nicht auf den Boden zu fallen und bevor ich ihn zerquetschen konnte, ließ ich ihn los. „Wer ist hier jetzt stürmisch?" fragte ich neckend, aber ich entlockte ihm kein Lächeln. Bestimmt umfasste er mein Gesicht und sah mir fest in die Augen. „Ich brauche dich, Tony", sagte er mit leiser, aber fester Stimme. Überrascht hob ich meine Brauen. Es kam äußerst selten vor, dass er mir derart direkt sagte, was er wollte. Egal wie hart die Arbeitstage waren, unsere darauf folgenden Liebesakte waren immer von Zärtlichkeit begleitet. Aber heute war ihm definitiv nicht danach. Ob es an dem langwierigen Fall oder an der Videokonferenz und die anschließende Auseinandersetzung mit Jenny lag, wusste ich nicht und es war mir in diesem Moment auch egal. Wichtig waren nur Gibbs und sein Bedürfnis, heute die Führung zu übernehmen und ich war bereit, ihm alles zu geben, was er wollte – und brauchte.
Ich rückte ganz nahe an ihn heran und legte sanft meine Lippen auf seine. Genau wie ich erwartet hatte, war diese Zärtlichkeit innerhalb einer Sekunde dahin. Seine Zunge drängte in meinen Mund und ließ sie ungeduldig an meiner entlang fahren. Seine Hände nahm er von meinem Gesicht, ließ sie über meinen Rücken hinabwandern und diesmal schaffte er es ohne Probleme, meinen Pullover nach oben zu schieben. Seine Finger berührten meine bloße Haut und seine ungewohnte Wildheit ließ meine Nerven in Flammen aufgehen. Unsere Lippen waren noch immer zu einem heißen Kuss verschmolzen und obwohl wir beide nach Sauerstoff lechzten, trennten wir uns nicht. Gibbs war wie ausgewechselt. Er presste seinen Körper an meinen und schien mich gar nicht mehr loslassen zu wollen. Seiner Kehle entrang sich ein Stöhnen, was durch meinen Mund gedämpft wurde und mit einem Mal wollte auch ich gar keine Zärtlichkeiten mehr haben. Ungestüm ließ ich meine Hände unter sein Jackett wandern und streifte es ihm über die Schultern, wobei er kurz von mir ablassen musste, damit ich es ihm vollkommen ausziehen konnte. Wie üblich trug er noch ein Poloshirt und darunter ein weißes T-Shirt. Beide zog ich ihm mit einem Ruck aus der Hose und unterbrach unseren Kuss. Gierig sog ich die Luft in meine Lungen und versuchte in die Wirklichkeit zurückzufinden, was mir aber nicht einmal annähernd gelang. Jethros keuchender Atem strich über mein Gesicht, seine Augen waren voller Leidenschaft verdunkelt und er schien genauso wenig von seiner Umgebung mitzubekommen wie ich.
Ohne lange zu überlegen, zog ich ihm das Polo- und T-Shirt über den Kopf und warf es zur Seite, gefolgt von meinem Pullover, von dem ich mich selbst entledigte. Gibbs umschlang mich mit seinen Armen, presste meinen nackten Oberkörper gegen seinen und küsste mich erneut voller Leidenschaft. Seine Hände fuhren meinen Rücken hinunter, streichelten kurz meine Hüften und wanderten nach vorne und unten, wo er seine rechte Hand auf meine Erektion legte und anfing, seine Finger ohne Umschweife zu bewegen. Heiße Lust schoss durch meinen Körper und für einen Moment hatte ich die Befürchtung, keine Luft mehr zu bekommen. Ich unterbrach unseren Kuss und stöhnte begierig seinen Namen. Jethro ließ seine Zunge an meinem Hals entlang wandern, zog eine feuchte Spur zu meinem rechten Schlüsselbein, während er mich weiterhin aufreizend streichelte. Ich hätte schwören können, dass ich noch nie so hart gewesen war und mein Glied presste sich schon beinahe schmerzhaft gegen meine Hose. Mein Freund schien das auch so zu sehen, denn er ließ von mir ab, legte seine Hände erneut auf meine Schultern und drückte mich auf das Sofa hinunter. Er kniete sich zwischen meine Beine und ließ seine Finger geschickt über meinen Oberkörper wandern, um kurz darauf ohne zu zögern meinen Gürtel zu öffnen, gefolgt vom Knopf der Jeans und dem Reißverschluss. Mit samt meiner Boxershorts schob er sie über meine Hüften, wobei ich mein Becken anhob, um ihm zu helfen. Innerhalb von wenigen Sekunden war ich vollständig entkleidet und Gibbs ließ seinen Blick über meinen Körper schweifen. Er legte sich auf mich, rieb sich an meinem Schwanz und fuhr mit seiner Zunge eine heiße Spur über meine Brust, weiter hinab über meinen Bauch und kam schließlich zum Objekt seiner Begierde. Unwillkürlich biss ich mir auf meine Unterlippe, als er quälend langsam die gesamte Länge meiner Erektion entlang wanderte und schließlich bei der empfindlichen Spitze ankam, um sie mit seinem Daumen zu liebkosen. Ich krallte meine Finger in die Polster des Sofas und ich hatte das Gefühl, vor Hitze zu vergehen. „Oh, Gott", keuchte ich, als er mich in seinen Mund aufnahm, seine Zunge aber weiterhin in Einsatz blieb. Alleine diese feuchte Hitze hätte beinahe ausgereicht, um mich kommen zu lassen, aber ich musste meine gesamte Beherrschung aufbringen, um dies zu verhindern. Gibbs' Zähne schabten leicht über mein Glied, gefolgt von seiner Zunge, die sich geschickt an der empfindlichen Spitze zu schaffen machte und mir damit fast den Verstand raubte. Ich fühlte nur noch seinen warmen, feuchten Mund, der mich in eine Ekstase versetzte, die unglaublich intensiv war. Meine Hüften hoben sich unwillkürlich von den Polstern ab, ich bog mich ihm entgegen und spürte, wie ich langsam aber sicher auf den Höhepunkt zusteuerte. Mein Stöhnen erfüllte die Luft im Wohnzimmer, genauso wie der Geruch der Leidenschaft, die zwischen uns herrschte.

Ich schloss meine Augen, da ich Angst hatte, die sich drehende Decke über mir würde sonst auf mich herabstürzen und mich unter sich begraben. Jethro schickte mich immer weiter auf den Rand des bodenlosen Abgrundes zu, aber bevor ich hinunterstürzen konnte, hörte er auf, mich mit seiner Zunge fast verrückt zu machen. Mein Atem kam in abgehackten Stößen und ich riskierte es, meine Augen wieder zu öffnen und blickte in Blaue, die mich voller Lust ansahen. Gibbs senkte sein Gesicht und küsste mich lange und ausgiebig, wobei sich zu seinem eigenen Geschmack mein eigener gesellte. Es war eine berauschende Mischung und ließ mich erneut schwindelig werden. Nach einer Ewigkeit lösten wir uns voneinander und er richtete sich auf. Mein Blick blieb auf seiner unübersehbaren Ausbuchtung an seiner Hose hängen und ich beobachtete, wie er anfing, sich selbst auszuziehen, wobei er sich nicht weniger geschickt anstellte wie bei mir. Innerhalb kürzester Zeit kniete er nackt vor mir und ich konnte ihm förmlich ansehen, dass er nicht mehr länger warten wollte. Ohne zu zögern drehte ich mich auf den Bauch, stützte mich mit meinen Armen auf und streckte ihm mein Hinterteil entgegen.
Ich hörte, wie er sich leise hinter mir bewegte und die kleine Tube Gleitgel aus der Schublade des Tisches holte, der neben der Couch stand. Seit ich mit Jethro zusammen war, konnte ich nie wissen, wo wir miteinander schlafen würden, weshalb ich in fast jedem Raum meines Hauses irgendwo eine Tube Gel verstaut hatte – nur für alle Notfälle.
Gleich darauf spürte ich, wie er ohne zu zögern einen Finger in mich hineingleiten ließ und ich mich ihm dadurch langsam öffnete. Ungeachtet seiner vorherigen Wildheit ließ er sich Zeit, raubte mir mit den kleinen Bewegungen beinahe den Verstand.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als er seine Finger durch sein Glied ersetzte, das er gegen mein Hinterteil presste, kurz inne hielt und dann mit einem harten Stoß in mich eindrang. Von dieser Heftigkeit übermannt, stieß ich einen überraschten Schrei aus, der sich mit Gibbs' Stöhnen vermischte. Er füllte mich komplett aus und verharrte in dieser Stellung, ließ aber gleich darauf seinen Oberkörper auf meinen Rücken nieder und biss mir ein wenig schmerzhaft in meinen Hals, was meine Lust aber noch weiter anheizte. Seine Hände wanderten über meine Brust und Bauch und mit den Fingern seiner rechten Hand fuhr er sachte über mein erigiertes Glied. Es war eine federleichte Berührung, aber gerade deshalb hatte ich das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Meiner Kehle entrang sich ein lautes Stöhnen und ich krallte meine Hände in die weiche Polsterung. Langsam begann sich Jethro schließlich in mir zu bewegen – im Rhythmus seiner streichelnden Finger, die sich aber bald um meinen Schwanz schlossen. Seine Stöße wurden schneller, er drang stets ganz tief in mich ein und traf jedes Mal den empfindlichen Punkt in meinem Inneren, der meine Lust mehr und mehr steigerte und meine Nerven in ein wahres Flammenmeer aufgehen ließ. Unser beider Stöhnen erfüllte die Luft und ließ sie förmlich vibrieren. Seine Finger trieben mich unaufhaltsam auf den Höhepunkt zu und als ich glaubte, mich nicht mehr zurückhalten zu können, ließ er erneut von mir ab. Gibbs richtete sich auf, umfasste meine Hüften mit beiden Händen und begann wie in einem Rausch in mich hineinzustoßen – immer und immer wieder, bis sich seine Finger in meine Haut gruben und sich seine Muskeln anspannten. Ein letztes Mal drang er ganz tief in mich ein, mit einem lauten Keuchen ergoss er sich heiß in mir und er ließ sich erneut auf meinen Rücken sinken, so als ob ihn seine gesamte Kraft verlassen hätte. Ihn derart tief und intensiv zu spüren – gepaart mit seinem Stöhnen - schickte mich in den bodenlosen schwarzen Abgrund. Ich versteifte mich, krallte mich in die Polster und erreichte einen heftigen Höhepunkt, der mir buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzog und vor meinen Augen kleine Pünktchen aufblitzen ließ. Mein Schrei verhallte in der vor Leidenschaft geschwängerten Luft und ich holte keuchend Atem, um das Gefühl zu ersticken niederzuringen.
Für ein paar Sekunden genossen wir die intime Nähe des anderen, bevor sich Gibbs langsam aus mir zurückzog. Völlig entkräftet ließ ich mich auf das Sofa fallen, drehte mich mit Mühe auf den Rücken und blickte zu meinem Freund hoch, der noch immer kniete. Seine Brust hob und senkte sich in schnellen Abständen und seine Haut war von Schweiß überzogen. Lächelnd streckte ich ihm eine Hand entgegen, die er sofort nahm und sich von mir hinunterziehen ließ. Die Leidenschaft war aus seinen Augen verschwunden, aber es lag weiterhin Verlangen darin und ich wusste, dass diese Nacht wohl noch lange nicht zu Ende war.
Zärtlich presste Jethro seine Lippen auf meine, fuhr mir liebevoll durch meine schweißnassen Haare und wanderte weiter zu der Stelle an meinem Hals, in die er vorher gebissen hatte. „Von mir aus kann die nächste Videokonferenz wieder in einer Auseinandersetzung mit Jenny enden", sagte ich mit kratziger Stimme und schluckte mehrmals, um meinen trockenen Rachen zu befeuchten. Er hob seinen Kopf und sah mich mit einer erhobenen Augenbraue an. „Ach ja?" „Ja", antwortete ich und grinste. „Ich habe gar nicht gewusst, dass du so wild sein kannst." „Ich auch nicht", erwiderte er wahrheitsgemäß, umfasste sanft mein Gesicht mit beiden Händen und sah mir fest in die Augen. „Ich liebe dich, Tony", sagte er leise, aber bestimmt. „Vergiss das nie, egal was passiert." Seine Worte riefen in mir ein leichtes Unbehagen wach und mein Grinsen verflüchtigte sich von einer Sekunde zur anderen. Ich blickte ihn misstrauisch an. „Was soll denn passieren?" wollte ich wissen. Er schüttelte nur den Kopf und wiederholte: „Egal was geschieht, vergiss niemals, dass ich dich von ganzem Herzen liebe." Seine plötzliche Ernsthaftigkeit erschreckte mich ein wenig und ich nickte automatisch mit meinem Kopf. „Ich werde es nie vergessen", hauchte ich, vergrub meine Hände in seinen Haaren und zog ihn zu mir herunter. „Und egal was passiert, ich liebe dich auch", fügte ich hinzu, seinen Wortlaut verwendend. Ein kleines Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und die Ernsthaftigkeit verschwand so schnell wie sie gekommen war. Eine Sekunde später küssten wir uns, zuerst zärtlich und dann leidenschaftlich. Und wie ich bereits vorher vermutet hatte, war diese Nacht noch lange nicht zu Ende.

Fortsetzung folgt...
Chapter 3 by Michi
Washington D.C.
Sonntag, 26. Januar
08:42 Uhr


Sonnenstrahlen erhellten das Schlafzimmer und schienen mir direkt ins Gesicht, wodurch ich aus einem tiefen und traumlosen Schlaf geholt wurde. Diesmal war es kein nervtötender Wecker, der mir sagte, dass ich aufstehen und in der Finsternis ins Büro fahren musste. Heute war der erste freie Tag seit langem und das Hauptquartier würde mich garantiert erst morgen wieder sehen. Keine Verbrecher, keine Toten, kein lästiges Telefonklingeln und vor allem keine langweilige Aktenarbeit – nur Gibbs und ich. Besser konnte der Sonntag gar nicht mehr werden.
Zufrieden seufzte ich leise, atmete die angenehm kühle Luft ein und kuschelte mich tiefer in die Decke hinein. Ich fühlte mich auf angenehmste Weise entspannt, obwohl ich vor ein paar Stunden mehr als erschöpft eingeschlafen war. Ein Grinsen huschte über meine Lippen, als ich an letzte Nacht dachte. Jethro und ich hatten uns insgesamt drei Mal geliebt, wobei wir es beim letzten Mal endlich ins Schlafzimmer geschafft hatten. Ich hatte ihn noch nie so leidenschaftlich erlebt und seine Finger und Lippen hatten mich immer wieder zu Höchstleistungen animiert, obwohl ich bereits nach dem ersten Liebesakt auf meinem Sofa geglaubt hatte, eine Ewigkeit zu brauchen, um wieder in Fahrt zu kommen. Aber mein Freund hatte mir bewiesen, dass ich meinen Körper falsch eingeschätzt hatte und hatte mich innerhalb von Minuten so weit gehabt, dass ich mich erneut lustvoll keuchend an ihn gepresst hatte, wobei er diesmal eine Spur zärtlicher gewesen war.
Bei unserer nachfolgenden gemeinsamen Dusche war ich schon fast im Stehen eingeschlafen, was mich nach drei Höhepunkten auch gar nicht gewundert hatte. Unter dem heißen Wasserstrahl waren seine Berührungen zärtlich und nicht mehr ungeduldig gewesen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass er genauso am Ende seiner Kräfte angelangt war wie ich. Um kurz vor halb drei waren wir schließlich ins Bett gefallen, hatten uns eng aneinander gekuschelt und ich war, gleich nachdem ich ihm eine gute Nacht gewünscht hatte, in einen tiefen Schlaf gefallen, aus den ich erst jetzt durch die Sonnenstrahlen gerissen worden war.
Ich streckte mich, lockerte meine Muskeln und öffnete blinzelnd meine Augen, um mich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen. Aus einem Reflex heraus befreite ich einen Arm aus der Decke und wollte ihn um Gibbs schlingen, aber er landete nur auf der leeren Matratze, die bereits ausgekühlt war und erst jetzt realisierte ich, dass ich auch nicht mehr an ihn gekuschelt dalag. Ich schlug meine Augen komplett auf und blickte auf die Betthälfte, wo vor Stunden noch mein Freund gewesen war. Das Einzige, was sich nun dort befand, war das Kopfkissen, das er verwendet hatte, und der leicht zusammengeballt war. Ich hatte mich längst daran gewöhnt, dass Jethro vor mir aufstand, da er nicht so ein Morgenmuffel war wie ich, aber dennoch fühlte ich mich jedes Mal einsam in dem großen Bett, wenn er nicht mehr neben mir lag. Und da die Matratze seine Körperwärme bereits wieder abgegeben hatte, musste er schon länger als ein paar Minuten fort sein. Für mich war es immer noch ein Wunder, dass er mit viel weniger Schlaf auskam als ich und dabei den Eindruck erweckte, dass er putzmunter war, was natürlich auch an dem starken Kaffee liegen konnte, den er ständig trank und dessen Koffeingehalt ausreichte, um mich einen ganzen Tag lang aufgedreht herumlaufen zu lassen.
Ich gähnte ausgiebig, setzte mich auf und warf einen Blick auf meinen Wecker, der heute ausnahmsweise einmal Ruhe gegeben hatte und stellte verblüfft fest, dass es bereits viertel vor neun war. Normalerweise schmiss mich Jethro an unseren freien Tagen um spätestens acht Uhr aus dem Bett, egal wie sehr ich dagegen protestierte. Diesmal hatte er mich jedoch schlafen lassen, eine Tatsache, die mich verwunderte. Aber vielleicht hatte er gemerkt, dass mich unsere Liebesnacht mehr als erschöpft hatte und hatte mich ausnahmsweise nicht geweckt. Dafür hatte er einen ausgiebigen Guten Morgen-Kuss verdient, entschied ich, schlug die Decke ganz zurück und stand auf. Das Fenster war gekippt und ließ kalte Winterluft ein, die mich leicht zittern und doppelt so schnell in meinem Schrank nach warmer Kleidung suchen ließ – eine blaue Jeans und ein dunkelblaues Hemd, von dem ich wusste, dass mich Gibbs gerne darin sah. Innerhalb einer Minute war ich fertig angezogen, frisierte meine Haare mit den Fingern, eilte aus dem Schlafzimmer und machte mich auf die Suche nach meinem Freund, um ihm den verdienten Kuss zu geben, dass er mich länger hatte schlafen lassen.
„Jethro!" rief ich und betrat den sonnendurchfluteten Wohnraum. Durch die große Terrassentür konnte ich in den Garten blicken, der sich in einer wunderschönen Winterlandschaft vor meinen Augen erstreckte. Der Schnee lag zentimeterdick auf dem Rasen und wurde durch die Sonne in ein wahres Glitzermeer verwandelt. In regelmäßigen Abständen rieselte er von den blätterlosen Ästen der Bäume und bildete kleine Hügel auf dem Boden. Der Sturm von gestern hatte sich gelegt und hatte dem schönsten Wetter, das ich seit langem gesehen hatte, Platz gemacht. Obwohl es klirrend kalt war, zog es mich förmlich nach draußen. Vielleicht hatte Gibbs ja Lust, mit mir einen kleinen Spaziergang zu machen, wobei ich mich jedoch hüten würde, ihn mit einem Schneeball zu bewerfen. Anfang Dezember hatte ich das beim gemeinsamen Schneeschaufeln einmal gemacht und war innerhalb von drei Sekunden mit dem Rücken in der weißen Pracht gelandet, wobei die pulvrigen Flocken in jede nur erdenkliche Kleideröffnung geraten waren. Die Folgen waren, dass ich wie ein Schneemann ausgesehen, vor Kälte gezittert und mich drei Tage später eine heftige Erkältung heimgesucht hatte, obwohl mich mein Freund nach seiner gemeinen Attacke wieder aufgewärmt hatte. Ich hatte meine Lektion gelernt und seitdem nie wieder versucht, auch nur eine runde Kugel zu formen, wenn er in der Nähe war.
Mit einem Lächeln riss ich mich von dem Anblick meines Gartens los und rief noch einmal nach Jethro, der aber erneut nicht antwortete. Stirnrunzelnd sah ich mich im Wohnzimmer um und bemerkte erst jetzt, dass sein Mantel nicht mehr da war, den er gestern einfach über einen Sessel geschmissen hatte. Aber stattdessen lag meine Kleidung, die er mir ausgezogen hatte, ordentlich gestapelt auf dem Sofa, ein Zeichen dafür, dass er hier unten gewesen sein musste. „Wo steckst du bloß?" murmelte ich und stieß die Küchentür, in der Hoffnung, ihn dort zu finden, auf. Aber auch dieser Raum war verlassen, was mich nicht sonderlich wunderte, sonst hätte er mir geantwortet, als ich nach ihm gerufen hatte.
Die neuen Möbel schimmerten in dem hellen Licht und verbreiteten eine gemütliche Atmosphäre. Obwohl sieben Monate vergangen waren, seit ich hier drinnen einen Mann erstochen und die Küche komplett neu eingerichtet hatte, überkam mich hin und wieder ein beklemmendes Gefühl. Die Ereignisse von damals waren noch immer präsent und mir war bewusst, dass ich Gibbs beinahe verloren hätte. Hätte das FBI auch nur eine Sekunde länger auf sich warten lassen, hätte eine Kugel sein Herz getroffen und ihn aus dem Leben gerissen. Das war der Grund, weshalb ich Fornell seitdem mit ganz anderen Augen sah und nicht mehr nur als Agent, der sich immer wieder gerne in unsere Ermittlungen einmischte.
Ich schüttelte den Kopf, um die Erinnerungen aus meinem Gehirn zu verbannen, bemerkte den Zettel, der mitten auf dem Küchentisch lag und darauf wartete, von mir gelesen zu werden. Bereits von Weitem erkannte ich Jethros Handschrift und in der Hoffnung, dass die Zeilen erklärten wo er steckte, nahm ich das Blatt Papier und musste bereits bei den ersten Worten grinsen.

Guten Morgen, Schlafmütze!
Du hast noch tief geschlafen und dabei so entspannt ausgesehen, dass ich dich nicht wecken wollte.
Da ich weiß, wie sehr du ein ausgiebiges Frühstück magst, habe ich mir gedacht, ich hole uns schnell ein wenig Gebäck. Für den Fall, dass du die Nachricht liest, bevor ich wieder zurück bin, kannst du schon einmal einen Kaffee machen. Und vergiss nicht, für mich extra stark.
Bis gleich, Jethro


Breit lächelnd legte ich die Nachricht wieder auf den Tisch zurück. Das war typisch Gibbs. Er dachte ständig nur an sein Koffein, von dem er heute sicher schon eine Dosis gehabt hatte, wie mir die benutzte Tasse in der Spüle verriet. Es war ein Wunder, dass er sich auch noch von etwas anderem ernährte als von seinem Lieblingsgetränk.
Mit der Entscheidung, dass er sich heute gleich zwei Gute Morgenküsse verdient hatte, drehte ich mich um und wollte die Kaffeemaschine in Betrieb setzen, als mich das unerwartete Klingeln meines Handys zusammenzucken ließ. „Das darf doch nicht wahr sein", sagte ich und legte für eine Sekunde den Kopf in den Nacken. „Wenn sich heute jemand umbringen hat lassen, drehe ich dem Mörder eigenhändig den Hals um." Kurz darauf kam mir allerdings in den Sinn, dass es Jethro sein könnte, der vielleicht eine Autopanne hatte. Oder vielleicht wollte er sich erkundigen, ob ich schon den Kaffee fertig hatte. Mit der Aussicht, dass es mein Freund war, der anrief, eilte ich ins Wohnzimmer, wo auf dem Tisch mein Handy lag, klappte es auf und warf einen Blick auf die Nummer. Unwillkürlich entschlüpfte mir ein Stöhnen, als Zivas Name auf dem Display erschien. „Nein, nein, nein", murmelte ich leicht ärgerlich, denn auf einmal hatte ich das Gefühl, dass ich den freien Sonntag vergessen konnte. „Sag jetzt nicht, dass wir einen neuen Fall haben", meldete ich mich, ohne ihr einen guten Morgen zu wünschen. Aber sie regte sich nicht darüber auf, wie ich eigentlich erwartet hatte. „Habe ich dich geweckt?" fragte die junge Frau, wobei ihre Stimme seltsamerweise belegt und ein wenig brüchig klang. In meinem Inneren breitete sich ein ungutes Gefühl aus, was ich aber durch meinen üblichen Humor zu verdrängen versuchte. „Du hörst dich an, als ob jemand gestorben wäre." Ziva holte unverkennbar scharf Luft, eine Reaktion, die mir gar nicht gefiel. „Es ist besser, wenn du ins Hauptquartier kommst, Tony", sagte sie leise und ging nicht auf meine vorherige Bemerkung ein. „Was ist los?" wollte ich wissen und obwohl ich keinen Grund dazu hatte, stieg in mir Angst auf und ließ mein Herz zusammenkrampfen. „Nicht am Telefon. Komm einfach her." „Und was ist mit Gibbs?" Aber meine Frage hörte sie schon gar nicht mehr – sie hatte einfach aufgelegt. Lautes Tuten war das Einzige, was ich vernahm. Meine Hand, die das Handy hielt, zitterte leicht und ich spürte, wie sich meine Kehle zuschnürte und mir das Atmen erschwerte. Aber gleich darauf schüttelte ich den Kopf und vertrieb das Gefühl der Angst. Nur weil sich Ziva so komisch angehört hatte, hieß das noch lange nicht, dass etwas passiert sein musste. Und vielleicht war es nur ein Scherz von ihr, um mich ins Büro zu locken und mir somit den Sonntag zu verderben.
Ohne lange darüber nachzudenken, wählte ich Jethros Nummer, um ihn zu fragen, ob er wusste, weshalb ich zum NCIS kommen sollte, aber ich hörte nur die Mailbox Ansage. Überrascht hob ich eine Augenbraue, denn schließlich war er es, der uns ständig eintrichterte, immer erreichbar zu sein. ‚Vielleicht ist er nur in einem Funkloch', beruhigte ich mich selbst und klappte das kleine Gerät zu. Wahrscheinlich hatte ihn Ziva bereits angerufen und er war auf dem Weg ins Hauptquartier. Aber wieso hatte er sich dann nicht bei mir gemeldet und mir gesagt, dass es einen neuen Fall gab?
„Jetzt mal nicht gleich den Teufel an die Wand, Anthony", schimpfte ich mich selbst, ging in den Vorraum und zog meine Jacke an. Es gab sicher eine gute Erklärung, weshalb Gibbs nicht angerufen hatte. Wieso hatte ich aber so ein komisches Gefühl im Magen? Wieso sagte mir mein Instinkt, dass es nicht ein neuer Fall war, weswegen ich ins Büro fahren sollte? Ich drängte erneut die Angst zurück, die sich ausbreiten wollte, schnappte mir meinen Rucksack und öffnete die Tür, um in die kalte Luft, die wunderbar rein roch, hinauszugehen. Der Sturm gestern hatte eine mindestens 15 Zentimeter dicke Schneedecke hinterlassen, die unter meinen Schuhen knirschte, während ich zur Garage ging, um meinen Wagen zu holen. Bevor ich das Tor öffnete, versuchte ich wieder, Jethro zu erreichen, hatte aber genauso wenig Erfolg wie vor ein paar Minuten. Die Unruhe in meinem Inneren wurde immer größer und ich hörte nicht einmal die lauten Begeisterungsschreie der Nachbarskinder, die sich über den vielen Schnee freuten.
Innerhalb von ein paar Sekunden saß ich in meinem Auto, hatte den Motor gestartet und fuhr rückwärts auf die ruhige Straße, die bereits von einem Schneepflug geräumt worden war, aber dennoch war es leicht eisig, sodass ich einen Meter weiter rutschte, bevor ich anhielt, einen Gang einlegte und mit quietschenden Reifen losfuhr. Normalerweise passte ich meine Fahrweise an die Straßenverhältnisse an, aber heute machte ich eine Ausnahme und trat das Gaspedal bis zum Boden durch. Mein Gefühl sagte mir, dass ich ganz schnell im Hauptquartier sein sollte. Auf einmal wurde mir klar, dass es sicher kein Scherz von Ziva gewesen war, dass irgendetwas passiert sein musste, sonst hätte sie sich nicht so leise angehört, ihre Stimme nur ein Bruchteil ihrer sonstigen Intensität.
In bester Gibbsmanier überholte ich viel zu langsame Autofahrer, überfuhr mehr als einmal eine Kreuzung bei Gelb und vergaß, dass es so etwas wie Verkehrsregeln gab. Nicht selten wurde mir lautes Hupen nachgeschickt, als ich in den Gegenverkehr auswich, um schneller vorwärts zu kommen und zwei Mal hätte ich beinahe die Kontrolle über meinen Wagen verloren, als ich zu schnell abgebogen war und die Straße an diesen Stellen rutschig war. Dennoch erreichte ich innerhalb von 15 Minuten ohne Unfall das Hauptquartier und hielt mit quietschenden Reifen auf meinem üblichen Parkplatz in der Tiefgarage, die an diesem Sonntag ziemlich leer war. Ich ließ meinen Blick kurz über die anderen Fahrzeuge schweifen, entdeckte aber jenes von Gibbs nicht. „Das muss nichts heißen", sagte ich mir selbst. Immerhin war es möglich, dass irgendwo ein Stau war, was bei den schwierigen Straßenverhältnissen auch kein Wunder war oder Ziva hatte ihn noch nicht erreicht oder er war noch auf dem Weg hierher. Für meinen Geschmack waren das aber zu viele oders und um mir nicht weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, wo mein Freund steckte, eilte ich zum Fahrstuhl, drückte auf den Knopf und wartete ein wenig ungeduldig, bis sich die Türen öffneten, nur um kurz darauf noch ungeduldiger zu warten, bis er die dritte Etage erreichte.
Mit dem mir nur allzu vertrauten leisen Pling glitten die Türen auseinander und präsentierten mir ein ungewohnt leeres und ruhiges Großraumbüro. Keine Telefone, die klingelten, keine Agents, die hektisch herumliefen und keine lauten Stimmen, die sich Informationen zuriefen. Helles Sonnenlicht fiel durch die breiten Fenster und schaffte eine freundliche Atmosphäre. Aber trotzdem vermochte es nicht, mein klopfendes Herz zu beruhigen. Mit großen Schritten ging ich zu meinem Platz und sagte: „Hier bin ich. Was gibt es denn so Wichtiges?" Meine Stimme hörte sich so unbeschwert wie immer an, obwohl ich mich überhaupt nicht so fühlte – im Gegenteil. Mir wäre es lieber, wieder in meinem warmen Bett zu liegen und nicht hier zu sein.
Ich wollte bereits meinen Rucksack auf den Boden fallen lassen, hielt aber mitten in der Bewegung inne, als ich zu meinen Kollegen und Freunden sah. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht, das war mir sofort klar und es hatte nichts damit zu tun, dass Direktor Sheppard ebenfalls anwesend war.
Mein Blick glitt automatisch zu Gibbs' Schreibtisch, an dem aber nicht er sondern Abby saß. Ihr Kopf hing nach unten, aus ihren Rattenschwänzen hatten sich einzelne Strähnen gelöst und sie wirkten nicht so lustig wie sonst, sondern eher traurig. Ihre immer allgegenwärtige Fröhlichkeit war verschwunden und sie schien nicht einmal mitzubekommen, dass sie nicht alleine war, sondern war in ihrer eigenen Welt gefangen. Ihr schlanker Körper bebte und wenn mich nicht alles täuschte, hatte sie gerade einen leisen Schluchzer von sich gegeben. Die Angst, die mich seit Zivas Anruf heimgesucht und die ich erfolgreich verdrängt hatte, kam mit doppelter Wucht zurück und mein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Ich sah zu Ducky, der neben der Forensikerin stand und ihr tröstend eine Hand auf die Schulter gelegt hatte. Seine Fliege saß heute schiefer als sonst und sein Körper wirkte ein wenig gebeugt. An diesem Morgen wirkte er mehr denn je wie ein alter Mann und nicht wie der flinke Pathologe der er war. In seinen Augen konnte ich eine Trauer erkennen, die mich beinahe zurückstolpern ließ. Er öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder, so als ob er zum ersten Mal nicht wusste, welche Worte er verwenden sollte.
In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß, der auch nach mehrmaligem Schlucken nicht wegging. Panik stieg in mir auf, als ich meinen Blick weiter über Palmer – der seine Schuhspitzen bewunderte – zu McGee schweifen ließ, der auf seinem Stuhl saß und mich aus roten geschwollenen Augen ansah. Es war unverkennbar, dass er vor kurzem geweint hatte und auch jetzt noch mit den Tränen kämpfte. Er schüttelte ungläubig seinen Kopf, fuhr sich mit zitternden Händen durch sein kurzes Haar und betrachtete anschließend seine Finger. Und noch bevor ich zu Ziva und Jenny sah, die nebeneinander standen, wusste ich es – wusste mit Bestimmtheit den Grund, weshalb Abby an Jethros Platz saß und nicht er. Wusste mit Bestimmtheit, weshalb Ducky zum ersten Mal in seinem Leben die Worte fehlten, wusste mit Bestimmtheit, weshalb Tim geweint hatte.
Plötzlich hatte ich das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen und ich begann, keuchend ein- und auszuatmen. Ein unglaublicher Schmerz schien mir mein Herz zusammenzupressen, nur um es gleich darauf in tausend Stücke zerspringen zu lassen. Meine Augen wurden verräterisch feucht und die Umgebung verschwamm vor mir. „Nein", flüsterte ich beinahe tonlos und schüttelte den Kopf. „Tony…" begann Ziva, brach aber ab, als ich sie direkt ansah. Sie wirkte auf einmal zerbrechlich und unendlich traurig – war nicht mehr die toughe Agentin, so wie ich sie kannte. Die junge Frau machte einen Schritt auf mich zu, aber ich wich zurück. „Nein", wiederholte ich diesmal lauter, wollte es nicht hören, wollte nicht glauben, was so offensichtlich war.
Die erste Träne rann mir über meine Wange, aber ich wischte sie nicht weg, war unfähig auch nur einen Arm zu heben. Flehend blickte ich zu Jenny, die mich mitfühlend ansah und auch sie wirkte zum ersten Mal, seit ich sie kannte, nicht mehr wie die starke Direktorin, die sie immer an den Tag legte. In diesem Moment war sie nur noch eine Frau mit Gefühlen. „Es tut mir leid, Tony", sagte sie mit ungewohnt leiser Stimme und ihre sonst so strahlenden Augen verloren ihren Glanz. Und dann sagte sie die Worte, die ich nicht wahrhaben wollte, die ich nicht hören wollte und die mein bisheriges Leben wie ein Kartenhaus einstürzen ließen: „Es tut mir leid, aber Gibbs ist heute Morgen bei einem Unfall ums Leben gekommen."

Fortsetzung folgt...
Chapter 4 by Michi
Ihren Worten folgte eine Stille, die ich noch nie erlebt hatte. Selbst mein Herzschlag hatte aufgehört, in meinen Ohren zu dröhnen. Das Einzige, was ich so richtig mitbekam, waren meine zitternden Hände, mein keuchender Atem und die Tränen, die mir in die Augen schossen, aber ich war unfähig, sie zurückzuhalten. Eine unglaubliche Leere breitete sich in meinem Inneren aus und schien mich langsam aber sicher aufzufressen. Mein Blickfeld wurde verschwommen, sodass ich fast nichts mehr erkennen konnte und das Schlucken fiel mir auf einmal unendlich schwer. In meiner Kehle bildete sich ein Schluchzen, aber ich drängte es mit aller Macht zurück. Ich würde sicher nicht zusammenbrechen, nicht hier in diesem Büro und schon gar nicht vor den anderen, die mich noch immer musterten und auf eine Reaktion von mir warteten – aber es kam keine. Ich war unfähig, mich zu rühren, meine Muskeln waren wie erstarrt, weshalb mir der Rucksack auch aus meinen Fingern glitt und auf den Boden fiel. Das Einzige, wozu ich fähig war, war den großen Schmerz zu spüren, der mein Herz zusammenkrampfen ließ und mir verdeutlichte, dass ich weiterhin am Leben war, während…
Es tut mir leid, aber Gibbs ist heute Morgen bei einem Unfall ums Leben gekommen. Dieser eine Satz hallte immer und immer wieder in meinem Kopf wider und traf mich jedes Mal härter. Ich fühlte, wie mir mein gesamtes Blut aus dem Gesicht wich und mir schwindelig wurde. Mir wurde schrecklich heiß, nur um gleich darauf vor Kälte zu erschauern – mich hätte es nicht gewundert, wenn vor meinem Mund kleine Atemwölkchen aufgestoben wären. Diese wären ein weiteres Zeichen dafür gewesen, dass ich lebte, während…
Ums Leben gekommen… Unfall… Gibbs… ums Leben gekommen… Wie ein Kaleidoskop wirbelten die Wörter in meinem Gehirn, unfähig, einen ganzen Satz zu bilden. Aber nichtsdestotrotz reichten sie aus, um mir vor Augen zu führen, was geschehen war – auch wenn ich es nicht akzeptieren wollte und konnte. Jethro konnte doch nicht… die drei Buchstaben des Wortes, das sich mir aufdrängte, waren in meinem Kopf, aber ich ließ sie nicht zu, wollte nicht einmal daran denken. So lange ich nicht einen endgültigen Beweis hatte, würde ich sie nicht einmal aussprechen.
Die Tränen, die mir mittlerweile über die Wangen strömten, wischte ich mit einer unwirschen Handbewegung weg, selbst überrascht, dass ich überhaupt zu einer Bewegung fähig war. Meine Finger wurden dadurch nass, weshalb ich sie ganz schnell an meiner Hose abtrocknete, wobei ich das eher unbewusst erledigte, wie ferngesteuert. Ich wünschte mir, ich würde noch immer im Bett liegen, hätte den Anruf nie entgegengenommen und wäre weiterhin im Reich der Träume gefangen. Mit einem Mal kam mir ein Gedanke, der mich nicht mehr losließ. Genau, das musste die Erklärung sein, anders konnte ich mir die ganze Situation nicht vorstellen.
„Das ist ein Traum, richtig?" fragte ich mit einer Stimme, die mir selbst fremd war, kraftlos und heiser. „Das… das ist alles nur ein schrecklicher Albtraum und ich werde sicher gleich aufwachen und… und Jethro wird neben mir im Bett liegen, wohlauf." Ich klammerte mich so sehr an diese Theorie, dass ich selbst an sie glaubte, auch wenn mir meine innere Stimme sagte, dass ich vollkommen auf dem Holzweg war. Mit meiner Rechten wischte ich mir unter der Nase entlang, schniefte kurz und brachte ein kleines Lächeln zu Stande. „Ein Traum, nur ein Traum", murmelte ich vor mich hin. „Ich werde bestimmt gleich aufwachen." In dem Versuch, dies zu tun, zwickte ich mir heftig in den Oberarm, aber das Einzige, was ich damit erreichte, war ein kurzer, elektrisierender Schmerz und ich fand mich nicht in meinem weichen Bett wieder, sondern stand weiterhin in dem Großraumbüro, in dem es an diesem Sonntag ruhig zuging. Wieso wachte ich nicht auf? Wieso war ich weiter in dieser Situation gefangen, unfähig, ihr zu entfliehen?
„Tony…" Zivas Stimme durchbrach diese Stille und ließ mich zusammenzucken. Heute wirkte sie nur wie ein Schatten ihrer selbst und in ihren Augen stand Trauer, die ich bei ihr zuvor noch nie gesehen hatte. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass sie auch nur ein Mensch mit Gefühlen war. Die harte Mossad Agentin war verschwunden und hatte einer Frau Platz gemacht, die einen Freund verloren hatte. „Hör zu…" fing sie erneut an, aber ich wich einen Schritt zurück und hob abwehrend meine Hände. „Nein!" schrie ich sie an, meine Stimme war zwar immer noch heiser, aber sie hatte an Kraft zugelegt. „Nicht! Sag nichts! Ihr seid alle nicht echt! Das ist nur ein Traum! Ein verdammter Albtraum!!!" Erneut stiegen mir Tränen in die Augen und der große Kloß in meinem Hals kehrte zurück. Wieso konnte das nicht einfach vorbei gehen? Wieso konnte ich nicht aufwachen? Wieso war ich hier gefangen?
Ich brachte so viel Abstand wie möglich zwischen sie und mich, bis ich mit meinem Rücken gegen das breite Fenster stieß, durch das heller Sonnenschein strömte, der bei meiner Stimmung mehr als unpassend war. Viel besser wäre ein starker Sturm mit Blitz und Donner und jede Menge Regen, aber nicht dieser Sonnenschein. Den schien es nur zu geben, um mich zu verhöhnen, um mir zu zeigen, dass außerhalb dieses Gebäudes die Welt in Ordnung war, wohingegen hier herinnen Chaos herrschte, wenn auch nur in meinem Inneren. Aber das genügte, um mir beinahe den Verstand zu rauben. Ich schaffte es erneut, die Tränen zurückzudrängen, wollte ich doch keinem zeigen, wie sehr mich die Nachricht getroffen hatte. Nein, ich musste stark sein, vor allem, wenn sich wirklich herausstellen sollte, dass alles nur ein Traum war. Immerhin wollte ich nicht heulend aufwachen. Was würde Gibbs dann von mir denken?
Langsam beruhigte ich mich wieder und mein Atem wurde regelmäßiger, ging nicht mehr in keuchenden Stößen wie noch vor ein paar Sekunden. Mein Sichtfeld war wurde klarer und erst jetzt registrierte ich so richtig die Kühle der Fensterscheibe, an der ich mit meinem Rücken lehnte und versuchte, daran ein wenig Halt zu finden. Die Stille, die sich nach meinen Worten ausgebreitet hatte, dröhnte lauter in meinen Ohren als mein eigener Herzschlag und drückte mir aufs Gemüt, aber ich machte keine Anstalten, sie zu durchbrechen.
Ich ließ ich meinen Blick über meine Freunde schweifen, die mich allesamt musterten – sogar Palmer hatte aufgehört, seine Schuhe anzustarren und hatte seinen Kopf gehoben. Abby hatte es geschafft, sich aus ihrer eigenen Welt zu befreien. Seit Kates Tod hatte ich sie nicht mehr weinen sehen – es war ein Anblick, den ich nie wieder vergessen würde. Genauso wie damals waren ihre Augen rot und das Make-up, das sie heute aufgetragen hatte, war durch die Tränen bereits zerstört und der Mascara hatte schwarze Spuren auf ihrem sonst makellosen Gesicht hinterlassen. Ihr Körper bebte noch immer und sie hatte ihre Arme um ihre Brust geschlungen, so als ob sie sich vor etwas schützen wollte.
Ducky hatte weiterhin eine Hand auf ihrer Schulter und fuhr sich mit seiner freien immer wieder durch die Haare, die dadurch außer Form gerieten. In seinen Augen stand grenzenlose Trauer – die Trauer, seinen besten Freund verloren zu haben, aber diese war nichts im Gegensatz zu meiner, die sich langsam aber sicher in mir ausbreitete, um mir erneut den Boden unter meinen Füßen wegzuziehen. Aber noch ließ ich sie nicht zu, war es doch ein Eingeständnis dafür, dass Jennys Worte wahr waren. handelte. Aber neben der Trauer in seinen Augen konnte ich keine Spur von Mitleid erkennen, sondern Sorge - Sorge darum, wie ich die Nachricht aufnahm und Sorge darüber, ob ich vielleicht zusammenbrechen würde.
McGee hatte aufgehört, seine Hände zu betrachten und begegnete meinem Blick. Wenn ich ehrlich war, hatte ich ihn noch nie weinen sehen, nicht einmal, als Kate gestorben war, und jetzt, als er es tat, musste ich feststellen, dass er dadurch nicht annähernd schwach wirkte. In den Jahren, seit ich ihn kannte, hatte er sich zu einem ausgezeichneten Agenten gemausert und war immer selbstsicherer geworden, was sicher auch Gibbs' Verdienst gewesen war. Dieser war genauso sein Mentor wie er meiner war und der Verlust traf ihn ziemlich hart, auch wenn ich es weiterhin nicht akzeptieren wollte, was Jenny gesagt hatte. Ihre Worte kamen mir so unnatürlich vor, als wären sie nicht echt, und es war gerade dieser Strohhalm, an den ich mich klammerte.
Ziva stand noch immer am selben Fleck und wirkte zum ersten Mal, seit ich sie kannte, unsicher. Es war auch nicht wirklich verwunderlich, war es ja nicht abzusehen, wie ich reagieren würde, falls sie wieder einen Versuch starten würde, etwas zu sagen. In ihren Augen konnte ich Mitleid erkennen und es war gerade das, was ich in diesem Moment nicht wollte. Ich brauchte und wollte kein Mitleid, das würde sie sicher bald bemerken und wenn sie es nicht von selbst herausfand, würde ich es ihr einfach direkt erzählen.
Die Einzige, die ein wenig gefasst wirkte, war Direktor Sheppard. Sie schien genauso betroffen wie alle anderen, aber da war etwas in ihrem Blick, das ich nicht einordnen konnte und das mir Unbehagen bereitete. Gleich darauf verschwand der Eindruck allerdings wieder und ich schob alles auf meine Nerven, die in dieser Minute nicht gerade die besten waren, hatte ich doch soeben erfahren, dass der Mann, den ich über alles liebte… Nein, ich würde auch jetzt noch nicht daran denken, nicht, solange die Möglichkeit bestand, dass es wirklich nur ein Irrtum war oder sich das Ganze als Scherz herausstellte.
Die Sekunden verstrichen, ohne dass irgendetwas passierte oder sich die Situation änderte. Schließlich räusperte ich mich und versuchte meine Stimme gefasst klingen zu lassen, was mir aber nicht einmal annähernd gelang. „Also ehrlich. Ich hätte es euch beinahe abgekauft", sagte ich schließlich ungewöhnlich schwach und schluckte den Kloß hinunter, der sich schon wieder in meiner Kehle bildete. Meine Freunde warfen sich kurze, betretene Blicke zu und schienen sich stumm auszumachen, wer wohl der Erste sein würde, der etwas auf meine Aussage erwiderte. Die Wahl fiel auf McGee, der darüber nicht sehr glücklich war, jedenfalls zog er nervös an dem Kragen seines Hemdes und versuchte mir nicht direkt in die Augen zu sehen.
„Du glaubst, wir machen Scherze darüber?" meinte er schließlich und zu meiner Verwunderung konnte ich Ärger in seiner Stimme erkennen, der sich ebenfalls auf seinem Gesicht abzuzeichnen begann. „Glaubst du wirklich, wir würden über Gibbs' Tod einen Scherz machen?! Für wie makaber hältst du uns eigentlich?!" Ich war nicht der Einzige, der ihn ungläubig anstarrte, war es doch das erste Mal, dass er derart aus der Haut fuhr – und ich konnte es ihm nicht einmal verdenken. „Ich…" begann ich, nicht wissend, was ich sagen sollte. Meine Hände presste ich an das Glas des Fensters, das langsam meine Körperwärme annahm, aber mein Verstand wollte noch immer nicht verarbeiten, was doch so offensichtlich war. „Vielleicht ist es die Rache dafür, dass ich euch öfters veräppelt habe", wagte ich erneut einen Versuch, einen ganzen Satz zu Stande zu bringen. „Jethro ist nicht… Ihm geht es bestimmt gut und er wartet zu Hause auf mich. Ich weiß es. Ich weiß es einfach." Ich wurde immer leiser und blickte zu Boden, in der Hoffnung, die anderen würden die Tränen nicht sehen, die sich erneut in meinen Augen bildeten. Seit wann war ich denn so eine Heulsuse? Ich blinzelte heftig und nach ein paar Sekunden traute ich mich wieder, meinen Kopf zu heben. Noch immer starrten sie mich wie ein Ausstellungsstück im Museum an und ich wünschte, sie würden einfach verschwinden, würden mich alleine lassen.
„Ich glaube, wir alle wollen, dass das nur ein Scherz ist", meldete sich schließlich Abby zu Wort, entgegen ihrer sonstigen Angewohnheit ziemlich traurig. Eine Strähne ihres Haares hatte sich aus einem der Rattenschwänze gelöst und umspielte ihre tränennasse Wange. „Ist es aber nicht, Tony. Es ist kein Scherz. Also hör auf zu glauben, dass wir dir so etwas antun würden. Mein silberhaariger Fuchs ist tot. Kannst du dir das vorstellen? Ein simpler Autounfall? Er wird nie wieder zurückkommen. Nie wieder." Erneut strömten Tränen über ihre bleichen Wangen und sie vergrub ihr Gesicht in Duckys Hemd, der ihr begütigend eine Hand auf den Kopf legte und sie tätschelte.
„Autounfall?" fragte ich atemlos und konnte nicht glauben, was ich da soeben gehört hatte. Gibbs fuhr zwar jedes Mal so, als ob der Teufel hinter ihm her wäre, aber bis jetzt hatte er noch nie einen Kratzer an seinem Wagen abbekommen. Und ausgerechnet ein Verkehrsunfall sollte ihm das Leben gekostet haben?
„Ja, ein Autounfall", sagte Ziva und war sichtlich erleichtert, dass ich sie nicht wieder anschrie. „Er kam in Norfolk auf Grund schlechter Straßenverhältnisse von der Fahrbahn ab und krachte gegen einen Baum. Der Wagen… der Wagen ging sofort in Flammen auf. Er hatte keine Chance." Jetzt war es an ihr, heftig zu blinzeln und sie drehte sich von allen weg, um nicht zu zeigen, dass sie in diesem Moment nicht mehr die starke Agentin war, sondern jemand, der einen Verlust erlitten hatte.
Autounfall… krachte gegen einen Baum… Flammen… keine Chance… Norfolk… Die Worte hallten in meinen Ohren wider und ließen meine Knie weich werden. Sie begannen unter meinem Gewicht nachzugeben und ich konnte mich nur noch mühsam aufrecht halten. Flammen… keine Chance… Norfolk… Norfolk… Abrupt richtete ich mich wieder auf und Aufregung machte sich in meinem Inneren breit. „Das muss eine Verwechslung sein!" schrie ich, trat von dem Fenster weg und blieb neben meinem Schreibtisch stehen. „Jethro war nicht in Norfolk. Er wollte etwas fürs Frühstück besorgen. Was sollte er denn in Norfolk machen? Das ist eine Verwechslung. Ich wusste doch, dass es ihm gut geht!" ‚Aber weshalb nimmt er dann nicht die Anrufe auf seinem Handy entgegen? Wieso hat er es abgeschaltet?' meldete sich sofort meine innere Stimme zu Wort und dämpfte meine Euphorie.
„So leid es mir auch tut", erwiderte Direktor Sheppard vorsichtig und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre kurzen Haare. „Aber es ist keine Verwechslung. Es gab einen Augenzeugen, der sich das Nummernschild gemerkt hat, da ihn Jethro kurz vorher rasant überholt hat. Gleich darauf ist er…" Sie brach ab, da sie es anscheinend nicht übers Herz brachte, auszusprechen, was ich noch immer nicht wahrhaben wollte. Ungläubig schüttelte ich den Kopf und krallte eine Hand um die Kante meines Tisches. „Was wollte er denn in Norfolk?!" schrie ich erneut los, unfähig, ruhig zu bleiben. „Verdammt, was wollte Jethro in Norfolk?!" „Wir hatten gehofft, das von Ihnen zu erfahren", antwortete Jenny und war sichtlich nicht erfreut darüber, dass ich hier einfach herumbrüllte. Ich fühlte mich, als ob mir erneut der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Wieso war Gibbs nach Norfolk gefahren? Wieso hatte er mich nicht geweckt, um mir das zu sagen? Weshalb hatte er eine Nachricht hinterlassen, in der er behauptet hatte, etwas fürs Frühstück zu holen? Oder hatte er vielleicht unterwegs einen Anruf bekommen, der ihn nach Norfolk geführt hatte? Aber wieso hatte er mir nicht Bescheid gegeben? Von den vielen Fragen schwirrte mir der Kopf und ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich keine Antworten erhalten würde.
„Wir wissen nicht, was Gibbs in Norfolk wollte", mischte sich wieder McGee ein. „Von daher haben wir gehofft, dass du vielleicht…" „Was?! Das ich vielleicht wüsste, was er dort zu suchen hatte?! Aber ich muss dich enttäuschen, Bambino! Er hat mir nichts gesagt! Rein gar nichts!" „Hör auf, Tony. Du brauchst doch nicht gleich so aus der Haut zu fahren." „Ach ja?! Es ist ja nicht dein Freund, der..." „Nein, aber mein Boss und Mentor! Du bist nicht der Einzige, den dieser Verlust trifft!" Tim funkelte mich derart wütend an, dass ich bereits Angst hatte, er würde aufspringen und mir an den Kragen gehen. Wenn ich ehrlich war, würde ich das jetzt bevorzugen. Dann hätte ich ein Ventil, wie ich den unglaublichen Schmerz, der sich in meinem Inneren ausbreitete, ein wenig lindern konnte. Je länger ich hier war, desto mehr wurde mir klar, dass das kein Albtraum war, sondern die pure Realität und ich hatte das dringende Bedürfnis, auf irgendetwas einzuschlagen, wollte alles rauslassen, was sich in diesem Moment in mir anstaute. Aber mich verließ die Kraft und ich lehnte mich schwer gegen meinen Schreibtisch. Diesmal blinzelte ich die Tränen nicht weg, die mir schon wieder in die Augen stiegen, sondern ließ sie zu. Ein Schluchzer bahnte sich einen Weg an die Oberfläche, aber ich schaffte es noch rechtzeitig ihn hinunterzuschlucken. Ich wollte hier nicht zusammenbrechen, nicht vor den anderen. Gegen meinen Willen begann ich am ganzen Körper zu zittern und ich spürte, wie ich langsam die Kontrolle verlor.
„Tony?" fragte Ziva vorsichtig und trat vor mich. „Es ist kein Traum, oder?" Meine Stimme war so schrecklich schwach und ich konnte nichts gegen den Schmerz tun, der mich von innen zu zerreißen drohte. „Nein, ist es nicht", antwortete sie mitfühlend, steckte ihre rechte Hand in eine Hosentasche und brachte sie gleich darauf wieder zum Vorschein. „Agent Cassidy war vor einer halben Stunde hier." „Paula?" wollte ich leise wissen und sah die Frau vor mir, mit der ich eine kurze Affäre gehabt hatte. „Ja. Nachdem man herausgefunden hatte, wem der Wagen gehörte, war sie eine der Ersten gewesen, die am Unfallort angekommen war. Das Auto war zum größten Teil ausgebrannt und nachdem man die sterblichen Ü…" Sie brach ab und suchte fieberhaft nach anderen Worten. „Jedenfalls hat sie das im Inneren gefunden." Ziva öffnete ihre Hand und brachte einen silbernen Ring zum Vorschein, der im Licht der Sonne leicht glänzte. „Agent Cassidy dachte, du würdest ihn vielleicht haben wollen." Mit zitternden Fingern nahm ich den Ring aus ihrer Hand und auf einmal waren meine Wangen nass. „Oh Gott, Jethro", keuchte ich, als ich den kleinen Gegenstand langsam drehte, bis die Gravur auf der Innenseite sichtbar wurde. In Liebe, Tony stand dort - es war der Ring, den ich Gibbs zu seinem Geburtstag geschenkt hatte. Ich wusste noch genau, dass er sich ein wenig darüber lustig gemacht hatte, dass er wie ein Ehering aussah. Er hatte mir an diesem Abend versprochen, ihn nie abzunehmen, egal was passierte. Und jetzt? Jetzt war er tot und würde ihn nie wieder tragen, würde nie wieder sagen, dass er mich liebte, würde nie wieder neben mir im Bett liegen, würde nie wieder…
Plötzlich fiel mir das Atmen unglaublich schwer, die Wände schienen unbarmherzig näher zu rücken und irgendwie fing alles an, sich um mich zu drehen. Ich ballte meine Hand zur Faust, sodass sich der Ring schmerzhaft in meine Hand bohrte, aber nicht einmal das half, dass ich die Kontrolle über mich zurückerlangte.
„Ich muss hier raus", sagte ich und taumelte zur Seite. „Tony, du kannst doch nicht…" begann Ziva, aber ich stieß sie zur Seite, als sie mir in den Weg trat. „Lass mich! Ich muss hier raus!" In meiner Hast, dem Büro zu entfliehen, wäre ich beinahe gestolpert. Ich bückte mich, schnappte mir meinen Rucksack und lief zum Treppenhaus, da mich die Kabine des Fahrstuhles in diesem Moment nur einengen würde. „Tony!" Erneut schrie Ziva, aber ich ignorierte sie und stieß die Tür auf. Stufe für Stufe rannte ich hinunter - genauso wie ich dem Großraumbüro entfloh, wollte ich dem Schmerz in meinem Inneren entfliehen. Aber dieser blieb, ließ meine Eingeweide in Flammen aufgehen und drückte mir unbarmherzig auf die Brust. Den Ring weiterhin in meiner Faust haltend, brachte ich immer mehr Abstand zwischen mich, die dritte Etage und die Menschen, die mir gerade die Botschaft übermittelt hatten, von der ich gehofft hatte, sie nie zu erhalten. Gibbs war tot – ich hatte den Mann, den ich über alles liebte, für immer verloren.

„Tony!" schrie Ziva, aber es war zu spät. Er ignorierte sie, lief einfach auf das Treppenhaus zu und verschwand innerhalb einer Sekunde aus ihrem Blickfeld. Aus einem Impuls heraus wollte sie ihm folgen, wurde aber von einer Stimme aufgehalten, die in den letzten Minuten kein einziges Wort gesagt hatte. „Lass ihn", meinte Ducky ruhig und löste sich aus Abbys Umklammerung. Die Stelle seines Hemdes, in die sie ihr Gesicht vergraben hatte, war von ihren Tränen feucht, aber es störte ihn keineswegs. Es war gut, dass sie die Trauer hinausließ, würde es doch alles ein wenig einfacher machen, auch wenn es bestimmt viel Zeit in Anspruch nehmen würde, bis die Wunden zu heilen begannen.
Der Pathologe selbst war in seinem Inneren hohl wie ein leeres Schneckenhaus. Die Nachricht, dass Gibbs bei einem Unfall ums Leben gekommen war, hatte ihn hart getroffen und er hatte wie Tony versucht, zuerst alles herunterzuspielen, wollte es nicht glauben. Aber schließlich hatte er es doch verstanden und ließ den Schmerz zu, der jeden von ihnen ergriffen hatte. Ducky war sich jedoch bewusst, dass ihre Trauer nichts im Vergleich zu der war, die Anthony durchleben musste, hatte er doch seinen Lebenspartner verloren und er hatte das Gefühl, dass der Jüngere bald in ein schwarzes Loch fallen würde, würde ihn niemand auffangen. Aber vorher brauchte er ein wenig Zeit um zu akzeptieren, was er vor ein paar Minuten erfahren hatte und das alleine würde schon schwer genug werden.
„Wir können ihn doch nicht einfach so gehen lassen", sagte Ziva mit ungewohnter Sorge in ihrer Stimme. Sie konnte nicht verstehen, weshalb Ducky sie aufgehalten hatte. Hatte er denn nicht mitbekommen, dass Tony total durch den Wind war? Hatte er denn nicht gemerkt, dass dieser kurz davor war, zusammenzubrechen? Sie hatte die Panik in seinen tränenverschleierten Augen gesehen und irgendwie hatte sie Angst, dass sich ihr Freund etwas antun könnte, um schließlich wieder bei Gibbs zu sein.
„Doch, das können wir", meldete sich Abby zu Wort und schluckte tapfer den Schluchzer hinunter, der sich erneut in ihrer Kehle bildete. „Was würdest du machen, wenn du gerade erfahren hast, dass die Person, die du über alles liebst, gestorben ist?" Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und fuhr liebevoll mit der Hand über den Schreibtisch, an dem normalerweise Gibbs saß und der jetzt für immer leer bleiben würde, außer Tony würde sich entscheiden, diesen Platz einzunehmen. Aber so weit zu denken, war in diesem Moment nicht richtig. Wie konnte sie nur? Sein gesamtes Leben war gerade über ihm zusammengestürzt und sie machte sich Sorgen darüber, ob Anthony irgendwann einmal Jethros Platz einnehmen würde. Ein hysterisches Lachen bahnte sich einen Weg an die Oberfläche, aber genauso wie den Schluchzer schluckte sie es hinunter. Alles war auf einmal anders. Die Nachricht, dass Gibbs tot war, hatte sie mit einer enormen Wucht umgehauen und es kam ihr wie ein schreckliches Déjà-vu vor. Die betroffenen Gesichter, die Tränen und die Trauer. All das war schon einmal dagewesen – als Kate erschossen worden war. Und jetzt hatte sie erneut einen Freund verloren, den Mann, der für sie immer wie ein Vater gewesen war und der auf sie aufgepasst hatte.
„Ich schätze, ich würde erst einmal alleine sein und keinen sehen wollen", antwortete Ziva schließlich auf die Frage und ließ sich gegen ihren Schreibtisch sinken. Abby hatte Recht. Tony brauchte Zeit für sich. Sie würde in so einer Situation auch keine Menschenseele um sich haben wollen, war es bereits jetzt schwer genug, sich nicht einfach irgendwo zu verkriechen. Trotzdem, irgendjemand musste sich doch um ihn kümmern.
„Ich werde nachher nach ihm sehen", sagte Ducky, so als ob er ihre Gedanken erraten hätte. „Aber was ist, wenn…?" McGee brach ab, wollte die Worte nicht zu Ende sagen, die ihm durch den Kopf gingen. Seit er Tony kannte, hatte er ihn noch nie so erlebt. Er hatte förmlich gespürt, wie in dem anderen etwas zerbrochen war und sein Schmerz war richtiggehend greifbar gewesen. Mittlerweile tat es ihm leid, dass er ihn so angebrüllt hatte, hatte es Anthony doch hart getroffen, dass ihm Gibbs nicht gesagt hatte, dass er nach Norfolk gefahren war. Und er hatte ihm auch noch vorgehalten, er solle nicht gleich aus der Haut fahren. Wie hatte er nur so taktlos sein können? Und was war, wenn sich seine Befürchtung bestätigen sollte? Was war, wenn sein Kollege etwas Unüberlegtes machte? Dann würde er sich nie entschuldigen können.
„Anthony wird sich nichts antun", antwortete Ducky ruhig, auch wenn er sich nicht so fühlte. Er konnte gut nachvollziehen, dass sich alle Sorgen um ihren Freund machten. „Dafür ist er viel zu vernünftig", bestätigte Abby und strich sich die Haarsträhne, die sich aus einem ihrer Rattenschwänze gelöst hatte, hinters Ohr. „Auch wenn er gerade einen großen Verlust erlitten hat", fügte sie hinzu und starrte wieder auf die Tischplatte.
Erneutes Schweigen breitete sich aus und jeder versuchte zu verarbeiten, dass wohl nie wieder alles so wie früher sein würde, nicht, wenn ein wichtiges Mitglied des Teams fehlte und ein riesiges Loch hinterließ. Und dieses Loch würde wohl niemand auffüllen können.
„Geht nach Hause", durchbrach schließlich Jenny das Schweigen, da sie es nicht ertragen konnte, alle so niedergeschlagen zu sehen. „Ich werde mich darum kümmern, dass Gibbs' Lei…" Sie räusperte sich und genauso wie Ziva vorher, suchte sie nach anderen Worten. „Ich werde dafür sorgen, dass er nach Washington überstellt wird, nachdem das Labor in Norfolk seine DNA eindeutig zugeordnet hat. Aber das ist nur eine Formalität. Es besteht kein Zweifel, dass… Wie auch immer. Geht nach Hause." Obwohl sie wusste, dass es nicht nett war, ließ sie die anderen einfach stehen und eilte die Stufen zu ihrem Büro hoch. Sie musste jetzt unbedingt alleine sein.
Aber niemand kam ihrem Befehl nach. Weder Abby, noch Ducky, Palmer, McGee oder Ziva rührten sich vom Fleck. Sie blieben, wo sie waren und versuchten sich alleine durch ihre gegenseitige Anwesenheit zu trösten, versuchten zu begreifen, dass Gibbs nie wieder das Büro betreten würde, um sie herumzuscheuchen oder um Kopfnüsse zu verteilen. Von nun an würde alles anders sein und keiner hatte eine Ahnung, wie es weitergehen sollte, nicht ohne den Mann, der das Team zusammengehalten hatte und der für jeden eine Stütze gewesen war. Keiner wusste, wie die Zukunft aussehen würde, aber egal was kommen mochte, es gab jemanden, der ihre Unterstützung nun mehr als alles andere gebrauchen konnte. Jeder einzelne schwor sich, nicht zuzulassen, dass Tony in ein tiefes Loch fiel, aus dem er womöglich nie wieder herauskommen würde. Zusammenhalten hieß jetzt die oberste Devise – alles Weitere würde sich dann ergeben.

Fortsetzung folgt...
Chapter 5 by Michi
Ich hatte keine Ahnung, wie ich es geschafft hatte, meinen Wagen heil in die Garage zu bringen. Die gesamte Fahrt vom Hauptquartier zu meinem Haus war einfach an mir vorbeigezogen, mein Körper hatte automatisch reagiert, meine Arme hatten ohne dass ich nachdenken hatte müssen gelenkt, während mein Gehirn wie leergefegt gewesen war. Ich hatte weder den für einen Sonntag etwas untypischen dichten Verkehr noch den Schneematsch auf den Straßen wahrgenommen. Nicht einmal die Sonne, die weiterhin von einem blauen Himmel schien, hatte ich registriert, genauso wenig wie die vielen Menschen, die sich aufgrund des schönen – wenn auch eiskalten – Wetters ins Freie begeben hatten. Kinder hatten auf den Bürgersteigen herumgetollt und hatten sich gegenseitig mit großen Bällen abgeschossen und dabei mehr als einmal vorbeifahrende Autos erwischt. Überall hatte man fröhliche Gesichter bestaunen können, deren Besitzer mit guter Laune herumspaziert waren. Alles war wie immer, die Welt hatte nicht aufgehört sich zu drehen und war nicht dabei, unterzugehen. Es tat sich kein großer Spalt in der Erde auf, um alles zu verschlingen – so wie ich mir wünschte, dieser würde mich verschlingen. Die Wirklichkeit kam mir so schrecklich surreal vor, alles hatte ihre Farbe verloren, selbst die Sonne wirkte verwaschen. Obwohl der Schnee herrlich bunt glitzerte, kam er mir schmutzig vor und jedes noch so leise Geräusch drückte mir aufs Gemüt.
Seit einigen Minuten saß ich in meinem Wagen, den ich in der Garage abgestellt hatte. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, dass ich die Tiefgarage des Hauptquartiers verlassen hatte. Das Einzige, was ich noch wusste, war, dass ich mit hoher Geschwindigkeit die Treppen hinuntergelaufen war, den Ring in meiner Hand haltend und nur den Wunsch, aus dem Gebäude zu verschwinden, verfolgt hatte. Von da an war alles verschwommen, der Verkehr, die Autofahrt, meine Ankunft zu Hause – nicht einmal die Nachbarskinder hatte ich bemerkt, die in den Gärten dabei waren, große Schneemänner zu bauen. Für sie war die Welt weiterhin in Ordnung, während sie für mich in Trümmern lag.
Ich hatte meinen Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen und versuchte zu realisieren, dass sich innerhalb einer Stunde alles geändert hatte – sich mein Leben geändert hatte. Innerlich fühlte ich mich schrecklich hohl, obwohl mich ein unglaublich heftiger Schmerz quälte. Mein gesamter Körper war angespannt und ich stand unter Schock, etwas, das ich sofort gemerkt hatte, nachdem ich einfach nicht weinen konnte. Die Tränen, die mir über die Wangen gelaufen waren, als mir Ziva den Ring gegeben hatte, waren schon lange versiegt und es kamen einfach keine Neuen nach, wobei mir klar war, dass es besser wäre, ich würde alles rauslassen, würde den gesamten Schmerz hinausschreien. Der Schock, der mich ergriffen hatte, als Jenny die verhängnisvollen Worte gesagt hatte, ließ nicht einmal zu, dass ich trauern konnte. Ich fühlte rein gar nichts, außer den riesigen Kloß in meinem Hals, der mir das Atmen erschwerte und sich nicht hinunterschlucken ließ, egal wie hartnäckig ich es versuchte.
Die leise Stimme des Nachrichtenmoderators aus dem Radio nahm ich gar nicht wahr, genauso wenig wie das laute Kinderlachen, das durch das geöffnete Garagentor zu mir herein drang. Das Einzige, was ich hörte, war mein Herzschlag und das laute Rauschen des Blutes in meinen Ohren. Am liebsten würde ich mich einfach zu einem Ball zusammenrollen, mich irgendwo verkriechen und nur schlafen, um den Schmerz nicht mehr spüren zu müssen. Aber ich wusste genau, ich würde von Gibbs träumen, würde ihn vor mir sehen, wie er mich anlächelte, wie er mich aus seinen blauen Augen liebevoll anblickte, um mir gleich darauf zu sagen, dass er mich liebte.
Keuchend stieß ich meinen Atem aus und krallte meine Hand um die rechte Hosentasche, in die ich den Ring gesteckt hatte, ohne dass ich es wirklich mitbekommen hatte. Der kleine, runde Gegenstand zeichnete sich leicht durch den Stoff ab und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ihn seinem Besitzer zurückzugeben, nur würde das unmöglich sein. Mit einem Ruck riss ich meine Augen wieder auf und nahm zum ersten Mal seit langem meine Umgebung wahr, die Garage mit den Betonwänden, an denen Regale aufgestellt worden waren, auf deren Bretter verschiedenste Sachen herumlagen, die mir aber irgendwie fremd vorkamen. Auch sie gehörten zu einer anderen Welt und nicht zu derjenigen, in der ich gefangen war, unfähig ihr zu entfliehen.
Der Moderator wünschte den Zuhörern einen wunderschönen Sonntag und wurde von einem Song aus den Charts abgelöst, den ich noch nie gehört hatte. „Von wegen schöner Tag", sagte ich mit ziemlich heiserer Stimme und schlug auf den Off Knopf, wobei das Plastik unheilverkündend knackte, wobei mir das aber ziemlich egal war. Der Wagen kam mir auf einmal ziemlich eng vor und die Luft zum Atmen war irgendwie dünn. Ich schnallte mich ab, nahm den Rucksack vom Beifahrersitz und öffnete die Tür. Obwohl meine Muskeln angespannt waren, fühlten sich meine Beine wie Wackelpudding an und konnten mein Gewicht kaum tragen. Überhaupt kam mir der Boden ziemlich uneben vor. Ein Schwall kalter Winterluft begleitete mich zu der Tür, die ins Innere des Hauses führte und mich direkt in den Vorraum brachte, in dem es herrlich warm war – normalerweise. Für mich war es mehr als stickig und nachdem ich den Rucksack einfach auf den Boden geworfen hatte, entledigte ich mich meiner Jacke und schmiss sie über das Treppengeländer. Nichts hatte sich verändert, seit ich vor einer Stunde losgefahren war und es war weiterhin ruhig – zu ruhig, wie ich feststellen musste. Alles war wie immer, aber die Atmosphäre kam mir nicht mehr so freundlich und einladend vor und die Möbel wirkten wie Fremdkörper. Genauso wie die Außenwelt hatte hier herinnen ebenfalls alles seinen Glanz verloren und wirkte farblos.
„Jethro!" rief ich, obwohl ich genau wusste, dass ich keine Antwort erhalten würde, aber dennoch konnte ich meinen Wunsch, nach ihm zu schreien, nicht widerstehen. War meine Stimme vorher noch schwach gewesen, so hatte sie zusehends an Intensität gewonnen, auch wenn sie weiterhin heiser war – woran der Kloß in meinem Hals Schuld war, der sich dort eingenistet hatte. „JETHRO!!!" Es blieb still, was nicht anders zu erwarten gewesen war, aber trotzdem gab ich nicht auf, wollte mich einfach selbst vergewissern, dass er nicht da war und auch nie wieder zu mir kommen würde. Ich begann, das gesamte Haus zu durchsuchen, angefangen im Keller, gefolgt vom Wohnzimmer und der Küche, wo auf dem Tisch noch immer der Zettel lag, den Gibbs geschrieben hatte, um mir mitzuteilen, dass er Frühstück besorgen wollte. Die Frage, weshalb er nach Norfolk gefahren war, drängte sich mir erneut auf, aber ich wusste, ich würde wahrscheinlich nie eine Antwort darauf erhalten. Genauso wenig, wie ich seine Stimme jemals wieder hören oder seine Lippen spüren würde, mit denen er mich gerne liebkost hatte.
Der Kloß in meinem Hals wurde, obwohl ich es für unmöglich gehalten hatte, noch größer und ich hatte langsam das Gefühl, daran zu ersticken, meine Augen blieben jedoch weiterhin trocken. Hilflos ballte ich meine Hand zur Faust, zerknüllte den Zettel und schleuderte ihn quer durch den Raum. Ich bekam nicht mit, wo er landete, da ich mich einfach umdrehte und aus der Küche stürmte. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, rannte ich in den ersten Stock, weiterhin nach meinem Freund schreiend. Eine Tür nach der anderen riss ich auf, nur um leere Zimmer vorzufinden. Es gab lediglich Möbel, die von einer leichten Staubschicht überzogen waren und die von der Sonne hell angestrahlt wurden. Aber sie hatten ihre Behaglichkeit verloren und alles erschien kalt und trostlos. Raum für Raum nahm ich mir vor und als Letztes stand ich im Schlafzimmer, das noch genauso aussah, wie ich es verlassen hatte. Die Laken des Bettes waren zerknittert und die Decke lag zusammengeknüllt am Fußende. Die Luft war wegen dem gekippten Fenster kühl, aber nicht einmal das registrierte ich. Wie in Trance durchquerte ich das Zimmer und fuhr mit einer Hand sachte über die Seite der Matratze, auf der immer Jethro lag. Als wir nicht einmal einen Monat zusammengewesen waren, hatte ich ihm einen eigenen Nachttisch gekauft und Platz in meinem Schrank gemacht, damit er seine Kleidung dort verstauen konnte. Selbst im Bad standen Sachen von ihm, die er wohl nie wieder brauchen würde.
Diese Erkenntnis traf mich mit einer unglaublichen Wucht und ich taumelte einen Schritt zur Seite, so als ob mich plötzlich ein Schwindelanfall überkommen hätte. Mein Atem beschleunigte sich und meine Knie gaben vollends unter mir nach. Ein wenig schmerzhaft knallte ich auf den Boden, aber mir war egal, wenn ich mir ein paar blaue Flecken holte – alles war mir mittlerweile egal. Nichts war mehr wichtig, nicht mein Job, nicht meine Freunde und schon gar nicht der körperliche Schmerz.
Irgendwie schaffte ich es, mich aufzusetzen und mich mit dem Rücken gegen den Bettrahmen zu lehnen. Die Knie winkelte ich an und versuchte mich so klein wie möglich zu machen. Ich wusste nicht, wie lange ich so dasaß, unfähig auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Die letzten sieben Monate wirbelten wie ein Kaleidoskop durch meinen Kopf, glückliche Momente, die ich mit Gibbs verbracht hatte, aber auch anstrengende, wenn wir bei einem Fall nicht weitergekommen waren. Ich hätte schwören können, seine Anwesenheit hier und jetzt zu spüren, seinen Duft zu riechen, ihn zu schmecken. Obwohl er nicht da war, so war er doch präsent und seine Stimme schien beruhigende Worte in mein Ohr zu wispern.
Wie in Trance steckte ich meine Hand in die rechte Hosentasche und holte den Ring hervor, den ich ihm geschenkt hatte. Das Metall war ganz warm und fühlte sich glatt an, als ich mit einem Finger langsam den Rand entlangfuhr. Er passte einfach perfekt zu Jethro, das hatte ich bereits erkannt, als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte und noch viel besser hatte er an seinem Ringfinger ausgesehen. Ein kleines, aber trauriges Lächeln, stahl sich auf meine Lippen, als ich an den Tag dachte, an dem er Geburtstag gehabt und ich meine romantische Ader ausgegraben hatte. Alles war vollkommen gewesen – einfach alles…

Den ganzen Tag über schien die Sonne hell vom Himmel und bescherte damit allen einen wunderschönen Spätsommertag. Es war September und der Herbst stand vor der Tür. Am Abend wurde es bereits ein wenig kühl, aber untertags war es weiterhin herrlich warm, sodass es weiterhin kein Problem war, kurzärmlig vor die Tür zu gehen.
Gibbs und ich waren fast vier Monate zusammen und ich war so glücklich wie nie zuvor. Mein Leben war auf einmal auf eine Art und Weise ausgefüllt, mit der ich nie gerechnet hatte und ich fühlte mich geborgen, sei es in seinen Armen oder auch in der Arbeit, wenn ich einfach nur in seiner Nähe war. Mittlerweile schafften wir es sogar, gemütlich nebeneinander auf dem Sofa zu sitzen, ohne gleich übereinander herzufallen und ich hatte nicht einmal ansatzweise gewusst, dass er redselig war. Es gab Abende, da saßen wir einfach beieinander und sprachen über alles. Genauso gab es Stunden, die von angenehmer Stille beherrscht wurden, vor allem, wenn Jethro an seinem Boot baute und ich auf den Stufen zu seinem Keller saß und ihn beobachtete. Ich fand es faszinierend, wie er das Holz glattschliff und noch faszinierender fand ich dabei das Spiel seiner Muskeln unter dem T-Shirt. Es war unglaublich beruhigend, ihm bei der Arbeit zuzusehen, vor allem, da er im Nachhinein herrlich nach Sägespänen roch – ein Duft, der mich unbeschreiblich anturnte. Ich war diesem Mann mit Haut und Haaren verfallen und ich wusste, umgekehrt war es genauso. Gibbs und ich ergänzten uns einfach wunderbar und es schien, als ob ich meine zweite Hälfte endgültig gefunden hatte – das bewies schon alleine die grenzenlose Liebe, die ich weiterhin für ihn empfand, genauso wie die vier Monate, die unsere Beziehung bereits andauerte. Bis jetzt hatte ich es noch nie geschafft, so lange mit einem Menschen zusammen zu sein, aber das hatte sich geändert. Er war ein Teil meines Lebens geworden und ich wollte, dass das auch weiterhin so blieb.
Der heutige Freitag war für mich etwas Besonderes: Gibbs hatte Geburtstag und ich freute mich mehr als er selbst. Im Gegensatz zu ihm fand ich es nicht schlimm, dass er ein Jahr älter wurde, machte es ihn in meinen Augen doch attraktiver. Bereits am Morgen hatte ich ihn mit einem ausgiebigen Frühstück verwöhnt, wobei ich entgegen meiner Angewohnheit viel früher aufgestanden war, um alles herzurichten. Diesmal hatte es mir nichts ausgemacht, mich vom Bett zu trennen und es hatte sich allemal gelohnt. Für meine Mühe hatte ich einen ausgiebigen Kuss erhalten, gefolgt von einer heißen Dusche, die dazu geführt hatte, dass wir ganze 10 Minuten zu spät ins Hauptquartier gekommen waren, aber niemand hatte uns darauf angesprochen, außer Ziva, die sich einen Kommentar nicht verkneifen hatte können, weshalb ich ihr einen großen Papierball an den Kopf geworfen hatte, wofür ich mir wiederum einen saftigen Klaps von Jethro eingefangen hatte.
Abby hatte ihrem silberhaarigen Fuchs im Laufe des Tages einen großen Strauß schwarzer Rosen geschenkt, den er immer wieder ein wenig misstrauisch angestarrt hatte, so als ob die Blumen beißen würden. Ziva und McGee hatten ihn zum Mittagessen eingeladen, gefolgt von einem extragroßen Becher starken Kaffees und von Ducky hatte er eine Flasche Bourbon erhalten. Allerdings fehlte ein Geschenk und das war meines. Das war auch der Grund, warum ich, je näher der Abend rückte, immer nervöser wurde. Ich hatte mir lange überlegt, was man einem Mann wie Gibbs zu seinem Geburtstag schenkte, bis ich zufällig einen silbernen Ring in der Auslage eines Juweliers entdeckt hatte. Er war schlicht und glatt gearbeitet und da er ein wenig breiter war, hatte ich mich spontan entschieden, etwas eingravieren zu lassen.
Ich hatte keine Ahnung, wie mein Freund darauf reagieren würde, wenn er sein Geschenk auspackte, zumal es ein wenig wirken könnte, als ob ich ihm einen Heiratsantrag machen würde.
Nicht einmal ein Mordfall flatterte uns ins Haus, womit ich mich ablenken hätte können. Mir blieben nichts weiter als langweilige Akten und je näher der Abend kam, desto mehr Varianten wirbelten durch meinen Kopf, was Gibbs zu dem Ring sagen könnte. Ich hoffte, er würde ihm gefallen und noch mehr hoffte ich, dass er ihn tragen würde. Für den Notfall hatte ich ein weiteres Geschenk in petto: mich selbst.
Der Tag zog sich in die Länge und als es endlich 18 Uhr war, war ich das reinste Nervenbündel. Ich registrierte nicht einmal, dass das Wochenende vor der Tür stand, was bedeutete, zwei freie Tage ohne Mörder oder andere Verrückte, die irgendwelche Straftaten begingen.
Jethro und ich fuhren auch weiterhin getrennt zur Arbeit, da wir so flexibler und nicht auf den anderen angewiesen waren. So war ich ein wenig froh, dass er vorher bei sich vorbeischauen wollte, um die Geschenke, die er erhalten hatte, zu verstauen und die Post durchzugehen, die sicher im Briefkasten auf ihn warten würde. Das gab mir mindestens eine Stunde, um alles vorzubereiten und Gibbs einen unvergesslichen Abend zu bescheren. Ich würde meine romantische Ader ausgraben, damit alles perfekt war und damit er nicht weiter grummelig sein musste, weil er wieder ein Jahr älter geworden war. Ich würde ihm zeigen, dass Geburtstage wunderbar waren, vor allem, wenn man jemanden hatte, der ihn mit einem verbrachte.
Während der Heimfahrt ging die Sonne langsam unter und tauchte den Himmel in ein blutrotes Licht. Um diese Uhrzeit waren viele Autos unterwegs, weshalb ich ein paar Minuten verlor, zumal ich nicht dazu neigte, jede Verkehrsregel zu missachten.
Ohne die Post zu beachten, oder auch nur den Anrufbeantworter abzuhören, ließ ich meinen Rucksack im Vorraum stehen und eilte ins Schlafzimmer hinauf, um mit den Vorbereitungen zu beginnen. Vergessen war die Nervosität und hatte einer freudigen Aufregung vollends Platz gemacht. Ich vergeudete nicht einmal Zeit mit Duschen, wusste ich doch, dass Gibbs innerhalb der nächsten halben Stunde hier sein würde und bis dahin sollte alles perfekt sein.

Exakt 29 Minuten später hörte ich unten die Haustüre aufgehen, gefolgt von einem leisen Krachen, als sie wieder ins Schloss geworfen wurde – und mit einem Schlag war die Nervosität wieder da. Ich war viel zu sehr beschäftigt gewesen, um über alles nachzudenken, aber jetzt, wo Gibbs hier war, konnte ich nichts mehr dagegen machen. Ein letztes Mal ließ ich meinen Blick über das Schlafzimmer schweifen und ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als ich alles in mich aufnahm. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und hatte Sterne und einen hellen Mond hinterlassen, die ich jedoch ausgesperrt hatte, indem ich die Vorhänge zugezogen hatte. Das einzige Licht kam von den rund zwanzig, weißen, langstieligen Kerzen, die ich strategisch im Raum aufgestellt und deren Dochte ich vor kurzem angezündet hatte. Die Flammen flackerten leicht und warfen teils lustige Schatten an die Wände, verströmten aber eine gemütliche Atmosphäre und einen zarten Duft. Zusätzlich hatte ich das Bett frisch bezogen, mit einer roten Seidenbettwäsche, die sich einfach herrlich auf der Haut anfühlte. Und genau in der Mitte der Matratze lag das kleine Päckchen, indem sich der Ring befand. Das Papier war golden und mit einer gold/roten Schleife umwickelt. Es war wirklich perfekt und genauso wie ich es mir vorgestellt hatte.
„Tony!" rief Gibbs von unten und riss mich aus der Betrachtung des Schlafzimmers. Ich holte tief Luft und eilte schließlich auf den Gang hinaus, um oben an der Treppe stehen zu bleiben. Jethro sah zu mir herauf und selbst auf die Entfernung konnte ich das Funkeln, das in seine Augen trat, erkennen. Sein Blick glitt über meinen Körper und er leckte sich unbewusst seine Lippen, was mich zu meinem schönsten DiNozzolächeln verleitete. Ich wusste genau, weshalb er so reagierte, da ich mir eine besonders enge schwarze Jeans und ein schwarzes Hemd, von dem ich die ersten beiden Knöpfe offen gelassen hatte, angezogen hatte. Die Hose enthüllte mehr als sie verdeckte und presste sich genau an den richtigen Stellen an meine Beine. Jedes Mal wenn ich sie trug, hatte Jethro Mühe, nicht über mich herzufallen und mir einfach alles vom Leib zu reißen, was ich anhatte. Mit anderen Worten ausgedrückt: wenn meine Kleidung komplett schwarz war, machte es ihn fast verrückt und auch diesmal verfehlte sie ihre Wirkung nicht.
„Hey", begrüßte ich ihn und grinste noch breiter, als ich seinen verlangenden Blick spürte. „Willst du nicht heraufkommen?" Das ließ er sich nicht zweimal sagen und ehe ich mich versah, war er vor mir, drängte mich gegen die Wand und gab mir einen atemraubenden Kuss, der mich beinahe in die Knie gehen ließ. Gleich darauf schnupperte er an meinem Hemdkragen und sah mir direkt in die Augen. „Du riechst echt gut. Hast du ein neues Parfum?" fragte er und fing an, an meinem Hals zu knabbern, so als ob er den Duft kosten wollte. „Nein", brachte ich schließlich heiser hervor und versuchte, mich nicht auf der Stelle verführen zu lassen. „Das ist nur für besondere Anlässe." Gibbs hob seinen Kopf, den er leicht schief legte und mich anblickte. „Besondere Anlässe?" Ich nickte, griff nach seiner rechten Hand, die auf meiner Hüfte lag und verschränkte unsere Finger miteinander. „Und heute ist so ein besonderer Anlass. Schon vergessen? Du hast Geburtstag." Ein leises Knurren kam als Antwort, weshalb ich auflachte. „Du wirst sehen. Den Tag wirst du so schnell nicht wieder vergessen und nach heute Abend wirst du dich auf jeden einzelnen Geburtstag, den du noch haben wirst, freuen." Ein skeptischer Blick war alles, was ich erntete, weshalb ich ihm einen kurzen Kuss gab und ihn schließlich zu meinem Schlafzimmer zog. Mein Herz schlug ziemlich laut in meiner Brust und aufgeregt kaute ich auf meiner Unterlippe herum. Gleich darauf erkannte ich, dass meine Angst, dass es Gibbs vielleicht nicht gefallen würde, unbegründet war.
Kaum hatte er einen Schritt in das Schlafzimmer gesetzt, blieb er abrupt stehen und an seinen leicht geweiteten Augen, war ersichtlich, dass ich ihn mehr als überrascht hatte. Er ließ seinen Blick über die vielen Kerzen schweifen, über die Schatten an den Wänden, bis er schließlich am Bett hängen blieb und die seidenen Laken musterte, die ich vor kurzem gekauft hatte.
„Das ist…" begann er, drehte sich zu mir um und sein Gesicht drückte Verblüffung aus. „Ist das für mich?" fragte er schließlich, da er anscheinend vergessen hatte, was er sagen wollte. „Ja. Nur für dich. Ich dachte mir, das würde dir gefallen." Nervös lächelte ich ihn an und zuckte mit den Schultern. „Und es gefällt mir. Ich habe nicht gedacht, dass du eine so eine romantische Ader hast." „Ich auch nicht. Aber das ist noch nicht alles", meinte ich und führte ihn zum Bett, in dessen Mitte das kleine Päckchen lag, das ich nun in die Hand nahm und ihm reichte. „Happy Birthday, Jethro", sagte ich leise und beobachtete, wie er zuerst sein Geschenk musterte und schließlich mich. In seine Augen trat eine Zärtlichkeit, die mich schwach werden und meinen Puls in die Höhe schießen ließ.
Ohne ein Wort zu sagen, beugte er sich vor, küsste mich liebevoll und ich hatte das Gefühl, zu zerschmelzen. „Mach auf", flüsterte ich an seinen Lippen und erneut packte mich Aufregung. Über meine Ungeduld den Kopf schüttelnd, löste er langsam die Schleife und um mich wahrscheinlich ein wenig zu quälen, beschäftigte er sich lange mit dem Papier, bis es schließlich zu Boden fiel und die quadratische, samtene kleine Schachtel enthüllte, die sich seit gut zwei Wochen in meinem Besitz befand und nun Gibbs gehörte. Es war unübersehbar, dass er wusste, was er da in Händen hielt und für ein paar Sekunden starrte er die Box einfach an, um mich schließlich mit seinen Augen zu fixieren.
„Tony…" begann er und seine Stimme klang ungewöhnlich heiser. Mein Herz begann erneut schneller zu schlagen und ich wartete darauf, dass er fortfuhr. Aber stattdessen öffnete er die Schachtel und brachte den silbernen Ring zum Vorschein, der in schwarzem Samt steckte und in dem Kerzenlicht glitzerte. „Also, ich weiß nicht, was ich…" Ich konnte nicht anders und fing leise zu lachen an. Denn genau das, was ich mir gedacht hatte, war eingetreten. Gibbs' verblüffter und gleichzeitig verwirrter Gesichtsausdruck war einfach zu komisch. Sein Körper hatte sich angespannt und ich konnte genau erkennen, dass er fieberhaft überlegte, was er sagen sollte. Meine Nervosität hatte sich verflüchtigt und sich anscheinend auf ihn übertragen.
„Jethro, das ist kein Heiratsantrag, wenn es das ist, was du dich gerade fragst", sagte ich schließlich eine Spur amüsiert. ‚Aber ich hätte nichts dagegen, wenn es einer wäre', fügte ich in Gedanken hinzu und erschreckte mich damit selbst. Vier Monate und ich dachte übers Heiraten nach? Das war doch verrückt. Gleich darauf konzentrierte ich mich jedoch wieder auf meinen Freund, der sich sichtlich entspannte und mir ein kleines Lächeln schenkte. „Und ich dachte…" „Ja, ich weiß, was du gedacht hast", unterbrach ich ihn sanft und nahm den Ring aus der Schachtel, die er auf die Matratze zurücklegte. „Aber glaube mir. Wenn ich dir einen Heiratsantrag machen würde, würde ich vor dir auf die Knie sinken, schon alleine wegen des Effektes." Und ich war ehrlich knapp davor, dies zu tun, aber ich hatte Angst, ihn damit zu vergraulen, kannte ich doch seine Erfolgsquote mit Ehen und seine Einstellung dazu. Aber vielleicht irgendwann einmal, wenn genug Zeit verstrichen war.
Stattdessen blieb ich stehen und drehte den Ring so, dass die Gravur sichtbar wurde und zu meiner Überraschung konnte er sie lesen, obwohl er meistens Probleme damit hatte, Buchstaben scharf zu erkennen, die nicht weit genug von ihm entfernt waren. „In Liebe, Tony?" fragte er und sah mich mit erhobener Augenbraue an. „Damit du das niemals vergisst", erwiderte ich, nahm seine linke Hand und steckte ihm den Ring an den Ringfinger – wie ich es mir vorgestellt hatte, passte er perfekt. „Das würde ich auch so nie vergessen", meinte er und hob seine Hand, um sein Geschenk zu betrachten. Gleich darauf grinste er mich schief an. „Du weißt aber schon, dass er wie ein Ehering aussieht, oder?" wollte er wissen und fuhr mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand an dem Metall entlang. „Stört dich das denn?" stellte ich eine Gegenfrage und wartete geschlagene fünf Sekunden – die mir jedoch wie eine Ewigkeit vorkamen – auf seine Antwort.
„Nicht wirklich", gab er schließlich zu und trat nahe an mich heran. „Der Ring sagt, dass ich zu dir gehöre, so wie du zu mir gehörst. Danke, Tony. Danke für das wunderschöne Geschenk. Ich verspreche dir, ihn nie abzunehmen, egal was passiert." Jethro überbrückte die letzten Zentimeter, legte seine Lippen auf die meinen und küsste mich sowohl voller Zärtlichkeit als auch voller Leidenschaft. „Ich hatte schon ein wenig Angst, er würde dir nicht gefallen", meinte ich ein wenig atemlos, als wir uns voneinander gelöst hatten. „Aber zur Sicherheit hatte ich noch ein anderes Geschenk." „Ach ja?" fragte er und trat einen Schritt zurück. „Welches denn?" Lächelnd setzte ich mich auf das Bett, rutschte in die Mitte, legte mich anschließend auf den Rücken und streckte meine Arme über meinen Kopf, sodass ich ohne Probleme mit meinen Fingern das Kopfteil umschließen konnte.
Gibbs' Augen blieben die ganze Zeit über an mir haften und als ich anfing, mich auf der Matratze zu räkeln, kniff er sie zu Schlitzen zusammen und seine Brust begann sich schnell zu heben und zu senken. „Mich", antwortete ich auf seine vorherige Frage und spreizte ein wenig meine Beine, um ihn zu provozieren. Er kam auf mich zu und ehe ich mich versah, war er über mir, seine Hände links und rechts meines Körpers aufgestützt, sodass er mich nicht zerquetschte. „Und bekomme ich dieses Geschenk auch noch?" wollte er wissen und knabberte leicht an meiner Unterlippe, was meine enge Jeans noch enger werden ließ.
„Aber auf eine Schleife musst du verzichten", erwiderte ich, als ich mir sicher war, dass meine Stimme wieder funktionierte und brachte ihn mit meinen Worten zum Lachen. „Ich denke, ich habe auch so genug zum Auspacken", sagte Jethro, ließ sich auf mir nieder und küsste mich voller Leidenschaft – der Beginn einer Nacht, die keiner von uns je vergessen würde.


Drei Monate später hatte ich sie immer noch nicht vergessen, wusste noch genau, was Gibbs gemacht hatte, um mir fast den Verstand zu rauben, wusste noch genau, wonach er an diesem Abend geschmeckt hatte, wusste noch genau, welche Geräusche er gemacht hatte, wenn er zum Höhepunkt gekommen war. An alles konnte ich mich erinnern, selbst an meine Gedanken übers Heiraten und dass ich noch warten würde, bis wir mehr Zeit miteinander verbracht hatten. Ich hatte wirklich geglaubt, wir würden solange beisammen sein, bis ich davon überzeugt war, dass ich ihn nicht vergraulen würde, wenn ich vor ihm auf die Knie sinken würde, um ihm die Frage aller Fragen zu stellen. Immer und immer wieder hatte ich mir das vorgestellt, hatte die Szene in meinem Kopf durchgespielt. Selbst die richtigen Worte hätte ich parat und konnte sie jederzeit aufsagen. Und jetzt? Jetzt würde ich nie die Chance erhalten, sein Gesicht zu sehen, wenn ich vor ihm niederknien würde, würde nie die Chance erhalten, seine Reaktion zu beobachten, wenn ich ihm alles sagte, was ich mir sorgfältig zurecht gelegt hatte, würde nie die Chance erhalten, seine Miene zu sehen, wenn ich ihm den Ring an seinen Finger stecken würde.
Die Möglichkeit, mit Jethro mein restliches Leben zu verbringen, war mir genommen worden und ich wünschte mir, ich wäre damals ins kalte Wasser gesprungen und hätte ihn gefragt. Vielleicht wäre er dann nie nach Norfolk gefahren, wäre nie gegen einen Baum gekracht, wäre noch immer an meiner Seite und nicht auf irgendeinem Obduktionstisch.
Liebevoll betrachtete ich den Ring in meiner Hand und dachte an Gibbs, an sein Lächeln, an seine Stimme, an seinen Geruch. Und plötzlich war es da - das Brennen in meinen Augen. Aus meinem Körper strömte die gesamte Kraft und der erste Schluchzer bahnte sich einen Weg an die Oberfläche, um in der Stille des Schlafzimmers zu verhallen. Mein Blickfeld wurde verschwommen und heiße Tränen rannen mir über die Wangen, tropften auf die geöffnete Hand und auf mein Hemd. Ich fing an, unkontrolliert zu zittern und ehe ich es verhindern konnte, barg ich den Ring in meiner Faust und stieß einen lauten Schrei aus, der all den Schmerz des Verlustes enthielt, den ich erlitten hatte. Immer und immer wieder rief ich Jethros Namen, wobei mein Körper jedes Mal stärker von Schluchzern geschüttelt wurde. Ich kauerte mich zusammen, schlang meine Arme um meine Knie und fing hemmungslos zu weinen an – weinte endlich um die Liebe meines Lebens, die ich für immer verloren hatte.

Fortsetzung folgt...
Chapter 6 by Michi
Washington D.C.
Kurz vor 11 Uhr


Fette Ratten und abgemagerte, herumstreunende Katzen waren die einzigen sichtbaren Lebewesen, die sich in der Nähe der alten Fabrikhalle, die sich inmitten eines weitläufigen, großen Geländes befand, aufhielten und versuchten, irgendwo Nahrung zu finden. Der Asphalt, der sich unter der Schneedecke verbarg, war rissig und an vielen Stellen aufgebrochen. Während der wärmeren Monate konnte man jede Menge vertrocknete Gräser bestaunen, deren braune Halme teilweise durch den hohen Schnee lugten. An manchen Stellen waren die pulvrigen Flocken von Tierpfoten und Fußabdrücken platt getrampelt und zeugten davon, dass jemand hin und wieder das verlassene Gelände besuchte, um meistens irgendwelchen illegalen Geschäften nachzugehen.
Die Fassade des rechteckigen, langen Gebäudes bestand aus rotbraunen Ziegeln, die mit grauem Beton verputzt worden waren, der jedoch bereits abbröckelte und vor allem an den Ecken fehlten große Stücke, so als ob vor langer Zeit jemand mit einem Fahrzeug dagegen gekracht wäre. Zusätzlich waren die Wände mit Graffitis beschmiert, deren Bedeutungen manchem Menschen die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Die großen Fenster der Halle waren zwar verschmutzt und man konnte dadurch nicht in das Innere blicken, aber sie waren ausnahmslos alle intakt – bis auf ein paar harmlose Sprünge im Glas. Bei verlassenen, alten Gebäuden war es äußerst selten, dass die Fenster heil waren, da es immer Personen gab, die es witzig fanden, diese mit Steinen einzuwerfen. Aber irgendetwas musste sie daran hindern, das an diesem Ort zu machen, der den Eindruck erweckte, vollkommen verlassen zu sein. Sah man jedoch genauer hin, konnte man Anzeichen von menschlichem Leben erkennen. Die Abdrücke, die hin und wieder auf dem Gelände auftauchten, wurden in der Nähe der Halle mehr, durchbrochen von Reifenspuren, die vor einem großen Tor endeten, das geschlossen und zusätzlich mit einem großen Vorhängeschloss gesichert worden war und ziemlich neu aussah, worauf die wenigen Kratzer, die es aufwies, hindeuteten.
In der gesamten Umgebung war es unheimlich ruhig – nur ab und zu konnte man einen Wagen hören, der in der Ferne vorbeifuhr, sich aber nur selten hierher verirrte. Niemand näherte sich freiwillig diesem Gelände – selbst Obdachlose und Drogendealer schienen zu spüren, dass es für ihre Gesundheit nicht gut war, sich an diesem Ort aufzuhalten, und suchten schleunigst das Weite.
Ein Mann jedoch ignorierte die bedrohliche Atmosphäre, die über dem Gelände lag und nicht einmal von der Sonne verdrängt wurde. Die Fabrikhalle warf lange Schatten auf die Schneedecke, die an dieser Stelle schmutzig wirkte und nicht vor sich hinglitzerte.
Langsam ließ er den dunkelblauen Gebrauchtwagen ausrollen und hielt neben dem Maschendrahtzaun, der einige Lücken aufwies, aber dennoch das gesamte Areal umgab. Mit einer entschlossenen Bewegung stellte er den Hebel des Automatikgetriebes auf parken und drehte den Schlüssel, um den Motor abzustellen – somit kehrte die Stille wieder zurück, die ihm ein wenig aufs Gemüt drückte. Grundsätzlich hatte er nichts gegen Ruhe – vor allem, wenn er nachdenken musste – aber wenn sie derart unheimlich war, konnte er das nicht ausstehen, dennoch widerstand er dem Drang, das Radio einzuschalten. Ein Lied, egal welche Richtung, würde er noch weniger ertragen können, zeigte es doch, dass sich die Welt weiterdrehte, während er das Gefühl hatte, für ihn wäre sie untergegangen. Die Entscheidung, die er gestern in dem Park getroffen hatte, hatte verhindert, dass er letzte Nacht auch nur ein Auge zumachen hatte können. Immer wieder hatte er sich die Konsequenzen durch den Kopf gehen lassen, hatte er doch deutlich gewusst, was er damit anrichten würde. Seine Eingeweide waren seit Stunden ein einziger großer Knoten und verhinderten, dass er etwas essen konnte. Alleine der Gedanke an Nahrung bereitete ihm Übelkeit und ließ ihn mehrmals heftig schlucken. Psychischer Schmerz hielt ihn seit gestern gefangen und quälte ihn mehr als das Wissen über die Konsequenzen, die seine Entscheidung mit sich brachte. Nicht nur für ihn hatte an diesem Morgen die Welt in Trümmern gelegen, er hatte keine Ahnung was die Zukunft bringen würde und in sein vorheriges Leben zurückzufinden, nachdem er das Versprechen erfüllt hatte, würde ein großer Kampf werden. Es gab Menschen, die ihn wahrscheinlich verachteten, wenn sie die Wahrheit erfuhren – das war auch der Grund, weshalb ihn enorme Zweifel plagten, ob er die richtige Entscheidung gefällt hatte. Jetzt, Stunden später, dachte er bereits darüber nach, was er in diesem Moment machen würde, wenn er sein normales Leben einfach weitergeführt hätte. Wahrscheinlich würde er um diese Zeit Schnee schaufeln oder womöglich in der Küche stehen, um etwas zu kochen. In letzter Zeit war er ein wenig häuslich geworden, eine Eigenschaft von ihm, die er früher nicht wirklich besessen hatte, aber es hatte sich mittlerweile vieles geändert und er wusste nur zu genau, dass er alles wegen eines Versprechens aufs Spiel setzte. Aber nun war es zu spät, um es rückgängig zu machen und er musste einfach das Beste aus der Situation machen, was danach kam… damit konnte er sich später befassen.
Ein leiser Seufzer kam ihm über die Lippen und er schüttelte den Kopf, um die Bilder, die in seinem Gehirn entstanden, zu verdrängen. Sie würden ihn nur quälen und das würde ihn daran hindern, logisch zu denken, etwas, das von nun an überlebenswichtig war. Bevor er einen Rückzieher machen konnte, zog er den Schlüssel ab, öffnete die Autotür und prompt schlug ihm eiskalte Luft entgegen, die ihn unwillkürlich erschauern ließ, obwohl er einen warmen Mantel trug. Er sog sie tief in seine Lungen, linderte damit ein wenig den Schmerz in seinem Inneren und entkrampfte seine Eingeweide, die sich nun nicht mehr wie ein harter Knoten anfühlten – im Gegenteil. Jetzt schien es ihm, als ob sie sich wie Würmer in seinem Bauch herumschlängeln würden.
Mit einem leisen Knall, der in der Stille jedoch laut widerhallte und eine Katze in der Nähe aufschrecken ließ, die sich mit einem wütenden Fauchen aus dem Staub machte, schloss er die Wagentür. Er ließ seinen Blick über das Gelände schweifen und prägte sich alles ein. Es war die perfekte Umgebung, um sich zu verstecken – kein Wunder, dass sein alter Freund hier seine Zelte aufgeschlagen hatte. Die Überraschung, als er gestern erfahren hatte, dass dieser noch am Leben war, hatte ihn mit Wucht getroffen – im selben Moment war ihm bewusst geworden, dass der Zeitpunkt, das Versprechen einzulösen, endlich gekommen war. Innerhalb von Stunden war alles Schlag auf Schlag gegangen und jetzt stand er hier, vor dem Gebäude, in dem sich der Mann aufhielt, von dem er einst geglaubt hatte, ihn zu kennen und ihm vertrauen zu können. Und dann hatte sich herausgestellt, dass er seinen Tod nur vorgetäuscht hatte und jetzt auf der anderen Seite des Gesetzes stand. Dabei hatte Darien Hayden Coolidge ständig geschworen, nie kriminell zu werden. In all den Jahren, die sie miteinander verbracht hatten, hatte er behauptet, Kriminelle nicht ausstehen zu können und dass es nur gerecht sei, wenn sie ihr restliches Leben hinter Gittern verbringen mussten – oder sie die Todesstrafe ereilte. Er war ein Verfechter des Gesetzes gewesen, hatte aber nie Anstalten gemacht, der Polizei beizutreten. Stattdessen hatte er auf großem Fuß gelebt und das viele Geld, das er von seinem verstorbenen Vater geerbt hatte, verprasst. Die vielen Dollars hatten ihn schlussendlich verändert und irgendwann hatte ihn die Nachricht erreicht, dass Darien tot sei. Er war selbstverständlich bei seinem Begräbnis gewesen, hatte miterlebt, wie alle getrauert hatten und dann musste er gestern erfahren, dass alles nur Schein gewesen war und sein alter Freund in den letzten Jahren zum Kopf einer gefährlichen Verbrecherorganisation geworden war, die mehr als einmal Tod und Zerstörung gebracht hatte.
Jetzt war er hier, vor dem Gebäude, in dem sich Coolidge und ein paar seiner Männer aufhielten und wahrscheinlich gerade dabei waren, den nächsten Coup vorzubereiten, aber das würde er zu verhindern wissen und gleichzeitig sein Versprechen erfüllen, in der Hoffnung, bald wieder an seinen normalen Platz im Leben zurückzukehren, an dem er noch nie so glücklich wie zuvor gewesen war. Er konnte einfach nur hoffen, dass man ihm verzeihen würde, was er so vielen Menschen antat, indem er Darien das Handwerk legen wollte. Insgesamt vier Personen wussten davon, dass er hier war, beziehungsweise, was er hier machte, alle anderen hatten nicht die geringste Ahnung und mittlerweile wünschte er, er hätte es ihnen erzählt. Sie hätten ihn sicher verstanden und er hätte ihnen dadurch jede Menge Leid erspart, aber nun war es zu spät, nun konnte er nur noch das Beste aus der Situation machen.
Entschlossen eilte er durch den hohen Schnee, der seine Hose ein wenig durchnässte und quetschte sich durch eine Lücke in dem Maschendrahtzaun, der einzige sichtbare Zugang zu dem Gelände. Zwar gab es ein Tor, das jedoch mit einer dicken, silbernen Kette gesichert war und den Eindruck erweckte, sogar einem Bolzenschneider standzuhalten. Ohne sich auch nur einen Kratzer einzufangen oder sich seine Kleidung zu zerstören, kam er auf der anderen Seite an, sich der Tatsache bewusst, dass er nicht mehr unentdeckt war. Obwohl er sich noch gute 10 bis 15 Meter von der Halle entfernt befand, konnte er die Blicke auf sich spüren, die jeden seiner Schritte verfolgten. Die unheimliche Atmosphäre wurde noch unangenehmer und unwillkürlich stellten sich seine Nackenhärchen auf. Die Sonne blendete ihn, aber dennoch sah er weiterhin zu dem breiten, verschmutzten Fenster, durch das er beobachtet wurde, ungeachtet dessen, dass er die Person nicht erkennen konnte, aber dennoch wusste er, dass dessen Augen auf ihm klebten. Ein netter Empfang war ihm jetzt schon sicher und er konnte sich glücklich schätzen, dass er sich entschieden hatte, seine Waffe nicht mitzunehmen. Das hätte mehr als unangenehm werden können. Diese Männer waren Verbrecher und wenn sie dachten, jemand würde kommen, um sie hochzunehmen, dann würden sie erst schießen, bevor sie darüber nachdachten. Er konnte nur hoffen, dass er heil bei der Tür ankommen und nicht zuvor blutüberströmt im Schnee liegen würde.
Kopfschüttelnd vertrieb er diese nicht gerade angenehmen Bilder aus seinem Gehirn und näherte sich langsam dem Gebäude, immer darauf bedacht, dass man seine Hände sehen konnte und er dadurch das Risiko vermindern wollte, dass man annahm, er wäre kurz davor, aus seiner Manteltasche eine Pistole zu ziehen, um damit wild um sich zu ballern.
Darien war sicher bereits darüber informiert worden, dass Besuch im Anmarsch war und er konnte sich gut vorstellen, dass er ziemlich überrascht sein würde, ihn hier zu sehen, gleichzeitig würde er sich auch freuen, immerhin waren sie jahrelang durch dick und dünn gegangen. Er konnte nur hoffen, dass das sein Freund nicht vergessen hatte und nicht sofort Verdacht schöpfen würde, dass er auf einmal hier auftauchte.
Schritt für Schritt ging er auf die Halle zu und blieb schließlich vor einer grauen Metalltür stehen, die den Eindruck erweckte, einer Kanonenkugel stand zu halten. Über ihm war eine Lampe angebracht, von der allerdings die Glühbirne fehlte. Stattdessen konnte er ein kleines, rotes Licht erkennen, das zu einer Überwachungskamera gehörte. Wenn man nicht genau hinsah, könnte man sie glatt übersehen und er konnte sich vorstellen, dass das nicht die einzige Kamera war, die auf dem Gelände versteckt war.
Sein Herz fing unwillkürlich schneller zu schlagen an und trotz des kalten Wetters wurde ihm warm, als er hörte, wie auf der anderen Seite der Tür geräuschvoll ein Riegel zurückgeschoben wurde, gefolgt von einem Schlüssel, der umgedreht wurde. Eine Sekunde später wurde sie schwungvoll aufgerissen und er stand zwei muskulösen Männern gegenüber, die einheitlich mit blauen Jeans und schwarzen Hemden, die ihnen eine Nummer zu klein waren und deren Nähte beinahe platzten, gekleidet waren. Beide hatten krumme Nasen und grobschlächtige Wangenknochen. Der Linke hatte eine Glatze und seine Augenbrauen waren in der Mitte der Stirn zusammengewachsen, wohingegen der Rechte lange, braune Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, und dünne Augenbrauen vorzuweisen hatte. Beide hielten Maschinengewehre in ihren Händen und machten den Eindruck, sie gleich einsetzen zu wollen. Die Tatsache, dass sie es nicht machten, verriet ihm, dass Darien ihn erkannte hatte. Jeder andere wäre wahrscheinlich längst liquidiert worden.
Die beiden Männer musterten ihn abfällig mit kalten, grauen Augen, so als ob sie ein besonders ekliges Insekt vor sich hätten. Ohne dass er sich wehrte, ließ er es zu, dass ihn der Linke grob am Arm packte und in das Innere des Gebäudes, das überraschend sauber war, zog. Die Wände waren vor kurzem neu verputzt worden und an ihnen hingen gut ein Dutzend große Poster von nackten Frauen, die sich aufreizend in verschiedensten Stellungen präsentierten und kokett in die Kamera lächelten. Überall standen willkürlich verstreut Sofas verschiedenster Formen und Größen herum, teilweise zerschlissen, teilweise brandneu. Mindestens genauso viele runde Tische waren in der weitläufigen Halle verteilt. Deren Oberflächen waren mit Getränkeflaschen, Pizzaschachteln und Fastfoodtüten übersät. In der rechten hinteren Ecke waren sechs Computer mit Bildschirmen aufgestellt worden, auf denen man das Gelände außerhalb des Gebäudes betrachten konnte – inklusive seines Gebrauchtwagens.
Wegen der schmutzigen Fenster war es leicht dämmrig und diese Düsterkeit wurde nicht einmal durch die beiden Lampen, die eingeschaltet worden waren, vertrieben. Über allem hing ein Geruch aus Essensresten, altem Öl und leicht abgestandener Luft. Es war überraschend warm und nicht eisig kalt, so wie er sich das vorgestellt hatte – irgendjemand hatte wohl dafür gesorgt, dass die Heizung einwandfrei funktionierte.
Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, stieß ihn der Mann, der ihn am Oberarm gepackt hatte, mit dem Gesicht voran gegen die Wand, während sein Kumpel die Tür gewissenhaft verschloss und ihm damit verdeutlichte, dass er so leicht nicht mehr hinauskam. Große, raue Hände tasteten ihn überall ab, suchten an jeder nur erdenklichen Körperstelle nach eventuell versteckten Waffen oder sonstigen Gegenständen, aber außer seinen Autoschlüsseln wurden sie nicht fündig. Nicht einmal einen Ausweis hatte er eingesteckt, diesen bewahrte er in dem Nachttisch neben seinem Bett in der Wohnung, die er neu gemietet hatte, auf. Er mochte das Apartment nicht sonderlich, aber es diente seinem Zweck und wenn er sein Versprechen erfüllt hatte, würde er wieder von dort verschwinden, um es nie wieder zu betreten.
Nachdem der Mann keine Waffen gefunden hatte, ließ er ihn los und er wagte es, sich umzudrehen. Obwohl sein Begrüßungskomitee die Maschinengewehre gesenkt hatte, entging ihm nicht, dass sie sie blitzschnell zum Einsatz bringen konnten, wenn es nötig wäre, aber momentan schien er für sie keine Bedrohung darzustellen – wenn die nur wüssten…
Erst jetzt bemerkte er die anderen Personen, die sich in der Halle aufhielten. Drei saßen auf einem Sofa und starrten auf einem kleinen Fernseher, um irgendeine Sitcom zu verfolgen und zwei weitere befanden sich vor den Computern, um die Außenwelt im Auge zu behalten. Dass er nach hier drinnen gekommen war, war leichter gegangen als er sich vorgestellt hatte, aber noch war er nicht auf der sicheren Seite.
„Lee!" Unwillkürlich zuckte er zusammen, als er seinen Spitznamen vernahm, den ihm Darien verpasst hatte, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Er war auch der Einzige, der ihn so nannte, oder so nennen durfte. Seit Jahren hatte er nicht mehr daran gedacht und ihn so unverhofft zu hören, versetzte ihm einen kleinen Stich. Für seinen alten Freund schien alles in Butter zu sein, während er ihm am liebsten den Hals umdrehen wollte.
Er hob den Kopf und beobachtete, wie Darien eine Metalltreppe, die ins Obergeschoss führte und das ausgebaut worden war, herunterkam und ihn breit angrinste. Dieser hatte sich in all der langen Zeit, seit sie sich nicht gesehen hatten, kaum verändert. Sein Körper war genauso muskulös wie er es in Erinnerung hatte, wenn nicht so sogar durchtrainierter. Die blauen Augen strahlten intensiver denn je und gepaart mit seinen blonden Haaren, die bis auf den Kragen seines dunkelroten Hemdes reichten, wirkte er wie ein sich in den 40ern befindender Playboy. Schon jeher war Darien attraktiv gewesen und die Frauen hatten ihn richtiggehend angehimmelt. Noch immer verströmte er den Charme, den er früher ständig zur Schau gestellt hatte. Er schien nicht gealtert zu sein, aber je näher er kam, desto deutlicher bemerkte er die kleinen Falten, die sich um Mund und Augen eingegraben hatten. Also hatte auch ihn nicht das Alter verschont.
Sein Freund kam auf ihn zu, das Grinsen wurde breiter und eine Sekunde später fand er sich in einer innigen Umarmung wider, die ihm höchst zuwider war, war Darien doch schuld, dass er so vielen Menschen Schmerz bereitete und er deswegen selbst litt. Aber er machte gute Miene zum bösen Spiel und drückte seinen alten Freund an sich, tat so, als ob er sich freuen würde, Coolidge nach so langer Zeit wiederzusehen.
„Du hast dich überhaupt nicht verändert", sagte er schließlich, als er losgelassen worden war und er schaffte es, ein Lächeln zu Stande zu bringen, auch wenn es sich mehr als falsch anfühlte. Aber es schien zu wirken, jedenfalls klopfte ihm Darien kumpelhaft auf die Schulter. „Du siehst auch noch genauso aus, wie ich dich in Erinnerung habe, Lee. Bis auf die Haare. Aber das steht dir gut. Was machst du hier?" Da war sie, die Frage, die er gefürchtet hatte, aber gleich darauf hellte sich das Gesicht seines Gegenübers auf. „Sag nicht, du hast…" „Doch habe ich. Ich dachte mir, es ist an der Zeit, eine Veränderung durchzumachen und als ich erfahren habe, dass du noch lebst und…" Er brach ab und zuckte seine Schultern. „Wieso wundert es mich nicht, dass du herausgefunden hast, dass ich nicht tot bin und mich hier aufhalte? Du warst schon immer der Klügere von uns, Lee. Ich habe gewusst, dass du dich irgendwann einmal entscheidest, bei mir einzusteigen und deinen alten Job aufzugeben. Der passt einfach nicht zu dir." Er nickte nur, da er auf die letzte Aussage nichts erwidern wollte, würde es ihm doch nur viel zu sehr weh tun. Wenn Darien nur wüsste. Er liebte seinen Job und dieser war es auch, der ihn hierher geführt hatte, um den anderen Mann endlich seiner gerechten Strafe zukommen zu lassen. Aber noch war es nicht so weit, noch war es zu früh.
„Was hältst du von einem Glas Bourbon? Den trinkst du doch weiterhin, oder?" „Klar", antwortete er und steckte seine Hände in die Manteltaschen, um das leichte Zittern zu verbergen. „Normalerweise trinke ich keinen Alkohol am Vormittag", fuhr Darien fort und legte einen Arm um seine Schultern. „Aber unser Wiedersehen müssen wir feiern. Und dabei erzählst du mir, was dich dazu veranlasst hat, dich zu entscheiden, dein Leben derart zu verändern." Hayden führte ihn auf die Metalltreppe zu, aber bevor sie sie erreichten, hielt er inne und drehte sich zu seinen Männern um, die sie die ganze Zeit über beobachtet hatten. Er stieß einen lauten Pfiff aus, damit sie ihm auch ja zuhören würden und sich nicht auf etwas anderes konzentrierten. „Leute, ab heute haben wir neuen Zuwachs!" rief er, in dem Bestreben, dass ihn jeder verstand. „Darf ich euch vorstellen? Ein alter Freund von mir, Leroy Jethro Gibbs."

Fortsetzung folgt...
Chapter 7 by Michi
Washington D.C.
Zur selben Zeit


Die letzten zwei Stunden waren einfach an mir vorbeigerauscht, ohne dass ich so richtig mitbekommen hatte, dass die Zeit überhaupt verging. Alles war in einen Nebel aus Schmerz, Trauer und Tränen, die ich minutenlang vergossen hatte, gehüllt und hatte die Realität ausgeschlossen. Mein Gehirn war unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen und ich ließ mich einfach von meinen Gefühlen leiten, die in meinem Inneren tobten und alles andere betäubten. Seit Jennys verhängnisvollen Worten kam mir alles so unwirklich vor, auch wenn ich wusste, dass es kein Traum oder sonst eine Wahnvorstellung war. Mittlerweile hatte ich komplett realisiert, dass Gibbs nicht wieder kommen würde, dass ich ihn verloren hatte und mich von nun an wieder alleine durchs Leben schlagen musste - ohne die Person, die ich so sehr liebte und immer lieben würde. Jethro war zwar nicht mehr hier, aber für mich lebte er in meinem Herzen weiter und würde dort immer einen Platz haben. Momentan wusste ich jedoch nicht, wie es weitergehen sollte. Ich hatte meine Zukunftsperspektive verloren und ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich einfach wieder meinen Job erledigen konnte, zu sehr würde mich alles an meinen Freund erinnern, der Fahrstuhl, sein Schreibtisch, die Verhörräume, ja sogar die Mülleimer, in denen er immer seine Kaffeebecher entsorgt hatte. Nichts würde mehr so sein wie vorher und wenn ich ehrlich war, hatte ich Angst davor, was noch auf mich zukommen würde. Ich schaffte es einfach nicht, mir Gedanken über eine Beerdigung oder sonst etwas zu machen. Direktor Sheppard würde zwar dafür sorgen, dass Gibbs' Leiche nach Washington überführt wurde, aber was kam danach? Würde sich der NCIS auch um den Rest kümmern oder blieb das an mir hängen? Schon alleine der Gedanke an eine Trauerfeier war beinahe zu viel für mich und hatte zur Folge, dass ich mich am liebsten wieder zu einem Ball zusammengerollt und mich einfach auf den Boden gelegt hätte, um nichts weiter zu machen, als um meinen Freund zu weinen. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so schrecklich gefühlt, so alleine. Mein Körper schrie förmlich vor psychischem Schmerz und ich hatte das dringende Bedürfnis, mich irgendwo zu verkriechen, um ihn zu betäuben, um einfach alles zu vergessen, was an diesem Morgen geschehen war. Schlafen wäre die beste Lösung gewesen, aber wenn ich auch nur für eine Sekunde die Augen schloss, sah ich Gibbs vor mir, wie er mich anlächelte, wie er mich an einem Tatort herumscheuchte, nur um mir gleich darauf eine saftige Kopfnuss zu verpassen, weil ich wieder einmal McGee geärgert hatte. Ich sah ihn vor mir, wie er mich küsste, mich mit seinen Händen überall streichelte und mir ins Ohr flüsterte, dass er mich liebte. Und dass war der Zeitpunkt, wo sich erneut Tränen bildeten, als mir bewusst wurde, dass er die drei magischen Worte nie wieder zu mir sagen würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es war, ohne Jethro zu leben und in diesem Moment wollte ich das auch gar nicht. Zu sehr war ich damit beschäftigt, den Schmerz in meinem Inneren zu betäuben und an nichts mehr zu denken.
Das war der Grund, weshalb ich es schließlich schaffte, mich vom Boden meines Schlafzimmers aufzurappeln und ins Bad zu stolpern, um mir Ladung um Ladung kalten Wassers ins Gesicht zu spritzen, aber selbst das half nichts, um den Nebel in meinem Gehirn zu lichten. Und als ich in den Spiegel über dem Waschbecken starrte, hatte ich das Gefühl, eine fremde Person würde mir entgegenblicken. Meine Haare waren ein einziges Chaos, meine Wangen waren gerötet und meine sonst so strahlenden, grünen Augen hatten ihren Glanz verloren und wirkten stumpf. Meine Lippen hatten ihre Farbe eingebüßt und waren blutleer. Zusätzlich war mein Hals ausgedörrt und wund, da ich immer wieder Gibbs' Namen geschrien hatte, unfähig, meinen Wunsch, er würde dadurch zu mir zurückkommen, zu unterdrücken.
Das war der Zeitpunkt, an dem sich mein Gehirn verabschiedete und ich nur mehr automatisch funktionierte. Mein Körper reagierte instinktiv, während ich mit meinen Gedanken an irgendwelchen schönen Orten war, wo es keinen Schmerz und keine Trauer gab. Ich zog mich in mein Inneres zurück, während ich aus dem Bad taumelte, hob den Ring, den ich Gibbs geschenkt und von dem ich nicht mitbekommen hatte, dass ich ihn nicht mehr länger in der Hand hielt, vom Boden auf, und steckte ihn mir auf den Ringfinger. Er war mir zwar eine Spur zu groß, aber dennoch würde ich ihn nicht verlieren. Von nun an würde ich ihn tragen und nicht mehr abnehmen, so wie es Jethro mir vor Monaten versprochen hatte.
Irgendwie schaffte ich es schließlich, mich in mein Auto zu setzen und ohne einen Unfall zu bauen an den Ort zu fahren, der für mich zu einem zweiten zu Hause geworden war: Gibbs' Haus. Das Erste, woran ich mich wieder bewusst erinnerte, war, dass ich die Tür aufschloss und der mir nur allzu vertraute Geruch entgegenkam. Meine Gedanken kehrten wieder in die Gegenwart zurück und ich blieb für fünf lange Minuten einfach im Vorraum stehen, ließ die Umgebung auf mich wirken. Überall konnte ich die Handschrift meines Freundes erkennen, an den Möbeln, an den Tapeten, ja sogar an den vereinzelten Zimmerpflanzen. Obwohl er nicht hier war, so fühlte ich mich ihm näher als bei mir zu Hause. Mir kam alles viel freundlicher vor und nicht abweisend. Ich durchwanderte Raum für Raum, ließ meine Hände über jede Oberfläche fahren, wobei der Schmerz in meinem Inneren noch größer wurde. Aber ich war unfähig, aufzuhören, berührte alles, was Jethro wahrscheinlich angefasst hatte und schließlich landete ich in seinem Keller, mit einem großen Kloß in meinem Hals und mit dem erneuten Bedürfnis, einfach zu weinen.
Die Sonne schien durch die kleinen Fenster und beleuchtete das Boot, das jetzt wohl nie fertig werden würde. An Weihnachten hatte mir Gibbs gesagt, dass er es nach mir benennen wollte, wenn er es schaffte, seine Arbeit daran irgendwann einmal zu beenden. Ich war noch nie so gerührt gewesen wie in diesem Augenblick und in dieser Nacht hatte ich ihm mehr als einmal bewiesen, dass ich ihn liebte und nie von seiner Seite weichen würde. Und jetzt würde nie der schwarze Schriftzug mit den Buchstaben meines Namens auf dem Bug stehen, um allen zu zeigen, dass er das Boot schlussendlich für mich gebaut hatte.
Genauso wie oben fuhr ich im Keller jede Oberfläche mit meinen Fingern nach und nahm den Geruch nach Sägespänen in mich auf, so als ob es mein Lebenselixier wäre. Jedes Werkzeug hatte seinen Platz und nichts lag herum. Obwohl der Raum gut gefüllt war, kam er mir ohne meinen Freund schrecklich leer vor. In den letzten Monaten war ich öfters stundenlang auf den Stufen gesessen und hatte ihm dabei zugesehen, wie er das Holz glatt geschliffen hatte, hatte seine Bewegungen genau beobachtet und mir immer wieder vorgestellt, es wäre mein Körper, den er mit seinen Fingern liebkoste. Das waren die Nächte gewesen, in denen wir es nicht mehr ins Schlafzimmer geschafft und uns einfach mit dem harten Boden begnügt hatten. Ich könnte schwören, den Geruch unserer Leidenschaft weiterhin zu riechen, obwohl er längst verschwunden war.
Die Erinnerungen, die mich überrollten, als ich jede einzelne Bootsrippe mit meinen Fingern entlangfuhr, führten schließlich dazu, dass ich meine Faust mindestens ein halbes Dutzend mal auf die Werkbank krachen ließ, bevor ich in einem weiteren Anflug von Trauer einen Teil des Werkzeuges einfach auf den Boden schleuderte. Die Tränen, die mir über die Wangen strömten, bemerkte ich nicht einmal, aber ich schaffte es, die aufsteigenden Schluchzer hinunterzuschlucken. Ich stützte mich mit meinen Händen auf der Werkbank ab, ließ meinen Kopf hängen und versuchte, das Gleichgewicht wiederzufinden. Aber stattdessen wurde alles nur noch schlimmer und ich spürte förmlich, wie ich kurz davor war, komplett in jenes schwarze Loch zu fallen, aus dem ich wohl nie wieder herauskommen würde. In dem Bestreben, mich selbst zu retten, griff ich einfach nach der Flache Bourbon, die Gibbs ständig im Keller aufbewahrte, öffnete sie und nahm einen großen Schluck, obwohl ich dieses Getränk nicht wirklich ausstehen konnte. Der Alkohol brannte in meiner Kehle und trieb mir zusätzliche Tränen in die Augen. Ein paar Sekunden lang bekam ich keine Luft mehr und hustete, aber die Wärme, die sich von meinem Magen aus ausbreitete, war einfach zu herrlich. Der zweite Schluck war bereits nicht mehr so schlimm und beim Dritten spürte ich das Brennen überhaupt nicht mehr. Selbst meine Geschmacksnerven gewöhnten sich langsam an das Aroma und mein Körper begrüßte es, dass die Kälte aus ihm verdrängt wurde. Noch dazu schaffte es der Alkohol, den Schmerz in meinem Inneren etwas zu lindern, weshalb ich die Flasche nicht mehr wegstellte, sondern sie fest in der Hand hielt und Schluck um Schluck trank, in dem Bestreben, meine Trauer zu dämpfen…

Irgendwann hatte ich das Zeitgefühl komplett verloren – würde ich keine Uhr tragen, würde ich nicht einmal wissen, dass es kurz nach Mittag wäre. Die Sonne beleuchtete den Keller mittlerweile taghell, würde aber bald wieder weiterwandern, sodass die Dämmrigkeit zurückkehren würde. Es war ruhig hier unten, nichts war zu hören, nicht einmal ein Auto, das eventuell vorbeifuhr. Das Einzige, was ich wahrnahm, waren mein Herzschlag, mein unregelmäßiger Atem und die feinen Schweißtropfen, die sich auf meiner Stirn gebildet hatten. War mir vor kurzem noch innerlich kalt gewesen, so glühte ich inzwischen regelrecht. Ich hatte meine Jacke ausgezogen, sie auf dem Boden unter dem Boot ausgebreitet und mich darauf gesetzt, wobei mein Rücken an einer der Holzrippen lehnte. Mein Körper fühlte sich schwerelos an, meine Muskeln waren entspannt und in meinem Kopf brummte es, so als ob sich eine Horde Wespen eingenistet hätte. Die Umgebung hatte angefangen, sich beängstigend zu drehen und wenn ich mich bewegte, schwankte der Boden und vermittelte mir den Eindruck, mich auf einem Schiff zu befinden, das in einen Sturm geraten war. Meine Zunge klebte förmlich an meinem Gaumen und in meinem Mund hatte sich der Geschmack von Bourbon ausgebreitet. Die Flasche hielt ich weiterhin in meiner Hand, umklammerte sie wie einen Rettungsring. In den letzten 45 Minuten hatte ich sie um die Hälfte geleert und dass machte sich nun mehr als bemerkbar. Der Alkohol hatte den Schmerz in meinem Inneren tatsächlich gedämpft und die Welt kam mir auf einmal wieder viel fröhlicher vor. Meine Augen brannten zwar weiterhin und meine Wangen waren gerötet, aber das hatte nichts mehr mit den Tränen zu tun, die ich vergossen hatte. Stattdessen fühlte ich mich unglaublich leicht und auf meinem Gesicht prangte ein dämliches Grinsen. Seit geraumer Zeit hatte ich das dringende Bedürfnis, ohne ersichtlichen Grund loszulachen und selbst die Staubflocken, die in den Sonnenstrahlen tanzten, kamen mir lustig vor, obwohl an ihnen eigentlich nichts Komisches war, da sie mich eher zum Niesen brachten, aber selbst das fand ich witzig. Und dann hatte ich hin und wieder das Problem, das sich eine der Bootsrippen plötzlich verdoppelte, um nach ein paar Sekunden wieder eins zu werden, nur um sich gleich darauf zu verdreifachen. Und da ich nicht zum ersten Mal in so einem Zustand war, hatte ich keinen Zweifel daran, dass ich stockbetrunken war – und das zu Mittag, was ich noch nie geschafft hatte. Aber heute durfte ich ja eine Ausnahme machen, hatte ich doch erfahren, dass Gibbs bei einem einfachen Autounfall ums Leben gekommen war, um mich hier alleine zu lassen. Hatte ich vor Stunden noch bei dem Gedanken an ihn Tränen in den Augen gehabt, so wurde das Grinsen in meinem Gesicht breiter, obwohl mir überhaupt nicht danach war. Aber durch den Alkohol wurde alles einfacher und ich ertrug den Verlust leichter, auch wenn eine Stimme weit hinten in meinem Gehirn flüsterte, dass das keine Lösung war. Momentan jedoch ignorierte ich sie, hob erneut die Flasche und führte sie mit Problemen zu meinem Mund – irgendwie schien meine Hand die Zielgenauigkeit verloren zu haben. Nach drei Versuchen schaffte ich es schließlich und trank einen weiteren Schluck des Bourbons, der meinen Magen ein wenig revoltieren ließ, was mir aber herzlich egal war. Viel wichtiger waren das warme Gefühl und die Trägheit meiner Gedanken, wodurch verhindert wurde, dass ich allzu oft an Jennys Worte dachte, die mein bisheriges Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatten.
„Kein Wunder, dass du das immer getrunken hast", sagte ich in die Stille hinein und wischte mir den Mund ab. Die Worte kamen undeutlich über meine Lippen und ich schaffte es beinahe nicht, meine Zunge zu bewegen – sie war in den letzten Minuten anscheinend auf das Doppelte angewachsen. „Das Zeug haut einen glatt um." Ich prostete mit der Flasche Richtung Himmel, nur um gleich darauf erneut einen Schluck zu nehmen, wobei die Hälfte auf meinem Hemd landete, da ich erneut Schwierigkeiten hatte, die Flüssigkeit in meinen Mund zu bekommen. „Verdammt!" rief ich und obwohl es mir nichts ausmachte, dass ich mich bekleckert hatte, machte es mich dennoch wütend. Gott, ich war wirklich betrunken und selbst in dem benebelten Zustand wusste ich, dass ich das spätestens in ein paar Stunden bereuen würde. Aber zurzeit war das schwerelose Gefühl einfach zu herrlich, um sich Gedanken über den Kater zu machen, der mich sicher heimsuchen würde.
Ich lehnte meinen Kopf gegen das Holz hinter mir und versuchte das Drehen zu ignorieren, das ich durch die Bewegung ausgelöst hatte. Mein Magen wanderte gefährlich nahe Richtung Hals, aber ich schluckte ein paar Mal, wodurch er wieder in seine Ausgangsposition zurückkehrte. Es wäre nicht gerade nett von mir, mich hier zu übergeben, würde ich doch den ganzen Boden versauen und ich wusste doch, wie heilig Gibbs der Keller war. So wie ich ihn kannte, würde er mir sogar noch eine Kopfnuss deswegen verpassen, auch wenn er nicht mehr am Leben war.
Dieser Gedanke brachte mich tatsächlich zum Lachen, wodurch das Brummen in meinem Kopf stärker wurde, aber gleich darauf mündete das Lachen in einen Schluchzer. „Wieso hast du mich alleine gelassen?!" schrie ich in die Stille hinein und wunderte mich selbst, dass ich fähig war, verständliche Worte zu Stande zu bringen. „Wieso tust du mir das an?! Ich liebe dich doch! Ich liebe dich doch." Meine Stimme wurde leiser und ich starrte betrübt die Staubflocken an, bevor ich erneut einen Schluck nahm und somit die aufsteigenden Tränen niederkämpfte. „Ich vermisse dich so schrecklich", flüsterte ich und je mehr ich redete, desto mehr trank ich von dem Bourbon. Mittlerweile hatte ich Mühe, die Flasche überhaupt noch in den Fingern zu halten, aber ich klammerte mich weiterhin daran, so als ob es mein Untergang wäre, wenn ich sie loslassen würde.
Die Umgebung drehte sich unbarmherzig und deshalb begnügte ich mich damit, die Wand mir gegenüber anzustarren, während ich versuchte, meinen Magen, der erneut protestierte, unter Kontrolle zu bringen. Vielleicht war es ganz gut, dass ich seit gestern Abend nichts mehr gegessen hatte, allerdings wäre ich dann nicht so sehr betrunken. Wenn ich ehrlich war, konnte ich mich nicht erinnern, wann ich mich das letzte Mal derart volllaufen hatte lassen – irgendwann bevor Gibbs und ich ein Paar geworden waren und ich noch hinter jeder hübschen Frau her gewesen war.
Nur am Rande bekam ich mit, wie oben die Tür aufging und Schritte auf der Treppe erklangen. Ich starrte weiter die gegenüberliegende Wand an und mich interessierte es nicht, wer mich besuchen kam, mir war es egal, wenn es sogar ein Einbrecher war, solange er mir nicht die Flasche Bourbon wegnahm. Diese würde ich, wenn es nötig wäre, mit Händen und Füßen verteidigen.
Die Schritte kamen immer näher und wurden dementsprechend lauter. Gleich darauf hörte ich das Atmen der Person, als sie das Boot umrundete und mir eine Sekunde später mein Blickfeld verstellte – jetzt starrte ich Beine in einer dunkelblauen Hose an, die ich nicht annähernd so aufregend wie die Wand fand. „Wusste ich doch, dass ich dich hier finden würde", sagte eine männliche Stimme, die mir mehr als bekannt vorkam, weshalb ich mich entschloss, doch noch den Kopf zu heben. Ich registrierte den braunen Mantel, der offenstand und ein dunkelblaues Jackett und eine schief sitzende Fliege enthüllte, bevor mein Blick gütigen Augen begegnete, die mich voller Sorge musterten. „Hey, Ducky", begrüßte ich den älteren Mann, der außerhalb des Bootes stand und nun seinen Hut abnahm, um ihn auf die Werkbank zu legen und dabei das kleine Chaos, das ich angerichtet hatte, registrierte. „Was führt dich denn zu mir?" fügte ich ein wenig lallend hinzu und beobachtete, wie er sich herunterbeugte und mich durch zwei Bootsrippen ansah. Er bemerkte sofort, dass ich betrunken war und die Tatsache, dass ich die Flasche, deren Inhalt um mehr als die Hälfte geschrumpft war, weiterhin umklammerte.
„Ich wollte nachsehen, wie es dir geht", antwortete er schließlich und seine Stimme war ungewohnt heiser, als ob ich nicht der Einzige gewesen war, der geweint hatte. „Mir geht es bestens", meinte ich und setzte zum Beweis ein breites Grinsen auf, das der Situation eigentlich nicht angemessen war. „Ich habe mich noch nie so schwerelos gefühlt. Willst du auch was?" wollte ich mit schwerer Zunge wissen, mich plötzlich wieder auf meine guten Manieren besinnend. Etwas schwerfällig hob ich die Flasche, auch wenn ich nicht teilen wollte, aber es zeigte doch von einer guten Erziehung, wenn ich meinem Gast einen Schluck zum Trinken anbot.
Ducky schüttelte den Kopf und während er sich bückte, um zu mir zu kommen, sagte er: „Nein, ich will nichts und du hast auch eindeutig mehr als genug, Tony." „Ach komm schon, Duck. Sei kein Spielverderber. Der Bourbon ist echt klasse und ist ein gutes Mittel gegen Trauer. Er hilft mir wunderbar, mit dem Verlust fertig zu werden." Meine Stimme klang vorwurfsvoll und mein Grinsen hatte sich verflüchtigt, als er sich neben mich stellte. Mit dem Wissen, dass er mir mein Lebenselixier wegnehmen wollte – das sah ich in seinen Augen – drückte ich die Flasche an meine Brust und beschützte sie wie eine Mutter ihr Baby. Ich wusste, dass ich mich kindisch aufführte, aber ich konnte nicht anders.
Geduldig ließ sich der Pathologe neben mir auf den Boden sinken und drehte sich so, dass er mich direkt anblicken konnte. „Der Alkohol hilft dir nicht wirklich mit dem Verlust fertig zu werden", sagte er schließlich leise und legte mir tröstend eine Hand auf meinen linken Oberarm. „Er dämpft zwar den Schmerz, aber nicht für immer. Dieser wird zurückkommen, wenn du wieder nüchtern bist." „Na, dann werde ich dafür sorgen, dass ich nicht nüchtern werde", meinte ich im Brustton der Überzeugung und rückte von ihm weg, sodass seine Hand von meinem Arm glitt. Ducky sah mich verständnisvoll an und es wunderte mich aufs Neue, dass er so nachsichtig sein konnte. Immerhin machte ich es ihm nicht leicht, schon gar nicht in meinem derzeitigen Zustand, wo ich etwas sagen konnte, was ich nachher bereuen würde. Aber ich schaffte es nicht, auch nur einen vernünftigen Gedanken zu fassen, weshalb ich einfach meinen Mund arbeiten ließ, anstatt mein Gehirn.
„Jethro würde nicht wollen, dass du dich so gehen lässt." Seine Stimme war leiser geworden und Trauer schwang in ihr mit und ich erkannte, dass es für ihn ebenfalls schwer war, mit dem Verlust fertig zu werden. „Jethro ist tot, Duck!" schrie ich ihn dennoch an und trotz des Alkohols kam der Schmerz wieder zurück. „Woher willst du wissen, was er will und was nicht?! Es ist doch egal, wenn ich mich hier besinnungslos betrinke! Er wird es nicht erfahren!" Ich wusste, dass meine Worte verletzend waren, aber ich konnte nicht anders. Zudem war meine Zunge in diesem Moment ziemlich locker und bildeten gegen meinen Willen Worte, die ich im nüchternen Zustand nie von mir geben würde.
„Nein, es ist nicht egal, wenn du dich hier besinnungslos betrinkst", erwiderte Ducky ruhig, weiterhin die Geduld in Person. „Es gibt Leute, die dich brauchen, Tony, und die du brauchst. Wir werden nicht zulassen, dass du in ein schwarzes Loch fällst. Wir sind für dich da und können dir helfen. Die nächsten Tagen und Wochen werden sicher hart werden, aber wir werden das gemeinsam durchstehen. Du wirst sehen, mit der Zeit wird es leichter werden, auch wenn du momentan noch das Gefühl hast, dass dich der Schmerz und die Trauer von innen heraus auffressen." Die Worte berührten mich auf eine seltsame Art und Weise und ich spürte erneut den Kloß, der in meinen Hals aufstieg und mir das Atmen schwer machte. Er hatte Recht, aber trotzdem wollte ich nicht nüchtern werden, hatte ich doch Angst, wirklich in das besagte schwarze Loch zu fallen.
„Komm schon, Tony. Gib mir die Flasche", fügte Ducky hinzu und riss mich aus meiner Lethargie. Vehement schüttelte ich meinen Kopf und drückte sie noch fester an meinen Körper. „Nein, das werde ich nicht. Sie gehört mir. Außerdem braucht sie Jethro doch nicht mehr. Was macht es schon, wenn ich sie austrinke?" Meine Stimme wurde wieder träger und ich rutschte erneut ein Stück von dem Älteren weg. Durch die abrupte Bewegung begann erneut sich alles um mich zu drehen und Duckys Gesicht verdoppelte sich, bevor er wieder zu einer Person wurde. „Mein Flasche", fügte ich in dem Bestreben, ihm meinen Standpunkt klar zu machen, hinzu, aber ihn schien das nicht sonderlich zu interessieren.
Auf einmal war seine gütige Miene verschwunden und hatte Entschlossenheit Platz gemacht. So Ernst hatte ich ihn noch nie gesehen und ich schluckte unwillkürlich. „Anthony DiNozzo, du gibst mir jetzt sofort diese Flasche", befahl er mit einem scharfen Ton in der Stimme, den ich vorher noch nie bei ihm wahrgenommen hatte. Die Tatsache, dass er meinen vollen Namen verwendete, ließ meine Alarmglocken schrillen und als er aufstand, um gebückt zu mir herüberzukommen, kauerte ich mich wie ein kleines Kind zusammen, das Angst vor dem bösen Stiefvater hatte. „Nein", startete ich einen erneuten Versuch, aber als er sich vor mich hinkniete und ich den unendlich traurigen Ausdruck in seinen sonst so gütigen Augen sah, verließ mich all meine Kraft. Diese Chance nützte er sofort und ohne mich dagegen zu wehren, lockerte er meinen Griff um die Flasche und nahm sie mir schließlich aus der Hand. Automatisch wollte ich danach fassen, aber er stellte sie außer Reichweite auf den Boden und als ich hinkrabbeln wollte, hielt er mich mit überraschender Kraft an den Schultern fest. „Lass mich!" schrie ich Ducky an und begann mich gegen ihn zu wehren, aber obwohl er viel kleiner als ich war, schaffte ich es nicht, ihn von mir wegzustoßen. Stattdessen umschlang er meinen Oberkörper mit seinen Armen und hielt mich einfach nur fest. „Es ist in Ordnung, Tony", flüsterte er. „Ich bin hier. Ich lass dich nicht alleine." Und auf einmal waren sie wieder da – die Tränen. Trotz meines benebelten Zustandes brach erneut alles aus mir heraus, ich krallte meine Finger in sein Jackett und zerknitterte es dadurch. „Er fehlt mir so", schluchzte ich und ließ es zu, dass Ducky mir tröstend auf den Rücken klopfte. „Er fehlt mir so schrecklich." „Mir auch, mir auch", flüsterte er und obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste ich, dass ich nicht der Einzige war, der weinte. Ich fand in seiner Umarmung endlich den Trost, den ich im Alkohol gesucht hatte, der aber im Prinzip alles nur noch viel schlimmer gemacht hatte.

Ich wusste nicht, wie lange wir so dagesessen waren und uns gegenseitig Halt gegeben hatten, bis nur mehr trockene Schluchzer aus meinem Hals kamen und ich nicht mehr das Gefühl hatte, in ein schwarzes Loch zu fallen. Allerdings hatte das zur Folge, dass ich den Alkohol stärker denn je spürte. Alles begann sich gnadenlos um mich herum zu drehen, in meinem Kopf brummte es beängstigend und mein Magen revoltierte schon wieder – zog sich zusammen und entspannte sich, nur um sich gleich darauf erneut zusammenzuziehen. Ein gequälter Laut kam über meine Lippen und ich schloss meine Augen, damit mir nicht so schwindelig war. Ducky löste sich aus der Umarmung, wodurch ich beinahe umgekippt wäre. Mein Gleichgewichtssinn war mir abhanden gekommen und ehe ich schmerzhaft auf dem Boden landete, fing er mich auf. „Wow", sagte ich mit schwerer Zunge und das dämliche Grinsen kehrte auf mein Gesicht zurück. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so betrunken war", nuschelte ich und versuchte mit meiner ganzen Willenskraft meinen Magen zu beruhigen. Der Pathologe blickte mich nachsichtig aus geröteten Augen an und legte mir erneut einen Arm um meine Schultern. „Es wird Zeit, dass ich dich hier herausbringe", sagte er und zog mich vorsichtig und mit erstaunlich viel Kraft auf die Füße. Aber dennoch schwankte der Boden beträchtlich und ich musste mich an dem Boot abstützen, um nicht zur Seite zu taumeln. „Wie in einem schnellen Karussell", kicherte ich und als ich zu Ducky sah, prustete ich beinahe los. „Ich habe gar nicht gewusst, dass es dich zwei Mal gibt", fügte ich leicht lallend hinzu, als sich sein Gesicht verdoppelte und vor meinen Augen verschwamm. „Wie viel von dem Bourbon hast du überhaupt getrunken?" wollte er wissen und führte mich vorsichtig unter dem Boot hervor, sodass er sich schließlich ganz aufrichten konnte. „Keine Ahnung", gab ich zu und versuchte mich zu erinnern. „Etwa die Hälfte der Flasche. Oder war es doch mehr? Jedenfalls hat er eingeschlagen wie eine Bombe. Gott, ist mir schlecht." Ich schluckte krampfhaft und schaffte es erneut, meinen Mageninhalt nach unten zu zwingen.
„Es ist kein Wunder, dass dir derart übel ist, Tony", meinte Ducky gütig und schleppte mich mühsam die Kellertreppe nach oben. Ich klammerte mich an dem Geländer fest, da die Stufen auf einmal mehr als uneben waren und ich kaum meine Füße heben konnte. Seit wann war ich denn so schwerfällig?
„Weißt du, das erinnert mich an eine Geschichte aus dem Jahr 1987. Damals hatte ich einen Freund, der fast jeden Abend eine Flasche Whiskey getrunken hat."
Seine Worte drangen nur undeutlich an mein Gehör und ich war zudem damit beschäftigt, Stufe für Stufe zu bewältigen und nicht auf meine Nase zu fallen, obwohl ich gestützt wurde. Die Umgebung drehte sich immer schneller um mich und ich hatte das Gefühl, ich würde zu Boden krachen, obwohl ich weiterhin aufrecht stand.
„Jedenfalls hat mein Freund einmal so viel konsumiert, dass er sich nicht einmal mehr an seinen Namen erinnern konnte", fuhr Ducky fort, als wir das Erdgeschoss und somit den sonnendurchfluteten Vorraum erreicht hatten. Die hellen Strahlen taten mir in den Augen weh, sodass ich sie zusammenkniff und gequält aufstöhnte. Ich stolperte weiter und während mich der Pathologe zu der Treppe führte, die in die erste Etage führte, erzählte er weiter. „Ihn musste ich nach diesem Abend genauso abstützen und er hätte mich den ganzen Weg zu seinem Schlafzimmer mehr als einmal beinahe umgerissen und dabei war er viel kleiner als du." Als ich die nächsten Stufen, die mir noch unebener erschienen, erklomm, konnte ich mich nur dadurch, dass ich mich auf Duckys beruhigende Worte konzentrierte, noch mit Mühe auf den Beinen halten.
„Er hat es mir nicht gerade leicht gemacht, aber irgendwann habe ich es schließlich geschafft, ihn ins Bett zu bekommen, nur um mitzuerleben, wie er sich gleich darauf übergeben und die ganze Matratze versaut hat." Ich schluckte und versuchte mir das nicht bildlich vorzustellen – es war schon schlimm genug, dass ich kurz davor stand, meinen eigenen Mageninhalt zu verlieren.
Als wir endlich das Schlafzimmer erreicht hatten, war Ducky merklich außer Atem und ich merkte, dass ich mich schwer auf ihn stützte, um nicht zu stolpern. Er führte mich zu dem großen Bett und ließ mich los, sodass ich schwankend vor ihm stand. Eine Sekunde später machte er sich daran, mir mein Hemd aufzuknöpfen, dessen Stoff teilweise von dem Bourbon durchtränkt war. Erneut bildete sich auf meinem Gesicht ein Grinsen und ich blickte ihm direkt in die Augen. „Also, Jethro lässt sich immer mehr Zeit, wenn er das macht", sagte ich eine Spur undeutlich, aber dennoch verstand er es hervorragend. „Außer gestern. Da ist er förmlich über mich hergefallen. So ungeduldig und leidenschaftlich habe ich ihn selten erlebt." Ducky hielt kurz in seinen Bewegungen inne und sah mich mit erhobenen Augenbrauen an. „Tony, es ist besser wenn du…" „Was? Wenn ich den Mund halte? Aber ich rede doch so gerne. Vor allem über Jethro. Ich kann dir sagen, gestern war es unglaublich. Er hat mich so verzweifelt geliebt, so als ob er gewusst hätte, dass er bald sterben würde. Ich schwöre dir, wir hatten den besten Sex überhaupt." Ducky hob seine Hände und wollte mich damit dazu bringen, ruhig zu sein. Aber der Alkohol lockerte meine Zunge immer mehr und ich wusste selbst nicht einmal, was ich von mir gab. „Meinst du, er hat gewusst, dass er sterben würde?" fragte ich schließlich, als er fortfuhr, mein Hemd aufzuknöpfen, mir es schließlich auszog und es auf einen Stuhl legte.
„Das kann ich mir nicht vorstellen", antwortete er, kam wieder zu mir zurück und hob die Bettdecke empor. „Niemand weiß, wann seine Zeit gekommen ist und ich bin mir sicher, Jethro hat es ebenfalls nicht gewusst." Ich setzte mich auf die Matratze und wie von selbst kickte ich meine Schuhe von den Füßen. Mein Körper hatte erneut auf Autopilot umgeschaltet, während in meinem Gehirn der Nebel immer dichter wurde. Obwohl ich mich nicht hinlegen oder schlafen wollte, krabbelte ich dennoch unter die Decke und versuchte das schwankende Schlafzimmer zu ignorieren. Ich drehte mich auf den Rücken, wodurch es besser wurde und ich nicht mehr das Gefühl hatte, Achterbahn zu fahren.
Nur am Rande bekam ich mit, wie Ducky den Raum verließ, kurz darauf wieder zurückkam und neben mir mit einem leisen Geräusch einen Eimer abstellte.
„Nur zur Sicherheit", sagte er leise und legte mir eine Hand auf meine nackte Schulter. „Und jetzt versuch etwas zu schlafen, Tony. Du hast das bitter nötig." „Aber ich will nicht", murmelte ich wie ein störrisches Kleinkind, schloss aber trotzdem meine Augen. Irgendwie waren meine Lider auf einmal bleischwer und Mattigkeit breitete sich in meinem Körper aus. „Ich werde hierbleiben und auf dich aufpassen", hörte ich ihn noch sagen, seine Stimme unendlich weit entfernt. Ich gab ein kurzes Brummen von mir, um ihm zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte und driftete immer weiter in die undurchdringliche Schwärze, wobei der viele Alkohol in meinem Blut schließlich den Rest erledigte und ich in einen tiefen Schlaf fiel.

Erleichterung durchströmte Ducky, als Tony anfing, gleichmäßig zu atmen und endlich einschlief. Er löste seine Hand von der Schulter, weshalb der junge Mann leise grummelte, sich auf den Bauch drehte und seinen Kopf tief in den Polster vergrub. ‚Gut', dachte er und fuhr sich durch seine Haare. Das ersparte es ihm, ihn selbst umzudrehen. Er hätte ihn sicher nicht auf dem Rücken liegen gelassen, zu groß war die Gefahr, dass er sich im Schlaf übergab und daran erstickte.
Der Pathologe war ein wenig geschockt gewesen, als er Anthony derart betrunken in Gibbs' Keller gefunden hatte. Er hatte zwar gewusst, dass ihn der Verlust hart getroffen hatte, aber dass er den Schmerz gleich mit Bourbon ertränkte, damit hätte er nicht gerechnet, zumal er dieses Zeug normalerweise nicht mochte. Aber am heutigen Tag war nichts mehr normal, hatte sich doch für alle das Leben schlagartig verändert, vor allem für den jungen Mann, der jetzt vor ihm lag und schlief. Er hatte Tony noch nie so gesehen, total am Boden zerstört und die Gleichgültigkeit in Person. Die Trauer in seinen Augen war unbeschreiblich gewesen und er konnte nur erahnen, wie sich der andere fühlte. Es würde ein harter Kampf werden, annähernd den lebenslustigen DiNozzo wieder zurückzubekommen. Sein gesamter Humor schien verschwunden zu sein, genauso wie das sonst so lebendige Funkeln in seinen Augen.
Ducky war sich nur allzu bewusst, dass Anthony kurz davor gewesen war, in ein schwarzes Loch zu fallen und er war froh, dass er sich entschieden hatte, so bald nach ihm zu sehen. Ursprünglich hatte er vorgehabt, noch zu warten, aber eine innere Stimme hatte ihm gesagt, dass er sich besser auf den Weg machen sollte – zu Recht, wie sich herausgestellt hatte. Aus einem ihm unverständlichen Grund war er sofort zu Gibbs' Haus gefahren, so als ob er gespürt hatte, dass er den jungen Mann dort finden würde. Der Anblick des Kellers hatte ihm selbst einen heftigen Stich versetzt und ihm bewusst gemacht, dass sein Freund nie wieder an seinem Boot weiterbauen würde, aber er hatte es geschafft, seine Trauer in den Hintergrund zu drängen, als er Tony entdeckt hatte, alleine und stockbetrunken. Den Alkohol hatte er bereits auf der Treppe riechen können und er hatte gewusst, dass es nicht leicht werden würde, ihm die Flasche wegzunehmen. Aber er hatte es dennoch irgendwie geschafft und schließlich Trost in Anthonys Armen gesucht, als dieser zusammengebrochen war und sich an ihn wie an einen Rettungsring geklammert hatte. Seit Jennys Nachricht hatte er selbst unter Schock gestanden, der schlussendlich verschwunden war. Zwar schmerzte es ihn weiterhin, dass er Jethro verloren hatte, aber er konnte ein wenig besser damit umgehen. Außerdem brauchte ihn Anthony, der für seinen Boss mehr empfunden hatte, als sich Ducky jemals vorstellen konnte jetzt dringender. Sein Glück war wie eine Seifenblase zerplatzt und hatte sich in einen Albtraum verwandelt.
Der Pathologe blickte auf Tony hinunter, der ihm sein Gesicht zuwandte und leise anfing zu schnarchen. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über seine rechte Wange und wurde schließlich von dem Polster aufgesogen. Sein Herz krampfte sich zusammen, als er ihn so sah und in dem Versuch, ihn ein wenig zu trösten, legte er eine Hand auf den entblößten Rücken und streichelte ihn beruhigend. Sein Schützling seufzte leise und murmelte etwas Unverständliches, bevor er ruhiger wurde und weiterschnarchte.
Ducky nahm die Decke und breitete sie über DiNozzos Oberkörper aus, um zu verhindern, dass er fror. Dieser kuschelte sich automatisch tiefer hinein und grunzte zufrieden. Der Ältere konnte einfach nicht anders, als bei dem Anblick zu lächeln.
„Es wird alles wieder gut werden", flüsterte er und drückte kurz die Schulter des schlafenden Mannes. Er hatte keine Ahnung, weshalb er das sagte, aber tief in seinem Inneren wusste er seltsamerweise, dass diese Worte der Wahrheit entsprachen. „Wir alle werden dir helfen. Du musst das nicht alleine durchstehen."
Ein paar Sekunden später ließ er ihn los und stellte den Eimer noch näher an das Bett heran, nur für den Fall, dass ihn Anthony brauchte. Zwar war er nicht wirklich blass, aber bei der Menge Alkohol, den er konsumiert hatte, konnte man nie vorsichtig genug sein. Ein letztes Mal blickte er ihn noch an, bevor er sich umdrehte und das Schlafzimmer leise verließ. Die Tür ließ er sicherheitshalber offen, damit er hören konnte, falls etwas nicht stimmen sollte. Ducky beschloss so lange hier zu bleiben, bis es Tony wieder etwas besser ging. Außerdem wollte er ihn in diesem Zustand nicht alleine lassen. Zwar glaubte er nicht, dass sich dieser etwas antun würde, aber er wusste, dass Anthony nur allzu leicht in das schwarze Loch hineinfallen konnte, obwohl er zurzeit weit von dem Abgrund entfernt war. Aber dennoch machte sich der Pathologe Sorgen, immerhin hatte der Jüngere soeben seine große Liebe verloren und daran würde er lange zu knabbern haben. Ducky war schon froh, wenn Anthony irgendwann in den nächsten Tagen wieder einmal lachen konnte – ohne Hilfe von Alkohol. Genauso hoffte er, dass er sich, wenn er aufwachte, nicht mehr daran erinnern konnte, was er vor ein paar Minuten gesagt hatte. Er selbst würde es wohl nie vergessen, aber Tony wäre es sicher peinlich, wenn ihm bewusst wurde, dass er intime Details über sein Liebesleben ausgeplaudert hatte. Aber ein Satz ließ ihm keine Ruhe mehr. Hatte Gibbs wirklich gewusst, dass er sterben würde, wenn er gestern verzweifelt gewesen war, so wie es sein Freund behauptet hatte? Oder war es nur, weil sie endlich diesen komplizierten Fall gelöst hatten? Sein Instinkt sagte ihm, dass irgendetwas faul an der ganzen Geschichte war, zumal Jethro nach Norfolk gefahren war, ohne jemandem etwas davon zu sagen. Was hatte ihn nur dorthin verschlagen? Er hoffte, vor allem für Anthony, dass sie irgendwann die Antwort auf diese Frage finden würden.

Fortsetzung folgt...
Chapter 8 by Michi
Washington D.C.
Zur selben Zeit


Darien hatte Gibbs vor fünf Minuten alleine gelassen, unter dem Vorwand mit einem seiner Männer etwas besprechen zu müssen, aber der Chefermittler wusste ganz genau, dass sein alter Freund überprüfen wollte, ob die Geschichte, die er ihm ohne mit der Wimper zu zucken aufgetischt hatte, auch stimmte. Er kannte alle Tricks, damit man einem nicht ansah, dass man jemanden von vorne bis hinten belog und er hatte immer dem Blick des anderen stand gehalten, während er ruhig den Alkohol getrunken hatte. Hayden hatte ihm die ganze Zeit über zugehört, an den richtigen Stellen genickt oder ein wenig gelächelt und ein paar belanglose Fragen gestellt. Es war offensichtlich, dass er ihm nicht ganz über den Weg traute. Jethro wusste, dass es mehr als verdächtig sein musste, wenn er nach all den Jahren auf einmal auftauchte und erzählte, dass er sich entschieden hatte, sein Leben umzukrempeln und alle glauben zu lassen, er sei tot. Wenn er Darien wäre, würde er die ganze Geschichte auch überprüfen lassen, ungeachtet dessen, dass sie sich in der Vergangenheit vorbehaltlos vertraut hatten. Immerhin war er Bundesagent und der andere ein Mann, der auf die Gegenseite gewechselt war, um seine Gier nach Geld zu befriedigen. Gibbs hätte von vornherein wissen müssen, dass Coolidge weiterhin unter den Lebenden verweilte, hatte er ihm doch kurz vor seinem angeblichen Tod berichtet, dass er etwas Großes vorhatte und ihn gefragt, ob er nicht mitmachen wollte. Hätte er auch nur ansatzweise geahnt, was sein alter Freund im Sinne gehabt hatte, hätte er ihm ohne zu zögern sofort das Handwerk gelegt. Aber so hatte er sich nichts weiter dabei gedacht, als ihn die schreckliche Nachricht erreicht hatte und mit der Zeit hatte er aufgehört, an Hayden zu denken und nur ab und zu sein Grab besucht – ein Grab, das leer war und das Skelett eines fremden Menschens enthielt.
Und jetzt saß Gibbs hier, in diesem kleinen, aber gemütlich eingerichteten Raum einer Fabrikhalle, die als Versteck für Verbrecher diente, von denen er am liebsten sofort jeden einzelnen verhaftet hätte. Aber dadurch würde sein gesamter Auftrag den Bach runtergehen, und so blieb er untätig, auch wenn es ihm schwer fiel, sich nicht von seinen Gefühlen leiten zu lassen. Er war zwar vor allem wegen seinem Versprechen, das er vor Jahren gegeben hatte, an diesem Ort, aber in erster Linie handelte es sich um einen Undercoverauftrag, von dem nur vier Menschen wussten und bei dem alles echt aussehen musste. Denn wie erwartet schnüffelte Darien herum und suchte wahrscheinlich nach der noch so kleinsten Lücke in der Geschichte. So kurzfristig die ganze Sache auch eingefädelt worden war, so war sie doch bombensicher, solange er keinen Fehler machte und nicht zeigte, welches Chaos in seinem Inneren herrschte – ein Chaos, das er vorher noch nie gefühlt hatte, genauso wie den Schmerz, der ihm beinahe den Atem raubte.
Gibbs seufzte leise und konzentrierte sich auf die Flasche Bourbon, die vor ihm auf einem runden Tisch stand. Daneben befanden sich die beiden Gläser, die er und Darien verwendet hatten, gerade einmal ein paar Minuten zuvor. Obwohl er nie vor dem Abend Alkohol zu sich nahm, hatte er das starke Bedürfnis, sich erneut ein paar Fingerbreit zu gönnen. Es war das einzige Mittel in seiner Reichweite, wodurch er sich ein wenig entspannen konnte, außer sein alter Freund baute ein Boot in seinem Keller, was er aber stark bezweifelte.
Um sich von dem starken Bedürfnis, sich zu betrinken, abzulenken, ließ Jethro seinen Blick durch den kleinen Raum wandern. Die Wand linkerhand wurde komplett von einem Fenstern eingenommen, durch das nicht wirklich viel Licht in das Innere fiel, da es stark verschmutzt war. Allerdings konnte dadurch auch niemand von außen herein sehen und somit konnte man in dem Zimmer allerlei Dinge machen, ohne dabei beobachtet zu werden. Es gab zwar eine Stehlampe, aber diese war ausgeschaltet, weshalb es ein wenig düster war, was nicht gerade dazu beitrug, seine Stimmung aufzuhellen. Gibbs saß auf einem bequemen, schwarzen Ledersessel, in dem man sich problemlos zu einem Ball zusammenrollen konnte, um ein ausgiebiges Nickerchen zu halten. Ihm gegenüber befand sich eine Couch aus demselben Material und auf ihr lagen drei schwarze Polster, die wahrscheinlich aus reinster Seide waren und sich herrlich auf der Haut anfühlen mussten. Zwischen den beiden Sitzgelegenheiten war der runde Tisch aus hellem Marmor, der sicher nicht gerade billig gewesen war. Neben der geschlossenen Tür stand ein großer Topf mit einer grünen Zimmerpflanze, die trotz des fehlenden Lichtes hervorragend gedieh. Ein kleines Bücherregal mit Romanen vervollständigte die Einrichtung und obwohl diese nicht gerade seinem Geschmack entsprach, konnte er nicht umhin zu bemerken, dass sie teuer war und dem düsteren Raum einen Touch von Gemütlichkeit verlieh.
Leider gab es hier keinen Schreibtisch oder Computer, den er durchforsten hätte können, auf der Suche nach Informationen, die zu beschaffen er hier war und die jede Menge Menschenleben retten konnten. Darien war klug genug, ihm nicht zu vertrauen, weshalb er ihn an einen Ort gebracht hatte, wo er nichts Wichtiges aufbewahrte – außer den guten Bourbon, dessen Geschmack weiterhin auf seiner Zunge lag und der förmlich danach schrie, dass er erneut ein Glas trank. Aber Gibbs hielt sich zurück. Er wusste, Alkohol war in dieser Situation nicht angemessen, auch wenn er das Gefühlschaos in seinem Inneren ein wenig gelindert hatte. Allerdings zog sich sein Herz weiterhin schmerzhaft zusammen, wenn er daran dachte, was er mit seiner Aktion allen antat – vor allem einer Person.
Jethro ballte seine Hände zu Fäusten und widerstand nur knapp dem Drang, aufzustehen und so lange auf die Betonmauer einzuschlagen, bis seine Knöchel blutig waren oder er sich etwas gebrochen hatte. Seine Eingeweide verkrampften sich und sein Magen war ein einziger harter Knoten, der sich wohl in naher Zukunft nicht lockern würde.
„Tony", murmelte er mit ungewohnt heiserer Stimme und schluckte mühsam den großen Kloß in seinem Hals hinunter. Mittlerweile musste sein Freund die Nachricht von seinem angeblichen Tod erhalten haben und das Wissen, was er ihm damit antat, war der Grund, warum er sich so schrecklich fühlte. Wenn er die Augen schloss, sah er Anthony vor sich, wie ihm Tränen haltlos über die Wangen strömten und er um ihn weinte, obwohl er noch am Leben war. Dieses Bild hatte er seit gestern Abend im Kopf, als er im Park die Entscheidung getroffen hatte den Auftrag anzunehmen und es war ihm mehr als schwer gefallen, zu Tony zu fahren und ihn anzulügen, ihm weis zu machen, dass alles in Ordnung war. Das freudige Lächeln, mit dem er begrüßt worden war, war beinahe zu viel gewesen und in diesem Moment hätte er am liebsten Jenny angerufen und alles abgeblasen. Aber dann hatte er sich wieder sein Versprechen und die Person, der er es gegeben hatte, ins Gedächtnis gerufen, um sich daran zu erinnern, warum er das alles machte, warum er so vielen Menschen Leid zufügte. Allerdings hatte es nicht annähernd gegen den Schmerz in seinem Inneren geholfen, der ihm weiterhin zu schaffen machte. Die letzten Stunden, die er mit Anthony verbracht hatte, waren unglaublich gewesen und er konnte schwören, dass sie den besten Sex überhaupt gehabt hatten. Gibbs hatte sich an seinen Freund geklammert, als sei er ein Rettungsanker und ihn so verzweifelt geliebt, wie er es nie für möglich gehalten hatte. Anschließend hatte er einfach nur zugesehen, wie der Jüngere in den Schlaf geglitten war, nicht wissend, was ihn am nächsten Tag erwarten würde. Um kurz nach drei Uhr morgens hatte er sich schließlich dazu aufgerafft, das Bett zu verlassen, hatte die Nachricht, dass er etwas fürs Frühstück besorgen wollte, auf dem Küchentisch hinterlassen und war ohne noch einmal nach Tony zu sehen losgefahren, um die letzten Vorbereitungen abzuschließen. Er hatte ganz genau gewusst, wenn er Anthony noch einmal anblicken würde, wie er friedlich schlief und dabei den Mund leicht geöffnet hatte, wäre er jetzt nicht hier, sondern noch immer bei ihm, um mit ihm einen gemütlichen Sonntag zu verbringen. Aber stattdessen war es für DiNozzo ein schwarzer Tag voller Trauer und Leid, genauso wie für seine Kollegen und Freunde.
Gibbs blinzelte heftig, als seine Augen auf einmal feucht wurden und betrachtete seine linke Hand, die ihm in diesem Moment schrecklich leer vorkam. Den Ring, den er in den letzten Monaten ständig getragen hatte, hatte er schweren Herzens abgenommen und ihn in seinem Wagen deponiert, denn er sollte der Beweis sein, dass es sich um die verbrannten Überreste von ihm handelte. Jedoch fühlte er sich ohne dem Kleinod irgendwie nackt und verletzlich, hatte er doch jetzt nichts mehr von Tony bei sich, außer der Erinnerung an ihre gemeinsame Zeit.
Unwillkürlich huschte ein kurzes Lächeln über Jethros Lippen, als er daran dachte, wie er den Ring geschenkt bekommen hatte. An jenem Abend war er wirklich nicht froh darüber gewesen, erneut ein Jahr älter zu werden, aber als er Tony ganz in Schwarz gesehen hatte, hatte er sofort aufgehört, über diese Tatsache nachzugrübeln. Eine Minute später hatte er nicht leugnen können, sprachlos zu sein, als er das in weichem Kerzenlicht erhellte Schlafzimmer betreten und ihn die Erkenntnis überrollt hatte, dass das nur für ihn war und dass es jemanden gab, der sich für ihn so viel Mühe machte, um ihm einen unvergesslichen Geburtstag zu bereiten. Unvergesslich war er allemal gewesen, zumal Gibbs geglaubt hatte, Anthony würde ihm einen Heiratsantrag machen. Die Erleichterung, als er erkannt hatte, dass das nicht der Fall war, war nur von kurzer Dauer gewesen. Denn als ihm sein Freund den silbernen Ring an den Finger gesteckt hatte, hatte sich das unglaublich richtig angefühlt und beinahe hatte er gehofft, er würde doch noch auf die Knie sinken, um ihm einen Antrag zu machen. Aber nichts dergleichen war geschehen.
Seine Erfolgsquote mit Ehen war nicht wirklich vielversprechend, aber innerlich wusste er, dass es zwischen ihnen durchaus klappen konnte. Außerdem war Tony nicht einmal annähernd wie seine Exfrauen und er war mit ihm so glücklich wie nie zuvor. Und das alles setzte er für einen Undercoverauftrag aufs Spiel und er fürchtete bereits ein wenig den Moment, an dem die ganze Wahrheit ans Licht kommen und er seinem Freund wieder gegenübertreten würde. Er konnte nur hoffen, dass ihm dieser irgendwann verzeihen würde, dass er ihm derart übel mitgespielt hatte. Genauso machte er sich darüber Gedanken, was die anderen sagen würden, wenn sie erfuhren, dass er noch lebte. Aber bis es so weit war, würden sicher noch Tage vergehen und er begann jetzt schon damit, sich Entschuldigungen zu Recht zu legen.
Versonnen strich Jethro über seinen leeren Ringfinger und wünschte sich, den Ring behalten zu haben, um immer wieder die Buchstaben lesen zu können, die in das Metall eingraviert worden waren. Andererseits war es vielleicht ganz gut, das Kleinod nicht bei sich zu haben, würde es ihn doch noch viel mehr schmerzen, es vor sich zu sehen, zeigte es ihm doch, was er gehabt hatte und was er dabei war, zu verlieren.
Ruckartig riss Gibbs seine Hände auseinander und verschränkte seine Arme vor der Brust, damit er seine Finger nicht mehr betrachten konnte. Er zwang seine Gedanken in eine andere Richtung und drehte dabei seinen Kopf, um aus dem schmutzigen Fenster zu starren. Mehr als verschwommene Formen konnte er nicht ausmachen, aber das war ihm egal. Er brauchte nur etwas, womit er sich ablenken konnte, um nicht sofort alles abzubrechen und von hier zu verschwinden. Gleichzeitig lauschte er auf Schritte vor der geschlossenen Tür, die eventuell Dariens Rückkehr ankündigten oder einen seiner Männer, der damit beauftragt worden war, den plötzlichen Gast zu erledigen. Aber nichts war zu hören, nicht der kleinste Laut drang von unten herauf. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war, konnte er nicht sagen, aber er deutete die Tatsache, dass man ihn noch nicht erschossen hatte, als gutes Zeichen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Coolidge warten würde, um ihn umzubringen, wenn er herausgefunden hätte, dass seine ganze Geschichte nur gelogen war. Gibbs begann, sich ein wenig zu entspannen und starrte weiterhin aus dem schmutzigen Fenster. Aber er sah nicht den Dreck, der das Glas bedeckte oder die mit einem hellen Blau gestrichenen Betonmauern des Raumes, sondern hatte das Büro von Jenny vor Augen. Obwohl er dagegen ankämpfte, entwickelten seine Gedanken ein Eigenleben und brachten ihn an den gestrigen Abend zurück, an dem er erfahren hatte, dass sein alter Freund am Leben und die Zeit, sein Versprechen zu erfüllen, gekommen war…

Mit großen Schritten folgte Gibbs Jenny, die die Stufen zu ihrem Büro hinaufeilte. Es war bereits Abend und die meisten Agenten waren nach Hause gegangen, genauso wie sein eigenes Team. Der Fall, den sie die gesamte Woche über bearbeitet hatten, war endlich gelöst, der Mörder bekam seine gerechte Strafe und es stand ein gemütlicher und vor allem freier Sonntag vor der Tür, den er nur mit Tony verbringen wollte.
Für den heutigen Abend hatte er bereits Pläne gehabt, was er mit Anthony machen würde, aber vor ein paar Minuten war die Direktorin zu ihm gekommen und hatte ihm gesagt, dass er bei einer wichtigen Videokonferenz anwesend sein musste. Zuerst hatte er sich strikt geweigert, wollte er doch einfach nur nach Hause fahren und sich mit Anthony entspannen, aber seine ehemalige Geliebte hatte mit wenigen Worten klar gemacht, wer hier wessen Vorgesetzter war und hatte ihm richtiggehend befohlen, mit nach oben zu kommen. Der Blick aus ihren Augen hätte in diesem Moment jeden noch so großen Mann zum Erzittern gebracht und so hatte er es für besser gehalten, ihrem Befehl Folge zu leisten. Er hatte sein Team nach Hause geschickt und dabei die leichte Enttäuschung Tonys gespürt, als er erkannt hatte, dass er erneut einen Abend ohne ihn verbringen musste. Wer wusste schon, wie lange so eine Videokonferenz dauerte, aber er nahm sich fest vor, nachher noch bei ihm vorbeizufahren, egal wie spät es werden würde, bis er aus dem Hauptquartier herauskam.
Mittlerweile hatten sie die nächste Etage erreicht, aber anstatt den MTAC zu betreten, ging Jenny unbeirrt geradeaus und betrat nach ein paar Sekunden das Vorzimmer zu ihrem Büro. Ihre Assistentin Cynthia war bereits längst nach Hause gefahren und konnte im Gegensatz zu ihm Feierabend machen. Das einzige Licht kam von der Straße und beleuchtete ein wenig den aufgeräumten Schreibtisch. Aber Gibbs interessierte in diesem Moment der Ordnungsfimmel der jungen Frau nicht, sondern er wunderte sich mehr darüber, wieso sie nicht in den MTAC gingen. Immerhin hatte seine Vorgesetzte gemeint, es gäbe eine wichtige Videokonferenz, oder wollte sie vorher noch etwas mit ihm besprechen? Wollte sie ihm vielleicht ein paar Informationen geben, worum es sich handelte? Unwillkürlich runzelte er die Stirn und folgte Direktor Sheppard in ihr Büro, das nur von der Schreibtischlampe erhellt wurde. Auch hier war alles aufgeräumt und es sah nicht so aus, als ob sie einen arbeitsreichen Tag hinter sich hatte. Das Einzige, was auf der Platte lag, war eine geschlossene Akte, die nicht gerade dick war. Plötzlich überkam Jethro ein ungutes Gefühl und er wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Als ob sie seine Gedanken erraten hätte, schloss sie die Tür hinter ihnen und das Geräusch kam ihm heute viel lauter als sonst vor, noch dazu hatte das sonst so freundliche Büro etwas von einem Gefängnis – wenn auch ohne Gitterstäbe vor den Fenstern.
Mit gerunzelter Stirn beobachtete er, wie Jenny Platz nahm, die Hände ineinander verschränkte und ihn mit einem knappen Nicken aufforderte, sich ebenfalls zu setzen. Aber Gibbs blieb stehen und zeigte ihr damit, dass er nicht gewillt war, Spielchen zu spielen, nicht wenn zu Hause jemand auf ihn wartete, mit dem er endlich wieder einmal einen gemütlichen Abend verbringen wollte. Seit einer Woche hatte er alleine geschlafen und nicht selten unter seinem Boot im Keller. Der Fall hatte seine Nerven mehr als strapaziert und dass sie so lange nicht weitergekommen waren, hatte ihn frustriert. Seinen Ärger darüber hatte er nicht an Tony auslassen wollen, weshalb er sich entschieden hatte, ein wenig Abstand zu wahren, auch wenn es für beide nicht leicht gewesen war. Aber ab heute würde er wieder bei ihm sein und jede freie Minute mit ihm verbringen. Endlich konnte er mit ihm in seinen Armen einschlafen, den warmen Körper an seinem spüren und die stressige Woche hinter sich lassen.
„Was soll das, Jen?" fragte Jethro und machte keine Anstalten, seinen Ärger zu verbergen. „Ich dachte, du hast mich zu einer Videokonferenz gerufen und stattdessen willst du hier ein Kaffeekränzchen abhalten? Ohne mich. Ich habe Wichtigeres zu tun." Er wollte sich bereits umdrehen, aber der Blick aus ihren Augen hielt ihn am Fleck fest. „Es gibt keine Videokonferenz", antwortete Jenny, der nicht entgangen war, dass ihr Gegenüber nicht gerade geduldig war, vor allem, da sie ihn davon abhielt, den Abend mit Tony ausklingen zu lassen. Die beiden waren noch immer verliebt wie am ersten Tag, das konnte sogar ein Blinder erkennen und sie wusste, dass diese Woche für die Zwei nicht gerade einfach gewesen war. Und was sie gleich zu ihrem ehemaligen Partner sagen würde, würde seine Beziehung zu dem jungen Mann auf eine harte Probe stellen, aber sie musste ihm erzählen, was sie vor ein paar Stunden erfahren hatte. Zwar konnte er sich dagegen entscheiden und einfach sein Leben wie bisher weiterleben, aber sie kannte Gibbs gut genug, um zu wissen, dass er die Chance nutzen würde, von der sie ihm gleich berichten würde. Aber dennoch würde sie ihm die Möglichkeit geben, nicht einzusteigen, war ihr doch klar, was er verlieren konnte und ihr würde es nicht minder schwer fallen, alles in die Wege zu leiten.

„Was soll das heißen, es gibt keine Videokonferenz?" fragte Jethro beängstigend ruhig und seine Augen sprühten förmlich Funken. Das ungute Gefühl von vorhin wurde stärker und er hatte das dringende Bedürfnis aus diesem Raum zu verschwinden, sich in seinen Wagen zu setzen und endlich Feierabend zu machen.
Jenny seufzte leise und sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Sie kannten diesen Blick nur zu gut und sie konnte sich lebhaft vorstellen, dass es ihm mehr als schwer fiel, nicht einfach die Tür aufzureißen und hinauszustürmen, weshalb sie sich auch entschied, nicht länger um den heißen Brei herumzureden.
„Setz dich", sagte sie mit einem gewissen Befehlston in der Stimme, der dem Chefermittler keineswegs entging. Er wollte bereits widersprechen, entschied sich dann aber doch dagegen. Etwas widerwillig zog er schließlich den Besucherstuhl heran und ließ sich langsam darauf nieder, wobei er die Direktorin keine Sekunde aus dem Blick ließ. Sie hatte einen ernsten Gesichtsausdruck aufgesetzt, den er lange nicht mehr an ihr gesehen hatte und der ihm verriet, dass er gleich etwas erfahren würde, das ihm nicht gefallen würde.
Ohne sich mit langen Vorreden aufzuhalten, nahm Jenny die Akte, schlug sie auf und holte ein Bild hervor, das sie Gibbs reichte. „Das wurde heute Vormittag an der Union Station, die mit Kameras überwacht wird, aufgenommen. Wie dir bekannt sein dürfte, wird auf den Bahnhöfen genauso wie auf den Flughäfen nach möglichen Terroristen gesucht und…" Aber Jethro hörte ihr nicht mehr zu. Geschockt erblickte er ein Gesicht, das er seit Jahren nicht mehr gesehen und von dem er gedacht hatte, es nie wieder zu sehen. Der Mann war groß und er trug dem kalten Wetter entsprechend einen warmen Mantel und Handschuhe. Die blonden Haare und blauen Augen waren noch genau so, wie er sie in Erinnerung hatte, nichts schien sich verändert zu haben. Auf einmal hatte der Chefermittler das Gefühl, jemand hätte einen Kübel Eiswasser über seinem Kopf ausgeleert und ohne dass er etwas dagegen tun konnte, fingen seine Hände zu zittern an. Er krampfte seine Finger zusammen, wodurch das Bild ein wenig in Mitleidenschaft gezogen wurde, aber das war ihm egal. Vergessen war die Tatsache, dass er eigentlich Feierabend hatte und bei Tony sein wollte. Jetzt zählte nur noch der Mann, den er für tot gehalten hatte, der aber quicklebendig aussah.
Darien Hayden Coolidges Augen schienen seine eigenen förmlich zu durchbohren und er konnte das kalte Funkeln selbst auf den Bild erkennen. Sein alter Freund, mit dem er gemeinsam bei den Marines gewesen war und mit dem er in Desert Storm gekämpft hatte, war am Leben und nicht tot, so wie er es seit mehr als sechs Jahren angenommen hatte. Aber wie war das nur möglich? Er war doch bei seinem Begräbnis dabei gewesen, hatte mit seiner Familie mitgetrauert und jetzt musste er erfahren, dass alles nur ein Schwindel gewesen war?
Nach endlos langen Sekunden riss Gibbs den Blick von dem Foto los und sah zu Jenny, die ihn ruhig musterte. „Also erkennst du ihn wieder", sagte sie und beugte sich nach vorne, wobei sie ihn nicht aus den Augen ließ. „Und ob ich ihn wiedererkenne", erwiderte er voller Sarkasmus und schmiss das Bild auf den Schreibtisch, so als ob er sich die Finger daran verbrannt hätte. „Wie könnte ich Darien vergessen. Immerhin waren wir jahrelang befreundet und gemeinsam bei den Marines. Aber wie kommt es, dass er noch am Leben ist und nicht tot? Ich schätze mal, du weißt, dass er vor über sechs Jahren gestorben ist." „Angeblich gestorben ist", berichtigte sie ihn und verschränkte erneut ihre Hände ineinander. „Anscheinend hat dein alter Freund seinen Tod nur vorgetäuscht und wie sich vor nicht einmal zwei Stunden herausgestellt hat, gibt es einen Grund dafür." Der Ton in Jennys Stimme gefiel Gibbs überhaupt nicht und er wusste, dass er noch lange nicht alles erfahren hatte. Die Tatsache, dass Darien ihm vorgemacht hatte, nicht mehr zu leben, hatte ihn hart getroffen, aber er hatte das unbestimmte Gefühl, dass das noch die harmloseste Information gewesen war.
„Als man herausgefunden hat, wer der Mann auf dem Foto ist", fuhr die Direktorin fort, da Gibbs keine Anstalten machte, etwas zu sagen, „wurde ich sofort darüber in Kenntnis gesetzt und habe meine Beziehungen ein wenig spielen lassen und meine Informanten kontaktiert. Schließlich wurde mir vor etwa zwei Stunden berichtet, dass es in der Unterwelt von Washington nichts Neues ist, dass Coolidge noch lebt." „Aber das ist nicht alles, was du mir erzählen willst, oder, Jen?" fragte Jethro und versuchte sein schnell klopfendes Herz zu beruhigen. Bei dem Wort Unterwelt hatte sich sein Instinkt sofort gemeldet und ihm geflüstert, dass sein alter Freund wohl die Seiten gewechselt hatte, obwohl er immer beteuert hatte, nichts für Verbrecher übrig zu haben. Aber ein Mensch konnte sich im Laufe der Jahre verändern, egal wie sehr man geglaubt hatte, ihn zu kennen.
Die rothaarige Frau schüttelte langsam ihren Kopf und kaute für ein paar Sekunden auf ihrer Unterlippe herum. Das, was sie gleich sagen würde, würde ihm ganz schön zu schaffen machen und wenn es nach ihr ginge, würde sie es ihm verheimlichen. Aber er hatte ein Recht darauf, es zu erfahren, wusste sie doch, was vor etwa fünf Jahren geschehen war und es war dieses Wissen, warum sie jetzt mit ihm hier saß und sich in wenigen Minuten sein Leben ändern konnte.
„Mein Informant hat mir berichtet, dass Coolidge der Kopf einer Verbrecherbande ist, die schon seit langem ihr Unwesen treibt. Die gesamten Mitglieder dieser Organisation sind offiziell tot, lassen alle glauben, sie wären durch irgendwelche Unfälle gestorben. Ihre Taten reichen von Schmugglereien bis zu Einbrüchen, aber vorzugsweise erpressen sie die Regierung, um möglichst viel Geld zu kassieren und wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden, sprengen sie Gebäude in die Luft und richten damit nicht nur Sachschaden an." Jen hielt kurz inne und suchte nach den richtigen Worten. Aber egal wie sie es drehte oder wendete, es würde Gibbs hart treffen. „Die größte Explosion, für die Darien verantwortlich ist, ist vor etwa fünf Jahren in einem Einkaufszentrum geschehen", fuhr sie schließlich fort und sie erkannte innerhalb des Bruchteils einer Sekunde, dass ihr Gegenüber erkannte, was sie ihm sagen wollte. Seine Miene, von der man normalerweise seine Gefühle nicht ablesen konnte, spiegelte Schrecken wieder und in seine Augen trat ein Ausdruck, der ihr unwillkürlich Angst machte.
Jethro saß da und versuchte zu realisieren, was er soeben erfahren hatte. Das Blut rauschte laut in seinen Ohren und seine Hände wurden schweißnass. In diesem Moment war er nicht mehr im Büro der Direktorin, sondern in einem liebevoll eingerichteten Haus, einem Haus, über dessen Dach eine dunkle Wolke hing. Vor fünf Jahren war das Leben für jemanden wie ein Kartenhaus zusammengebrochen und hatte nicht nur ihr Leid beschert, sondern auch ihm selbst, weshalb er ohne lange zu überlegen ein Versprechen gegeben hatte, das seitdem darauf wartete, eingelöst zu werden. Aber das Schlimmste daran war, dass es anscheinend sein alter Freund Darien war, der dafür verantwortlich war, dass nicht nur er einen geliebten Menschen verloren hatte. Wie hatte er sich nur so in ihm täuschen können? Wie konnte Hayden nur so skrupellos sein und einfach so den Tod von so vielen Personen verursachen?
Gibbs' gesamte Kraft schien aus seinem Körper zu weichen und mittlerweile war er froh, zu sitzen. Schwer ließ er sich gegen die Rückenlehne des Stuhles sinken und fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare. „Es tut mir leid, Jethro", flüsterte Jen, da ihr die richtigen Worte fehlten. Sie konnte sich vorstellen, was im Inneren des Älteren vor sich ging, hatte er doch soeben erfahren, dass sein ehemaliger bester Freund ein Verbrecher war, der nicht davor zurückschreckte, Menschen für Geld zu töten und noch dazu verantwortlich dafür war, was für fünf Jahren geschehen war.
„Wieso verhaftet ihr dieses Schwein nicht einfach?" fragte er schließlich, wobei seine Stimme ungewohnt belegt war. Der Kloß in seinem Hals war riesengroß und hinderte ihn am Atmen.
„Leider ist es nicht so einfach", erwiderte sie vorsichtig und sah ihn verständnisvoll an. „Gestern wurde erneut ein Anschlag angekündigt, wenn nicht innerhalb von fünf Tagen 50 Millionen Dollar gezahlt werden. Aber wir haben keine Ahnung, was das Ziel ist oder wo der Anschlag stattfinden soll oder ob nicht eine Bombe oder etwas Ähnliches bereits irgendwo platziert wurde. Wenn wir Coolidge und seine gesamte Mannschaft verhaften, werden wir wahrscheinlich nie erfahren, ob und wie er Washington treffen will, wobei aber auch die Möglichkeit besteht, dass eine andere Stadt das Ziel ist."
Gibbs nickte, da er Jens Standpunkt verstand, genauso wie er verstand, warum sie ihm das alles erzählte. Es ging nicht nur um Darien und darum, dass er die Seiten gewechselt hatte, sondern Gibbs war der einzige Mensch, der diesen gut genug kannte und nahe an ihn herankommen konnte, immerhin waren sie vor Jahren enge Freunde gewesen und waren durch dick und dünn gegangen. Es war offensichtlich, worum ihn Jenny bitten wollte, aber es gab einen Punkt, der ihn davor zurückschrecken ließ, sofort ja zu sagen.
„Du willst also, dass ich mich bei Darien einschleiche und herausfinde, was sein nächstes Ziel ist, richtig? Aber so einfach wird das nicht werden, immerhin weiß er genau, dass ich Bundesagent bin, auch wenn er immer behauptet hat, dass ich für diesen Job nicht geschaffen und für etwas Größeres bestimmt bin. Darien wird anfangen herumzuschnüffeln." „Das ist mir bewusst", erwiderte sie und versuchte nicht, seinem Blick auszuweichen. „Und ich kann verstehen, wenn du den Auftrag nicht annehmen willst, Jethro. Immerhin müsstest du deinen Tod vortäuschen, um überhaupt in die Organisation reinzukommen und da Coolidge wahrscheinlich alles überprüfen würde, muss alles echt aussehen, was bedeutet, du darfst niemandem erzählen, welchen Auftrag du hast. Nicht einmal Agent DiNozzo", fügte sie nach einer Sekunde hinzu. Sie wusste, wie Gibbs zu seinem Freund stand, dass er niemals etwas tun würde, um ihm wehzutun. Seit er mit seinem Agent zusammen war, war er nicht mehr so übellaunig wie sonst und seine Augen strahlten regelrecht – und das seit nun mehr als sieben Monaten. Deshalb verlangte sie von ihm auch nicht, undercover zu gehen, sondern überließ ihm die Entscheidung selbst.
Gibbs schüttelte den Kopf und versuchte Ordnung in das Chaos in seinem Inneren zu bringen. Hier saß er also, mit der Möglichkeit, das Versprechen endlich einlösen zu können. Allerdings musste er dazu seinen Tod vortäuschen und er wusste genau, dass das vor allem für Tony hart werden würde. Schon alleine bei dem Gedanken daran, wie dieser leiden würde, wurde ihm übel und am liebsten würde er einfach hinausstürmen und vergessen, dass Darien noch lebte. Wer war ihm wichtiger? Der Mann, den er über alles liebte oder die Person, mit der ihn ein starkes Band verbunden hatte und weiterhin verband?
Von dem Versprechen wusste nur er selbst und Ducky, dem er sich vor so langer Zeit anvertraut hatte, aus dem Bedürfnis heraus, mit jemandem zu reden. Jen hingegen hatte nur Ahnung davon, was vor fünf Jahren passiert war und dass er der Einzige war, der sich bei Darien einschleichen und sein Vertrauen gewinnen konnte.
„Wann brauchst du meine Entscheidung?" fragte Gibbs und die Worte verursachten einen Schmerz in seinem Inneren, der ihm beinahe den Atem raubte. „Bis spätestens morgen früh. Aber du solltest wissen, dass du das nicht machen musst. Wir finden auch so einen Weg, um ihm das Handwerk zu legen oder es wird ein anderen Agent eingeschleust." Jethro nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte und stand auf. Er musste unbedingt hier raus, brauchte frische Luft, brauchte Bewegung. „Ich melde mich", sagte er, bevor er die Tür aufriss und aus dem Raum stürmte. Noch nie hatte er sich in einem derartigen Zwiespalt befunden, hatte nicht gewusst, was er machen sollte. Und egal wie er sich entscheiden würde, jemand würde leiden, sei es Tony, seine Kollegen oder er selbst, da er das Versprechen nicht einhielt...


Eine Tür, die schwungvoll geöffnet wurde, riss Gibbs aus seinen Gedanken und er musste mehrmals blinzeln, um sich zu erinnern, wo er war und was er an diesem Ort machte. Darien betrat mit einem breiten Grinsen den Raum, ließ sich auf die Couch fallen und streckte seine langen Beine von sich. Er wirkte entspannt und seine Augen strahlten förmlich. Es war offensichtlich, dass er an Jethros Geschichte nichts auszusetzen hatte und ihm alles glaubte – oder er war einfach ein hervorragender Schauspieler.
„Alles klar, Lee?" fragte er und bei der Verwendung seines Spitznamens zuckte der Silberhaarige innerlich zusammen. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, wieder so genannt zu werden und wenn es nach ihm ging, wollte er diesen Namen auch nie wieder hören, aber er wusste, Coolidge würde dann nur misstrauisch werden. „Aber sicher", erwiderte er und setzte ein unbeschwertes Lächeln auf, das ihm so falsch wie die dritten Zähne eines alten Menschens vorkam. Aber er musste weiterhin gute Miene zum bösen Spiel machen, auch wenn es ihm schwer fiel. Allerdings freute er sich jetzt schon auf den Moment, wo er seinem alten Freund seine Rechte vorlesen konnte, während er ihm Handschellen anlegte. Obwohl er erst seit nicht einmal einer Stunde hier war, kam es ihm wie eine Ewigkeit vor und seit dem verfluchte er sich selbst dafür, dass er sich entschieden hatte, den Undercoverauftrag anzunehmen. Gibbs hatte keine Ahnung, wie er die nächsten Tage überstehen sollte, ohne seinem Gegenüber zu zeigen, was in seinem Inneren vorging. Obwohl Darien ihm seine Geschichte abgekauft hatte, würde er auch in Zukunft vorsichtig sein und aufpassen, was er sagte. Ein falsches Wort und er würde seinen Tod nicht länger vortäuschen müssen.
„Weißt du schon, wo du wohnen wirst?" fragte Hayden, holte ein zerknautschtes Päckchen Zigaretten aus seiner Hosentasche und zündete sich einen der Glimmstängel an, wodurch sich sofort Rauch in dem Raum ausbreitete. „Ich habe mir vor einer Woche ein Apartment gemietet. Also keine Sorge, ich muss nicht auf der Straße übernachten." „Wie lange hast du schon geplant, bei mir einzusteigen?" Jethro zuckte seine Schultern und lehnte sich in dem Stuhl zurück. „Als ich erfahren habe, dass du noch lebst, also seit etwa vier Wochen. Ich habe dir ja gesagt, dass mir mein vorheriges Leben gereicht hat. Als Bundesagent bekommt man nicht einmal annähernd die Anerkennung, die einem zusteht. Und seit eine Frau Direktorin des NCIS ist, hat sich sowieso alles verändert." Die Worte taten Gibbs weh, aber er ließ sich nichts anmerken - wenn er so weitermachte, wurde er noch Meister im Lügen. „Da dachte ich mir eben, wieso nicht einfach alles hinschmeißen und ein neues Leben beginnen? Vor allem wenn dabei mehr Geld herausschaut."
Darien beugte sich vor, blies eine Rauchwolke gen Decke und legte den Kopf schief. „Wirklich, Lee, ich bin stolz auf dich. Du wirst deine Entscheidung nicht bereuen. Noch einen Drink?" Jethro nickte, ein weiteres Glas konnte nicht schaden, auch wenn er das starke Bedürfnis hatte, die Flüssigkeit seinem Gegenüber ins Gesicht zu schütten. Von wegen, er würde seine Entscheidung nicht bereuen – das hatte er bereits, weil er sich Tony nicht anvertraut hatte. Aber irgendwie würde er es wieder gerade biegen, würde es schaffen, damit er ihn nicht verlor. Es war dieser Gedanke, der ihm unbeschreibliche Angst machte und von dem er hoffte, dass er nie wahr werden würde.

Fortsetzung folgt...
Chapter 9 by Michi
Washington D.C.
17:38 Uhr


Schmerzen. Heftige, pochende Kopfschmerzen waren das Erste, was ich spürte, als ich aus dem komaartigen Schlaf erwachte. Mein Gehirn fühlte sich an, als ob es beständig gegen die Schädeldecke drücken würde, in dem Bestreben, mehr Platz zu finden und erweckte nebenbei den Eindruck, die Nähte zu sprengen, um aus den Öffnungen hervorzuquellen. Ein nicht gerade netter Gedanke, wie ich gleich darauf feststellte, als sich mein Magen unangenehm hob und Richtung Hals wanderte, ich es aber schaffte, ihn durch heftiges Schlucken wieder an Ort zu Stelle zu befördern. In meinem benebelten Zustand bekam ich nur am Rande mit, dass ich auf dem Bauch lag, mein rechter Arm schlaff nach unten hing und sich der Linke weit ausgestreckt von mir befand, sodass ich mich unwillkürlich fragte, ob ich mir das Schultergelenk ausgekugelt hatte. Die Gliedmaße kam mir fremd vor und schien nicht mehr zu meinem Körper zu gehören – ein Körper, der anscheinend nur aus Gummi und nicht aus Muskeln und Knochen bestand, ich schaffte es gerade einmal, einen Finger zu rühren.
In meinem Mund hatte sich ein ekliger Geschmack, den ich nicht definieren konnte, ausgebreitet und war mit Schuld, dass mein Magen beständig revoltierte. Zusätzlich war meine Zunge auf ihre doppelte Größe angewachsen und klebte wie eine pelzige Schlange am Gaumen. Mein Hals war ausgedörrt, hatte die Konsistenz von Sandpapier und ließ sich auch nicht durch mehrmaliges Schlucken befeuchten – überhaupt schienen die Speicheldrüsen ihre Funktion eingestellt zu haben. Ich hatte Durst, gewaltigen Durst und würde nicht jede Bewegung den Schmerz in meinem Kopf verstärken, würde ich sofort aufspringen und so viel aus der Wasserleitung trinken, bis ich platzen würde. Aber in diesem Moment hatte ich nicht einmal die Kraft, meine Augenlider zu heben, geschweige denn ein Bein über den Rand der Matratze, auf der ich lag, zu schwingen. Obwohl ich nichts weiter als schwarze Dunkelheit sah, wusste ich, dass ich mich in einem Schlafzimmer befinden musste. Die Luft war angenehm kühl und die Decke, die über meinem Rücken ausgebreitet war, warm. Es war ein Raum, der mir sofort bekannt vorkam, ungeachtet dessen, dass ich weiterhin meine Augen geschlossen hatte, aber der Geruch war mir mehr als vertraut, allerdings konnte ihn mein gemartertes Gehirn nicht einordnen.
Das Pochen innerhalb meines Schädels nahm zu und mir entschlüpfte unwillkürlich ein leises Stöhnen, das in der Stille des Zimmers verhallte. So als ob der Schmerz ein Startzeichen gewesen wäre, begann mein Magen erneut zu meinem Hals zu wandern und ich musste würgen, aber ich schaffte es erneut, die Übelkeit zu bezwingen.
Ich lag da, unfähig mich zu rühren, fühlte mich richtig mies und hatte keine Ahnung, weshalb. In meiner Erinnerung klaffte ein schwarzes Loch und verschwommene Bilder waren das Einzige, das ich zustande brachte. Gesichter erschienen, aber bevor sie sich manifestieren konnten, verschwanden sie wieder in den Untiefen meines Bewusstseins. Trotzdem wusste ich, dass etwas ganz und gar nicht stimmte, dass ich mich nicht zufällig in diesem Zustand befand. Ich fühlte mich wie gerädert, so als ob ein tonnenschwerer Lastwagen über mich hinweggebraust wäre und dabei jeden Knochen zu Staub zermalmt hätte.

„Oh Gott", krächzte ich, als mich erneut eine Welle der Übelkeit überrollte und diesmal schaffte ich es beinahe nicht mehr, meinen Mageninhalt nach unten zu bringen. Mit aller Macht zwang ich meinen linken Arm nach oben und massierte mir eine Schläfe, während ich die andere fester in den weichen Polster drückte. Ich öffnete meinen Mund und versuchte so viel frischen Sauerstoff wie möglich in meine Lungen zu saugen. Das grässliche Pochen ließ ein wenig nach und mein Arm fiel wie ein schlaffer Schlauch neben mir auf die Matratze. Weiterhin hielt ich meine Augen geschlossen und versuchte den ekligen Geschmack in meinem Mund zu ignorieren. Ich kannte den derzeitigen Zustand, in dem ich mich befand, nur zu gut, war ich doch öfters in meiner Collegezeit einen gesamten Tag lang im Bett gelegen, nachdem es wieder einmal bei einer der zahlreichen Partys wild hergegangen war. Es waren die typischen Anzeichen eines Katers an denen ich litt, auch wenn ich mich nicht wirklich daran erinnern konnte, einen Alkoholexzess hinter mir zu haben, geschweige denn mit ein paar Freunden durch Bars gezogen zu sein.
Bilder von einem sonnigen Tag stiegen in meinem Gehirn auf, viel weißer Schnee, eine Nachricht auf dem Küchentisch, Augen voller Trauer, Stimmen, die Worte zu mir sagten, die jedoch keinen Sinn für mich ergaben, sie kamen mir verschwommen und unwirklich vor. Ein Keller, mal hell, dann wieder düster, ein Boot, halb vollendet, Werkzeug, das verstreut auf dem Boden herumlag, eine Flasche Bourbon, die eine gewisse Anziehungskraft auf mich ausübte.
Ein weiteres Stöhnen kam über meine trockenen Lippen und ich grub meinen Kopf tiefer in den Polster, wollte, dass die Bilder verschwanden, aber sie blieben hartnäckig bestehen. Noch mehr Gesichter tauchten aus der Dunkelheit auf, ihre Mienen voller Traurigkeit und Mitleid, Stimmen, die deutlicher wurden, Worte, die mir unglaublichen Schmerz bereiteten – einen seelischen Schmerz, der mir die Luft zum Atmen raubte. Ein Name, der in meinem Gehirn widerhallte, blaue Augen, die mich voller Liebe musterten, blaue Augen, die durch stumpfe, leere ersetzt wurden. Eine Flasche Bourbon, die ich nicht hergeben wollte, Ducky, der mich in die Arme nahm und festhielt, Tränen, die wie ein nicht enden wollender Strom über meine Wangen gelaufen waren.

Schmerz, Trauer, Verlust, ein Name – ein Name, der für mich Leben bedeutete. Und mit einem Mal war alles wieder da, jedes noch so kleine Detail, jede noch so schreckliche Grausamkeit. Mein Herz krampfte sich zusammen und ich riss meine Augen auf, nahm aber meine Umgebung nicht wahr. „Jethro!!!" rief ich mit rauer Stimme, fuhr hoch bis ich auf der Matratze kniete und die Decke von meinem Rücken rutschte. Eine Sekunde später schrie ich auf, als ein heftiger Schmerz in meinem Kopf explodierte und sich alles anfing, um mich zu drehen. Unwillkürlich griff ich mir mit meinen Händen an meine Schläfen und drückte kräftig zu, in dem Bestreben, das Pochen zu lindern. Übelkeit überrollte mich mit Wucht, ließ mich heftig würgen und als letzten Ausweg, um die Matratze nicht zu versauen, beugte mich über den Bettrand und fand vor meiner Nase prompt einen Eimer, von dem ich keine Ahnung hatte, wie er hierher gekommen war. Entgegen meiner Erwartung kam aus meinem lädierten Magen nichts hoch, sah man von dem grauenhaften Geschmack ab, der sich in meinem Mund ausbreitete und schlimmer war als alter, schimmeliger Käse. Mehr trockenes Würgen war die Folge, der Boden unter mir schwankte gefährlich und ich schloss gequält meine Augen, holte tief Luft, zwang mich, ruhig zu atmen. Meine Eingeweide entspannten sich ein wenig, das Pochen innerhalb meiner Schädeldecke ließ nach und erst jetzt registrierte ich die Kälte so richtig, die im Schlafzimmer herrschte. Auf meinem Körper breitete sich rasend schnell eine Gänsehaut aus und ließ mich zittern, weshalb ich mich vorsichtig aufrichtete und als ich endlich saß, wagte ich es, meine Augen zu öffnen. Diesmal explodierte mein Gehirn nicht und die Umgebung fuhr auch nicht Achterbahn.
Langsam sah ich mich um, erkannte Gibbs' Schlafzimmer, in dem wir viele Nächte gemeinsam verbracht hatten, sei es, dass wir nur geredet oder uns geliebt hatten. Jemand hatte die Lampe auf dem Nachttisch eingeschaltet und diese verbreitete ein angenehmes, gedämpftes Licht, wodurch es nicht zu hell war. Draußen war es bereits dunkel, Sterne blinkten vom Himmel, wurden nur hin und wieder von dünnen Wolkenschleiern verdeckt. Es war ruhig, ja beinahe friedlich. Die einzigen Geräusche waren das Rauschen des Blutes in meinen Ohren, mein Herzschlag und mein beständiges Atmen. Und jetzt konnte ich auch den Geruch, der mir vorher so bekannt vorgekommen war, identifizieren – Sägespäne. Egal in welchem Teil von Jethros Haus man sich befand, es roch überall ein wenig nach Sägespänen, am meisten mochte ich diesen Duft jedoch auf seiner Haut und in seinen Haaren. Ich liebte es, an ihm zu schnuppern, die Essenz in mir aufzunehmen und gleichzeitig seinen Körper mit federleichten Küssen zu bedecken.
Gleich darauf wurde mir mit voller Wucht bewusst, dass ich das nie wieder tun würde können, dass ich nie wieder die Möglichkeit erhalten würde, ihn zu liebkosen, an seinen Haaren zu riechen oder einfach nur in seinen Armen zu liegen, um seine Nähe und Wärme zu genießen.

„Oh Gott, Jethro", murmelte ich, als mich die furchtbare Erkenntnis erneut überrollte, ich Jennys verhängnisvolle Worte hörte, mit denen mein bisheriges Leben einfach in sich zusammengefallen war. Der Schmerz in meinem Inneren übertraf denjenigen in meinem Kopf um ein Vielfaches und ich krampfte meine Finger um die Bettdecke, suchte daran Halt. Tränen schossen mir in die Augen, aber ich blinzelte sie weg, wollte nicht schon wieder zu weinen anfangen, so wie ich es an diesem Tag sooft getan hatte, ohne dass es mir Linderung verschafft hätte. Diesmal würde ich stark bleiben, würde mich nicht dem schwarzen Abgrund nähern, vor dem mich Ducky gerettet hatte, indem er mir den Alkohohl weggenommen und mich fest umarmt hatte. Auch wenn ich das dringende Bedürfnis hatte, mich zu einem Ball zusammenzurollen und mich zu verkriechen, blieb ich aufrecht sitzen und ließ die vertraute Umgebung auf mich wirken. Ich wurde etwas ruhiger, dafür kamen aber die physischen Schmerzen zurück. Das Pochen in meinem Kopf steigerte sich und mein trockener Hals wurde noch trockener. Ich konnte nicht fassen, dass ich wirklich so viel von dem Bourbon getrunken hatte, dass ich jetzt diesen Kater hatte, zumal ich das Getränk überhaupt nicht mochte, hatte ich doch jedes Mal das Gefühl, es würde meine Speiseröhre verätzen. Aber diesmal war mir das anscheinend egal gewesen, ich hatte nur mein Leid betäuben und die reale Welt von mir fern halten wollen – und nun bekam ich die Rechnung serviert. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal derart über die Stränge geschlagen hatte. Seit Jethro und ich ein Paar waren, hatte ich nie das Bedürfnis verspürt, mich zu betrinken, nicht einmal, wenn wir uns gestritten hatten. Und jetzt? Jetzt war ich wieder alleine und ich hatte keine Ahnung, ob ich jemals wieder glücklich werden konnte. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so schrecklich wehtat, eine geliebte Person zu verlieren, aber es zerriss mich von innen heraus.
„Lass dich nicht gehen, lass dich nicht gehen", murmelte ich, sprach mir selbst Mut zu und zwang mich, regelmäßig zu atmen. Auch wenn mein Kopf weiterhin explodieren wollte, fühlte ich mich ein wenig besser, aber von meinem Normalzustand war ich Meilen entfernt, dort wer wusste schon, ob ich diesen jemals wieder erreichen würde.
Ein kalter Luftzug ließ mich erschauern und erst in diesem Moment registrierte ich, dass das Fenster gekippt war und die Vorhänge davor leicht flatterten. Noch immer war kein Geräusch zu hören, auch nicht von unten, obwohl mir mein Instinkt sagte, dass Ducky weiterhin in dem Haus war, da er mich in so einem Zustand nie alleine lassen würde. Jetzt konnte ich mir erklären, warum neben dem Bett ein Eimer stand und die kleine Nachttischlampe brannte. So wie ich ihn kannte, hatte er in regelmäßigen Abständen nach mir gesehen, um sicher zu gehen, dass mir nichts fehlte. Obwohl er Pathologe war, konnte er mindestens genauso gut mit lebenden Patienten umgehen. Ich rechnete es ihm hoch an, dass er sich um mich kümmerte und seine eigene Trauer hintan stellte. Jethro und er waren jahrelang Freunde gewesen, bereits bevor ich zum NCIS gekommen war und ihn musste der Verlust stark mitnehmen. Dennoch sorgte er sich lieber um mich als um sich selbst und ich hatte keine Ahnung, ob ich diese Schuld je ausgleichen würde können.

„Du hast echt was gut bei mir", flüsterte ich und warf einen kurzen Blick auf die leere Betthälfte neben mir. Alles war unberührt und wartete nur auf eine Person, die sich hineinlegen konnte, aber diese Person würde nicht mehr wiederkommen. Ein heftiger Stich durchfuhr meinen Körper, weshalb ich ganz schnell woanders hinsah. Allerdings war diese abrupte Bewegung keine gute Idee. Das Schlafzimmer begann erneut sich wie ein Propeller um mich zu drehen, mein Gehirn drückte mehr denn je gegen meine Schädeldecke und mein Magen zog sich zusammen, aber diesmal musste ich wenigstens nicht würgen. Ich konnte froh sein, dass ich seit gestern Abend nichts mehr gegessen hatte, sonst würde ich seit geraumer Zeit über dem Eimer hängen und alles von mir geben, was ich zu mir genommen hatte. Und in naher Zukunft würde ich auch nichts essen können, jedenfalls kam es mir so vor. Ich hatte keine Ahnung, ob ich je wieder Hunger bekommen würde oder ob ich je wieder lachen konnte. Nichts schien mehr wichtig zu sein und ich hätte auch kein Problem damit, wenn die Welt untergehen würde. Was machte das schon für einen Unterschied? Meine Welt war heute zerbrochen und die Trümmer, in denen sie lag, würde ich nie wieder zusammenbauen können.
Nur mit Mühe widerstand ich dem Drang, meinen Kopf zu schütteln, um die Bilder loszuwerden, aber ich hielt mich zurück, wollte ich doch eine erneute Schmerzenswelle nicht herausfordern. Obwohl ich mich am liebsten unter der warmen Decke verkrochen und einfach weitergeschlafen hätte, um an nichts mehr denken zu müssen, wusste ich, dass ich trotz meines angeschlagenen Zustandes kein Auge zumachen würde, zu groß war die Angst, ständig Gibbs vor mir zu sehen oder von ihm zu träumen. Vor Stunden hatte der Alkohol geholfen, dass ich in einen komaähnlichen Schlaf versunken war, aber diesmal würde das nicht funktionieren, da war ich mir sicher. Deshalb schlug ich endlich beherzt die Decke zur Seite und schwang vorsichtig meine Beine über den Rand des Bettes, um keinen neuerlichen Schwindelanfall heraufzubeschwören. Erst jetzt registrierte ich, dass ich noch immer meine Jeans trug, meine Schuhe und mein Hemd jedoch fehlten. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es geschafft hatte, besagte Stücke auszuziehen oder ob ich es überhaupt selbst erledigt hatte, aber ich beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken. Viel zu sehr war ich damit beschäftigt, auf die Füße zu kommen und nicht gleich wieder umzufallen.

Für ein paar Sekunden hielt ich inne, holte tief Luft und stemmte mich schließlich in die Höhe. Obwohl ich langsam aufstand und dabei einige Kraftreserven – von denen ich momentan nicht viel hatte – verbrauchte, schwankte das Schlafzimmer bedrohlich vor meinen Augen. Ich taumelte einen Schritt zur Seite und stützte mich mit einer Hand am Nachttisch ab, um zu verhindern, dass ich hinfiel. Dabei hätte ich beinahe den Wecker zu Boden geschleudert, aber er blieb kurz am Rand stehen, bevor er der Schwerkraft folgend auf der Erde landete. Dabei fiel mein Blick auf die roten Leuchtziffern, die 17:48 Uhr zeigten. Etwas verwirrt runzelte ich die Stirn, hatte ich doch das Gefühl, ich hätte mindestens zwölf Stunden geschlafen, dabei waren es nicht einmal sechs. Mir war mein Zeitgefühl komplett abhanden gekommen und ich wünschte mir, es wäre viel später, aber so hatte ich eine Nacht vor mir, in der ich sicher nicht schlafen würde können, egal wie sehr mir der Kater zu schaffen machte.
Ich ließ den Wecker einfach liegen, machte nicht einmal den Versuch ihn aufzuheben, sondern richtete mich kerzengerade auf und wartete, bis der Raum zu schwanken aufhörte. Als ich mir halbwegs sicher war, dass ich nicht hinfallen würde, drehte ich mich um und strebte unsicheren Schrittes auf die angelehnte Tür zu. Diese schien sich allerdings immer weiter von mir zu entfernen, anstatt näher zu kommen und als ich sie endlich erreichte, hatte ich das Gefühl, es wären Stunden vergangen. Ich zog sie komplett auf, taumelte auf den Gang hinaus und wurde von der gegenüberliegenden Wand gestoppt. In diesem Moment kam ich mir wie ein alter Mann vor, der sich nur mit Mühe auf den Füßen halten konnte. Genauso wie im Schlafzimmer war es hier ruhig, kein einziges Geräusch war zu hören, auch nicht von unten, obwohl ich die Anwesenheit von Ducky regelrecht spüren konnte.
Mit den Händen tastete ich mich den düsteren Flur entlang. Das einzige Licht kam aus dem Schlafzimmer, erhellte aber nur einen kleinen Abschnitt des Ganges. Aber dennoch erreichte ich ohne Probleme die Tür, die ich gesucht hatte, drückte mit einigen Schwierigkeiten die Klinke hinunter und stieß sie auf. Es war zwar dunkel im Bad, aber nach ein paar Sekunden fand ich den Lichtschalter, der die Deckenlampe aufflackern ließ und die den Raum aus der Finsternis holte. Beige Fliesen und weiße Wände verströmten eine warme Atmosphäre. Gegenüber der Tür befanden sich unter einem großen Spiegel zwei Waschbecken, die sauber glänzten. Rechts stand eine Badewanne, in der Gibbs und ich uns mehr als einmal nach einem langen Tag entspannt hatten. Linkerhand war eine Dusche mit einer Glastür, durch die man den Benutzer wunderbar beobachten konnte. Eine Toilette und ein Schrank, in dem Handtücher und andere Sachen verstaut waren, vervollständigten das Bild.
Neben dem linken Waschbecken lagen Gibbs' Rasierer, seine Zahnbürste und Pasta, sein Aftershave, das ich so gerne mochte und noch andere kleine Dinge, die er am morgens verwendete, die er aber jetzt nicht mehr brauchen würde. Jedoch wusste ich nicht, ob ich es jemals übers Herz bringen würde, diese Dinge des alltäglichen Lebens zu entsorgen. Es kam mir schon falsch vor, wenn ich nur daran dachte, irgendetwas wegzuschmeißen, was Jethro gehörte. Ich würde alles an seinem Platz lassen, würde nichts verrücken oder verstecken. Ein großer Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich die kleinen Gegenstände von meinem Platz an der Tür aus betrachtete. Alles wirkte wie immer, nichts schien verändert, aber dennoch war die Atmosphäre anders.
Normalerweise hielt ich mich gerne in diesem Raum auf, aber heute hatte für mich er alle Freundlichkeit verloren. Trotzdem betrat ich ihn schließlich ganz, zog mich ohne Umschweife aus, wobei ich nicht so schnell wie sonst war, da mir zwischendurch erneut schwindelig wurde, warf die Kleidung achtlos zu Boden, stellte mich unter die Dusche und ließ kaltes Wasser auf meinen Körper prasseln. Durch den abrupten Kälteschock zuckte ich zusammen, wurde aber dadurch aus meinem erschöpften Zustand gerissen. Zwar blieben die pochenden Kopfschmerzen bestehen, aber ich fühlte mich langsam wieder wie ein Mensch. Meine Arme und Beine waren nicht länger aus Gummi und etwas Kraft kehrte zurück, wodurch ich nicht mehr befürchten musste, dass meine Knie unter meinem Gewicht nachgaben.
Ich stützte meine Hände an den Fliesen ab, ließ meinen Kopf nach unten hängen, konzentrierte mich auf das kalte Wasser, das die Müdigkeit aus meinem Körper vertrieb und schaffte es für kurze Zeit, alle Gedanken und Schmerzen auszuschalten und mich einfach treiben zu lassen.

Zehn Minuten später stand ich vor dem Spiegel, ein Handtuch um die Hüfte gewickelt und betrachtete mich eingehend, wobei mir ein fremder Mann entgegenstarrte. Unter meinen Augen, die jeglichen Glanz verloren hatten, hatten sich dunkle Schatten, mein Gesicht war so weiß wie der Schnee, die Lippen waren blutleer und meine Haarte standen wie die Stachel eines Igels in jede erdenkliche Richtung ab. Wassertropfen bahnten sich einen Weg über meinen Körper und wurden schussendlich von dem Handtuch aufgesogen. Obwohl das Bad geheizt war, fror ich beinahe erbärmlich, aber anstatt mich anzuziehen, rührte ich mich weiterhin nicht vom Fleck, sondern starrte einfach in den Spiegel.
Ich hatte seit langem nicht mehr so fertig ausgesehen, wie ein Geist mit bleicher Haut und zu wenig Blut im Körper. Frauen hatten es in diesem Zustand viel leichter, sie brauchten nur eine Ladung Make-up auf ihre Wangen auftragen und alles mit ein wenig Rouge und Lippenstift vervollständigen – schon waren sie wieder menschentauglich. Oft schafften sie mit Schminke wahre Wunder, wohingegen Männer darauf nicht zurückgreifen konnten, außer wir hatten das Bedürfnis, ausgelacht zu werden. Aber momentan war es mir egal wie ich aussah, würde ich vor morgen Früh ohnehin nicht in die Öffentlichkeit gehen und selbst wenn ich am nächsten Tag weiterhin den Endruck einer Leiche erwecken sollte, war mir das auch nicht wichtig – sollten sich die anderen ruhig darüber amüsieren, an mir würde es wie ein Gummiball abprallen. Ich würde viel zu sehr damit beschäftigt sein, den Schmerz in meinem Inneren unter Kontrolle zu bringen. Mir war bewusst, dass ich mich nicht verkriechen durfte, denn dadurch würde der schwarze Abgrund wieder näher kommen und mich irgendwann unwiderruflich verschlingen. Ich war mir sicher, dass Gibbs nicht gewollt hätte, dass ich mich so gehen ließ. Er hätte verlangt, dass ich mein Leben weiterlebte und glücklich werden sollte, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Glück – ein Wort, das für mich jede Bedeutung verloren hatte.

Mühsam riss ich den Blick vom Spiegel los und zwang mich in die Realität zurück. Es war sinnlos darüber nachzudenken, was in der Zukunft sein würde, jetzt zählte erst einmal, dass ich diese grässlichen Kopfschmerzen los wurde. Durch die Dusche waren sie zwar eine Spur erträglicher geworden, aber dennoch blieb das Pochen beständig. Wenigstens hatten die Schwindelanfälle aufgehört, sodass ich mich halbwegs sicher bewegen konnte, ohne Angst haben zu müssen, die Umgebung würde vor meinen Augen verschwimmen und sich gnadenlos drehen.
Langsam und noch immer ein wenig träge, griff ich nach meiner Zahnbürste und Pasta, um endlich den grauenhaften Geschmack in meinem Mund loszuwerden. Ich putzte gründlich die Zähne – und ließ dabei die Zunge nicht aus – um anschließend aus der Wasserleitung Schluck um Schluck zu trinken. Ich machte mir nicht einmal die Mühe, mir ein Glas zu besorgen, sondern wollte nur den größten Durst stellen, der unersättlich zu sein schien. Das kühle Nass war Balsam für meinen trockenen Hals, welcher nicht länger aus Sandpapier bestand. Als ich das Gefühl hatte, gleich zu platzen, richtete ich mich wieder auf und hoffte, dass mein Magen die Unmengen an Flüssigkeit vertragen würde. Ich wartete eine Minute und als meine Eingeweide nicht protestierten, entspannte ich mich ein wenig. Obwohl ich weiterhin Durst hatte, widerstand ich dem Drang, meinen Kopf erneut unter die Wasserleitung zu halten und zu trinken. Zu viel auf einmal war auch nicht gerade sinnvoll, zumal ich nicht das Bedürfnis verspürte, dass mich Welle um Welle der Übelkeit überrollte und ich doch noch die Toilette benutzen musste. Ich hielt mich zurück und warf stattdessen einen letzten Blick in den Spiegel, nur um festzustellen, dass ich weiterhin wie jemand aussah, der an einer schlimmen Krankheit litt. Aus einem Impuls heraus zeigte ich mir selbst die Zunge, drehte mich um und verließ das Bad. Es war noch immer düster im Flur, aber diesmal schaffte ich es ohne mich an der Wand abzustützen ins Schlafzimmer. Ohne das zerwühlte Bett zu beachten ging ich auf den Schrank zu, öffnete ihn und nahm das erstbeste Kleidungsstück, das ich erreichte, heraus – ein einfaches, schwarzes Kapuzensweatshirt, das ich normalerweise immer zum Joggen trug. Ich zog es mir über den Kopf, entfernte das Handtuch von meiner Hüfte und warf es achtlos zu Boden, anschließend schlüpfte ich in Boxershorts und bequeme Jeans. Mit meinen Händen fuhr ich mir noch durch die nassen Haare und hoffte, dass ich sie ein wenig in Form brachte, anstatt die Frisur zu verschlimmern.
Ohne mir die Mühe zu machen, mir Schuhe anzuziehen, durchquerte ich barfuß den Raum, trat erneut auf den Gang hinaus und strebte der Treppe entgegen. Von unten drang mehr Licht herauf, verdrängte die Dämmrigkeit und ließ mich Einzelheiten erkennen. Stufe für Stufe stieg ich nach unten, eine Hand sicherheitshalber auf dem Geländer, damit ich nicht das Gleichgewicht verlor, falls mich erneut ein Schwindelanfall überkommen sollte.

Ich kam heil unten an, war nicht einmal gestolpert oder sonst falsch aufgetreten und folglich hatte ich mir auch nichts gebrochen. Im Erdgeschoss war alles viel heller und wirkte sogar auf mich ein wenig freundlicher als die erste Etage, es gab keine dunklen Ecken oder Dämmrigkeit, die einem aufs Gemüt drückte. Auch hier unten hatte sich nichts verändert, alles stand an seinem Platz, die große, gemütliche grüne Couch, die dazupassenden Sessel und der Tisch waren so sauber wie eh und je. Der einzige Einrichtungsgegenstand, der nicht von Gibbs ausgesucht worden war, war der Fernseher. Wenn es nach ihm ging, hätte er weiterhin nur den einen im Keller, wo er sich beim Bootbauen berieseln ließ, aber ich hatte so lange auf ihn eingeredet, bis er mir erlaubt hatte, einen zu kaufen und ihn im Wohnzimmer aufzustellen. Da ich in diesem Haus genauso viel Zeit wie in meinem eigenen verbrachte, wollte ich den Fernseher nicht missen und nach einigen Tagen hatte sich Jethro daran gewöhnt. Wir hatten Stunden aneinandergekuschelt verbracht und sich alte aber auch neue Filme angesehen und manchmal anschließend darüber diskutiert. Ab jetzt musste ich wohl oder übel wieder alleine auf dem Sofa sitzen, ohne starke Arme, die mich festhielten und mir ein Gefühl der Geborgenheit vermittelten.
Um nicht länger in den schönen Erinnerungen – die in diesem Moment jedoch schmerzhaft waren – zu schwelgen, durchquerte ich mit großen Schritten das Wohnzimmer und strebte auf die Küche zu. Die Tür war halb geöffnet und ich konnte leises Rascheln hören, so als ob jemand eine Zeitung oder eine andere Zeitschrift umblättern würde. Und da fiel mir wieder ein, dass Ducky ja hier war, um auf mich aufzupassen. Durch die Bilder, die in meinem Kopf aufgestiegen waren, als ich den Fernseher betrachtet hatte, hatte ich das komplett vergessen und geglaubt, alleine in dem Haus zu sein. Ich wusste, er hatte mich ins Bett gesteckt, aber ob ich etwas zu ihm gesagt hatte, davon hatte ich keine Ahnung mehr. In meinem Gehirn waren weiterhin kleine Löcher, durch die die vergangenen Stunden sickerten und die es mir unmöglich machten, mich zu erinnern, worüber wir gesprochen hatten. Ich konnte nur hoffen, dass ich in meinem betrunkenen Zustand nichts Dämliches von mir gegeben hatte. Sollte ich ihn fragen oder lieber schweigen? Wollte ich es überhaupt wissen, wenn ich in ein Fettnäpfchen getreten war?

Mit diesen Fragen beschäftigt, betrat ich die Küche und fand Ducky am Tisch sitzend vor. Vor ihm lag eine Zeitung und er schien einen Artikel intensiv zu lesen. Neben ihm stand eine Tasse, aus der es dampfte und deren Inhalt wahrscheinlich Tee war, von dem ich keine Ahnung, woher er ihn hatte. Soweit ich wusste, bewahrte Gibbs nirgendwo einen auf. Außerdem hatte ich ständig den Eindruck gehabt, er wäre allergisch gegen dieses Getränk, jedenfalls machte er nie Anstalten, auch nur einen Schluck zu probieren. Und da ich zum Frühstück ebenfalls lieber Kaffee zu mir nahm, hatte ich noch nie Tee gebraucht, wenn ich bei Jethro geschlafen hatte. Vielleicht hatte der Pathologe immer ein paar Beutel in seiner Tasche, nur für den Notfall.
Kaum hatte ich einen Fuß in die Küche gesetzt hob er sofort den Kopf und erkannte mich innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Er sah ein wenig müde aus, wirkte aber bei weitem nicht so erschöpft wie ich, außerdem hatte er keine halbe Flasche Bourbon getrunken, die sich mehr als unangenehm bemerkbar machte. „Anthony", begrüßte er mich freundlich und musterte mich besorgt, wohingegen ich bei der Erwähnung meines vollen Namens meine Lippen schürzte. Jedes Mal, wenn ich so angesprochen wurde, nahm ich an, dass ich etwas angestellt hatte. Wollte er mir jetzt die Leviten lesen, weil ich mich vor Stunden derart gehen hatte lassen?
„Wie fühlst du dich?" fragte er entgegen meinen Erwartungen, schlug die Zeitung zu und ließ mich weiterhin nicht aus den Augen. „Als hätte mich jemand mit Genuss durch den Fleischwolf gedreht", antwortete ich mit weiterhin leicht kratziger Stimme. „Das wundert mich keineswegs, bei der Menge, die du getrunken hast. Hast du…?" „Nein, habe ich nicht", unterbrach ich ihn, da ich genau wusste, was er wissen wollte. „Nicht, dass es mein Magen nicht versucht hätte, aber es ist nichts darin, was ich von mir geben hätte können." Ich zuckte mit den Schultern und beobachtete Ducky, wie er die Tasse nahm und einen Schluck trank.
„Willst du auch einen Tee?" fragte er, als er meinen Blick bemerkte. „Nein, danke", erwiderte ich und strebte auf einen Schrank zu, von dem ich wusste, dass er ein paar Medikamente enthielt. „Das Einzige, was ich will, ist ein Aspirin und dazu mindestens einen Liter Wasser. Ich schwöre dir, mein Gehirn ist viel zu groß für meinen Kopf und ich fühle mich, als ob ich seit Tagen am Verdursten wäre." Zielsicher fand ich die Packung, nach der ich gesucht hatte, nahm mir ein Glas, füllte es mit Wasser und warf eine Tablette hinein. Während ich darauf wartete, dass sie sich auflöste, setzte ich mich gegenüber von Ducky an den Tisch, wobei ich mich selbst im Fenster betrachten konnte, das dank des hellen Lichtes in der Küche wie ein Spiegel war. Meine Wangen waren nicht mehr ganz so blass, aber dennoch meilenweit von ihrem Normalzustand entfernt.
„Wie fühlst du dich?" wiederholte der Pathologe seine vorherige Frage und nahm einen weiteren Schluck Tee. Verwirrt runzelte ich die Stirn, da er meine Antwort bereits kannte, aber dann verstand ich, worauf er wirklich hinauswollte. Ich starrte in das Wasser vor meiner Nase und verfolgte, wie sich das Aspirin sprudelnd auflöste, sodass ich endlich etwas davon trinken konnte. „Es tut schrecklich weh", antworte ich schließlich, als ich die Hälfte des Glases geleert hatte und blickte Ducky an, der geduldig darauf gewartet hatte, dass ich mich dazu durchrang, etwas zu sagen. Meine Augen wurden erneut feucht, weshalb ich mir ganz schnell mit dem Handrücken darüber fuhr, ehe sich die Tränen verselbstständigen konnten. „Der Schmerz in meinem Inneren ist größer als der in meinem Kopf und für mich ist auf einmal der Sinn meines Lebens verschwunden. Ich habe keine Ahnung, wie meine Zukunft aussehen soll. Ohne Jethro", fügte ich eine Sekunde später hinzu, leerte das Glas komplett und obwohl ich noch viel mehr Wasser vertragen könnte, blieb ich sitzen, da ich die Befürchtung hatte, meine Knie würden einfach unter mir nachgeben. Hatte ich mir vor kurzem geschworen, stark zu sein, so wollte ich mich erneut verkriechen und alleine sein. Aber das war das Blödeste, was ich machen konnte und ich wusste, Ducky würde nicht eher gehen, bis er sicher war, dass ich halbwegs mit mir selbst zu Recht kam.

„Ich will dich nicht belügen", sagte er vorsichtig und stellte die Tasse mit einem leisen Geräusch auf dem Tisch ab. „Es wird ein harter Weg werden und auch wenn du es mir jetzt vielleicht nicht glaubst, aber es wird besser werden. Je mehr Zeit vergeht, desto leichter wirst du mit dem Schmerz umgehen können. Ich weiß, dass es sich momentan so anfühlt, als würdest du von innen heraus zerrissen, aber das ist nur normal. Ich würde mir eher Sorgen machen, wenn es nicht so wäre." Ducky streckte seinen Arm aus und legte seine rechte Hand auf meine. „Du bist nicht alleine, Tony und das weißt du. Es gibt Menschen, die dir helfen wollen und es auch werden. Vielleicht klingt es ein wenig kitschig, aber zusammen werden wir das schon schaffen." Für ein paar Sekunden breitete sich Schweigen aus und ich hörte nur meinen eigenen Herzschlag. Ich holte tief Luft und nickte leicht, wobei mein Kopf diesmal nicht zu explodieren schien – das Aspirin entfaltete langsam seine Wirkung. „Du hast Recht", erwiderte ich schließlich und seufzte. „Irgendwie muss das Leben weitergehen und die Welt hört sich nicht zu drehen auf, nur weil… weil…" Ich brachte die Worte nicht über die Lippen, aber es war auch so klar, was ich sagen wollte. Der Pathologe tätschelte mir beruhigend meine Hand, zog seine eigene dann aber zurück, legte sie um die Tasse legte und den Tee austrank.
„Wo hast du den überhaupt her?" fragte ich, froh darüber, über etwas anderes als Gibbs sprechen zu können. Es reichte bereits, dass ich nicht aufhören konnte, an ihn zu denken. Ducky schenkte mir ein kleines Lächeln, das ein wenig traurig wirkte. „Ich habe immer einen Vorrat in meiner Tasche. Man weiß nie, wann man das Verlangen auf einen Tee verspürt. Bist du dir sicher, dass du keinen willst?" Ich nickte, obwohl ich mir überhaupt nicht sicher war. Vielleicht wäre es gar keine so schlechte Idee einen zu trinken, aber vorerst wollte ich bei einfachem Wasser bleiben.

Der Ältere stand auf, stellte die leere Tasse in die Spüle und fragte. „Soll ich heute Nacht hier bleiben?" Ich drehte mich um, blickte ihn an und wollte bereits verneinen, als sich mein Kopf anders entschied und aus einem Schütteln ein Nicken wurde. Es war wahrscheinlich gut, wenn ich in dieser Nacht, die garantiert lange werden würde, nicht alleine war und mich die Stille wahnsinnig machen konnte. „Dann werde ich kurz bei mir zu Hause vorbeifahren, meine Mutter bei den Nachbarn unterbringen und ein paar Sachen einpacken. Kann ich dich für etwa eine Stunde alleine lassen?" „Klar. Kein Problem. Und keine Angst, ich werde meine Finger von jedem alkoholischen Getränk lassen. Davon hatte ich wirklich genug." „Verständlich", erwiderte er und nickte. „Ich werde auf dem Weg hierher bei einem Imbiss anhalten und…" „Das ist nett gemeint, Ducky", unterbrach ihn in und schluckte. „Aber ich will nichts essen, schon alleine bei dem Gedanken daran wird mir übel." Ich wusste sofort, was er dachte. Es war offensichtlich, dass seine Sorgen um mich größer wurden, immerhin schlug ich sonst nie ein Gratisessen aus. „Vielleicht morgen, auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich lange Zeit keinen Appetit mehr haben werde. Aber heute bringe ich sicher nichts hinunter." „In Ordnung", gab er nach, obwohl er nicht mit meiner Entscheidung einverstanden war. Aber er konnte mich schlecht zwingen, etwas zu essen, wenn ich nicht wollte.
Ich atmete erleichtert auf und beobachtete, wie er zur Tür ging. „Ducky?" „Ja?" Er drehte sich noch einmal um und blickte mich neugierig an. „Danke. Danke für alles." Auf seinen Lippen breitete sich ein kleines Lächeln aus und er nickte. „Gern geschehen. Ich bin in etwa einer Stunde wieder zurück." „Okay", erwiderte ich leise und sah zu, wie er im Wohnzimmer verschwand und wartete, bis ich hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel.

Stille umfing mich und ich wollte bereits aufstehen, um mir noch Wasser zu holen und mich dann einfach vor den Fernseher lümmeln, als sich unverhofft meine Nackenhärchen aufstellten. Mein Herz fing schneller zu schlagen an und ich hob abrupt meinen Kopf, der dagegen protestierte und mich für die Bewegung mit einem schmerzhaften Pochen bestrafte, aber ich ignorierte es. Ich sah durch das Fenster, konnte aber nichts erkennen, da sich die Küche weiterhin in dem Glas spiegelte. Irgendjemand war da draußen, das spürte ich instinktiv. Ich kniff meine Augen zusammen, versuchte mehr Details zu erfassen, blickte aber nur in mein eigenes Gesicht. Die Sekunden verstrichen und als ich mich entschied, das Licht abzuschalten, um besser in den Garten hinaussehen zu können, verschwand auf ein einmal das Gefühl, beobachtet zu werden. Plötzlich war wieder alles wie immer und obwohl ich meine Reaktion gerne auf meine überstrapazierten Nerven geschoben hätte, sagte mir mein Bauch, dass da jemand gewesen war. Aber wer? Vielleicht Ducky, der ein letztes Mal sicher sein wollte, dass es mir soweit gut ging oder doch ein Fremder? War ein Einbrecher dabei, auszuspionieren, ob es sich lohnte, hier einzudringen?
„Anthony, du wirst noch paranoid", flüsterte ich und schüttelte meinen Kopf. Dennoch… irgendetwas war faul und damit meinte ich nicht nur das Gefühl, beobachtet worden zu sein. Und auf einmal war ich mir nicht mehr sicher, ob Gibbs' Unfall wirklich nur ein Unfall gewesen war. Die Sache stank bis zum Himmel und ich schwor mir, ich würde nicht eher Ruhe geben, bis ich die gesamte Wahrheit erfahren hatte, koste es, was es wolle.

Fortsetzung folgt...
Chapter 10 by Michi
Die Luft war eisig, die Temperaturen lagen unter dem Gefrierpunkt und der leichte Wind ließ sie noch kälter wirken. Jeder, der um diese Uhrzeit im Freien unterwegs war, würde sich dem Wetter entsprechend warm anziehen, um nicht zu erfrieren, allerdings gab es eine Person, die die Kälte begrüßte und sie in sich aufsog wie ein fast Ertrunkener kostbaren Sauerstoff.
Gibbs stand in seinem eigenen Garten, hinter einem großen Baum versteckt, dessen kahle Äste hoch in den dunklen Himmel ragten und wie gespenstische Schatten aussahen. Kleine, weiße Atemwolken stoben vor seinem Mund auf und verschwanden innerhalb von ein paar Sekunden wieder, so als ob sie nie dagewesen wären. Seine Hände waren taub und sie begannen unangenehm zu kribbeln, aber dennoch steckte er sie nicht in die Manteltaschen. Er wollte die Kälte spüren, wollte den Wind spüren, der mit seinen Haaren spielte, seine Wangen rötete und einzelne gefrorene Schneekristalle in sein Gesicht wehte. Er kam sich wie ein Eindringling vor, obwohl es sein Garten war, in dem er sich aufhielt und es sein Haus war, das er beobachtete. Trotzdem fühlte er sich fehl am Platz und mittlerweile erkannte er, dass es ein Fehler gewesen war, hierher zu kommen. Er hätte dem Drang, Tony sehen zu wollen, nicht nachgeben dürfen, aber jetzt war es zu spät, es war für alles zu spät.
Jethro hatte die letzten Stunden bei Darien verbracht und sie hatten vor allem über die Vergangenheit geredet, über ihre gemeinsame Zeit bei den Marines und ihre Erlebnisse danach. Irgendwann hatte er nur mehr automatisch geantwortet, hatte ab und zu genickt, war aber nicht mehr wirklich bei der Sache gewesen. Je mehr Stunden vergangen waren, desto öfter hatte er sich gefragt, wie es seinem Freund ging, was er gerade machte und wie er die Nachricht aufgenommen hatte. Alleine die Vorstellung, dass Anthony wegen ihm weinen würde, hatte ihn innerlich aufschreien lassen, aber er hatte nicht aufhören können, darüber nachzudenken, was er allen mit seinem vorgetäuschten Tod antat. Er wusste nicht genau wann, aber als die Sonne unterzugehen begann, hatte es Klick in seinem Gehirn gemacht und die Entscheidung, sich selbst zu überzeugen, wie es Tony ging, hatte sich in ihm festgesetzt. Dass es ein Fehler war, hatte er bereits da gewusst, aber es war ihm egal gewesen. Es hatte für ihn auch nicht gezählt, dass er sich damit in höchste Lebensgefahr begeben würde, würde Darien herausfinden, wohin er unterwegs war – und sein alter Freund traute ihm immer noch nicht, das hatte er sofort gemerkt. Kaum hatte er die Fabrikhalle verlassen und sich in den Mietwagen gesetzt, hatte er gespürt, dass er verfolgt wurde. Der Fahrer hatte sich nicht gerade geschickt angestellt, weshalb es Gibbs nicht schwer gefallen war, ihn abzuhängen. An einer Kreuzung war er einfach bei gelb abgebogen und hatte somit den anderen zum Anhalten gezwungen, da der Gegenverkehr losgebraust war.
Dennoch war er nicht gleich zu seinem Haus gefahren, sondern zu dem Apartment, das ihm Jenny besorgt hatte und hatte sich von dort ein Taxi gerufen.
Seinen Wagen hatte er stundenlang unbeobachtet gelassen, als er mit Darien geredet hatte und er konnte sich lebhaft vorstellen, dass dieser eine Wanze oder ein anderes kleines Gerät anbringen hatte lassen, damit er mitverfolgen konnte, wo Gibbs unterwegs war. Coolidge brauchte nicht zu wissen, dass Jethro vorhatte, Tony zu besuchen – wenn auch heimlich. Er würde seinen Freund nicht in Gefahr bringen, nur weil er seine Sehnsucht nicht in den Griff bekam. Es war bereits genug, dass Anthony wegen seinem angeblichen Tod litt, da wollte er nicht auch noch Schuld daran sein, wenn diesem etwas passierte.

Gibbs entließ seinen Atem, von dem er nicht einmal mitbekommen hatte, dass er ihn angehalten hatte, aus seiner Lunge und folgte mit den Augen den weißen Wölkchen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem hellerleuchteten Fenster zuwandte, hinter dem er die Küche ausmachen konnte. Er wusste, dass er nicht gesehen werden konnte, da sich das Licht sicher in dem Glas spiegelte und es dadurch undurchschaubar machte, aber dennoch blieb er weiterhin hinter dem dicken Baumstamm versteckt, der ihm einen gewissen Halt vermittelte. Ducky saß mit dem Rücken zu ihm und schien irgendetwas zu lesen, neben sich eine Tasse stehend, von der er ab und zu einen Schluck trank.
Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf seine Lippen, als er sich daran erinnerte, dass der Ältere immer ein paar Teebeutel für den Notfall bei sich hatte. Als er den Pathologen gesehen und erkannt hatte, dass Tony nicht alleine war, dass er die Sache nicht ohne Hilfe durchstehen musste, war er erleichtert gewesen.
Eine Sekunde später jedoch erstarb Gibbs' Lächeln, als er bemerkte, wie eine weitere Person die Küche betrat und bei deren Anblick stockte ihm erneut der Atem. Sein Herz verwandelte sich in einen einzigen, schmerzenden Klumpen und er fühlte sich auf einmal hohl und leer. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er widerstand nur knapp dem Drang, auf den Baum einzuschlagen. Die kalte Luft spielte keine Rolle mehr und er fing an zu zittern, aber nicht von den niedrigen Temperaturen, sondern von dem Anblick der sich ihm bot. Tony stand mitten in der Küche, redete mit Ducky und sah dabei so einsam und verloren aus, dass sich Jethros Innerstes nach außen kehrte. Sein Freund trug einen schwarzen Kapuzensweater, weite Jeans und kam anscheinend frisch aus der Dusche, jedenfalls waren seine Haare nass und standen in alle Richtungen ab - Haare, durch die er so gerne mit seinen Fingern gefahren war und es auch in diesem Moment gerne tun würde. Unglaubliche Sehnsucht stieg in ihm auf und ließ seine Eingeweide in Flammen aufgehen.
Es waren jedoch das weiße Gesicht, die Augenringe und die unendliche Trauer, die Tony ergriffen hatte, die ihn aus der Bahn warf. Jethros Atem ging in keuchenden Stößen und ein riesiger Kloß bildete sich in seinem Hals, sein Herz schmerzte ihn derart, dass er am liebsten laut geschrien hätte. Er hatte gewusst, dass es schlimm für Anthony sein würde, aber so schlimm? Sein Freund sah aus wie ein wandelndes Gespenst, nur mehr ein Abbild seines selbst, nichts war mehr von seiner Unbeschwertheit geblieben. Die Tatsache, dass Anthony so litt, ließ ihn taumeln und er hielt sich unwillkürlich an dem Baumstamm fest. Er lehnte seine Stirn gegen das raue Holz und versuchte die Kontrolle über sich zurückzuerlangen. Was hatte er nur getan? Wieso hatte er sich bloß für das Versprechen entschieden? Wieso hatte ihm Jenny überhaupt gesagt, dass Darien noch am Leben war? Wieso musste das gerade jetzt passieren, wo er so glücklich gewesen war? Seine Zweifel, die er seit gestern Abend mit sich herumschleppte, wurden stärker und er wusste, dass das kein gutes Zeichen war. In diesem Zustand war die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Fehler machte, ziemlich groß und es konnte ihm das Leben kosten – oder noch schlimmer, Tonys Leben gefährden. Aber es gab kein Zurück mehr, er hatte seine Entscheidung getroffen und er musste jetzt mit den Konsequenzen leben. Er wusste, dass für ihn die nächsten Tage die Hölle sein würden und er das Bild seines Freundes, wie er blass und völlig fertig mitten in der Küche stand, lange nicht los werden würde. Vor 24 Stunden war seine Welt noch heil gewesen und er hatte sich auf den Abend mit Anthony gefreut, aber jetzt war alles anders. Er wusste nicht, was er machen sollte, wenn ihm dieser nicht verzeihen würde, wenn er die Wahrheit erfuhr. Wenn es so weit war, musste er über seinen Schatten springen und alles tun, um ihn wieder zurückzubekommen und wenn er dafür das Wort bitte verwenden musste, dann würde er das auch machen. Dennoch, so leicht würde es nicht werden, das spürte er genau und er wünschte sich nichts sehnlicher, als die Zeit zurückdrehen zu können.
Gibbs holte noch ein paar Mal tief Luft, bevor er seine Stirn vom Stamm löste und sich zwang, wieder durch das Fenster in die Küche zu sehen. Tony saß jetzt Ducky gegenüber am Tisch und hielt ein leeres Glas so fest in den Händen, dass er selbst von hier aus die weißen Knöchel sehen konnte. Seine Lippen bewegten sich, als er etwas zu dem Pathologen sagte, das Behältnis losließ und seine Finger von denen des anderen bedeckt wurden. Aber Jethro konzentrierte sich nicht darauf, sondern auf den silbernen Ring, den Anthony jetzt trug und der ihm gehört hatte. Also hatten sie ihn gefunden und jemand hatte dafür gesorgt, dass er dem Mann zurückgebracht worden war, der ihn gekauft hatte. Zu wissen, dass das Kleinod gut aufgehoben war, ließ ihn etwas entspannen, aber trotzdem blieb der Schmerz in ihm bestehen. Er war sich bewusst, dass er ein Versprechen gebrochen hatte - das Versprechen, den Ring niemals abzunehmen, egal was passierte. Falls die ganze Sache gut ausgehen würde, würde er ihn nie wieder weggeben und ihn immer am Finger tragen, so lange, bis er wirklich sterben würde.
Jethro sah dabei zu, wie Ducky aufstand und die Tasse in die Spüle stellte. Gleich darauf drehte sich Tony zu ihm um und die beiden redeten erneut miteinander, was damit endete, dass sein Freund nickte und der Ältere Richtung Tür ging und somit aus Gibbs' Blickfeld verschwand. Für ein paar Sekunden konnte er nur Anthonys Profil erkennen, bis sich dieser wieder dem Fenster zuwandte und eine Bewegung machte, so als ob er sich von dem Stuhl erheben wollte. Aber er hielt plötzlich inne und Jethros Herz setzte einen Schlag aus, ehe es mit doppelter Geschwindigkeit weiterraste. Grüne Augen bohrten sich in seine und obwohl er sich sicher war, dass er nicht entdeckt werden konnte, zuckte er bei dem direkten Blickkontakt heftig zusammen. Das Funkeln, das er so sehr liebte, war verschwunden und hatte Schmerz und Trauer Platz gemacht – Empfindungen, die Gibbs leise aufstöhnen ließen und er sich nur knapp zurückhalten konnte, einfach durch die Hintertür zu stürmen und seinen Freund fest in die Arme zu nehmen, um ihm zu sagen, dass alles gut werden würde und kein Grund bestand, traurig zu sein.
Gibbs schüttelte jedoch den Kopf, unterbrach den Sichtkontakt zu Tony und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baumstamm. Es wurde Zeit von hier zu verschwinden, bevor er noch irgendeine Dummheit anstellte, die alle gefährden würde, aber dennoch fiel es ihm schwer diesen vertrauten Ort zu verlassen, der ihm verriet, was er aufs Spiel setzte und dabei war, zu verlieren.
Er musste jetzt alleine sein, um den Schmerz in seinem Inneren unter Kontrolle zu bringen, bevor er mit einem abhörsicheren Handy, das ihm Jenny gegeben hatte, eben diese anrufen und ihr berichten würde, dass er von Darien aufgenommen worden war. Er war froh, dass es kein persönliches Treffen mit seiner Vorgesetzten geben würde, da sie sicher sofort erkennen würde, was ihm so sehr zu schaffen machte.
Jethro stieß sich von dem Baum ab, durchquerte ohne einen Blick zurückzuwerfen leise den Garten und trat schließlich auf die Straße hinaus. Obwohl er sich ein Taxi rufen hätte können, beschloss er, einen Teil der Strecke zu Fuß zu gehen. Er musste nachdenken und hoffte, die Kälte des Winterabends würde seinen Kopf etwas freier machen. Mit jedem Schritt den er machte, entfernte er sich von seinem Haus, von dem Mann, den er über alles liebte und von seinem alten Leben, von dem er hoffte, es irgendwann einmal wieder zurückzubekommen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 11 by Michi
Washington D.C.
Montag, 27. Januar
06:45 Uhr


Es war nicht einmal sieben Uhr, als ich im Fahrstuhl stand, der mich in Sekundenschnelle in die dritte Etage des Hauptquartiers bringen würde. Mein Rucksack hing auf meiner Schulter, die Waffe war an meiner Hüfte befestigt und in meiner Hand befand sich ein Kaffeebecher, dessen Inhalt wunderbar warm war. Man hätte meinen können, ich würde mich auf den Weg machen, einen normalen Arbeitstag zu beginnen, aber nichts würde mehr normal sein – jedenfalls in den nächsten Wochen.
Es war seltsam, dass ich alleine in der kleinen Kabine stand und nicht Gibbs neben mir war, so wie es fast jeden Morgen in den letzten sieben Monaten der Fall gewesen waren. Selten hatten wir Nächte getrennt verbracht, nämlich nur, wenn wir das Gefühl gehabt hatten, wir würden uns gegenseitig einengen - das würde in Zukunft wohl nicht mehr passieren.
Ich seufzte leise und fuhr mir mit einer Hand über die Augen, versuchte die Müdigkeit zu unterdrücken, die mich erneut zu überkommen drohte. Wie ich es vorausgesagt hatte, hatte ich keine Sekunde geschlafen und die Minuten waren so zäh dahingeflossen wie geschmolzener Gummi. Ich hatte nicht einmal einen Fuß in das Schlafzimmer gesetzt, sondern hatte mich einfach auf die Couch vor dem Fernseher fallen lassen, hatte diesen eingeschaltet und mich berieseln lassen, während mein Blick eher auf das Fenster als auf den Bildschirm gerichtet gewesen war. Ducky hatte sich um diese Uhrzeit schon ins Gästezimmer zurückgezogen und ich hätte ihn schlecht zwingen können, ebenfalls aufzubleiben. Allerdings hatte er mir sofort klar gemacht, dass ich zu ihm kommen sollte, wenn ich etwas brauchte. Aber das Einzige, was ich brauchte, war nicht erreichbar und würde auch nie wieder erreichbar sein.
Es war eine Ironie des Schicksals, dass Gibbs bei einem Unfall gestorben sein sollte. Obwohl er einen schrecklichen Fahrstil hatte, so war der Wagen immer heil geblieben, außer er war von Kugeln durchsiebt worden, aber sonst hatte er nie einen Kratzer abbekommen. Mein Instinkt sagte mir, dass etwas faul war und es war diese Tatsache, die mich letzte Nacht beschäftigt und mich heute ins Büro getrieben hatte. Jethro baute nicht so ohne weiteres Unfälle, egal wie schlimm die Straßenverhältnisse waren. Da steckte definitiv etwas anderes dahinter und ich würde nicht eher Ruhe geben, bevor ich nicht herausgefunden hatte, was los war. Immerhin hatte er sich im Laufe seiner Karriere als NCIS Agent viele Feinde gemacht und es gab viele, die ihn tot sehen wollten. Oder hatte jemand das ganze Team im Visier – so nach dem Motto: einer nach dem anderen?
Ich hatte das Gefühl, beobachtet worden zu sein, nicht vergessen, aber leider hatte ich keine Spuren mehr im Garten gefunden, da es in der Nacht erneut heftig geschneit und sich eine neue, zehn Zentimeter dicke Schneedecke gebildet hatte. Außerdem war es auch am Morgen finster gewesen und eine Taschenlampe hatte ebenso wenig geholfen. Jetzt könnte ich mir selbst in den Hintern treten, dass ich nicht sofort nachgesehen hatte, stattdessen hatte ich mich vor den Fernseher gelümmelt, damit meine Gedanken nicht ständig bei Gibbs waren. Aber es war nun einmal nicht mehr zu ändern und das musste ich akzeptieren.

Ducky war nicht gerade begeistert gewesen, als ich ihm an Morgen gesagt hatte, ich würde ins Büro fahren. Ihm war sofort klar gewesen, dass ich nicht geschlafen hatte und er hatte mich zu überreden versucht, mich wenigstens für eine Stunde ins Bett zu legen. Aber stur wie ich nun einmal war, hatte ich seine Tirade über mich ergehen lassen, während ich eine Tasse starken Kaffees getrunken hatte, in der Hoffnung, dass dieser meine Erschöpfung ein wenig lindern würde, aber er hatte nicht geholfen. Obwohl ich mich nur allzu gerne in ein weiches Bett gelegt hätte, wusste ich doch, dass ich keinen Schlaf finden würde, zu viel ging mir durch den Kopf.
Ich hatte Ducky von meinem Verdacht, dass Gibbs' Unfall vielleicht kein Unfall gewesen war, nichts erzählt – einerseits aus dem Grund, dass sich meine Vermutung selbst für meine Ohren ein wenig lächerlich anhörte und andererseits hatte ich auf einen neuerlichen Vortrag des Pathologen gut verzichten können. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass er mir weismachen hätte wollen, dass ich einfach nicht akzeptieren konnte, dass ein Mann wie Jethro bei etwas so simplem wie einem Autounfall gestorben war. Nun, ich konnte und wollte es auch nicht akzeptieren, jedenfalls so lange nicht, bis ich mich selbst vom Gegenteil überzeugt hatte – deswegen war ich auch ins Hauptquartier gefahren und zudem wegen der Tatsache, dass mir die Decke von Gibbs' Haus auf den Kopf gefallen wäre, wäre ich noch länger dort geblieben. Ich musste einfach etwas unternehmen, musste mich von dem Schmerz ablenken, der weiterhin in meinem Inneren tobte und mein ständiger Begleiter war. Wenigstens hatte ich nicht mehr das ständige Bedürfnis in Tränen auszubrechen, wenn ich an Jethro dachte. Ich vermisste ihn schrecklich und ich wusste, es würde niemanden geben, mit dem ich jemals wieder so glücklich werden konnte, aber das Leben musste irgendwie weitergehen – eine Erkenntnis, zu der ich in der unendlich langen Nacht gekommen war.
Außerdem war ich Bundesagent und es gab Menschen, die mich brauchten, genauso wie ich sie brauchte. Ich würde mit Händen und Füßen darum kämpfen, dass mir die Leitung des Teams übertragen wurde, immerhin hatte mich Gibbs jahrelang dazu ausgebildet und ich wusste, dass ich es durchaus schaffen konnte, Teamleiter zu sein, auch wenn ich Angst hatte zu versagen. Aber ich würde nicht zulassen, dass wir einfach einen neuen Vorgesetzten vor die Nase gesetzt bekommen würden, den wir wahrscheinlich nicht akzeptieren würden. Ich war bereit, diese Verantwortung zu übernehmen, auch wenn ich lieber unter anderen Umständen mein eigenes Team erhalten hätte, aber das Schicksal nahm oft einen Weg, den man nicht voraussehen konnte.

Das leise Pling des Fahrstuhls riss mich aus meinen Gedanken und die Türen glitten fast lautlos auf, um mich in ein Großraumbüro zu entlassen, das für mich an diesem Morgen sowohl vertraut als auch fremd war. Draußen herrschte noch immer Dunkelheit, die jedoch in einer halben Stunde verschwunden sein würde. Das Büro wurde nur von Lampen erhellt und trotz der künstlichen Beleuchtung war es ein wenig dämmrig. Da es fast sieben Uhr war, waren bereits viele Agenten anwesend, saßen an ihren Schreibtischen, erledigten liegengebliebene Berichte oder telefonierten. Es ging hektisch zu, Frauen und Männer redeten miteinander, liefen umher und wünschten einander einen guten Morgen. Es hätte ein normaler Montagmorgen sein können, aber nichts war mehr normal. Die Arbeit ging weiter, aber es herrschte eine gedrückte Stimmung und als ich dem ersten Agent vor dem Aufzug begegnete, wusste ich sofort warum. Die Nachricht von Gibbs' tödlichem Unfall hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Der Blick des Mannes ruhte länger als notwendig auf mir und er machte seinen Mund auf, so als ob er etwas sagen wollte, entschied sich aber schließlich dagegen und machte den Eindruck, nicht die richtigen Worte zu finden. Ich kannte den Agent nicht persönlich, wusste nicht einmal seinen Namen, aber sein Gesicht kannte ich. Ein paar Mal hatte ich ihn schon herumlaufen sehen, hatte aber nie mit ihm geredet.
Unwillkürlich umfasste ich den Becher in meiner Hand so fest, dass ich ihn beinahe zerquetscht hätte. Ohne den anderen noch einmal anzusehen, ging ich weiter, ignorierte so gut es ging die teils ungläubigen und teils mitleidigen Blicke, die mir zugeworfen worden. Ich hörte Geflüster, aber auch das ließ mich kalt, sollten sie ruhig hinter meinem Rücken darüber reden, dass ich meinen Freund verloren hatte, meinen Boss, meinen Mentor. Gibbs war ein geachteter Agent gewesen und ich wusste, nicht nur für mich war es leicht, mit dem Verlust fertig zu werden, aber niemand hatte ihn so geliebt wie ich und es gerade das, worum sich die Gespräche drehten. Die Beziehung zwischen mir und Jethro war kein Geheimnis und sie hatte nicht allen gefallen, aber man konnte nicht leugnen, dass viele ein wenig erleichtert gewesen waren, dass mein Freund nicht mehr so oft schlecht gelaunt gewesen war und er öfters ein Lächeln auf seinen Lippen gehabt hatte.
Ich eilte an einem Trio aus weiblichen Agents vorbei, die mich geschockt musterten, ließ meinen Rucksack auf den Boden fallen, setzte mich auf meinen Stuhl und legte die Füße auf den Schreibtisch – eine Angewohnheit, die Gibbs gar nicht gemocht und die mir meistens eine Kopfnuss eingebracht hatte. Aber diesmal kam er nicht um die Ecke geschossen, um mich zu schlagen – ab heute war es wohl meine Aufgabe, Kopfnüsse zu verteilen, auch wenn ich nicht sonderlich Lust dazu verspürte.
Traurig blickte ich zu dem Schreibtisch schräg gegenüber und trank langsam meinen Kaffee, der Zweite innerhalb einer Stunde. Aber auch dieser half nicht, dass ich aus meiner Erschöpfung gerissen wurde, so als ob mein Körper plötzlich eine Resistenz gegen Koffein entwickelt hätte.
Es war schon seltsam, niemanden an dem Tisch sitzen zu sehen, kein Gibbs, der irgendwelche Berichte gegenlas oder etwas in die Tastatur tippte, nur um gleich darauf seine Stirn zu runzeln, weil er mit dem neumodischen Kram nicht zu Recht kam. Ich liebte diesen Gesichtsausdruck über alles – ein Mischung aus Verzweiflung und Wut, der seine blauen Augen in ein Funkenmeer aufgehen ließ. Aber er hatte nie die Kontrolle über sich verloren und auf den Bildschirm eingeschlagen, so wie es Ziva immer machte, wenn sie Probleme mit ihrem Computer hatte.
Ein kleines Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als ich Jethro unwillkürlich vor mir sah, seinen Kopf weit weg von der Akte, die er las und seine Augen zusammengekniffen. Ich hatte ihm einmal gesagt, er solle eine Brille tragen, aber er war einfach zu eitel gewesen, um sich einzugestehen, dass er eine brauchte. Ein einziges Mal hatte ich ihn deswegen aufgezogen und mich gewundert, warum er es so gelassen aufnahm, nicht einmal eine Kopfnuss hatte er mir verpasst. Allerdings hatte ich Stunden später den Grund erfahren - er hatte andere Methoden, um mir beizubringen, wann ich besser den Mund halten sollte. In dieser Nacht hatte ich insgesamt nur drei Stunden Schlaf bekommen und ich hatte in den nächsten Tagen Probleme mit dem Sitzen gehabt, was Ziva natürlich zu einem entsprechenden Kommentar veranlasst hatte, ob ich ein ungezogener Junge gewesen war. Zu meiner eigenen Verblüffung hatte ich sie in dem Glauben gelassen, Gibbs hätte mir den Hintern versohlt, anstatt ihr zu sagen, dass er insgesamt drei Mal mit mir geschlafen hatte und dabei die gesamte Zeit über der Dominante gewesen war. Obwohl ich nicht leugnen hatte können, dass mir seine etwas harte Art durchaus gefallen hatte, hatte ich seit jener Nacht kein einziges Mal mehr einen dummen Spruch über seine schwindende Sehkraft und der Verwendung einer Brille gemacht – ich hatte meine Lektion gelernt. Ich konnte froh sein, dass es das einzige Mal war, dass er mir auf diese Art Manieren beigebracht hatte, sonst hätte ich öfters als einmal nicht sehr bequem sitzen können.

„Tony?" Bei der Erwähnung meines Namens zuckte ich zusammen, mir fiel beinahe der Kaffeebecher in meinen Schoß und für einen kurzen Moment wusste ich nicht mehr, wo ich war, zu sehr war ich in die Erinnerungen vertieft gewesen, vor denen ich eigentlich geflohen war. Obwohl sie schmerzten und mir zeigten, was ich verloren hatte, waren sie dennoch schön und ein Teil von mir. Vielleicht würde ich es irgendwann einmal schaffen, an Gibbs zu denken, ohne das Bedürfnis zu haben, vor Trauer laut zu schreien.
Ich riss meinen Blick von seinem Schreibtisch los und drehte meinen Kopf, nur um Ziva vor mir stehen zu sehen, ihre Stirn in Falten gelegt und mich ungewohnt besorgt musternd. „Hey", begrüßte ich sie leise, trank meinen Kaffee aus und anstatt den Becher im Mülleimer zu entsorgen, stellte ich ihn auf meinen Tisch – immerhin gab es jetzt keinen mehr, der mich rügen würde, wenn ich ein wenig chaotisch war.
„Was machst du hier?" fragte meine Kollegin und nahm die wollene Mütze von ihrem Kopf und zerzauste damit ein wenig ihre Haare. „Ich arbeite hier, schon vergessen?" erwiderte ich in meiner üblichen Art, jedoch mit einem ernsten Ton in der Stimme. „Es ist Montag, was bedeutet, dass eine neue Woche angefangen hat und meines Wissens startet der Dienst um sieben Uhr. Die Verbrecher schlafen nicht und es muss schließlich jemanden geben, der sie fängt und ins Gefängnis steckt." Ich war unbeabsichtigt lauter geworden und ich wusste, dass es falsch war. Ziva verzog ihr Gesicht und schürzte ihre Lippen. „Entschuldige", murmelte ich gleich darauf, da sie ja nur sicher gehen wollte, dass es mir gut ging. „Ich bin heute einfach nicht ich selbst." Müde fuhr ich mir mit einer Hand über mein Gesicht und atmete tief durch. Die Nachwirkungen meines Bourbon-Exzesses waren zwar schon lange verschwunden, aber ich fühlte mich auf einmal, als ob ich erneut einen Kater hätte. Mein Kopf war schwer, brummte leicht und ich hatte das Gefühl, in meinem Körper wäre keine Kraft zurückgeblieben.
„Das kann ich verstehen", erwiderte sie, was ihre Art war mir zu sagen, dass sie meine Entschuldigung angenommen hatte. Sie ließ ihren Rucksack vor ihrem Platz auf den Boden fallen, zog ihren Mantel aus, warf ihn achtlos über ihren Stuhl und kam zu mir herüber. Sie schob meine Beine zur Seite und setzte sich auf den Schreibtisch. „Wir haben uns Sorgen um dich gemacht, als du so urplötzlich von hier verschwunden bist. Ich war nicht die Einzige, die gedacht hat, dass du dir vielleicht etwas antun könntest." Unwillkürlich zog ich meine Augenbrauen in die Höhe und musterte die Frau vor mir. Normalerweise zeigte sie nie offen, was sie dachte oder fühlte, aber diesmal konnte ich in ihrem Gesicht wie in einem Buch lesen.
„Mir etwas antun?" wiederholte ich leise ihre Worte. „Daran habe ich nicht eine Sekunde lang gedacht. Es wäre…" Ich unterbrach mich, räusperte mich kurz und setzte mich ein wenig aufrechter hin. „Das wäre nicht richtig gewesen. Aber ich habe mich mit Jethros Bourbon so betrunken, dass ich nicht einmal mehr gerade stehen konnte. Es hat aber nicht wirklich geholfen, den Schmerz zu betäuben." Etwas verlegen spielte ich mit meinen Fingern und wunderte mich selbst, dass ich mit Ziva über meine Gefühle redete. Nichts war mehr von unseren Streitigkeiten geblieben und ich hatte nicht einmal eine Ahnung gehabt, dass sie einen derart mitfühlenden Blick in petto hatte. Die knallharte Ex-Mossad Agentin war verschwunden und hatte einer Frau Platz gemacht, die ich auf einmal mit ganz anderen Augen sah. „Ich schätze, ich kann von Glück reden, dass Ducky nach mir gesehen hat, sonst wäre ich wohl nicht mehr aus dem Keller hinausgekommen." Ich riss meinen Blick von Ziva los und starrte erneut den leeren Schreibtisch schräg gegenüber an. Würde ich es je schaffen, dort als Teamleiter zu sitzen und dabei nicht an den Mann denken, der vor mir dort seinen Platz gehabt hatte?
„Wieso hast du dir nicht frei genommen?" wollte die Israelin wissen und lehnte sich zur Seite, sodass sie mir den Blick versperrte. Ich hatte eher darauf gewartet, dass sie mich deswegen aufziehen würde, dass ich mich betrunken hatte. Normalerweise hätte sie sofort darauf herumgeritten, aber keine Spur von blöden Sprüchen oder Scherzen. „Niemand verlangt von dir, heute schon hier zu sein."
„Ich weiß", erwiderte ich und zuckte mit den Schultern. „Aber mir ist einfach die Decke auf den Kopf gefallen. Die Stille hätte mich fertig gemacht, Ziva. Alles erinnert mich nur an Jethro, egal ob ich bei mir zu Hause bin oder bei ihm. Er fehlt mir so schrecklich und egal wo ich bin, ich denke nur an ihn. Es ist wie ein Teufelskreis, aus dem ich nicht hinaus kann." Den wirklichen Grund, warum ich hier war, sagte ich ihr nicht – jedenfalls noch nicht. Vorher musste ich mit Abby reden, ob sie gewillt war, mir zu helfen.
„Du bist nicht der Einzige, dem Gibbs fehlt", erwiderte meine Kollegin und tätschelte meinen Unterschenkel. „Und ich kann verstehen, wie schwer das für dich ist, aber hier erinnert dich doch auch nur alles an ihn. Außerdem siehst du aus, als ob du nicht sehr viel geschlafen hättest. Hast du überhaupt geschlafen?" Ich schüttelte den Kopf. „Nein, habe ich nicht", unterstrich ich die Geste mit Worten. „Ich habe kein Auge zubekommen." „Du siehst schrecklich aus." „Na, vielen Dank. Das ist genau das, was ich jetzt hören will", erwiderte ich trocken und nahm meine Füße vom Tisch. Ich hatte nicht einmal gemerkt, dass sich das Großraumbüro immer mehr gefüllt hatte und es noch hektischer zuging. Draußen wurde es ein wenig heller, der Himmel verwandelte sich in ein Grau. Der Alltag ging weiter, ungeachtet dessen, dass einer der besten Agenten des NCIS gestorben war. Es war nun einmal nicht zu ändern und die verschiedenen Ermittlungen konnten deswegen nicht eingestellt werden.
Ich stand auf und streckte mich, sodass meine Gelenk knackten, gähnte ausgiebig und umrundete meinen Schreibtisch. „Wo willst du hin?" fragte Ziva und sah mich mit gerunzelter Stirn an. „Zu Abby", erwiderte ich, blieb aber noch einmal stehen. „Wenn ich zurück bin, will ich mit dir und McGee reden, es ist wahrscheinlich wichtig." „Wahrscheinlich?" „So genau kann ich es noch nicht sagen. Es ist nur so ein Gefühl." Ich drehte mich um und stieß beinahe mit Tim zusammen, der mich überrascht musterte. „Tony, was machst du denn hier?" fragte er verblüfft und klang dabei nicht wie Bambino, seine Schüchternheit schien verflogen. Sein Gesicht hatte nicht die gesunde Farbe wie sonst und seine Kleidung war ein wenig zerknittert.
„Ich arbeite hier und ja ich weiß, dass ich heute nicht hier sein müsste und ja ich weiß, dass ich schrecklich aussehe. Und bevor du fragst, ich gehe zu Abby." Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen, umrundete ihn, schalt ihn nicht einmal dafür, dass er sich genau in meinen Weg gestellt hatte und wir somit beinahe zusammengeprallt wären und eilte auf den Fahrstuhl zu. Es wurde Zeit, dass ich endlich meinem Instinkt nachging, der mich bisher noch nie im Stich gelassen hatte.

Keine Musik - das war das Erste, was mir auffiel, als ich aus dem Aufzug trat. Normalerweise hörte man bereits auf dem Gang den Krach, den Abby als Song bezeichnete und von dem man größtenteils nicht einmal den Text verstand. In diesem Moment jedoch wünschte ich mir, ich würde auch nur einen Ton hören, anstatt diese Stille, die so ungewöhnlich war. Dass keine Musik lief, war kein gutes Zeichen und zeugte davon, dass sie am Boden zerstört war. Gibbs war für sie wie ein Vater gewesen, die beiden hatte etwas Tiefes verbunden und im Gegensatz zu seinen Agenten hatte er der jungen Frau nie böse sein können, egal was sie gesagt oder getan hatte. Ihre fröhliche Art hatte jeden sofort für sich eingenommen und noch die dunkelste Wolke am Horizont vertrieben.
Die gesamte Situation erinnerte mich an Kates Tod, auch damals war es hier unten ruhig und draußen stockdunkel gewesen – nur der Regen fehlte heute. Innerhalb von nicht einmal eineinhalb Jahren zwei Menschen zu verlieren, denen man nahe gestanden hatte, war hart und ich hatte keine Ahnung, wie ich das, und vor allem wie es Abby verkraften sollte. Ich hatte Kate zwar nicht so wie Gibbs geliebt, aber sie war für mich wie eine Schwester gewesen. Die Streitereien zwischen uns hatten gezeigt, dass wir durch ein festes Band verbunden gewesen waren, von dem ich gedacht hätte, es würde ewig bestehen. Aber dann wurde sie von einer Sekunde auf die andere aus dem Leben gerissen, durch eine einzelne Kugel in ihr Gehirn. Noch heute spürte ich ab und zu ihr warmes Blut auf meinem Gesicht, die roten Spritzer, die mir mit aller Deutlichkeit klar gemacht hatten, was ich auf dem Dach verloren hatte.
Kate… ich hatte mich oft gefragt, wie sie wohl reagiert hätte, wenn sie erfahren hätte, dass Jethro und ich ein Paar waren. Wahrscheinlich hätte sie es zu allererst für einen Scherz gehalten, mich ungläubig angesehen, sich aber schlussendlich für uns gefreut. Und so wie ich ihr Wesen einschätzte, hätte sie mir sicher gesagt, wenn Gibbs mir je wehtun sollte, dann würde sie ihm höchstpersönlich den Hals umdrehen. Mit seinem Tod tat er mir unglaublich weh, aber von der jungen Frau konnte er wohl nicht mehr bestraft werden.
Ich schüttelte meinen Kopf – jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um an Kate zu denken, wurde dadurch meine Trauer nur noch stärker. Mit großen Schritten betrat ich das Labor, wo eine ungewohnte Dämmrigkeit herrschte. Abbys Computer war ausgeschaltet, ihre Babys, wie sie ihre Maschinen immer nannte, gaben keinen Ton von sich und auch sonst rührte sich nichts. Durch die Fenster fiel ein wenig Licht, aber es half auch nicht wirklich, den großen Raum zu erhellen. Ich blieb stehen und sah mich um, von der jungen Goth war zwar keine Spur zu sehen, aber ich spürte ihre Anwesenheit. Ich wusste, dass sie hier irgendwo war.
„Abby?!" rief ich, blickte unter jeden Tisch und in jede Ecke, bevor ich auf die automatische Glastür zu ging, die sich leise zischend öffnete und mich in den hinteren Teil des Labors einließ – ich entdeckte sie sofort. Auch hier war kein Geräusch zu hören, kein Licht brannte, aber dennoch konnte ich ihre Silhouette ausmachen. Sie kauerte auf dem Boden, den Rücken an die Mauer gelehnt, ihre Arme um ihre Knie geschlungen und dazwischen Bert, ihr Stoffnilpferd. Aus ihren Rattenschwänzen hatten sich Haarsträhnen gelöst, die ihr wirr ins Gesicht hingen und ihre Wangen noch blasser erscheinen ließen. Sie trug kein Make-up und ihre Augen waren rot und leicht geschwollen. Wie sie so in der Ecke saß, sah sie schrecklich einsam, zerbrechlich und wie ein kleines, hilfloses Mädchen aus. Nirgendwo war eine Spur ihrer sonstigen Fröhlichkeit, mit der sie jeden ansteckte. Für einen kurzen Moment war meine eigene Trauer vergessen und ich wollte nur noch Abby trösten, wollte sie in den Arm nehmen und ihr sagen, dass alles gut werden würde – obwohl ich nicht einmal selbst daran glaubte.
Die Forensikerin hatte bei meinem Eintreten sofort den Kopf gehoben und blickte mich aus ihren großen grünen Augen, die glasig wirkten, an. Als Kate gestorben war, war sie an ihrem Schreibtisch gesessen und hatte aus einem mir unerfindlichen Grund gelacht, während sie sich ihre Zöpfe neu gebunden hatte. Aber heute war keine Spur von einem Lachen zu sehen, nicht einmal ihre Mundwinkel hatte sie nach oben gezogen. Nach mir musste sie der Verlust ihres silberhaarigen Fuchses am meisten getroffen haben.
„Hey, Tony", sagte sie mit schwacher Stimme und stand auf, wobei sie Bert fester umfasste und ihm dadurch ein Pupsgeräusch entlockte. Normalerweise fand ich das mehr als witzig, aber heute nahm ich es fast nicht wahr. „Wie geht es dir?" wollte sie wissen und schloss mich in ihre Arme, wobei sie das Stofftier an meinen Rücken presste. Ich schloss meine Augen, erwiderte die Umarmung und sog ihren Duft in meine Lungen, so als ob er überlebenswichtig wäre. „Es ging mir schon einmal besser", antwortete ich schließlich und strich Abby durch ihre Haare, wodurch sich noch mehr Strähnen aus ihren Zöpfen lösten. „Aber ich komme irgendwie zu Recht. Ducky hat heute Nacht auf mich aufgepasst." Sie legte ihren Kopf an meine Schultern und ich spürte, wie mein Hemd an dieser Stelle feucht wurde. „Es ist gut, dass du nicht alleine warst", flüsterte sie und drückte mich fester an sich. Gleich darauf wurde ihr zierlicher Körper von einem heftigen Schluchzer geschüttelt. „Das ist nicht fair. Wieso Gibbs? Wieso ausgerechnet Gibbs? Ich… ich kann nicht glauben, dass er nie wieder durch diese Tür kommen wird, um mir einen CafPow zu bringen oder mich anzutreiben, ihm endlich die gewünschten Ergebnisse zu geben. Wer wird mich denn in Zukunft herumscheuchen?" Ihre Finger krallten sich in mein Hemd und ich streichelte ihr weiter beruhigend über die Haare.
„Ich kann das übernehmen, wenn du willst", erwiderte ich leise und mit vollem Ernst. „Ich bin mir sicher, ich bin gut im Leute herumscheuchen." Abbys Schluchzen ging in ein kurzes Lachen über, das für mich das schönste Geschenk war. Langsam löste sie sich aus meiner Umarmung und betrachtete mich mit schief gelegtem Kopf. „Du wirst nicht zulassen, dass wir einen Unbekannten als neuen Boss bekommen, oder?" „Nein, werde ich nicht. Ich werde alles unternehmen, dass mir die Leitung des Teams übertragen wird, Abbs. Und dann kannst du mich Bossman nennen, wenn du möchtest." Sie schniefte kurz und wischte sich mit den Händen über ihre Wangen, während mir meinerseits die Tränen kamen, die ich seit gestern Abend zurückgehalten hatte.
„Es tut mir leid, dass ich damit angefangen habe", entschuldigte sie sich, stellte Bert auf einem Tisch ab, zauberte aus dem Nichts ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. „Dabei kann ich mir vorstellen, dass dir gerade andere Sachen durch den Kopf gehen als die Leitung des Teams." „Ist schon in Ordnung", erwiderte ich und blinzelte heftig, aber sie hatte längst gemerkt, dass meine Augen verräterisch feucht waren. Ich atmete tief durch und steckte meine Hände in die Hosentaschen, um zu verbergen, dass sie zu zittern anfingen. „Ich habe mich noch nie so alleine gefühlt", platzte es gegen meinen Willen aus mir heraus und ich lehnte mich gegen einen Tisch, um ein wenig Halt zu finden. „Du bist aber nicht alleine, Tony", sagte Abby mitfühlend und legte mir eine Hand auf meinen rechten Unterarm. „Ich weiß, aber dennoch ist um mich herum eine große Einsamkeit. Jethro war mein Leben. Und ich habe keine Ahnung, wie ich es ohne ihn schaffen soll. Ich kann nicht einmal schlafen oder irgendetwas essen. Es ist so, als ob alles seine Bedeutung verloren hätte." Ich blinzelte erneut heftig, fuhr mir über meine Augen, bevor ich ein kleines Lächeln aufsetzte. Abby stellte sich ein wenig auf ihre Zehenspitzen und gab mir einen kleinen Kuss auf meine linke Wange. „Wir werden das sicher schaffen. Du bist nicht alleine, vergiss das nie." Ihre Zuversicht war unglaublich und ich konnte nicht anders, als zu nicken. Wie schaffte sie es bloß, jemanden aufzuheitern, obwohl es ihr selbst nicht gut ging?
„Willst du einen Schokoriegel?" fragte sie unverhofft, nahm meine Hand und zerrte mich in den anderen Raum hinüber, noch bevor ich ihr antworten konnte. Sie öffnete den Kühlschrank mit der Glastür und holte einen großen Riegel hervor, den sie mir in die Finger drückte. „Aber ich…" begann ich, wurde aber unterbrochen. „Du musst etwas essen, Tony", sagte sie ernst und hob dabei einen Zeigefinger. „Auch wenn du keinen Hunger verspürst, dein Körper braucht Nahrung und Zucker ist immer gut. Und jetzt iss." Zweifelnd betrachtete ich die Süßigkeit und obwohl sich in mir alles sträubte, auch nur einen Bissen zu mir zu nehmen, öffnete ich zögernd das Papier, holte tief Luft, steckte mir den Riegel in den Mund und biss ein großes Stück ab. Herrlicher Schokoladengeschmack überflutete meine Sinne und mein Magen reagierte darauf mit einem lauten Knurren. War mir vorher übel geworden, wenn ich auch nur daran gedacht hatte, etwas zu essen, wurde mir jetzt auf einmal bewusst, dass mir übel gewesen war, weil ich so lange nichts mehr zu mir genommen hatte. Ich konnte nur mit Mühe ein genießerisches Seufzen unterdrücken und kaufte eifrig weiter. Abby hob wissend ihre Augenbrauen und auf ihren Lippen erschien ein kleines Lächeln, das die Welt gleich um einiges freundlicher erschienen ließ.
„Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?" fragte sie, ging zu ihrem Computer und schaltete ihn ein. „Keine Ahnung", erwiderte ich mit vollem Mund und folgte ihr. „Samstagabend, glaube ich." Ich lehnte mich gegen ihren Schreibtisch und sah dabei zu, wie der Bildschirm zum Leben erwachte und das Labor erhellte. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich den Riegel verschlungen und ignorierte das protestierende Knurren meines Magens, der nach mehr Nahrung verlangte. Ich schmiss den Verpackung gekonnt in einen Mülleimer und wandte mich erneut Abby zu – es wurde Zeit, dass ich zu dem Thema kam, warum ich überhaupt heruntergekommen war.
„Ich brauche deine Hilfe", begann ich und hatte sofort ihre Aufmerksamkeit auf mich gezogen. „Worum geht es?" „Kannst du für mich ein Auto untersuchen? Es ist…" Ich räusperte mich und zupfte ein wenig an meiner Hose herum. „Ich möchte, dass du dir die Überreste von Gibbs' Wagen kommen lässt und ihn auf verdächtige Spuren untersuchst." Abby starrte mich mit großen Augen an und für ein paar Sekunden breitete sich Schweigen aus. Schließlich dämmerte es ihr, was ich mit dieser Aktion bezweckte. „Du glaubst, dass es kein Unfall war, oder?" Ihre Stimme klang ungläubig und sie umklammerte meinen Unterarm. „Ich glaube keine Sekunde daran", antwortete ich ihr und seufzte. „Jethro hat zwar…" Ich unterbrach mich und korrigierte mich ganz schnell. „Jethro hatte zwar einen schrecklichen Fahrstil, aber hast du in all den Jahren je erlebt, dass er einen Unfall gebaut hat? Selbst bei schlechten Straßenverhältnissen? Er beherrschte das Autofahren so gut wie du die Forensik." „Du meinst, er wurde ermordet?" Das letzte Wort kam schwer über ihre Lippen und es versetzte mir einen Stich. „Ja, genau das denke ich. Ich habe keine Ahnung, wie weit die in Norfolk den Wagen schon untersucht haben und zu welchem Ergebnis sie gekommen sind, aber ich will, dass du ihn dir Millimeter für Millimeter vornimmst. Irgendetwas ist faul an der ganzen Sache und ich will herausfinden, was."
„Wow", entfuhr es ihr und sie sah mich beinahe ehrfürchtig an. „Das Herumscheuchen hast du bereits drauf, Tony", fügte sie hinzu und verpasste mir einen leichten Faustschlag auf meinen Oberarm. „Jetzt fehlt nur noch ein CafPow für mich und dass du mich niederstarrst. Vielleicht solltest du dir Haare grau färben und blaue Kontaktlinsen zulegen und es wäre perfekt." Ich konnte nicht anders als zu lachen - es war ein ehrliches Lachen, keine Spur erzwungen und ich fühlte mich auf unerklärlicherweise ein wenig besser.
„Heißt das, du hilfst mir?" fragte ich sicherheitshalber nach. „Natürlich helfe ich dir. Wenn jemand meinen Bossman wirklich ermordet hat, dann will ich das wissen und dann hoffe ich, dass du keine Gnade walten lässt. Ich verspreche dir, sollte an seinem Wagen auch nur die kleinste Kleinigkeit nicht stimmen, dann werde ich das finden. Ich werde mir das Auto sofort herkommen lassen." „Danke, Abbs", sagte ich und drückte ihr meinerseits einen Kuss auf ihre Wange. „Nein, ich danke dir, Tony. Jetzt habe ich wenigstens eine Beschäftigung und kann mich ablenken. Ich werde dir sofort Bescheid geben, wenn ich etwas gefunden habe." Ich nickte, stieß mich vom Schreibtisch ab und eilte mit großen Schritten aus dem Labor. Es wurde Zeit, dass ich McGee und Ziva einweihte und dann musste ich mir sorgfältig Worte zu Recht legen, mit denen ich Direktor Sheppard überzeugen konnte, dass es richtig war, dass ich eine Untersuchung in die Wege geleitet hatte. Es würde sicher nicht lange dauern, bis sie es erfuhr und wenn es so weit war, wollte ich vorbereitet sein. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass sie nicht erfreut sein würde, zumal ich persönlich involviert war, genauso wie der Rest des Teams. Aber mir war es egal, ob sie mir Stolpersteine in den Weg legte, ich würde die Wahrheit herausfinden und wenn es sein musste, würde ich mich dafür mit der Direktorin anlegen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 12 by Michi
Der Lift brachte mich diesmal viel schneller in die dritte Etage zurück, als er mich in den Keller gefahren hatte – jedenfalls kam es mir so vor. Ich hatte mir gewünscht, dass Abby wieder die Musik einschalten würde, sobald ich das Labor verließ, aber den ganzen Weg bis zum Aufzug hatte mich Stille begleitet. Ich hätte sogar einen Ohrenschaden in Kauf genommen, mir ihren neuesten Lieblingssong angehört, alles hätte ich gemacht, nur damit sie wieder fröhlicher wurde. Obwohl sie ein wenig gelächelt und mich dazu genötigt hatte, einen Schokoriegel zu essen, war deutlich erkennbar, dass sie noch lange nicht die gleiche Abby war wie noch am Samstag, bevor ich Feierabend gemacht hatte. Es würde wohl eine ganze Zeit dauern, bis wieder alles in geregelten Bahnen verlief, wobei ich mir nicht so sicher war, ob das je der Fall sein würde. Ohne Gibbs war alles anders, es gab keinen mehr, der uns herumscheuchte und Kopfnüsse verpasste, wenn wir nicht schnell genug handelten oder anfingen, einen kleinen, aber unbedeutenden, Streit vom Zaun zu brechen.
Ich wusste, es würde schwer werden, in seine Fußstapfen zu treten und das beste Team, das der NCIS je hatte, zu leiten, vorausgesetzt, Direktor Sheppard setzte uns nicht einfach einen anderen Agenten vor die Nase. Wenn das jedoch geschehen sollte, würde ich sicher Mittel und Wege finden, ihn wieder loszuwerden. Immerhin war ich nach Jethro derjenige, der das Team am besten kannte und wir vertrauten uns gegenseitig, da war ein uns unbekannter Chef mehr als hinderlich und wir würden wahrscheinlich Ewigkeiten brauchen, um uns zusammenzuraufen.
Ich seufzte leise und blickte auf den Ring, der weiterhin an meinem Finger steckte. Es fühlte sich seltsam an, ihn zu tragen, gehörte er doch Gibbs und nicht mir und sollte ein Zeichen meiner Liebe zu ihm sein. Das Kleinod war wohl das Einzige, was mir von ihm übrig geblieben war, abgesehen von den zahlreichen Erinnerungen, die gleichzeitig schmerzhaft als auch wunderschön waren. Jetzt, wo ich ihn verloren hatte, wurde mir erst so richtig bewusst, was ich an ihm gehabt und was für ein Glück ich gehabt hatte, die letzten sieben Monate mit ihm verbringen zu dürfen. Ich sollte dankbar sein, dass mir diese Zeit mit ihm geschenkt worden war, ehe er mir genommen wurde. Aber ich fand das nicht gerecht. Vielen Menschen war ein Leben voller Liebe mit einem Partner beschert, wieso traf das nicht auf mich zu? Wieso konnte ich nicht auch einfach diese Erfahrung machen?
Bereits die Beziehungen mit meinen zahlreichen Freundinnen hatten nie lange gedauert, ich hatte sie gewechselt wie andere ihre Unterwäsche. Bei jeder einzelnen hatte ich gemerkt, dass sie nicht die Richtige gewesen war und ich hatte mich langsam damit abgefunden, nie meine bessere Hälfte zu finden – bis die Sache mit Gibbs geschehen war und sich unser gesamtes Leben innerhalb von drei Tagen komplett verändert hatte. Es hatte zwar ein wenig gedauert, bis wir uns zusammengerauft hatten, aber ich hatte gespürt, dass die Liebe zwischen uns dauerhaft war und ich hatte wirklich gedacht, uns würde nichts auseinanderbringen. Allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass er sterben würde, nicht nach der kurzen Zeit, die wir erst miteinander verbracht hatten.

Zärtlich fuhr ich mit einem Finger an dem Metall des Ringes entlang, fühlte seine Glattheit und beobachtete, wie er das Licht des Fahrstuhles leicht reflektierte. Er war schlicht und einfach und hatte perfekt zu Jethro gepasst. Ich wünschte, ich würde die Chance erhalten, ihm den Ring zurückgeben zu können, ihn einem lebendigem Gibbs an den Finger stecken, aber ich wusste, dass das unmöglich war und ich musste mich wohl oder übel damit abfinden, auch wenn es mir mehr als schwer fiel.
„Du fehlst mir so", murmelte ich beinahe unhörbar, kurz bevor das Pling des Fahrstuhls ankündigte, dass sich die Türen öffneten. Ich holte tief Luft, sammelte mich und schaffte es, eine unbewegte Miene aufzusetzen, da ich keinen sehen lassen wollte, was sich in meinem Inneren abspielte. Jeder kannte mich als toughen Agent und ich würde dieses Bild weiter aufrecht erhalten, wollte nicht den Eindruck erwecken, schwach zu sein, immerhin hatte ich einen Ruf zu verlieren. Zudem musste ich besonders vor der Direktorin stark sein und ihr klarmachen, dass es mir soweit gut ging, dass sie mir das Team anvertrauen konnte. Außerdem musste ich mich darauf vorbereiten, um ihr zu erklären, warum ich Abby damit beauftragt hatte, Gibbs' Wagen von Norfolk kommen zu lassen. Ich war mir sicher, dass es nur eine Frage von Minuten war, bis sie mich in ihr Büro beordern würde, um mich auszufragen. Bis es jedoch so weit war, wollte ich Ziva und McGee auf meine Seite ziehen, ihnen klar machen, dass ich an keinen Unfall glaubte und sie um ihre Unterstützung bitten. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass wir gemeinsam herausfinden konnten, was tatsächlich geschehen war und ich hoffte, dass ich danach ein wenig Frieden finden würde, egal welche Wahrheit ans Tageslicht kam.
Was auch immer Jethro in Norfolk gemacht hatte, ich würde es erfahren und schließlich würde ich seinen Mörder jagen, genauso wie Gibbs Kates Mörder gejagt hatte. Zwar war mir bewusst, dass mir Rache meinen Freund auch nicht wieder zurückbringen würde, aber vielleicht fühlte ich mich danach besser. Es war eine Möglichkeit, dadurch meinen Seelenfrieden zu finden.

Langsam ging ich vom Fahrstuhl zu meinem Platz, ignorierte die Blicke, die mir erneut zugeworfen wurden, obwohl die Agenten versuchten, sie zu verbergen. Aber es war mehr als offensichtlich, dass sie wissen wollten, was genau geschehen war und wie ich damit zu Recht kam. Menschliche Tragödien zogen schneller die Aufmerksamkeit auf sich als Licht Fliegen. Es war jedes Mal dasselbe. Egal wen es traf, man wurde vor der Neugier der anderen nicht verschont und versuchte so viel Informationen wie möglich herauszufinden, weidete sich beinahe an der Katastrophe von anderen, jedenfalls so lange, bis es einen selbst erwischte. Ich wünschte mir, die Leute um mich herum würden sich wie professionelle Agenten verhalten und nicht wie sensationsgierige Reporter. Es war ein Wunder, dass sie mich nicht umkreisten und mit Fragen bombardierten. Vielleicht hielten sie auch mein entschlossener Gesichtsausdruck und der leicht wütende Blick davon ab, mich zu belästigen.
Ich erreichte meinen Schreibtisch und blieb zögernd davor stehen. Ziva hob ihren Kopf von einer Akte und ich war mir sicher, dass sie diese nur las, um irgendetwas zu tun. In meiner Abwesenheit hatte sie ihre Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, damit sie ihr nicht ständig in die Augen fielen. Sie runzelte die Stirn, so als ob sie meine Unsicherheit spüren würde, sagte aber nichts.
McGee hatte ebenfalls seine Aufmerksamkeit von seinem Computerbildschirm gelöst und konzentrierte sich auf mich, seine Finger lagen weiterhin auf der Tastatur, schienen mitten in der Bewegung inne zu halten. So wie ich ihn kannte, war er gerade dabei, ein neues Programm zu schreiben oder etwas zu installieren, einfach aus dem Bedürfnis heraus, sich mit etwas zu beschäftigen, damit ihm nicht die Decke auf dem Kopf fiel. Ich erinnerte mich noch hervorragend an gestern, wie er mich angeschrien hatte, als ich geglaubt hatte, sie würden sich einen Scherz mit mir erlauben. Ihn so ärgerlich zu erleben, war eine neue Erfahrung gewesen und hatte mir deutlich vor Augen geführt, dass er nicht länger ein Anfänger war, sondern sich zu einem selbstbewussten Agent entwickelt hatte, der nicht sofort anfing zu stottern, wenn ich ihn wieder einmal hänselte. Er begann sich zu wehren und ließ sich nichts gefallen und gerade das gefiel mir an ihm.
Die Wut von gestern war jedoch verschwunden und er wartete anscheinend darauf, dass ihm jemand einen Befehl erteilte, was er tun sollte – und ich würde seinem Wunsch nachkommen, es wurde Zeit, die beiden einzuweihen und ihnen von meiner Vermutung zu erzählen.
Ich straffte meinen Rücken und anstatt mich auf meinen Stuhl zu setzen, ging ich weiter und blieb vor Gibbs' Schreibtisch stehen, der ohne ihn einen verwaisten Eindruck machte. Die Bildschirme waren schwarz, die Platte aufgeräumt und nirgendwo lag auch nur ein Stückchen Papier herum, alles war sauber und bereit für einen neuen Arbeitstag.
Langsam fuhr ich mit meiner rechten Hand über das kühle Holz, spürte die Glätte auf meiner Haut, berührte sämtliche Oberflächen, sogar das Telefon, in das er immer so gerne hineingebrummt hatte, in der Hoffnung, den Störenfried zum Auflegen zu bewegen. Genau an der Stelle, an der ich jetzt stand, hatte ich vor sieben Monaten realisiert, dass ich Jethro liebte, mitten im Büro hatte mich die Erkenntnis überrollt, ich erinnerte mich an jede Einzelheit, an den Regen, die vielen Wolken, an den Kaffee, den ich ihm überreicht und wie sich dabei unsere Finger zufällig berührt hatten. Unser darauffolgender Blickkontakt, der mir unter die Haut gefahren war und der mir deutlich gemacht hatte, dass mehr zwischen uns war als bloße Freundschaft.
Und jetzt stand ich erneut hier, auf demselben Fleck vor dem Schreibtisch meines Freundes, und fuhr liebevoll über das Holz, nahm jede Kleinigkeit in mir auf, damit dieser Platz in meinem Gedächtnis blieb, wie er in diesem Moment war. Ich war mir sicher, dass ich irgendwann selbst hier sitzen und sich dann ein kleines Chaos bilden würde, das diese penible Ordnung vertreiben würde.
Ich seufzte leise, während ich mir ein letztes Mal Gibbs vorstellte, wie er hier gesessen und Befehle erteilt hatte, einen Becher Kaffee in der Hand haltend. Zurzeit konnte ich es noch nicht wirklich akzeptieren, dass er nie wieder hier sitzen würde, zu sehr schmerzte dieser Gedanke, aber irgendwann musste ich mich damit abfinden, wenn ich mein Leben ohne ihn in den Griff bekommen wollte. Ich würde es sicher schaffen, mich für immer von dem schwarzen Abgrund zu entfernen, der noch immer darauf wartete, mich zu verschlingen und der beste Weg dazu war, endlich herauszufinden, was Jethro in Norfolk gemacht und was es mit seinem Unfall wirklich auf sich hatte.
Ich drehte mich zu meinen Kollegen, die mich weiterhin musterten, um, setzte mich mit Schwung auf die Tischplatte und ließ die Beine baumeln. Irgendwie hatte ich das Bedürfnis, an diesem Platz zu sein, wenn ich mich den beiden anvertraute.
„Was ist los, Tony?" unterbrach Ziva als erstes die Stille und da sie am weitesten entfernt war, stand sie auf und kam zu uns herüber, wobei sie sich an McGees Tisch lehnte, der endlich seine Finger von den Tasten genommen hatte. „Irgendetwas bedrückt dich, oder? Ich kenne den Gesichtsausdruck, also kannst du es ruhig ausspucken." Ich legte meinen Kopf schief und gegen meinen Willen breitete sich auf meinen Lippen ein kleines Lächeln aus. Vor Ziva hatte ich bisher nichts verbergen können und sie schien hervorragend Gedanken lesen zu können. Kein Wunder, dass sie bei Verhören eine hohe Erfolgsquote hatte, hatte ich schon das Gefühl, sie würde mit einem einzigen Blick bis auf meine Seele sehen können.
„Ich habe Abby gebeten, Gibbs' Wagen kommen zu lassen, damit sie ihn untersucht", antwortete ich schließlich und bemerkte sofort, dass meine beiden Kollegen mit allem nur nicht dem Gesagten gerechnet hatten. McGee runzelte verwirrt die Stirn und Ziva legte ihren Kopf schief, überlegte, was sie davon halten sollte, dass ich die Forensikerin damit beauftragt hatte, das Auto meines Freundes unter die Lupe zu nehmen.
„Meinst du, es steckt mehr dahinter?" unterbrach Tim schließlich die Stille und beugte sich ein wenig vor. Er hatte sofort realisiert, was die Bedeutung hinter meiner Aussage war und er hing gebannt an meinen Lippen, wollte mehr erfahren. Mir wurde bewusst, dass er nie an die Möglichkeit, dass das ganze ein Mord sein könnte, gedacht hatte und spielte einige Szenarien in seinem Kopf ab. „Genau das meine ich", erwiderte ich überraschend ruhig, obwohl ich immens erleichtert war, dass die beiden sofort gemerkt hatten, worauf ich hinauswollte.
„Aber wieso?" wollte Ziva wissen und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Es war ein Unfall, Tony. Wie kommst du darauf, dass es eventuell keiner gewesen ist?" „Ganz einfach", meinte ich geduldig und fuhr erneut mit meinen Händen über die Tischplatte, ohne dass ich es so richtig mitbekam. „Gibbs baut keine Unfälle. Hast du jemals erlebt, seit du hier bei uns bist, dass er jemals die Kontrolle über den Wagen verloren hat, egal wie schlimm die Straßenverhältnisse gewesen sind?" Sie dachte ein paar Sekunden darüber nach, ehe sie den Kopf schüttelte. „Nein, ich habe bis jetzt noch nicht erlebt, dass Gibbs einen Unfall gebaut hat. Was aber noch lange nicht beweist, dass es keiner gewesen ist. Für alles gibt es ein erstes Mal, oder? Ich meine, es könnte ja sein, dass du dich einfach an jeden Strohhalm klammerst und auf diese Art versuchst, mit dem Verlust fertig zu werden und…"
„Du meinst also, es ist eine Verlustbewältigung?" unterbrach ich sie barsch und viel schärfer, als ich es beabsichtigt hatte. „Würde mein Instinkt mir nicht sagen, dass an dieser Sache etwas faul ist, würde ich das vielleicht selbst glauben, aber das tue ich nicht. Du hast Recht, der Verlust, den ich erlitten habe, ist mit nichts zu vergleichen und es schmerzt unbeschreiblich, aber dennoch bin ich bei klarem Verstand. Und der verrät mir, dass Gibbs' Unfall kein Unfall war und wenn ich Abby gebeten habe, seinen Wagen zu untersuchen, dann finde dich damit ab!" Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, wurde ich lauter, was mir gleich darauf leid tat. Ziva meinte es nur gut mit mir und sie anzubrüllen, würde nichts bringen. „Entschuldige", murmelte ich deshalb und seufzte laut. Seit wann ließ ich mich so schnell aus dem Konzept bringen? Normalerweise war ich viel geduldiger und fuhr nicht so schnell aus der Haut.
„Ist schon in Ordnung", erwiderte sie ruhig und ich hatte fast den Eindruck, sie wolle auf mich zugehen und mich umarmen, aber sie blieb an McGees Tisch gelehnt stehen, wofür ich ihr dankbar war. „Also, du meinst, es war kein Unfall", fügte sie hinzu, um mich versöhnlich zu stimmen. Ich nickte und wurde ruhiger, da ich erkannte, dass sie auf meiner Seite war und obwohl sie nicht komplett von meiner Theorie überzeugt war, wollte sie mir helfen.
„Was schlägst du vor, was wir machen sollen, um das zu beweisen?" wollte McGee wissen und hatte unbewusst den Ton in seiner Stimme, den er immer verwendete, wenn er Gibbs etwas fragte. Beide sahen mich gespannt an und mir wurde mit einem Mal deutlich bewusst, dass für sie klar war, wer dieses Team in Zukunft leiten würde und die Tatsache, dass ich auf Jethros Schreibtisch saß, schien sie noch mehr darin zu bestärken, mich als Boss zu akzeptieren. Genau in dieser Situation war unser Zusammenhalt mehr als ersichtlich und das Vertrauen, das Ziva und McGee in mich setzten, verlieh mir neuen Mut, diese ganze Sache durchzustehen.
„Wir müssen vor allem abwarten, was Abbys Untersuchung ans Tageslicht bringt", antwortete ich schließlich, stand auf und fing an, vor den beiden auf und ab zu gehen. „Außerdem müssen wir herausfinden, warum Jethro nach Norfolk gefahren ist. Es muss einfach einen guten Grund geben." „Vielleicht wollte er sich mit einem Informanten treffen", schlug Tim vor und lehnte sich ein wenig zurück. „Ich weiß nicht", meinte ich dazu. „Wenn es so gewesen wäre, hätte er mich sicher aufgeweckt und mir Bescheid gegeben." „Außer er hatte die Vermutung, dass es eine Falle sein könnte und wollte dich nicht in Gefahr bringen", sagte Ziva und verfolgte meine Bewegungen.
Der letzte Abend kam mir in den Sinn und das Gefühl, beobachtet zu werden. Eventuell hatte die Israelin Recht. Es wäre durchaus möglich, dass sich jemand als Informant ausgegeben hatte, um Gibbs nach Norfolk zu locken. Aber wieso hatte mich gestern jemand nicht aus den Augen gelassen, als ich in der Küche gewesen war? Wollte sich wirklich jemand an das gesamte Team heranmachen?
„Ziva, du suchst sämtliche Leute, die Gibbs jemals verhaftet hat und die bereits aus dem Gefängnis entlassen wurden." Ich blieb vor meinen Kollegen stehen und setzte einen entschlossenen Gesichtsausdruck auf, verwandelte mich damit automatisch in ihren Vorgesetzten. „McGee, ich will, dass du alles über den Zeugen herausfindest, der den Unfall beobachtet hast. Nimm sein Leben auseinander und sollte es nur eine Ungereimtheit geben, dann will ich das wissen."
„Geht klar, Boss." Unwillkürlich hob ich meine Augenbrauen und ich musste zugeben, seine Worte klagen wie Musik in meinen Ohren, obwohl sie sich nicht richtig anfühlten. Hatte ich es vorher jedes Mal genossen, wenn er mich so genannt hatte, so wünschte ich mir, er würde es nicht mehr machen. Es würde mich wohl jedes Mal daran erinnern, wie ich dazu gekommen war, der Teamleiter zu sein, vorausgesetzt, dass die Direktorin nicht beschloss, jemand anderen auf diesen Posten zu setzen. Es könnte gut sein, dass sie fand, dass ich nicht bereit war, mein eigenes Team zu übernehmen.
„Ähm… ich meine, Tony", korrigierte sich McGee ganz schnell und ein leichter Hauch Rosa überzog seine Wangen. Normalerweise würde ich jetzt darauf herumreiten, würde ihn damit aufziehen, aber erstens verspürte ich nicht die geringste Lust, ihn zu ärgern und zweitens hatte sich mein Telefon genau diesen Moment ausgesucht, um zu läuten. Instinktiv wusste ich sofort, wer dran war, weshalb ich meine beiden Kollegen stehen ließ, zu meinem Schreibtisch ging und etwas zögernd abhob. „DiNozzo", meldete ich mich automatisch und als ich die Stimme am anderen Ende der Leitung wahrnahm, schloss ich kurz meine Augen. Es war wohl soweit, meine gesamten Argumente auszugraben, auch wenn ich nicht wirklich Zeit gehabt hatte, mir welche zu überlegen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 13 by Michi
Ich hätte schwören können, dass ich noch nie so lange gebraucht hatte, um das Büro der Direktorin zu erreichen. Mit jeder Stufe die ich vom Großraumbüro nach oben genommen hatte, war ich unwillkürlich langsamer geworden und wäre beinahe rückwärts gegangen, hätte ich mein Tempo noch weiter reduziert. Cynthia hatte mir am Telefon klar gemacht, dass Jen mich sofort sehen wollte und hatte dabei das Wort sofort nachdrücklich betont, dennoch hatte ich gezögert, eine Etage höher zu gehen. Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn sie mich damit konfrontierte, warum ich Gibbs' Wagen nach Washington holen ließ. Die Beziehung zwischen uns beiden war ihr immer wieder ein Dorn im Auge, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie es irgendwann akzeptiert hatte. Dennoch war sie jetzt meine direkte Vorgesetzte und sie konnte mich problemlos vor die Tür setzen, wenn ich mich nicht ihren Befehlen beugte, aber egal ob sie mich feuerte oder nicht, ich würde herausfinden, was Jethro wirklich zugestoßen war, auch wenn ich das ohne Marke und Waffe machen musste.
Mit etwas mehr Mut nahm ich die restlichen drei Stufen mit einem großen Schritt, eilte den Gang entlang und riss förmlich die Tür zu Cynthias Büro auf. Diese hob ihren Kopf und ehe sie etwas sagen konnte, stürmte ich an ihr vorbei, klopfte kurz an Jens Tür, wartete aber nicht auf eine Antwort sondern öffnete sie in bester Gibbsmanier schwungvoll. Ich konnte es nicht leugnen, aber er hatte auf mich abgefärbt und ich schien einige Verhaltensweisen von ihm übernommen zu haben, wie zum Beispiel mein plötzliches Verlangen nach Kaffee – dabei hatte ich heute bereits zwei Tassen gehabt. Vielleicht hätte ich mir vorher welchen besorgen sollen, damit ich etwas in den Händen halten konnte, an dem ich mich festklammern konnte, wenn mir die Unterhaltung mit der Direktorin zu bunt wurde.
Diese saß an ihrem Schreibtisch und runzelte ungehalten die Stirn, als ich einfach so in ihr Büro platzte, obwohl sie wusste, dass ich kommen würde. Während ich die Tür hinter mir schloss – weniger schwungvoll als ich sie geöffnet hatte – klappte sie die Akte vor ihr zu, nahm ihre Lesebrille ab und legte beides sorgfältig auf die Seite, damit ihr die Sachen nicht im Weg waren. Sie faltete ihre Hände ineinander und bedeutete mit einer Bewegung ihres Kopfes, dass ich mich setzen sollte. Etwas zögerlich kam ich ihrer Aufforderung nach, da ich damit mit ihr auf gleicher Augenhöhe war, obwohl es vielleicht besser gewesen wäre, sie zu überragen. Um sie jedoch nicht zu verärgern, zog ich den Besucherstuhl unter dem Tisch hervor und ließ mich darauf fallen, erweckte den Eindruck, dass es für mich nichts Neues war, dass sie mich in ihr Büro beorderte.
Jen musterte mich intensiv, bevor sie sich zurücklehnte und die Spannung zwischen uns ein wenig verebbte – jedenfalls hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass die Luft zwischen uns knistern würde. „Wie geht es Ihnen, Agent DiNozzo?" fragte sie freundlich und ich wusste sofort, dass sie nur Smalltalk machen wollte, ehe sie auf den wirklichen Grund meines Besuches zu sprechen kam. „Ich komme zurecht", antwortete ich und lehnte mich ebenfalls zurück, versuchte mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mich ein wenig unwohl fühlte. Genauso wie Gibbs hatte sie das Talent, einen niederstarren zu können, so lange, bis man sich unter ihrem Blick wie eine Schlange wand.
Sie nickte, setzte eine verständnisvolle Miene auf, bevor sie ihre miteinander verschränkten Hände auf den Tisch legte und mich erneut fixierte. „Sie haben also nicht das Gefühl, durch den Wind zu sein oder durch den Verlust Dinge zu tun, die Sie in einer normalen Situation unterlassen würden?" Hier waren wir also, bei dem Punkt, warum ich wirklich in diesem Stuhl saß und mich ein wenig wie bei einem Verhör vorkam, obwohl ich mich nicht einmal zwei Minuten in diesem Raum befand. „Ich bin bei klarem Verstand, wenn es das ist, das Ihnen Sorgen macht, Madam Direktor", erwiderte ich ruhig, ungeachtet dessen, dass ich meine Hände zu Fäusten geballt hatte. Hatte sie etwa vor, mich für unzurechnungsfähig zu erklären? „Wir beide wissen, was es für mich bedeutet, Jethro verloren zu haben, unsere Beziehung war kein Geheimnis, genauso wenig wie es kein Geheimnis ist, dass ich ihn geliebt habe und Sie wissen genauso gut wie ich, dass es mehr als schmerzt, dass er bei einem simplen Autounfall ums Leben gekommen ist." Ich ließ es mir nicht entgehen, das eine Wort zu betonen und sie damit wissen zu lassen, dass ich genau wusste, warum ich hier saß, während sie um den heißen Brei herumredete und versuchte herauszufinden, wie es um meinen Geisteszustand bestellt war.

Jen kniff ihre Augen zusammen, aber mir entging nicht das kurze Zucken ihrer Mundwinkel, das mir verriet, dass sie seltsamerweise damit zufrieden war, dass ich sagte, was mir durch den Kopf ging. „Dann können Sie mir auch sicher erklären, warum ich vor nicht allzu langer Zeit einen Anruf aus Norfolk erhalten habe, bei dem es darum gegangen ist, dass Miss Sciuto sich Gibbs' Wagen nach Washington bringen lassen will. Zugegeben, die Kollegen waren mehr als erstaunt."
Ich fuhr mir mit einer Hand durch meine Haare und fischte ein paar Argumente aus den Untiefen meines anscheinend doch erschöpflichen Vorrats an Worten. „Bei allem Respekt, Madam Direktor, aber ich glaube nicht, dass Jethros Unfall ein Unfall gewesen ist. Die Straßen mögen vereist gewesen sein, aber bisher hat er deshalb noch nie die Kontrolle über sein Auto verloren. Die gesamte Sache stinkt bis zum Himmel, alleine dadurch, dass Gibbs nach Norfolk gefahren ist, ohne mir Bescheid zu sagen. Irgendetwas hat ihn davon abgehalten, sich mir anzuvertrauen und sei es nur, um mich zu beschützen." Ich spürte deutlich die Spannung, die erneut zwischen uns entstand und in Jens Augen trat ein Ausdruck, den ich nicht deuten konnte, der mir aber überhaupt nicht gefiel. Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass sie mehr wusste als ich, dass sie darüber informiert war, warum mein Freund nach Norfolk gefahren war.
Gleich darauf änderte sich die Atmosphäre und die Direktorin entfaltete ihre Hände, lehnte sich ein wenig zurück. Die Wintersonne schien hell durch das breite Fenster, ließ ihre Haare leicht schimmern und verlieh ihr ein nicht ganz so strenges Aussehen wie noch vor Minuten. „Sie glauben also, es war Mord?" wollte sie wissen und dehnte das letzte Wort ein wenig aus. Bevor ich jedoch etwas sagen konnte, fuhr sie fort. „Wenn es so wäre und an Gibbs' Auto wurde etwas manipuliert, dann werden die Techniker in Norfolk das finden." „Das bezweifle ich keineswegs", erwiderte ich und beugte mich erneut vor, verringerte damit die Distanz zwischen uns. „Aber dennoch bin ich mir sicher, dass Abby bessere Arbeit leisten und sie jeden Millimeter des Wagens untersuchen wird. Sie ist ein Profi und würde noch die kleinste Ungereimtheit finden."
Jen schüttelte ihren Kopf und holte tief Luft, so als ob sie langsam die Geduld verlieren würde. „Ich kann Ihnen unmöglich den Fall übergeben, das wissen Sie. Sie sind persönlich involviert, wir alle sind das. Ziva, Agent McGee, Miss Sciuto und vor allem Sie würden nicht objektiv an die Sache herangehen und sich von persönlichen Gefühlen leiten lassen. Und das kann ich nicht verantworten. Sie suchen nur einen Weg, um mit dem Schmerz fertig zu werden und wollen unbedingt einen Schuldigen suchen. Aber selbst Gibbs kann einmal einen Unfall bauen, egal wie gut er mit einem Wagen umgehen kann."
„Das ist keine Verlustbewältigung", erwiderte ich schärfer als es angemessen wäre und ich beugte mich noch weiter vor, fixierte sie mit einem stahlharten Blick, von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass ich ihn überhaupt in petto hatte. „Mein Instinkt sagt mir, dass an dieser Sache etwas faul ist und egal ob Sie mir Steine in den Weg werfen, ich werde eine Möglichkeit finden, Licht in diese Angelegenheit zu bringen. Ich konnte meinem Bauchgefühl immer vertrauen und ich weiß, dass es mich auch diesmal nicht im Stich lässt. Jethro ist nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen und ich werde das beweisen." Ich betonte jedes einzelne Wort, ließ sie damit wissen, dass ich weiterforschen würde, unabhängig davon, wie sie sich entscheiden sollte.
Wir sahen uns für einige Sekunden fest in die Augen, keiner war bereit nachzugeben, keiner wollte Schwäche zeigen. Die Stille dehnte sich aus und ich rechnete bereits mit einem Donnerwetter und einem Vortrag, dass ich meine Kompetenzen überschritten hatte, aber stattdessen schüttelte sie erneut ihren Kopf und diesmal zuckten ihre Mundwinkel deutlicher als zuvor. „Kein Wunder, dass Jethro immer gemeint hat, Sie seien sein bester Agent", sagte sie schließlich, die eisige Atmosphäre verschwand und das Büro erschien mir so freundlich wie eh und je. „Und Sie haben genauso einen Sturkopf wie er", fügte sie hinzu und ich konnte nicht anders, als meine Lippen zu einem kleinen Lächeln zu verziehen. „Das fasse ich einmal als Kompliment auf", erwiderte ich und ließ mich gegen die Lehne des Stuhles fallen. „Heißt das jetzt, Abby darf den Wagen untersuchen?" fragte ich vorsichtig, da wir noch immer nicht auf einen Punkt gekommen waren.
Jen seufzte leise und nickte. „Ja, das heißt es." Die Worte kamen sichtlich schwer über ihre Lippen und der Ausdruck von vorhin kehrte in ihre Augen zurück. Beinahe hatte ich das Gefühl, sie würde sofort ihre Worte bereuen, aber sie nahm sie nicht zurück. Erleichterung durchflutete mich, als mir bewusst wurde, dass ich die Chance erhielt, die Wahrheit herauszufinden und ich entspannte mich.
„Damit wir uns richtig verstehen", fuhr sie fort und wirkte auf mich plötzlich wie eine strenge Lehrerin, die ihrem Schüler klar machte, dass sie keinen weiteren Fehler duldete, „wenn ich auch nur einmal den Eindruck habe, dass Sie sich mit dieser Sache übernehmen oder sich zu sehr von Ihren Gefühlen leiten lassen, werde ich Sie schneller von dem Fall abziehen, als Sie blinzeln können."
Ich zweifelte keine Sekunde an ihren Worten und ich wusste, sie würde mich wahrscheinlich eigenhändig dazu zwingen, Urlaub zu nehmen, um von allem ein wenig Abstand zu gewinnen, aber so weit würde es nicht kommen, das schwor ich mir innerlich. „Verstanden", entgegnete ich schließlich und sie nickte zufrieden. „Na schön. Dann werde ich Norfolk anrufen und ihnen sagen, sie sollen den Wagen bringen." „Danke", erwiderte ich und meinte es wirklich so. Sie gab mir immerhin die Möglichkeit, meinen Frieden zu finden, auch wenn es ihr sichtlich schwer gefallen war, mich nicht einfach aus ihrem Büro hinauszuwerfen.
Ich stand auf und ging zur Tür, aber bevor ich sie öffnete, drehte ich mich noch einmal um. „Direktor Sheppard?" Ihre Hand, die nach dem Telefonhörer hatte greifen wollen, hielt mitten in der Bewegung inne und sie sah mich fragend an. „Ja?" „Nur so aus reiner Neugierde, aber haben Sie sich bereits überlegt, wer die Leitung des Teams übernehmen soll?" Sie wusste genau, worauf ich hinauswollte, was sie mit einer erhobenen Augenbraue quittierte. „Nein, ich habe es mir noch nicht überlegt", antwortete sie und ich hatte keine Ahnung, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war. „Aber bis es so weit ist, ist es Ihr Team, Agent DiNozzo." Mein Gesicht hellte sich auf und seit langem hatte ich wieder das Bedürfnis, breit zu grinsen. „Wirklich?" fragte ich nach, nicht sicher, ob ich sie richtig verstanden hatte. „Wirklich. Und jetzt verschwinden Sie, bevor ich meine Entscheidung rückgängig mache." Sie griff endgültig nach dem Telefonhörer und signalisierte mir damit, dass sie ungestört sein wollte.
Mit schneller schlagendem Herzen öffnete ich die Tür und schloss sie gleich darauf wieder, kaum dass ich den Vorraum betreten hatte. Cynthia hielt in ihrer Arbeit inne und musterte mich, als ich an ihr vorbeieilte und das Büro komplett verließ. Wenn Gibbs die Konversation von Jen und mir miterlebt hätte, wäre er sicher stolz auf mich gewesen, vor allem deshalb, weil ich mich nicht von ihr hatte einschüchtern lassen. Vielleicht war sie doch nicht so schlecht wie ich angenommen hatte und ich wusste, dass ich von ihr etwas lernen konnte, immerhin war sie nicht umsonst Direktorin des NCIS. Ich würde ihr beweisen, dass ich fähig war, ein Team zu leiten, damit sie keinen Grund sah, uns jemand anderen vor die Nase zu setzen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 14 by Michi
Jen starrte auf die Tür und hörte noch immer das Geräusch, mit dem sie ins Schloss geworfen worden war – ein Geräusch, von dem sie glaubte, dass es sie verhöhnte. Kaum war Tony verschwunden, ließ sie sich gegen die Lehne ihres Sessels fallen und fuhr sich mehr als frustriert ein paar Mal über ihr Gesicht, nur um gleich darauf ihre Haare zu zerzausen, die in den letzten Tagen aufgehört hatten, das zu machen, was sie wollte. Die Idee, sie kürzer schneiden zu lassen, war ihr damals hervorragend erschienen, aber da hatte sie noch nicht damit gerechnet, dass sie öfters in alle Richtungen abstanden und sich nicht einmal mit Spray oder sonstigen Hilfsmitteln bändigen ließen. Noch dazu hatte Gibbs damals ihre neue Frisur nicht bemerkt oder hatte sie absichtlich übersehen, dabei hatte sie gedacht, sie würde ihm gefallen. Jen hätte wissen müssen, dass er sich zu keinem Kommentar hinreißen lassen würde, egal wie sehr sie an ihren Haaren herumgezupft hatte, um ihn darauf aufmerksam zu machen.
Aber jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken, dafür hatte sie viel zu viele Probleme und ein großes hatte soeben ihr Büro verlassen. Sie hatte gewusst, dass diese ganze Sache nicht leicht werden würde und es war ihr mehr als schwer gefallen, Gibbs zu sagen, dass sein alter Freund noch am Leben war. Samstagabend hatte sie sofort bemerkt, in welchem Zwiespalt er gesteckt hatte, als sie ihm die Informationen anvertraut und ihn damit vor die Wahl gestellt hatte, ob er den Auftrag annehmen wollte. Noch dazu war ihr klar, was es für ihn bedeutete, erfahren zu haben, wer hinter der Explosion des Einkaufszentrums vor fast sechs Jahren steckte. Damals waren sie Partner gewesen und sie war eine der Ersten gewesen, die von ihm erfahren hatte, was geschehen war und sie hatte förmlich gespürt, dass er danach gierte, die Schuldigen zu finden, aber man hatte keine Ahnung gehabt, wer hinter der Verbrecherorganisation steckte, bis Jen vor drei Tagen den entscheidenden Hinweis erhalten hatte. Sie hatte ein wenig gezaudert, es Jethro zu sagen, hatte aber eingesehen, dass sie es ihm nicht verschweigen konnte und schon gar nicht die Tatsache, dass Darien einen neuen Anschlag plante.
Irgendwie hatte sie damit gerechnet, dass Gibbs den Auftrag nicht übernehmen würde, vor allem, da er seinen Tod vortäuschen musste und Tony damit mehr als leiden würde, genauso wie alle anderen des Teams. Alle hatten eine unglaublich enge Beziehung zueinander, aber die festeste Beziehung war diejenige zwischen Jethro und seinem Freund. Jen hatte ihren ehemaligen Partner noch nie so glücklich erlebt, schon gar nicht über einen derart langen Zeitraum von sieben Monaten. Dass sie anfangs gegen die Beziehung gewesen war, konnte sie nicht leugnen und es hatte ihr mehr als einmal einen Stich der Eifersucht versetzt, dass Jethro mit jemand anderem sein Glück gefunden hatte. Als sie erfahren hatte, dass Anthony und er ein Paar waren, hatte sie erkannt, dass sie noch immer ein wenig an Gibbs hing und sie sich insgeheim leichte Hoffnungen gemacht hatte, dass aus ihnen vielleicht doch noch etwas wurde. Aber irgendwann hatte sie schließlich eingesehen, dass das nicht mehr möglich war, nicht, seitdem der Chefermittler sein Herz jemand anderem geschenkt hatte.
Die Direktorin wusste, dass er all das für den Wunsch, Darien zu überführen, aufs Spiel setzte und es war ihr selbst mehr als schwer gefallen, gestern allen zu sagen, dass Gibbs bei einem Autounfall ums Leben gekommen war und sie hatte sich zusammenreißen müssen, um nicht spontan die Wahrheit zu sagen, vor allem, als Tony im Großraumbüro beinahe zusammengebrochen war. Es war offensichtlich gewesen, dass ihn diese Nachricht schlimm getroffen hatte und der Schmerz in seinen Augen war ihr ziemlich nahe gegangen – immerhin war sie auch ein Mensch und es ließ sie nicht kalt, wenn es jemandem von ihren Schützlingen schlecht ging, auch wenn praktisch sie es war, die dafür verantwortlich war.
Sie mochte den Job als Direktorin sehr, aber in diesem Moment wünschte sie sich, jemand anderes würde in ihrer Haut stecken und die Fäden ziehen. Auch wenn Jen während dem Gespräch mit Anthony nach außen hin ruhig geblieben war, so hatte doch ihr Herz schnell geklopft und ihre Eingeweide waren ein einzig harter Knoten gewesen, die sich noch immer nicht vollständig entrollt hatten. Sie hatte den jungen Mann noch nie so gesehen, vollkommen erschöpft und ohne dem sonst so strahlenden Funkeln in seinen grünen Augen. Es war mehr als deutlich, dass er in der letzten Nacht nicht viel oder gar nicht geschlafen hatte und sie war überrascht gewesen, als sie erfahren hatte, dass er Abby beauftragt hatte, Gibbs' Wagen nach Washington kommen zu lassen. Bereits als sie von Norfolk informiert worden war, hatte sie geahnt, was der Zweck dieser ganzen Aktion war und sie hatte sich nicht geirrt. Anstatt sich zu Hause zu vergraben und zu trauern, glaubte Tony nicht an einen Unfall und schnüffelte herum. Jen hatte angenommen, dass er erst einmal mit dem Verlust fertig werden musste, aber sie hatte ihn gewaltig unterschätzt.
Obwohl der Agent sichtlich zu kämpfen hatte, sich nicht einzuigeln, kam er an den Ort zurück, wo er erfahren hatte, dass sein Freund gestorben war und begann, seinen Tod zu untersuchen. Als sie ihn in ihr Büro beordert hatte, hatte sie sich fest vorgenommen, ihm zu befehlen, die Untersuchungen ruhen zu lassen und dann lösten sich auf einmal ihre gesamten Vorsätze in Luft auf. Sie hatte keine Ahnung, warum sie DiNozzo nicht einfach angeordnet hatte, Urlaub zu nehmen. Im Laufe der Unterhaltung hatte er ihr mehr als klar gemacht, dass er so oder so Mittel und Wege fand, um den Wagen untersuchen zu lassen und das hatte sie keine Sekunde lang bezweifelt. Er war nicht die Sorte von Mann, der einfach herumsaß und zusah, wie sich andere die Hände schmutzig machten, weshalb er auch so ein guter Agent war – und er hatte mindestens genauso einen Sturkopf wie Gibbs. Wenn jemand hinter die ganze Sache kam, dann er und sie hatte es versäumt, ihm Steine in den Weg zu legen.
Vielleicht hatte Jen Tony vor allem deswegen erlaubt, Ermittlungen anzustellen, um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, obwohl sie wusste, dass Abby Spuren an dem Wagen finden würde, die deutlich machten, dass Jethro nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen war und Anthony würde sich deswegen noch mehr hineinknien, um den angeblichen Mörder zu finden. Allerdings würde er damit lange beschäftigt sein, vor allem, weil es keinen Täter gab und sie hoffte, dass Gibbs möglichst schnell herausfinden würde, welches Ziel sich Darien als nächstes ausgesucht hatte, um DiNozzos Ermittlungen somit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie war jetzt schon gespannt, wie der junge Mann darauf reagieren würde, wenn er erfuhr, dass sein Freund noch am Leben war und seinen Tod nur vorgetäuscht hatte. Würde er wütend werden oder einfach nur glücklich sein, dass er Jethro wieder zurück hatte? Aber bis es so weit war, würden sicher noch Tage vergehen, in denen sie aufpassen musste, dass Tony der Wahrheit nicht zu nahe kam und damit den gesamten Auftrag gefährdete.

Die Direktorin seufzte, stand auf und ging zu dem Regal, wo sie eine Flasche Whisky aufbewahrte. Es war zwar erst später Morgen, aber sie brauchte jetzt einen starken Drink, um ihre Nerven ein wenig zu beruhigen und wieder klar denken zu können. Mit geübten Bewegungen schenkte sie sich drei fingerbreit ein und stellte die Flasche wieder an ihren Platz zurück, ehe sie sich erneut hinter ihren Schreibtisch setzte und genüsslich einen Schluck trank. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle, verwandelte sich jedoch rasch in ein herrlich warmes Gefühl, das sich in ihrem Magen ausbreitete und sich wie Balsam auf ihre strapazierten Nerven legte. Jen musste sich unbedingt etwas einfallen lassen, um Tony ein wenig an der kurzen Leine zu halten, damit er den Auftrag nicht gefährdete und nicht vor dessen Erfüllung erfuhr, dass Gibbs noch am Leben war. Er würde dann nicht mehr den trauernden Freund spielen können und sich wahrscheinlich von seinen Gefühlen leiten lassen, anstatt über alles logisch nachzudenken. Sie konnte nur noch darauf bauen, dass Jethro so bald wie möglich herausfand, welches Ziel sich Darien als nächstes ausgesucht hatte, um die Gefahr, dass er vorzeitig aufflog, so gering wie möglich zu halten.
Die Möglichkeit, dass dabei etwas schief ging, bestand immer, aber sie wollte den besten Agent, den der NCIS seit langem hatte, lebendig wiederhaben, schon alleine wegen DiNozzo. Wer wusste, wie er es verkraften würde, wenn er mitbekam, dass sein Freund noch lebte, nur um ihn gleich darauf wirklich zu verlieren. Tony war stark und er kam überraschend gut mit seiner Trauer zurecht, aber wenn er kurz hintereinander Gibbs ein zweites Mal verlieren sollte, würde es sogar ihn mehr als mitnehmen und die Wahrscheinlichkeit, dass er danach jemals wieder der Alte werden würde, war enorm gering.
Jen wusste ganz genau, dass die Eventualität, dass Anthony Jethro nicht verzeihen würde, wenn er erfuhr, dass er seinen Tod nur vorgetäuscht hatte, eintreten könnte und obwohl sie anfangs gegen die Beziehung gewesen war, so hoffte sie doch, dass sich die beiden wieder zusammenraufen würden. Immerhin war sie nicht so kaltherzig, wie manche annahmen und sie fand es schön, dass ihr ehemaliger Partner privat endlich sein Glück gefunden hatte, vor allem, weil es seine Arbeit nicht im Geringsten beeinflusste, sondern er diese eher noch effizienter erledigte - sie konnte sich also nicht beschweren.
Entschlossen trank Jen den Rest des Whiskeys in einem Zug aus und stellte das Glas mit einem leisen Geräusch auf den Tisch zurück. Eine Sekunde später blickte sie auf die Uhr und seufzte. Es war gerade einmal kurz nach neun Uhr, also noch drei Stunden, bis sie das nächste Mal Kontakt mit Gibbs aufnehmen würde, andererseits wollte sie nicht so lange warten, bis sie ihm erzählte, dass Tony angefangen hatte, herumzuschnüffeln.
Bevor es sich Jen anders überlegen konnte, griff sie nach dem Telefonhörer – in der Hoffnung, Jethro würde den Anruf entgegennehmen - und wählte die Nummer, die sie seit gestern auswendig kannte und von der sie hoffte, sie bald nicht mehr verwenden zu müssen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 15 by Michi
Gibbs saß in der kleinen Küche seines vorübergehend neuen Zuhauses, eine Tasse Kaffee vor sich auf dem leicht zerkratzten Holztisch stehend und starrte gedankenverloren aus dem Fenster, beobachtete die vereinzelten Wolken, die über den sonst makellosen blauen Himmel zogen. Für seinen Geschmack hatte er viel zu wenig Platz, fühlte sich ein wenig eingeengt, vor allem jetzt, wo er nichts zu tun hatte, außer aus dem Fenster zu starren und zu warten, bis es Nachmittag wurde, um sich erneut mit Darien zu treffen. Nicht einmal einen Keller hatte er, wo er ein Boot bauen konnte – nichts, nur den Fernseher in dem kleinen Wohnzimmer mit den leicht abgenützten Möbeln und dem durchgesessenen Sofa. Jethro wollte gar nicht wissen, wer vor ihm hier gewohnt hatte, welche Gestalten dieses Apartment als Eigentum bezeichnet hatten. Obwohl er gerade erst etwas über 24 hier wohnte, wünschte er sich nichts sehnlicher als sein eigenes Haus zurück, mit seinem Bootskeller und den ganzen Werkzeugen – nicht zu vergessen Tony, den er mehr als alles andere vermisste.
Es war ein Fehler gewesen, gestern zu ihm zu fahren, hatte er deswegen doch eine schlaflose Nacht hinter sich, wo er ständig die von Trauer erfüllten Augen seines Freundes vor sich gehabt hatte. Je mehr Zeit vergangen war, desto schwerer war es ihm gefallen, die ganze Sache nicht einfach aufzuklären, Anthony zu sagen, dass er noch am Leben war, ungeachtet dessen, dass dadurch der Einsatz eventuell den Bach hinuntergehen würde. Er konnte nur hoffen, dass er so schnell wie möglich herausfinden würde, was Darien plante, damit er wieder in sein altes Leben zurückkehren konnte.
Gibbs seufzte leise und holte tief Luft, in dem Bestreben, irgendwo ein wenig die Essenz von Tony aufzunehmen, aber in dieser Küche gab es keine Spur von Kokos, sondern nur den Geruch von frisch gemachtem Kaffee und altem Essen, der sich in der Tapete und den Einbauschränken festgesetzt hatte. Was würde er nur dafür geben, jetzt kurz an den Haaren seines Freundes schnuppern oder an seiner Haut knabbern und dabei die straffen Muskeln unter seinen Fingern spüren zu können. Es war beinahe ein körperlicher Schmerz, nicht in Anthonys Nähe sein zu können, zu wissen, dass er verantwortlich dafür war, dass dieser litt. Gibbs schwor sich, wenn der Auftrag beendet war, würde er alles wieder gutmachen, egal was er dafür machen musste – und wenn er auf die Knie sinken musste, damit ihm Tony verzieh, dann würde er das auch tun. Er hoffte inständig, dass ihre Liebe stark genug war, um das alles zu überstehen und wieder in den Alltag zurückzufinden.

Jethro riss seinen Blick vom Himmel los, nahm die leicht angeschlagene Tasse und trank einen großen Schluck Kaffee, während er sich in der Küche umsah. Es war gerade einmal genug Platz für einen Herd, eine Spüle und ein paar kleine Schränken aus einem Material, das eine Imitation von Holz und an vielen Stellen zerkratzt war. Die Wände waren mit einer hellgrünen Tapete überzogen, die sich bereits leicht wellte und von der Mauer löste. Es gab keine Bilder oder sonstige Ziergegenstände, die die Atmosphäre auflockerten, selbst die vormals weißen Vorhänge waren vergilbt. Als ihm Jenny gesagt hatte, sie hätte eine Wohnung, wo er für die Dauer des Undercovereinsatzes bleiben konnte, hatte er nicht damit gerechnet, dass sie so eine Bruchbude ausgesucht hatte, wo er durch die Wände die Streitereien der anderen Bewohner des Hauses mitverfolgen konnte, ganz zu schweigen von dem Geschrei eines Babys, das in regelmäßigen Abständen erklang. Nicht, dass er etwas gegen Kleinkinder hätte, aber seine Nerven waren momentan ein wenig angespannt und das laute Weinen ging ihm ziemlich auf den Geist.
Gibbs trank seinen Kaffee in einem Zug leer, stellte die Tasse auf dem Tisch ab und holte aus der Hosentasche sein Portemonnaie hervor, das er neben dem Becher legte. Für ein paar Sekunden starrte er es an, unfähig es aufzumachen, in dem Wissen, was er darin fand. Darin war ein Bild enthalten, was er von Tony mitgenommen hatte und er wusste, es wäre ein Fehler, es sich anzusehen, besonders nach letztem Abend, wo er beinahe seine Deckung auffliegen hätte lassen. Eine weitere Minute kämpfte er mit sich, ehe er mit leicht zitternden Fingern die Geldtasche schließlich wieder nahm, sie zögernd öffnete und sich gleichzeitig für seine Schwäche verfluchte. Wieso konnte er dem Drang nicht einfach widerstehen? Wieso musste er sich damit selbst verletzen, indem er diesem nachgab?
Mit schneller klopfendem Herzen griff er nach dem Foto, das er neben seinem Geld aufbewahrte, legte das Portemonnaie wieder auf den Tisch zurück und entfaltete das Bild, das er in der Mitte umgeknickt hatte, damit es Platz bei den Dollarscheinen fand. Darauf war Tony zu sehen, einen Beweismittelbeutel in Händen haltend, während auf seinem Gesicht ein strahlendes Lächeln prangte, das ihn zusätzlich mit dem Basecap, das er verkehrt auf seinem Kopf trug, um einiges jünger erscheinen ließ. Im Hintergrund waren ein Spielplatz zu erkennen und vom Herbst mit bunten Blättern versehene Bäume. Die Aufnahme war an einem Tatort entstanden und von McGee gemacht worden, der an diesem Tag damit beauftragt worden war, die Umgebung zu fotografieren. Tim hatte es ihm nach dem Abschluss des Falles geschenkt und gemeint, er hätte sicher eine bessere Verwendung dafür. Seit diesem Tag hatte er das Bild immer in seiner Geldtasche und selbst für den Auftrag hatte er es nicht übers Herz gebracht, es herauszunehmen.
Ein kleines, aber trauriges Lächeln, umspielte Gibbs' Lippen, als er zärtlich mit einem Finger die Konturen von Tonys Gesicht nachfuhr und sich wünschte, seine Haut spüren zu können, anstatt die glatte Oberfläche des Fotos. Grüne, vor Humor funkelnde Augen blickten ihn an und für ein paar Sekunden verlor er sich in ihnen, während er weiter die Konturen von seinem Freund nachfuhr. Sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen und er wusste, dass es besser wäre, das Bild wieder zu verstauen, aber er konnte sich einfach nicht von dem vertrauten Gesicht lösen. Jethro war sich bewusst, dass er sich in diesem Moment nicht wie ein professioneller Bundesagent verhielt, sondern wie ein schwer verknallter Teenager, aber ihm war es egal. Wie lange würde er es wohl ohne Anthony aushalten? Würde er es schaffen, den Auftrag vorher zu erledigen, bevor er sich entschied, seinem Freund zu sagen, dass er noch lebte?

Gibbs war so in die Betrachtung des Bildes vertieft, dass er erst nach ein paar Sekunden mitbekam, dass sein Handy klingelte. Blinzelnd kehrte er in die Realität zurück und legte etwas widerwillig das Foto aus der Hand, bevor er in seine Hosentasche griff und das kleine Gerät hervorholte. Er brauchte nicht nachzusehen, wer ihn anrief, da es nur eine einzige Person gab, die diese Nummer kannte. Unwillkürlich fragte er, ob etwas passiert war, dass sich Jenny fast drei Stunden vor dem verabredeten Zeitpunkt meldete. Angst krampfte seine Eingeweide zusammen, als ihm der Gedanke kam, dass Tony etwas geschehen war, einen anderen Grund konnte er sich nicht vorstellen, warum ihn seine Vorgesetzte jetzt anrief, zumal sie diejenige gewesen war, die darauf bestanden hatte, die Termine, an denen sie miteinander telefonierten, strikt einzuhalten.
Mit ungewohnt zittriger Hand klappte er das Handy auf und sagte geradeheraus: „Was ist passiert? Geht es Tony gut?" Für ein paar Sekunden war es am anderen Ende der Leitung still und würde er das Atmen von Jen nicht vernehmen, würde er glatt annehmen, dass sie wieder aufgelegt hatte. „Nichts ist passiert, Jethro. Agent DiNozzo geht es hervorragend", antwortete sie schließlich und unglaubliche Erleichterung durchflutete ihn. Er hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Aber weswegen meldete sie sich dann, wenn es nichts mit seinem Freund zu tun hatte? Hatte sie vielleicht neue Informationen oder wollte sie nur so mit ihm reden?
„Was gibt es sonst?" wollte er deswegen wissen, lehnte sich in dem Stuhl zurück und entspannte sich ein wenig. Sein Herzschlag beruhigte sich und er blickte wieder aus dem Fenster in den Himmel, wo sich in den letzten Minuten mehr Wolken gebildet hatten. Gibbs konnte sich gut vorstellen, wie Jen an ihrem Schreibtisch saß, den Telefonhörer in der Hand und an ihren kurzen Haaren herumzupfte. „Es geht um Tony", sagte sie nach ein paar Sekunden und er hätte schwören können, dass er hörte, wie sie mit den Fingern auf der Tischplatte herumklopfte. „Ich dachte, ihm geht es gut", meinte er und setzte sich kerzengerade auf. „Das tut es auch, bis auf die Tatsache, dass er angefangen hat, herumzuschnüffeln. Er glaubt nicht an einen Autounfall und hat Abby damit beauftragt, die Überreste deines Wagens zu untersuchen." Ihre Worte zauberten ihm ein breites Lächeln ins Gesicht und er blickte auf das Foto, das weiterhin auf dem Tisch lag. Zärtlichkeit gepaart mit unglaublichem Stolz breitete sich in seinem Inneren aus. Jethro konnte nichts gegen das leise Lachen machen, das ihm entschlüpfte, weswegen Jen hörbar Luft holte.
„Findest du das etwa witzig?" fragte sie erbost und er würde jede Wette eingehen, dass sie in diesem Moment ihre Augenbrauen ärgerlich zusammenzog. „Nun, was hast du erwartet?" antwortete er und griff nach der Tasse, bevor ihm wieder einfiel, dass er den Kaffee bereits ausgetrunken hatte. „Tony ist immerhin mein bester Agent und es hätte mich gewundert, wenn er einfach tatenlos herumsitzen und keine Fragen stellen würde." „Aber dir ist schon bewusst, dass dadurch der ganze Auftrag gefährdet werden könnte? Vor allem, wenn er dahinter kommt, bevor du herausgefunden hast, was…" „Hör auf, dir unnötig Sorgen zu machen, Jen", unterbrach er sie kurzerhand und schüttelte den Kopf. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Tony vorzeitig dahinter kommen wird, ist mehr als gering, außer du streust genug Brotkrumen aus und das wirst du nicht machen." „Die Brotkrumen habe ich schon ein wenig gestreut", gestand sie und hörte sich dabei ungewohnt kleinlaut an. „Ich habe ihm erlaubt, Abby den Wagen untersuchen zu lassen. Kaum zu glauben, dass ich es nicht verhindert habe. Aber er hat mir deutlich gemacht, dass er so oder so Mittel und Wege finden würde, das zu tun. Ich hätte ihn zwingen können, Urlaub zu nehmen und er hätte sicher weiter Fragen gestellt."
Gibbs konnte nicht anders als breit zu grinsen – das war sein Tony, ließ sich einfach nicht unterkriegen und setzte sich sogar gegen die Direktorin durch. Also war er doch kein so schlechter Lehrer und sein Freund übernahm ein paar seiner eigenen Verhaltensweisen.
„Agent DiNozzo hat einen unglaublichen Sturkopf", fügte Jenny hinzu, in dem Bestreben, irgendetwas zu sagen. „Das ist auch wahrscheinlich der Grund, warum wir so perfekt zusammenpassen", erwiderte Gibbs und blickte erneut auf das Foto. Wie sehnte er sich danach, seine Hände in diesen verwuschelten Haare zu vergraben. Es erfüllte ihn mit Stolz, dass Anthony nachforschte und Jethros Tod nicht so ohne weiteres hinnahm. Es war gut, dass er sich nicht zu Hause vergrub, sondern etwas gefunden zu haben schien, mit dem er sich beschäftigen konnte, auch wenn es bedeutete, dass er nach einen Mörder suchte, den es nicht gab.

„Übrigens, ich brauche einen zweiten Wagen, Jen", sagte Gibbs schließlich, vor allem deswegen, um sich von seiner Sehnsucht nach seinem Freund abzulenken. „Wofür brauchst du einen zweiten Wagen?" wollte sie wissen und konnte die Verwirrtheit nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen. „Erzähl mir jetzt nicht, du hast den anderen zu Schrott gefahren. Hast du schon einmal etwas von einem begrenzten Budget gehört? Ich kann nicht einfach…" „An dem Wagen ist nicht einmal ein Kratzer", unterbrach er seine Vorgesetzte unwirsch und wünschte sich, er hätte noch ein wenig Kaffee übrig. Er brauchte unbedingt mehr Koffein.
„Aber Darien hat einen GPS Sender anbringen lassen. Ich habe ihn gestern entdeckt." „Einen GPS Sender?" „Ja, du weißt schon, diese kleinen Dinger, mit denen man den Standort von…" „Ich weiß, was das ist, Jethro." Ihre Stimme klang mittlerweile ungehalten und ziemlich ungeduldig. „Dann weißt du auch, dass ich diesen Wagen nicht benutzen kann, wenn ich nicht will, dass Darien weiß, wo ich mich aufhalte. Oder soll ich mich in Zukunft mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen?" Gibbs' Stimme troff vor Sarkasmus und er konnte nicht verhindern, dass er sich in einer U-Bahn sah, eingequetscht zwischen zahlreichen Menschen – eine nicht gerade nette Vorstellung.
Wenigstens konnte er von Glück sagen, dass er seinem ehemaligen besten Freund nicht verraten hatte, wo er wohnte, sonst wäre das Apartment sicherlich bereits verwanzt worden. Er hatte auch nicht erwartet, dass ihm Darien nach so kurzer Zeit über den Weg traute.
Für ein paar Sekunden war es am anderen Ende der Leitung still und er frage sich unwillkürlich, ob Jen aufgelegt hatte, widerstand aber dem Drang, nachzubohren, ob sie noch dran war. In einer der anderen Wohnungen begann im selben Moment das Baby zu weinen und er schloss seine Augen, rang um Geduld.
„Na schön", meldete sie sich schließlich. „Du bekommst einen zweiten Wagen. Ich gebe dir noch Bescheid, wo du ihn abholen kannst." Erleichterung durchflutete ihn, dass er auch weiterhin auf die U-Bahnen verzichten konnte. Und auf einmal kam ihm das Gebrüll des kleinen, menschlichen Lebewesens nicht mehr ganz so schrill und schrecklich vor.
„Danke, Jen", sagte er und meinte es auch so. Jetzt brauchte er nicht mehr zu befürchten, dass Darien ständig wusste, wo er sich aufhielt.
„Schon in Ordnung. Ich muss los, eine Videokonferenz wurde für halb zehn angesetzt." „Bis nachher", verabschiedete er sich und konnte gerade noch verhindern zu sagen, dass sie Tony im Auge behalten sollte, um sicher zu gehen, dass es ihm auch weiterhin halbwegs gut ging. Aber er wusste instinktiv, dass sie das sowieso machen würde, schon alleine deswegen um zu verhindern, dass er zu viel herausfand.
Gibbs klappte das Handy zu, legte es auf den Tisch und wandte sich erneut dem Foto zu. Das Lächeln von Tony erhellte dessen Gesicht und strahlte mindestens genauso wie die Sonne an diesem Tag. Damals war ihre Welt noch in Ordnung und sie waren glücklich gewesen, einander zu haben und jetzt stand er kurz davor, das alles zu verlieren.
Sachte fuhr er mit dem Zeigefinger über das Bild, immer und immer wieder. „Ich liebe dich", flüsterte Jethro und schluckte den großen Kloß in seinem Hals hinunter, bevor er das Foto schließlich nahm und es nach einem letzten Blick im Portemonnaie verstaute. Ihm war bewusst, wenn er es noch länger ansehen würde, würde er seiner Sehnsucht bald nicht mehr widerstehen können.
Entschlossen stand er auf, um sich einen fischen Kaffee zu machen. Es war an der Zeit, sich erneut mit Darien zu beschäftigen, auch wenn es ihm mehr als schwer fiel, vor allem, weil ihm Tony ständig durch den Kopf ging und ihm klar machte, wo er jetzt sein könnte. Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Aber jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen – es gab kein Zurück mehr.

Fortsetzung folgt...
Chapter 16 by Michi
Mit großen Schritten eilte ich in das Großraumbüro hinunter, Jens Worte weiterhin in meinem Kopf widerhallend. Ich war verwundert, dass sie mir doch erlaubt hatte, Gibbs' Wagen zu untersuchen, noch dazu, da sie sich zuvor dagegen gesperrt hatte. Ihr Blick war eindeutig gewesen und ich hätte eher damit gerechnet, dass sie mich in Zwangsurlaub schicken würde, um zu verhindern, dass ich vielleicht einem Phantom nachjagte. Die Möglichkeit, dass Jethros Unfall doch kein Unfall gewesen war, bestand natürlich und ich wusste nicht, mit welcher Variante ich besser zurecht kam – damit, dass er ermordet worden war oder dass er einfach Pech gehabt und das erste Mal die Kontrolle über seinen Wagen verloren hatte. Dennoch, da war immer noch die Tatsache, dass er nach Norfolk gefahren war und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er nur für ein Frühstück diesen weiten Weg auf sich genommen hatte.
Ärger stieg in mir auf und überdeckte für kurze Zeit den Schmerz in meinem Inneren. Wieso hatte mich Gibbs nicht geweckt? Wovor hatte er mich schützen wollen? Hätte er mir doch nur Bescheid gegeben, dann würde er jetzt wahrscheinlich nicht bei Ducky unten in einem der Kühlfächer liegen und darauf warten, dass er begraben wurde. Alleine der Gedanke an eine Beerdigung führte dazu, dass ich beinahe mitten auf der Treppe angefangen hätte, zu schreien. Da das aber keinen guten Eindruck hinterlassen und mich Jen wirklich nach Hause schicken würde, begnügte ich mich damit, meine Hände zu Fäusten zu ballen. Ich hatte keine Ahnung, wann die Trauerfeier stattfinden würde und wenn ich ehrlich zu mir war, wollte ich es überhaupt nicht wissen, da ich mich an diesem Tag endgültig von Jethro verabschieden musste und ich wusste nicht, wie ich das überstehen sollte. Die ganzen Menschen, die einem kondolierten, den Friedhof verließen und anschließend mit ihrem Leben weitermachten, so als ob nichts geschehen wäre. Ich hingegen würde in ein leeres Haus zurückkehren, wo mich alles an meinen Freund erinnern würde. Ducky hatte zwar gestern Abend gesagt, dass der Schmerz mit der Zeit besser werden würde, aber momentan hatte ich nicht das Gefühl, dass das stimmte. Ich vermisste einfach alles an Gibbs, selbst seine herrische Art und seine gelegentlichen Ausraster, wenn etwas ganz und gar nicht nach Plan verlief.
Ich verlangsamte meine Schritte, blieb auf dem Treppenabsatz stehen und sah in das Büro hinunter, wo die übliche Hektik herrschte. Agenten gingen oder eilten zwischen den Schreibtischen hin und her oder warteten auf den Aufzug. Es war wie an einem gewöhnlichen Montag, wäre da nicht der leere Platz schräg unter mir. Ich würde mich wohl nie an diesen Anblick gewöhnen, kein Gibbs, der wegen dem Computer frustriert war und parallel einen großen Becher Kaffee trank, keine Telefonanrufe mehr, die er mit einsilbigen Antworten entgegennahm und vor allem konnte ich ihn nicht mehr während der Arbeit beobachten, so wie ich es gerne gemacht hatte.
In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß – ein sicheres Zeichen dafür, dass ich erneut kurz davor stand, einen Teil meiner Selbstbeherrschung zu verlieren, weshalb ich meinen Blick ganz schnell von dem unbesetzten Schreibtisch losriss und stattdessen meine beiden Kollegen musterte, die damit beschäftigt waren, die Arbeit zu erledigen, die ich ihnen aufgetragen hatte. Nicht eine Sekunde lang hatten sie dagegen protestiert oder auch nur gezögert. Waren sie wirklich bereit, mich ohne weiters als neuen Boss zu akzeptieren oder lag es daran, dass sie Gibbs' möglichen Mörder genauso finden wollten wie ich? Was es auch immer war, ich hoffte, sie würden ihren Eifer beibehielten, vor allem, weil es wichtig war, dass eine gewisse Routine zurückkehrte. Es war wie bei beim Reiten: fiel man einmal vom Pferd, war es das Beste, sich gleich darauf wieder hinaufzusetzen, um sich seinen Ängsten zu stellen. Und genauso war es hier, nur war niemand vom Pferd gefallen, sondern wir hatten einen wichtigen Menschen verloren – den wichtigsten Menschen den es überhaupt gibt, fügte ich in Gedanken hinzu und trat vom Geländer zurück, um die restlichen Stufen hinunterzugehen.
Es war an der Zeit, dass ich Ziva und McGee sagte, dass wir von der Direktorin grünes Licht erhalten hatten und vielleicht hatten sie bereits irgendwelche Ergebnisse, mit denen ich etwas anfangen konnte.

Auf meinem Weg nach unten kamen mir erneut Agenten entgegen, aber wie bereits am Morgen ignorierte ich ihre Blicke, unterband damit sogleich jeglichen Versuch ihrerseits, zu fragen, was wirklich geschehen war und mir blieb zudem ihr Mitleid erspart. Es genügte mir bereits, dass ich spürte, wie sie mir förmlich hinterher sahen und genauso neugierig wie Tratschweiber waren – und da hieß es, wir seien in einer Bundesbehörde.
Erleichtert darüber, endlich meinen Platz erreicht zu haben, ließ ich mich auf den Stuhl fallen, legte automatisch meine Füße auf den Tisch – wobei ich fast den leeren Kaffeebecher hinuntergeworfen hätte – und fuhr mir müde mit der rechten Hand über mein Gesicht. Langsam machte es sich bemerkbar, dass ich in der Nacht nicht geschlafen hatte und die sechs Stunden, die ich am Nachmittag im Bett verbracht hatte, waren nicht wirklich erholsam gewesen, hatte ich mich danach wie erschlagen gefühlt. Ich wusste genau, wenn ich heute wieder kein Auge zubekommen würde, würde ich irgendwann zusammenbrechen, aber ich hatte einfach Angst, von Gibbs zu träumen, die glückliche Zeit mit ihm noch einmal zu durchleben, was mir bloß zeigen würde, dass es nie wieder so sein würde. Ich wünschte nur, es würde nicht so weh tun, nur an ihn zu denken, aber ich vertraute auf Duckys Worte, dass es mit der Zeit besser werden würde.
Nach Kates Tod war es dasselbe gewesen, die ersten Tage waren einfach so an mir vorbeigezogen, ohne dass ich wirklich mitbekommen hatte, dass Minute um Minute vergangen war. Noch dazu waren wir damit beschäftigt gewesen, Ari zu jagen. Aber ich hatte gelernt, mit Kates Verlust zu leben, genauso wie ich anfangen musste, damit zu leben, dass Jethro für immer fort war, auch wenn es mir weiterhin schwer fiel, es zu akzeptieren. Er hinterließ eine größere Lücke als meine ehemalige Kollegin und diese zu füllen war unmöglich, selbst wenn ich schlussendlich das Team übernehmen würde.

Ich seufzte leise, zwang mich in die Gegenwart zurück und blickte zwischen Ziva und McGee hin und her, die mich eingehend musterten und anscheinend darauf warteten, dass ich irgendetwas sagte. „Wir haben grünes Licht von der Direktorin", durchbrach ich schließlich das Schweigen und setzte mich eine Spur gerader hin, behielt aber die Füße auf dem Tisch. Immerhin gab es jetzt niemanden mehr, der mir deswegen eine Kopfnuss verpassen konnte – eine Erkenntnis, die mir einen großen Kloß in den Hals trieb und mich hart schlucken ließ. Deshalb war ich auch froh, dass Tim das Wort ergriff.
„Sie hat uns tatsächlich erlaubt, Gibbs' Wagen zu untersuchen?" fragte er vollkommen perplex und starrte mich ungläubig an. „Hast du etwas anderes erwartet, Bambino?" wollte ich wissen und schenkte ihm meinen gefährlichsten Blick. Er räusperte sich kurz, um seine Stimme wiederzufinden. „Nun, ich… ich meine, immerhin sind wir alle persönlich involviert und… nun ja, vor allem du…" Er brach ab und sah stattdessen auf seine Hände. Innerlich musste ich grinsen, dass ich es schaffte, ihn aus dem Konzept zu bringen, aber äußerlich ließ ich es mir nicht anmerken.
„Direktor Sheppard war anfangs dagegen, aber durch meine hervorragenden Verhandlungskünste hat sie schließlich nachgegeben." Dass ich selbst überrascht davon war, dass sie uns so ohne weiteres erlaubt hatte, Jethros Tod zu untersuchen, verschwieg ich.
Von Ziva war ein Prusten zu hören. „Hervorragende Verhandlungskünste? Meinst du nicht, sie hat nachgegeben, damit du ihr nicht weiterhin auf das Fell rückst?" „Es heißt auf den Pelz rücken", korrigierte ich sie ohne lange darüber nachzudenken, schnappte mir einen Bleistift und drehte ihn geistesabwesend mit meinen Fingern hin und her. „Und nein, ich glaube nicht, dass sie nachgegeben hat, nur damit ich sie in Ruhe lasse. Außerdem werde ich in Zukunft wohl mehr mit ihr zu tun haben, immerhin hat sie mir die vorübergehende Leitung des Teams übertragen."
„Wirklich?" kam es erfreut von McGee und riss seinen Blick von seinen Händen los. „Das ist ja großartig. Also bekommen wir keinen wildfremden Agenten vor die Nase gesetzt?" „In den nächsten Tagen nicht", erwiderte ich und tippte mit der Spitze des Stiftes auf meinem Oberschenkel herum. „Was aber nicht heißt, dass sich Direktor Sheppard nicht anders entscheiden kann. Und um ihr keinen Grund dafür zu liefern, müssen wir uns ein wenig zusammenreißen."
„Keine Bange, Tony, du wirst das sicher hinbekommen", sagte Ziva und beugte sich ein wenig vor. „Immerhin ist es ja nicht das erste Mal, dass du der Leiter bist, schon vergessen? Damals, als dieser Junge seine Klasse mit einer Bombe um den Bauch gestürmt hat und Gibbs…" „Mit dem Unterschied, dass Gibbs damals wieder zurückgekommen ist, was diesmal nicht der Fall sein wird", unterbrach ich sie unwirsch und warf den Bleistift auf den Tisch zurück. Ich wusste, es war nicht klug, derart aus der Haut zu fahren, aber es tat so verdammt weh zu wissen, dass meine Worte der reinen Wahrheit entsprachen und ich brauchte einfach ein Ventil, um alles aus mir herauszulassen.
Unbehagliches Schweigen breitete sich aus und ich fuhr mir frustriert durch meine Haare, nahm die Füße vom Tisch und setzte mich normal hin. Es machte keinen guten Eindruck, wenn ich hier herumlümmelte, als ob ich mich bei mir zu Hause auf der Couch befinden würde. „Es tut mir leid, aber…" begann ich mit einer Entschuldigung, aber Ziva winkte mit einer Hand ab. „Schon in Ordnung, Tony. Ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast." Ich nickte, dankbar dafür, dass sie nicht nachtragend war, zumal es nicht das erste Mal an diesem Tag war, dass ich sie angefahren hatte.

„Okay, Leute, dann lasst uns an die Arbeit gehen", sagte ich und drehte mich so, dass ich McGee ansehen konnte. „Was hast du über den Zeugen herausgefunden, der den Unfall beobachtet hat?" Tim schnappte sich eine Akte, stand auf und kam zu uns herüber, wobei er sich an Zivas Schreibtisch lehnte. „Kyle Zeke, wohnt seit über zehn Jahre in Norfolk und hat dort in einem Laden für Elektronikzubehör gearbeitet, ist momentan aber arbeitslos. Seit seiner Geburt hat er in Washington gelebt, aber nach dem Tod seiner Frau ist er umgezogen. Die beiden hatten keine Kinder und auch sonst gibt es keine lebenden Verwandten. Laut den Kontoauszügen seiner Bank hat er keine Geldprobleme, ist aber auch nicht übermäßig reich. Sein Vater hat ihm ein wenig Geld vererbt, mit dem er sich über Wasser halten kann.
Mr. Zeke hat die Highschool abgeschlossen, aber das College abgebrochen. Die Liste seiner Jobs, die er im Laufe seines Lebens ausgeübt hat, ist länger als mein gesamter Arm. Er scheint sich nicht gerade auf eine Sache festlegen zu können. Seine Weste ist jedoch sauber, er hat bisher nur ein paar Strafzettel wegen zu schnellem Fahren kassiert, sonst gibt es keine gröberen Verstöße gegen das Gesetz." „Oder er wurde nie erwischt", fügte ich hinzu und runzelte die Stirn. Anscheinend war Kyle Zeke ein normaler Mann, der ein langweiliges Leben führte. Auf den ersten Blick konnte ich mir nicht vorstellen, dass er etwas mit Jethros Tod zu tun hatte, aber der Schein konnte trügen. Ich würde mir selbst ein Bild von diesem Mann machen, indem ich ihm einen Besuch abstatten würde.
„Na schön. Ziva, was hast du?" wandte ich mich an die Israelin, als sich McGee wieder an seinen Platz setzte und die Akte sorgfältig an den Rand seines Tisches legte. „Nicht viel. Ich bin noch dabei herauszusuchen, wer bereits alles entlassen wurde, den Gibbs jemals verhaftet hat. Nicht zu vergessen die Familienangehörigen, die vielleicht einen Groll auf ihn haben, weil er ihre Liebsten ins Gefängnis gesteckt hat. Aber ich bleibe am Ball."
Ich nickte und verzichtete darauf, sie anzutreiben. Ziva wusste selbst, dass sie sich beeilen sollte und ich hatte keine Zweifel, dass sie dies auch machen würde. Ich stand auf, öffnete die oberste Schublade meines Schreibtisches und holte meine Waffe heraus, die ich an meiner Hüfte befestigte. „McGee, wir werden zu Kyle Zeke fahren, aber vorher muss ich noch etwas erledigen. Wir treffen uns in 15 Minuten in der Tiefgarage. Und sieh nach, ob der Tank voll ist, nicht, dass wir auf halber Strecke liegen bleiben." „Alles klar", erwiderte Tim, fragte aber nicht nach, was ich noch erledigen musste. Er schien zu merken, dass ich nicht darüber sprechen wollte.
Ich schnappte mir meine Jacke und eilte zum Fahrstuhl. Es wurde Zeit, dass ich noch jemandem einen Besuch abstattete.

Fortsetzung folgt...
Chapter 17 by Michi
Der Aufzug brachte mich innerhalb von Sekunden in den Keller, wo im Gegensatz zum Großraumbüro keine Hektik herrschte, nicht einmal das Klingeln eines Telefons war zu hören. Hier unten war es totenstill, was größtenteils an den Bewohnern lag, die vorübergehend in den Kühlfächern einquartiert worden waren, bis man sie endgültig begrub.
Und genau wegen jemandem, der in einem dieser Fächer seine vorübergehend letzte Ruhe gefunden hatte, hatte ich mich entschieden, in die Pathologie zu fahren, auch wenn ich nicht einmal selbst wusste, wann ich diese Entscheidung getroffen hatte. Ich wusste auch nicht, warum ich es mir antat, in die Autopsie zu gehen, vor allem, da ich mir damit nur selbst weh tun würde, aber ich konnte einfach nicht anders. Es war wie ein innerer Zwang, der mich hier herunter getrieben hatte. Nur, was erhoffte ich mir zu finden? Inneren Frieden? Eine Eingebung, wer Gibbs eventuell ermordet hatte? Irgendetwas, das mir den Schmerz nehmen würde? Oder wollte ich einfach nur in der Nähe des Mannes sein, den ich liebte? Zu wissen, dass er nicht weit von mir entfernt war, trieb mich zur Eile an und innerhalb von wenigen Sekunden öffneten sich die Türen leise zischend, um mich in die Pathologie einzulassen.
Die Stille kam mir noch erdrückender vor, nur das leise Summen der Klimaanlage war zu hören. Weder Ducky noch Palmer hielten sich in dem großen Raum auf, obwohl ich irgendwie damit gerechnet hatte, dass einer von ihnen anwesend sein würde. Es kam äußerst selten vor, dass keiner der beiden hier war, aber ich beschwerte mich nicht – im Gegenteil. Es war mir mehr als Recht, dass ich alleine war, alleine mit Jethro, dessen Körper sich in einem der Kühlfächer befand.
Meine Schritte wurden langsamer und mein Herz schlug mir bis zum Hals, der auf einmal ziemlich eng war. Aus einem mir unerfindlichen Grund hatte ich auf einmal Probleme mit dem Atmen und ich blieb zögernd neben Duckys Schreibtisch stehen, wo eine Liste lag, in der eingetragen war, in welchem Fach sich wer befand. Ich warf meine Jacke auf den Stuhl und trotz der Kühle in der Pathologie begann ich leicht zu schwitzen, aber dennoch trat ich nicht den Rückzug an. Entschlossen holte ich tief Luft, ehe ich mit den Augen die Spalten der Tabelle absuchte, bis ich den mir allzu vertrauten Namen gefunden hatte. Ich hätte nie damit gerechnet, dass Gibbs jemals hier unten landen würde, hatte irgendwie immer gedacht, er wäre unverwundbar, oder etwas in dieser Art. Der Kloß in meinem Hals wurde größer, als ich die Nummer des Faches erkannte, in dem er lag – in demselben, in dem sich Kate befunden hatte. Ob Ducky das absichtlich gemacht hatte? Oder war es nur Zufall?
Ich erinnerte mich noch sehr gut an den Tag, als ich mit McGee an diesem Ort gewesen war, wo wir uns zusammen von ihr verabschiedet hatten. Es war ungewöhnlich gewesen, sie so ruhig zu sehen, so friedlich, als ob sie schlafen würde. Ducky hatte es geschafft, das Loch in ihrer Stirn zu kaschieren, nichts hatte daran erinnert, dass sie erschossen worden war, wären da nicht ihre unnatürlich blasse Haut und die geschlossenen Augen gewesen. Damals hatte ich geglaubt, es wäre das erste und letzte Mal, wo ich hier war, um mich von jemanden aus unserem Team zu verabschieden – wie ich mich doch geirrt hatte.

Ohne weiter darüber nachzudenken, gab ich mir innerlich einen Ruck und ging an dem blank polierten Stahltisch vorbei auf die gegenüberliegende Wand zu, wovor ich stehen blieb und die entsprechende Tür anstarrte, die Tür, hinter der sich der Mann befand, von dem ich gedacht hatte, mit ihm mein restliches Leben zu verbringen. Und jetzt war ich hier, so nahe bei ihm, aber doch so weit entfernt. Eine Barriere aus wenigen Zentimetern trennte uns und es brauchte nur eine kleine Bewegung meinerseits, um das Fach zu öffnen, aber ich brachte es einfach nicht übers Herz, wollte Gibbs so in Erinnerung behalten, wie er all die Jahre über, seit ich ihn kannte, ausgesehen hatte.
Ich wusste, dass der Anblick von Verbrennungsopfern alles andere als schön war, das Fleisch verbrannt und schwarz, teilweise komplett verschwunden, der Knochen entblößt. Wenn noch genug vom Gesicht übrig war, waren oft die schmerzverzerrten Züge zu erkennen, man konnte die Qual sehen, die diese Menschen durchgemacht hatten. Nein, das würde ich mir nicht antun, ich würde mir die Bilder von Jethro in meinem Gehirn nicht durch seine Überreste verderben.
Zitternd hob ich meine rechte Hand und presste sie gegen das kühle, ja beinahe kalte Metall. Zärtlich fuhr ich mit den Fingern darüber, so als ob ich seine Haut liebkosen würde. „Du fehlst mir so", flüsterte ich, trotzdem klang meine Stimme im Vergleich zu der Stille überlaut. „Du fehlst uns allen so. Seit du weg bist, ist nichts mehr normal. Ich hasse den Anblick deines leeren Schreibtisches und du wirst es nicht glauben, aber ich würde alles dafür tun, dass ich nur noch einmal eine Kopfnuss von dir bekomme. Wenigstens einmal."
Ich lehnte meine Stirn gegen die kleine Tür, nahm die Kälte des Metalls fast nicht wahr. Es war das zweite Mal – nach Kate - dass ich mit einem Toten redete, hatte es immer für verrückt gehalten, wenn es Ducky gemacht hatte, aber jetzt stand ich hier und unterhielt mich mit Jethro, in dem vollen Bewusstsein, dass er mir nicht antworten würde.
„Wieso bist du bloß nach Norfolk gefahren? Wer oder was hat dich dorthin getrieben? Warum hast du mir nicht davon erzählt? Wolltest du mich wirklich nur beschützen? Gib mir doch einen Hinweis, wo ich suchen soll. Nur einen, das würde bereits genügen." Meine Stimme wurde heiser und ich versuchte den riesigen Kloß in meinem Hals zu ignorieren. In einer hilflosen Geste ballte ich meine Hand zur Faust und schlug ein paar Mal mit meiner Stirn gegen die Tür, aber selbst der körperliche Schmerz schaffte es nicht, den psychischen ein wenig zu lindern. Vor ein paar Minuten, als ich noch oben gewesen war, bei Ziva und McGee, war es mir halbwegs gut gegangen, aber jetzt stürmte alles erneut auf mich ein, vor allem deswegen, weil Gibbs im Prinzip hier bei mir, aber trotzdem unerreichbar war.
Meine Augen fingen zu brennen an und ich blinzelte heftig, aber es brachte nichts. „Wieso tust du mir das an?" fragte ich leise, während die ersten stummen Tränen meine Wangen hinunterliefen. „Wieso lässt du mich alleine? Wieso?" Ich schlug mit der Faust gegen das Metall, wünschte mir, dass Jethro durch den Lärm gestört wurde, aber nichts rührte sich, alles blieb ruhig.
Die aufsteigenden Schluchzer schluckte ich tapfer hinunter und ich wusste, dass ich mich bald wieder zusammenreißen musste, da ich nicht mehr viel Zeit hatte, bevor ich mit McGee zu dem Zeugen fahren würde. Vielleicht erhielten war ja von ihm eine Antwort, die etwas Licht in die ganze Angelegenheit brachte.
Aber ich schaffte es einfach nicht, mich vom Fleck zu rühren, stand weiterhin an die Kühlfächer gelehnt da und begann erneut, mit meinen Fingern sachte über die kleine Tür zu fahren. Meine Wut, dass mich mein Freund einfach alleine ließ, verschwand so schnell wie sie gekommen war und hinterließ nichts weiter als stumme Tränen. Anstatt sie jedoch zu unterdrücken, ließ ich sie zu, da ich wusste, dass ich mich danach besser fühlen würde und nicht so, als ob jemand genüsslich jemand mein Innerstes mit einem Löffel herauskratzen würde.

„Tony?" Eine Hand wurde mir auf die Schulter gelegt und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, wie lange ich insgesamt schon an dieser Stelle gestanden war und nichts weiter wahr genommen hatte als das Metall unter meinen Fingern und die salzigen Tränen, deren Strom endlich versiegt war und die langsam auf meiner Haut trockneten. Ich hatte nicht einmal gehört, wie sich die Türen der Pathologie geöffnet hatten und somit auch nicht mitbekommen, dass Ducky neben mir stand. Ich war regelrecht erleichtert, dass er es war und nicht Jimmy. Ich wusste nicht, was ich machen würde, wäre es dieser, der sich jetzt bei mir befand.
Schnell wischte ich mir mit dem Hemdsärmel über meine feuchten Wangen, um die verräterischen Spuren zu vernichten, aber mir war klar, dass ich den älteren Mann damit nicht täuschen konnte. Er würde sofort merken, dass ich geweint hatte und er war auch der Einzige, bei dem es mir nicht wirklich etwas ausmachte, dass er es mitbekam, nicht nach gestern, wo er mich im Bootskeller getröstet hatte. Ich drehte mich um und blickte auf Ducky hinunter, der mich eingehend musterte und an meinen Augen hängen blieb, die sicher glasig wirken mussten, ging aber auf meinen Zustand nicht näher ein. Stattdessen drückte er aufmunternd meine Schulter und spendete mir damit mehr Trost als es einfache Worte je geschafft hätten.
„Was machst du hier unten?" fragte er schließlich, obwohl er sich die Antwort bereits denken konnte. Wir hatten keinen aktuellen Fall und es gab demnach nur einen Grund, der mich in den Keller geführt hatte. „Ich wollte nur jemandem hallo sagen", erwiderte ich und lächelte leicht. „Auf einmal kommt es mir gar nicht mehr so seltsam vor, mit einem Toten zu reden. Ich wünschte nur, Jethro hätte gehört, was ich ihm gesagt habe." Erneut überkam mich Traurigkeit, aber ich drängte sie zurück. Ducky drückte mir noch einmal die Schulter ehe er mich losließ. „Die Toten finden andere Wege, um mit uns zu kommunizieren", sagte er, nahm seine Brille ab und putzte sie mit einer Ecke seines Jacketts.
„Hast du ihn gesehen?" wollte ich wissen und legte erneut meine Hand auf das Kühlfach, in dem Gibbs lag. Der Pathologe setzte sich seine Brille wieder auf und stellte sich vor mich, sodass er mich direkt anblicken konnte. „Ja, ich habe ihn gesehen, Tony", antwortete er leise und es war offensichtlich, dass es ihm schwer gefallen war. „Du bist nicht der Einzige, der ihm hallo sagen wollte und ich habe mich entschlossen, es von Angesicht zu Angesicht zu machen." „Etwas, das ich nicht geschafft habe", murmelte ich und wurde ein wenig verlegen.
„Du brauchst dich deswegen nicht zu schämen", meinte Ducky und lächelte mich beruhigend an. Er schien immer zu wissen, wie es in meinem Inneren zuging. „Es ist keine Schande, wenn du Jethro so in Erinnerung behalten willst, wie er ausgesehen hat, ehe es zu diesem bedauerlichen Zwischenfall gekommen ist. Obwohl, du glaubst nicht an einen Unfall, oder? Abby hat es mir erzählt", fügte er bei meinem fragenden Gesichtsausdruck hinzu. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so die Kontrolle über seinen Wagen verloren hat. Nicht Jethro, egal wie schrecklich sein Fahrstil ist… war." Ich schaffte es noch immer nicht, in der Vergangenheit von ihm zu sprechen und ich hatte keine Ahnung, ob ich es jemals könnte.
Erneut blickte ich die Tür des Kühlfaches an, fuhr sachte mit meinen Fingern darüber. „Hat er gelitten?" fragte ich nach ein paar Sekunden leise, so als ob ich mich vor der Antwort fürchten würde. Aber ich musste es wissen, musste Gewissheit haben. Ducky seufzte leise und bedeute mir mit einem Nicken seines Kopfes, ihm zu seinem Schreibtisch zu folgen. Schweren Herzens ließ ich Gibbs alleine zurück, unterbrach den Kontakt zu seinem vorübergehenden neuen Zuhause und ging dem Pathologen nach, der meine Jacke vom Stuhl nahm und sie mir gab, ehe er sich setzte. „Ich habe den Autopsiebericht von Oliver Beacon gelesen. Er ist Pathologe in Norfolk und wirklich kompetent. Jethro war bei ihm in guten Händen, auch wenn es nicht wirklich viel zu obduzieren gegeben hat." Bei diesen Worten verkrampfte sich mein Herz schmerzhaft und ich biss mir auf die Unterlippe, schwieg aber.
„Ich habe mir die Röntgenbilder eigenhändig angesehen und Gibbs muss mit dem Kopf irgendwo unglücklich aufgeschlagen sein, jedenfalls hatte er eine kleine Fraktur des Schädelknochens. Er war wahrscheinlich bewusstlos, als der Wagen in Flammen aufgegangen ist." „Wahrscheinlich?" „Nun, ganz sicher kann ich es nicht sagen. Natürlich kann er noch bei Bewusstsein gewesen sein, vor allem, da Jethro ein unglaublich großer Sturkopf war. Aber die Wahrscheinlichkeit ist gering." Ducky legte mir beruhigend die Hand auf meinen Unterarm und ich nickte dankbar. Zu wissen, dass Gibbs wahrscheinlich nichts gespürt hatte, ließ mich meinen Schmerz ein wenig leichter ertragen.
Ein wenig erleichtert zog ich meine Jacke an – es war Zeit, Kyle Zeke einen Besuch abzustatten und McGee nicht länger warten zu lassen. Obwohl ich nicht genau wusste, seit wann ich in der Pathologie war, so waren es sicher bereits mehr als 15 Minuten.
„Ich muss gehen, Duck", sagte ich und steckte meine Hände in die Taschen. „McGee und ich fahren zu dem Zeugen, der den Unfall beobachtet hat. Vielleicht bin ich nachher ein wenig schlauer." „Du wirst es bestimmt herausfinden, wenn es ein Mord gewesen und wer dafür verantwortlich ist, Tony, aber wäre es nicht besser, Ziva und Timothy hinzuschicken?" Ich schüttelte den Kopf. „Ich muss das selbst erledigen. Ich muss einfach." Ducky versuchte nicht, mir meine Entscheidung auszureden, sondern nickte nur verständnisvoll.
Ich schenkte ihm ein letztes Lächeln, bevor ich Richtung der Türen ging, aber bevor sie sich öffneten, drehte ich mich noch einmal um. „Du passt auf ihn auf, nicht wahr?" fragte ich und blickte ein letztes Mal zu dem Kühlfach, in dem Gibbs lag. „Natürlich werde ich das", antwortete Ducky und richtete seine ein wenig schiefe Fliege. „Jetzt kann ich ihm wenigstens meine Geschichten erzählen, ohne dass er mir wegläuft."
Ich konnte nicht anders als zu lächeln und verließ die schließlich die Pathologie. Die Entscheidung, hier herunter zu kommen, war richtig gewesen und ich ertrug den Verlust ein bisschen leichter, auch wenn es weiterhin unglaublich schmerzte. Es würde noch lange dauern, bis die Wunden verheilt waren, aber eines wusste ich jetzt bestimmt: je mehr Zeit verging, desto besser würde ich damit umgehen können. Ducky hatte wieder einmal Recht gehabt.

Fortsetzung folgt...
Chapter 18 by Michi
Die Uhr zeigte kurz nach Mittag, als McGee und ich die Ausfahrt des Highways, die uns nach Norfolk bringen würde, erreichten. Die Fahrt hatte sich zäh wie ein Kaugummi dahingezogen, der Verkehr war ungewöhnlich dicht gewesen und ich hätte am liebsten mehr als einmal meine Nerven irgendwo entsorgt, damit sie nicht mehr strapaziert werden konnten. Die Stille, die im Wagen herrschte, wurde nur durch die leise Musik aus dem Radio und dem gleichmäßigen Summen der Reifen auf dem Asphalt unterbrochen.
Seit wir Washington verlassen hatten, hatten weder Tim noch ich ein Wort gewechselt, da wir beide nicht wirklich wussten, worüber wir reden sollten. So hingen wir die ganze Zeit unseren Gedanken nach und lauschten den verschiedenen Songs, die aus den kleinen Lautsprechern tönten. Es war nicht so, dass unser Schweigen unangenehm wäre, aber ich hätte durchaus ein paar Worte bevorzugt, aber nicht einmal irgendein Thema, mit dem ich meinen jungen Kollegen aufziehen hätte können, fiel mir ein.
Seit ich die Pathologie verlassen hatte, war mir jeglicher Sinn für Humor abhanden gekommen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit Gibbs einen Teil meiner selbst zurückgelassen hatte – ein Teil, der ihm Gesellschaft leistete, während ihm Ducky eine Geschichte nach der anderen erzählte. Bei diesem Gedanken musste ich unwillkürlich lächeln und ich entspannte mich ein wenig, der Griff um das Lenkrad wurde lockerer. McGee schien zu spüren, dass sich etwas verändert hatte, da er mir einen kurzen Seitenblick zuwarf – die erste, wirkliche Bewegung in der letzten Stunde.
Als ich vorhin die Tiefgarage erreicht hatte, hatte er sofort meinen leichten, desolaten Zustand bemerkt, obwohl ich im Waschraum der Toilette versucht hatte, mich ein wenig zu erfrischen. Aber selbst Wasser hatte nicht geholfen, meine roten und ein wenig geschwollenen Augen zu kaschieren, weshalb Tim bei meiner Ankunft beim Auto ohne Zweifel realisiert hatte, dass ich geweint hatte, hatte aber kein Wort darüber verloren. Stattdessen hatte er mir kommentarlos den Schlüssel für den Dienstwagen überreicht und war auf der Beifahrerseite eingestiegen. Seitdem hatte er aus dem Seitenfenster gestarrt und hatte sich nur bewegt, wenn er sich eine bequemere Position gesucht hatte.

Ich war ihm wirklich dankbar, dass er mich nicht angesprochen sondern mich meinen Gedanken überlassen hatte, während ich automatisch das Fahrzeug Richtung Norfolk gelenkt hatte, mir nur hin und wieder des dichten Verkehrs bewusst gewesen. Natürlich hätte ich wie Jethro, wenn er am Steuer gesessen hatte, alle langsameren Wagen überholen können, aber irgendwie hatte ich ein wenig Angst vor dem Gespräch mit dem Zeugen, einfach aus der Befürchtung heraus, dass meine Theorie nicht zutreffen würde. Wer wusste schon, was uns erwarten würde? Vielleicht war Kyle Zeke ein Mann, der bereits schlecht sah oder ein wenig senil war, immerhin schien er ein Einzelgänger zu sein und solche Personen mochten öfters verrückte Sachen, um auf sich aufmerksam zu machen. ‚Aber deswegen gleich jemanden ermorden?' fragte ich mich selbst und runzelte die Stirn, während ich den Blinker setzte und den Highway verließ.
„Ist alles in Ordnung, Tony?" unterbrach McGee schließlich unser Schweigen und drehte sich vollends um, um mich anzublicken. Obwohl ich mich auf die Straße konzentrierte, entging mir nicht, dass er mich sorgenvoll musterte – ein Ausdruck, den ich bei ihm nicht oft sah. Verschwunden war seine Teilnahmslosigkeit, die er während der Fahrt an den Tag gelegt hatte und es schien, dass er, da ich mich endlich ein wenig entspannt hatte, selbst ruhiger wurde und die Spannung etwas aus seinen Körper wich.
„Es ist alles bestens, Bambino", antwortete ich, absichtlich seinen Spitznamen verwendend, um ihm damit zu zeigen, dass ich seinen Versuch, eine Unterhaltung in Gang zu bringen, nicht abwimmeln würde. Er fummelte nervös am Gurt herum, ehe er sich dazu entschloss, seinen Mut zusammenzukratzen und zu fragen, was ihm anscheinend bereits die ganze Zeit im Kopf herumgespukt war. „Als du gesagt hast, du müsstest noch etwas erledigen, da bist du in die Pathologie hinuntergefahren, oder?" Unwillkürlich verlangsamte ich das Tempo und widerstand nur knapp dem Drang, meine Augen zu schließen, obwohl ich damit gerechnet hatte, dass dieses Thema zur Sprache kommen würde. Immerhin wusste McGee, dass sich Gibbs bereits in Duckys Obhut befand und dank meines vorherigen Zustandes musste man kein Hellseher sein, um herauszufinden, wohin ich verschwunden war, zumal ich länger als fünf Minuten gebraucht hatte.
„Ja, ich war in der Pathologie", gab ich zu, anstatt es abzustreiten. Tim wollte mir nur helfen und er würde sich bestimmt nicht darüber lustig machen, dass ich geweint hatte, immerhin hatte er dies auch getan, als er erfahren hatte, dass Gibbs ums Leben gekommen war. Ich hatte sogar das Gefühl, dass mich sein Tod McGee näher gebracht hatte. Zwischen uns herrschte schon lange eine tiefe Freundschaft, vor allem seit ich und Jethro ein Paar waren – und das Band hatte sich nun verfestigt. Für mich würde er zwar immer Bambino bleiben, aber er hatte sich unübersehbar von einem schüchternen Agenten in einen selbstbewussten Mann verwandelt und es war diese Tatsache, weshalb ich ihn respektierte, auch wenn ich es ihm nur selten zeigte.

„Und, hast du… hast du ihn gesehen? Ich meine Gibbs, hast du…?" McGee brach ab und blickte nach vorne, so als ob er Angst hätte, eine Grenze überschritten zu haben. Ich hingegen schüttelte einfach den Kopf und beschleunigte, ehe ich zu einem Sonntagsfahrer werden konnte. „Nein, ich habe ihn nicht gesehen, Bambino", antwortete ich schließlich und starrte weiter nach vorne, da ich nicht wollte, dass er mitbekam, wie mich ein kurzer, heftiger Schmerz durchzuckte, weshalb ich meine Hände ums Lenkrad krampfte. Die Knöchel traten weiß hervor und ich presste kurz meine Kiefer zusammen, ehe ich fortfuhr: „Ich habe es nicht über mich gebracht. Ich will ihn so im Gedächtnis behalten, wie er vorher gewesen ist und nicht… du weißt schon."
Obwohl ich ihn nicht anblickte, spürte ich förmlich, wie Tim nickte, was mir gleich darauf bestätigt wurde, als er sagte: „Ich verstehe dich gut, Tony. Mir ist es damals mit Kate auch nicht anders ergangen. Ich hatte Angst, sie mit dem Loch in der Stirn zu sehen." Daran konnte ich mich noch sehr gut erinnern und wie McGee schlussendlich den Mut gefunden hatte, sich seinen Ängsten zu stellen. Er hatte unsere ehemalige Kollegin kurz aus ihrem engen, kalten Gefängnis befreit, um sich von ihr von Angesicht zu Angesicht zu verabschieden. Dies würde ich wahrscheinlich bei Jethro nicht schaffen, genauso wenig wie ich glaubte, dass ich in den nächsten Tagen noch einmal in die Pathologie gehen würde.
Ich schwieg, da ich wusste, dass es nicht erforderlich war, etwas von mir zu geben und konzentrierte mich wieder etwas mehr auf die Umgebung. Wir waren in einer ländlichen Gegend angekommen, ein paar Meilen vom Marinestützpunkt in Norfolk entfernt. Die Sonne schien als blasser Ball vom Himmel und die blätterlosen Bäume warfen groteske Schatten auf die Straße, was ein wenig irritierend war. Der Verkehr war im Gegensatz auf dem Highway um einiges weniger und als wir uns dem Wohnort von Kyle Zeke näherten, hörte er ganz auf.
Auf kleinen, aber gepflegten Grundstücken, standen einstöckige Häuser mit sauber verputzten Fassaden und Blumen vor den Fenstern. Nirgendwo war etwas verwittert oder lag Müll herum, es war die perfekte Umgebung, um Kinder groß zu ziehen oder sich ein restliches, schönes Leben zu machen.
Ich stellte den Wagen vor einem hellgelben Haus ab, dessen Vorderseite von einer Veranda umgeben wurde, die vor kurzem neu gestrichen worden war. Ein großer Schaukelstuhl mit einem dicken Polster stand darauf und lud einen förmlich dazu ein, Platz zu nehmen und die Seele baumeln zu lassen. Das Tor der Garage war offen und gewährte einen hervorragenden Blick auf einen älteren BMW mit glänzendem, schwarzem Lack. Mr. Zeke schien sehr darauf bedacht, alles gepflegt zu halten. Selbst auf dem Rasen war kein Unkraut zu finden.
Ich zog den Zündschlüssel ab, aber ehe ich aussteigen konnte, legte mir McGee eine Hand auf meinen rechten Unterarm. Auf seinem Gesicht war ein ernster Ausdruck erschienen und erneut erkannte ich, wie erwachsen er geworden war. „Tony, wegen gestern", begann er und fuhr sich zögerlich durch seine Haare. Ich wusste sofort, worauf er hinauswollte und dass ihm dieses Thema schon lange beschäftigte, weswegen er ein wenig nervös wirkte. „Ich wollte dich nicht so anschreien, es war nicht richtig und schon gar nicht in dieser Situation", sagte er endlich, was ihm auf dem Herzen lag. Ich legte eine Hand auf seine und signalisierte ihm damit, dass ich ihm nicht böse war.
„Du musst dich nicht entschuldigen, McGee", erwiderte ich leise und sah ihm fest in die Augen. „Du hast nur deinen Gefühlen freien Lauf gelassen und ich habe auch nicht richtig reagiert. Ich wollte das Offensichtliche einfach nicht akzeptieren und habe einen Schuldigen gesucht. Dich trifft am wenigsten eine Schuld." „Aber ich hätte daran denken sollen, wie du dich in diesem Moment gefühlt hast. Immerhin bist du Gibbs von allen am nächsten gestanden. Ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn ich einen Menschen verlieren würde, den ich so liebe wie du unseren Boss. Meiner Meinung nach hältst du dich großartig."
Unwillkürlich lächelte ich leicht und statt vor diesem Gespräch zu flüchten, blieb ich sitzen. „So großartig halte ich mich ja gar nicht", gab ich zu und grinste breiter, als Tim verwirrt die Stirn runzelte. „Glaub mir, für die nächsten Monate habe ich von Alkohol genug." Ich zählte im Stillen bis drei – kaum war ich bei zwei angelangt, breitete sich Verständnis auf seinem Gesicht aus. „Oh", meinte er dazu nur. „Deshalb hast du heute Morgen so… nun ja… blass ausgesehen." „Eine halbe Flasche Bourbon würde selbst dich umhauen, Bambino." „Eine halbe Flasche?!" Seine Stimme war eine Oktave höher geworden. „Ja, aber das bleibt unser Geheimnis. Also solltest du lernen, wie ein Grab zu schweigen. Sonst bist du nicht lange mein Senior Field Agent." Mit diesen Worten ließ ich ihn sitzen und stieg aus, wo mir kalte Luft entgegenschlug. Ich hatte Tim mehr als überrascht und mir wurde erst jetzt richtig bewusst, was es bedeutete, meinen jahrelangen „Titel" abzugeben. Aber gleich darauf konzentrierte ich mich auf die Bewegung des Vorhanges, der das Fenster neben der Tür verdeckte – unsere Ankunft war nicht unbemerkt geblieben.

„Bambino!" rief ich, sodass meine Stimme viel zu laut in der Luft widerhallte. „Willst du dort drinnen übernachten?!" Ich sah, wie er leicht zusammenzuckte und ganz schnell ausstieg, um mich nicht länger warten zu lassen. Kaum hatten wir die Veranda betreten, öffnete sich die Haustür und ein Mann um die 50 stand auf der Schwelle. Seine dunkelbraunen Haare, die an den Schläfen leicht ergraut waren, waren verstrubbelt und er machte den Eindruck, vor einer Minute aus dem Bett aufgestanden zu sein. Die braunen Augen, um die tiefe Falten eingegraben waren, musterten uns misstrauisch, aber intensiv. Kyle Zeke war kleiner als wir, aber seine stählernen Muskeln, die sich unter dem Flanellhemd abzeichneten, waren nicht zu übersehen. Sein Gesicht hatte eine eckige Form und er erweckte den Eindruck eines Boxers, der seine überschüssige Energie an anderen Personen ausließ.
„Ich kaufe nichts", bellte er uns unfreundlich entgegen und ich wäre beinahe zurückgestolpert, als ich seinen nach Knoblauch stinkenden Atem roch. Seine Stimme war heiser und zeugte von einem jahrelangen Zigarettenkonsum.
„Und wir verkaufen nichts", sagte ich, während ich meinen Dienstausweis aus meiner Hosentasche holte und ihn dem Mann unter die Nase hielt. „Special Agents DiNozzo und McGee. Können wir kurz mit Ihnen reden?" Kyle musterte den Ausweis, verglich das kleine Bild mit meinem Gesicht und gab uns schließlich mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass wir eintreten sollten.
„Geht es um den Agenten, der gestern vor meinen Augen gegen einen Baum geprallt ist? So wie der gerast ist, hat es mich nicht sonderlich gewundert." Er schloss die Tür, die uns in ein etwas altmodisches Wohnzimmer gebracht hatte. Aber die Einrichtung war mir egal, da ich Mühe hatte, meine Faust nicht in das Gesicht Zekes zu schlagen. Er hatte über Jethros Unfall gesprochen, als sei es ein schlechter Film gewesen und seine Stimme hatte einen herrischen Ton angenommen – ich konnte diesen aufgeblasenen Kerl jetzt schon nicht ausstehen.
McGee, der meine angespannte Körperhaltung bemerkte, warf mir einen warnenden Blick zu, so als ob er Angst hätte, ich würde etwas Dummes anstellen.
Ohne uns etwas zu trinken anzubieten, setzte sich Kyle auf einen alten Ohrenbackensessel, während McGee und ich auf dem abgewetzten, grauen Sofa Platz nahmen. In dem Raum war es unangenehm heiß, die Heizung musste auf die höchste Stufe eingestellt sein und zusätzlich waren sämtliche Fenster geschlossen, weshalb ich mich meiner Jacke entledigte, wobei die Augen des Mannes auf meiner Waffe, die an meiner Hüfte befestigt war, hängen blieben.
Ungeachtet dessen, dass das Haus äußerlich sauber war, war das Innere leicht schäbig und abweisend. Keine Pflanzen lockerten die Atmosphäre auf, der einzige Ziergegenstand war ein überlebensgroßes Poster einer splitterfasernackten Blondine, die sich auf einem weißen Sandstrand räkelte. Kyle Zeke schien sehr von Frauen mit üppigen Rundungen angetan zu sein, da auf dem zerkratzten Holztisch sich Ausgaben des Playboy und GSM stapelten. Noch vor acht Monaten hätte ich meinen Blick von den Zeitschriften wenden können, aber die Zeiten, wo ich fast sabbernd und mit einem breiten Grinsen dagesessen und Seite um Seite durchgeblättert hatte, waren definitiv vorbei. Und Gibbs hatte mir mehr als einmal gezeigt, dass ein männlicher Körper viel aufregender sein konnte und ich liebte es weiterhin, seinen zu erforschen, obwohl ich jeden Winkel kannte. Aber bevor ich mich in Erinnerungen verlieren konnte, zwang ich mich in die Gegenwart zurück.

McGee hatte bereits seinen kleinen Notizblock hervorgeholt und saß mit gezücktem Kugelschreiber neben mir, wartete nur darauf sich aufzuschreiben, was uns Mr. Zeke erzählen würde. Dieser hatte es sich mittlerweile gemütlich gemacht, was bedeutete, er hatte seine Beine von sich gestreckt, aber die Hose ein wenig nach oben gezogen, sodass ein Teil seiner dicht beharrten Unterschenkel sichtbar war. Er musterte uns gelangweilt, nur um sich gleich darauf Dreck unter den Fingernägeln zu pulen.
„Mr. Zeke", begann ich und versuchte mir die Abneigung ihm gegenüber nicht anmerken zu lassen, „können Sie uns sagen, was sich gestern Morgen genau ereignet hat?" Er sah sich kurz seine Nägel an, bevor er seine Konzentration uns zuwandte. „Das habe ich doch bereits dieser anderen Agentin erzählt. Wie war doch gleich ihr Name?" „Cassidy", half ihm McGee automatisch weiter. „Richtig, also die war wirklich heiß. Kaum zu glauben, dass es in eurem Verein solche Augenweiden gibt." Ich konnte froh sein, dass ich nichts in Händen hielt, da ich es sonst zerquetscht hätte. Es war offensichtlich, dass dieser Typ Gesetzeshüter nicht ausstehen konnte und jetzt verstand ich auch, weshalb er vorhin so abfällig über Gibbs' Unfall geredet hatte und Paula als Lustobjekt betrachtete.
Am liebsten würde ich von hier verschwinden, aber ich musste wissen, was er gesehen hatte, also zwang ich mich, ruhig zu bleiben.

„Mr. Zeke", wagte ich einen erneuten Versucht und blieb betont freundlich, auch wenn ich ihm liebend gerne sein dämliches Grinsen aus dem Gesicht wischen würde. „Mir ist bewusst, dass sie alles bereits Agent Cassidy erzählt haben, aber es ist unerlässlich, dass Sie es noch einmal wiederholen. Ich… wir müssen wissen, was wirklich passiert ist." „Was soll schon passiert sein?" fragte er eine Spur gehässig und kratzte sich erneut Dreck unter den Nägeln hervor. „Dieser Kerl hat mich einfach überholt und das bei diesen schlimmen Straßenverhältnissen. Er hat die Kontrolle über seinen Wagen verloren und ist gegen einen Baum geprallt. Selber schuld, würde ich sagen." Kaum hatte er die letzten Worte von sich gegeben, schien er sofort zu merken, dass sie falsch gewesen waren, da er seine Muskeln anspannte. Mich überkam eine unglaubliche Wut, Wut darüber, dass er es wagte, so über meinen Freund zu reden.
„Dieser Kerl hat einen Namen", zischte ich und beugte mich weit nach vorne und fixierte meinen Gegenüber mit einem stechenden Blick. „Sein Name ist Jethro Gibbs und an Ihrer Stelle würde aufpassen, was Sie hier sagen." Ich wurde immer lauter, unfähig die Wut länger zu unterdrücken. „Und er hatte zwar einen schrecklichen Fahrstil, aber seit ich ihn kenne, hat er noch nie einen Unfall gebaut! Jethro hat an dieser Sache sicher keine Schuld! Nicht er!" „Tony", sagte McGee und legte mir eine Hand auf meinen Oberschenkel, als ich aufstehen wollte. In meinen Augen brannte es verräterisch, aber ich schob es auf den Zorn, der mich durchflutete.
„Wollen Sie etwa andeuten, ich wäre schuld?!" Jetzt war es an Zeke, laut zu werden und auf seinen Wangen erschienen hektische, rote Flecken. Er hatte sein Interesse an seinen Fingernägeln verloren und machte auf einmal den Eindruck eines gefährlichen Raubtieres. „Sie kommen einfach hierher und unterstellen mir, ich hätte die Verantwortung dafür, was geschehen ist! Was kann ich denn dafür, wenn dieser Gibbs Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht kennt! Fehlt nur noch, dass Sie dem Baum, der das Pech hat, ausgerechnet dort neben der Straße zu stehen, die Schuld geben! Ich weiß, was ich gesehen habe und ich lasse mir nicht von irgendwelchen Bundesagenten etwas in die Schuhe schieben!" Kyles Atem hatte sich beschleunigt und er hatte seine Hände zu Fäusten geballt, sodass sich seine Knöchel weiß durch die Haut abzeichneten.
McGee verstärkte seinen Griff um meinen Oberschenkel und wollte damit offensichtlich verhindern, dass ich dem anderen den Hals umdrehte. „Wir wollen keinem etwas in die Schuhe schieben", meinte Tim und legte einen beruhigenden Ton in seine Stimme. „Sagen Sie das Ihrem Kollegen hier! Er scheint das nicht so zu sehen", spie uns Zeke entgegen und ein paar Speicheltröpfchen lösten sich aus seinem Mund. Jetzt wirkte er mehr denn je wie ein Raubtier mit Tollwut. Seine Wangen waren röter geworden und mich hätte es nicht gewundert, wenn er plötzlich einen Herzinfarkt erleiden würde.
Meine Wut schwelte weiterhin unter der Oberfläche, aber ich erkannte, dass ich so nicht weiterkam und sich Kyle sperrte, irgendetwas zu erzählen. Je lauter ich werden würde, desto Verschlossener würde mein Gegenüber werden. Auch wenn er ein aufgeblasener Kerl war, ich musste mein Temperament ein wenig zügeln.

„Haben Sie schon einmal einen geliebten Menschen verloren?" fragte ich leise, wobei ich die Antwort bereits kannte und sah Kyle dabei fest in die Augen, versuchte mit meiner erzwungenen Ruhe, zu ihm durchzudringen. Er musterte mich eingehend, schätze ab, ob ich ihn manipulieren wollte. McGee neben mir hielt kurz die Luft an und sein Griff lockerte sich ein wenig, weshalb ich ein Stückchen von ihm wegrückte, sodass seine Hand von meinem Oberschenkel rutschte.
Das Schweigen dehnte sich aus, wurde nur durch die Geräusche des Hauses unterbrochen. Die Sekunden verstrichen, bis sich Zeke schließlich entspannte und sich in den Stuhl zurücklehnte. „Ja, habe ich", erwiderte er genauso leise wie ich und ein trauriger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, der die Wut überlagerte. Sein Atem wurde wieder regelmäßiger und die roten Flecken verwandelten sich ein helles Rosa. „Meine Frau ist vor Jahren bei einem Kletterunfall gestorben. Wir haben uns seit der Highschool gekannt. Sie war mein Ein und Alles." „Dann können Sie sich vorstellen, wie ich mich jetzt fühle. Jethro war mein Ein und Alles, er war mein Leben, ich wollte mit ihm alt werden. Ich muss einfach wissen, was genau geschehen ist." Ich blinzelte heftig und versuchte die Enge in meiner Brust zu ignorieren. Eigentlich hatte ich Kyle nichts von meiner Beziehung mit Gibbs erzählen wollen, aber es war die einzige Möglichkeit, ihn zur Kooperation zu bewegen. Dieser sah mich stumm an, verarbeitete das eben gehörte, als ihm auf einmal ein Licht aufging. Seine Lippen formten sich zu einem stummen „Oh" und er realisierte endlich, welche Bedeutung Jethro für mich gehabt hatte – und immer haben würde.

„Es tut mir leid", entschuldigte er sich und ich wusste, dass er es genauso meinte, seine Miene drückte ehrliches Mitleid aus und seine herrische Art mir gegenüber verschwand von einer Sekunde zur anderen. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass… es ist nur so, dass ich es mit Gesetzeshütern jeglicher Art nicht so sehr habe." Er verstummte und spielte mit seinen Fingerspitzen herum, ließ den Dreck unter seinen Nägeln aber diesmal in Ruhe. Ich schien ihn ein wenig aus dem Konzept gebracht zu haben, zumal er sicher nicht damit gerechnet hatte, dass zwei Bundesagenten eine Beziehung miteinander hatten. In den letzten sieben Monaten war es mir öfters passiert, dass ich auf ungläubige Gesichter gestoßen war, vor allem bei meinen Freunden aus dem College. Diese waren ziemlich erstaunt gewesen, als sie erfahren hatten, dass mein Lebenspartner ein Mann war, zumal ich ja den Ruf eines Schürzenjägers inne gehabt hatte. Aber mittlerweile hatten auch sie akzeptiert, dass ich dem weiblichen Geschlecht den Rücken zugekehrt hatte, auch wenn sie hin und wieder Witze darüber rissen.

„Okay, was wollen Sie wissen?" fragte Kyle schließlich und bei diesen Worten entspannte ich mich ein wenig. Ich lehnte mich zurück und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass sich McGee bereitmachte, sich Notizen zu machen. Mit einer kurzen Bewegung und einem leisen Geräusch brachte er die Mine des Schreibers zum Vorschein und verschränkte seine Beine, wobei der lange, braune Mantel, den er noch immer trug, raschelte. Es wunderte mich, dass ihm nicht warm war, obwohl die Heizung voll aufgedreht war und deswegen der Knoblauchgeruch, den ich vorhin aus Zekes Mund wahrgenommen hatte, ziemlich unangenehm war.
„Alles, woran Sie sich erinnern können", antwortete ich und lehnte mich zurück. „Jedes Detail könnte wichtig sein." Er sah mich misstrauisch an, zog die dichten Augenbrauen zusammen, aber ging auf meine Aussage nicht ein. Stattdessen nickte er und fuhr sich kurz durch seine Haare, ehe er anfing zu reden: „Es ist nicht viel, woran ich mich erinnere oder besser gesagt, es ist alles so schnell passiert. Ich war auf dem Weg nach Hause und ich habe das Tempo an die schwierigen Straßenverhältnisse angepasst, da es die gesamte Nacht hindurch geschneit hat und der Asphalt dementsprechend rutschig gewesen war. Ich weiß nicht genau wann, aber es war auf jeden Fall noch dunkel, als mich jemand mit hoher Geschwindigkeit überholt hat. Ein paar Sekunden später fing der Wagen an zu schleudern und geriet außer Kontrolle. Das Krachen, mit dem er gegen einen Baum geprallt war, habe ich selbst meterweit entfernt hören können. Glauben Sie mir, ich wollte Ihrem Freund noch helfen, aber als ich ausgestiegen bin, hat das Auto bereits Feuer gefangen und es war unmöglich, nahe an ihn heranzukommen." So wie er das Geschehene erzählte, hatte ich beinahe das Gefühl, er hätte es auswendig gelernt. Die Worte kamen schnell und ohne Emotionen über seine Lippen. Vor allem am Ende wich Kyle meinem Blick aus und heftete ihn stattdessen auf die Magazine auf dem Tisch, der zwischen uns stand.
Dennoch gab es keinen Grund, daran zu zweifeln, was passiert war, vor allem, da wir keine offensichtliche Verbindung zwischen ihm und Gibbs gefunden hatten. Zeke war nie von ihm verhaftet worden oder einer seiner Freunde oder Angehörigen. So weit wir wussten, hatte er noch nie etwas mit dem Marine Court zu tun gehabt, aber dennoch hatte ich den Eindruck, das etwas nicht stimmte. Wenn es so war, hoffte ich, dass Abby es beweisen konnte, dass sie irgendwelche verräterischen Spuren an Jethros Wagen fand, die verrieten, dass der Mann vor mir log.
Dieser hatte sich wieder gefasst, seine Schultern gestrafft und blickte mich mit funkelnden, braunen Augen an. „Mr. Zeke", unterbrach McGee das Schweigen und ich hatte beinahe vergessen, dass er anwesend war. „Von wo sind Sie gekommen, als der Unfall passiert war?" Dieser runzelte die Stirn, ehe er antwortete: „Von einem Freund. Wir veranstalten jeden Samstag einen Filmabend und wie jedes Mal hat es bis in die Morgenstunden gedauert. Und nein, ich habe keinen Alkohol getrunken. Ich habe deswegen sogar einen entsprechenden Test gemacht und der ist negativ ausgefallen. Hören Sie, es tut mir leid, was mit Ihrem Freund passiert ist", wandte er sich an mich und betonte dabei das Wort Freund besonders. Unwillkürlich fragte ich mich, ob er etwas gegen Beziehungen zwischen Männern hatte, aber wenn es so war, versteckte er es hervorragend hinter einer undurchschaubaren Miene. „Aber das Ganze hat sich wirklich so abgespielt, wie ich es Ihnen erzählt habe. Allerdings habe ich das Gefühl, Sie glauben nicht wirklich daran, habe ich Recht?" Ich schüttelte den Kopf und stand auf. Mir war bewusst, dass wir aus diesem Mann nichts mehr herausbekommen würden. Egal womit ich es versuchen würde, er würde bei seiner Geschichte bleiben, aber wenn etwas daran faul war, würde ich das herausfinden und dann gnade ihm Gott.
„Ich weiß selbst nicht, woran ich glauben soll", erwiderte ich und schnappte meine Jacke, um sie anzuziehen. Das lieblos eingerichtete Wohnzimmer kam mir noch düsterer vor und ich versuchte, die Flecken auf dem beigen Teppich zu ignorieren, die nicht gerade appetitlich aussahen. Die Wände schienen mich einzuengen und ich wollte einfach von hier verschwinden. Ich gab McGee mit einem kurzen Kopfrucken ein Zeichen, dass wir hier fertig waren, weshalb er seinen kleinen Notizblock und Kugelschreiber in einer der Manteltaschen verstaute und ebenfalls aufstand. Kyle hingegen machte keine Anstalten, unserem Beispiel zu folgen. Er war wieder in sein altes Verhaltensmuster zurückgefallen und schien erleichtert zu sein, uns loszuwerden.
„Wenn Ihnen noch etwas einfallen sollte, egal was, rufen Sie mich an", sagte ich und legte eine Visitenkarte auf einen Playboy, auf dessen Cover eine Brünette mit den Maßen von Pamela Anderson abgebildet war. Zeke zeigte kein Zeichen davon, ob er überhaupt bemerkt hatte, dass ich ihm eine Karte dagelassen hatte und ich hatte den Eindruck, dass sie wahrscheinlich in den Mülleimer wandern würde. Instinktiv spürte ich, dass es nicht das letzte Mal war, dass ich diesen Mann sehen würde, aber darüber würde ich mir Gedanken machen, wenn es so weit war.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ ich gemeinsam mit McGee das Haus und atmete befreit die kalte Luft ein, als wir die Stufen der Veranda hinuntergingen. „Irgendetwas stört mich an ihm", meinte Tim und stieg auf der Beifahrerseite ein, während ich wieder hinter dem Lenkrad Platz nahm. „Und dabei meine ich nicht seinen Atem, der eine Horde Vampire verjagt hätte." Ich startete den Motor und warf noch einen letzten Blick auf das äußerlich saubere Haus. Mir entging keineswegs die Bewegung des Vorhanges, der das Fenster neben der Tür verdeckte und ich wusste, Kyle Zeke beobachtete unsere Abfahrt, würde uns nicht aus den Augen lassen, ehe wir von seinem Grundstück verschwunden waren.
„Ich gebe dir Recht, Bambino. Aber falls er nicht ehrlich war, werden wir es früher oder später herausfinden. Wir müssen zuerst einmal abwarten, was Abby findet." Ich trat auf das Gaspedal und brachte dadurch rasch Distanz zwischen uns und dem Mann, der Gibbs zum letzten Mal lebend gesehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich jedoch noch nicht, dass ich erst am Freitag den Grund für das abweisende Verhalten von Kyle Zeke erfahren sollte – einen Grund, mit dem ich nie im Leben gerechnet hätte.

Fortsetzung folgt...
Chapter 19 by Michi
Der Geruch des Essens hing noch immer in der Luft, obwohl die Teller seit mehr als 10 Minuten abgeräumt worden waren. Gibbs hatte keinen Appetit verspürt, alleine der Gedanke an Nahrung hatte dazu geführt, dass sich seine Eingeweide schmerzhaft verkrampft hatten, aber er hatte tapfer das Steak, das ihm Darien vorgesetzt hatte, verzehrt. Es war ein spätes Mittag- oder ein frühes Abendessen - je nachdem, wie man es bezeichnen wollte – gewesen und Jethro hatte festgestellt, dass sein alter Freund das Kochen nicht verlernt hatte. Dieser hatte sich schon immer gerne selbst hinter den Herd gestellt und hatte eine Köstlichkeit nach der anderen gezaubert. Ungeachtet dessen, dass er keinen Hunger gehabt hatte, konnte er nicht leugnen, dass das Steak ausgezeichnet gewesen war, genau so wie er es am liebsten mochte.
Die ganze Zeit über hatten sie über frühere Zeiten geredet, über gemeinsame Einsätze bei den Marines und es wäre beinahe wie damals gewesen, eine unbeschwerte Unterhaltung bei einem guten Essen. Darien redete noch immer wahnsinnig gerne und wenn er einmal in Fahrt kam, war es schwer, ihn zu unterbrechen oder selbst etwas einzuwerfen. Gibbs war das nur Recht, so konnte er vorgeben, einfach zuzuhören, während er mit den Gedanken ganz wo anders war.
Während Coolidge über irgendwelche Heldentaten gefaselt hatte, hatte sich Jethro überlegt, wie er endlich herausfinden konnte. wo der nächste Anschlag erfolgen sollte. Zu seinem Leidwesen waren sie erneut in dem Raum, in dem er bereits bei seinem ersten Besuch untergebracht worden war. An der spärlichen Einrichtung hatte sich nichts geändert und auch sonst lag erneut nichts herum, weder Pläne, Notizen oder sonst irgendetwas, was ihm weiterhelfen hätte können.
Jen erwartete bald die ersten Ergebnisse, das hatte sie ihm klar gemacht, als sie ihn kurz nach Mittag noch einmal angerufen hatte, um ihm zu sagen, wo er seinen zweiten Wagen abholen konnte. Aber so einfach, wie es sich die Direktorin vorstellte, war es nicht, vor allem, da in der gesamten Fabrik Dariens Männer herumliefen und ihm dieser bis jetzt nichts anderes gezeigt hatte, als diesen spärlich möblierten Raum. In der ersten Etage gab es jede Menge ehemalige Büros, aber als er den Flur entlang gegangen war, hatte er feststellen müssen, dass sämtliche Türen geschlossen waren. Da Coolidge bei ihm gewesen war, hatte er nicht einen Blick in die anderen Zimmer werfen können, aber das würde sich ändern.

Seit gut 10 Minuten war Gibbs jetzt alleine und er lauschte bereits die ganze Zeit über, ob Darien zurückkommen würde. Dieser hatte die Teller abgeräumt und gesagt, dass er kurz etwas mit seinen Männern besprechen musste, ehe sie sich weiter unterhalten konnten. Wenn es nach Jethro ging, könnte sein alter Freund Stunden wegbleiben. Die Einsamkeit und Stille war ihm lieber als die Geschichten, die er sich anhören und so tun musste, ob er sie toll finden würde. Mittlerweile verstand er überhaupt nicht mehr, was er damals an Coolidge gefunden hatte, warum er sich mit ihm angefreundet hatte.
Sein gesamtes Wesen hatte sich verändert, nichts war mehr von der Gutmütigkeit, die ihn vor Jahren ausgezeichnet hatte, vorhanden und selbst die blauen Augen hatten sich in Glasmurmeln verwandelt. Äußerlich mochte er noch derselbe sein, aber innerlich hatte er sich komplett verändert und Jethro konnte sich vorstellen, woran es lag. Geld konnte die schlimmsten Seiten in Menschen zum Vorschein bringen und seit Darien damals das Vermögen seines Vaters, als dieser gestorben war, geerbt hatte, war er immer gieriger geworden und hatte das Geld nur noch vermehren wollen, egal wie.
Damals hatte er die kleinen Veränderungen nicht mitbekommen und als er Kelly und Shannon verloren hatte, hatte er anderes im Sinn gehabt als Dariens Veränderungen. Dieser hatte ihm damals zwar helfen wollen, aber es war Gibbs gewesen, der sich zurückgezogen hatte, bis er seine Rache bekommen und den Mörder seiner Familie eigenhändig erschossen hatte.
Seine Entscheidung, zum NCIS zu gehen, hatte Coolidge mit gedämpfter Freude zur Kenntnis genommen und das war der Zeitpunkt gewesen, wo er sich entfernt und angefangen hatte, sein eigenes Ding durchzuziehen. Ihre gemeinsamen abendlichen Streifzüge durch die Bars von Washington waren seltener geworden, bis sie ganz aufgehört hatten.
Und dann, etwa ein Jahr später, der Anruf von Darien und sein Geständnis, dass er etwas Großes vorhatte. Er hatte Jethro ohne zu zögern gefragt, ob er nicht Lust hätte, in seine Geschäfte einzusteigen, aber dieser hatte nichts davon wissen wollen – zwei Tage später hatte ihn die Nachricht erreicht, dass Hayden mit seinem Wagen in den Potomac River gefahren war, wobei seine Leiche nie gefunden worden war. Mittlerweile wusste Gibbs auch, warum. Wie hatte er damals nur glauben können, sein alter Freund wäre wirklich gestorben? Hätte er damals die einzelnen Puzzleteilchen zusammengesetzt, wäre die Sache mit dem Einkaufszentrum nie geschehen, hätte er nie ein Versprechen abgeben müssen und er würde jetzt auch nicht hier sitzen, anstatt an seinem üblichen Arbeitsplatz, um seine Kollegen herumzuscheuchen.
Was würde er jetzt für einen Fall geben, der alles von ihm abverlangte. Alles wäre besser als hier zu sitzen und nicht bei Tony sein zu können. Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass er seinen jungen Freund jemals so vermissen würde und dabei waren sie nicht einmal 48 Stunden voneinander getrennt – ihm kam es jedoch wie eine Ewigkeit vor.

Jethro schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um an Anthony zu denken, nicht, da er vorhatte, endlich etwas zu unternehmen. Für ein paar Sekunden hielt er die Luft an, lauschte auf irgendwelche Geräusche, aber das Einzige, das er hörte, war das Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Keine Schritte, die sich dem Raum näherten oder Stimmen, die vor der Tür miteinander redeten.
Langsam erhob sich Gibbs aus dem Sessel und ging zur Tür, die er einen Spaltbreit aufmachte, um auf den Flur hinauszuspähen. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Darien einen seiner Wachhunde – wie sie der Ermittler heimlich getauft hatte – vor dem Zimmer postiert hatte, um seinen Besucher im Auge zu behalten, damit dieser nichts Dummes anstellte.
Aber der Gang lag leer vor ihm, eine Tatsache, von der er sich mit einem raschen Blick nach links und rechts überzeugte. Von unten kamen gedämpft die Geräusche einer Sitcom, gefolgt von dem künstlichen Lachen, das an den Stellen eingespielt wurde, die lustig sein sollten, in Wirklichkeit aber eher peinlich waren.
Jethro trat auf den Flut hinaus und überlegte kurz, in welche Richtung er gehen sollte, bis er sich für links entschied, wo sich die meisten Räume befanden. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, um auf dem Metallboden, der von einem dünnen, dunkelgrünen Teppich teilweise verdeckt wurde, kein Geräusch zu machen. Dieser machte den Eindruck, auf einem Flohmarkt erstanden worden zu sein, jedenfalls hatte er genug abgenutzte Stellen und verströmte einen leicht muffigen Geruch.
Die Türen, die sich auf beiden Seiten des Flures befanden, waren zu Gibbs' Überraschung nicht abgeschlossen, sodass er in jedes Zimmer einen Blick werfen konnte, allerdings wurde seine Enttäuschung größer, je mehr Räume er passierte. Keiner sah wie ein Büro aus, die meisten waren leer, die einzigen Einrichtungsgegenstände waren alte Regale, auf denen Kartons standen, die so aussahen, als ob sie von Feuchtigkeit durchweicht waren und jede Menge Staub an ihnen klebte. Was in den Boxen enthalten war, konnte er nicht erkennen und im Moment interessierte es ihn auch nicht. Wenn er nachher noch Zeit hatte, würde er vielleicht einen Blick hineinwerfen.
Nach zahlreichen Fehlschlägen erreichte der Ermittler die letzte Tür am Ende des Ganges und sich innerlich darauf vorbereitend, dass es sich um einen weiteren Lagerraum handelte, öffnete er die Tür und Erleichterung durchflutete ihn, als er den modernen Computerbildschirm auf einem großen, polierten Schreibtisch stehen sah. Dieses Zimmer war im Gegensatz zu den anderen beinahe riesig, die Wände in einem hellen Gelb gestrichen und das Fenster war sauber geputzt, allerdings wurde es von einer Jalousie, die heruntergelassen worden war, verdeckt. Das Sonnenlicht drang nur spärlich herein und schaffte eine dämmrige Atmosphäre.
An den Wänden befanden sich Regale voller Bücher und Zeitschriften, wofür er mindestens einen Tag brauche würde, um alle durchzublättern. Auf dem Schreibtisch standen neben dem Bildschirm ein Schnurlostelefon, das in der Aufladestation steckte, ein Notizblock und einige Kugelschreiber in einer Kaffeetasse, die das Bild der Freiheitsstatue zeigte. Alles war säuberlich aufgeräumt, nur vereinzelte Staubflocken wirbelten in den wenigen Sonnenstrahlen, die ihren Weg durch die Jalousie fanden, herum.

Adrenalin strömte durch Gibbs' Adern, als er erkannte, dass er vielleicht endlich einen Schritt weitergekommen war, Darien hinter Gitter zu bringen. Wenn es nach ihm ginge, würde er längst in einer Zelle verrotten, aber nein, er musste ja unbedingt erneut mit einem Bombenanschlag drohen. Es kostete ihn immens viel Überwindung, seinen alten Freund nicht einfach beim Hals zu packen und ihn so lange zu schütteln, bis er endlich ausspuckte, wo er das Attentat plante. Wie er sich danach sehnte, endlich wieder in sein normales Leben zurückkehren zu können…
Mit einem kurzen Blick über seine Schulter betrat Jethro schließlich den Raum und schloss leise die Tür. Ihm war bewusst, wenn er beim Herumschnüffeln erwischt werden würde, würde er die Fabrik wohl nicht mehr lebend verlassen. Den beiden Wachhunden, die ihn gestern in Empfang genommen hatten, würde es sicher eine Freude sein, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Die Zwei schienen überhaupt misstrauisch zu sein und machten nicht einmal einen Versuch, dies zu verstecken. Auf sie musste er in Zukunft aufpassen, wollte er verhindern, dass er diesen Einsatz nicht überlebte.

Ohne zu zögern ging er auf den Schreibtisch zu und starrte den Computer, der darunter stand, wie einen Fremdkörper an. Gott, wie er dieses neumodische Zeugs hasste. Früher war doch auch jeder mit Papier, Bleistift und einer unkomplizierten Schreibmaschine ausgekommen, wieso nicht heute? Gibbs gab es nicht gerne zu, aber er hatte keinen Schimmer, was er jetzt machen sollte. Er wusste, wie man dieses Ding einschaltete, wusste, wie man E-Mail abrief und verfasste, aber er hatte keine Ahnung, wie er nach versteckten Informationen suchen sollte, falls welche vorhanden waren. Das war wie in einem schlimmen Albtraum, er stand hier in diesem Raum, alleine, ohne PC-Kenntnisse und die Chance, dass er beim Herumschnüffeln erwischt wurde, befand sich im 90 Prozent-Bereich.
Wäre es ein normaler Fall, würde er McGee anweisen, den Computer einzupacken, um ihn anschließend zu Abby zu bringen, die diesen innerhalb von wenigen Stunden durchforstet hätte. Mittlerweile wünschte er sich, dass er ihren Ausführungen, wie man einen Blechtrottel – wie er diese Dinger insgeheim nannte – professionell bediente, gelauscht hätte. Ständig hatte er sie unterbrochen, wenn sie in die Welt der Bits und Bytes abgetaucht war, um sie wieder auf das aktuelle Thema zurückzubringen und jetzt hatte er den Schlamassel.
„Klasse, wirklich klasse", murmelte Gibbs vor sich hin, beugte sich hinunter und bevor er es sich anders überlegen konnte, drückte er auf den Knopf, der den Computer zum Leben erweckte. Dieser fing leise zu summen an und innerhalb einer Sekunde flackerte der Bildschirm und das Microsoft Logo erschien auf dem sonst schwarzen Hintergrund.
Während der Rechner hochfuhr, behielt Jethro die Tür immer im Auge, lauschte auf Schritte, die von dem abgetretenen Teppich ein wenig gedämpft werden würden. Der Computer piepste leise und riss ihn damit aus der Betrachtung des grauen Metalls mit den vielen Kratzern. Eine Sekunde später hätte er am liebsten seinen Kopf frustriert in den Nacken gelegt und einen Verzweiflungsschrei ausgestoßen. Das konnte doch nicht wahr sein. Wieso konnte er in dieser Sache nicht einmal Glück haben? Reichte es nicht bereits, dass er Tony wissentlich verletzte, dass er vorgeben musste, sich zu freuen, mit Darien zusammen zu sein? Musste dieser verdammte Computer jetzt auch noch mit einem Passwort geschützt sein? Womit hatte er das nur verdient?
Die Erkenntnis, dass er heute keinen Schritt weiterkommen würde, überrollte ihn und er konnte nur mit Mühe dem Drang widerstehen, seine Faust auf den Tisch knallen zu lassen. Allerdings hätte es Gibbs gewundert, wenn Darien einen Computer einfach so ungesichert herumstehen lassen würde. Ein paar Sekunden lang überlegte er hin und her, bis er sich schließlich entschloss, dass ein paar Versuche nicht schaden konnten. Vielleicht hatte er Glück und er knackte das Passwort. Immerhin war er schon einmal hier und vor der Tür war es weiterhin ruhig.
Mit schneller klopfendem Herzen zog er die Tastatur zu sich heran und tippte das erste Wort, das ihm einfiel: den Namen von Dariens Vater, der ihm zu Reichtum verholfen hatte. Aber anstatt eines Desktophintergrundes erschien eine Fehlermeldung und die Aufforderung, für die Eingabe des richtigen Passwortes oder die nochmalige Kontrolle der Groß- und Kleinschreibung – es wäre auch zu schön gewesen, wenn es gleich beim ersten Anlauf geklappt hätte.
Gibbs probierte alle möglichen Varianten, die mit Geld zu tun hatten und als dies nichts half, verlagerte er sich auf die Orte, wo vergangene Anschläge stattgefunden hatten. Aber das Ergebnis blieb immer dasselbe. Würde Abby in diesem Moment hier bei ihm sein, würde sie wahrscheinlich bereits Zugang zu dem Computer haben
Jethro stieß einen Knurrlaut aus, der aber nur zur Hälfte seinen Mund verließ, als er draußen auf dem Gang eine Tür zugehen hörte. Unwillkürlich erhöhte sich sein Herzschlag und er lauschte auf Schritte, aber es blieb ruhig. War Darien zurückgekommen? Wenn ja, war er in den Raum, in dem sie sich vorhin aufgehalten hatten, gegangen oder in einen anderen? Oder war einer seiner Männer dort draußen?
Der Chefermittler sah noch einmal auf den Bildschirm und seine Fehlversuche, das Passwort zu knacken. So wie es derzeit aussah, würde er es auch nicht in den nächsten Minuten hinbekommen, sich Zugang zu verschaffen und die Gefahr, dass er erwischt wurde, war größer geworden, vor allem, da sich jemand in derselben Etage befand. Vielleicht ergab sich ja in Zukunft noch einmal eine Möglichkeit, diesen Raum aufzusuchen.
Erneut beugte sich Gibbs ganz nach unten und in Ermangelung technischen Wissens drückte er auf den Knopf an dem Gehäuse des PC, bis der Bildschirm schwarz wurde und das leise Summen sich in Stille verwandelte. Langsam ging er zur Tür, lauschte für ein paar Sekunden, indem er sein linkes Ohr an das kühle Metall legte und als er nichts hörte, öffnete er sie vorsichtig und spähte auf den Flur hinaus, der verlassen vor ihm lag.
Erleichtert atmete er auf, trat vollends in den Gang hinaus und schloss beinahe lautlos die Tür hinter sich. Ein paar Meter trennten ihn von dem Ort, wo er sich mit Darien unterhalten hatte, als er hinter sich ein Geräusch wahrnahm und sich reflexartig umdrehte. Aus einem der Räume, wo sich die Kartons nur so stapelten, kam einer der Wachhunde, deren Namen er bis jetzt noch immer nicht wusste. Coolidge hatte ihm nur ein paar seiner Männer vorgestellt, aber nicht die beiden Kerle, die so aussahen, als ob sie mit der Maschinenpistole unter dem Kopfkissen schlafen würden.

Für ein paar Sekunden starrten sie sich an, bis sein Gegenüber ruhig die Tür schloss und auf Gibbs zukam, dem unwillkürlich ein eisiger Schauer über den Rücken lief. Der misstrauische Ausdruck in den Augen des Mannes wurde intensiver. „Was tun Sie hier?" herrschte ihn der Riese an und baute sich bedrohlich vor ihm auf – er überragte den Chefermittler um fast eine Haupteslänge.
„Ich wollte auf die Toilette", antwortete Gibbs – es war die einzige Ausrede, die ihm spontan eingefallen war. Und da er auch nur ein Mensch war und hin und wieder körperliche Bedürfnisse hatte, konnte er nur hoffen, dass ihm der andere glaubte. Dieser zog jedoch seine Augenbrauen zusammen, sodass auf der Mitte seiner Stirn eine tiefe Falte entstand. „Die befindet sich aber auf der anderen Seite des Ganges", erwiderte er mit gefährlich ruhiger Stimme und deutete mit einem Daumen in besagte Richtung. „Lee", fügte er hinzu und grinste, wobei seine Augen weiterhin kalt funkelten. Gibbs wusste sofort, dass ihm dieser Wachhund nicht glaubte, dass er wirklich auf die Toilette musste, aber er machte gute Miene zum bösen Spiel.
„Ihr solltet hier Wegweiser aufstellen", meinte er und drehte sich um. „Wenn man hier neu ist, ist es schwierig, den richtigen Raum zu finden." Damit ließ Jethro den Riesen stehen. „Dritte Tür, rechts!" rief ihm dieser hinterher, was der Ermittler mit einem kurzen Nicken zur Kenntnis nahm. Um den Mann nicht noch misstrauischer zu machen, betrat er kurz darauf die Toilette, sah aber, bevor er die Tür wieder schloss, noch einmal auf den Flur hinaus, sodass er mitbekam, wie der andere in den Raum ging, den Gibbs vor kurzem verlassen hatte.
„Verdammt", murmelte er und lehnte sich gegen die Betonwand, ohne seine Umgebung wahrzunehmen. Er konnte nur hoffen, dass er keine Spuren hinterlassen hatte, ansonsten würde es ziemlich brenzlig werden.
Tief atmete er durch, wartete eine Minute, ehe er in das Zimmer zurückkehrte, in dem weiterhin der Essensgeruch hing und sich an das schmutzige Fenster stellte. Minuten vergingen, aber niemand platzte herein, um ihn kaltblütig zu erschießen. Langsam entspannte er sich ein wenig und als Coolidge zu ihm zurückkam, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht, wusste Gibbs, dass er für den Moment sicher war. Die Frage war nur, wie viel hatte der Wachhund seinem Boss erzählt.
Mit jeder Sekunde, die verging, verstärkte sich das Gefühl, das er einen Fehler begangen hatte, der den gesamten Einsatz – und sein Leben – gefährden könnte.

Fortsetzung folgt...
Chapter 20 by Michi
Es war kurz nach 19 Uhr, als ich meinen Mustang in der Garage meines Hauses abstellte. Ich wusste nicht, wann ich mich entschieden hatte, nicht zu Gibbs' Haus zu fahren, aber ich war am Hauptquartier einfach links abgebogen – der Weg, der zu mir führte. Ich war seit über 24 Stunden nicht mehr hier gewesen und mittlerweile waren in den Nachbargärten eine Schar Schneemänner verschiedenster Größen und Formen entstanden, manche mit Töpfen auf den Köpfen, manche mit Schlapphüten. Die Normalität ging weiter, das Leben nahm seinen Lauf, auch wenn es mir schwer fiel zu akzeptieren, dass es Menschen gab, deren Welt nicht aus den Fugen geraten war.
Es war im Prinzip ein gewöhnlicher Winterabend, die Straßenlaternen hüllten die ruhige Straße in einen sanften Schein, aber dennoch war es anders. Es stand kein zweiter Wagen hinter meinem, niemand war da, um mit mir Hand in Hand zur Tür zu gehen, um mich drinnen sofort dagegen zu pressen und mich zu küssen – ein kleines Ritual, das sich Jethro und ich angeeignet hatten, um den Feierabend zu begrüßen. Manchmal hatte es damit geendet, dass wir sofort im Schlafzimmer verschwunden waren und manchmal hatte es dahin geführt, dass wir uns am Sofa zusammengekuschelt hatten, um uns die neuesten Nachrichten anzusehen. Egal was wir nach diesem Kuss gemacht hatten, es fehlte mir wahnsinnig und ich musste mich beinahe überwinden, die Autotür aufzumachen und das leere Haus zu betreten, das mir so unglaublich still vorkam.
Nirgendwo brannte ein Licht, es gab niemanden, der mich begrüßte. Wie in Trance hängte ich meine Jacke in den Schrank, zog die Schuhe aus, um sie achtlos mitten im Vorraum stehen zu lassen, ging im Dunkeln ins Wohnzimmer, wo ich beiläufig die kleine Lampe auf dem Tisch neben der Couch einschaltete und setzte meinen Weg in die Küche fort, wo ich die Kühlschranktür öffnete und mir ein Bier herausnahm. Gekonnt entfernte ich die Metallkappe und nahm einen großen Schluck. Im Prinzip hatte ich genug von Alkohol, vor allem, nachdem ich gestern eine halbe Flasche Bourbon geleert hatte, aber ich brauchte jetzt die beruhigende Wirkung, die das Bier auf mich ausübte, damit die Einsamkeit erträglicher wurde.
McGee und Ziva hatten mir angeboten, mit ihnen essen zu gehen oder in einer Bar etwas zu trinken, aber ich hatte abgelehnt. Ich wusste, ich sollte mich nicht vergraben, aber ich konnte einfach nicht anders, ich konnte momentan nicht so viele Menschen um mich herum ertragen, die lachten, plauderten und sich fröhliche Geschichten erzählten.
Ich seufzte und ging mit der Flasche in der Hand ins Wohnzimmer zurück, wo ich mich auf die Couch fallen ließ, mir die Fernbedienung schnappte und den Fernseher einschaltete, um die Stille zu durchbrechen. Seitlich von mir befand sich der Kamin, auf dessen Sims nur ein einziges Bild stand: eines von Gibbs. Ich hatte es selbst gemacht, im Juli letzten Jahres, an dem Tag, als wir genau einen Monat zusammen gewesen waren. Er lehnte mit dem Rücken an einer Strebe seines Bootes, seine Haare waren leicht zerzaust, in seiner rechten Hand hielt er eine Hobel und er lächelte – ein Lächeln, das er nur für mich reserviert hatte und es niemandem sonst zeigte. Ich liebte dieses Foto, aber noch mehr liebte ich den Mann darauf und deswegen fiel es mir in diesem Moment so unglaublich schwer, es anzusehen. Es erinnerte mich an unsere glückliche Zeit, eine Zeit, an die zu denken schmerzte.

Ich schüttelte meinen Kopf und wandte mich wieder dem Fernseher zu, wo gerade eine Folge von Seinfeld über den Bildschirm flimmerte. Nicht gerade daran interessiert begann ich durch die Kanäle zu zappen, während ich an meinem Bier nippte. Ich wusste, ich sollte etwas dazu essen, aber ich hatte einfach keinen Appetit. McGee hatte mich dazu überredet, auf der Heimfahrt von Norfolk bei einem Imbiss stehen zu bleiben und hatte mir regelrecht einen Burger aufgezwängt. Mittlerweile hegte ich den Verdacht, dass ihm Ducky aufgetragen hatte, dafür zu sorgen, dass ich etwas Nahrung zu mir nahm, auch wenn ich mich dagegen wehrte.
Im Prinzip war es mir nicht wichtig, was McGee über mich dachte, aber ich hatte seinem Drängen nachgegeben und den Burger brav aufgegessen, obwohl ich mir vorstellen konnte, dass Ducky, wenn er dabei gewesen wäre, alles andere als zufrieden gewesen wäre. Immerhin hatte ich nur jede Menge Kalorien und Fett zu mir genommen, anstatt etwas Nahrhaftes, aber mir war es egal gewesen. Was kümmerte es mich, wenn meine Arterien verstopft wurden und ich irgendwann an den Folgen eines Herzinfarktes starb. Ich hatte meinen Sinn meines Lebens verloren und ich wusste, ich würde keinen Neuen finden.
In einem langen Zug trank ich die Flasche aus, stellte sie auf dem Tisch ab und legte mich mit dem Rücken auf das Sofa, streckte mich aus, sodass meine Füße über die Lehne auf der anderen Seite hingen. Ich hatte einen Sender gefunden, wo gerade ein Footballspiel übertragen wurde und da es das einzig Interessante war, das es zu diesem Zeitpunkt gab, sah ich dabei zu, wie jede Menge Muskelprotze sich den Ball zuwarfen und sich dabei gegenseitig brutal rammten.
Allerdings dauerte es nicht lange, bis der Bildschirm vor meinen Augen verschwamm und ich laut zu gähnen anfing. Die schlaflose Nacht wirkte sich aus und ich fühlte, wie mich eine große Welle der Müdigkeit überrollte. Aber ich wollte nicht schlafen, hatte ich doch Angst davor, dass mein Unterbewusstsein Gibbs in meine Träume schicken würde. Ich rieb mir über die Augen, zwang mich munter zu bleiben, aber je mehr Zeit verstrich, desto aussichtsloser wurde dieser Kampf. Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, wurde die Stimme des Moderators immer leiser und drang nur mehr von ganz weit weg an meine Ohren. Meine Lider wurden unglaublich schwer, die Fernbedienung rutschte mir aus den Fingern und landete leise klappernd auf dem Teppich. Ich bekam nicht einmal mehr mit, wie jemand einen Touchdown hinlegte und die Zuschauer in dem Stadium aus dem Häuschen gerieten. Mein Körper sank förmlich in die Polster des Sofas und tiefe Dunkelheit engte mich von allen Seiten ein, entführte mich in eine Welt, in der noch alles heil war…

Ich war Gibbs hilflos ausgeliefert – im wahrsten Sinne des Wortes. Vollkommen nackt lag ich mit dem Rücken auf seinem großen Doppelbett, meine Arme waren über meinen Kopf gestreckt, meine Handgelenke fest von Handschellen umschlossen, die an einer der Holzstreben des Kopfteiles befestigt waren und eine Augenbinde verhinderte, dass ich etwas sehen konnte. Ich musste mich vollkommen auf meine anderen Sinne verlassen, von denen vor allem der Gehör- und der Tastsinn auf einmal überempfindlich waren.
Die Bettwäsche unter mir fühlte sich viel weicher als sonst an, die Matratze passte sich genau meinem Körper an, die Gerüche waren intensiver und ich hörte alles um mich herum. Das Heulen des Windes, der die letzten vertrockneten Blätter von den Bäumen fegte, das Prasseln des Novemberregens, der klatschend auf den Asphalt und auf das Fenster aufschlug, das leise Ächzen des Holzes des Hauses und vor allem meinen eigenen Atem, der mir noch nie so laut vorgekommen war.
Die Situation, in der ich steckte, war nicht gerade die Beste – immerhin konnte ich meine Hände nicht bewegen und ich war vollkommen blind – aber dennoch konnte ich nicht leugnen, dass mich das alles ungeheuer anturnte. Mein gesamter Körper war von einem Kribbeln überzogen, Erregung hatte mich fest im Griff und obwohl es sicher Minuten her sein musste, seit mich Jethro hier zurückgelassen hatte, war ich steinhart. Je mehr Sekunden verstrichen, desto ungeduldiger wurde ich, wartete förmlich darauf, dass mein Freund zurückkam und mir mitteilte, was er mit mir vorhatte. Ich sah zwar nichts, aber ich wusste genau, dass er sich nicht im Schlafzimmer aufhielt, ich spürte seine Anwesenheit nicht.

Es war das erste Mal, seit wir zusammen waren, dass er mich ans Bett gefesselt hatte. In den letzten Monaten hatten wir genug herumexperimentiert, aber Handschellen oder Ähnliches hatten wir nie verwendet, wir hatten es nicht einmal zur Sprache gebracht. Aber mit dem heutigen Abend hatte sich das geändert. Ich hätte ahnen müssen, was auf mich zukommen würde, vor allem, als mich Gibbs mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen angeblickt hatte, als wir gemeinsam mit dem Aufzug vom Großraumbüro in die Tiefgarage hinuntergefahren waren. Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte ich wissen müssen, dass er etwas im Schilde führte, aber ich hatte nicht darauf geachtet, viel zu sehr war ich von Freude erfüllt gewesen, da ein Wochenende vor der Tür stand und wir noch dazu keinen Bereitschaftsdienst hatten.
Die Fahrt zu Jethros Haus war schweigend verlaufen – ein weiterer Grund, normalerweise misstrauisch zu sein, aber ich hatte angenommen, er würde über den letzten Fall nachdenken, den wir heute zu den Akten gelegt hatten. Wortlos hatten wir das Gebäude betreten und innerhalb einer Sekunde hatte ich mich gegen die Tür gepresst wiedergefunden, Gibbs' Mund auf meinem, so wie wir es jedes Mal machten, wenn ein weiterer Arbeitstag vorbei war. Aber diesmal war es anders, der Ausdruck in seinen blauen Augen war beinahe lüstern und das kleine Lächeln, das er mir nach dem Kuss geschenkt hatte, hatte mir sofort verraten, dass in seinem Kopf ein Plan entstanden war, der mir möglicherweise nicht gefallen würde, aber er hatte keine Anstalten gemacht, mir irgendetwas zu verraten – er hatte weiterhin geschwiegen.
Stattdessen hatte er meine Hand genommen und ohne mir die Chance zu lassen, mich von meiner Jacke zu befreien, mich nach oben ins Schlafzimmer geführt, wo er ohne Umschweife begonnen hatte, mich um Schicht um Schicht meiner Kleidung zu entledigen, die allesamt auf einem Haufen neben dem Bett gelandet war. Bereits zu diesem Zeitpunkt war ich wie Wachs in seinen Händen gewesen und es hatte mich nicht mehr gestört, dass er nicht geredet hatte, seit er verkündet hatte, dass wir Feierabend machen konnten.
Jethro hatte meinem Körper wie immer seine größte Aufmerksamkeit geschenkt, weshalb ich wegen seinem seltsamen Verhalten nicht wirklich misstrauisch gewesen war und als wir irgendwann auf dem Bett gelandet waren, hatte ich mich vor Lust unter ihm gewunden, ihn stumm angefleht, mir Erlösung zu schenken. Allerdings hatte er mich ein weiteres Mal mit diesem gefährlichen Lächeln bedacht, mir einen kurzen Kuss gegeben und sich über den Rand des Bettes gebeugt, um etwas aus seiner Hosentasche hervorzukramen – eine Sekunde später waren die Handschellen von seinem Daumen gebaumelt und ich hatte große Augen gemacht, war viel zu überrascht gewesen, um irgendwie zu reagieren.
Ich wusste noch, dass mein Hals plötzlich staubtrocken gewesen war, ich noch härter geworden war und meinen Blick nicht von Jethros Gesicht abwenden hatte können. Es war mir sofort klar gewesen, was er mit den Handschellen vorhatte und im selben Moment hatte ich erkannt, dass ich nicht abgeneigt war. Ich hätte einfach nur mit dem Kopf schütteln oder ein Wort des Protestes von mir geben müssen und er hätte sie wieder weggepackt – Gibbs würde nie etwas machen, womit ich nicht einverstanden wäre – stattdessen hatte sich ein Lächeln auf meine Lippen gestohlen und eine Sekunde später hatte er mir einen atemraubenden Kuss geschenkt, nur um gleich darauf meine Arme über den Kopf zu strecken und die Handschellen mit dem mir allzu vertrauten Geräusch um meine Gelenke zuschnappen zu lassen.
Von einer Sekunde zur anderen war ich ihm hilflos ausgeliefert gewesen und hatte ich geglaubt, die Handschellen wären das Einzige, was er verwenden würde, hatte ich mich mehr als getäuscht. Erneut hatte er sich über den Rand des Bettes gebeugt, aber diesmal um die Schublade des Nachttisches aufzuziehen und ein schwarzes Tuch hervorzuholen, das er sorgfältig zusammengerollt hatte.
Es war weiterhin kein Wort zwischen uns gefallen und auch diesmal hatte er mich nicht gefragt, ob ich damit einverstanden war, sondern hatte mich nur stumm angeblickt. Der Gedanke, nichts sehen zu können und mich nur auf meine anderen Sinne zu verlassen, hatte mir nicht wirklich gefallen, aber ich vertraute Jethro, weshalb ich mich auf dieses kleine Spiel eingelassen hatte. Ich hatte ihn erneut angelächelt, meinen Kopf von dem Polster gehoben und er hatte geschickt die Augenbinde befestigt, mit einem flachen Knoten, von dem ich nicht einmal eine Ahnung gehabt hatte, dass er existierte.
Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde war ich blind gewesen und ich hatte förmlich gespürt, wie mich mein Freund von oben bis unten angeblickt hatte, nur um danach aufzustehen und das Schlafzimmer zu verlassen. Seine plötzliche Abwesenheit hatte mich kurzfristig mit Angst erfüllt und ich hätte ihm beinahe hinterher gerufen, es aber dann doch unterlassen. Stattdessen hatte ich mich entspannt und an die neue Situation gewöhnt – das war der Zeitpunkt gewesen, an dem mich eine unglaubliche Erregung überkommen und ich begonnen hatte, die Geräusche und Gerüche um mich herum intensiver wahrzunehmen.

Und jetzt lag ich hier, ans Bett gefesselt, unfähig etwas zu sehen und mein Zeitgefühl war mir vollkommen abhanden gekommen. Es kam mir wie Stunden vor, seit Gibbs gegangen war, wobei es sich aber nur um Minuten handeln konnte. Mittlerweile fragte ich mich, wo Jethro blieb oder ob es reine Absicht war, dass er mich so lange warten ließ, nicht wissend, was auf mich zukam und mich dadurch noch neugieriger machte – und um einiges schärfer. Ich hätte nie angenommen, dass mich Handschellen derart anturnen konnten, waren sie bisher einfach nur ein Teil meines Jobs gewesen, aber mittlerweile sah ich sie in einem vollkommen anderen Licht. Die Tatsache, dass sich Gibbs und ich nicht auf ein Passwort geeinigt hatten, das ich verwenden konnte, wenn mir alles zu weit gehen sollte, beunruhigte mich keineswegs. Ich brauchte nur ein Wort zu sagen und er würde mich befreien, aber momentan wollte ich dieses Spiel, das er begonnen hatte, gar nicht beenden, viel zu sehr war ich gespannt, was er für mich aus dem Ärmel schüttelte und dass ich dafür warten musste, sollte mir Recht sein. Ich wusste, es würde sich im Endeffekt lohnen, so lange Jethro nicht vorhatte, mich das gesamte Wochenende ans Bett gekettet zu lassen.

Ich umfasste mit meinen Händen die Strebe des Kopfteiles und zog mich ein paar Zentimeter nach oben, um meine Schultergelenke ein wenig zu entlasten, hielt aber inne, als sich auf einmal die gesamte Atmosphäre im Schlafzimmer änderte. Unwillkürlich hielt ich den Atem an und drehte meinen Kopf zur Tür, versuchte durch das Tuch hindurch, etwas zu sehen, aber alles blieb dunkel. Obwohl ich keine Schritte hörte, wusste ich, dass Gibbs hier war, dass er zurück war und mich erneut ausgiebig betrachtete. Ein wohliger Schauer durchlief meinen Körper und ich widerstand nur knapp dem Drang, mich hin und her zu winden.
Die Bretter des Parkettbodens knarrten leise, als er sich bewegte und auf mich zukam. Gleich darauf hörte ich, wie er mit einem leisen Geräusch etwas auf dem Nachttisch abstellte, gefolgt von einem sanften Klirren, das ich nicht einordnen konnte. Ich stieß meinen angehaltenen Atem aus und rutschte auf dem Bett hin und her, um ihm damit zu signalisieren, dass ich ein wenig ungeduldig wurde, dass ich endlich wissen wollte, was er sich ausgedacht hatte.
Ich spürte, wie sich die Matratze neben mir absenkte und eine Sekunde später zuckte ich zusammen, als mich Gibbs mit einem Finger an meiner rechten Wange berührte und sie zärtlich streichelte. Mir stockte erneut der Atem und sämtliche Härchen stellten sich auf meinem Körper auf, als er anfing, meine Haut zu liebkosen. Es war eine einfache Berührung, aber durch meine vorübergehende Blindheit empfand ich sie als außerordentlich intensiv und ich biss mir auf meine Unterlippe, um ein Stöhnen zu unterdrücken.
„Hast du eine Ahnung, wie wunderschön du in diesem Moment bist?" fragte Jethro mit tiefer und gleichzeitig sanfter Stimme – seine Schlafzimmerstimme, wie ich sie bezeichnete – und bescherte mir einen erneuten Schauer der Erregung. Es war das erste Mal seit gut einer Stunde, dass er etwas sagte und ich war ein wenig überrascht, hatte ich doch angenommen, dass er den gesamten Abend schweigen würde.
Bei seinen Worten schoss mir eine tiefe Röte ins Gesicht, was Gibbs leise lachen ließ. „So unbeschreiblich sexy, so vertrauensselig, so offen für alles", flüsterte er und fuhr mit seinem Finger über meinen Hals bis zu meiner Brust, wo er einen Kreis um die Stelle zog, wo mein Herz schnell schlug und wanderte wieder zu meinem Gesicht zurück, diesmal zur linken Wange. „Du bist mein", hauchte er in mein Ohr und fing an, daran zu knabbern, sodass mir unzählige Stromstöße durch meinen Körper schossen und ich unwillkürlich meinen Rücken durchbog.
„Dein", erwiderte ich genauso leise, mit heiserer Stimme und spürte, wie Jethro seinen Mund über meine Wange zu meinen Lippen wandern ließ und mich ausgiebig küsste, seine Zunge einen sinnlichen Tanz mit meiner aufführen ließ, während seine Hände meine Oberarme streichelten. Ich hatte bereits das Gefühl, ich würde dahinschmelzen und Gibbs' Zärtlichkeit bescherte mir eine unglaubliche Wärme in meinem Inneren, die für einen kurzen Moment meine Erregung überlagerte. Ich vergaß sogar für einige Sekunden, dass ich ans Bett gekettet war und erst als mein Freund von mir abließ und ich meine Hände in seinen Haaren vergraben wollte, um ihn wieder zu mir herunterzuziehen, erinnerte mich das harte Metall auf meiner Haut daran, in welcher Situation ich mich befand.
Erneut lachte er leise und ich spürte, wie er sein Gewicht verlagerte, bis das leise Klirren, das ich vorhin schon einmal wahrgenommen hatte, erklang. Ich schluckte unwillkürlich, entspannte mich aber sofort wieder, als sich Gibbs auf mich legte, ich seine nackte Haut auf meiner fühlen konnte und sich seine harte Erektion gegen meine presste, weshalb ich aufstöhnte und meinen Kopf in den Nacken fallen ließ. Gleich darauf schrie ich auf, als mich unerwartet etwas Eisiges am Hals berührte und sich innerhalb kürzester Zeit überall auf meinem Körper eine Gänsehaut bildete.
„Gott, ist das kalt!" rief ich und versuchte unwillkürlich, meinen Hals aus der Gefahrenzone zu bringen, scheiterte aber kläglich. „Das haben Eiswürfel nun einmal so an sich", erwiderte Jethro mit amüsierter Stimme und ließ das kleine Folterinstrument – wie ich es spontan taufte – über meine Haut gleiten. Ich erschauerte und zog an den Handschellen, die leise klirrten und sich ein wenig schmerzhaft in meine Gelenke gruben, was ich aber nur am Rande mitbekam.
„Ein Eiswürfel?" keuchte ich und spürte, wie dieser langsam schmolz und kleine Tropfen Richtung Matratze rannen. „Wie bist du bloß auf diese Idee gekommen? Weißt du eigentlich, wie gemein das ist? Ich kann mich nicht einmal wehren." Gibbs' Antwort bestand darin, dass er mit seiner Zunge das Rinnsal aufnahm und dadurch, dass der Eiswürfel verflucht kalt war, kam mir seine Zunge umso heißer vor. Dieser starke Kontrast ließ mich laut aufstöhnen und ich rieb mein steifes Glied an seinem Oberschenkel, als mich Welle um Welle der Lust überrollte. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich jemals so intensiv etwas fühlen konnte und ich unterdrückte ein frustriertes Seufzen, als Jethro von mir abließ.
„Die Idee ist mir heute Nachmittag gekommen, als du angefangen hast, von den Resten deiner Cola die Eiswürfel herauszufischen und sie langsam zu lutschen", erwiderte er schließlich und ließ den besagten Gegenstand langsam über meine Lippen fahren. „Du hast mich damit ganz wild gemacht, vor allem die kleinen Tropfen, die an deinem Kinn hinuntergeronnen sind und die du dann mit dem Daumen weggewischt hast. Etwa so", fügte er hinzu und setzte seine Worte in die Tat um. „Ich war danach so scharf auf dich, dass ich eine ganze Stunde nicht von meinem Schreibtisch aufstehen habe können." Ich öffnete meinen Mund und nahm damit den Rest des gefrorenen Wassers in mich auf, ließ es zerschmelzen, bis nichts mehr davon übrig ist.

„Also ist das gewissermaßen deine Rache an mir", stellte ich trocken fest, konnte mir aber ein Grinsen nicht verkneifen. Ich hatte mich heute schon gefragt, weshalb Jethro so lange an seinem Platz sitzen geblieben war und das, obwohl Direktor Shepard drei Mal nach ihm verlangt hatte, um den Abschlussbericht des letzten Falles durchzugehen.
„Genau", flüsterte er und küsste mich leidenschaftlich. „Aber deswegen gleich Handschellen?" fragte ich atemlos, als er sich von mir gelöst hatte. Ich hörte erneut das leise Klirren, jedoch war ich diesmal vorbereitet, weshalb ich nicht aufschrie, als er den nächsten Eiswürfel an meinem rechten Schlüsselbein entlanggleiten ließ. „Hmmm", machte er als Antwort. „Ich muss gestehen, ich wollte dich schon lange einmal ans Bett fesseln und heute schien mir der richtige Zeitpunkt." Seine Schlafzimmerstimme war wieder da und seine Zunge, die kurz darauf die Spur des Eises aufnahm, machte es mir unmöglich, irgendetwas zu sagen.
Ich fühlte nur noch die Kälte, die sich mit seinem warmen Mund abwechselte und seine Erektion, die er an meinem Oberschenkel rieb, während er mich langsam aber sicher in den Wahnsinn trieb. Ich hatte das Gefühl, dass Jethro jeden Zentimeter meiner Brust mit Eiswürfeln abfuhr, ehe er alles aufleckte. Mittlerweile war ich unfähig, irgendetwas zu denken und mich hatte eine Erregung überkommen, die ich wegen der Augenbinde als unglaublich stark empfand und die jeden Winkel meines Körpers und Bewusstseins ergriffen hatte.
Die Überreste des Eiswürfels wurden durch einen neuen ersetzt und als Gibbs damit meine linke Brustwarze berührte, umfasste ich unwillkürlich die Strebe, an die ich gekettet war und bog meinen Rücken durch, sodass nur noch meine Beine und mein Kopf die Matratze berührten. Mein Stöhnen ging in erstickte Schreie über und ich hatte das Gefühl, gleich explodieren zu müssen. Mein Freund ließ von mir ab, schob mir den Eiswürfel in den Mund, legte eine Hand um meine Erektion und drückte zu, bis das Bedürfnis zu kommen, nachließ.
„Jethro", murmelte ich und hob meine Hüften, um ihm zu signalisieren, dass er mich weiterstreicheln sollte, aber er fischte den nächsten Eiswürfel heraus und widmete sich damit meiner anderen Brustwarze. „So ungeduldig", flüsterte er heiser und drückte mich auf das Bett zurück, als ich erneut meinen Rücken durchbog. Es kam äußerst selten vor, dass er mich von meinem Höhepunkt abhielt, aber heute schien er unbestreitbar seine gemeine Seite hervorgekramt zu haben und aus Erfahrung wusste ich, dass es lange dauern konnte, bis ich endlich meine Erfüllung fand.

Seine Zunge war dabei, ein wahres Festmahl aus meinen Brustwarzen zu machen, während er den Eiswürfel an meiner linken Seite hinabgleiten ließ, bis er vollkommen geschmolzen war und er die Spur der kleinen Tropfen aufnahm, bis er bei meiner Hüfte angelangt war, und hineinbiss, fest genug, um einen Abdruck zu hinterlassen. Gibbs verteilte federleichte Küsse auf meinem Bauch, widmete eine ganze Minute – jedenfalls kam es mir so vor - meinem Nabel seine ganze Aufmerksamkeit, ehe er sich wieder nach oben schob und mir einen heißen Kuss schenkte. Ich nutzte die Chance, indem ich seine Taille mit meinen Beinen umklammerte und anfing, mich erneut an ihm zu reiben, sodass ich mit einem Stöhnen seinerseits belohnt wurde. Ich sehnte mich mittlerweile danach, meine Hände über seinen Körper wandern zu lassen, seine Haare zu zerzausen und ihn mit meinen Berührungen in den Wahnsinn zu treiben, so wie er es bei mir machte.
„Zu früh", murmelte er nahe an meinen Lippen und schaffte es ohne Mühe, sich aus meiner Umklammerung zu befreien. Meine Beine hatten ihre gesamte Kraft verloren und meine Gelenke schienen vergessen zu haben, wie sie funktionierten. Ich holte keuchend Luft, als ich hörte, wie er einen neuen Eiswürfel aus dem Behältnis herausfischte und ich zog erneut an den Handschellen, sodass wahrscheinlich rote Abdrücke zurückbleiben würden.
Jethro hatte seine Reise über meinen Oberkörper beendet und rutschte nach unten, um sich der unteren Hälfte zu widmen, allerdings ließ er mein Glied aus, weshalb ich ein frustriertes Geräusch von mir gab. Inzwischen war mir so heiß, dass ich die Abkühlung des Eiswürfels als Geschenk sah, meine Haut war so sensibel geworden, dass mich bei jeder kleinen Berührung Gibbs' schiere Lust überrollte und ich vollkommen im Zauber seines Tuns gefangen war. Ich nahm nichts mehr wahr, außer seine heiße Zunge und die kalten Eiswürfel und ich war so weit, dass ich alles tun würde, um endlich Erlösung zu finden.

Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als er auch meine Beine mit tausenden kleinen Küssen bedeckt hatte und nur mehr ein Körperteil – außer meiner Kehrseite – von seinen Liebkosungen verschont geblieben war. Ein weiteres kleines Folterinstrument wurde herausgefischt und ich wusste, was auf mich zukam. Ich schluckte hart und war wirklich kurz davor, Jethro zu bitten, aufzuhören, mir endlich eine Erlösung zu gewähren, aber ich hielt mich zurück, vor allem deswegen, weil ich neugierig war, wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn er…
Den Bruchteil einer Sekunde später entrang sich meiner Kehle ein lustvoller Schrei, als er die gesamte Länge meines Gliedes mit dem Eiswürfel entlangfuhr, bis er bei der Spitze angelangt war und diese mit der gefrorenen Flüssigkeit liebkoste. Mein Atem kam nur mehr in abgehackten Stößen, ich umfasste das Kopfteil des Bettes so fest, dass meine Knöchel sicher weiß hervortraten und mein gesamter Körper begann zu zucken. Gibbs hielt mich an meinen Hüften fest, drückte mich auf das Bett zurück, wobei der Eiswürfel zwischen seiner Hand und meiner Haut zerschmolz, was ich aber nicht wirklich wahrnahm, da mich gleich darauf wunderbare feuchte Hitze umschloss und Jethro meine Erektion in seinen Mund aufnahm, der im Gegensatz zu der vorherigen Kälte unglaublich warm war.
Seine Zähne und Zunge liebkosten zärtlich mein Glied, während er meine Hüften anhob und ein paar Sekunden später einen Finger, der mit einem kühlen Gel benetzt war, in mich hineingleiten ließ. Wie er es geschafft hatte, ohne von mir abzulassen, die Tube aufzubekommen, war mir ein Rätsel, aber mir war es egal. Viel zu sehr genoss ich das unbeschreiblich intensive Gefühl, das mich überrollte und mich hilflos vor Lust werden ließ.
Automatisch winkelte ich meine Knie an, stellte meine Füße auf die Matratze und spreizte meine Beine, um es ihm noch leichter zu machen. Jethros Lippen schlossen sich fester um meine Erektion und er begann langsam daran zu saugen, was mir ein lautes Stöhnen entlockte. Nur am Rande bekam ich mit, wie er einen zweiten Finger in mich hineingleiten ließ, aber kurz darauf schob ich mich weit in seinen Mund hinein und ich konnte einen kurzen Schrei nicht unterdrücken, als er den sensiblen Punkt in meinem Inneren gefunden hatte. Er passte seine Bewegungen der Hand denen seines Kopfes an, sodass ein sinnlicher Rhythmus entstand, der mich unwiderruflich auf die Erfüllung zutrieb. Tief in mir baute sich eine Spannung auf, die mir schier den Atem raubte und meinen gesamten Körper mit einem heftigen Kribbeln überzog. Meine gesamten Muskeln spannten sich an und ein gekeuchtes „Jethro" war die einzige Warnung, die ich ihm geben konnte, bevor ich regelrecht explodierte.
Der unglaublich intensive Höhepunkt ließ mich unkontrolliert zucken, mein Rücken bog sich durch, in meinen Ohren rauschte es laut und ich wusste nicht einmal mehr wo oben und unten war, oder ob ich überhaupt einen Laut von mir gab. Alles war in einem Rausch der Lust verschwommen und nur wie durch einen dichten Nebel bekam ich mit, wie Gibbs mein Glied freigab und seine Finger durch seine harte Erektion ersetzte. Er glitt mühelos in mich hinein und obwohl er kein zusätzliches Gel verwendete, tat er mir nicht weh, ich spürte nur, wie er mich ausfüllte und sich langsam in mir bewegte. Ich spreizte meine Beine noch mehr, machte es ihm dadurch leichter, während ich mich langsam entspannte, mich ihm vollkommen öffnete und es genoss, wie er mich schlussendlich einfach nahm, um seine eigene Befriedigung zu erlangen.
In diesem Moment hätte ich ihn zu gerne gesehen, hätte die Lust auf seinem Gesicht beobachten wollen, seine Augen, die voller Leidenschaft glitzerten, seinen leicht geöffneten Mund, aus dem sich ein Stöhnen löste und seine verschwitzten Haare. Stattdessen musste ich mich damit begnügen, mir das alles vorzustellen, während Jethro die Geschwindigkeit erhöhte, sein Atem schneller wurde und sich seine Finger ein wenig schmerzhaft in meine Hüften gruben.
Immer wieder flüsterte er meinen Namen, bis er tief in mich eindrang, einen erstickten Schrei ausstieß und sich heiß in mir entlud. Ich konnte die Spannung in seinen Muskeln förmlich spüren, bis er über mir kollabierte und schwer mit seinem Oberkörper auf meinem landete. Hätte ich eine Hand freigehabt, würde ich ihn jetzt umschlingen, würde seinen Rücken streicheln und darauf warten, bis sich sein schnell gehender Atem beruhigte.

Ich entspannte mich unter ihm und langsam nahm ich die anderen Geräusche um uns herum wieder wahr. Meine Gliedmaßen schienen nach einer kleinen Ewigkeit wieder zu funktionieren, auch wenn ich weiterhin glaubte, keine Knochen mehr zu haben. Mattigkeit breitete sich in mir aus und ich fühlte mich einfach nur unglaublich wohl.
Ich spürte, wie Gibbs seinen Kopf drehte und kleine Küsse auf meiner schweißnassen Brust verteilte, bevor er sich aus mir zurückzog, sich höher schob und seine Lippen auf meine drückte. Mein eigener Geschmack war noch immer in seinem Mund und mir wurde ein wenig schwindelig. Es war nicht das erste Mal, dass ich mich selbst auf seiner Zunge schmecken konnte, aber es war weiterhin seltsam.
Während wir einen leidenschaftlichen Kuss teilten, entfernte er die Augenbinde, aber öffnete meine Lider erst, als er sich von mir löste. Da nur die kleine Lampe auf dem Nachttisch brannte, brauchte ich nicht lange, um mich an die Dämmrigkeit zu gewöhnen. Ich lächelte, als ich Jethro endlich sehen konnte, seine geröteten Wangen, die Haare, die ein wenig zerzaust waren und den liebevollen Blick in seinen Augen, mit dem er mich bedachte.
„Oh Mann", brachte ich hervor und ließ mich noch weiter in die Matratze sinken. „Ich glaube, ich kann mich nie wieder bewegen." Gibbs lachte leise und drückte mir einen sanften Kuss auf die Stirn. „Das musst du auch nicht", erwiderte er eine Spur heiser. „Wir haben ein freies Wochenende und ich habe nicht vor, dich vor Montag aus dem Bett zu lassen." „Oh", gab ich von mir und spürte, wie sich meine Wangen röteten. Ich seufzte glücklich und ließ meinen Blick nach rechts gleiten, wo ich ein großes Glas sah, in dem die Überreste von den Eiswürfeln schwammen und alleine bei dem Gedanken an das Gefühl, das sie auf meiner Haut verursacht hatten, überkam mich erneut ein Schauder.

„Du kannst mich jetzt ruhig losmachen", sagte ich und deutete mit meinem Kopf auf die Handschellen, die weiterhin meine Gelenke fest umschlossen hielten. Gibbs sah mich grinsend an und ich musste unwillkürlich schlucken, da sich schon wieder dieses gemeine Funkeln in seine Augen stahl.
„Ich weiß nicht", meinte er, ließ sich auf mir nieder und begann, meinen Hals sanft zu küssen, sodass ich beinahe wie eine Katze geschnurrt hätte. „Was ist, wenn ich dich so eine Weile behalten will? Ich habe noch eine kleine Flasche Schokosoße irgendwo in der Küche oder wie wäre es mit Honeydust?" Mein Hals wurde bei dieser Aussicht staubtrocken und ich musste mich räuspern, bevor ich überhaupt etwas von mir geben konnte. „Honeydust?" Jethro hob seinen Kopf und lächelte schelmisch. „Ja, Honeydust. Du weißt doch, dass mir das versehentlich einmal zu Weihnachten geschickt worden ist und ich habe mir gedacht, vielleicht brauche ich es noch. Ich würde zu gerne wissen, wie es sich auf deiner Haut anfühlt."
Er begann zärtlich an meinem rechten Ohr zu knabbern und ich hatte erneut Mühe, einen logischen Gedanken zu fassen. „Und wie du danach nach Honig schmeckst." „Also, wenn ich es mir Recht überlege", keuchte ich, als er mit seiner Zunge an meinem Ohrring herumspielte, „ist das eine hervorragende Idee." Und als Jethro meinen Mund mit seinem verschloss, um mich voller Leidenschaft zu küssen, vergaß ich die Tatsache, dass ich noch immer ans Bett gefesselt war und ich überließ mich vollkommen seinen Künsten, mir den Verstand zu rauben…


Mein Herz klopfte wild in meiner Brust, mein Körper prickelte vor Erregung und meine Hose war mir viel zu eng, als ich aufwachte und mich auf meiner Couch im Wohnzimmer wiederfand anstatt auf Gibbs' Bett. Ich brauchte ein paar Sekunden, bis mir klar wurde, dass ich nur geträumt hatte – ein Traum, der sich ziemlich lebendig angefühlt hatte, der Reaktion meines Körpers nach.
„Na klasse", murmelte ich, als ich nach unten blickte und sah, dass jemand meine Aufmerksamkeit haben wollte. Ich zog ein wenig an der Jeans, aber dadurch wurde es auch nicht gemütlicher, sondern sie schien sich noch mehr an meine Erektion zu pressen.
Ich stöhnte ungläubig auf und fuhr mit beiden Händen über mein Gesicht. Wie hatte ich nur von diesem Abend träumen können? Von all den Experimenten, die Gibbs und ich gewagt hatten, war es das Intensivste gewesen und ich erinnerte mich noch genau, dass es irgendwann um drei Uhr morgens meine gesamte Überredungskunst gebraucht hatte, damit er mich von den Handschellen befreite. Fünf Tage lang hatte man die Spuren gesehen, die sie auf meinen Gelenken hinterlassen hatten und ich war mehr als froh gewesen, dass es November gewesen war, weshalb ich lange Hemden hatte tragen können, sodass mir damit Kommentare von Ziva erspart geblieben waren.
Und Jethro hatte sein Wort gehalten: er hatte mich bis Montag nicht mehr aus dem Bett gelassen, außer um etwas zu essen oder ins Bad zu gehen. Es war das einzige Wochenende gewesen, das wir überwiegend in seinem Schlafzimmer verbracht hatten und an dem er nicht einmal einen Abstecher zu seinem Boot unternommen hatte.

Bei dieser Erinnerung überkam mich eine unglaubliche Sehnsucht nach meinem Freund und meine Hände begannen zu zittern. Ich wollte es noch immer nicht glauben, dass ich so etwas wie dieses eine Wochenende nicht mehr erleben würde, die ungezügelte Leidenschaft, die uns ergriffen hatte.
Müde rieb ich mir über meine Augen und versuchte die Bilder aus meinem Kopf zu bringen, die mich nicht mehr loslassen wollten. Deshalb stand ich vom Sofa auf und streckte mich, so lange, bis meine Wirbel knackten. Ein weiterer Blick nach unten zeigte mir, dass ich mich weiterhin in einem Ausnahmezustand befand, aber ich würde nicht selbst Hand anlegen – es kam mir nicht richtig vor.
„Kalte Dusche", murmelte ich und eilte aus dem Wohnzimmer, ohne den Fernseher auszuschalten, wo noch immer das Footballmatch lief. Es gab nichts Besseres als eine kalte Dusche, um wieder in die Realität zurückzukehren und auch die Müdigkeit aus meinem Körper zu vertreiben. Ich wusste, ich sollte schlafen, aber ich wollte einfach nicht noch einmal so etwas träumen wie vorhin. Es erinnerte mich viel zu sehr daran, was ich verloren hatte, etwas von dem ich glaubte, es nie wieder erleben zu können.

Fortsetzung folgt...
Chapter 21 by Michi
Washington D.C.
Dienstag, 28. Januar
06:50 Uhr


Es wunderte mich, dass ich nicht, da Jethro nicht mehr da war um mich aus dem Bett zu schmeißen, in meine alte Gewohnheit zu spät zu kommen zurückfiel. Immerhin war ich jetzt Teamleiter – wenn momentan auch nur vorübergehend – und es gab niemanden mehr, der mich rügte, wenn ich erst ein paar Minuten nach sieben Uhr im Büro erscheinen würde. Allerdings schätzte ich, würde ich den Posten als Boss nicht lange inne haben, wenn ich ständig verschlafen würde, vor allem da Direktor Shepard sicher darauf bestand, dass all ihre Agenten pünktlich waren.
Allerdings war ich überzeugt, dass sie nichts dagegen hätte, wenn ich in den nächsten paar Tagen oder vielleicht auch zwei Wochen kein gutes Vorbild für die anderen Teammitglieder wäre und einfach länger schlafen würde. Keiner würde es mir übel nehmen, nicht bei dem, was passiert war, aber die beste Methode, um mich von meinem ganzen Schmerz und der Trauer abzulenken war jede Menge Arbeit. Ich musste mich einfach mit etwas beschäftigen, denn nur herumsitzen würde mich verrückt machen – und es würde mich nicht davon abhalten, erneut in der Vergangenheit zu schwelgen, so wie letzte Nacht, wo mich der Traum nicht mehr losgelassen hatte. Die kalte Dusche hatte nicht wirklich geholfen und es hatte gut eine Stunde gedauert, bis ich meine Erektion los geworden war – ohne dass ich selbst Hand angelegt hätte.
Früher hatte ich nie Probleme damit gehabt, mir selbst Erleichterung zu verschaffen, aber diesmal war es anders gewesen. Es wäre mir wie ein Betrug vorgekommen – ein Betrug an Jethro, der es immer übernommen hatte, sich meiner Erregung anzunehmen und das jedes Mal mehr als gründlich. Aber jetzt wo er nicht mehr da war… Gott, ich vermisste ihn so schrecklich und dass nicht nur im Bett, es war einfach alles, selbst seine Beschwerden, wenn ich wieder einmal meine Kleidung einfach auf den Boden geworfen oder das Geschirr nicht in den Geschirrspüler geräumt hatte, nicht zu vergessen meine DVDs, die ich gerne herumliegen ließ.
Und am meisten hasste ich es, auf einmal wieder alleine zu schlafen. Seit vorgestern, wo mich Ducky mit meinem Rausch ins Bett gesteckt hatte, hatte ich keine Matratze mehr unter mir verspürt, auch letzte Nacht nicht. Ich wollte einfach nicht in dem großen Bett liegen und keinen warmen Körper an meinem spüren, weshalb ich die nächtlichen Stunden auf dem Sofa verbracht hatte. Ursprünglich hatte ich mich von meiner Erregung ablenken wollen, aber dann war ich einfach liegen geblieben, hatte mir eine Folge Magnum nach der anderen reingezogen, bis alles vor meinen Augen verschwommen und ich erneut in einen Schlaf gefallen war, obwohl ich genau das nicht gewollt hatte, aus Angst, ich würde wieder etwas von Gibbs träumen. Aber zu meiner größten Überraschung hatte ich ganze sechs Stunden fest durchgeschlafen, ohne dass sich mein Freund aus meinem Unterbewusstsein hervorgeschlichen hatte, um mir zu zeigen, wie es gewesen war und nie wieder sein würde.
Ich war erstaunlich ausgeruht aufgewacht, bis auf meinen leicht schmerzenden Rücken, da meine Couch kein Bett war, aber dieses kleine Problem hatte ich mit einer warmen Dusche in den Griff bekommen. Obwohl ich weiterhin mit dem Verlust zu kämpfen hatte, hatte ich sogar Appetit auf eine große Schüssel meiner Lieblingscornflakes gehabt, die ich mit unglaublich hoher Geschwindigkeit verdrückt hatte, wobei ich versucht hatte, nicht daran zu denken, dass die Küche ohne Gibbs so leer gewirkt, es kein Aroma seines Kaffees und keine Gute Morgen Küsse gegeben hatte. Irgendwie hatte ich mich nicht überwinden können, mir einen zu machen, weshalb ich auf dem Weg zum Hauptquartier beim Coffeeshop stehen geblieben war und mir einen Becher besorgt hatte.

Die übliche Geschäftigkeit erwartete mich, als ich den Fahrstuhl verließ und diesmal folgten mir nur halb so viele Blicke wie gestern. Beinahe keiner schien mehr darauf zu warten, dass ich vor ihren Augen zusammenbrechen würde, auch wenn die Gefahr weiterhin bestand. Obwohl ich mich momentan unter Kontrolle hatte, wusste ich nicht, wann mich der nächste Heulkrampf überfallen würde. Das letzte Mal, als ich geweint hatte, war gestern in der Pathologie gewesen, aber ich wusste, es würde keine Ausnahme bleiben, dafür liebte ich Jethro viel zu sehr. Würde ich keine Tränen vergießen, würde ich mir Sorgen machen, aber so musste ich damit zurecht kommen, dass ich in den nächsten Tagen hin und wieder einen Moment der Schwäche erleben würde – hoffentlich, wenn ich alleine war.

Ich passierte eine Gruppe Agents, die über irgendeinen Fall diskutierten und dabei fast die gesamte Breite des Ganges blockierten und ging zu meinem Platz. Wie gestern war ich der Erste, der hier war, weder Ziva noch McGee saßen an ihren Tischen. Bei Tim wunderte es mich ein wenig, da er meistens die Pünktlichkeit in Person war – außer er schrieb wieder einmal an einem Roman und vergaß die Zeit – Ziva hingegen kam öfters zu spät und seit ich mit Jethro zusammen war, war immer sie diejenige gewesen, die als Letztes eingetrudelt war. Nun, vielleicht sollte ich mir angewöhnen, ihr in Zukunft für jedes Mal unpünktlich erscheinen eine Kopfnuss zu verpassen. Möglicherweise half es ja und da ich jetzt ihr Boss war, konnte sie mir deswegen nicht den Hals umdrehen – hoffte ich jedenfalls.
Etwas besser gelaunt, ließ ich meinen Rucksack neben meinem Schreibtisch auf den Boden fallen und warf meine Jacke achtlos auf den Stuhl, wo sie so liegen blieb, dass sie jeden Moment auf den Boden fallen konnte. Aber ich kümmerte mich nicht darum, sondern schnappte mir meinen Kaffeebecher und ging zu Gibbs' Platz weiter, der wie am Vortag vollkommen verwaist war. Es war immer noch seltsam, den Tisch anzusehen und keinen grauhaarigen Chefermittler dort sitzen zu sehen, der darauf wartete, dass man ihm Bericht erstattete.
Es kam mir ein wenig falsch vor, mir den Platz einzuverleiben, weshalb ich auch weiterhin an meinem Schreibtisch blieb. Eine leise Stimme in meinem Inneren flüsterte mir, dass ich noch warten sollte, bevor ich endgültig meine Sachen umräumte, aber ich hatte keine Ahnung, warum ich der Stimme folgte, warum ich die ursprüngliche Sitzordnung weiter beibehielt.
Aber ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken, sondern umrundete den Tisch, ließ mich auf den Stuhl fallen und trank einen Schluck Kaffee. Normalerweise, wenn ich hier saß, kam sofort Jethro um die Ecke geschossen, so als ob er jedes Mal spüren würde, wenn sich jemand ungefragt auf seinen Sessel gesetzt hatte und verscheuchte mich. Ich erinnerte mich noch genau, als Direktor Shepard einmal hier unten gewesen war und sich Gibbs' Platz unter den Nagel gerissen hatte. Mein Freund hatte damals sofort reagiert und uns in ihr Büro hinaufgeschleppt, um sich selbst hinter Jennys Schreibtisch zu setzen. Alleine bei der Erinnerung daran musste ich lächeln und vor allem bei dem Gedanken daran, welche Fürsorge er mir zu Teil werden hatte lassen, als ich mir bei einem Basketballspiel am Vortag den Knöchel verstaucht hatte.
Um es ein wenig länger auszunutzen, dass er mir Frühstück ans Bett gebracht hatte, hatte ich weiter behauptet, mir würde der Knöchel weh tun, obwohl ich nach zwei Tagen wieder normal hatte gehen können. Mein kleiner Schwindel hatte wunderbar funktioniert, bis ich ohne darüber nachzudenken einem Verdächtigen nachgelaufen war. In der darauffolgenden Nacht hatte ich die Erfahrung gemacht, wie es war, wenn man stundenlang von einem Höhepunkt abgehalten wurde. Nicht einmal meine Dackelblicke oder mein Flehen hatte geholfen. Ich hatte meine Lektion gelernt und seitdem hütete ich mich, ihm ein Wehwehchen oder eine Krankheit vorzuspielen.

Bei der Erinnerung daran musste ich unweigerlich grinsen und ich trank schnell einen großen Schluck Kaffee, um mich von dem Prickeln abzulenken, das in mir aufstieg. Mit einem Seufzen stellte ich den halbleeren Becher auf dem Tisch ab und konzentrierte mich darauf, weshalb ich überhaupt auf diesem Stuhl saß. Vielleicht fand ich hier irgendwo einen Hinweis, weshalb Jethro nach Norfolk gefahren war. Wenn es etwas mit der Arbeit zu tun hatte, dann bestand die Chance, dass er sich Notizen gemacht hatte, außer er hatte sich Samstagnacht spontan entschlossen, loszufahren. Wie ich es hasste, nicht zu wissen, was sich vor meiner Nase abspielte und irgendein Gefühl sagte mir, dass die Direktorin genau wusste, was los war. Aber ich konnte es nicht beweisen und würde ich sie darauf anreden, würde sie wahrscheinlich alles abstreiten und möglicherweise denken, der Verlust setzte mir doch mehr zu.
Ich fing an, die Ablagenfächer der Akten zu durchsuchen, aber nichts, kein Papierfetzen, der darauf hinwies, was überhaupt los war. Nur Akten von alten Fällen, die überarbeitet werden mussten und die sicher auf meinem Schreibtisch gelandet wären, wäre Gibbs nicht tödlich verunglückt. Als nächstes nahm ich mir die Schreibtischschubladen vor, wobei ich den Computer wohlweislich ausließ. Jethro hatte nicht wirklich mit diesem umgehen können, abgesehen von Mails schreiben und abrufen und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er irgendwo eine geheime Datei aufbewahrte.
Ich zog die unterste Schublade auf, fand aber nichts außer einem Stapel leeres Papier und einen kaputten Locher. Die nächsten beiden Laden enthielten genauso wenig Interessantes, nur Bleistifte, Büroklammern, verschiedenfarbige Leuchtstifte, einige Kugelschreiber, Radiergummi und drei Schokoriegel, die so aussahen, als ob sie von dem großen Vorrat stammten, den ich mir in meinem Haus hielt. Dass Jethro sich bedient hatte, hatte ich gar nicht gewusst, aber es überraschte mich keineswegs, nachdem ich herausgefunden hatte, dass er ganz gerne etwas Süßes aß – vor allem von meinem Körper.
Um nicht schon wieder von den Gedanken der Vergangenheit überrollt zu werden, öffnete ich die oberste Schublade und stutzte. Ich musste erst einmal mehrmals blinzeln, bis sich auf meinem Gesicht ein erfreutes Grinsen ausbreitete. Mein Herz schlug unverhofft schneller und ich ignorierte die Sachen, die vor meiner Nase lagen, und nahm das Bild heraus, das zuoberst lag. Es zeigte Gibbs und mich zusammen in einer großen Hängematte liegend. Ich hatte meinen Kopf auf seiner Brust gebettet, während er seine Finger in meinen Haaren vergraben hatte. Der Himmel hatte eine rote Färbung und ich wusste genau, wer dieses Foto gemacht hatte: Abby. Es war im Sommer entstanden, an meinem Geburtstag, wo ich alle zu einem netten Grillabend eingeladen hatte. Die Forensikerin hatte es sich natürlich nicht nehmen lassen, ihre Digitalkamera mitzunehmen. Dass sie Jethro das Bild gegeben hatte, hatte ich nicht gewusst und umso mehr freute es mich, es hier zu finden, in dem Bewusstsein, dass es mein Freund jedes Mal sah, wenn er die Lade aufmachte.

„Schönes Foto", sagte jemand neben mir und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Als ich den Kopf hob, erkannte ich McGee und neben ihm Ziva, beide starrten neugierig auf das Bild in meiner Hand. „Ich habe nicht einmal gewusst, dass es Jethro hat", erwiderte ich, anstatt Tim dafür zu rügen, dass er mich erschreckt hatte. Zu meiner größten Überraschung trug er heute statt dem obligatorischen Anzug nur ein T-Shirt und eine blaue Jeans, was ihn gleich um einiges jünger wirken ließ, gleichzeitig sah er erwachsener aus.
„Ich kann mich an diesen Abend erinnern", meinte Ziva und grinste. „Euch beide hat man da nicht mehr rausbekommen. Vielleicht hätte Abby dir die Hängematte nicht schenken sollen." Ich liebte diese Hängematte und sie war viel nützlicher als das Messer, das mir die Israelin geschenkt hatte und mit dem man locker jemandem eine Gliedmaße abtrennen konnte. Um mir nicht versehentlich einen Finger abzuschneiden, hatte ich es sicherheitshalber in einem Schrank in der Abstellkammer verstaut.
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als ich an die unendlich langen Küsse dachte, die Gibbs und ich in dieser Hängematte ausgetauscht hatten, nachdem die anderen gegangen waren. In dieser Nacht war ich so glücklich wie noch nie zuvor gewesen, auch wenn wir nichts weiter gemacht hatten als zu kuscheln und die Nähe des anderen zu genießen.
„Tony?" fragte McGee vorsichtig und ich blickte auf, merkte erst jetzt, dass meine Augen feucht geworden waren. Aber anstatt mich beschämt wegzudrehen, strich ich sanft über das Foto in meinen Händen, bevor ich es in die Schublade zurücklegte und sie schloss. Ich seufzte und blinzelte die Tränen weg, bevor sie mehr werden konnten und warf meinen beiden Kollegen ein kleines Lächeln zu. „Mir geht es gut, keine Sorge", sagte ich und erntete skeptische Blicke seitens Tim. „Bist du dir sicher?" „Ja, ich bin mir sicher, Bambino." „Nun, ich muss Tony Recht geben. Immerhin sieht er schon viel besser aus", schlug sich Ziva auf meine Seite. „Das liegt wohl daran, dass ich ganze sechs Stunden durchgeschlafen habe", erwiderte ich und nahm mir den Becher mit dem mittlerweile lauwarmen Kaffee, trotzdem trank ich ihn aus.
„Es ist zum Verrückt werden", meinte ich nach ein paar Sekunden und entsorgte das leere Behältnis im Mülleimer. „Ich finde einfach keinen Hinweis darauf, was Jethro nach Norfolk getrieben hat." „Wir werden schon dahinter kommen, Tony", meinte McGee und schenkte mir einen aufmunternden Blick. „Und wenn eine Falle dahinter gesteckt hat, dann werden wir das aufdecken." „Genau", stimmte Ziva zu. „Ich werde gleich die restlichen Personen durchgehen, die Gibbs je verhaftet hat und die mittlerweile entlassen worden sind. Bis jetzt hat sich nichts ergeben, aber wenn ich etwas finde, bist du der Erste, der es erfährt." Ich nickte den beiden dankbar zu und wollte bereits aufstehen, als mein Handy klingelte, weshalb ich es aus meiner Hosentasche fischte. Kaum hatte ich den Anruf angenommen, schallte mir laute Musik aus dem Hintergrund entgegen. Ich wusste sofort, wer dran war, obwohl ich nicht auf das Display gesehen hatte.
„Abbs, was gibt es?" fragte ich laut genug, damit sie mich auch verstehen konnte. „Du bist wirklich schon wie Gibbsman. Hast du noch nie etwas von einer freundlichen Begrüßung gehört?" beschwerte sie sich und ich konnte nicht anders als zu grinsen. „Aber weil du es bist, will ich mal nicht böse sein. Ich glaube, ich habe etwas an Gibbs' Wagen gefunden. Kommt am besten nach unten." Aufregung machte sich in mir breit, weswegen ich prompt vergaß, mich zu verabschieden, bevor ich auflegte.
„Abby hat was für uns", sagte ich ohne Umschweife und stand auf. Mit diesen Worten verschwand auch der letzte Zweifel in mir, dass es vielleicht doch ein Unfall gewesen war. Wäre dies der Fall, hätte die Forensikerin nichts gefunden, da war ich mir sicher.

Fortsetzung folgt...
Chapter 22 by Michi
Die Musik, die ich durch mein Handy schallen gehört hatte, war auf ein erträgliches Maß heruntergedreht worden und Abby wirbelte sofort herum, als sich die Tür zischend öffnete. Im Gegensatz zu gestern sah sie heute viel besser aus, keine Strähnen hatten sich aus ihren Rattenschwänzen gelöst und sie trug wieder Make-up. Sie wirkte wie immer, wäre da nicht der traurige Ausdruck in ihren Augen, den sie mit einem Lächeln zu überspielen versuchte.
Genauso wie bei Kates Tod schien sie auch diesmal eine eigene Methode gefunden zu haben, um mit dem Verlust zurecht zu kommen und ich beneidete sie dafür, dass sie es irgendwie schaffte, trotz allem in der Realität zu bleiben und nicht ständig mit ihren Gedanken in die Vergangenheit abdriftete, so wie ich es machte, egal ob ich es wollte oder nicht.
Das Bild, das ich in Jethros Schreibtisch gefunden hatte, hatte sich förmlich in meine Netzhaut eingebrannt und ich konnte nicht umhin, an diesen Abend zu denken, obwohl ich versuchte, alles aus meinem Gehirn zu verbannen und im Hier und Jetzt zu bleiben. Aber es fiel mir unglaublich schwer, mich auf etwas zu konzentrieren und versuchte ich es noch so hart. Ducky hatte gemeint, dass es besser werden würde, dass ich mit dem Schmerz besser umgehen könnte je mehr Zeit verstrich, momentan hatte ich jedoch das Gefühl, dass es nur eine leere Phrase gewesen war. Für ein paar Stunden war es tatsächlich besser gewesen, aber seit ich das Foto gefunden hatte, gepaart mit Abbys Anruf, der mich davon überzeugt hatte, dass es kein Unfall gewesen war, war alles wieder schlimmer geworden.
Gleichzeitig war ich erleichtert, dass Gibbs nicht die Schuld daran hatte, was passiert war, dass er zwar einen schrecklichen Fahrstil aber den Wagen immer unter Kontrolle hatte. Die Straßenverhältnisse konnten noch so schlecht sein, aber er hatte immer gewusst, wie er das Auto lenken musste, um nicht im Graben zu landen. Er hatte nie einen Unfall gebaut und war jedes Mal heil am Ziel angekommen. Es hätte mich gewundert, wenn es diesmal anders gewesen wäre.
Irgendwo dort draußen gab es eine Person, die dafür gesorgt hatte, dass Gibbs von der Straße abgekommen war, dass sich mein gesamtes Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte und ich würde denjenigen finden, egal wie lange es dauern würde.
Ich hatte noch nie das Bedürfnis nach Rache verspürt, aber diesmal war es so weit, diesmal lechzte ich danach, meinen Zeigefinger um den Abzug zu krümmen, um dem Bastard, der für alles verantwortlich war, eigenhändig eine Kugel zwischen die Augen zu jagen, ungeachtet dessen, welche Konsequenzen es mit sich bringen würde. Ich wusste, dass Jethro es sicher nicht gewollt hätte, in welche Richtung meine Gedanken verliefen, aber ich konnte nicht anders. Und es war gerade mein Bedürfnis nach Rache, das mich aufrecht hielt, das mich dazu brachte, einen Fuß vor den anderen zu setzen und dem schwarzen Abgrund zu entkommen, der weiterhin allgegenwärtig war.

Abby wartete mehr oder minder geduldig darauf, dass wir ihre heiligen Hallen betreten hatte und ich wollte gerade McGee sagen, er solle die Musik komplett ausschalten, als mir die Worte im Hals stecken blieben. Mit geweiteten Augen blickte ich das Bild auf dem großen Plasmabildschirm an und meine Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen, als ich den ausgebrannten Wagen erkannte. Das Armaturenbrett war zu einer schwarzen Masse geschmolzen und der gesamte Innenraum war verschwunden, es gab keine Sitze mehr, nur mehr verkohlte Überreste davon. Der normalerweise dunkelblaue Lack war gesprungen, sodass der Metallrahmen des Autos sichtbar war. Die Türen waren ausgebaut worden, genauso fehlte die Motorhaube, die gesamte Forderfront war eingedellt und zeigte davon, mit welcher Wucht der Wagen gegen den Baum gekracht sein musste. Vom Motorblock selbst war ebenfalls nicht mehr viel übrig, außer den verschiedenen Teilen, die Abby auf einem Tisch in ihrem Labor ausgebreitet hatte, um sie zu untersuchen. Jedenfalls glaubte ich, dass sie vom Motor stammten.
„Mein Gott", flüsterte McGee neben mir und genauso wie ich hatte er nur Augen für das Wrack, das einmal ein wunderbarer Dienstwagen gewesen war. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm sein würde", sagte Ziva und trat nach vorne, um sich die Überreste genauer anzusehen. Wie ich hatte weder sie noch Tim es geschafft, hinunter in die Garage zu gehen, da ich sie den ganzen letzten Tag über beschäftigt gehalten hatte – und ich selbst hatte es nicht über mich gebracht, dass Auto persönlich zu betrachten.
Es jetzt so vor mir zu sehen – und sei es nur auf einem Foto – ließ unwillkürlich die gesamte Szene vor meinen Augen entstehen, das laute Reifengequietsche, der Knall, als der Wagen mit dem Baum kollidierte, das Feuer, das sich rasend schnell ausbreitete. Es war wie in einem schlechten Film und in diesem war Jethro noch am Leben, spürte wie ihn die Flammen von allen Seiten einengten, ohne dass er eine Chance hatte, ihnen zu entkommen.
Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde wich mir das gesamte Blut aus dem Gesicht und ich stolperte zurück, bis sich die Kante des Tisches, auf dem die Einzelteile des Motors lagen, gegen meine Hüfte drückte. Ich krallte meine Finger darum, versuchte Halt zu finden und die Schreie meines Freundes aus meinem Gehirn zu verbannen, versuchte mir nicht vorzustellen, wie er gelitten hatte. Was war, wenn Ducky unrecht hatte? Was war, wenn er doch bei Bewusstsein gewesen war? Wenn er alles gespürt hatte?

Abby schien blitzschnell zu bemerken, dass mich der Anblick des Wracks aus der Bahn warf, weshalb sie sich ganz schnell umdrehte und der Bildschirm mit einem Tastendruck schwarz wurde, aber der zerstörte Wagen hatte sich in mein Gehirn eingebrannt. Ich schüttelte meinen Kopf, zwang mich in der Realität zu bleiben, zwang mir nicht vorzustellen, wie es sein musste, hilflos zu verbrennen.
„Es tut mir so leid, Tony", sagte die Forensikerin und erleichtert stellte ich fest, dass ich ihre Stimme nicht wie durch Watte wahrnahm, sondern in voller Lautstärke. „Ich hätte wissen müssen, dass…" Ich winkte ab und richtete mich zu meiner vollen Größe auf. Ich durfte nicht schwächeln, sonst würde ich das alles nicht überstehen, würde nicht durchhalten, bis derjenige, der dafür verantwortlich war, seine gerechte Strafe bekommen hatte.
„Was hast du herausgefunden?" fragte ich stattdessen, mit einer Stimme, die für meinen Geschmack viel zu heiser war. Abby kaute auf ihrer Unterlippe herum, nicht sicher, ob sie mit den Informationen herausrücken sollte, aus Angst, es könnte mir nur schaden. „Abbs, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit", entfuhr es mir ein wenig unfreundlich, was mir gleich darauf wieder leid tat. Aber sie schien mir nicht böse zu sein, sondern nickte und drehte sich um. Das Geräusch ihrer tippenden Finger übertönte für ein paar Sekunden die, meiner Meinung nach, grausige Musik und auf ihrem Bildschirm erschien eine komplizierte Graphik, die jede Menge Zahlen und chemische Namen enthielt, die ich nicht einmal aussprechen konnte.
„Oh Mann", meinte McGee, dem diese komplizierten Formeln anscheinend etwas sagten, nur Ziva und ich blickten ziemlich ratlos aus der Wäsche. „Also, ich habe gestern den ganzen Tag damit verbracht, mir den Wagen von Gibbs anzusehen und damit meine ich jeden Millimeter", begann Abby und gestikulierte dabei mir ihren Händen. „Kannst du dir vorstellen, aus wie vielen Teilen so ein Auto besteht, auch wenn ein Teil davon verbrannt ist? Das alles zu katalogisieren und zu untersuchen war enorm viel… Aber ich weiche mal wieder vom Thema ab, oder?" fragte sie, als sie meinen ungeduldigen Gesichtsausdruck bemerkte.
„Was bedeuten nun die ganzen Zahlen und chemischen Formeln?" wollte ich wissen und gab ihr somit eine Antwort auf ihre vorherige Frage. Genauso wie Ducky schmückte Abby gerne Themen aus, vor allem wenn es etwas mit Kriminaltechnik zu tun hatte. Normalerweise hörte ich ihr gerne zu, auch wenn ich nicht verstand, worum es ging, aber diesmal drängte die Zeit.

„Das ist die Zusammensetzung des Sprengstoffes, den ich an dem Wagen gefunden habe", sagte sie schließlich und die Worte trafen mich mitten ins Herz. Jetzt war es offiziell, es war Mord – jemand hatte Jethro absichtlich aus dem Leben gerissen. Obwohl ich damit gerechnet hatte, wurden meine Knie weich und ich ließ mich erneut gegen den Tisch sinken. Sprengstoff… was bedeutete, der Wagen war nicht langsam in Flammen aufgegangen, sondern war explodiert. Aber warum war er von der Straße abgekommen? War der Sprengsatz schon vorher in die Luft gegangen und der Wagen war deshalb gegen den Baum gekracht? Aber Kyle Zeke hatte gesagt, die Flammen waren erst dann entstanden, als das Auto bereits von der Straße abgekommen war. Irgendwie verstand ich gar nichts mehr. Wie war das nur möglich, dass ein Zeuge behauptete, Jethro sei gegen einen Baum gekracht, aber die Beweise besagten etwas anderes? Ohne Grund hatte er sicher nicht die Kontrolle über den Wagen verloren. Außer Kyle Zeke hatte gelogen und war in diese ganze Sache verstrickt.
„Also war es Mord", stellte Ziva fest und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Kannst du herausfinden, ob der Sprengsatz explodiert ist, bevor oder nachdem Jethro mit dem Baum kollidiert ist?" fragte ich und richtete mich wieder ein wenig auf. Abby schüttelte ihren Kopf und blickte mich entschuldigend an. „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht, aber ich habe eine Theorie", meinte sie und blickte gespannt in die Runde, so als ob sie erwarten würde, dass jemand raten wollte, was sie sich ausgedacht hatte.
Aber als niemand auch nur ein Wort sagte, zuckte sie die Schultern und fuhr fort: „Ich habe Spuren von Sprengstoff an zwei Stellen gefunden. Einmal unter dem Kotflügel des rechten hinteren Reifens und einmal in der Nähe der Benzinleitung. Ich würde sagen, dass zuerst der Zünder beim Reifen explodiert ist, weshalb unser Bossman die Kontrolle über seinen Wagen verloren hat und gegen den Baum gekracht ist. Und kurz danach hat dann der zweite Zünder das Benzin entzündet, warum der Wagen schlussendlich in Flammen aufgegangen ist. Jedoch muss die Menge so gering gewesen sein, damit nicht alles in die Luft geflogen ist. Und ich habe Reste von Zeitzündern entdeckt, von daher hat sich der Täter auch nicht in der Nähe aufhalten müssen."
„Aber er hat es irgendwie geschafft, Jethro nach Norfolk zu lotsen", sagte ich und fuhr mir durch meine Haare. Jemand hatte das ganze wie einen Unfall aussehen lassen wollen und ich fragte mich unwillkürlich, ob der Sprengsatz bereits Samstagnacht angebracht worden war, als Gibbs bei mir gewesen oder erst, nachdem er in Norfolk angekommen war. Vielleicht hatte er auf jemanden gewartet und in der Zwischenzeit hatte jemand die Vorrichtungen angebracht. Aber wie war das nur möglich? Mein Freund hatte doch sonst immer einen untrüglichen Sinn dafür, wenn etwas nicht stimmte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass hinter der ganzen Sache mehr steckte als nur ein simpler Anschlag mit Sprengstoff. Etwas stimmte nicht und die Geschichte hatte mehr Lücken als ein Schweizer Käse.
Wenn eine Explosion stattgefunden hatte, warum hatte Kyle Zeke nichts erwähnt? Er hatte nur lediglich ausgesagt, der Wagen sei in Flammen aufgegangen und wenn ich mich nicht irrte, müsste er mitbekommen haben, wenn der hintere Reifen auf einmal explodiert war, zumal sicher eine Rauchwolke zurückgeblieben wäre. Ich war mir sicher, dass er gelogen, dass er nicht die Wahrheit gesagt hatte. Ich hatte gespürt, dass dieser überhebliche Kerl etwas verschwieg, aber warum? War er bedroht worden oder steckte er selbst dahinter? Aber es gab nirgendwo eine Verbindung zu Gibbs, nichts deutete daraufhin, dass sich die beiden kannten.

„Kannst du herausfinden, woher der Sprengstoff stammt?" fragte ich Abby und löste mich von dem Tisch. Es wurde Zeit, endlich etwas zu unternehmen und herauszufinden, warum ich so ein ungutes Gefühl bei dieser Sache hatte.
„Das wird schwierig werden", antwortete sie und seufzte leise. „Die verwendeten Substanzen kann man sich überall kaufen. Es ist nichts Ausgefallenes verwendet worden. Aber vielleicht finde ich etwas." Ich nickte und wandte mich an Ziva und McGee. „Wir fahren zu Kyle Zeke. Ich will noch einmal mit ihm sprechen. Er hat nichts von einer kleinen Explosion erwähnt und er müsste mitbekommen haben, wenn der hintere Reifen in die Luft geflogen ist. Aber vorher muss ich noch etwas anderes erledigen", fügte ich hinzu und ließ meine Schultern ein wenig hängen, als mir klar wurde, dass ich jemanden ausgelassen hatte.
„Und was?" wollte die Israelin wissen. „Ich muss Direktor Shepard sagen, dass Jethro nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Jetzt kann ich nur hoffen, dass sie uns nicht abzieht." Und die Gefahr, dass sie es machte, war riesengroß. Aber vielleicht schaffte ich es ja sie davon zu überzeugen, dass ich das Recht hatte, den Mistkerl, der mir Gibbs genommen hatte, zur Rechenschaft zu ziehen. Und falls sie mich doch abziehen würde, würde ich auch so Mittel und Wege finden, um weiterzuermitteln. Nichts und niemand würde mich aufhalten, bis ich die Wahrheit herausgefunden hatte.

Fortsetzung folgt...
Chapter 23 by Michi
Ich kehrte mit meinen beiden Kollegen ins Großraumbüro zurück, obwohl ich ihnen beauftragt hatte, im Wagen auf mich zu warten. Aber weder Ziva noch McGee wollten etwas davon hören und stur wie sie waren, waren sie mit mir im Fahrstuhl in die dritte Etage gefahren. Ich wusste, sie wollten mir Rückendeckung geben, falls sich Direktor Shepard dazu entschließen sollte, uns von dem Fall abzuziehen und stattdessen ein anderes Team damit zu beauftragen. Die Israelin hatte mir angeboten, mit Jen zu reden, falls sich diese gegen uns stellen würde und ich wusste, falls es so weit kommen sollte, würde es nicht schaden, zumal die beiden Frauen eine Freundschaft verband.
Ich ließ Ziva und Tim an ihren Schreibtischen zurück und eilte die Stufen in die nächste Etage nach oben, bevor ich es mir wieder anders überlegen konnte, lief am MTAC vorbei und wäre beinahe mit einem Agenten zusammengestoßen, der gerade heraustrat und dabei fast eine Akte fallen gelassen hätte. Anstatt mich zu entschuldigen, öffnete ich die Tür zu Jens Empfangsraum eine Spur zu schwungvoll, sodass ich Cynthia erschreckte, die gerade etwas in ihren Computer eintippte. Sie zuckte merklich zusammen und blickte mich für die Dauer einer Sekunde mit offenem Mund an, erholte sich aber schnell wieder und als ich meine Hand nach der Tür zu Jens Büro ausstreckte, stand sie auf, sodass ihr Stuhl nach hinten rollte.
„Sie können da nicht hinein, Agent DiNozzo. Direktor Shepard will nicht gestört werden", sagte sie in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ. Ich blickte sie mit erhobener Augenbraue an und ehe sie auch nur ein weiteres Wort von sich geben konnte, drückte ich die Klinke hinunter und trat in den dahinterliegenden Raum. „Agent DiNozzo!" hörte ich Cynthia hinter mir, aber es war bereits zu spät.

Jen saß an ihrem Schreibtisch, hatte sich in ihrem Sessel zurückgelehnt und hatte den Telefonhörer in der Hand. „Ich kann mir vorstellen, wie schwer es für dich ist, aber…" Sie brach mitten im Satz ab, als ich hereinplatzte und ihr gesamter Körper versteifte sich. Ihr Griff um den Hörer wurde fester und ich hatte das Gefühl, gerade etwas mitbekommen zu haben, das nicht für meine Ohren bestimmt war. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte ich Schrecken in ihren Augen erkennen, aber sie fing sich so rasch wieder, dass ich glaubte, mich getäuscht zu haben.
Jen bedeutete mir mit einem Schlenker ihrer freien Hand hereinzukommen, ließ es sich aber nicht entgehen, Cynthia einen gefährlich funkelnden Blick zuzuwerfen, der die junge Frau rückwärts aus dem Büro trieb und die Tür leise schließen ließ.
„Ich muss Schluss machen. Meine Sekretärin hat es versäumt, niemanden durchzulassen", sagte sie zu ihrem Gesprächspartner, während ich an ihren Schreibtisch trat und mich auf den Besucherstuhl niederließ, obwohl ich eher das Bedürfnis verspürte, hin und her zu gehen. „Ich ruf dich nachher noch einmal an." Es folgte eine kurze Pause, bevor sie nickte und hinzufügte, da sie der andere ja nicht sehen konnte: „Ich weiß, wo du nachher bist, ich werde mich schon rechtzeitig melden." Die Worte waren nicht gerade freundlich ausgesprochen worden und ohne sich zu verabschieden, legte sie einfach auf. Diese Geste erinnerte mich so sehr an Jethro, dass ich unwillkürlich lächeln musste. Ich fragte mich unwillkürlich, ob Jen das von ihm übernommen hatte, als sie vor Jahren Partner gewesen waren.

„Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund, hier einfach so hereinzuplatzen und mich bei einem wichtigen Telefonat zu stören", riss mich die Direktorin aus meinen Gedanken und ließ keinen Zweifel daran, was sie davon hielt, dass ich nicht einmal angeklopft hatte. Der gefährlich funkelnde Blick, mit dem sie Cynthia bedacht hatte, war zwar nicht mehr so intensiv, aber dennoch durchdringend genug, dass ich unwillkürlich in dem Stuhl hin und herrutschte. Welches Gespräch ich auch immer unterbrochen hatte, es schien ihr überhaupt nicht zu passen, es zu einem anderen Zeitpunkt weiterzuführen. Oder lag es einfach nur daran, dass ich weiterhin das Gefühl hatte, dass ich es nicht mitbekommen hätte sollen? Hatte sie vielleicht einen Freund und sie wollte nur nicht, dass ihre Agenten etwas davon erfuhren? Aber wenn dem so wäre, warum hatte sie am Schluss so unfreundlich geklungen, ja beinahe sogar einen Befehlston in der Stimme gehabt? Außer sie bevorzugten irgendwelche Rollenspiele, um die Beziehung am Laufen zu halten.
„Ich warte, Agent DiNozzo", unterbrach sie erneut meinen Gedankengang und sie hörte sich ziemlich ungeduldig an. Sie hatte die Arme vor ihrer Brust verschränkt und ihre Laune schien nicht wirklich über dem Gefrierpunkt zu liegen – keine guten Voraussetzungen, um ihr zu sagen, dass Jethro nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Wenn die Direktorin bereits jetzt nicht gut aufgelegt war, würde sie diese Information nicht gerade ein einen Zustand der Freude versetzen und es würde noch schwerer werden, sie zu überreden, mir den Fall nicht abzunehmen.
„Ich war gerade bei Abby und sie hat etwas an Gibbs' Wagen gefunden", kam ich ohne Umschweife auf das Thema zu sprechen, da es keinen Sinn hatte, mich davor zu drücken. Einerseits würde sie dadurch noch ungeduldiger werden, andererseits würde es keinen guten Eindruck machen, wenn ich um den heißen Brei herumreden würde. Außerdem hatte sie ebenfalls das Recht zu erfahren, dass Jethro ermordet worden war.

Innerhalb einer Sekunde ließ Jen ihre Arme sinken und blickte mich geschockt an. Ihre Ungeduldigkeit war verschwunden und ihre Augen weiteten sich unmerklich. Sie hatte wohl mit allem gerechnet, nur nicht mit den Worten, die ich ihr soeben gesagt hatte. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und sie beugte sich nach vorne, brachte ihr Gesicht näher an mich heran, machte damit unwillkürlich den Eindruck, Angst zu haben, jemand könnte uns belauschen.
„Und was hat Miss Sciuto genau gefunden?" fragte Jen und ihre Stimme klang eine Spur belegt. Jetzt klang sie nicht mehr wie die forsche Direktorin, sondern wie eine Frau, die einen wichtigen Menschen verloren hatte. Und Gibbs war für sie wichtig gewesen, immerhin hatten die beiden eine Affäre gehabt. Vielleicht hatte sie ihn sogar einmal geliebt. Wer wusste das schon? Nach ihrer Eifersucht zu schließen, die sie mir gegenüber gezeigt hatte, als sie erfahren hatte, dass ich mit Jethro zusammen war, würde ich es glatt annehmen.
„Sprengstoff", antwortete ich schließlich und atmete tief durch. „Abby hat Sprengstoff gefunden. In der Nähe des rechten Hinterreifens und des Tanks. Es war kein Unfall." Die letzten Worte schwebten zwischen uns und bildeten eine unsichtbare Barriere. Es war kein Geheimnis, dass sie darauf beharrt hatte, dass es ein Unfall gewesen war, sie es nicht wahrhaben wollte, dass es jemanden gab, der es geschafft hatte, Gibbs zu ermorden. Aber es war eingetreten, jemand hatte seine Rache bekommen – aus welchem Grund auch immer. Und ich würde diesen herausfinden, egal ob sie mir Steine in den Weg legen würde.
Obwohl Jen versuchte, gefasst zu sein, wurde sie Weiß im Gesicht und sie starrte mich eine Sekunde lang völlig schockiert an, ehe sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Aber ich hatte das Gefühl, dass es nicht der Schrecken war, erfahren zu müssen, dass Gibbs ermordet worden war, sondern eher der Schrecken, dass jemand von dem Sprengstoff Bescheid wusste. Genauso wie gestern erschien in ihren Augen ein seltsamer Ausdruck, den ich nicht deuten konnte und der mir überhaupt nicht gefiel. Konnte es sein, dass sie mir etwas verschwieg? Oder bildete ich es mir nur ein? Wollte ich einfach nur einen Schuldigen finden? Warum sollte mir Jen etwas vormachen oder etwas nicht sagen? Saßen wir nicht im selben Boot?

„Ist sich Abby sicher, dass es Sprengstoff ist?" wollte die Direktorin wissen und lehnte sich zurück, so als ob sie die Lehne als Stütze verwenden musste. „Ganz sicher. Abby macht nie Fehler. Allerdings dürfte es schwierig werden, herauszufinden, woher der Sprengstoff stammt, da er aus herkömmlichen Mitteln, die man überall bekommt, besteht." Mein Gegenüber kniff ihre Augen leicht zusammen und fixierte mich mit einem durchdringenden Blick.
„Ihnen ist klar, was das bedeutet, oder?" fragte sie und legte ihre Fingerspitzen aneinander. „Es bedeutet, dass Jethro ermordet worden ist", antwortete ich und die Worte zu sagen war irgendwie schlimmer, als sie nur zu denken. Die Wahrheit war heraußen und ich konnte mich nicht mehr davor verstecken oder sie schönreden. Jen seufzte leise und schüttelte ihren Kopf. „Es bedeutet, dass ich Sie von dem Fall abziehen muss, Agent DiNozzo. Gibbs war Ihr Lebenspartner und…" „Er ist es noch immer und wird es immer bleiben", unterbrach ich sie und beugte mich nach vorne. „Und ich weiß, dass Sie mich von dem Fall abziehen müssen, aber ich bitte Sie darum, es nicht zu tun. Ich werde sicher nicht ruhig herumsitzen, während jemand anderes ermittelt. Das können Sie mir und meinem Team nicht antun. Jethro war für uns alle mehr als nur ein Vorgesetzter."
Ich war beinahe so weit, dass ich ihr gestand, dass ich von der Affäre wusste, aber ich hatte es meinem Freund versprochen, es niemandem zu verraten, selbst Jen nicht. Aber irgendwie musste ich sie dazu bringen, mich zu verstehen, mir die Möglichkeit zu geben, selbst hinter alles zu kommen. Ich wollte denjenigen, der für alles verantwortlich war, finden und musste ich deswegen ein paar Regeln brechen, dann sollte es mir recht sein.

„Sie sind persönlich involviert, Tony." „Und genau deswegen sollte ich weiterermitteln. Ich kann und werde nicht zusehen, dass jemand anderes die Ermittlungen übernimmt. Jethro war mein Leben und jemand dort draußen hat mir das weggenommen. Würde der Mensch, den Sie über alles lieben, ermordet werden, würden Sie einfach herumsitzen und anderen die Arbeit machen lassen? Oder würden Sie selbst graben, um die Wahrheit herauszufinden?"
Ich wusste, ich überschritt in diesem Moment eine Grenze, aber ich konnte nicht ruhig bleiben, wollte nicht mitansehen, wie mir die Möglichkeit auf ein klein wenig inneren Frieden genommen wurde.
Jen blickte mich weiterhin durchdringend an und ihrer Miene konnte ich nicht entnehmen, was sie dachte. Sie schien jedoch nicht sehr verärgert zu sein, dass ich meine Stimme gegen sie erhoben und dass ich sie vorhin unterbrochen hatte.
Sekunden verstrichen, ehe sie sich überhaupt regte und wieder vorlehnte, ihre Hände auf der Tischplatte verschränkte. In ihre Augen trat ein sanfterer Ausdruck und sie entspannte sich ein wenig. „Ich würde wahrscheinlich selbst so lange suchen, bis ich den Schuldigen gefunden habe", sagte sie schließlich mit leiser Stimme. Ich machte den Mund auf, aber bevor ich auch nur ein Wort von mir geben konnte, hob sie einen Zeigefinger, um mir Einhalt zu gebieten. „Damit wir uns verstehen. Ich will einen täglichen Bericht haben und sollte ich das Gefühl haben, dass es Ihnen zu viel wird, werde ich Sie schneller in Urlaub schicken als Sie blinzeln können."
Auf meinen Lippen bildete sich ein kleines Lächeln und ich nickte. Ich würde wahrscheinlich alles machen, nur damit sie mir nicht den Fall wegnahm, dass ich selbst ermitteln durfte. Wenn Jen dafür einen täglichen Bericht haben wollte, damit konnte ich leben. „Danke", meinte ich nur, aber sie verstand auch so, welchen Gefallen sie mir tat. Ich stand auf und ging zur Tür. „Agent DiNozzo?" Meine Hand verharrte auf der Klinke, ohne sie hinunterzudrücken, stattdessen drehte ich mich noch einmal um. „Ja?" Auf ihrem Gesicht erschien ein trauriger Ausdruck und ihre Stimme hatte einen derart sanften Klang angenommen, dass ich nichts Gutes ahnte.
„Die Beerdigung. Sie findet am Donnerstag um 14 Uhr statt. Ich will Sie uns Ihr Team an diesem Tag in diesem Gebäude nicht sehen." Obwohl die Worte wie ein Befehl ausgesprochen worden waren, wurden sie durch den milden Ton gelindert. Allerdings bekam ich das nicht wirklich mit, da sich alles um mich herum zu drehen anfing und ich meine Hand so fest um die Klinke krampfte, dass sich das Metall schmerzhaft in meine Haut bohrte.
Beerdigung… ich hatte keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, hatte mich geweigert, das Wort auch nur in mein Bewusstsein zu lassen. Aber es jetzt so unvorbereitet zu hören, traf mich mit voller Wucht. Die kurze Freude, die ich empfunden hatte, nicht von dem Fall abgezogen worden zu sein, verschwand so schnell wie sie gekommen war und hinterließ erneut den grässlichen Schmerz, der mich am Sonntag erfasst hatte. Ich hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, als mir bewusst wurde, dass ich mich von Jethro bald für immer verabschieden musste, dass sein Körper in einem Sarg von zwei Meter Erde bedeckt werden würde, um mit der Zeit zu Knochen zu werden.
Ich fing an, unkontrolliert zu zittern und damit es Jen nicht merkte, dass mich ihre Worte vollkommen aus der Bahn geworfen hatten, brachte ich ein tonloses „Verstanden" heraus, ehe ich die Tür aufriss, aus dem Büro eilte und sie wieder hinter mir ins Schloss warf. Cynthia blickte mich verwundert an, aber ich sah sie nicht vor mir, sondern einen Friedhof, einen Grabstein und ein tiefes Loch, in dem ein Sarg hinuntergelassen wurde.
Meine Knie drohten unter mir nachzugeben und Tränen brannten in meinen Augen. „Agent DiNozzo?" hörte ich die junge Frau fragen, aber ich ignorierte sie, lief an ihr vorbei, stürmte aus dem Vorzimmer auf den Gang hinaus. Ich musste weg, musste alleine sein, bevor meine Beine mein Gewicht nicht länger tragen konnten und ich vor allen anderen zusammenbrach.
Ich eilte die Stufen in das Großraumbüro hinunter, rammte dabei beinahe einen jungen Agenten, der mir verwirrt nachsah und bog nach rechts ab, wo sich mein Schreibtisch und die meiner Kollegen befanden. Mein Blickfeld wurde verschwommen und um den Schluchzer zu unterdrücken, der sich in meiner Kehle bildete, presste ich eine Hand auf meinen Mund.

„Tony?" fragte McGee und stand von seinem Stuhl auf, aber ich schüttelte einfach nur den Kopf, ignorierte ihn und Ziva, die beieinander an seinem Tisch waren und lief stattdessen einfach weiter, in den Flur hinein, der zu den Verhörräumen führte. Ich riss die erstbeste Tür auf, die ich erreichte und betrat den spärlich eingerichteten Raum, der zu meinem Glück unbesetzt war, mit dem Einwegspiegel. Stille umfing mich und das Geräusch, mit dem ich die Tür ins Schloss warf, hallte laut in meinen Ohren wider. Für eine Sekunde blieb ich reglos stehen, ehe ich nach links trat und mich mit dem Rücken zur Wand in die Ecke kauerte. Ich winkelte meine Beine an, legte meine Stirn auf meine Knie und umschlag meinen Kopf mit meinen Armen, so als ob ich mich vor etwas schützen wollte. Ich machte mich so klein wie möglich und versuchte nicht mehr, die Tränen zurückzuhalten. Der Schmerz in meinem Inneren wurde stärker und ich fing hemmungslos zu weinen an, mein gesamter Körper wurde von Schluchzern gebeutelt und ich hatte das Gefühl, nie wieder aufhören zu können.
Beerdigung… ich konnte Jethro doch nicht beerdigen, konnte ihn doch nicht unter der Erde begraben. Ich wollte mich nicht von ihm verabschieden, ich wollte ihn in meinen Armen halten, ihm sagen, wie sehr ich ihn liebte, ihm sagen, wie sehr ich ihn brauchte, ihm zeigen, dass er das Wichtigste in meinem Leben war. Ich wollte bei ihm sein, seine Nähe spüren und nicht jeden Abend in ein leeres Haus zurückkehren. Wie sollte ich das nur schaffen, wie sollte ich es nur schaffen, in die Zukunft zu blicken?
In meiner Verzweiflung bekam ich nur am Rande mit, wie die Tür des Verhörraumes geöffnet wurde und gedämpfte Schritte erklangen, aber ich machte mir nicht die Mühe, meinen Kopf zu heben, ich wusste auch so, wer es war. Anstatt vorzugeben, dass alles in Ordnung war, kauerte ich mich noch näher an die Wand, so als ob ich hineinkriechen wollte, um dort Schutz vor der erbarmungslosen Welt zu finden.
Ich hörte, wie die Tür leise geschlossen wurde und die Person auf mich zukam, kurz vor mir stehen blieb und sich ohne etwas zu sagen schließlich neben mich setzte. Der mir vertraute Geruch eines Aftershaves stieg in meine Nase und das Wissen, nicht mehr alleine zu sein, beruhigte mich seltsamerweise ein wenig. Dennoch schaffte ich es nicht, die Tränen zum Versiegen zu bringen, die mittlerweile meine Jeans durchnässten und weiter ungehindert über meine Wangen strömten.

„Ich dachte… dachte, ich bin… bin stärker", brachte ich zwischen den Schluchzern hervor, mit einer Stimme, die so schrecklich schwach war. „Ich dachte… ich dachte, ich würde das über… überstehen. Aber… ich weiß einfach nicht mehr… nicht mehr weiter, McGee. Ich kann… kann einfach nicht mehr." Erneut breitete sich Stille aus, die nur von meinen Schluchzern unterbrochen wurde und Tim wusste nicht so recht, was er machen sollte. Unbeholfen, so als ob er Angst hätte mich zu berühren, legte er mir eine Hand auf den Rücken und fing an, sanft darüber zu reiben. „Ich kann Jethro… ich kann ihn doch nicht einfach so begraben, mich von ihm ver… verabschieden. Das schaffe ich nicht." „Natürlich schaffst du das, Tony", sagte er beruhigend und fuhr weiter sachte über meinen Rücken, eine Berührung, die mir ein wenig Trost spendete. „Glaub mir, du bist stark genug." „Sieh mich doch an!" schrie ich beinahe und hob meinen Kopf, sodass er einen wunderbaren Blick auf mein tränenüberströmtes Gesicht hatte. „Sehe ich vielleicht so aus, als ob ich stark wäre?! Ich… ich kann nicht… nicht…"
Tims Blick war so voller Verständnis und Mitgefühl, dass ich meinen Kopf auf seine Schulter fallen und es erneut zuließ, dass mich Schluchzer um Schluchzer überrollten. McGees anfängliche Unbeholfenheit war verschwunden und er legte ohne zu zögern einen Arm um mich, zog mich nahe an sich und versuchte mich damit ein wenig zu beruhigen.
„Du bist nicht alleine, Tony", meinte er schließlich und ließ es zu, dass ich mich noch enger an ihn kuschelte. „Wir werden das zusammen durchstehen, auch wenn das jetzt so klingen mag, als ob es nie eintreffen würde. Ich habe wahrscheinlich keine Ahnung, wie du dich im Moment fühlst, aber wir bekommen das schon hin, du wirst sehen. Alles wird gut", fügte er leise hinzu und rieb mir leicht über meinen Oberarm.
Auch wenn ich nicht wirklich daran glaubte, dass jemals wieder alles gut werden würde, schafften es seine Worte, dass ich ruhiger wurde, dass ich nicht mehr das Gefühl hatte, von innen heraus zerrissen zu werden. Die Schluchzer wurden weniger, wohingegen die Tränen weiter über meine Wangen strömten und von meinem Kinn tropften.
„Wir werden den Schuldigen finden, der dafür verantwortlich ist und ich bin mir sicher, mit der Zeit wird der Verlust leichter zu ertragen sein. Du musst nur daran glauben." Obwohl ich nicht wusste warum, nickte ich leicht und zwang mich, wieder normal zu atmen und nicht mehr in abgehackten Stößen. Ich spürte, wie ich mich langsam wieder entspannte und der Schmerz erträglicher wurde.
„Willst du, dass ich dich alleine lasse?" fragte McGee zögerlich, als die Schluchzer vollkommen erebbt waren. „Damit du dich noch ein wenig sammeln kannst, bevor wir fahren. Wir fahren doch noch nach Norfolk, oder?" Wieder nickte ich und als er seinen Arm von meiner Schulter lösen wollte, schüttelte ich energisch meinen Kopf. „Bleib, Tim. Ich will jetzt nicht alleine sein. Bitte, bleib", flüsterte ich mit rauer Stimme und schloss die Augen, als er seinen Griff erneut verstärkte. Mir war nicht einmal bewusst, dass ich ihn zum ersten Mal mit seinem Vornamen angeredet hatte, aber ich spürte, dass unsere Freundschaft mit den Minuten, die wir beide in diesem Raum waren, gewachsen war. Er würde wahrscheinlich immer Bambino für mich bleiben, aber ich würde ihn auch in einem ganz anderen Licht sehen.
Und vielleicht hatte McGee ja doch recht, vielleicht war ich stark genug, um das alles zu überstehen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 24 by Michi
Irgendwo in Washington D.C.
Etwa um Mittag


Gibbs saß auf der unglaublich bequemen Ledercouch in Dariens großer Eigentumswohnung mitten in Washington. In seinen Händen hielt er eine Tasse mit schwarzem Kaffee, der für seinen Geschmack nicht stark genug war. Seit Minuten wartete er darauf, dass sein alter Freund aus der Küche zurückkam und verkündete, dass das Essen fertig war. Aber ihm war es nur Recht, dass er warten musste – er hatte überhaupt keinen Appetit. Wenn er ehrlich war, hatte er seit Samstag keinen Hunger mehr gehabt und nur etwas zu sich genommen in dem Wissen, dass er Nahrung brauchte, um sich konzentrieren zu können. Es war wie bei einem Auto: ohne Treibstoff funktionierte es nicht.
Jethro trank einen kleinen Schluck Kaffee und starrte aus dem breiten Fenster auf den grauen Himmel. Vor einer Stunde waren Wolken aufgezogen und mittlerweile schneite es wieder leicht. Kleine Flocken segelten nach unten und bedeckten den Boden mit einer zarten weißen Schicht. Es war ruhig, nur die üblichen Geräusche, die es in einer Wohnung gab, waren zu hören. Gibbs mochte das Apartment nicht. Es war kühl und unpersönlich eingerichtet – genau wie Darien. Es gab nur schwarz und weiß – schwarze moderne Möbel, weißen Teppichboden und weiße Wände, an denen graue Kunstdrucke hingen, die die Atmosphäre noch düsterer erscheinen ließen.
In einem überdimensionalen Schrank stand ein Flachbildfernseher, der noch größer war, als derjenige, den Tony in seinem Wohnzimmer hatte. Zusätzlich gab es eine neuartige Stereoanlage, jede Menge CDs und Bücher verschiedenster Sparten. Alles war blitzblank poliert und nirgendwo war ein Staubkörnchen zu entdecken – ja, es war beinahe alles steril.
Obwohl Gibbs eine gewisse Ordnung bevorzugte, so war ihm diese Wohnung viel zu rein. Nichts lag herum, nicht einmal eine DVD oder eine Zeitschrift. Der einzige Gegenstand, der sich auf dem Couchtisch befand, war die Fernbedienung für den Fernseher. Jethro fühlte sich ziemlich unwohl und er wünschte, er könnte bald von hier verschwinden. Darien hatte ihn zum Mittagessen eingeladen und gemeint, er würde selbst kochen, irgendetwas Mexikanisches und die Düfte zogen mittlerweile den Flur entlang bis zum Wohnraum. Es roch durchgehend nach Paprika und Peperoni, weswegen sich ihm der Magen zusammenzog. Er hoffte, dass er wenigstens ein paar Bissen hinunterbekommen würde. Nicht einmal der Kaffee schien ihm zu schmecken.

Es war erst der dritte Tag, den er mit Darien verbrachte, aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Die Minuten zogen sich unendlich dahin, besonders in der Nacht, wenn er alleine im Bett lag. Diesmal hatte Jethro wenigstens vier Stunden geschlafen, dennoch fühlte er sich so, als ob er seit Tagen auf den Beinen wäre. Seine Zuversicht, den Auftrag durchzuziehen, ohne Tony einzuweihen, begann zu bröckeln. Er vermisste seinen jungen Freund so schrecklich, dass er nicht wusste, wie er es weiterhin überstehen sollte, ihn nicht in seinen Armen zu halten.
Vorhin, als er mit Jen telefoniert hatte, hatte er genau mitbekommen, wer in das Direktorinnenbüro hereingeplatzt war – Cynthia hatte den Namen laut genug gerufen. Gibbs hatte sich gewünscht, Anthony würde ein Wort sagen, damit er seine Stimme hören konnte, aber nichts dergleichen war geschehen, stattdessen hatte Jenny ihm gesagt, sie würde später noch einmal anrufen. Kurz bevor er zu Darien gefahren war, hatten sie ein weiteres Mal miteinander geredet und er hatte ihr gesagt, dass er ernsthaft darüber nachdachte, Tony einzuweihen.
Jens Reaktion war genauso wie er es sich vorgestellt hatte: sie hatte brüsk abgelehnt und ihm gesagt, er würde den ganzen Auftrag gefährden und womöglich sein eigenes Leben. Die Standpauke, die sie ihm gehalten hatte, war nicht von schlechten Eltern und wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte er es wahrscheinlich amüsant gefunden. So hatte er ihr nur versprochen, wegen Tony nichts zu unternehmen, auch wenn er wusste, dass er dieses Versprechen vielleicht nicht einhalten würde. Vor allem, da er am Vorabend eine kleine Spritztour mit seinem zweiten Wagen unternommen hatte.

Er war von der Fabrik zu seiner Mietwohnung gefahren, aber anstatt dort zu bleiben, war er anschließend etwa eine Meile zu Fuß gelaufen und schließlich in seinen zweiten Wagen umgestiegen. Im Prinzip hatte Gibbs nur ein wenig herumfahren wollen, um seine Gedanken zu sammeln und ohne dass er es richtig gemerkt hatte, war er vor Tonys Haus gelandet. Er hatte sich nicht einmal daran erinnern können, dorthin gekommen zu sein und statt weiterzufahren, hatte er das Auto in einer Nebenstraße geparkt und sich wie ein Einbrecher in den Garten geschlichen.
Genauso wie am Sonntag hatte er gewusst, dass es ein Fehler war, seinen Freund zu sehen, aber er hatte dem Drang einfach nicht widerstehen können. Anthony war seine große Schwäche und obwohl er es wusste, konnte er dagegen nichts machen – die Liebe, die er empfand, war stärker als die Angst, dass seine Tarnung aufflog und er deswegen sterben könnte.
Jethros Herz hatte schneller geschlagen und eine riesige Sehnsucht war in ihm aufgestiegen, als er Tony auf der Couch schlafend vorgefunden hatte, während im Fernsehen ein Footballmatch gelaufen war. Der junge Mann hatte so friedlich ausgesehen, sein Körper entspannt und seine Haare in einer Art und Weise verstrubbelt, die ihn unglaublich attraktiv gemacht hatte. Nichts hatte auf die Trauer hingedeutet, die Gibbs noch am Sonntag an ihm wahrgenommen hatte, aber er wusste, dass sie noch immer da war und so lange vorhanden sein würde, bis DiNozzo erfuhr, dass sein Lebensgefährte lebte.
Und Jethro hatte wirklich darüber nachgedacht, es ihm zu sagen und selbst Jens Befehl, sich ja nicht bei seinem Freund blicken zu lassen, hielt ihn nicht davon ab, sich weiterhin Gedanken darüber zu machen, wie er Tony beibringen sollte, dass er nicht tot war. Bereits gestern wäre er am liebsten in das Haus gegangen und hätte alles aufgeklärt, aber dann war Anthony aufgewacht und irgendwie hatte ihn der Mut verlassen. Gibbs gab es zu, er hatte sogar Angst davor gehabt, sich dem anderen zu zeigen, einfach aus der Befürchtung heraus, Tony würde ihn hinausschmeißen, ihm sagen, was für ein Bastard er doch war.
Er machte sich nichts vor, er wusste, dass ihm, wenn die Wahrheit einmal heraus war, ein gewaltiges Donnerwetter bevorstand. DiNozzo war nicht der Typ Mann, der ihn voller Freude in die Arme schließen würde, wenn er erfuhr, dass Jethro noch lebte. Eher war es wahrscheinlich, dass er ziemlich wütend werden würde und genau davor fürchtete er sich. Ihm war bewusst, dass man, wenn man in Rage war, Sachen sagte, die man nicht so meinte und damit andere verletzte und er hoffte innerlich, dass es bei ihm und Tony nicht so weit kommen würde. Bis jetzt war er noch keiner Konfrontation aus dem Weg gegangen, aber diesmal war es anders.
Anstatt sich Anthony zu zeigen, war er wieder gefahren, sich selbst einen Idioten schimpfend, dass er nicht den Mut aufgebracht hatte, die Wahrheit zu sagen. Er hatte sich eingeredet, dass es zu gefährlich war, dass er sein Leben und vielleicht auch das von Tony gefährdete, aber mittlerweile wusste er es besser. Es war nicht die Angst vor dem Tod, die ihn von dem Haus weggetrieben hatte, sondern die Angst vor einem Streit, der damit enden könnte, dass ihre Beziehung auseinanderbrach.
Gibbs machte sich keine Illusionen: er würde kämpfen müssen, damit nach diesem Auftrag wieder alles in geregelten Bahnen verlief und er begann bereits jetzt sich Argumente zurecht zu legen, mit denen er seinen Freund gnädiger stimmen konnte.

Trotz der ernsten Situation bildete sich auf Jethros Lippen ein Lächeln, als er erneut an das vorherige Gespräch mit Jen dachte. Sie hatte ihm erzählt, dass Abby den Sprengstoff am Wagen gefunden hatte und die Direktorin es einfach nicht fertiggebracht hatte, Tony von dem Fall abzuziehen. Er würde wahrscheinlich noch jeder so kleinen Spur folgen, die jedoch im Nichts enden würde. Vielleicht war das auch der Grund, warum Jenny DiNozzo nicht einfach nach Hause geschickt hatte, weil sie wusste, dass es keinen Mörder gab, den man finden konnte.
Gibbs war stolz, dass sein Freund nicht aufgab und weitersuchte, obwohl es ihn nirgendwo hinführen würde. Beinahe hoffte er, dass Tony von alleine dahinterkam, dass der Unfall nur getürkt gewesen war, genauso wie Kyle Zeke nur den schlechtgelaunten Zeugen spielte. Er wünschte sich so sehr, dass alles bereits vorüber war und er zu dem Mann, den er über alles liebte, zurückkehren konnte. Er wollte nicht mehr alleine in einem Bett schlafen, wollte nicht mehr alleine aufwachen oder alleine frühstücken. Selbst das öfters nervende Gerede über den neuesten Spielfilm würde er ertragen, nur damit er Anthony wieder zurückhatte.
Gibbs hatte bereits einmal eine Familie verloren, ein zweites Mal wollte er das nicht durchmachen. Alleine der Gedanke, dass er Tony durch diesen Auftrag verlieren könnte, verwandelte seine Eingeweide in einen einzigen schmerzenden Klumpen. Seit Shannons und Kellys Tod hatte er gedacht, er würde nie wieder fähig sein, irgendwen zu lieben, dass sich sein Herz für immer verschlossen hätte, aber er war eines besseren belehrt worden. In den letzten sieben Monaten war er so glücklich wie lange nicht mehr gewesen und er genoss es richtig, wieder jemanden in seinem Leben zu haben. Die Schmetterlinge in seinem Bauch, die ausgeströmt waren, als er erkannt hatte, dass er Tony liebte, waren weiterhin vorhanden und waren sogar mehr geworden. Er war verknallt wie ein Teenager – wie Abby es ausdrücken würde – und bei Gott, es fühlte sich einfach herrlich an. Sein Leben hatte wieder einen Sinn erhalten und jetzt war er davor, alles zu verlieren.
Wie Gibbs Darien dafür hasste, dass er nicht tot war, dass er dafür verantwortlich war, dass vor etwa sechs Jahren das Einkaufszentrum in die Luft gesprengt worden war, dass er verantwortlich für das Versprechen war, das Jethro gegeben hatte und er schwor sich, würde er Anthony verlieren, würde er Coolidge mit seinen bloßen Händen umbringen.

Jethro trank den Kaffee aus und stellte die Tasse auf den sauber polierten Tisch ab, während er den Blick von den Schneeflocken losriss, die weiterhin lautlos auf den Boden fielen. Das Tanzen der Kristalle hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn und er spürte, wie er sich langsam entspannte, wie er wieder klarer denken konnte. Seine Zweifel bezüglich des Auftrages waren noch immer vorhanden und auch die Überlegungen, ob er Tony die Wahrheit erzählen sollte, aber er hatte wenigstens nicht mehr das Gefühl, weder ein noch aus zu wissen. Es war an der Zeit, das Trübsal blasen sein zu lassen und wieder dazu überzugehen, warum er überhaupt hier war.
Gibbs stand auf und lauschte, aber da keine Schritte zu hören waren, ging er zu dem Bücherregal und las sich die Titel durch, untersuchte, ob eines der Bücher abgegriffener als das andere war, oder ob zwischen ihnen verdächtige Nachrichten steckten – jedoch Fehlanzeige. Alles war normal, sah man von der Tatsache ab, dass Darien anscheinend eine Vorliebe für historische Romane hatte. Selbst die meisten CDs stammten aus den letzten vier Jahrzehnten und es fand sich fast nichts Neues. Bei den DVDs war jedes Genre vertreten und er musste unwillkürlich grinsen, als er ein paar Pornos fand, die diskret hinter den anderen Filmen standen. Früher hätte Jethro vielleicht die Frauen auf dem Cover gemustert, aber mittlerweile interessierte ihn nur ein einziger Körper und der gehörte Tony. Sieben Monate und er konnte sich weiterhin nicht an den Muskeln satt sehen, geschweige denn aufhören, jeden Millimeter davon zu liebkosen.
Bevor ihn erneut die Sehnsucht übermannen konnte, schüttelte er den Kopf und drehte sich um. Gibbs war noch immer alleine, weshalb er beschloss, die Wohnung kurz zu erkunden, immer auf die Gefahr bedacht, erwischt zu werden. Aber wann hatte er schon einmal die Gelegenheit, Dariens Apartment zu durchsuchen. Er würde die Chance, dass er hierher eingeladen worden war, beim Schopf packen.

Vorsichtig schlich er aus dem Wohnzimmer und auf den langen Flur hinaus, der ebenfalls mit einem weißen Teppich ausgelegt worden war. An den Wänden hingen graue Kunstdrucke die so aussahen, als ob sie von einem Kind gezeichnet worden waren und die höchstwahrscheinlich ein kleines Vermögen gekostet hatten.
Von dem Gang gingen mindestens ein halbes Dutzend Türen aus – die Letzte war nur angelehnt und aus ihr strömten die Gerüche nach Paprika und Peperoni. Die ersten beiden Türen links führten in ein Esszimmer und in ein spärlich eingerichtetes Gästezimmer mit einem Bett, einem Nachtschrank und einem Kasten – alles aus schwarzen Möbeln. Rechts ging es in einen kleinen Fitnessraum, bei dem eine Wand komplett aus einem Spiegel bestand. Nirgendwo sah es so aus, als ob es ein Versteck für geheime Pläne geben würde, aber gleich darauf runzelte er die Stirn, als er die nächste Tür probierte – sie war abgeschlossen. Es war beinahe so, dass dahinter etwas lag, das nicht für seine Augen bestimmt war oder Darien hatte erwartet, dass er herumschnüffelte und hatte sicherheitshalber dafür gesorgt, dass er nichts fand. Oder es befanden sich hinter dieser Tür noch wertvollere Gemälde oder Möbel. Es musste nicht unbedingt ein Arbeitszimmer sein oder gleich eine versteckte Kommandozentrale.
Vorsichtig probierte Jethro noch einmal die Klinke, aber die Tür rührte sich keinen Millimeter. Auch hatte er keinen Dietrich dabei, mit dem er das Schloss knacken hätte können, was er sowieso nicht getan hätte, da sich Darien nur ein paar Schritte entfernt befand. Aber er wusste, er musste in diesen Raum, um sicher zu gehen, dass nichts Wichtiges darin aufbewahrt wurde. Er durfte nichts auslassen, außerdem lief ihm langsam die Zeit davon. Er hatte nur noch sieben Tage, bis die nächste Bombe hochgehen sollte und wenn es dazu kam, würde er sich das nie verzeihen, vor allem, wenn er es unterließ, Räume zu durchsuchen, für die er momentan keinen Schlüssel hatte.

Gibbs trat zurück und setzte sich wieder in Bewegung, aber kaum war er zwei Schritte gegangen, erschien Darien unter der Tür zur Küche, in seinen Händen hielt er einen Kochlöffel, der Jethro in diesem Moment wie eine Waffe vorkam.
„Suchst du etwas, Lee?" fragte Hayden und setzte ein Grinsen auf, das so wirkte, als ob er genau wüsste, was sein damals bester Freund in diesem Flur machte. Unwillkürlich fragte er sich, womit er es verdient hatte, jedes Mal erwischt zu werden, wenn er herumschnüffelte. Gestern war er einem der Wachhunde in der Fabrik über den Weg gelaufen und dieser hatte ihm mit einem Blick verständlich gemacht, dass er es ihm keine Sekunde abgekauft hatte, dass er die Toilette gesucht hatte.
Und erneut lag Gibbs diese Ausrede auf den Lippen, aber er wusste, dass Darien Verdacht schöpfen würde, vor allem wenn ihm der Riese erzählt hatte, dass er den Ermittler dabei beobachtet hatte, wie er sich in der Fabrik umgesehen hatte. Deshalb zuckte er nur mit den Schultern und zwang sich, ein sorgloses Lächeln aufzusetzen. „Ich habe mich nur gewundert, wo du solange bleibst. Ich bin beinahe am Verhungern." Das stimmte zwar ganz und gar nicht, aber diese Ausrede war immerhin besser als die, auf die Toilette zu müssen.
Darien legte seinen Kopf schief, musterte seinen alten Freund für eine Sekunde, ehe er nickte und breiter grinste. „Ich bin fast fertig. Nur noch fünf Minuten. Außer du willst einen harten Reis haben." „Nein danke", erwiderte Jethro und verzog angeekelt seinen Mund. Er wusste noch immer nicht, wie er es schaffen sollte, etwas zu essen. Aber er musste weiterhin so tun, als ob er sich darauf freute, immerhin hatte er ja behauptet, vor Hunger fast umzukommen. Die Gerüche, die aus der Küche strömten, rochen durchaus köstlich, dennoch schafften sie es nicht, seinen Appetit aufzuheizen.
„Du kannst schon einmal den Tisch decken", sagte Darien und trat zurück, sodass Gibbs in die Küche konnte, die genauso wie der Rest der Wohnung mit schwarzen Möbeln ausgestattet war. Auf dem Herd befand sich ein riesiger Topf, von dem eine Rauchwolke aufstieg und vom Dunstabzug aufgesogen wurde. „Wir werden im Wohnzimmer essen, außer du hast was dagegen." „Keineswegs", sagte Jethro und nahm die Teller, die bereits auf dem Tisch standen. Wie gerne er sie Coolidge mitten ins Gesicht schleudern und zusehen wollte, wie ihm die Scherben die Haut aufschlitzten.
‚Höchstens sieben Tage', dachte er, als er ins Wohnzimmer zurückkehrte. ‚Dann ist alles vorbei. Egal ob es mir gelungen ist, den Anschlag zu verhindern. Und hoffentlich kann ich anschließend endlich meinen Tony wieder in die Arme schließen.' Bei diesem Gedanken fing Jethro liebevoll zu lächeln an und die Angst vor dem drohenden Donnerwetter, das ihn unweigerlich erwarten würde, verschwand ein wenig. War es nicht immer so gewesen, dass nach einem Streit, den sie gehabt hatten, eine mehr als leidenschaftliche Versöhnung erfolgt war? Warum sollte es diesmal nicht auch so sein? Und es war dieser Gedanke an die Versöhnung, der Gibbs dabei half, wieder in seine Rolle zu schlüpfen und Darien den Freund vorzuspielen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 25 by Michi
Die Fahrt nach Norfolk verlief relativ ruhig, die einzige Unterhaltung war die Musik aus dem Autoradio. McGee saß am Steuer, Ziva war hinter ihm und ich hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Die meiste Zeit starrte ich aus dem Fenster und beobachtete mehr oder weniger die vorbeiziehende Winterlandschaft.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange Tim und ich im Verhörraum gesessen und ich durch seine Anwesenheit Trost gesucht hatte. Nicht einmal an Ducky hatte ich mich am Sonntag derart geklammert. Die Angst, einfach in das schwarze Loch zu fallen, war allgegenwärtig gewesen, weshalb ich den Jüngeren nicht mehr losgelassen hatte. Es war auch das erste Mal, dass ich von mir aus nicht in meiner Trauer alleine gelassen werden wollte. Anstelle McGee wegzuschicken, hatte ich es zugelassen, dass er voll mitbekam, dass ich doch nicht so stark war und dass mich Jethros Tod viel mehr mitnahm, als ich meinen Freunden sehen lassen wollte.
Der Gedanke an die Beerdigung war noch immer unerträglich und ich konnte mir weiterhin nicht vorstellen, Gibbs zu begraben – seine Knochen für die Ewigkeit in einen Sarg eingeschlossen. Ich hatte Tim erzählt, weshalb ich mein inneres Gleichgewicht derart verloren hatte und im Verhörraum praktisch zusammengebrochen war. Seine Erwiderung war eine noch festere Umarmung und das Versprechen gewesen, dass er mich an diesem Tag nicht alleine lassen würde. Aber er wusste genauso gut wie ich, dass ich nach der Beerdigung sicher niemanden um mich haben wollte, nicht einmal meine Freunde. Es wäre wahrscheinlich besser, gerade zu so einem Zeitpunkt die Nähe von Menschen zu suchen, aber ich würde mich nicht dazu aufraffen können. Ich musste erst einmal damit klarkommen, dass ich Jethro für immer verloren hatte und ich seine sterblichen Überreste der Erde übergeben würde.
Mein erneuter Zusammenbruch machte mir klar, dass ich, obwohl ich es angenommen hatte, mit der ganzen Sache doch nicht so gut umgehen konnte. Nach meinem Alkoholexzess am Sonntag hatte ich wirklich geglaubt, ich könnte alles einfach überstehen, aber ich hatte mich selbst belogen. Jetzt verstand ich auch die Menschen, die eine über alles geliebte Person verloren hatten und die behaupteten, seit Jahren zu trauern, nie über den Verlust hinweg gekommen zu sein. Irgendwie hatte ich das nie für möglich gehalten, aber mittlerweile konnte ich es mir durchaus vorstellen. So wie es sich momentan anfühlte, würde auch ich lange damit zu kämpfen haben, Jethro für immer verloren zu haben. Und ich bezweifelte, dass ich jemals wieder derart glücklich werden konnte, wie ich es in den letzten sieben Monaten gewesen war.
Trotz teilweise harter und anstrengender Fälle hatten wir jede Menge Zeit miteinander verbracht und ungeachtet dessen, dass manche Morde an unser beider Nerven gezogen hatten, waren selbst die Wochen mit jede Menge Überstunden schön gewesen, was wahrscheinlich auch daran liegen mochte, dass, wenn wir im Hauptquartier übernachtet hatten, sich Jethro und ich in ein Konferenzzimmer zurückgezogen und uns auf das Sofa gekuschelt hatten. Ganz zu schweigen von unseren Ausflügen in die Toilette, deren Tür wir einfach zugesperrt hatten, um für ein paar Minuten ungestört zu sein. Wir hatten immer irgendwie eine Möglichkeit gefunden, uns kurz abzuseilen und alleine zu sein.
Gibbs hatte vor unserer Beziehung ständig behauptet, Partnerschaften zwischen Kollegen würden nicht funktionieren, aber wir hatten doch das Gegenteil bewiesen. Wir hatten es geschafft, Privates von Beruflichem zu trennen, auch wenn es manchmal schwer gefallen war. Tief in meinem Inneren spürte ich, dass unsere Beziehung für die Ewigkeit geschaffen war, wäre Jethros Wagen nicht in die Luft gesprengt worden.
Ich wünschte, ich hätte die Möglichkeit erhalten, ihn zu fragen, ob er mich heiraten wollte, wünschte, ich könnte in seine Augen blicken, wenn ich ihm den Ehering an den Finger steckte und somit unsere Liebe vor allen besiegelte. Es hätte perfekt werden können, das wusste ich genau aber jetzt würde ich wohl nie heiraten. Früher hätte mich der Gedanke an eine Hochzeit und dauerhafter Bindung abgeschreckt und ich hatte nicht einmal darüber nachdenken wollen. Aber das hatte sich geändert, genauso wie sich mein gesamtes Leben verändert hatte. Und jetzt war ich erneut dazu verdammt, alleine zu sein, anstatt jemanden um mich herum zu haben.

Müde fuhr ich mir mit einer Hand über meine Augen und versuchte mich ein wenig zu entspannen. Ich hatte das Gefühl, auf der Stelle schlafen zu können, aber ich wehrte mich dagegen, einfach aus der Angst heraus, Dinge zu träumen, die mich regelrecht nach dem Aufwachen quälten.
Seit meinem Tränenausbruch fühlte ich mich wie erschlagen, weshalb ich auch McGee aufgetragen hatte zu fahren, obwohl es Ziva anzusehen gewesen war, hinter dem Steuer sitzen zu wollen. Aber da weder Tim noch ich das Bedürfnis verspürten zu sterben, hatte ich dem jungen Agent die Schlüssel zu geworfen. Bei ihm musste ich nicht die Befürchtung haben, dass er plötzlich in den Gegenverkehr auswich oder in den Fordermann krachte, da er übersehen hatte, dass dieser bremste. Außerdem verlor ich bei seinem Fahrstil nicht meinen Mageninhalt, was bei Ziva schon mehr als einmal vorgekommen war. Die Israelin fuhr schlimmer als eine 80-jährige, die nicht einmal über das Lenkrad blicken konnte – die Dienstwagen, die sie verschrottet hatte, waren Beweis genug dafür.
Ich hielt es ihr jedoch zu Gute, dass sie sich nicht beschwert hatte, dass ich McGee den Schlüssel gegeben hatte – vielleicht hatte es auch an meinem desolaten Zustand gelegen. Ein paar handvoll kaltes Wasser auf der Toilette hatten nur geholfen, die Tränenspuren auf meinen Wangen zu vernichten, aber nicht die roten geschwollenen Augen. Sie hatte auch nicht nachgefragt, weshalb Tim und ich so lange verschwunden gewesen waren, sie hatte es auch so gewusst. Aber nichts hatte darauf hingedeutet, dass sie es als Schwäche ansah, dass ich meinen Gefühlen freien Lauf gelassen hatte, sie hatte nur gefragt, ob alles in Ordnung sei, wobei sie mein Nicken mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck zur Kenntnis genommen hatte. Aber es kam ja auch nicht sooft vor, dass ich das ständige Bedürfnis verspürte, in Tränen auszubrechen oder auf etwas einzuschlagen, um den Schmerz ein wenig zu lindern. Ich hatte noch immer keinen Schimmer, wie ich das alles überstehen sollte, ohne daran zu zerbrechen. Noch nie hatte ich mich so hilflos gefühlt und selbst die Tatsache, dass Jethro nicht schuld an dem Unfall gewesen war, linderte das nicht im Geringsten. Was würde passieren, wenn ich seinen Mörder fand? Konnte ich meinen Finger vom Abzug lösen oder würde ich abdrücken? Ich hatte keinen Schimmer, wie es weitergehen sollte, aber jetzt war es erstmals an der Zeit, sich mit Kyle Zeke zu beschäftigen und den Grund, warum er gestern gelogen hatte.
Obwohl ich hoffte, dass er der Schuldige war, spürte ich tief in meinem Inneren, dass er nur eine Randfigur in einem größeren Spiel war – ein Bauer, den man bedenkenlos opfern konnte. Egal was es mich kosten würde, ich würde denjenigen finden, der die Fäden zog und dann würde es sich zeigen, ob ich es schaffte, den Abzug durchzudrücken.

Der Song aus dem Radio wechselte zum neuesten Wetterbericht, wo es hieß, dass es heute Abend noch mehr Schnee geben sollte und die Gefahr von Glatteis steigen würde. Eine Erwärmung war nicht in Sicht und auch in den nächsten Tagen sollte das Thermometer unter null Grad bleiben. Als wir Washington verlassen hatten, hatte es angefangen zu schneien und je näher wir Norfolk kamen, desto dichter fielen die Flocken vom bleigrauen Himmel. McGee hatte die Scheibenwischer eingeschaltet und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf die Straße.
Von dem Mann, der mich noch vor wenigen Stunden tröstend im Arm gehalten hatte, war keine Spur mehr zu sehen, sondern er hatte sich wieder in Bambino zurückverwandelt. Seine Stirn war gerunzelt und er versuchte, dem Fordermann nicht auf die Stoßstange zu krachen. Ich verspürte eine unglaubliche Dankbarkeit, dass er mich nicht alleine gelassen hatte, sodass ich ihn nicht einmal dafür rügen konnte, dass er den anderen Wagen nicht einfach überholte. Überhaupt schien ich mein Bedürfnis, jemanden aufzuziehen, verloren zu haben. Ich war bereits froh, hin und wieder lächeln zu können, ohne das Gefühl zu haben, dass es aufgesetzt war.
„Danke für alles, McGee", sagte ich schließlich, als wir in die ruhige Wohngegend einbogen, in der das Haus von Kyle Zeke stand. Ich löste meinen Blick von dem Seitenfenster und sah zu meinem Kollegen hinüber, der für kurze Zeit seine Konzentration von der Straße abwandte. Hier war jedoch kein Verkehr mehr, weshalb die Möglichkeit, dass er durch seine Unachtsamkeit einen Unfall bauen konnte, gering war.
„Schon in Ordnung", erwiderte er ungewöhnlich ernst und blickte wieder nach vorne. „Dafür sind Freunde da." Der Satz schwebte zwischen uns im Wageninneren und ich sagte darauf nichts, musste ich auch gar nicht. Wir wussten beide auch so, dass es der vollen Wahrheit entsprach, dass sich im Laufe der Jahre eine tiefe Freundschaft entwickelt hatte, ohne dass wir es so richtig mitbekommen hatten. Als wäre es gestern gewesen, erinnerte ich mich daran, als ich McGee zum ersten Mal gesehen hatte, als man eine von Säure zerfressene Leiche gefunden hatte. Damals hatte er auf mich den Eindruck gemacht, sich gleich übergeben zu müssen, obwohl er eine Maske getragen hatte, um sich vor dem Gestank zu schützen. Tim war so unbeholfen gewesen, hatte nicht wirklich gewusst, was er machen sollte und ich hatte mich einfach über seine Art köstlich amüsiert. Heute jedoch hatte ich das Gefühl, dass wäre Jahrzehnte her. McGee hatte sich zu einem selbstbewussten Agenten gemausert, den ich wirklich respektierte und den ich auch mochte. Dennoch würde ich ihn wohl auch weiterhin Bambino nennen – alte Gewohnheiten legte man eben nicht so schnell wieder ab.

„Nettes Haus", meinte Ziva, als Tim hinter dem schwarzen BMW von Kyle Zeke hielt. Diesmal befand sich der Wagen nicht in der Garage und auf dem Lack hatte sich bereits eine dünne Schneeschicht gebildet. Niemand war auf der Straße zu sehen, keine Kinder, keine Menschen, die einen Spaziergang unternahmen. Das Wetter war dafür viel zu ungemütlich und als ich ausstieg, zog ich unwillkürlich meine Jacke fester um meinen Körper, als mich ein eiskalter Wind traf und mir die Flocken direkt ins Gesicht wehte.
Alles sah gepflegt aus, ein richtig schickes Haus, wüsste ich nicht, wie es im Inneren war. Die Fassade war nur Schein und mich schauderte es, wenn ich daran dachte, mich erneut in dieses stickige Wohnzimmer zu setzen, wo es nach Knoblauch roch und der Teppich Flecken aufwies, deren Herkunft mir schleierhaft war. Dennoch musste ich mich zusammenreißen, um nicht einfach loszustürmen und so lange gegen die Tür zu hämmern, bis Kyle öffnete, um mir sein arrogantes Gesicht zu zeigen.
„Warte erst einmal, bis du drin bis. Dann wirst du es nicht mehr so hübsch finden", sagte McGee, verschloss sorgfältig den Wagen und betrat neben mir und Ziva die Veranda. Der Schaukelstuhl wippte leicht in dem Wind hin und her und verursachte knarzende Geräusche, die ziemlich unheimlich klangen. Überhaupt hatte die Gegend, obwohl es nur schöne Häuser gab – jedenfalls von außen – etwas Unheimliches an sich. Vielleicht lag es auch nur daran, dass heute nicht die Sonne schien und die dunklen Wolken ein wenig auf mein Gemüt drückten. Zwar wurden die Tage jetzt wieder länger, aber es war trotzdem düster, sodass man das Gefühl hatte, dass die Dämmerung hereinbrechen würde.
„Bringen wir es hinter uns", meinte ich, trat an die Tür und klingelte. Im Gegensatz zu gestern wurde uns nicht gleich geöffnet, sondern wir waren sicher eine halbe Minute der Kälte ausgesetzt, ehe schlurfende Schritte zu hören waren, jemand einen Schlüssel umdrehte und gleich darauf ein Paar Augen uns misstrauisch musterte. „Sie schon wieder", brummte er unfreundlich, als er mich und McGee erkannte. Eine Sekunde später blieb sein Blick an Ziva hängen und er vergrößerte den Spalt um mehrere Zentimeter, sodass ich sein faltenreiches Gesicht erkennen konnte. Auch heute waren seine Haare verstrubbelt und sie machten den Eindruck, nicht gewaschen worden zu sein. So weit ich erkennen konnte, trug Zeke eine braune Wollhose und ein weißes Unterhemd, sodass seine Muskeln gut sichtbar waren.
„Wen haben wir denn da?" fragte er in Richtung der Israelin und in seine Augen trat ein begehrliches Funkeln. Seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln und mich hätte es nicht gewundert, wenn er zu sabbern angefangen hätte. „Das ist Officer David", stellte ich meine Kollegin vor und hatte Mühe, ihm nicht meine Faust in sein arrogantes Gesicht zu schlagen. Ziva blieb überraschend ruhig und musterte den älteren Mann abschätzend. „Mr. Zeke, wir hätten noch ein paar Fragen", sagte McGee, als ich keine Anstalten machte, zu verraten, weshalb wir hier waren. „Schon wieder?" war seine ruppige Antwort, ohne die junge Frau aus den Augen zu lassen. „Ich wüsste nicht, was es noch zu fragen gibt." „Das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Können wir reinkommen?" wollte ich wissen und versuchte, freundlich zu bleiben. Er musste ja nicht unbedingt gleich wissen, dass er für mich der Verdächtige Nummer eins in dem Mord an Gibbs war. Es war immerhin sein gutes Recht, uns die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Wir hatten keinen Durchsuchungsbefehl und einen zu bekommen, nur weil Kyle eine Falschaussage gemacht hatte, war unwahrscheinlich. Außerdem gab es keine Verbindung zwischen ihm und Jethro und sie schienen sich auch nie begegnet zu sein.

„Wenn es unbedingt sein muss", murmelte Zeke in seinen nicht vorhandenen Bart und öffnete die Tür so weit, dass die stickige Luft im Inneren nach außen drang und mich beinahe einen Schritt zurücktreten ließ. Zusätzlich kam mir eine Geruchswolke gebratener Zwiebel und Fleisch entgegen, weshalb sich mein Magen zusammenzog. Ziva rümpfte ihre Nase und selbst McGee hatte es nicht mehr eilig, in das Haus zu kommen. So als ob ich ein Mienenfeld betreten würde, ging ich in den kleinen Vorraum und hatte prompt das Gefühl, in einen Backofen gelandet zu sein. Es war noch heißer als gestern und ich zog mir sofort meine Jacke aus, bevor ich anfangen konnte, zu schwitzen. Der Geruch nach fettigem Essen wurde stärker und mein Magen begann zu revoltieren, aber ich wartete geduldig, bis meine Kollegen sich ebenfalls im Haus befanden und Kyle die Tür hinter uns schloss.
Mürrisch vor sich hin murmelnd, ging er – gefolgt von uns – ins Wohnzimmer, ließ sich auf einen der Sessel fallen und zog den Teller mit seinem Essen zu sich heran. Auf ihm häuften sich kleine Fleischsstücke und eine Soße, die anscheinend nur aus Zwiebeln und Wasser bestand. Ohne uns etwas anzubieten oder uns aufzufordern sich zu setzen, schnappte er sich eine Gabel und schaufelte sich ungeniert das Fleisch in den Mund. Ich schluckte hart, während ich mich so weit wie möglich von ihm entfernt auf die Couch niederließ, gefolgt von Ziva und McGee, die sich zu mir dazuquetschten. Wie gestern ließ Tim seinen Mantel an, die Israelin hingegen zog ihren aus und legte ihn sorgfältig über die Lehne.
Kyles Blick blieb an ihren Brüsten hängen und er fuhr sich mit der Zunge über seine Lippen. Ziva schien das nicht zu bemerken oder es ließ sie kalt, dass sie von diesem Typ praktisch mit den Augen ausgezogen wurde. Allerdings konnte ich mir vorstellen, dass sie ihm eine Abreibung verpassen würde, sobald wir gingen.
„Also, was kann ich heute für euch tun?" fragte er mit vollem Mund, aber ich ließ mich nicht von seiner falschen Freundlichkeit beirren. „Geht es wieder um diesen Kerl von gestern? Tschuldigung, ich meine Agent Gibbs", fügte er hinzu, als er meinen steinernen Gesichtsausdruck bemerkte. „Ich dachte, da wären wir durch. Es war ein Unfall." „Weshalb sind Sie sich da so sicher?" wollte McGee wissen und zückte seinen kleinen Notizblock. Zeke blickte ihn verwirrt an und runzelte die Stirn – die volle Gabel verharrte mitten in der Luft auf dem Weg zu seinem Mund.
„Was wollen Sie damit sagen?" fragte Kyle und sein hämischer Tonfall schwankte ein wenig. „Wir wollen damit sagen", antwortete Ziva und betonte jedes Wort einzeln, so als ob sie einen schwerhörigen Menschen vor sich hätte, „dass der Unfall kein Unfall gewesen ist." Überrascht riss unser Gegenüber seine Augen auf, ließ die Gabel sinken und stellte den Teller auf dem Tisch ab, so als ob ihm der gesamte Appetit vergangen wäre. „Das ist ein Scherz, oder?" wandte er sich an mich und zog seine Brauen zusammen, sodass eine Falte zwischen seinen Augen erschien. Er klang atemlos und seine gehässige Art war vollkommen verschwunden.
„Das ist kein Scherz", versicherte ich ihm und beugte mich nach vorne, versuchte ihn mit meinem Blick zu durchbohren, so wie es Jethro immer mit mir gemacht hatte, wenn ich etwas angestellt hatte. „Es war Mord?" Er klang noch geschockter und auf seiner Stirn erschienen Schweißperlen, als er sich in den abgesessenen Sessel zurücklehnte. „Das… ich weiß nicht, was… es tut mir leid", stotterte er vor sich hin und starrte auf seine Finger.
„Wissen Sie, was mich am meisten irritiert?" fragte ich und rutschte an die Sofakante. Meine Stimme hatte einen gefährlichen Klang angenommen, der selbst mir neu war und von dem ich nicht einmal gewusst hatte, dass ich ihn besaß. „Wieso Sie nicht mitbekommen haben, dass der Wagen meines Freundes in die Luft gesprengt worden ist. Das heißt, zuerst der hintere rechte Reifen und dann hat eine zweite Sprengladung das Benzin entzündet." Eine gewisse Befriedigung durchfuhr mich, als Kyle weiß im Gesicht wurde und noch mehr Schweiß auf seiner Stirn erschien. Entweder war er so geschockt, weil ein Mord direkt vor seiner Nase stattgefunden hatte oder aber er war schuldig und er fühlte sich ertappt.

„Da war… da war eine Rauchwolke", sagte er schließlich, nachdem sich das Schweigen unangenehm in die Länge zog und nur das ferne Ticken einer Uhr zu hören war. „Aber ich dachte, sie würde von den Bremsen stammen. Ich wusste nicht…" Er brach ab und sah mich beinahe verzweifelt an. McGee neben mir schrieb eifrig mit und Ziva rührte sich nicht einmal einen Millimeter, schien zu einer Statue erstarrt zu sein. „Und wieso haben Sie das nicht bereits gestern gesagt?" fragte ich und musste die Wut unterdrücken, die auf einmal in meinem Inneren aufkeimte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und konnte nur mit Mühe verhindern, dass ich sie auf den Tisch vor mir krachen ließ.
„Und Sie haben doch sicher einen Knall gehört, oder?! Wenn etwas in die Luft gesprengt wird, dann macht das jede Menge Lärm! Wieso haben Sie uns gestern angelogen?!" Ich wurde lauter und konnte nichts dagegen machen. Der Mann, der Jethro als letztes lebend gesehen hatte, schien nicht besonders daran gelegen zu sein, zu kooperieren.
„Ich habe Sie nicht angelogen", erwiderte er ärgerlich und funkelte mich aus seinen braunen Augen geringschätzend an. „Ich dachte nur, es wäre nicht wichtig. Und ich habe nichts gehört, keinen Kracher. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich während dem Autofahren immer laut Musik höre. Und seit wann ist das ein Verbrechen?!" „Aber es ist ein Verbrechen, einen anderen Menschen zu ermorden. Noch dazu einen Bundesagenten", entfuhr es mir unwillkürlich, woraufhin Kyles Gesicht innerhalb des Bruchteils einer Sekunde rot anlief und seine Hände sich so fest zu Fäusten ballten, dass die Knöchel weiß hervortraten.
„Wollen Sie etwa andeuten, ich hätte diesen Agenten ermordet?!" „Sonst hätte ich das wohl kaum gesagt", meinte ich ungerührt. Ich wünschte mir, ich könnte endlich von hier verschwinden, endlich wieder frische Luft atmen. Aber wenn Kyle wirklich schuldig war, dann wollte ich das wissen. „Ich fasse es nicht! Sie kommen hierher und beschuldigen mich eines Mordes! Wieso hätte ich diesen Kerl umbringen sollen?! Ich bin ihm vorher noch nie begegnet, verdammt noch mal! So etwas lasse ich mir nicht gefallen!" Er sprang auf, stützte seine Arme auf dem Tisch ab und beugte sich so weit nach vorne, dass ich seinen nach Zwiebel stinkenden Atem riechen konnte.
„Jemand hat sich dazu entschlossen, Ihren Freund ins Jenseits zu befördern und nur weil ich das Pech hatte, zur gleichen Zeit dort zu sein, glauben Sie, ich wäre es gewesen! Sie suchen doch nur einen Schuldigen, damit Sie endlich wieder ruhig schlafen können! Ihr Bundesagenten seid doch alle gleich! Ich weiß genau, warum ich euch nicht ausstehen kann, vor allem, wenn sich herausstellt, dass sie schwul sind! Wahrscheinlich ist die Welt ohne…"
Hätte mich McGee nicht aufgehalten, wäre meine Faust mitten auf Kyles Nase gelandet und hätte sie gebrochen. Bis jetzt hatte es mir nie etwas ausgemacht, wenn ich auf Leute gestoßen war, die ein Problem mit Homosexuellen hatten, aber das er auch noch wagte zu sagen, die Welt wäre ohne Jethro besser dran, brachte das Fass zum Überlaufen.
Ziva erhob sich und stellte sich zwischen mir und dem tobenden Zeke, aber nicht einmal ihre Anwesenheit schien ihn zu beruhigen. Ich begann, mich gegen McGees Griff zu wehren, aber er ließ nicht locker. „Ich denke, es ist besser wenn wir gehen", sagte Ziva zu uns, ohne uns anzublicken. „Komm schon, Tony", meinte Tim leise, schnappte sich meine Jacke und drückte sie mir in die Hand, während er mich am Oberarm packte und mich von Kyle wegführte.
„Wenn Sie noch einmal hierher kommen wollen, dann gefälligst mit einem Durchsuchungsbefehl! Ich lass mir doch keinen Mord anhängen!" schrie er uns zu und ich hatte wirklich Mühe, nicht zurückzustürmen und ihn einfach niederzuschlagen. Die Israelin eilte an uns vorbei und öffnete die Tür, während McGee aufpasste, dass ich keinen Blödsinn anstellte. „Er weiß etwas", sagte ich wütend, als wir die Veranda erreicht hatten und Ziva die Tür so laut ins Schloss warf, dass die Fensterscheiben klirrten. „Dieser Mistkerl verschweigt etwas." „Aber das können wir nicht beweisen", meinte sie und öffnete die Beifahrertür, sodass mich Tim ohne Probleme ins Auto verfrachten konnte, ehe ich es mir anders überlegen konnte und Zeke doch noch die Wahrheit herausprügelte – oder ihm Schmerzen zufügte, weil er sich erdreistet hatte zu sagen, die Welt wäre ohne Jethro besser dran.
Ich war so wütend, dass ich mehrere Versuche brauchte, bis ich es geschafft hatte, mich anzuschnallen und um mich ein wenig abzureagieren, schlug ich einfach auf die Tür ein. „Hör auf, Tony, du tust dir noch weh", sagte McGee und versuchte sich meine Hände zu schnappen. Ich ließ mich in den Sitz zurücksinken und atmete tief durch. „Er wollte dich nur zur Raison bringen", erklang Zivas Stimme hinter mir und sie legte mir eine Hand auf meine Schulter. „Und das ist ihm wunderbar gelungen", erwiderte ich zynisch, aber etwas ruhiger. „Aber trotzdem… zu hören, dass jemand behauptet, die Welt wäre ohne… das hat mir einfach einen Stich ins Herz versetzt." Ich schüttelte meinen Kopf und schloss die Augen, blendete die Welt um mich herum aus. Die schönen Häuser, den Schnee und den grauen Himmel.
McGee startete den Motor, wendete vorsichtig und beschleunigte schließlich. Ziva ließ ihre Hand von meiner Schulter gleiten und ließ sich nach hinten sinken. „Ich will, dass jemand diesen Mistkerl beschattet. 24 Stunden am Tag", sagte ich leise und ohne dass ich es befehlen musste, griff die Israelin nach ihrem Handy und leitete alles in die Wege. Wenn Kyle Zeke wirklich etwas mit dem Mord zu tun hatte, dann würden wir das herausfinden. Irgendwann würde er vielleicht einen Fehler machen und wenn es so weit war, dann gnade ihm Gott.

Fortsetzung folgt...
Chapter 26 by Michi
Washington D.C.
Arlington National Cemetry
Donnerstag, 30. Januar
14:20 Uhr


Die letzten eineinhalb Tage waren an mir vorübergezogen, als ob ich mitten in einem schlechten Film gefangen wäre. Es war mir alles so surreal vorgekommen und je näher der Donnerstag gerückt war, desto unwirklicher wirkte alles. Die Nächte hatte ich auf meiner Couch im Wohnzimmer verbracht und mich mit jeder Menge Magnum und Spielfilmen von der Beerdigung abgelenkt. Ich war dankbar für jede Sekunde, die ich nicht an diesen Augenblick denken musste und so kam es, dass ich erneut nicht viel geschlafen hatte. Die Angst, dass mich in den Träumen glückliche Erinnerungen heimsuchen würden, war viel zu groß gewesen. Ich hatte nichts gegen schöne Erinnerungen, wenn sie nur nicht so weh tun würden, wenn man aufwachte.
Den Schlafmangel versuchte ich mit jeder Menge Kaffee auszugleichen, aber ich spürte selbst, dass es irgendwann zu viel werden würde. Unter meinen Augen hatten sich schwarze Ringe gebildet und selbst Ziva war aufgefallen, dass ich nicht ganz auf dem Damm war. Würden mich Ducky und McGee nicht förmlich dazu zwingen, etwas zu essen, würde ich auch das vernachlässigen. Ich lebte einfach vor mich hin und versuchte verzweifelt, in der Gegenwart zu bleiben und nicht in der Vergangenheit zu schwelgen oder an die Zukunft zu denken.
Die Ermittlungen in Bezug auf Jethros Mord verliefen auch nicht so, wie ich es mir anfangs vorgestellt hatte. Ich hatte wirklich geglaubt, den Schuldigen schnell finden zu können, aber so einfach war es bei weitem nicht. Ziva war sämtliche Fälle von Gibbs durchgegangen, hatte jeden Verhafteten herausgesucht, der bereits wieder entlassen worden war, war aber nur auf eine kalte Spur gestoßen. Die ehemaligen Häftlinge hatten entweder ein wasserdichtes Alibi, waren nicht aufzufinden oder waren tot. Und dann gab es noch sämtliche Familienangehörige, die sich eventuell rächen wollten, dass Jethro ihre Liebsten hinter Gitter gebracht hatte. Alles in allem gab es Hunderte von Personen zu überprüfen.
Die Beschattung von Kyle Zeke hatte auch noch nichts ergeben. Er führte ein langweiliges Leben, verbrachte die meiste Zeit in seinem überheizten Haus und fuhr nur mit seinem BMW irgendwohin, um einzukaufen. Hin und wieder schaufelte er ein wenig Schnee, um seine Einfahrt freizuhalten, aber ansonsten ließ er sich nicht blicken. Wenn er etwas mit dem Mord zu tun hatte, so ließ er sich nichts anmerken. Er verhielt sich wie ein mustergültiger Bürger und gab keinen Anlass, ihn zu verhaften.

Je näher die Beerdigung gerückt war, desto öfters hatte ich mich dabei ertappt, einfach zu Gibbs' Schreibtisch zu starren und mir vorzustellen, wie es wäre, würde er noch dort sitzen und jede Menge Befehle erteilen. Noch immer brachte ich es nicht fertig, mir seinen Platz einzuverleiben – es wäre ein Zugeständnis daran, dass er wirklich nicht mehr wiederkommen würde.
Ziva und McGee hatten in regelmäßigen Abständen versucht, mich aufzumuntern und vor allem Tim hatte mit verschiedenen Geschichten aus seiner Highschoolzeit meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Hin und wieder hatte ich es amüsant gefunden, was Bambino widerfahren war, als er ein Teenager gewesen war, aber auch das hatte mich nicht von dem Wissen, bald auf einem Friedhof zu stehen, ablenken können.
Direktor Shepard hatte mir angeboten, den Freitag frei zu nehmen, aber ich hatte abgelehnt. Ich wusste, mir würde nach kurzer Zeit die Decke auf dem Kopf fallen und ich hegte noch immer die Hoffnung, den Schuldigen zu finden. Es reichte bereits, dass wir den Donnerstag nicht verwenden durften, um weiteren Spuren nachzugehen, um noch mehr Leute zu verhören.
Ich hätte den Vormittag am liebsten im Hauptquartier verbracht, hätte sogar freiwillig irgendwelche Akten bearbeitet, aber Jen hatte deutlich gemacht, dass ich gar nicht erst daran denken sollte, einen Fuß über die Schwelle des Gebäudes zu setzen, wenn ich meinen Job behalten wollte. Deshalb hatte ich den ganzen Donnerstagvormittag auf dem Sofa gesessen und hatte in den Garten hinausgestarrt, während im Hintergrund der Fernseher gelaufen war, damit die Stille nicht so drückend gewesen war.
Das Bedürfnis, mich einfach einzukapseln war riesengroß gewesen und obwohl der Gedanke an die Beerdigung unerträglich war, hatte ich es nicht über mich gebracht, nicht hinzugehen. Ich musste irgendwie einen Schlussstrich ziehen, musste mein altes Leben hinter mir lassen, um anschließend vielleicht in die Zukunft blicken zu können. So schmerzhaft es auch war, ich musste mich damit abfinden, dass Jethro nicht wieder zurückkommen würde, dass ich alleine durchs Leben gehen würde und dass ich lernen musste, ohne ihn in meinem Bett zu schlafen.
McGee hatte mir angeboten, mich abzuholen und zum Friedhof zu fahren, aber ich wollte nicht auf jemanden angewiesen sein. Ich wusste, nach dem Begräbnis würde es noch ein Essen in einem Hotel geben, aber ich würde dort nicht hingehen. Ich würde es nicht ertragen, unter Agenten zu sein, die tranken, lachten, aßen und mich beobachteten, so als ob ich irgendein interessantes Ausstellungsstück in einem Museum wäre. Stattdessen würde ich ein wenig herumfahren, bevor ich nach Hause zurückkehren, mich unter eine Decke kuscheln und zu vergessen versuchen würde, an welchem Ort ich am heutigen Tag war. Vielleicht würde ich die Nacht auch bei Jethros Boot verbringen oder in seinem Bett schlafen, einfach um ihm ein wenig nahe zu sein.

Eineinhalb Tage waren vergangen und jetzt befand ich mich auf dem Arlington National Cemetry und starrte mit ausdrucksloser Miene auf den hellen Holzsarg, der mit der amerikanischen Flagge zugedeckt war und darauf wartete, in das frisch ausgehobene Grab hinuntergelassen zu werden. Die ganze Szene kam mir mehr als unwirklich vor und ich hatte zeitweise das Gefühl, das Geschehen aus der Luft zu beobachten, so als ob ich mich von meinem Körper gelöst hätte.
Die Stühle, die vor dem Grab aufgestellt worden waren, reichten bei weitem nicht aus, damit alle einen Platz hatten. Mindestens ein Viertel der Agenten, die erschienen waren, mussten stehen und hatten allesamt ihre Hände in Mänteln oder Jacken vergraben, um sie vor Erfrierungen zu schützen. Es herrschte eine gedrückte Stimmung, die nicht einmal von dem blassblauen Himmel aufgelockert werden konnte – ein Himmel, der zu diesem Zeitpunkt mehr als unpassend war. Die bleigrauen Wolken, die es noch am Morgen gegeben hatte, hatten sich allesamt verzogen und hatten einer hellen Sonne Platz gemacht, die den pulvrigen Schnee um uns herum zum Glitzern brachte.
Die weiße Pracht war auf dem großen Areal weitestgehend unangetastet, nur rund um das Grab war er zu einer harten Schicht plattgedrückt worden. Überall zeichneten sich die Schuhabdrucke der Menschen ab und bildeten groteske Muster auf dem Boden.
Um die Begräbnisstätte herum waren Hunderte von Blumen aufgestellt worden, Blumen in den verschiedensten Größen und Formen, Arten von Blumen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ihre Blüten bildeten einen Kontrast zu dem Weiß des Schnees, waren richtige Farbtupfer, die sich stark abhoben.
Vor dem Sarg war ein Podest aufgebaut worden, an dem der Priester die Trauerrede abhielt, aber seine Worte ergaben für mich einfach keinen Sinn. Sie schwebten in der Luft, schienen meine Ohren aber nicht zu erreichen. Der Mann hatte eine kräftige Stimme, die seine kleine, dünne Gestalt Lügen strafte. Die Haare waren schlohweiß und ordentlich zurückgekämmt. Seine eingefallenen Wangen waren gerötet und er zitterte leicht. Die Robe hing ihm von seinen knochigen Schultern und obwohl er alt war, strahlte er eine gewisse Ruhe und Autorität aus. Er sprach die Worte mit Bedacht, auch wenn ich alles wie durch Watte vernahm. Ich konnte mich nur auf den Sarg konzentrierten und den Mann, der darin lag. Es tat schrecklich weh zu wissen, dass Jethro so nahe aber dennoch so weit entfernt war. Uns trennten nur ein paar Schritte und eine Schicht aus Holz.
Zu wissen, dass ich hier war, um mich endgültig von ihm zu verabschieden, dass sein Körper für immer unter der Erde begraben sein würde, trieb mir die Tränen in die Augen, die ich dank des schönen Wetters hinter einer Sonnenbrille verstecken konnte. Niemand brauchte mitzubekommen, dass es mich innerlich fast zerriss, dass in meinen Augen der Schmerz zu erkennen war, den ich in diesem Moment empfand. Wenn ich könnte, hätte ich mich längst zu einem Ball zusammengerollt oder wenigstens die Beine an meinen Körper gezogen, um mich auf dieser Art ein wenig zu trösten, aber mir blieb nichts anderes übrig, als aufrecht zu sitzen, die Hände im Schoß gefaltet und weiterhin den Sarg anstarrend, mit dem ich ein Teil meines eigenen Lebens begraben würde.

Die Zeit zog sich, der Wind wurde stärker und ließ die Äste der blätterlosen Bäume leise rascheln, trug die Worte des Priesters mit sich fort. Die Kälte, die im Freien herrschte, registrierte ich nicht einmal, obwohl ich nur einen schwarzen Anzug trug. Ich war der Einzige, der auf einen Mantel oder eine Jacke verzichtet und als mir McGee seine angeboten hatte, hatte ich einfach nur den Kopf geschüttelt. Ich hegte noch immer die Hoffnung, dass die Kälte den Schmerz in meinen Inneren betäuben würde, dass es für mich ein wenig erträglicher werden würde. Aber bis jetzt war das Gegenteil der Fall. Je länger der Priester sprach, desto mehr hatte ich das Gefühl, innerlich zu sterben.
Eine Träne löste sich aus meinem rechten Auge und tropfte auf meine Wange hinunter, aber ich wischte sie unwirsch weg, bevor sie trocknen und einen unangenehmen Film auf meiner Haut hinterlassen konnte. Gleich darauf spürte ich, wie mir McGee seine Hand tröstend auf meinen Unterarm legte. Im Gegensatz zu mir schien ihm eiskalt zu sein, sein Gesicht war gerötet, und er zitterte leicht, dennoch lag ein beruhigender Ausdruck in seinen Augen, als ich für einen kurzen Moment meinen Blick von dem Sarg losriss und zu ihm sah.
Neben ihm saß Abby, ihr schlanker Körper war in ein schwarzes Kleid gehüllt und sie versuchte sich mit einem Mantel warm zu halten. In ihren Fingern hielt sie ein schwarzes Taschentuch, das sie gedankenverloren zerknitterte. Ihre Rattenschwänze hatte sie diesmal zu zwei kleinen Knoten geformt und sie schien genauso wie ich von dem Sarg angezogen zu werden.
Ziva hatte ihren Platz gleich neben Abby. Die junge Israelin trug einen schwarzen Hosenanzug und schien ziemlich gefasst. Sie rührte keinen Muskel und starrte ausdruckslos nach vorne, so als ob sie einen Punkt in weiter Ferne fixieren würde. Ihre zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haare wehten leicht in dem Wind und genauso wie ich schien sie die Kälte nicht wahrzunehmen.
Ducky saß direkt neben mir, sein Körper in einen dunklen Anzug gehüllt und seine Fliege war schiefer als sonst. Er hatte seine Beine übereinandergelegt und lauschte konzentriert den Worten des Priesters. Auf seinem Gesicht hatte sich eine tiefe Trauer ausgebreitet und er machte den Eindruck, trotz seines Interesses mit seinen Gedanken ganz weit weg zu sein.
Jen hatte ihren Platz ganz außen und genauso wie alle anderen auch, war sie vollkommen in Schwarz gekleidet. Sie wirkte professionell, hatte ihre Gefühle gut im Griff, aber ich wusste, dass es für sie schwer war. Sie hing an Gibbs, immerhin hatte die beiden mehr als eine Freundschaft verbunden. Zwar lag ihre Affäre Jahre zurück, dennoch war ersichtlich, dass ihr ziemlich viel an Jethro gelegen hatte.

McGee drückte aufmunternd zu und ließ mich wieder los, als ich meinen Blick erneut auf den Sarg richtete. Ich wollte von hier weg, wollte alleine sein, andererseits würde es bedeuten, dass Jethro dann unter der Erde liegen würde, was ich überhaupt nicht wollte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sein Körper in dem ausgehobenen Grab verwesen, er zu Knochen werden würde. Wieso konnte man die Zeit nicht einfach zurückdrehen? Wieso konnte es nicht wieder Samstagabend sein, wo er nach Hause gekommen war und sich den Schnee aus den Haaren geschüttelt hatte?
Ich hätte vieles anders gemacht, hätte dafür gesorgt, dass er das Bett nicht verließ, dass er die ganze Zeit über bei mir blieb und dass wir den Morgen gemeinsam verbrachten. War es denn zu viel verlangt, wenn ich ihn noch einmal in meinen Armen halten wollte? Meine Nase in seinem Hals vergraben wollte, um den Geruch nach Sägespäne einzuatmen? Mit meinen Finger durch seine Haare fahren, um sie zu zerzausen? Wieso konnte nicht alles doch ein schrecklicher Albtraum sein?

Eine zweite Träne tropfte auf meine Wange, als der Priester von dem Podest zurücktrat und anschließend den Sarg mit Weihwasser bespritzte. Ich spürte, wie ich zu zittern anfing, wie das Gewicht auf meiner Brust schwerer wurde, als mir klar wurde, dass es in wenigen Minuten vorbei sein würde. Ich schluckte hart und ballte meine Hände unwillkürlich zu Fäusten. Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie sich Direktor Shepard erhob, ihren Rock glatt strich und nach vorne trat, um eine kurze Rede zu halten. Und danach… danach würde es so weit sein, danach musste ich einen endgültigen Schlussstrich ziehen.
Jens Stimme war ganz anders als die des Priesters und sie sprach über Jethro als ein überragender Agent, als ein loyaler Freund und ein unersetzbarer Lebensgefährte. Bei den letzten Worten blickte sie mich direkt an und ich musste die aufsteigenden Tränen mit aller Gewalt zurückdrängen. Auf ihr Gesicht trat ein zärtlicher Ausdruck und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, zwischen uns würde ein unsichtbares Band entstehen, ein Band des Verständnisses.
Mein Herz zog sich zu einem schmerzhaften Klumpen zusammen, als sie sich im Namen des NCIS von Gibbs verabschiedete, zur Seite trat, eine exotisch aussehende Blume aus einem der großen Sträuße herauszog und sie sanft auf den Sarg legte. In den Reihen hinter uns kam Bewegung und erst jetzt realisierte ich wieder, dass wir nicht alleine waren, dass es jede Menge Menschen gab, die darauf warteten, sich persönlich zu verabschieden.

„Tony?" Diesmal war es Ducky, der mir seine Hand auf den Unterarm legte. In seinen Augen konnte ich Tränen schimmern sehen und ihn so zu sehen, ließ ihn um einiges älter und zerbrechlicher wirken. „Willst du nicht nach vorne gehen?"
Ich blickte zu dem Sarg, der weiterhin verlassen vor dem Podest stand. Niemand war dabei, Gibbs lebewohl zu sagen und ich wusste auch warum. Jeder wartete darauf, dass ich den ersten Schritt unternahm – sie ließen mir den Vortritt. Für ein paar Sekunden konnte ich mich nicht rühren, aber schließlich atmete ich tief durch, rückte meine Sonnenbrille zurecht und stand langsam auf. Obwohl ich mich nicht umdrehte, konnte ich die Blicke aller förmlich auf mir spüren, wusste, dass sie jeden meiner Schritte verfolgten.
Wie in Trance ging ich auf den Sarg zu, der Schnee knirschte leise unter meinen Füßen und ich hatte das Gefühl, ich würde eine Ewigkeit brauchen, um bei dem Grab anzukommen. Mit zitternder Hand löste ich vorsichtig eine rote Rose aus einem Strauß und hielt sie mir an die Nase, sog ihren betörenden Duft in meine Lungen. Die rote Rose war auch die Blume der Liebe und ich hoffte, dass ihr Geruch Jethro, wo er immer auch sein mochte, erreichte.
Ich blickte traurig auf den Sarg hinunter, während sich in meinem Hals ein großer Kloß bildete und ich die Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Es war mir egal, ob sie die anderen sehen würden – in diesem Moment war mir alles egal. Ich schloss meine Augen und ließ Gibbs' Gesicht vor mir entstehen, sein Lächeln, sein Körper und ich konnte schwören, dass die kalte Luft auf einmal nach Sägespänen roch. Ich erinnerte mich an unseren allerersten Kuss in dem Club – einen Kuss, den wir beide eigentlich nicht gewollt hatten, der aber schlussendlich unser gesamtes Leben auf den Kopf gestellt hatte. Ich erinnerte mich an unsere erste gemeinsame Nacht im Hotel, erinnerte mich an die grenzenlose Leidenschaft, erinnerte mich daran, wie mir Jethro zum ersten Mal gesagt hatte, dass er mich liebte, erinnerte mich an seine blauen Augen, mit denen er mich unglaublich liebevoll angesehen hatte. Uns waren nur sieben Monate vergönnt gewesen, sieben Monate voller Liebe, sieben Monate, die ich nie missen wollte, sieben Monate des reinsten Glücks.

Ich öffnete wieder meine Augen und blickte auf den Sarg, bevor ich meine freie Hand ausstreckte und sachte über das Holz fuhr. Es war kalt, dennoch hatte ich für keinen kurzen Moment das Gefühl, Jethros Haut zu liebkosen. Der Kloß in meinem Hals wurde größer, als ich einen sanften Kuss auf die Rose drückte und diese anschließend sorgfältig neben Jens exotischer Blume platzierte.
„Ich liebe dich", flüsterte ich mit heiserer Stimme und noch mehr Tränen lösten sich aus meinen Augen, liefen an meinen Wangen nach unten und tropften auf den Sarg. „Ich werde dich immer lieben." Genauso wie zuerst bei der Rose, drückte ich einen Kuss auf die Fingerspitzen meiner rechten Hand und legte diese an die Stelle, wo sich Gibbs' Gesicht befinden musste. „Du wirst immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben. Lebewohl, Jethro." Unendlich traurig löste ich meine Hand von dem Sarg, trat einen Schritt zurück und drehte mich um.
Hinter mir hatte sich eine lange Schlange gebildet, angeführt von meinen Freunden, die mich allesamt traurig musterten, die das Leid mit mir teilten. Eine Sekunde später setzte ich mich in Bewegung, eilte an den Agenten vorbei, an Männern und Frauen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, ging ich auf den Ausgang des Friedhofes zu. Ich musste von hier verschwinden, musste alleine sein, um zu begreifen, was gerade passiert war. Jethro war nun für immer fort, würde unter einer Schicht Erde begraben sein. Mit jedem Schritt den ich machte, entfernte ich mich mehr von der großen Liebe meines Lebens, ließ Gibbs in seiner letzten Ruhestätte zurück, in der Hoffnung,
dass ich irgendwann einmal wieder positiv in die Zukunft sehen konnte.

Fortsetzung folgt...
Chapter 27 by Michi
Jethro stand hinter einem dicken Baum und beobachtete seit geraumer Zeit den Eingang des Friedhofes. Menschen unterschiedlichen Alters gingen aus und ein, um ihre Liebsten zu besuchen, um mit ihnen den wunderschönen Wintertag für ein paar Minuten zu genießen. Aber Gibbs war nicht hier, um sich diese Leute anzusehen, er war wegen etwas ganz anderem hier, wegen etwas, von dem er wusste, dass es wahrscheinlich ein großer Fehler war.
Er steckte seine Hände in die Taschen seines Mantels und berührte mit den Fingern seiner rechten Hand einen Zettel, auf dem nur wenige Worte standen, Worte, für die er über eine Stunde gebraucht hatte, um sie zu schreiben. Jethro war an dem Tisch in der schäbigen Küche des Mietapartments gesessen und hatte einen Papierball nach dem anderen produziert, da er jedes Mal erneut darüber nachgedacht hatte, welchen Schritt er dabei war, zu gehen. Der eine Satz an sich war kein Problem gewesen – diesen hatte er schon seit gestern gewusst – aber die Konsequenz, die sich daraus ergeben würde, machte ihm Angst. Und Jen würde ihm wohl oder übel den Kopf abreißen.
Er hatte die gesamte letzte Nacht damit verbracht, darüber nachzudenken, was er im Begriff war zu tun, hatte sich das Für und Wider überlegt, bis er nicht mehr länger im Bett liegen bleiben hatte können. Stattdessen hatte er sich ins Wohnzimmer gesetzt, hatte das Bild von Tony aus seiner Brieftasche geholt und sich das Gesicht seines Freundes angesehen, die funkelnden grünen Augen. Der fröhliche Ausdruck hatte sich aber binnen Sekunden verändert, hatte unendlicher Trauer Platz gemacht und das hatte Gibbs einen heftigen Stich ins Herz versetzt. Je länger er mit der Lüge lebte, tot zu sein, desto schwerer fiel es ihm, sich auf seine Aufgabe zu konzentrieren.
Selbst Darien hatte am Mittwoch mitbekommen, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung war, dass er immer wieder mit den Gedanken abschweifte und nicht bei der Sache war. Er hatte Coolidge etwas von Kopfschmerzen erzählt und war mit einem Aspirin und einem großen Glas Wasser belohnt worden. Obwohl es ihm körperlich gut ging, hatte er die Tablette geschluckt, um keinen Verdacht zu erregen.
Mental sah es jedoch ganz anders aus. Mit jeder Minute, die er länger ohne Tony verbrachte, sehnte er sich mehr nach ihm, glaubte sogar, ihn manchmal in der Fabrik zu erkennen, obwohl er wusste, dass das nicht möglich war. Dennoch, seine Gefühle für Anthony gefährdeten langsam aber sicher den gesamten Auftrag. Nicht einmal mehr das Versprechen, wegen dem er überhaupt dem ganzen zugestimmt hatte, konnte seine Sehnsucht lindern.

Und dann hatte er von Jen erfahren, dass am Donnerstag die Beerdigung stattfinden würde. Ursprünglich hatte Jethro geglaubt, dass diese nie erfolgen würde, dass er vorher den Auftrag zu Ende bringen würde, aber dies war ihm nicht gelungen. Es kam ihm falsch vor, dass ein anonymer Obdachloser unter seinem Namen in einem Grab liegen würde, unter seinem Namen ein Begräbnis bekam, das für ihn bestimmt war. Sämtliche Agenten würden einem Fremden die letzte Ehre erweisen, Tony würde sich von einem Unbekannten verabschieden, würde glauben, es wären die Knochen seines Freundes, die sich in dem Sarg befanden.
Genau diese Tatsache hatte schlussendlich dazu geführt, dass sich Gibbs entschieden hatte, zum Friedhof zu fahren, mit dem kleinen Zettel in der Tasche, der entweder alles zunichte machen oder durch den sich vielleicht alles zum Guten wenden würde.
Nichtsdestotrotz zögerte er noch immer, die Straße zu überqueren und zu dem blauen Mustang zu gehen, der Tony gehörte. Er wollte so sehr, dass ihm Anthony, wenn er die Nachricht erhielt, in ein paar Stunden um den Hals fiel, dass er einfach nur glücklich war, dass Gibbs noch lebte, aber das war wohl ein Wunschdenken. Und er könnte es seinem Freund nicht einmal verübeln, wenn dieser wütend werden sollte.
Zusätzlich bestand die Gefahr, dass dieser den einen Satz für verrückt, als Scherz hielt und den Zettel ignorierte. Und die Möglichkeit, dass ihm Dariens Männer folgten, war auch gegeben, wobei ihm das nicht so viel Kopfzerbrechen machte. Jetzt, wo er den Zweitwagen hatte, schaffte er es mühelos, sich seinen Verfolgern zu entledigen und er vergewisserte sich immer, dass niemand vor seiner Wohnung herumschlich oder sich verdächtig benahm. Jethro konnte es immerhin aus einer Meile Entfernung riechen, wenn etwas nicht stimmte und noch dazu stellten sich Coolidges Männer nicht sehr geschickt an. Auch diesmal war er sich sicher, dass niemand in seiner Nähe war, dass keiner einen Schimmer hatte, wo er sich zurzeit aufhielt.

Es war beinahe 15 Uhr und er musste sich beeilen. Darien hatte ihn ein weiteres Mal in seine Wohnung eingeladen und vielleicht hatte er diesmal Glück, den versperrten Raum aufzubekommen. Oder er bekam ihn freiwillig zu sehen. Egal wie es verlaufen würde, Gibbs würde um keinen Preis der Welt am Abend an den Ort zu spät kommen, den er auf den Zettel geschrieben hatte. Wie es danach weitergehen würde, das würde sich schlussendlich zeigen.
Er hätte es nie für möglich gehalten, dass ihn die Liebe derart beeinflussen würde, aber wie er Ducky einmal gesagt hatte, brachte diese Seiten an ihm zum Vorschein, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab. Wäre Darien vor einem Jahr aufgetaucht, hätte er den Auftrag durchgezogen, hätte ohne darüber nachzudenken alles gemacht, um sein Versprechen zu erfüllen. Aber seit Tony der wichtigste Teil seines Lebens war, hatte sich das geändert. Jethro wusste, dass er Anthony von Anfang an einweihen hätte sollen, auch wenn es ihm Jen verboten hatte. Er hatte alles ganz falsch angepackt, hatte sich von der Tatsache, dass Darien noch lebte, einfach übermannen lassen und jetzt war es zu spät. Jetzt konnte er nur mehr hoffen, dass er alles reparieren konnte, was er kaputt gemacht hatte.

Gibbs seufzte leise, drückte seinen Rücken durch und blickte nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass niemand in seiner Nähe war. Es war an der Zeit, mit der Wahrheit herauszurücken, egal wie schmerzhaft es werden würde. Mit großen Schritten überquerte er die verlassene Straße und eilte zu dem großen Parkplatz, wo er ohne Mühe den Mustang seines Freundes fand. Nicht mehr lange, und die Beerdigung wäre zu Ende. Es blieben ihm wahrscheinlich nur mehr ein paar Minuten, um von hier unbemerkt zu verschwinden.
Mit ungewohnt zittriger Hand holte er den Zettel aus seiner Manteltasche und betrachtete ihn noch einmal stirnrunzelnd. Ein einziger Satz – ein Satz, der alles verändern konnte, dennoch war es für einen Rückzieher zu spät. Je früher er es erledigte, desto besser, desto schneller konnte er hoffentlich Tony wieder in seine Arme schließen.
Sachte strich Jethro über die wenigen Worte, ehe er noch einmal tief Luft holte und die Nachricht unter den Scheibenwischer klemmte. Anschließend berührte er kurz das kühle Metall des Wagens, einen Gegenstand, von dem er wusste, dass Anthony nicht lange zuvor darin gesessen hatte. „Bitte verzeih mir", flüsterte er beinahe unhörbar, bevor er einen Schritt zurücktrat. Er musste von hier weg, ehe er es sich wieder anders überlegte und den Zettel an sich nahm.
Mit einem letzten Blick auf den Mustang drehte er sich um und entfernte sich beinahe laufend von dem Friedhof, von dem Ort, wo es Menschen gab, die glaubten, sich von ihm zu verabschieden. Nur noch ein paar Stunden, dann würde sich zeigen, wie Tony darauf reagieren würde, dass Gibbs noch lebte, wenige Stunden, bevor vielleicht ein Donnerwetter losbrach. In diesem Moment kam Jethro alles noch ruhig vor – zu ruhig. War das eventuell die berühmte Ruhe vor dem Sturm? Er hoffte nicht.

Fortsetzung folgt...
Chapter 28 by Michi
Es war eine Wohltat, das Gelände des Friedhofs zu verlassen, auch wenn es mir wie eine kleine Weltreise vorgekommen war. Mit jedem Schritt, den ich Richtung Ausgang gemacht hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, dass sich dieser um einen Meter weiter von mir entfernte. Unterwegs hatte ich die Tränen einfach mit dem Ärmel meines Anzugs von meinen Wangen gewischt und mich regelrecht dazu gezwungen, keine weiteren zu vergießen. Je mehr ich mich von dem Grab entfernte, desto mehr hatte ich den Eindruck, einen Teil meines eigenen Lebens hinter mir zu lassen. Eine Hälfte von mir wollte wieder zurückgehen, wollte Jethro nicht alleine lassen, aber die andere Hälfte wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden, in der Hoffnung, dass es mir vielleicht besser gehen würde – abseits von den ganzen Menschen und den Blumen, die bald ihre Pracht verlieren und verdörren würden. Alles vergänglich, selbst das Leben wie ich auf schmerzhafteste Weise erfahren hatte müssen. Nichts war für die Ewigkeit geschaffen, nichts würde ewig währen – außer meiner Liebe zu Gibbs. Diese war beständig und ich wusste, sie würde andauern, egal was in Zukunft passieren mochte, sie würde mich begleiten und mir hoffentlich den rechten Weg weisen.

Der pulvrige Schnee knirschte laut unter meinen Schuhen und die Flocken durchnässten langsam aber sicher den Saum meiner Hose. Der Wind frischte auf, zerzauste ein wenig meine Haare und erst jetzt realisierte ich so richtig, wie kalt es im Freien war. Das Wissen, mich von Jethro verabschieden zu müssen, hatte mich gegenüber der Umwelt abgestumpft, hatte mir ein Gefühl der Taubheit beschert, aber jetzt, wo alles vorbei war, traf mich die Kälte umso härter. Ich begann unwillkürlich zu zittern und steckte meine Hände tief in die Anzugsjacke, damit sie nicht erfroren. Die Fingerspitzen begannen unangenehm zu kribbeln, als sich das Blut wieder erwärmte. Meine Ohren fühlten sich eisig an, genauso wie meine Nasenspitze und in dem Bestreben, mich möglichst bald in meinen Wagen zu setzen und dort die Heizung voll aufdrehen zu können, erhöhte ich mein Schritttempo – jedenfalls redete ich mir ein, dass ich mich aufwärmen wollte, aber tief im Inneren wusste ich es besser.
Ich wollte so schnell wie möglich den Friedhof verlassen, wollte endlich, dass ich die Trauer loswurde, wollte mit Gibbs auch den Schmerz in dem Grab lassen. Aber genau das Gegenteil war der Fall – es wurde eher schlimmer als besser und am liebsten würde ich erneut den Tränen freien Lauf lassen. Aber ich wusste, dann würde ich wahrscheinlich Minute um Minute hinter dem Steuer meines Mustangs sitzen, unfähig irgendwohin zu fahren und allen anderen Menschen zeigen, dass ich nur mehr ein Schatten meiner selbst war. Es reichte bereits, dass sie vorhin mitbekommen hatten, dass ich doch nicht der starke DiNozzo war, den ich ihnen in den letzten Tagen vorgespielt hatte.
Bis jetzt hatten nur McGee, Abby, Ziva und Ducky gewusst, wie es wirklich um meinen Gemütszustand bestimmt war, aber vorher war es mir egal gewesen, was die anderen von mir halten mochten. Hingegen war es mir jetzt ein wenig peinlich und ich konnte nur hoffen, dass mich in Zukunft nicht alle mitleidig anblicken würden.

Der Schnee unter meinen Füßen verwandelte sich in nassen und matschigen Asphalt, als ich den Parkplatz betrat. Dieser war größtenteils verlassen, abgesehen von vereinzelten älteren Menschen, die sich zwischen den Wagen hindurchbewegten und Kerzen oder einen Blumenstrauß in Händen hielten. Jeder trug warme Jacken oder Mäntel, mit Mützen, die sie sich tief über die Ohren gezogen hatten, um diese vor dem beißenden Wind zu schützen. Diese Leute teilten alle das selbe Schicksal wie ich, sie hatten jemand von größter Bedeutung verloren, aber so wie sie sich bewegten, so als ob sie keine Eile hätten und sie ihr Ziel kannten, war es nicht das erste Mal, dass sie an diesem Ort waren.
Ich hatte normalerweise nichts gegen Friedhöfe, dort war es immer ruhig, niemand unterhielt sich laut oder störte die anderen Besucher. Niemand kannte den anderen, dennoch war es eine große Gemeinschaft und ab heute gehörte ich zu ihnen, obwohl ich es nicht wollte. In Zukunft würde auch ich durch den Eingang gehen, mit Blumen in der Hand und sie auf einem Grab niederlegen, in der Hoffnung, Jethro wieder ein wenig näher zu sein. Momentan hatte ich aber keine Ahnung, wann ich es übers Herz bringen würde, wieder einen Fuß auf das große Areal zu setzen, viel zu frisch war die Wunde, die die Beerdigung hinterlassen hatte.

Ich schlängelte mich durch die vielen Autos hindurch und eilte auf meinen blauen Mustang zu, der zwischen den dunklen Wagen herausstach. Ich hatte absichtlich nahe an der Straße geparkt, um so schnell wie möglich von hier verschwinden zu können, noch bevor mich jemand einholen konnte, um mir anzubieten, doch mit ins Hotel zu fahren. Essen war jedoch das Letzte, woran ich denken wollte, es war schon ein Wunder, wenn ich heute Abend etwas hinunterbekommen würde. Der Gedanken an Nahrung bereite mir aber vorübergehend Übelkeit und ließ meine Eingeweide zusammenkrampfen. Ich wollte einfach nur ein wenig herumfahren, an nichts denken, nur für mich alleine sein.
Morgen würde ich wieder in den Alltag zurückkehren und jetzt, wo ich mich endgültig von Jethro verabschiedet hatte, würde ich es vielleicht schaffen, mich an seinen Schreibtisch zu setzen, seine alten Sachen auszuräumen und sämtliche Schubladen mit meinem Kram zu füllen. Aber ich wusste, darüber nachzudenken war leichter, als es in die Tat umzusetzen und es würde mich wahrscheinlich immense Überwindung kosten, meinen alten Platz aufzugeben.

Ich holte meinen Schlüssel aus der Hosentasche und wollte bereits die Fahrertür aufsperren, als ich einen kleinen, weißen und zusammengefalteten Zettel bemerkte, der unter den Scheibenwischer geklemmt worden war, damit ihn der Wind nicht davon wehen konnte. Ich runzelte die Stirn, als mir unwillkürlich in den Sinn kam, dass mir doch tatsächlich jemand einen Strafzettel verpasst hatte, obwohl ich garantiert nicht im Parkverbot stand. Aber die Form des Papiers hatte die gleiche Größe und ich konnte mir nicht vorstellen, was es sonst sein sollte.
‚Klasse', dachte ich in einem Anflug von Zynismus, nahm die Sonnenbrille ab und steckte sie in die Brusttasche der Anzugsjacke, ehe ich mich kurz im Kreis drehte, um zu sehen, ob irgendwo ein Polizist zu sehen war, dem es anscheinend Spaß machte, an Trauergäste willkürlich Strafzettel zu verteilen. Aber niemand in Uniform war in der Nähe und ich erkannte auch, dass den Wagen neben meinem nichts unter dem Scheibenwischer geklemmt worden war. Folglich konnte es auch keine Werbung für das neueste Angebot eines Supermarktes sein. Und normalerweise waren diese Blätter bunt und nicht nüchtern weiß.
Ich blickte mich noch einmal um und bemerkte, dass meine Freunde auf mich zukamen, gefolgt von ein paar anderen Agenten, die zu ihren Autos strebten. Es würde nicht mehr lange dauern und ich würde nicht mehr alleine sein und da ich nicht wollte, dass alle mitbekamen, dass ich es geschafft hatte, einen Strafzettel zu kassieren, beugte ich mich nach vorne und riss das Stück Papier unter dem Scheibenwischer hervor – in dem Bestreben, meine Strafe nicht zu bezahlen, da ich nichts Unrechtes getan hatte.
Etwas wütend faltete ich den Zettel auf, aber innerhalb des Bruchteils einer Sekunde hatte ich das Gefühl, jemand hätte mich in eine Wanne voller Eiswasser getaucht. Mir stockte der Atem, mein Herz setzte einen Schlag aus, nur um mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen und die Hand, die das Blatt hielt, fing an zu zittern. Ich starrte schockiert auf die Wörter, starrte auf die Schrift, die mir so vertraut war, dass sie meine eigene hätte sein können. Für einen kurzen Moment schrumpfte die Welt auf die Buchstaben zusammen, die vor meinen Augen verschwammen, bevor sie sich wieder verfestigten.
Ich blinzelte ein paar Mal, da ich glaubte, ich würde träumen, dass mein Gehirn ein Bild produzierte, das nicht möglich sein konnte, dass mich die Beerdigung doch vollkommen aus der Bahn geworfen hatte. Aber nichts änderte sich, alles blieb gleich, weshalb ich mich kurz in den Arm zwickte, aber auch das nützte nichts. Mein stockender Atem hatte sich mittlerweile in ein Keuchen verwandelt und ich drehte mich erneut im Kreis, suchte nach der Person, die diese Nachricht verfasst hatte, aber ich wusste, dass das nicht möglich war. Das Ganze musste ein Scherz sein – ein grausamer Scherz, den sich jemand mit mir erlaubte.
Ich senkte meinen Kopf und blickte erneut auf den Zettel, mein Herz ein einziger schmerzhafter Klumpen, als ich zu realisieren versuchte, dass es irgendwen gab, der mir anscheinend unbedingt weh tun wollte. Südliches Ende vom East Potomac Park, 22 Uhr – ich warte beim Spielplatz auf dich.
Keine Unterschrift, keine Initialen, die darauf hindeuteten, wer die einzelne Zeile verfasst hatte, wer es wagte, mit mir ein derart falsches Spiel zu spielen. Die Schrift würde ich unter Tausenden wiedererkennen – gehörte sie immerhin Jethro, jeder Buchstabe hatte die Form, die mir so vertraut war und die einfach nur zu Gibbs gehörte.

Unwillkürlich stiegen mir Tränen in die Augen – Tränen der Wut, dass es jemand wagte, auf meinen angeschlagenen Gefühlen herumzutrampeln. Wer hatte es nur geschafft, die Schrift meines Freundes derart gut nachzumachen? War es jemand vom NCIS? Oder war es möglich, dass es sein Mörder war? Könnte das Ganze eine Falle sein, in die ich tappen würde, wenn ich zum Park fahren würde? War vielleicht wirklich jemand hinter dem ganzen Team her? Wollte jemand uns einen nach dem anderen tot sehen?
Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass etwas anderes dahintersteckte, dass es einen anderen Grund geben musste, weshalb ich diese Nachricht erhalten hatte. Warum jedoch in der Schrift von Gibbs? Wieso hatte sich jemand die Mühe gemacht, diese zu kopieren? Hätte es nicht ausgereicht, mir die Nachricht so zu hinterlassen? Oder wollte der Unbekannte sichergehen, dass ich auch wirklich zu dem Park fahren würde, damit ich erfuhr, wer für diesen üblen Scherz verantwortlich war?
Und genau dieses Ziel hatte er erreicht. Das würde ich nicht so einfach auf mir beruhen lassen. In diesem Moment war es mir sogar egal, wenn es wirklich eine Falle sein sollte. Ich ballte meine Hand zur Faust, zerknüllte das Papier und hätte es am liebsten von mir geschleudert.

„Alles in Ordnung, Tony?" hörte ich Ziva hinter mir und als ich mich umdrehte, erblickte ich meine Freunde, die allesamt einen Halbkreis um mich gebildet hatten. McGee hatte einen Arm um Abby gelegt, auf deren Wangen noch immer Tränenspuren zu erkennen waren und sie hielt weiterhin das schwarze Taschentuch in ihrer Hand. Duckys Fliege hatte einen beängstigenden Winkel angenommen und war schiefer denn je. Alle sahen sie mich besorgt an und ich konnte nur hoffen, dass sie nichts von der Nachricht mitbekommen hatten.
Diese ließ ich ganz schnell in meiner Hosentasche verschwinden und holte den Schlüssel wieder hervor, den ich vorher eingesteckt hatte, bevor ich den Zettel unter dem Scheibenwischer hervorgeholt hatte. „Alles bestens", antwortete ich schließlich, aber meine Stimme strafte die Worten Lügen. Sie hatte einen unüberhörbar heiseren Ton und ich musste aufpassen, dass ich nicht auf etwas einschlug. „Das heißt, eigentlich ist gar nichts in Ordnung", korrigierte ich mich schnell und schaffte es erst nach dem dritten Anlauf, meinen Mustang endlich aufzuschließen.
Ich wusste, es wäre vielleicht besser, ihnen von der Nachricht zu erzählen, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich die Angelegenheit alleine regeln sollte. Außerdem würden sie mir vielleicht auszureden versuchen, zum East Potomac Park zu fahren.
„Soll dich jemand nach Hause begleiten?" fragte Abby und wischte sich die Tränen von ihren Wangen. Ihre Stimme hatte ihre sonstige Lebhaftigkeit verloren und obwohl sie von Tim gehalten wurde, kam sie mir irgendwie verloren vor – wie ein kleines Mädchen, das nicht wusste, wo es hin musste. „Du solltest jetzt nicht alleine sein", fügte sie hinzu und putzte sich die Nase. „Ich weiß", erwiderte ich, öffnete die Tür, drehte mich aber um, anstatt mich hinter das Lenkrad zu setzen. „Aber ich muss einfach für mich alleine sein. Ein wenig nachdenken. Trotzdem danke für das Angebot." „Falls du etwas brauchst, du kannst uns jederzeit anrufen", sagte Ducky und legte mir erneut beruhigend eine Hand auf meinen Unterarm. Seine gütigen Augen blickten mich an, so als ob er wissen würde, dass ich ihnen etwas verschwieg, aber er machte keine Anstalten, nachzubohren oder mich wie eine Zitrone auszuquetschen.
Anstatt noch etwas zu erwidern, nickte ich und setzte mich in meinen Wagen, sodass Duckys Hand von meinem Arm rutschte. „Bis morgen", verabschiedete ich mich und schloss die Tür. Ich wusste, ich könnte ihnen anbieten, den Freitag sowie das restliche Wochenende frei zu nehmen, aber ich würde wahrscheinlich nur auf taube Ohren stoßen. Genauso wie ich würden alle anderen nicht Frieden finden, ehe wir Jethros Mörder gefunden hatten. Ich war dankbar, dass im Moment jeder hinter mir stand und meine Entscheidungen nicht hinterfragte.

Ich startete den Motor und prompt strömte wunderbar warme Luft aus dem Gebläse. In den letzten Minuten hatte ich die Kälte erneut nicht bemerkt, dafür hatte mich die Nachricht viel zu unvorbereitet getroffen. Wer rechnete schon damit, einen Zettel zu finden, auf dem Worte in der Schrift meines toten Freundes standen? Das kam mir alles so unwirklich vor, so als ob nicht ich es wäre, der dies erlebte. Aber wer auch immer dieser Scherzbold war, er würde bald nichts mehr zu lachen haben – er würde noch herausfinden, was es bedeutete, sich auf meine und Jethros Kosten zu amüsieren.
Bevor ich vom Parkplatz fuhr, blickte ich noch ein letztes Mal zum Friedhof, durch dessen Ausgang jetzt immer mehr Agenten strömten, unter ihnen Direktor Shepard, die sich mit einem älteren Mann unterhielt. Die meisten würden wahrscheinlich noch in das Hotel fahren, um sich ein kostenloses Essen nicht entgehen zu lassen.
Ich legte den ersten Gang ein, suchte mir einen Radiosender, der rockige Musik spielte, in der Hoffnung, mich damit ein wenig ablenken zu können und fuhr auf die Straße – ließ meine Freunde und vor allem Gibbs hinter mir. Jetzt zählte nur noch herauszufinden, wer mich im East Potomac Park treffen wollte, wer es gewagt hatte, mir eine Nachricht in Jethros Schrift zu hinterlassen.

Es war zehn Minuten vor 22 Uhr, als ich etwa einen Block vom südlichen Eingang des Parks entfernt meinen Wegen parkte, den Motor abstellte und auf das Lenkrad starrte, das ich fest mit meinen Fingern umklammerte. Es war dunkel, die Straßenlaternen spendeten nur wenig Licht und der Mond wurde durch eine Schicht dicker Wolken verdeckt, die im Laufe des Abends aufgezogen waren. Vor etwa einer viertel Stunde hatte es leicht zu schneien begonnen, die Flocken waren dick, aber nicht genug, um als weiße Decke auf den Straßen liegen zu bleiben. Der Wind war stärker geworden und wehte lose Zeitungsseiten vor sich hin.
Um diese Uhrzeit gab es keine Menschen, die sich in dieser Gegend aufhielten, selbst Obdachlose hatten sich wegen dem eisigen Wetter eine Unterkunft gesucht, und sei es unter einer Brücke, um dort in einer Tonne irgendwelche Sachen zu verbrennen, um sich ein wenig warm zu halten. Untertags wimmelte es hier nur so von Leuten, aber jetzt war alles verlassen, die Einsamkeit drückte mir ein wenig aufs Gemüt.
Der Park erstreckte sich neben mir, die Bäume waren dunkle Schatten, dessen blätterlose Äste sich im Wind wiegten. Es war beinahe unheimlich und wenn es nach mir ging, würde ich jetzt viel lieber noch bei Jethros Boot im Keller sein als in dieser Umgebung. Aber ich musste herausfinden, wer mir diese Nachricht hinterlassen hatte und wenn ich deswegen alleine in einen Park gehen musste, wo in den nächtlichen Stunden die Chancen, überfallen zu werden gut standen, dann sollte mir das Recht sein. Ich hatte meine Waffe dabei und falls es wirklich brenzlig werden würde, konnte ich immer noch per Handy Verstärkung anfordern.

Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke nach oben, überprüfte, ob die Pistole griffbereit war und öffnete schließlich die Tür meines Wagens. Eine Schwall kalte Luft kam mir entgegen, gepaart mit Schneeflocken, die mir ins Gesicht wehten. Um mich warm zu halten, hatte ich meinen Anzug gegen ein T-Shirt, einen Kapuzensweater und eine Jeans ausgetauscht, die ich in Gibbs' Kleiderschrank aufbewahrt hatte.
Nach der Beerdigung war ich ein wenig herumgefahren, war dann aber schließlich bei Jethros Haus gelandet, wo ich mich nicht so einsam gefühlt hatte, obwohl ich vollkommen alleine gewesen war. Die meiste Zeit hatte ich unter seinem Boot gesessen und in die Luft gestarrt, hatte beobachtet, wie die Sonne langsam untergegangen war und das Licht mit sich genommen hatte. Irgendwann war der Keller in Dunkelheit getaucht gewesen, aber ich hatte mich nicht gerührt, hatte hin und her überlegt, wer der Verfasser der mysteriösen Nachricht sein könnte.
Als die Uhr auf meinem Handy schließlich kurz nach 21 Uhr gezeigt hatte, war ich aufgestanden, nach oben gegangen und hatte mir eine Tasse Kaffee gemacht, um mich vorzuwärmen und um mich munter zu halten. Die Straßen waren beinahe leer gewesen, als ich Richtung Stadt und Park gefahren war, nur ein paar Nachtschwärmer waren unterwegs gewesen. Die meisten hatten sich vor dem Wetter in ihre Häuser und Wohnungen zurückgezogen und obwohl ich jetzt seit gut vier Minuten in meinem Wagen saß, hatte sich noch immer niemand blicken lassen.

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, stieg ich aus und sperrte den Mustang sorgfältig ab, um nicht zu riskieren, später einen leeren Parkplatz vorzufinden. Die Schneeflocken wurden ein wenig dichter, als ich die Straße überquerte und auf der anderen Seite auf den Südeingang zustrebte. Ich wusste genau, welcher Spielplatz gemeint war, immerhin gab es hier nur einen einzigen. Im Herbst letzten Jahres hatten wir in diesem Abschnitt des Parks einen Tatort untersucht, nachdem der Hund eines Joggers in den frühen Morgenstunden hinter einem Busch die Leiche eines Petty Officers gefunden hatte. Wie sich später herausgestellt hatte, hatte dieser sich selbst das Leben genommen, indem er sich eine Überdosis Drogen gespritzt hatte. Seit diesem Fall war ich nicht mehr hier gewesen, aber an den Spielplatz konnte ich mich noch hervorragend erinnern, vor allem an die Mütter, die sich aufgeregt hatten, weil dieser zu dem abgesperrten Tatort gehörte und ihn somit die Kinder nicht benutzen hatten können.

Der Eingang des Parks kam in Sicht und ich blieb kurz stehen, blickte den breiten Weg entlang, der in regelmäßigen Abständen von Laternen erhellt wurde. Bänke standen am Rand der Wiesen und wirkten wie gespenstische Schatten. Nichts rührte sich, abgesehen von den Ästen, die durch den Wind bewegt wurden - von hier aus konnte ich den Spielplatz nicht erkennen.
Mein Herz begann unwillkürlich schneller zu schlagen, als ich mich in Bewegung setzte und vom Gehsteig auf den Weg trat. Kiesel, der gestreut worden war, um zu verhindern, dass Fußgänger ausrutschten, knirschte unter meinen Schuhen und es war das einzige Geräusch weit und breit. Meine Schritte kamen mir überlaut vor und gepaart mit dem Rauschen des Blutes in meinen Ohren hatte ich beinahe die Befürchtung, etwas zu überhören. Mein Atem verließ als weiße Wolke meinen Mund und vermischte sich mit den Schneeflocken, die zu Boden rieselten und langsam liegen blieben.
Je weiter ich in den Park vordrang, desto unwohler fühlte ich mich. Auf meinen Armen bildete sich eine Gänsehaut und ich war mir sicher, dass das nicht von der Kälte herrührte. Der Spielplatz kam langsam in Sicht und wurde nur spärlich von den Lampen erhellt, die sich lediglich am Wegrand befanden. Die Geräte, auf denen die Kinder tagsüber herumtollten, waren schemenhafte Schatten, die Schaukeln bewegten sich leicht im Wind und knarzten leise.
Es war noch immer viel zu ruhig und nichts deutete darauf hin, dass sich hier jemand aufhielt. Etwas außerhalb des Lichtkegels der nächsten Lampe blieb ich stehen und blickte mich um, versuchte die Silhouette einer Gestalt auszumachen, aber das einzige was ich sah, waren der verlassene Spielplatz und die Bäume um mich herum.
Konnte es sein, dass es sich doch um einen lausigen Scherz handelte? Konnte es ein, dass sich jemand einen Spaß daraus gemacht hatte, mich von meinem warmen Zuhause wegzulocken? Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte auf die Nachricht einfach nicht reagiert. Ich drehte mich im Kreis, aber innerhalb einer Sekunde stellten sich sämtliche Härchen in meinem Nacken auf und ich wirbelte blitzschnell herum, als mich das Gefühl, beobachtet zu werden, überrollte.
Meine Hand bewegte sich zur Waffe an meiner Hüfte, als sich eine Gestalt aus den Schatten der Bäume rechts vor mir löste. Aber ich hielt mitten in der Bewegung inne, als die Person in den Lichtkreis der Laterne trat – und in diesem Moment glaubte ich, die Welt würde aus ihren Fugen geraten. Ich vergaß zu atmen, vergaß, wie man sich bewegte, die Umgebung fing an, sich um mich zu drehen. Der Boden schwankte unter meinen Füßen und ich taumelte einen Schritt zurück, weg von der Erscheinung, die nicht echt sein konnte.
Ungläubig riss ich meine Augen auf, mein Herz schlug so schnell, dass ich die Befürchtung hatte, es würde aus meiner Brust springen, meine Hände fingen unkontrolliert zu zittern an und ich stieß meinen angehaltenen Atem keuchend aus. Für einen kurzen Moment glaubte ich, verrückt zu werden, den Verstand zu verlieren, aber ich konnte noch so viel blinzeln, das Bild vor mir änderte sich nicht.
Schneeflocken segelten zu Boden, wurden vom Wind hin und her geweht, dennoch erkannte ich denjenigen, der im Lichtkegel der Lampe stand, deutlich, erkannte jeden Zentimeter seines Körpers, seines Gesichtes, erkannte die funkelnden blauen Augen, die mir ruhig entgegenblickten. Der Wind zerrte leicht an seinem schwarzen Mantel – denselben Mantel, den ich noch am Samstagabend gesehen hatte – und zerzauste seine silbergrauen Haare.
Ich schüttelte meinen Kopf, versuchte das Bild, das mein Gehirn offenbar produziert hatte, zu vertreiben, aber es änderte sich nichts, alles blieb gleich und ich war nur mehr fähig, auf den Mann vor mir zu starren, auf das vertraute Gesicht, auf den vertrauten Körper. Und schließlich kam ein einzelnes Wort über meine Lippen, mit einer Stimme, die so heiser war, so als ob ich sie seit Jahren nicht mehr benutzt hätte. „Jethro?"

Fortsetzung folgt...
Chapter 29 by Michi
Der Name verließ mit einer weißen Atemwolke meinen Mund, schwebte für kurze Zeit in der Luft und löste sich schließlich im Nichts auf. Aber im Gegensatz zu dem Wort verschwand Gibbs nicht, wovon ich eigentlich ausgegangen war. Seine Gestalt war nicht verschwommen – so wie es bei Geistern in Filmen der Fall war – sondern war fest und schien nicht aus nebligem Rauch zu bestehen, der vom Wind fortgeweht wurde. Das einzige, was sich an ihm bewegte, waren weiterhin der Mantel und die Haare, einzelne Strähnen fielen in seine Stirn, aber er bemerkte es nicht. Stattdessen stand er vor mir, rührte sich nicht vom Fleck und seine blauen Augen funkelten mich an, so als ob sich eine lebende Person vor mir befinden würde.
Ich schüttelte erneut ungläubig meinen Kopf, konnte nicht verarbeiten, was hier anscheinend passierte. Wie konnte das nur sein? Wie konnte Jethro auf einmal vor mir stehen und so lebendig aussehen? Ich hatte ihn doch erst vor wenigen Stunden begraben, hatte mich von ihm für immer verabschiedet? Spielte mir mein Bewusstsein einen Streich? Stand etwa jemand ganz anderes vor mir, aber ich konnte nur meinen Freund in ihm erkennen? Wurde ich jetzt komplett verrückt?
„Das ist nicht möglich", flüsterte ich und meine Stimme war nur ein Hauch, leiser als der Wind, der durch den Park heulte und die Flocken herumwirbeln ließ. „Das ist nicht echt. Ich träume, nur ein Traum." Ich wiederholte die Worte immer wieder, aber sie halfen nicht, nichts veränderte sich. Gibbs war immer noch vor mir, wurde von der Laterne angestrahlt, verlieh seinen Haaren einen leichten Schimmer. Alles war so vertraut, seine Größe, die Form seines Körpers unter dem Mantel, seine Lippen, seine Augen – Gott, seine Augen, in ihnen lag der liebevolle Ausdruck, mit dem er mich ständig bedachte.
Ich wollte zurückweichen, wollte von hier weg, aber ich konnte mich nicht bewegen. Irgendetwas Unsichtbares hielt mich an Ort und Stelle, zwang mich, mich diesem Wahnsinn auszusetzen. Und dann kam mir die Nachricht in den Sinn – die eine Zeile, die in Gibbs' Handschrift verfasst worden war. Das Stück Papier war echt gewesen, genauso wie die Buchstaben, genauso wie dieser Park echt war, genauso wie ich den eisigen Wind auf meiner Haut fühlen konnte… war es möglich, dass Jethro auch echt war? Aber wie…?
Seine DNA wurde in Norfolk doch eindeutig zugeordnet, der Pathologe dort hatte ihn obduziert, Ducky hatte seine Überreste gesehen und es hatte nie ein Zweifel bestanden, dass etwas nicht stimmte – außer an der Aussage von Kyle Zeke. Aber nichts von dem erklärte, warum mein Freund vor mir stand und so aussah, als ob er am Leben sei.
An diesem Tag hatten wir doch seine Beerdigung vollzogen, hatten ihn unter jeder Menge Erde begraben, seinen Körper für immer in einen Sarg eingeschlossen. Ich hatte ihm lebewohl gesagt, hatte ihm eine rote Rose mitgegeben, in der Hoffnung, der Geruch würde ihn begleiten. Der Schmerz war in diesem Moment grenzenlos gewesen und jetzt schien er noch einmal zurückzukommen – mit doppelter Wucht.
Das Zittern, das mich vorhin ergriffen hatte, wurde stärker und das Atmen war eine schiere Qual. Ich hatte das Gefühl, irgendetwas würde mir schwer auf die Brust drücken, mich langsam aber sicher ersticken. Meine Knie wurden weich wie Butter und es war nur mehr eine Frage der Zeit, bis sie unter mir nachgeben würden. Wieso tat man mir das nur an? Wieso musste ich derjenige sein, der derart leiden, der diesen Schmerz ertragen musste? Wieso konnte ich nicht einfach in Ruhe trauern?

Jethro bewegte sich schließlich, trat einen Schritt vor, hielt aber sofort inne, als ich zurücktaumelte und abwehrend die Hände hob. „Nein!" schrie ich mit überraschend kräftiger Stimme. „Du bist nicht echt! Du bist doch tot!" Die Worte hallten laut in der sonst so stillen Luft des Parks wider. Ein schmerzhafter Ausdruck erschien in seinen blauen Augen, die ich so sehr liebte. Gibbs wurde jetzt nicht mehr direkt von der Laterne angestrahlt und jetzt registrierte ich zum ersten Mal so richtig die Atemwölkchen, die seinen Mund in regelmäßigen Abständen verließen. Seine Brust hob und senkte sich – er atmete, Jethro atmete eindeutig! Und ein Geist oder eine Einbildung würde das nicht tun, würde keine Luft zum Leben brauchen. Aber das würde ja bedeuten, dass er…
Die Wahrheit traf mich mit einer so unglaublichen Wucht, dass sich die Umgebung so stark zu drehen anfing, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Meine Knie gaben unter mir nach, aber ich spürte nicht einmal den Schmerz, als ich mit diesen auf dem harten Boden landete. Ich stützte meinen Oberkörper mit meinen Händen ab und die kleinen Kieselsteine bohrten sich unangenehm in meine Haut, aber selbst das bekam ich nicht wirklich mit. Ich ließ meinen Kopf hängen, zwang mich ruhig zu atmen und meinen Kreislauf wieder in Ordnung zu bringen.
Tränen traten mir in die Augen und ein Schluchzer löste sich aus meinen Mund, der leise in der Stille verhallte. Der Boden unter mir wurde verschwommen, als sich immer mehr Tränen bildeten und auf meine Wangen tropften. „Nein", flüsterte ich immer wieder, aber meine Worte konnten die Schritte, die auf mich zukamen, nicht übertönen – Schritte, die ein weiterer Beweis dafür waren, dass Gibbs echt war, dass es kein Geist war, kein Streich, den mir mein Gehirn spielte.

„Tony." Er sprach meinen Namen mit einer derartigen Sanftheit aus, dass ich nicht anders konnte, als den Kopf zu heben. Seine Stimme war so vertraut - der weiche Ton darin, wie eine Liebkosung strich das eine Wort über meine Haut, sendete einen intensiven Schauer über meinen Rücken. Er kniete sich vor mich hin, sodass wir auf gleicher Höhe waren. Jethros Gesichtsausdruck war so zärtlich, sein Blick voller Liebe und ich konnte nichts anderes tun, als erneut zu schluchzen und ungläubig den Kopf zu schütteln.
„Du bist doch tot", brachte ich hervor und blickte in seine blauen Augen. „Ich habe dich doch be… begraben. Ich habe…" Ich zuckte zusammen, als er mir seine rechte Hand sanft auf meine linke Wange legte und meine Haut damit wärmte. Die Berührung war unbeschreiblich intim und ich konnte die Schwielen fühlen, die sich im Laufe der Jahre gebildet hatten, da er ständig an einem Boot gebaut hatte. Sachte entfernte er die Tränen mit seinem Daumen, liebkoste meine Wange, so wie er es in den vergangenen sieben Monaten gerne getan hatte.
„Tony", wiederholte er ein weiteres Mal, seine Stimme - nur ein Flüstern - war jedoch fest genug, um den Wind zu übertönen. „Es ist in Ordnung, Tony. Ich bin hier." Seine Hand war trotz des kalten Wetters herrlich warm, er strich damit immer wieder über meine Haut, entfernte die Tränen, die nicht aufhören wollten zu fließen. Die gesamte Situation war weiterhin so unwirklich, ich konnte nicht glauben, dass Gibbs hier bei mir war, vor mir kniete und versuchte, mich zu beruhigen. Es bestand kein Zweifel daran, dass er echt war, dafür fühlte sich seine Berührung viel zu fest an, dafür war seine Hand viel zu warm, dafür war das Funkeln in seinen Augen viel zu lebendig. Sein Atem strich über mein Gesicht und ich umschloss unwillkürlich seine Finger, die weiterhin an meiner Wange ruhten, mit den meinen.
„Aber, wie…? Ich dachte, du bist… Du lebst", brachte ich schließlich die Worte heraus, ließ es endlich zu, dass alles zur Wirklichkeit wurde, schüttelte damit das restliche Bedenken, dass es sich vielleicht doch nur um einen Streich meines Gehirns handelte, von mir ab.
„Oh Gott, du lebst!" schrie ich und fiel ihm buchstäblich um den Hals. Ich umarmte ihn so fest ich konnte, presste seinen herrlich vertrauten Körper an meinen, spürte das Spiel seiner Muskeln durch den Mantel. Ich ließ meinen Kopf auf seine Schulter fallen, vergrub meine Nase in den Kragen seines Poloshirts und atmete tief ein – obwohl er seit Tagen nicht an seinem Boot gebaut hatte, haftete ihm weiterhin der Geruch nach Sägespänen an, so als ob dieser für immer tief in seine Haut eingegraben wäre.
Jethro strich mir sanft durch meine Haare, presste mich noch näher an sich und ließ es zu, dass ich mich an seiner Schulter ausheulte – aber es waren keine Tränen des Schmerzes, sondern des Glücks. Unbändige Freude vertrieb innerhalb weniger Sekunden die anfängliche Ungläubigkeit und je länger er mich im Arm hielt, desto mehr wurde mir bewusst, dass er sich nicht in Luft auflösen würde, dass er nicht mit einem leisen Pop verschwinden würde. Er lebte! Gibbs lebte! Immer wieder wiederholte ich diese Worte in meinem Kopf und in meiner grenzenlosen Freude begann ich, seinen Hals mit kleinen Küssen zu bedecken. Ich musste ihn einfach fühlen, musste wieder erleben, wie es war, meine Lippen auf seine Haut zu drücken, musste seinen ureigenen Geschmack kosten.
Seine Gegenwart überflutete meine gesamten Sinne und ich krallte mich an ihn wie an einen Rettungsanker. Der ganze Schmerz der letzten Tage war auf einmal vergessen, für den Moment zählte nur noch, dass Jethro hier bei mir war, dass er mich fest in seinen Armen hielt und mir immer wieder zuflüsterte, das alles gut werden würde. Er legte seine Wange seitlich an meine Schläfe und sog seinerseits tief die Luft in seine Lungen, roch an meinen Haaren, deren Kokosduft er immer geliebt hatte.

Ich war in diesen Park gekommen, um herauszufinden, wer sich den Scherz mit der Nachricht erlaubt hatte, aber auf die Idee, dass sie von Gibbs selbst stammen könnte, wäre ich nie gekommen. Wie auch? Er war für tot erklärt worden, die Beerdigung war der Beweis dafür und ich hatte mich von ihm verabschiedet. Wie hätte ich nur damit rechnen können, dass er derjenige war, der mich sehen wollte, der mich in den Park gelotst hatte? Als er so unvermittelt unter der Laterne aufgetaucht war, hatte ich wahrscheinlich den Schock meines Lebens bekommen, aber jetzt hatte sich dieser in reinste Freude verwandelt. Wie hatte ich nur daran zweifeln können, dass es nicht Jethro war, der unter der Lampe stand?
Ich drückte meine Stirn an seinen Hals und schloss die Augen, ließ seine Körperwärme auf mich wirken. Jetzt, wo der erste Schrecken abgeklungen war und ich aufgehört hatte zu weinen, registrierte ich wieder den Wind, die Schneeflocken, die kontinuierlich vom Himmel herabsegelten, die Kälte des Bodens und die Kieselsteine, die sich unangenehm in meine Knie bohrten, aber das alles war unwichtig.
„Du musst aufstehen, Tony", sagte Jethro leise in mein Ohr – so als ob er meine Gedanken lesen konnte - und drückte mir gleich darauf einen sanften Kuss auf die Stelle darunter. Es war eine der Stellen, die er so gerne liebkoste und die mich jedes Mal beinahe wie eine Katze schnurren ließ, aber diesmal seufzte ich nur glücklich und schmiegte mich an ihn. Seine Lippen waren so herrlich weich, die Berührung so sanft, dass ich unwillkürlich erschauderte und meine Stirn noch fester gegen seinen Hals presste. „Komm schon, du wirst dich noch erkälten."
Seine Worte ergaben durchaus Sinn, aber ich wollte mich nicht rühren, wollte ihn nicht loslassen und somit unsere Berührungen unterbrechen. Was kümmerte es mich, wenn ich mir eine ernsthafte Erkältung oder eine Grippe einfing? Es war bedeutungslos, jetzt, wo ich Gibbs wieder zurückhatte und er mich gesund pflegen konnte, wenn ich mit Fieber im Bett liegen sollte. Er würde mir wahrscheinlich das Essen servieren, mit Argusaugen an meiner Seite wachen und aufpassen, dass ich auch meinen Tee trank oder die Medizin schluckte, die mir Ducky verschreiben würde. Selbst die grausigsten Tabletten oder Hustensäfte würde ich ertragen, nur damit ich noch ein wenig länger hier sitzen konnte, Jethros Arme fest um meinen Körper geschlungen.
Allerdings schien dieser nicht sonderlich davon begeistert zu sein, wenn ich krank wurde, weshalb er sich trotz meines gemurmelten Protestes erhob und mich somit mit auf die Füße zerrte. Meine Beine fühlten sich weiterhin an, als wären sie aus Butter, aber ich konnte immerhin stehen, ohne gleich wieder einzuknicken. Außerdem hielt ich Gibbs weiterhin fest, meine Hände verließen keine Sekunde lang seinen Körper, aber als wir aufrecht standen, lehnte er sich ein wenig zurück, sodass er mich ansehen konnte. Ich ließ meine Arme nach unten rutschen, legte sie um seine Taille und lächelte ihn freudig an.
Seine Augen glitzerten in dem Schein der Laterne, die sich in unserer Nähe befand, sein Gesicht spiegelte das Glück, das ich selbst empfand wider und sein Blick war so liebevoll, dass ich das Gefühl hatte, ich würde auf der Stelle dahinschmelzen. Jethro hob seine Hände und wischte mir damit die Tränenspuren von den Wangen, ehe er mir einen sanften Kuss auf meine Nasenspitze gab, der mich noch breiter lächeln ließ.
„Ich habe dich so sehr vermisst", flüsterte er und strich durch meine Haare, spielte mit den Strähnen, ließ sie wie Seide durch seine Finger gleiten. Seine Worte hätten eigentlich ein warmes Gefühl hinterlassen sollen, aber irgendwie war das genaue Gegenteil der Fall. Sie rissen mich gegen meinen Willen in die Realität zurück und auf einmal überfluteten mich Fragen über Fragen, deren Antworten ich nicht wirklich hören wollte. Ich spürte, wie mein Lächeln verschwand und sich Angst in mir ausbreitete, meine Eingeweide zu einem harten Knoten werden ließ.
Das Gewicht, welches mir vorhin auf die Brust gedrückt hatte, kam zurück und Gibbs merkte sofort, das etwas nicht stimmte. Das Funkeln in seinen Augen wurde intensiver und er runzelte die Stirn, suchte direkten Blickkontakt mit mir. „Wie… wie kommt es, dass du doch lebst?" fragte ich so leise, dass ich meine Stimme beinahe selbst nicht hören konnte. Der Knoten, der einst meine Eingeweide gewesen waren, wurde noch härter und in meinem Hals bildete sich ein großer Kloß. „Ich habe Bilder von deinem ausgebrannten Wagen gesehen, Jethro. Ducky hat den Autopsiebericht gelesen, in Norfolk haben sie eindeutig deine DNA zugeordnet. Und dann die Beerdigung, also weshalb…?" Ich brach ab, als mir die Wahrheit dämmerte, bevor Gibbs dazu kam, eine meiner Fragen zu beantworten.
Der Park begann sich erneut um mich zu drehen und ich hatte das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können. Meine Hände rutschten von seiner Hüfte und ich trat unwillkürlich einen Schritt zurück, sodass unsere Berührung unterbrochen wurde. Uns trennte nur etwa ein halber Meter, dennoch glaubte ich, es wären Welten.
„Sag, dass das nicht wahr ist", brachte ich schließlich hervor und blickte Jethro flehentlich an. „Sag, dass das ein Scherz ist, dass du deinen Tod nicht vorgetäuscht hast." Aber der Ausdruck in seinen blauen Augen war Antwort genug. Sein Gesichtsausdruck wurde unbeschreiblich ernst, die ganze Freude verschwand aus seinem Blick und wenn ich mich nicht täuschte, konnte ich auf einmal Angst in ihm erkennen.

„Am Samstagabend, als Jen zu mir gekommen ist und gemeint hat, es gäbe eine Videokonferenz… sie hat mich stattdessen in ihr Büro gebracht", begann er und seine Stimme war ruhig, allerdings kannte ich ihn mittlerweile genug, um zu wissen, dass er Mühe hatte, mit dieser Nüchternheit zu sprechen, keine Emotionen zuzulassen. „Sie hat mir von einer Verbrecherorganisation erzählt, die vor ein paar Tagen gedroht hat, bald ein Gebäude in die Luft zu sprengen, mit möglichst vielen Opfern, wenn nicht 50 Millionen Dollar gezahlt werden. Es hat sich herausgestellt, dass sämtliche Mitglieder dieser Organisation offiziell für tot erklärt worden sind. Deshalb…"
Ich stand da und starrte auf den Mann, der mir auf einmal so fremd vorkam. Jethro hatte mich die ganze Zeit angesehen, aber ich war es, der unseren Blickkontakt unterbrach, als ich einen weiteren Schritt zurücktrat. Ich fühlte mich, als ob mich jemand in Wanne voll Eiswasser getaucht hätte. Mein gesamter Körper wurde taub und meine Knie begannen erneut, unter mir nachzugeben.
„Soll das heißen, Direktor Shepard hat dich auf eine Undercovermission geschickt, obwohl sie gewusst hat, dass du dafür deinen Tod vortäuschen musst? Sie hat die ganze Zeit gewusst, dass du lebst?" Panik stieg in mir auf und ich versuchte, alles zu begreifen. Was ging hier nur vor sich? War das eine großangelegte Verschwörung oder etwas in der Art? Machte es der Direktorin Spaß, mich und die anderen zu quälen?
Gibbs blickte zu Boden und seine gesamte Haltung versteifte sich. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und ich wusste auf einmal, dass das noch nicht alles war, das noch etwas kommen würde, was viel schlimmer sein würde. Mein Herz raste wie verrückt und ich versuchte verzweifelt, meinen Atem unter Kontrolle zu halten.
„Es war meine Entscheidung, Tony", flüsterte Gibbs und seine Stimme war ungewohnt schwach, ich hatte beinahe den Eindruck, dass es ihm seelisch wehtat, hier zu stehen und mir die Wahrheit zu sagen. Aber in diesem Moment war es mir egal, wie er sich fühlte, als ich die Bedeutung seiner Aussage realisierte. Seine Worte trafen mich mitten in mein Herz und ich dachte, es würde in tausend Scherben zerspringen. Mir wurde buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen und die ganze Wiedersehensfreude verwandelte sich in schiere Wut – verdrängte die Angst in meinem Inneren und ich sah buchstäblich rot. Ich ballte meine Hände so fest zu Fäusten, dass sich meine Nägel in die Haut gruben und es hätte nicht viel gefehlt, dass ich zu bluten angefangen hätte.
„Was?!" schrie ich, unfähig, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Jethro hob seinen Kopf und blickte mich traurig und… ja, entschuldigend an – es war genau das, was es nur noch schlimmer machte. „Jen hat mir die Wahl gelassen. Ich… ich habe den Auftrag freiwillig angenommen." Hätte er mir einen Faustschlag mit der Durchschlagskraft einer Bombe versetzt, wäre die Wirkung bei weitem nicht so verheerend gewesen. Ich kam mir verraten vor, der Schmerz, den ich empfunden hatte, als ich erfahren hatte, dass Gibbs angeblich tot war, war nichts im Vergleich zu dem, der mich in diesem Moment überrollte. Ich wollte von ihm weg, wollte von dem Mann weg, der mir wissentlich das alles angetan hatte, aber ich konnte mich nicht rühren. Erneut brannten Tränen in meinen Augen und ich hasste mich dafür, hasste mich dafür, dass ich so schwach war – und das stachelte meine Wut zusätzlich an.

„ICH FASS ES NICHT!!!" schrie ich so laut, dass sich meine Stimme beinahe überschlug und in dem Park widerhallte. Jethro zuckte zusammen und der traurige Ausdruck wurde intensiver, sein Gesicht kam mir so weiß wie der Schnee vor und ich sah Schmerz in seinen Augen, aber das war mir egal. Ich wollte ihm wehtun – wollte ihm so wehtun, wie er es bei mir getan hatte.
„WEIßT DU EIGENTLICH, WAS DU MIR DAMIT ANGETAN HAST?! WAS DU UNS ALLEN DAMIT ANGETAN HAST?! ICH DACHTE, ICH HÄTTE DICH FÜR IMMER VERLOREN! HAST DU EINE AHNUNG, WAS ICH DURCHGEMACHT HABE?! VERDAMMT, ICH HABE MICH FÜR IMMER VON DIR VERABSCHIEDT, HABE GEGLAUBT, ICH MUSS VON NUN AN WIEDER ALLEINE LEBEN, IN EIN LEERES HAUS ZURÜCKKEHREN! ICH HABE GEDACHT, ICH HÄTTE DICH HEUTE BEGRABEN! ABER NEIN, DANN STELLT SICH HERAUS, DASS DAS NUR FÜR EINEN BLÖDEN UNDERCOVEREINSATZ WAR!!! FÜR EINEN UNDERCOVEREINSATZ!!!" Ich betonte jede Silbe einzeln, bis meine Stimme brach und ich den Schluchzer nicht mehr unterdrücken konnte. Ohne dass ich gemerkt hatte, strömten erneut Tränen über meine Wangen.
Jethro stand vor mir und ließ alles über sich ergehen, ließ es zu, dass ich ihn anschrie, wie ich vorher noch nie jemanden angeschrien hatte. Aber ich fühlte mich dadurch nicht besser, ich hatte eher das Gefühl, die Wut würde mich von innen heraus zerfressen. Er trat einen Schritt vor, hielt aber inne, als ich vor ihm zurückwich. „BLEIB WO DU BIST!!!" Meine Stimme war mittlerweile heiser und mein Hals fühlte sich wund an, aber das hielt mich nicht davon ab, ihm zu sagen, was ich von seinem hinterhältigen Spiel hielt.
„Tony, lass es mich bitte erklären", begann er vorsichtig, aber ich schüttelte den Kopf – ich bekam nicht einmal mit, dass er bitte gesagt hatte, etwas, das höchstens einmal im Jahr vorkam. „LASS ES EINFACH!!!" schrie ich und hob abwehrend eine Hand. In diesem Moment wollte ich nichts mehr hören, wollte keine Erklärung, wollte nur mehr von diesem Park verschwinden, weg von dem Mann, dem ich mein Herz geschenkt hatte und der dabei war, es zu zerbrechen.
„Tony…" Seine Stimme war so verzweifelt - wie der Ausdruck in seinen Augen – aber es kümmerte mich nicht die Bohne. „ICH WILL ES NICHT HÖREN!!! GEH UND FÜHRE DEINEN ACH SO WICHTIGEN AUFTRAG AUS, DER JA ANSCHEINEND WICHTIGER IST ALS ICH! ICH DACHTE, ICH KENNE DICH, ABER DAS WAR WOHL EIN IRRTUM!!!" Gibbs zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen und der Schmerz in seinen Augen wurde stärker. Er wollte erneut einen Schritt auf mich zumachen, hielt aber mitten in der Bewegung inne.
Ich schüttelte einfach nur den Kopf, wischte mir die Tränen von den Wangen und atmete tief durch. „Weißt du, eines ist mir jetzt klar geworden", sagte ich überraschend ruhig, ja beinahe leise, ungeachtet dessen, dass ich noch immer fuchsteufelswild war. „Du hattest damals recht, das zweite ‚b' in Gibbs steht tatsächlich für Bastard." Ich hatte die Worte vollkommen nüchtern ausgesprochen – und sie erreichten ihr Ziel, sie hatten genau in Jethros Herz getroffen. Es war nicht das erste Mal, dass ihn jemand Bastard genannt hatte, aber diesmal war es von mir gekommen und es traf ihn härter als es irgendein Faustschlag geschafft hätte.
Gibbs stand regungslos da, die einzige Bewegung kam von seinem Mantel und den Haaren, die durch den Wind zerzaust wurden. Ich drehte mich wortlos um und entfernte mich von ihm, blieb aber nach ein paar Metern unter einer Laterne stehen und betrachtete den silbernen Ring, den ich an meinem Finger stecken hatte. Das Metall glitzerte in dem Licht, aber der Anblick versetzte mir einen heftigen Stich in die Brust, erinnerte es mich nur an die glücklichen Zeiten – bevor sich Jethro dafür entschieden hatte, alles für einen Undercoverauftrag aufs Spiel zu setzen.
Auf einmal war es unerträglich, das Kleinod weiter zu tragen, weshalb ich mir den Ring beinahe panisch vom Finger zerrte und ihn auf meine rechte Handfläche legte. Ich betrachtete den silbernen runden Gegenstand und ich spürte Gibbs' Blick auf meinen Rücken, hörte aber keine Schritte. Eine Träne löste sich aus meinem rechten Auge, lief die Wange hinunter und tropfte auf die geöffnete Hand. Eine Sekunde später kippte ich diese, bis der Ring der Schwerkraft folgend von meiner Haut glitt und mit einem leisen Geräusch, das irgendwie etwas Endgültiges an sich hatte, auf dem gefrorenen Boden landete.
Ohne dem Ring einen weiteren Blick zu würdigen, setzte ich mich erneut in Bewegung, ging gerade so schnell, dass es nicht einer Flucht gleichkam – und ließ den Mann, den ich weiterhin über alles liebte, hinter mir zurück. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte, ich hatte keine Ahnung, ob ich Jethro jemals wieder unter die Augen treten konnte – dafür war der Schmerz momentan viel zu groß.
Als ich mir sicher war, dass er mich nicht mehr sehen konnte, fing ich zu rennen an, verließ so schnell ich konnte den Park und wollte einfach nur den unerträglichen Schmerz – genauso wie Gibbs - hinter mir lassen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 30 by Michi
Jethro stand noch immer an derselben Stelle und starrte auf den Fleck, wo Tony vor wenigen Sekunden verschwunden war und nichts weiter als Leere hinterlassen hatte – Leere in seinem Herzen. Hätte ihm jemand in diesem Moment ein Messer in die Brust gerammt, er hätte es wahrscheinlich nicht einmal gemerkt, so groß war der Schmerz, der in ihm tobte und ihm buchstäblich den Atem nahm. Seit Jahren hatte er nicht mehr das Bedürfnis verspürt zu weinen, aber in diesem Augenblick wollte er sich einfach nur auf den Boden kauern, sich zu einem Ball zusammenrollen und so lange heulen, bis er keine Tränen mehr übrig hatte.
Für einen kurzen Moment hatte Gibbs wirklich geglaubt, es könnte alles gut werden. Als ihn Tony vorhin so fest umarmt hatte, sein Freund ihm wieder so nahe gewesen war, er seinen Duft wie die Luft zum Atmen in sich aufgenommen hatte, hatte er sich unbeschreiblich glücklich gefühlt. Er hatte vergessen, warum er in diesem Park war, warum er Anthony die Nachricht auf seinem Wagen hinterlassen hatte, er hatte den Auftrag verdrängt. Es hatten nur mehr sie beide gezählt und die Wiedervereinigung. Es war unglaublich schön gewesen, Tony wieder in seinen Armen halten zu dürfen, seinen Körper spüren und mit seinen Fingern durch die weichen Haare fahren zu können. Er hatte all das so schrecklich vermisst, aber noch mehr hatte er Anthony selbst vermisst, sein Lächeln, das Funkeln in seinen tiefgrünen Augen, seine gesamte Art. Es hatte ihn mit Freude erfüllt, dass die Trauer aus dem Blick seines Freundes verschwunden war, er wieder lächeln hatte können.
Und als Jethros Hals mit kleinen Küssen überhäuft worden war, hatte er alles ausgeblendet, den harten Boden, auf dem sie gekniet hatten und den kalten Wind, der weiterhin durch den Park pfiff. Es war so herrlich gewesen, Tonys Lippen wieder zu spüren und seine Stimme zu hören. Anfangs hatte er etwas Angst gehabt, dass dieser alles für einen Scherz halten würde, dass er glaubte, Gibbs wäre nur eine Erscheinung oder ein Traum, aber das hatte sich rasend schnell geändert – und jetzt? Jetzt wünschte er sich, Anthony würde wirklich nur träumen.
Es hatte ihn mitten ins Herz getroffen, als sich der Ausdruck unbändiger Freude in rasende Wut umgewandelt hatte, als er die Wahrheit ausgesprochen hatte, als er gestanden hatte, dass es seine Entscheidung gewesen war, undercover zu gehen. Aber was hätte er auch anders machen sollen? Es Tony verschweigen? Nein, das wäre die schlechteste Alternative gewesen. Er hatte ihn nicht anlügen können, einfach aus dem Wissen heraus, dass es nachher nur noch schlimmer geworden wäre. Es war richtig gewesen, gleich reinen Wein einzuschenken, aber um welchen Preis?

Gibbs blickte auf seine zitternden Hände hinunter und hätte sie am liebsten gegen einen Baum geschlagen, um sich selbst für seine Dummheit zu bestrafen. Wie hatte er nur für eine Sekunde glauben können, Anthony würde ihm vielleicht einfach vergeben, dass er nur froh war, Jethro wiederzuhaben? Selbst heute hatte er noch die Hoffnung gehegt, dass alles gut werden würde, dass er mit Tony nach Hause fahren würde, um ihm die ganze Nacht zu zeigen, wie sehr er ihn liebte und wie sehr ihm alles leid tat. Aber nichts dergleichen war geschehen.
Er hatte ja nicht einmal die Möglichkeit erhalten, seine Beweggründe zu erklären, zu erklären, warum er den Auftrag angenommen hatte, nicht einmal von dem Versprechen hatte er erzählen können. Vielleicht wäre dann das ganze anders verlaufen, vielleicht wäre Tony nicht buchstäblich weggelaufen. Aber Gibbs konnte es seinem Freund nicht verdenken, dass er zurückgewichen war, dass er nichts weiter hatte hören wollen. Wahrscheinlich hätte er selbst nicht anders reagiert, hätte seiner ganzen Wut freien Lauf gelassen. Aber was beinahe noch schlimmer gewesen war als diese grenzenlose Wut, war der Ausdruck der Enttäuschung in den grünen Augen gewesen – gepaart mit Anthonys Worten, dass das zweite ‚b' in Gibbs wirklich für Bastard stand.
Er war im Laufe der letzten Jahre von vielen Leuten als solcher beschimpft worden – manche hatten ihn sogar mit noch schlimmeren Namen bedacht – aber dass Tony glaubte, er wäre ein Bastard, hatte ihm beinahe das Herz gebrochen. Erst da war ihm richtig bewusst geworden, was er wirklich kaputt gemacht hatte, indem er dem Versprechen den Vorrang gegeben hatte. Sein Freund hätte ihn schlagen, hätte ihm ein Messer in seinen Körper jagen können – nichts hätte so sehr weh getan wie das Wissen, dass Anthony ihn für einen Bastard hielt.
Mittlerweile wünschte er sich so sehr, dass er alles rückgängig machen konnte, dass es noch einmal Samstag war und er Jen sagte, dass er nicht undercover ging, dass er das Versprechen nicht erfüllte. Wahrscheinlich hätte er damit besser umgehen können als zu wissen, dass er schuld war, dass Tony geweint hatte, dass Gibbs es war, der ihm solche Schmerzen zuführte, dass er es war, der im Prinzip ihre gesamte Beziehung aufs Spiel setzte.

Auf einmal überkam ihn unbeschreibliche Angst und seine Beine wären beinahe eingeknickt. Was war, wenn ihre Beziehung bereits zu Ende war? Was war, wenn Anthony mit seinem Verschwinden einen Schlussstrich gezogen hatte? War es möglich, dass Jethro nichts mehr gerade biegen konnte, auch wenn er alles erklärte?
Und der Beweis dafür lag wahrscheinlich nur ein paar Meter von ihm entfernt auf dem Boden und glitzerte vor sich hin. Vorhin hatte er für einen kurzen Augenblick geglaubt, Tony hätte es sich anders überlegt, als er stehen geblieben war, aber dann hatte er das leise Pling gehört, mit dem der Ring auf dem Asphalt aufgekommen war – der Ring, den er zu seinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte und der ein Zeichen ihrer Liebe war.
Der Gedanke daran, dass vielleicht alles bereits vorbei war, alles, was sie sich gemeinsam aufgebaut hatten, unter dem Berg seiner eigenen Dummheit begraben, ließ seine Augen brennen, ließ den Wunsch auf irgendetwas einzuschlagen noch mehr wachsen. Was sollte er nur machen, wenn die Beziehung wirklich vorbei war? Während der letzten Tage hatten ihn die Gedanken an Tony immer aufrecht gehalten, hatten geholfen, alles durchzustehen, aber er wusste nicht, wie es weitergehen sollte, würde er seinen Freund verlieren.
Bei der Vorstellung, dass er nie wieder Anthony in seinen Armen halten würde, ihn nie wieder küssen und seinen Körper liebkosen konnte, hätte er am liebsten einen lauten Schrei ausgestoßen, hätte sich den Schmerz von der Seele geschrien, einen Schmerz, für den er selbst verantwortlich war.

Wie in Trance setzte sich Jethro in Bewegung und ging auf den Lichtkegel zu, in dem der Ring lag und auf seinen Besitzer wartete. Ohne dass er es bemerkte, lösten sich aus seinen Augen Tränen, als er den kleinen Gegenstand erreicht hatte, sich langsam bückte und ihn vorsichtig aufhob, so als ob schon die geringste Erschütterung zu einer Beschädigung führen würde. Das Metall war noch warm, zeugte davon, dass ihn Tony bis vor kurzem getragen hatte.
Liebevoll strich Gibbs mit einem Finger über den Rand des Ringes, versuchte sich nicht in den Erinnerungen zu verlieren, als er ihn erhalten hatte. Gott, dieser Abend war so perfekt und es war seit langem der schönste Geburtstag gewesen, den er erlebt hatte. Die vielen Kerzen, die Seidenbettwäsche und das Geschenk, das ihm alles bedeutete.
Langsam drehte Jethro den Ring, bis die Gravur sichtbar wurde – und sein Herz zog sich noch schmerzhafter zusammen, ließ seine Augen noch mehr Tränen produzieren. In Liebe, Tony! Immer wieder las er die Buchstaben, nahm ihre Bedeutung in sich auf und hoffte so sehr, dass doch noch nicht alles vorbei war, dass er eine zweite Chance erhielt. Er würde alles machen, um Anthony wieder zurückzubekommen, um ihn wieder in den Armen halten zu können. Er würde ihm jeden Tag mindestens ein halbes Dutzend Mal sagen, dass er ihn liebte und es ihm jede Nacht beweisen. Er würde nie wieder etwas machen, was seinen Freund verletzten würde.
„Es tut mir leid, Tony", sagte er mit brüchiger Stimme, hob den Ring an seine Lippen und drückte einen sanften Kuss darauf, bevor er ihn sich auf den Ringfinger steckte, wo er die letzten drei Monate gewesen war. Es fühlte sich einfach wunderbar und vertraut an, das Kleinod wieder bei sich zu haben, es wieder tragen zu können.
„Verzeih mir bitte, verzeih mir, dass ich so ein Idiot bin." Und ehe Gibbs wusste, was passierte, kniete er auf dem Boden, schlang seine Arme über seinen Oberkörper und ließ es zu, dass Träne um Träne aus seinen Augen tropfte. Es war das erste Mal seit Shannons und Kellys Tod, dass er wieder weinte, aber er konnte nicht anders. Er musste irgendein Ventil für den Schmerz finden, der in ihm tobte, ein Schmerz, der ihn dafür bestrafte, dass er verantwortlich war, dass Anthony so litt. Jethro kniete auf dem harten Boden in einem großen, verlassenen Park und weinte um die Liebe seines Lebens, die er durch seine eigene Dummheit vielleicht für immer verloren hatte.

Fortsetzung folgt...
Chapter 31 by Michi
Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, als ich die Tür von meinem Haus aufsperrte und sie nur Sekunden später mit aller Kraft hinter mir ins Schloss warf, sodass die Scheibe des Fensters daneben klirrte und der Knall in der Stille laut widerhallte. Mir war es egal, wenn sich die Nachbarn beschwerten, mir war es egal, wenn das Fenster zerbrach und dadurch kalte Luft ins Innere strömen würde – momentan war mir alles egal. Nichts war wichtig, außer dem dringenden Bedürfnis, auf etwas einzuschlagen. Ich war so wütend wie noch nie zuvor in meinem Leben und am liebsten hätte ich so laut geschrien wie ich konnte, hätte all den Schmerz, der mit dieser Wut einherging, von meiner Seele gebrüllt.
All die Tränen, die ich vergossen hatte, seit ich den Park verlassen hatte, hatten nicht im Geringsten eine Linderung gebracht, hatten stattdessen alles schlimmer gemacht. Ich fühlte mich verraten, verhöhnt und schrecklich einsam, gleichzeitig aber vollkommen hohl, so als ob jemand mein gesamtes Inneres herausgekratzt hätte. Wie hatte das alles nur passieren können? Ich schlitterte förmlich von einem Albraum zum nächsten, mit keiner Aussicht, daraus aufzuwachen. Ich hatte getrauert, war mehr als einmal zusammengebrochen bei der Aussicht, ohne Gibbs leben zu müssen und dann stellte sich heraus, dass er nur mit meinen Gefühlen gespielt hatte, dass er bewusst seinen Tod vorgetäuscht hatte, um einen dämlichen Undercovereinsatz durchführen zu können.
Bei diesem Gedanken überkam mich erneut unbeschreibliche Wut und ich schlug so fest ich konnte auf die Tür ein, versuchte den Schmerz auf diese Weise etwas erträglicher zu machen. Ich lehnte meine Stirn gegen das Holz, das ich so lange bearbeitete, bis die Knochen in meiner Hand weh taten und sich erneut Tränen unter meinen geschlossenen Augen bildeten. Einen Moment lange wollte ich diesen nachgeben, beschloss aber, dass ich nicht weinen würde. Nein, ich würde keine Träne mehr vergießen, damit war jetzt endgültig Schluss. In den letzten Tagen hatte ich viel zu viel geheult – und wofür? Um zu erfahren, dass ich umsonst so gelitten hatte, dass alles nur ein großer Fake gewesen war.

Ich war so glücklich gewesen, als ich realisiert hatte, dass Jethro echt war, dass er wirklich lebte, hatte ich doch geglaubt, ihn für immer verloren zu haben. Nichts und niemand hatte mich darauf vorbereitet ihn unter dieser Laterne stehen zu sehen, mit Augen, die wie eh und je gefunkelt hatten. Ich hätte eine Ewigkeit in seinen Armen liegen können, auf diesem kalten Boden im Park. Es war unglaublich gewesen, ihn wieder zu spüren, seinen Atem auf meiner Haut fühlen zu können, seine Hände, die zärtlich über meine Wangen gefahren waren, um die Tränen wegzuwischen. Und ständig sein Blick voller Liebe und für einen kurzen Moment war alles perfekt gewesen, ich hatte nicht darüber nachdenken wollen, warum Gibbs auf einmal wieder bei mir war und mich fest in seinen Armen hielt. Seit Tagen hatte ich nicht mehr diese Freude verspürt – das letzte Mal, als er am Samstagabend noch zu mir gekommen war, um mit mir eine Nacht voller Leidenschaft zu verbringen. Hatte ich vorher angenommen, seine damalige Verzweiflung rühre von der schlecht verlaufenen Videokonferenz, so war das nicht einmal annähernd die Wahrheit.
Jetzt verstand ich, warum Jethro so verzweifelt gewesen war, weil er gewusst hatte, was er mir nur ein paar Stunden später antun würde. Aber es hatte ihn nicht davon abgehalten, es dennoch durchzuziehen, mich alleine zu lassen, um mir anschließend den schlimmsten Schmerz, den ich je verspürt hatte, zuzufügen. War die Nacht noch vor kurzem die letzte schöne Erinnerung, die ich von Gibbs gehabt hatte, so hatte sie sich mittlerweile ins Gegenteil verwandelt. Wie hatte er es nur wagen können, noch ein letztes Mal mit mir zu schlafen, in dem Wissen, was danach kommen würde? Hatte er gehofft, sich seinerseits schöne Erinnerungen mitzunehmen? Hatte er geglaubt, er wäre es mir schuldig, mir für ein paar Stunden fast meinen Verstand zu rauben?
„Du bist mir mehr schuldig als nur Sex", schrie ich beinahe und wischte mir die Tränen von den Wangen, die trotz all meiner Bemühungen unter den Augenlidern hindurchgequollen waren. Hatte sich Jethro nicht vorstellen können, dass er mein Leben mit seiner Entscheidung beinahe zerstört hatte? Er hielt mein Herz in seinen Händen und ich hatte das Gefühl, je mehr Zeit verstrich, desto mehr drückte er zu, so lange, bis es irgendwann unwiderruflich zerbrechen würde. Wieso hatte ich mich nur in ihn verlieben müssen? War es nicht von vornherein klar gewesen, dass unsere Beziehung zum Scheitern verurteilt war? Regel Nummer 12… nicht umsonst war sie von Gibbs aufgestellt worden und wir beide hatten geglaubt, wir könnten uns darüber hinwegsetzen.
Liebe zwischen Kollegen… ich war so naiv gewesen zu glauben, nichts und niemand könnte uns auseinanderbringen und dann passierte so etwas. Und das Schlimmste war, dass ich Jethro noch immer liebte, dass mein Herz nach ihm schrie, obwohl er mir das alles angetan hatte. Wieso war es nur so schwer, überhaupt darüber nachzudenken, einen Schlussstrich zu ziehen? Wieso war es nicht möglich, Liebe einfach abzuschalten? Wieso musste sie nur so schrecklich wehtun? Und wieso konnte ich nicht einfach den liebevollen Blick vergessen? Sieben Monate reinstes Glück und dann schmiss er das alles weg, nur für einen Undercoverauftrag. Wie konnte er nur? Wieso war ihm dieser Auftrag bloß wichtiger als ich?

Jetzt erst wurde mir in meiner Wut bewusst, dass ich doch eine Erklärung wollte, obwohl ich es vorhin abgestritten hatte. Ich hatte einfach nur so schnell wie möglich von Gibbs wegkommen wollen, hatte seiner Gegenwart entfliehen müssen, um dem Schmerz zu entkommen, den seine bloße Anwesenheit in mir hervorgerufen hatte. Selbst an ihn zu denken gab mir das Gefühl, jemand würde mir ein Messer mitten in mein Herz rammen und es genüsslich umdrehen.
Ich hätte wissen müssen, dass etwas direkt vor meiner Nase ablief, ich hätte auf meinen Instinkt hören sollen, dass mit Direktor Shepard etwas nicht stimmte. Schon alleine der Ausdruck in ihren Augen, als sie mir gesagt hatte, dass Gibbs bei einem Unfall ums Leben gekommen war, hätte mich misstrauisch machen müssen. Bereits da hatte ich gespürt, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, aber zu diesem Zeitpunkt war ich viel zu überwältigt gewesen, als mich die Erkenntnis überrollt hatte, dass Jethro für immer fort war. Es war kein Platz für andere Gedanken gewesen, ich hatte mit meiner Trauer zu kämpfen gehabt, da hatte ich nicht auch noch darüber grübeln wollen, warum mich Jen so komisch angesehen hätte, als ob sie mehr wissen würde.
Und jetzt wurde mir auch klar, warum sie mich nicht von meinem Vorhaben, Gibbs' Unfall untersuchen zu wollen, abgebracht hatte, warum sie nicht mehr durch den Wind gewesen war, als ich ihr gesagt hatte, dass es Mord gewesen war. Sie hatte gewusst, worum es ging, hatte von dem Sprengstoff gewusst, hatte gewusst, dass ich nie einen Täter finden würde, weil es einfach keinen gab. Ich war viel zu froh darüber gewesen, dass sie mich weiter hatte arbeiten lassen als dass ich darüber nachgedacht hätte, wie seltsam es doch eigentlich war, dass sie mich nicht nach Hause geschickt hatte. Jeder vernünftige Direktor hätte dafür gesorgt, dass ich für mindestens eine Woche keinen Fuß mehr in das Hauptquartier setzen würde, aber Jen hatte sich so untypisch verhalten, hatte sich nicht an die Regeln gehalten. Weil sie gewusst hatte, dass meine Nachforschungen ins Nichts führen würden, weil sie gewusst hatte, dass ich irgendwann vor einer Mauer stehen würde.
Mittlerweile war ich mir auch sicher, dass ich am Dienstagvormittag in ein Telefonat zwischen ihr und Gibbs geplatzt war und dass sich deshalb auf ihrem Gesicht für einen kurzen Augenblick Schrecken abgezeichnet hatte. Ich hatte sie nicht bei einem Anruf mit ihrem Geliebten gestört, sondern bei etwas viel Heiklerem. Hatten die beiden vielleicht über mich geredet? Hatte die Direktorin Gibbs ständig auf dem Laufenden gehalten, was ich machte, wie es mir so ging? Wie ich damit zurecht kam, dass er tot war? Alleine bei dem Gedanken daran wurde mir schlecht. Wieso hatte ihm Jen auch von dieser Verbrecherorganisation erzählen müssen? Hätte sie nicht einfach einen anderen Agenten nehmen können? Warum Jethro? Im Prinzip war sie doch die Wurzel allen Übels.
Erneut überkam mich Wut und ich schlug ein weiteres Mal auf die Tür ein, ehe ich den Rücken durchstreckte und mich umdrehte. Es war finster im Haus, nur das Licht von den Straßenlaternen sickerte durch die Vorhänge vor den Fenstern und warf fahle Streifen auf den Parkettboden. Draußen schneite es noch immer und die Flocken bildeten langsam aber sicher eine Zentimeter dicke Schicht. Es war so friedlich, nichts war zu hören, weshalb mir das Schlagen meines Herzens umso lauter vorkam. Mein Innerstes war in Aufruhr und am liebsten hätte ich meine Autoschlüssel genommen und wäre stundenlang ziellos herumgefahren, aber ich wusste, bei diesem Wetter würde ich wahrscheinlich irgendwann im Graben landen, vor allem, wenn ich meine Wut auf das Gaspedal übertragen würde, was bei der Fahrt vom Park zu mir nach Hause bereits ein paar Mal gesehen war und ich die Kontrolle über den Wagen beinahe verloren hätte. So schrecklich die Situation auch war, ein tödlicher Unfall meinerseits würde doch gar nichts lösen – nun ja, vielleicht meine Probleme, aber was war mit den anderen?

Langsam setzte ich mich in Bewegung, legte zielsicher den Weg vom Vorraum ins Wohnzimmer zurück, wobei ich mir unterwegs die Jacke auszog und sie richtiggehend auf die Couch pfefferte, bevor ich das Licht der Lampe auf dem Tisch daneben einschaltete. Ich versuchte nicht daran zu denken, was Jethro und ich noch am Samstagabend auf dem Sofa gemacht hatten, wie er sich an mich geklammert hatte, so als ob es keinen Morgen mehr geben würde.
„Ich liebe dich, Tony. Vergiss das nie, egal was passiert." Seine Worte hämmerten in meinem Kopf wider und führte mir die Situation vor Augen, als er sie gesagt hatte. „Du hast gewusst, was du mir damit antust!" schrie ich hilflos in den leeren Raum hinein und ballte meine Hände zu Fäusten. „Egal was passiert?! Du bist so ein Idiot!" Aber niemand hörte mich, niemand nahm Notiz davon, dass ich hier in meinem Wohnzimmer stand, wahrscheinlich vor den Scherben meiner Beziehung, die mir alles bedeutet hatte. Gibbs war mein Ein und Alles gewesen, aber nein, er beschloss den Helden zu spielen, einerlei wie ich mich dabei fühlen würde.
„Egal was geschieht, vergiss niemals, dass ich dich von ganzem Herzen liebe." Seine Stimme war in meinem Kopf, wiederholte immer wieder die Worte, die damals mein Misstrauen erregt hatten. Wieso konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Wieso musste er mich auch noch quälen, obwohl er gar nicht hier war? „Lass mich in Ruhe!" schrie ich und raufte mir buchstäblich die Haare, in der Hoffnung, seine Stimme damit vertreiben zu können, seine Worte, von denen ich wusste, dass sie die volle Wahrheit waren. Aber wenn es so war, wieso tat mir Jethro das an? Ich wollte eine Erklärung, aber gleichzeitig wollte ich ihn nie wieder sehen, wollte nicht in seine blauen Augen blicken, die ich doch so sehr liebte, wollte nicht in sein Gesicht sehen, nur um daran erinnert zu werden, was wir uns alles aufgebaut hatten.
„Wenn du mich liebst, wieso tust du mir das dann an?! Wieso?!!" Mit vor Tränen verschleierten Augen blickte ich zum Kamin, auf dessen Sims sich das Bild von Gibbs befand, wo er neben seinem Boot stand und lächelte – ein Lächeln, das er nur für mich reserviert hatte, so offen, so liebevoll, so sexy. Ich wusste noch, kurz nachdem ich das Foto gemacht hatte, hatte er mich auf den Boden des Kellers gezerrt und mir eines ums andere mal gezeigt, dass seine Hände nicht nur geschickt darin waren, ein Boot zu bauen. Und die ganze Zeit hatte er mir ins Ohr geflüstert, dass ich das Wertvollste in seinem Leben war.
Bevor ich es verhindern konnte, löste sich aus meiner Kehle ein Schluchzen und ich wurde deswegen noch wütender. Ich wollte nicht mehr weinen, wollte nicht mehr schwach sein, wollte nicht mehr leiden. Wieso konnten diese verdammten Tränen nicht einfach aufhören zu fließen?
So als ob es schuld daran wäre, nahm ich das Bild in meine Hand und betrachtete es kurz, fuhr mit dem Daumen das Gesicht nach, das ich weiterhin so sehr liebte, obwohl mir sein Besitzer solche Schmerzen zufügte. Warum hatte ich mich ausgerechnet in ihn verlieben müssen? Wieso hatte ich ihm mein Herz geschenkt?
Auf einmal schien mich Jethros Lächeln zu verhöhnen und meine Knöchel wurden weiß, als ich den Rahmen des Bildes immer fester umklammerte. Seine Augen funkelten mich fröhlich an, schienen mich jedoch gleichzeitig zu verspotten. Mein Atem wurde schneller und die Tränen mehr, die reihenweise auf das saubere Glas, das das Foto schützte, tropften. Anstatt eines Schluchzens stieg diesmal ein Knurren in meiner Kehle auf und ehe ich wusste, was ich überhaupt machte, holte ich mit meinem rechten Arm aus und schleuderte das Bild von mir, legte in den Wurf die gesamte Wut und Schmerz, die ich empfand. „Bastard!" schrie ich in dem Moment, als der Schnappschuss auf der Wand neben der Terrassentür auftraf und das Glas mit einem lauten Splittern zerbrach, der Rahmen mit einem leisen Poltern auf den Boden fiel. Scherben rieselten auf die Erde, wo sie in weitere kleinere Teile zerbarsten. Auf dem Parkett bildete sich ein kleines Scherbenmeer – ein Scherbenmeer, das den momentanen Zustand unserer Beziehung zeigte.
„Bastard", wiederholte ich leise, da mich die Kraft verlassen zu schien. Genauso wie im Park gaben meine Knie unter mir nach und ich sank auf den Teppich neben dem Sofa. Ich versuchte mit aller Macht, nicht zu weinen, ich wollte keine Träne mehr wegen Gibbs vergießen, wollte wegen ihm nicht mehr leiden, aber meine Augen hatten andere Pläne. Ehe ich mich versah, legte ich den Kopf an die Lehne der Couch und ließ den Gefühlen freien Lauf – in der Hoffnung, dass es mir danach vielleicht besser gehen würde.

Fortsetzung folgt...
Chapter 32 by Michi
Der Wind war mittlerweile zu einem kleinen Sturm angewachsen und wirbelte die Flocken regelrecht vor sich hin, bevor sie auf den gefrorenen Boden fielen und dort eine durchgehende weiße Schicht bildeten. Es war kälter geworden, die Äste der Bäume raschelten lauter und eine lose Zeitungsseite wurde von den Böen hin und her geweht. Die Schaukel rechts neben Gibbs knarzte mehr denn je und die Scharniere bettelten förmlich darum, geschmiert zu werden. Er saß an derselben Stelle wie am Samstag und blickte auf den silbernen Ring, mit dem Unterschied, dass er ihn diesmal an seinem Finger trug und nicht auf seiner Handfläche liegen hatte.
Schneeflocken blieben in seinen Haaren hängen, der Wind zerrte an seinem Mantel und bauschte ihn auf, aber Jethro kümmerte sich nicht darum ihn zuzuknöpfen. Die Kälte ließ seine Haut taub werden und er hoffte, dass diese Taubheit in das Innere seines Körpers dringen würde, um den Schmerz dort abzutöten. Er hatte keine Ahnung, wie lange er schon hier saß und den Ring anstarrte, den Beweis einer Liebe, von der er hoffte, sie nicht verloren zu haben. Irgendwie hatte er gehofft, der unwillkürliche Tränenausbruch würde es ihm etwas leichter machen, mit allem umzugehen, aber er fühlte sich nicht wirklich erleichtert, war nur wieder fähig, etwas klarer zu denken.
Gibbs wusste, dass es nicht klug war, sich so lange dieser eisigen Kälte auszusetzen, es zuzulassen, dass sich Flocken in den Kragen seines Mantels verirrten, aber er wollte nicht zu dem schäbigen Apartment fahren, das er vorübergehend sein Zuhause nannte. Die Wände würden ihn wahrscheinlich erdrücken und innerhalb kürzester Zeit würde er durchdrehen, würde ihm die Decke auf den Kopf fallen. Und in diesem Park gab es wenigstens keine Hindernisse, nichts, das ihn einengen konnte. Er hatte keine Ahnung, ob er heute Nacht überhaupt in die Wohnung zurückkehren würde, oder ob er das Risiko auf sich nehmen und Zuflucht in seinem Bootskeller suchen sollte. Es war der Ort, an dem er immer nachdenken konnte, wo er sich immer sicher fühlte, wo ihn jedes Mal eine innerliche Ruhe überkam.
Allerdings würde ihn wohl auch dort alles an Tony erinnern und daran, was sie erlebt hatten. Es gab sicher keinen Raum seines Hauses, mit dem nicht eine Erinnerung an seinen Freund verbunden war und sei es die Waschküche, wo diesem einmal versehentlich ein dunkelroter Socken zur Weißwäsche gerutscht war.
Sicherlich war es besser, wenn er einfach die ganze Nacht herumfahren oder hier sitzen bleiben würde, um darüber nachzudenken, wie er alles wieder geradebiegen und erklären konnte. Jethro hoffte noch immer, dass Anthonys Wut ein wenig verrauchen würde, sobald er die gesamte Wahrheit erfuhr, wenn er ihm erklärte, warum er die Entscheidung getroffen hatte, seinen Tod vorzutäuschen, um Darien zu überführen. Und dieser setzte immer mehr Vertrauen in seinen alten Freund, wie sich heute am Nachmittag erwiesen hatte. Coolidge hatte ihm verraten, dass er Gibbs am Samstag in seine neuen Pläne einweihen würde und somit würde er auch endlich wissen, wo der nächste Anschlag geplant war. Er hatte nicht gewagt zu fragen, warum nicht bereits morgen, aber Hayden hatte von sich aus erzählt, dass er den nächsten Tag nicht in Washington sein würde, sondern sich mit dem Mann, der die Bombe baute, die bald fertig sein würde, traf. Natürlich hatte er keine Namen genannt, aber dennoch war klar, dass Darien wohl wirklich so skrupellos sein würde, irgendein Gebäude in die Luft zu sprengen, um möglichst viel Schaden anzurichten. Es würden wieder Menschen sterben, Familien würden auseinandergerissen werden, so wie es bei ihm der Fall gewesen war.
Traurig fuhr Jethro den Ring mit seinem Finger entlang und überließ sich den Erinnerungen, die ihn dazu gebracht hatten, Tony so zu verletzen, die ihn dazu gebracht hatten, sein bisheriges Leben aufs Spiel zu setzen. Es war ein Versprechen gewesen, ein Versprechen an den Menschen, der ihm vor Jahren alles bedeutet hatte, war es doch die einzige Familie gewesen, die ihm noch geblieben war…

Eine dunkle Wolke, obwohl die Sonne vom strahlend blauen Himmel schien, hing über dem hübschen, zweistöckigen Haus in einem Washingtoner Vorort. Der Frühling war dabei, in den Sommer überzugehen, sämtliche Blumen standen in voller Blüte, überall summten Bienen und verliehen der Umgebung noch mehr Frieden. Die gesamte Straße wurde von hohen Bäumen gesäumt, die wohltuenden Schatten spendeten und unter denen größtenteils die Wagen der Eigentümer der Häuser standen. Die Autos waren durchgehend sauber poliert und glänzten in der Nachmittagssonne vor sich hin. In den Gärten mit den saftigen Wiesen tollten Kinder herum und ihr fröhliches Geschrei hallte laut wider, zeugte davon, wie sie sich freuten, dass das schöne Wetter anhielt. Für die Kleinen war die Welt in Ordnung, sie ahnten nichts von der Trauer, die in dem weiß gestrichenen Haus am Ende der Straße herrschte. Außerhalb der Mauern ging das Leben seinen gewohnten Gang, niemand bemerkte die dunkle Wolke über dem schwarzen Dach und niemand registrierte den grauhaarigen Mann, der gerade seinen Wagen in der Auffahrt jenes Hauses abstellte.
Normalerweise wäre Gibbs mit quietschenden Reifen stehen geblieben, aber an diesem Sonntag war es anderes, alles war anders, seit er den Anruf erhalten hatte, der ein weiteres Stück seines Lebens zerstört hatte. Gestern hatte er noch gehofft, dass dieses Telefonat nie erfolgen würde, dass es noch eine Möglichkeit gab, dass alles gut wurde, aber seine ganzen Hoffnungen waren mit nur wenigen Worten zerstört worden.
„Sie haben ihn gefunden, Jethro." Noch immer hörte er die schluchzende Stimme Jamies, hörte ihre Verzweiflung, hörte durch das Telefon hindurch, dass etwas in ihr zerbrochen war. Zu diesem Zeitpunkt war er mitten in einem Streit mit noch Ehefrau Nummer zwei gewesen und er hatte sie fuchsteufelswild zurückgelassen, hatte ihr nicht gesagt wo er hin wollte. Wahrscheinlich nahm sie an, er hätte einen neuen Fall – der Grund, warum sie sich in den letzten Wochen ständig in den Haaren lagen. Sie behauptete, er sei mit seinem Job verheiratet und würde außerdem mehr Stunden in seinem Bootskeller verbringen als mit ihr. Aber momentan war ihm nicht daran gelegen, seine Ehe zu retten, Jamie war viel wichtiger als jede Frau der Welt.

Gibbs krampfte seine Hände um das Lenkrad, als er die Fassade des Hauses hinaufblickte und ohne Mühe das Fenster fand, von dem er wusste, dass dahinter das Zimmer von James Jr. lag, ein aufgeweckter Junge, zwölf Jahre, 11 Monate und 12 Tage alt. Nur würde er seinen nächsten Geburtstag nicht mehr erleben – er war seit etwa 18 Stunden tot, gestorben bei der Explosion eines Einkaufszentrums, das willentlich in die Luft gesprengt worden war und hunderte Menschen das Leben gekostet hatte, die den Samstag Nachmittag dazu genutzt hatten, einzukaufen. Den Medien und somit der Öffentlichkeit wurden nähere Details verschwiegen, das Einzige was bekannt gegeben wurde, war die Zahl der Toten, die noch immer stieg und vor kurzem wieder um eins erhöht worden war.
„Sie haben ihn gefunden, Jethro." Die Worte hatten ihn direkt ins Herz getroffen und er hatte eine ganze Minute nur dastehen können, den Telefonhörer am Ohr, während ihn Diane mit irgendwelchen Schimpfnamen bedacht hatte. Er hatte ihr Geschrei nicht mehr mitbekommen, sondern hatte nur den verhängnisvollen Satz in seinem Kopf gehört. James Jr. Gibbs, sein heißgeliebter Neffe, das Kind, an das er sich förmlich geklammert hatte, nachdem er Kelly verloren hatte. Der Junge hatte ihm alles bedeutet, er war wie ein Sohn für ihn gewesen, nachdem James' Vater vor sieben Jahren an Krebs gestorben war. Jimbo, wie er von seinen Eltern liebevoll genannt wurde, hatte in seinem Onkel einen Ersatzdaddy gesucht, hatte nach seiner Nähe gesucht wie Jethro nach der des Jungen. Er war es gewesen, der Gibbs nach dem Tod von Shannon und Kelly mit seiner unbeschwerten Art aufgeheitert hatte, der ihn praktisch gezwungen hatte, weiterzuleben. Seine Schwester Jamie und James waren die einzige Familie, die ihm noch geblieben war und die ihm alles bedeuteten. Und jetzt hatte er schon wieder ein Kind verloren, zwar nicht sein leibliches, aber es fühlte sich irgendwie so an, nachdem er einen entscheidenden Teil zu der Erziehung des Jungen beigetragen hatte, er hatte ihn sogar fürs Boote bauen begeistern können. Noch am Freitag hatten sie gemeinsam an diesem gearbeitet, hatten das Holz glatt geschliffen – es schien eine Ewigkeit zurückzuliegen, ein Leben lang.

So weh es auch tat, schon wieder jemanden verloren zu haben, Jethro konnte nicht weinen – er hatte sämtliche Tränen für Shannon und Kelly vergossen und brachte es nicht fertig, welche zu produzieren, auch wenn sein Inneres förmlich danach schrie. Wieso spielte gerade ihm das Schicksal einen derartigen Streich? Warum musste immer ihm so etwas passieren? Warum starben die Menschen, die er über alles liebte? Die Wunden, die der Verlust seiner Familie hinterlassen hatte, hatten erst begonnen sich langsam zu schließen und jetzt waren sie wieder aufgerissen worden, bluteten wie eh und je.
Und genauso wie bei seiner Frau und Tochter verspürte Gibbs das dringende Bedürfnis nach Rache. Er wollte denjenigen finden, der dafür verantwortlich war, der so gierig nach Geld war, dass er dafür den Tod von hunderten Unschuldigen in Kauf nahm. Er wusste von dem Bekennerschreiben, sämtliche Bundesbehörden und Polizeistationen im ganzen Bundesstaat waren darüber informiert worden. Sie hatten die Bedrohung ernst genommen, aber nicht so ernst, dass es jemals zu einer Zahlung gekommen wäre. Und jetzt hatte er James Jr. verloren, genauso wie er Shannon und Kelly verloren hatte und er wusste, der Verlust würde Jamie in einen Schatten ihrer selbst verwandeln. Die schwache Stimme am Telefon hatte es bewiesen, es war keine Fröhlichkeit mehr enthalten gewesen, keine Freude, sondern nur unendliche Trauer. Wenn er nicht aufpasste, würde er auch noch seine Schwester verlieren und dann wäre er ganz alleine – ein schrecklicher Gedanke.

Mit ungewohnt zittrigen Händen öffnete Jethro die Tür und stieg aus seinem Wagen. Die milde Luft empfing ihn, aber er nahm sie nicht wirklich wahr, genauso wenig wie die fröhlichen Kinderstimmen, den Rasenmäher und das Vogelgezwitscher. Es zählte nur noch das hübsche Haus und die Frau darin, die um ihren einzigen Sohn trauerte, der das Ebenbild seines Vaters war – die gleichen braunen Haare, die gleichen grauen Augen, das gleiche verschmitzte Lächeln. James war für Jamie eine Stütze gewesen, nachdem sie ihren geliebten Mann verloren hatte und nur Gott wusste, wie es jetzt weitergehen, wie sie mit allem umgehen würde. Jeder Mensch konnte nur ein gewisses Maß an Leid ertragen und Gibbs hatte so das Gefühl, dass dieses Maß bei seiner Schwester fast erreicht war.
Langsam und wie in Trance ging er den gepflegten Weg zur Tür hinauf und drückte die Klinke hinunter. Er wusste, dass nicht abgesperrt war – das war es nie untertags. Die Scharniere quietschten leise und eine Sekunde später gab die Tür den Blick auf einen freundlich eingerichteten Vorraum frei, auf dessen linker Seite eine Treppe in die obere Etage führte.
Sämtliche Wände des Hauses waren in warmen Farben gestrichen und die Möbel waren zeitgemäß und modern, nicht teuer aber auch nicht billig. Alles passte perfekt zueinander und in jedem Raum hingen Bilder der Familie – eine Familie, von der es jetzt nur noch zwei Mitglieder gab.
Ohne auf die Umgebung zu achten, eilte Gibbs die Stufen nach oben und bereits auf der Hälfte der Treppe hörte er das herzzerreißende Schluchzen Jamies, das die Stille des Hauses durchbrach. Es tat ihm innerlich weh zu wissen, dass sie so litt und er nichts dagegen tun konnte, außer sie in den Arm zu nehmen. Jedes Wort des Trostes würde sich leer anhören, nur eine Phrase, die im Prinzip nur noch alles schlimmer machte.
Jethro ging über den Teppich, der seine Schritte dämpfte, und erreichte gleich darauf eine angelehnte Tür rechts, hinter der das Weinen seinen Ursprung hatte. Es war James' Zimmer, voller Poster von Star Wars und seinem Lieblingsfootballteam. Die Sonne tauchte den Raum in strahlendes Licht, das Fenster stand offen und ließ die warme Luft herein. Auf dem Schreibtisch darunter lagen Schulbücher verstreut herum, Bücher, die der Junge jetzt nicht mehr brauchen würde. Auf einem Regal standen Pokale, die er bei Schwimmwettbewerben gewonnen hatte und einen Platz nahm ein Bild von James Sr. ein, Jamies Ehemann.
Auf dem Bett, das an einer der Wände stand, saß seine Schwester, einen Polster mit Astronautenmotiv fest gegen ihre Brust gepresst, während Tränen auf das Kissen tropften und von dem Stoff aufgesogen wurden, der bereits einen großen nassen Fleck aufwies. Ihr sonst ordentlich frisiertes blondes Haar war zerzaust und stand wirr vom Kopf ab, ihre normalerweise strahlenden braunen Augen waren rot und geschwollen und ihre Wangen waren so schrecklich blass, dass sie wie ein Gespenst wirkte. Ihr zierlicher Körper wurde von Schluchzern geschüttelt und sie schien die Ankunft ihres Bruders nicht einmal zu bemerken. Stattdessen vergrub sie ihr Gesicht in den Polster und murmelte immer wieder den Namen ihres Sohnes, der nie wieder zurückkommen würde.
Gibbs wusste nicht, was er machen sollte, um ihr wenigstens ein wenig helfen zu können. Er wusste, wie es sich anfühlte, ein Kind zu verlieren, es zeriss einen von innen heraus und am liebsten wollte man sich nur noch verstecken, wollte dem Schmerz irgendwie entkommen, der einem schier das Atmen unmöglich machte. Er hatte keine Ahnung, warum er auf einmal so ruhig wurde, warum er seinen eigenen Schmerz so ohne weiteres wegsperren konnte. Aber eines wusste er, er musste jetzt stark sein, für sich selbst und für Jamie.

Langsam ging er auf sie zu und setzte sich neben sie auf die Matratze. In dem Zimmer roch es nach frisch gewaschener Wäsche und dem Frühling, der draußen herrschte. Durch das geöffnete Fenster drangen die Stimmen der Nachbarskinder und das Dröhnen des Rasenmähers, aber auch diesmal schien alles ganz weit weg zu sein.
„Das ist nicht fair", schluchzte Jamie in den Polster und drückte ihn noch fester. „Wieso Jimbo? Wieso mein Junge? Was hat er nur getan? Er wollte sich doch nur mit einem Freund treffen, um anschließend ins Kino zu gehen. Wieso… wieso habe ich ihm es nur erlaubt? Wieso ha… habe ich nicht darauf bestanden, dass… dass er zuerst seine Hausaufgaben fertig macht? Es ist doch alles meine Schuld!" schrie sie schließlich und hob ihren Kopf. Der Blick in ihre tränenverschleierten Augen versetzte Jethro einen Stich und er konnte nichts anderes machen, als einen Arm um ihre Schultern zu legen und ihr einen tröstenden Kuss auf die Schläfe zu geben.
„Du hast keine Schuld", flüsterte er und wunderte sich selbst über den beruhigenden Ton in seiner Stimme. „Wenn einer Schuld hat, dann dieser Mistkerl, der die Bombe platziert hat." „Er war doch erst zwölf, fast dreizehn. Weißt du, was die mir gesagt haben? Er sei von einem Stahlträger erschlagen worden. Er war nicht im Explosionszentrum, dennoch… Oh Gott, James!" Gibbs brach es fast das Herz, seine sonst so starke Schwester so zu sehen, voller Trauer und weder ein noch aus wissend. Anstatt etwas zu sagen, nahm er ihr den Polster aus den kraftlosen Fingern, legte ihn auf die Seite und nahm die junge Frau in die Arme. Ihr Körper wirkte so zerbrechlich, als könnte sie der kleinste Lufthauch entzweibrechen und Jethro wünschte sich, er könnte ihr etwas von ihrem Leid abnehmen.

Die Minuten schleppten sich dahin, der Rasenmäher hörte auf zu dröhnen und irgendwo begann eines der Kinder zu weinen. Jamie beruhigte sich ein wenig und als sie ihren Kopf wieder hob, wirkte sie seltsamerweise gefasst, so als ob sie einen Entschluss gefasst hätte, den sie unbedingt durchziehen wollte. In ihre Augen war ein stählernes Funkeln getreten und für einen kurzen Moment schien seine Schwester, wie sie noch vor einigen Tagen gewesen war, wieder durch, kam die knallharte Staatsanwältin zum Vorschein, die sie gewesen war, bevor sie die Nachricht, dass ihr Sohn gestorben war, erreicht hatte.
„Versprichst du mir etwas, Jethro?" fragte sie leise und ihre Stimme war fester, zitterte aber dennoch und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie erneut zusammenbrechen würde und dann wahrscheinlich länger als für ein paar Minuten. Vielleicht wäre es besser, Ducky anzurufen. Dieser würde sich sicher um seine Schwester kümmern können. Obwohl er normalerweise nur mit Leichen zu tun hatte, war er überraschend sensibel im Umgang mit lebenden Menschen und er mochte Jamie, war sie eine der wenigen Menschen, die immer seinen unendlich langen Geschichten lauschte.
„Alles", antwortete Gibbs schließlich und strich ihr zärtlich durch die zerzausten Haare. „Versprich mir, dass du diesen Bastard findest, der mir meinen Jungen genommen hat. Versprich mir, dass du ihn zur Strecke bringst, ich will, dass dieser Mistkerl dafür büßt, was er mir angetan hat – was er uns beiden angetan hat."
Es war nicht wenig, was sie von ihm verlangte, aber er wusste, das Bedürfnis nach Rache war auch bei ihm vorhanden. Es würde schwer werden, herauszufinden, wer wirklich hinter dem Anschlag steckte und bei den Ermittlungen mitzumischen, vor allem, weil er persönlich involviert war. Aber er wusste, dass er, sollte sich je eine Möglichkeit ergeben, den Verantwortlichen zu schnappen, diese nutzen würde.
„Ich verspreche es dir", erwiderte Jethro schlussendlich und Jamie blickte ihn dankbar an. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, stand auf und ging zum Schreibtisch, wo sie die oberste Schublade aufzog und etwas herausnahm – es war ein Taschenmesser, das Gibbs seinem Neffen zum 12. Geburtstag geschenkt hatte. Langsam kam seine Schwester auf ihn zu, kniete sich vor ihm nieder und brachte die kleine aber scharfe Klinge, zum Vorschein. Ohne zu zögern, nahm sie seine linke Hand, setzte die Schneide auf der Handfläche auf und zog sie blitzschnell über seine Haut. Der Schmerz war stechend, ging aber schnell in ein unangenehmes Brennen über. Der Schnitt war nicht tief, dennoch quoll Blut hervor und tropfte auf den Teppich, wo es unschöne Flecken hinterließ.
Jethro hinterfragte ihr Tun nicht, hatten sie das doch schön öfters gemacht, vor allem als Kinder, wenn sie einen Streich ausgeheckt und sich gegenseitig versprochen hatten, den anderen zu decken. Nur damals hatten sie sich immer nur in den Finger geschnitten, nie in die ganze Hand – aber diese Situation war auch ganz anders.
Jamie setzte das Messer an ihrer eigenen Handfläche an und wie bei ihrem Bruder zog sie die Schneide ohne zu zögern über ihre Haut. Anschließend nahm sie Jethros Hand und drückte die beiden Wunden aufeinander. „Es ist mit Blut besiegelt, Jethro. Egal wie lange es dauert, vergiss nie dein Versprechen." Und alles was er machen konnte, war zu nicken und zu beobachten, wie sich die braunen Augen wieder mit Tränen verschleierten und Jamies Körper erneut von Schluchzern geschüttelt wurde. Auch wenn er jetzt noch keinen Schimmer hatte, wie er das Versprechen einlösen sollte, so wusste er doch, dass es irgendwann so weit sein würde. Irgendwann würden sie beide ihre Rache bekommen, egal was er dafür tun musste…


Gibbs war so sehr in seine Erinnerungen vertieft gewesen, dass er erst jetzt den Wind, der weiterhin durch den Park pfiff, als ziemlich eisig empfand und er merkte erst in diesem Augenblick, dass er leicht zitterte. Noch immer starrte er auf den silbernen Ring, während er langsam in die Gegenwart zurückkehrte und das Gesicht seiner Schwester in den Untiefen seines Bewusstseins verschwand. Jamie hatte sich seit dem Tag verändert, sie war nie wieder dieselbe gewesen und trotz seiner Bemühungen war sie irgendwann doch in das schwarze Loch gefallen, in das er beinahe selbst gestürzt wäre, hätte es nicht James Jr. gegeben. Jamie hatte schlussendlich das gemacht, wozu Jethro vor Jahren nicht fähig gewesen war – sie hatte sich das Leben genommen.
Der Verlust ihres Mannes und ihres Kindes war zu viel gewesen, obwohl Gibbs immer für sie dagewesen war. Aber ein Bruder konnte ihr nicht den Gatten und den Sohn ersetzen und irgendwann war ihr alles zu viel geworden. Darien war schuld, dass er nach Shannon und Kelly auch noch den Rest seiner Familie verloren hatte und alleine das Versprechen hatte ihn aufrecht gehalten. Er hatte sich Ducky anvertraut, hatte von dem Schnitt mit dem Taschenmesser und von dem Wunsch seiner Schwester erzählt. Der NCIS war schließlich nach und nach seine Familie geworden, die zahlreichen Fälle hatten ihn auf Trab gehalten, das Versprechen hatte ihm geholfen, weiterzumachen und Ducky hatte ihn immer wieder aufgemuntert.
Und schließlich war Tony in sein Leben getreten, ein großspuriger Detective vom BPD, der ihn trotz seiner kindischen Art beeindruckt hatte. Obwohl er ihm damals für die zahlreichen blöden Sprüche am liebsten den Kopf abgerissen hätte, so hatte er ihn doch zum NCIS geholt, hatte das Potential eines hervorragenden Ermittlers hinter der Maske des Kindskopfes gesehen. Das Schicksal hatte sie beide zusammengeführt und dafür gesorgt, dass eine Liebe zwischen ihnen entstanden war, die ihn so glücklich wie nie zuvor gemacht hatte. Gibbs hatte aufgehört, ständig an das Versprechen zu denken, der Gedanke an Rache war in den Hintergrund gerückt und er war einfach nur froh gewesen, Tony zu haben - der Grund, warum er alles durchgestanden hatte, warum er noch immer am Leben war.
Mit jedem Tag war Jethros Liebe größer geworden und umso schwerer war es ihm gefallen, die Entscheidung zu treffen, Darien das Handwerk zu legen. Jamie bedeutete ihm noch immer unglaublich viel, obwohl sie nicht mehr lebte, aber dann war da Anthony, der für ihn das Wichtigste auf der Welt war. Aber es waren James Jr. und seine Schwester gewesen, die dafür gesorgt hatten, dass er nach Shannons und Kellys Tod keinen Blödsinn angestellt hatte, es war ihnen zu verdanken gewesen, dass er weitergemacht hatte, obwohl er sich am liebsten selbst aufgegeben hätte - er schuldete den beiden immens viel.
Mittlerweile wusste Jethro jedoch, dass er alles komplett falsch angepackt hatte, er hätte Tony von seiner Schwester und seinem Neffen erzählen sollen, bevor er den Auftrag angenommen hatte. Aber am Samstag war ihm die Gefahr, dass Darien herausfinden könnte, dass Gibbs ihn belog, viel zu groß erschienen und er hatte Anthony nicht gefährden wollen. Aber jetzt wusste er, dass er trotz allem mit ihm reden hätte sollen und ihre Beziehung würde dann wahrscheinlich nicht kurz davor stehen, auseinanderzubrechen. Jethro war selbst schuld, wenn er zum dritten Mal jemanden verlieren würde, der ihm unglaublich viel bedeutete und er hatte keine Ahnung, wie er es überleben würde, sollte Tony wirklich einen Schlussstrich ziehen.

Erneut fuhr er traurig mit einem Finger über den Ring, versuchte in dem Metall Trost zu finden. Das Kleinod war ein Zeichen ihrer Liebe und egal wie schwer es werden würde, Gibbs würde um Anthony kämpfen. Er würde nicht zulassen, dass seine eigene Dummheit dafür verantwortlich war, dass er das Beste, das ihm seit Jahren passiert war, wieder verlieren würde. Irgendwie würde er es wieder geradebiegen und musste er sich für alles hundert Mal entschuldigen, dann würde er das machen – er würde sogar sämtliche Regeln, die er aufgestellt hatte, brechen, nur damit er Tony wieder zurückbekam.
Jethro würde nicht zulassen, dass Darien ihm auch noch seinen Freund wegnahm und sollte er deswegen seine Tarnung gefährden, so nahm er das in Kauf. Das Wichtigste war, sich wieder mit Anthony zu versöhnen, denn er wusste, ohne ihn würde er auch das Versprechen nicht erfüllen können. Gibbs musste einfach das Wissen haben, dass, wenn alles vorbei war, er wieder zu jemandem nach Hause kommen konnte, dass er jemanden hatte, der auf ihn warten würde.
Und während er auf der Schaukel saß, gab er ein weiteres Versprechen ab – das Versprechen, alles in seiner Macht stehende zu tun, damit Tony ihm verzieh.

Fortsetzung folgt...
Chapter 33 by Michi
Washington D.C.
Freitag, 31. Januar
09:10 Uhr


Ich konnte mich nicht erinnern, jemals zwei Stunden zu spät gekommen zu sein. Um kurz nach neun Uhr öffneten sich die Türen des Fahrstuhls und entließen mich in ein geschäftiges Großraumbüro, wo alles wie gewohnt vonstatten ging. Ich war froh, endlich der kleinen Kabine entkommen zu können, hatte ich doch das Gefühl gehabt, in einen engen Käfig eingesperrt zu sein. Ich war von einer Wand zur nächsten geeilt und war sogar drei Mal im Kreis herumgelaufen, um die Zeit, die der Aufzug von der Tiefgarage in die dritte Etage gebraucht hatte, tot zu schlagen. Normalerweise neigte ich nicht zu Klaustrophobie, aber diesmal wäre es beinahe so weit gewesen, dass ich geglaubt hätte, mich würde dort drinnen etwas erdrücken. Vielleicht lag es aber auch an der Wut, die seit gestern mein allgegenwärtiger Begleiter war und die mich nicht mehr loszulassen schien.
Durch meinen neuerlichen Heulanfall am Vorabend war es mir gelungen, etwas von dem Schmerz loszuwerden, der mich aufzufressen gedroht hatte. Ich wusste nicht, wie lang ich neben meinem Sofa gesessen hatte, aber als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte, hatte ich mich befreiter gefühlt. Der Ärger auf Gibbs und auch auf mich selbst, dass ich es überhaupt zuließ, dass er mich derart verletzte, war zwar allgegenwärtig geblieben, aber ich hatte dennoch klarer denken können, hatte mich nicht mehr so sehr von meinen Gefühlen beeinflussen lassen. Hatte ich mich vorher noch verabscheut, weil ich zu schwach gewesen war, um gegen die Tränen anzukämpfen, so war ich im Endeffekt froh gewesen, den Kampf verloren zu haben. Sie hatten die tiefe Wunde, die Jethro hinterlassen hatte, gereinigt und ich hatte danach nicht mehr das Bedürfnis verspürt, ständig auf etwas einzuschlagen. Für ein paar Stunden hatte ich es geschafft, die Wut in meinem Inneren einzusperren.
Beinahe emotionslos hatte ich die Scherben aufgeräumt, die entstanden waren, als ich Gibbs' Bild gegen die Wand geschleudert hatte. Ich hatte die Splitter umgehend in den Mistkübel geschmissen und wäre fast so weit gegangen, das Foto in der Mitte auseinander zu reißen und es ebenfalls zu entsorgen, aber eine innere Stimme hatte mich aufgehalten, hatte mir zugeflüstert, dass ich das Bild vielleicht noch einmal brauchen würde. Ich hatte zwar nicht gewusst wozu, dennoch hatte ich meinem Instinkt vertraut und hatte es schließlich, anstatt es in einem Mülleimer zu entsorgen, unversehrt in der obersten Schublade einer Kommode im Wohnzimmer verstaut.
Anschließend hatte ich eine lange heiße Dusche genommen und hätte ich nicht daran gedacht, was Jethro und ich dort drinnen hin und wieder gemacht hatten, hätte ich mich wahrscheinlich sogar erfrischt gefühlt. Aber da die erste Wut abgeklungen war, hatte mich auf einmal wieder alles an meinen Freund erinnert, es gab keinen Raum, in dem ich nicht an ihn denken musste und in dem er nicht ständig allgegenwärtig zu sein schien. Es war beinahe wie ein Fluch, an ihn zu denken, obwohl ich es gar nicht wollte. Ich hätte ihn am liebsten aus meinem Kopf verbannt, aber es hatte einfach nicht geklappt. Genauso wenig wie die Liebe zu ihm konnte ich seine Präsenz einfach ausblenden.
Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte mich in meinen Wagen gesetzt und wäre Stunde um Stunde herumgefahren, aber der dichte Schneefall hatte mich davon abgehalten. Es wäre viel zu gefährlich gewesen, sich hinters Steuer zu setzen, noch dazu, wenn man nicht einmal drei Meter weit sah. Jethro hatte mich verletzt, er hat einen Undercoverauftrag mir vorgezogen, hatte mir vorgegaukelt, er wäre tot, aber dass ich seinetwegen einen Unfall verursachen würde, wollte nicht einmal ich selbst.
Anstatt meinen Mustang zu starten hatte ich den Fernseher in Betrieb genommen und hatte darüber nachgedacht, wie es weitergehen sollte, während im Hintergrund irgendein Film gelaufen war, den selbst ich nicht einmal gekannt hatte. Stunde um Stunde hatte ich auf meiner Couch gesessen und hatte gegrübelt, war aber trotzdem nicht zu einer Lösung gekommen. Alleine wenn ich daran gedacht hatte, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen, hatte sich mein Herz schmerzhaft zusammengezogen. Gibbs ließ mich absichtlich leiden, dennoch schaffte ich es nicht, mir ein Leben ohne ihn vorzustellen, auch wenn ich nicht wusste, wie das aussehen sollte. Ich hatte doch nicht einmal eine Ahnung, wie ich ihm das nächste Mal unter die Augen treten sollte, ohne gleich wieder wütend zu werden.
Der Undercoverauftrag war bestimmt irgendwann zu Ende und er würde anschließend sicher wieder an seinen Platz als Teamleiter zurückkehren. Nur, konnte ich unter diesen Umständen weiter unter ihm arbeiten, von ihm Befehle entgegennehmen, in dem Wissen, was er mir angetan hatte? Würde ich es schaffen Tag für Tag in das Büro zu kommen und ihn anzusehen, ohne daran zu denken, was passiert war? Die Antwort darauf lautete definitiv nein. Wir hatten uns zusammen viel zu viel aufgebaut, als dass wir beide einfach in den Alltag zurückkehren konnten, so wie es vor unserer Beziehung gewesen war.
Die einzigen plausiblen Möglichkeiten waren eine Versöhnung oder eine Versetzung meinerseits in ein anderes Team. Allerdings konnte ich an eine Versöhnung momentan noch nicht denken, genauso wenig wie an eine Versetzung. Ich wollte meine Freunde nicht zurücklassen und ich wusste, ich würde mich in keinem anderen Team derart Zuhause fühlen. Irgendwann hatte ich schließlich beschlossen, das ganze auf mich zukommen und das Schicksal entscheiden zu lassen, was nun aus Jethro und mir werden sollte. Irgendeine Lösung würde sich sicher ergeben und ich hoffte innerlich auf einen guten Ausgang, auch wenn ich momentan nicht wirklich daran glauben konnte.

Irgendwann zwischen vier und fünf Uhr morgens war ich schließlich bei laufendem Fernseher auf dem Sofa eingeschlafen und war um kurz vor acht Uhr wieder munter geworden, mit einem schmerzenden Rücken, da die Couch nicht so bequem war wie mein Bett und es schon die vierte Nacht in Folge gewesen war, die ich darauf verbracht hatte. Ich hatte mich wie erschlagen gefühlt und nicht einmal eine Dusche hatte das geändert.
Anfangs hatte ich die Hoffnung gehegt, es wäre alles nur ein Traum gewesen, dass Gibbs noch tot war und ich mir nur vorgestellt hatte, dass wir uns im Park getroffen hatten, aber das fehlende Bild auf dem Kaminsims und ein einzelner Glassplitter am Boden hatten mich eines besseren belehrt. Es war alles Wirklichkeit und das war der Zeitpunkt gewesen, wo mich die zweite Welle grenzenloser Wut überrollt hatte. Ich hatte geflissentlich die Anrufe von Ziva und McGee ignoriert, die zweifelsohne hatten fragen wollen, wo ich war und ob es mir gut ging, da der Dienst immerhin um sieben anfing und ich gesagt hätte, ich wäre am Morgen pünktlich im Büro. Die Dusche hatte mich so weit beruhigt, dass ich eine Schüssel Cornflakes und eine Tasse Kaffee zu mir nehmen hatte können, bevor ich meine Sachen geschnappt hatte und ins Büro gefahren war.
Ich wusste nicht, wie ich meinen Kollegen beibringen sollte, dass es keinen Mörder gab, dass Gibbs noch am Leben war und uns alle an der Nase herumgeführt hatte. Aber ich wusste, ich konnte es ihnen nicht verschweigen, nicht, wenn sie alle darauf versessen waren, einen Täter zu finden, der nicht vorhanden war. Bevor ich jedoch die Bombe platzen lassen würde, würde ich einen Teil meiner Wut an Direktor Shepard auslassen. Immerhin war sie mit schuld an dem ganzen und sie war es gewesen, die Jethro von dieser Organisation und der Bombe erzählt hatte. Hätte sie geschwiegen, hätte sie sich einen anderen Agenten gesucht, wäre alles nie passiert und Gibbs und ich hätten eine wunderbare Woche miteinander verbringen können, anstatt getrennt zu sein.
Ich wusste, ich würde vielleicht eine Grenze überschreiten, wenn ich ihr direkt ins Gesicht sagen würde, was ich von ihren Methoden hielt, aber ich würde nicht anders können. Sollte sie mich ruhig feuern, dann wäre immerhin das Problem gelöst, wie ich ihn Zukunft wieder mit Jethro zusammenarbeiten sollte.

Ich stürmte aus dem Fahrstuhl, an Agenten vorbei, die mir verwundert hinterher sahen und ließ meinen Rucksack heftiger als sonst auf den Boden knallen. Jetzt, wo ich mich wieder im Großraumbüro befand, hatte ich mich nicht mehr so gut unter Kontrolle und als ich nach oben blickte, wo das Direktorinnenbüro lag, musste ich die Kiefer zusammenpressen, damit mir kein Knurren entfuhr. Ich spürte, wie sich meine Wangen röteten und ich am liebsten einen lauten Schrei ausgestoßen hätte.
„Wo bist zu gewesen?" fragte Ziva verwundert und runzelte die Stirn, als ich meine Jacke auszog und sie mit Wucht auf den Stuhl warf. „Zuhause", antwortete ich ruppig und zur Sicherheit legte ich meine Waffe auf den Tisch. Ich wollte oben keine unbedachte Bewegung machen, die darauf hindeuten könnte, ich hätte die Absicht, die Pistole zu benutzen. „Ist alles in Ordnung?" wollte McGee besorgt wissen und zog den Kopf ein wenig ein, als ihn mein wütender Blick traf. „Klar, alles bestens", erwiderte ich eine Spur zynisch und erhielt ein Stirnrunzeln von Ziva. „Wieso sollte auch nicht alles in Ordnung sein?" Ich holte meinen Dienstausweis hervor, damit ich nicht auf die Idee kommen konnte, ihn der Direktorin auf ihren Tisch zu knallen, mit den Worten, das ich kündigen würde.
„Nun ja, du verhältst dich ein wenig seltsam. Du hast unsere Anrufe nicht beantwortet und es ist bereits nach neun, also…" begann die Israelin, brach aber ab, als ich ihr einen zornigen Blick schenkte. Ich biss mir auf die Unterlippe, um keine flapsige Antwort zu geben. Es war nicht die Schuld meiner Kollegen, dass ich auf 180 war und es war nicht richtig, meine Wut an ihnen auszulassen.
Ohne ein weiters Wort zu sagen drehte ich mich um und eilte auf die Treppe zu, die mich eine Etage höher bringen würde – in die Höhle des Löwen oder in diesem Fall, in die Höhle der Löwin. „Tony, wo willst du hin?" rief mir McGee nach und beobachtete mich, wie ich immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben lief. „Zur Direktorin", erwiderte ich, wobei ich den Titel ein wenig gehässig aussprach. „Und bemüht euch nicht, weiter nach Verdächtigen zu suchen. Das ist nicht mehr nötig", fügte ich hinzu und bemerkte, wie zwei verwirrte Gesichter zu mir herauf sahen? „Tony, was…?" Aber ich drehte mich wieder um, sodass Ziva automatisch mitten in ihrer Frage unterbrach.
Ohne die beiden darüber aufzuklären, was ich gemeint hatte, lief ich die restlichen Stufen hinauf, vorbei am MTAC und riss förmlich die Tür, die zu Cynthias Reich führte, auf. Die Sekretärin zuckte erschrocken zusammen, als ich so plötzlich auftauchte, einfach an ihr vorbeistürmte und innerhalb weniger Sekunden die Tür zu Jens Büro erreichte. „Agent DiNozzo, Sie können da nicht…" „Was?! Führt die Direktorin denn wieder ein Telefonat, das ich nicht mitbekommen soll?!" Cynthia starrte mich mit offenem Mund an, während ich die Tür zum Büro aufriss und sie gleich darauf wieder laut ins Schloss warf. Der große Raum war sonnendurchflutet, nachdem am Morgen der Schneefall aufgehört und einem blauen Himmel Platz gemacht hatte.
Hinter dem Schreibtisch saß Jen, ihre Lesebrille auf der Nase und las eine Akte, die vor ihr lag. Sie runzelte ungehalten die Stirn, da ich wieder einmal ohne zu klopfen hereingekommen war und noch dazu die Tür mit einem Knall geschlossen hatte. „Was für ein Spiel wird hier überhaupt gespielt?!" schrie ich sie an, bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte. Für eine Sekunde blickte sie mich überrascht an, als ich meine Stimme derart gegen sie erhob, kniff aber sofort ihre Augen zusammen, sodass sie nur noch schmale Schlitze waren.
„Was soll das, Agent DiNozzo?" fragte sie und war bewundernswert ruhig, auch wenn sich ihre Wangen röteten und sie sichtlich Mühe hatte, nicht aufzuspringen. Es war wohl das erste Mal, seit sie Direktorin war, dass sie jemand anschrie – und noch dazu ein Untergebener. „Was das soll?! Ich kann Ihnen sagen, was das soll, obwohl Sie das sicher am besten wissen! Sie spielen seit Sonntag ein falsches Spiel mit uns allen!" Jens Augen weiteten sich geschockt und ihr Gesicht nahm ein ungesundes Weiß an. „Ich habe gestern wirklich gedacht, ich hätte mich für immer von Jethro verabschiedet! Eine tolle gefühlvolle Rede, die Sie da abgehalten haben, nur für die falsche Person! Und ich habe Ihnen Ihre eigene Trauer auch noch abgekauft! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, was ich in den letzten Tagen durchgemacht habe?! Zu glauben, ich hätte die Liebe meines Lebens verloren?! Und dann ist das alles nur für einen dämlichen Undercoverauftrag! Und Sie fragen sich auch noch, was das soll und warum ich hier so reinplatze!"
Meiner Tirade folgte eine Stille, die nicht drückender hätte sein können. Mein Atem ging keuchend und ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt, was ich nicht einmal mitbekommen hatte. Jen blickte mich noch immer mit großen Augen an und ich wusste, dass ich sie überrascht hatte, dass sie nie damit gerechnet hätte, dass ich die Wahrheit erfahren würde. Sie war mittlerweile so blass wie ein Gespenst und war keineswegs mehr die Ruhe in Person. Ohne den Blick von mir abzuwenden, schlug sie die Akte zu und knallte dabei mit der flachen Hand auf den Tisch, wo sie gleich darauf ihre Brille hinschmiss.
„Sie wissen davon?" fragte sie total perplex, aber es war offensichtlich, dass sie keineswegs darüber erfreut war – im Gegenteil. Dass es mir Gibbs verraten hatte, würde ihn wohl in Schwierigkeiten bringen, aber momentan war mir das ziemlich egal. „Ja, ich weiß davon und ich kann Ihnen auch verraten von wem! Von einem gewissen Leroy Jethro Gibbs, der eigentlich tot sein sollte!" Jens ohnehin schon blasse Gesichtsfarbe wurde noch blasser und ihre Brust begann sich schnell zu haben und zu senken. Erst jetzt erkannte ich, dass sie damit gerechnet hatte, dass ich es von selbst heraus gefunden hatte und sie die Möglichkeit, dass es mir mein Freund selbst gesagt hatte, nicht einmal einkalkuliert hatte.

„Jethro hat… er hat es Ihnen gesagt?" fragte sie und war noch immer viel zu verblüfft, um sich darüber aufzuregen, dass ich sie angeschrien hatte. Es war das erste Mal, dass ich sie so erlebte, völlig neben der Spur und nicht wissend, was sie überhaupt sagen sollte. „Woher sollte ich es denn auch sonst wissen?!" fragte ich zynisch und verschränkte meine Arme vor der Brust, da ich schon wieder das Bedürfnis verspürte, auf etwas einzuschlagen. „Von alleine wäre ich nie darauf gekommen! Woher auch?! Die Möglichkeit, dass er seinen Tod nur vorgetäuscht hat, habe ich kein einziges Mal in Erwägung gezogen! Ich hätte nie geglaubt, dass er mir so etwas antun würde! Und Sie haben ihn wahrscheinlich auch erst auf diese Idee gebracht! Ihnen ist sicher die ganze Zeit klar gewesen, dass diese ganze Sache unsere Beziehung auf eine harte Probe stellen würde!"
Ich ließ meine Arme sinken, stützte mich auf dem Schreibtisch ab und beugte mich nach vorne, sodass Jen in den vollen Genuss meines wütenden Blickes kam. In diesem Moment vergaß ich vollkommen, dass sie meine Vorgesetzte war und ließ mich nur noch von meinen Gefühlen leiten.
„Das war doch die ideale Gelegenheit, um uns auseinander zu bringen, nicht wahr?! Sie sind doch eifersüchtig gewesen, als sich Jethro schlussendlich für mich entschieden hat! Ich habe es Ihnen angesehen, Sie haben innerlich gekocht, dass er auf einmal so glücklich ist – mit einem seiner männlichen Agents. Ihre Beziehung hat damals nicht funktioniert, aber dafür diejenige von Jethro und mir umso besser! Es war wohl kein gutes Gefühl, ihn zu verlieren, oder?! Was erwarten Sie sich von dieser Sache?! Das ich ihm den Laufpass gebe und er zu Ihnen zurückkommt?!" fragte ich gehässig.
„Sie überschreiten eindeutig Ihre Kompetenzen, Agent DiNozzo!" schrie sie mich an und sprang auf, sodass wir auf gleicher Augenhöhe waren – ein Zeichen dafür, dass ich nicht in der Position war, um so mit ihr umzuspringen. Ihre blassen Wangen hatten sich gerötet und in ihren Augen lag ein Ausdruck, der mir gar nicht gefiel. In diesem Moment würde es mich nicht wundern, wenn sie mich auf der Stelle feuern würde.
„Wie können Sie mir auch nur eine Sekunde lang unterstellen, ich würde sie beide auseinanderbringen wollen?! Und woher wissen Sie überhaupt von…? Nein, lassen Sie mich raten! Das hat Ihnen Jethro auch gesagt, oder?! In letzter Zeit scheint er ja ziemlich gesprächig zu sein!" fügte sie sarkastisch hinzu, aber ihre Stimme blieb trotzdem unnatürlich laut. Ich konnte nicht erkennen, ob sie wütend auf mich war oder auf Gibbs, der mir alles erzählte, sei es von seiner früheren Affäre mit Jen oder von dem Undercoverauftrag.
„Sie sollten von alldem nie etwas erfahren", fuhr die Direktorin ruhiger fort, blieb aber weiter stehen, sodass ich mich aufrichtete, um sie wieder mit meiner Körpergröße zu überragen, was mir wenigstens das Gefühl gab, wieder etwas mehr Kontrolle zu haben. „Jethro hätte es Ihnen nicht sagen dürfen, jedenfalls nicht so lange, bis alles vorüber ist. Das gefährdet nur den Einsatz." „Hier geht es nicht um den verdammten Einsatz!" Frustriert warf ich meine Arme in die Luft, nur um mir gleich darauf meine Haare verzweifelt zu zerzausen. „Wie haben Sie es hinbekommen, dass er sich für diesen Auftrag entscheidet?! Haben Sie ihm ein höheres Gehalt geboten?! Ein neues Haus oder einen neuen Wagen?!" Aber sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, wurde mir bewusst, wie lächerlich sich das anhörte. Gibbs hätte mich nicht so leiden lassen, nur damit er mehr bezahlt oder einen größeren Bootskeller bekam.

Jen kniff ihre Augen zusammen und zu meiner größten Überraschung schüttelte sie ihren Kopf und seufzte. „Sie haben keine Ahnung, oder? Sie haben keinen blassen Schimmer, warum sich Jethro wirklich dazu entschieden hat, den Auftrag anzunehmen. Ich kann verstehen, dass Sie stinkwütend sind, auf mich und auf… Ihren Freund." Ich erkannte sofort, dass die letzten beiden Worte dazu dienen sollten, mich zu besänftigen, aber sie versetzten mir nur einen schmerzhaften Stich in der Brust. „Aber es geht hier um viel mehr als um Ihre Beziehung und das sind hunderte von Menschenleben. Ich habe Jethro die Wahl gelassen, habe ihm angeboten, dass es ein anderer Agent machen könnte und ich kann Ihnen versichern, dass ihm die Entscheidung, es selbst zu machen, nicht leicht gefallen ist. Er hat von Anfang an gewusst, was er aufs Spiel setzt."
Jen sprach vollkommen ruhig und ließ sich wieder auf ihren Sessel fallen. „Dann erklären Sie mir, weshalb er es gemacht hat!" verlangte ich, obwohl es nicht klug war, weiterhin herumzuschreien, aber irgendwie konnte ich nicht anders. Zu wissen, dass sie die ganze Zeit im Bilde gewesen war und keine Andeutungen gemacht hatte, mich aufzuklären und dass sie einfach zugesehen hatte, wie schlecht es mir ging, machte mich rasend.
„Es wäre besser, wenn Jethro Ihnen das selbst erklären würde. Sie sollten das Recht haben, es von ihm zu erfahren." „So wie ich das Recht hatte, von ihm zu erfahren, dass er noch lebt?! Wie haben Sie sich das überhaupt vorgestellt?! Dass ich ihm glücklich um den Hals fallen und ihm alles verzeihen würde, da ich viel zu froh sein würde, dass er noch am Leben ist?! Aber soll ich Ihnen etwas verraten?! Auch ich habe Gefühle und Grenzen, die nicht unendlich groß sind!"
Jen öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen oder eher um mich schroff in meine Schranken zu weisen, da die Muskeln an ihrem Hals stark hervortraten und ihre Wangen erneut rot geworden waren. Ich wusste, sie versuchte mich irgendwie zu beruhigen und mir ihr Handeln verständlich zu machen, aber genauso wie gestern machte ich wieder alle Schotten dicht. Es war ein Fehler, mich nur von meinen Gefühlen leiten zu lassen und nicht den Verstand einzusetzen, aber es fiel mir unglaublich schwer, mich zu konzentrieren, obwohl ich eine Erklärung haben wollte. Die Aussicht jedoch, diese von Gibbs zu erhalten, machte mir ein wenig Angst. Ich wusste nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich ihn sehen sollte.
Das Telefon klingelte, ließ uns beide zusammenzucken und die Worte, die Jen zu mir sagen wollte, verließen nie ihren Mund. Stattdessen behielt sie mich weiterhin im Auge, während sie zum Hörer griff und ein unfreundliches „Shepard" hineinbellte. Es war ihr sichtlich egal, wer am anderen Ende der Leitung war und wen sie wahrscheinlich mit ihrer Art vergraulen würde.
Eine Sekunde später jedoch verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck und ich wusste sofort, wer dran war, obwohl kein Name gefallen war. Ich verschränkte demonstrativ meine Arme vor der Brust und blickte finster vor mich hin.
„Ich weiß bereits, was du gemacht hast, also sind Erklärungen überflüssig… ja, er ist hier und macht mir buchstäblich die Hölle heiß… das ist nicht witzig, Jethro." Beinahe hätte sich auf meinen Lippen ein kleines Lächeln gebildet, als ich Jens frustrierten Gesichtsausdruck sah, aber gleich darauf erinnerte ich mich wieder daran, worum es eigentlich ging, weshalb ich meine Kiefer fest aufeinanderpresste und stur geradeaus aus dem Fenster sah, hinaus auf den blauen Himmel.

„Weißt du eigentlich, dass du den ganzen Auftrag gefährdest? Ich habe dir von vornherein gesagt, dass du niemanden einweihen sollst und warum zum Teufel hast du Agent DiNozzo überhaupt von unserer Beziehung erzählt?!" Sie war definitiv wütend auf Gibbs, vor allem, da er intime Details ausgeplaudert hatte und nicht alles nach ihren Plänen verlief.
„Du hattest kein Recht dazu und... Moment mal, was willst du damit sagen, du kommst hierher? Du kannst hier doch nicht einfach so hereinspazieren!" Ich drehte abrupt meinen Kopf, als ich ihre Worte vernahm und mein Herz fing unwillkürlich schneller zu schlagen an. Leichte Panik stieg in mir auf, als mir bewusst wurde, dass ich Jethro wirklich bald wiedersehen würde, obwohl ich noch gar nicht bereit dazu war. Sicher, ich wollte endlich eine Erklärung haben, aber würde ich es auch schaffen, ihm zuzuhören, ohne auszurasten, ohne daran zu denken, wie sehr ich wegen ihm gelitten hatte – und noch immer litt? Noch dazu war die Wut in meinem Inneren noch nicht verraucht und ich wusste, ich musste diese erst einmal unter Kontrolle bringen, bevor ich Gibbs unter die Augen treten konnte.
„Na schön, wenn du unbedingt hier auftauchen musst, dann sorg gefälligst dafür, dass dich niemand sieht. Und ich werde Miss Sciuto anweisen, die Kameras zu manipulieren. Ich will nicht, dass noch jemand vorzeitig erfährt, dass du noch lebst, außer dein Team. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das noch verheimlichen lässt, nachdem Agent DiNozzo die Wahrheit kennt. 20 Minuten." Jen lauschte und blickte mich stirnrunzelnd an. „Nein, nicht früher. Du wirst doch wohl 20 Minuten warten können? Und du gehst nur zu Abby ins Labor und nirgendwo sonst hin, verstanden? Gut." Ohne sich zu verabschieden, knallte sie den Hörer zurück und beugte sich nach vorne.
„So wie es aussieht, werden Sie bald Ihre Erklärung bekommen", sagte sie und schien irgendwie erleichtert darüber zu sein. Ich hingegen schnaubte und schüttelte den Kopf, da ich noch immer nicht wusste, wie ich es schaffen sollte, vernünftig zu denken, wenn Jethro in meiner Nähe war. Ich musste mit jemandem darüber reden und mir fiel nur eine einzige Person ein, die mir helfen konnte, mit meiner Wut umzugehen.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte ich mich um, stürmte auf die Tür zu und riss sie auf. Cynthia starrte mich erneut mit offenem Mund an, aber ich ignorierte sie. Mir war es egal, ob sie etwas von dem Streit mitbekommen hatte oder ob sie wusste, dass Gibbs noch am Leben war. Wichtig war jetzt nur, dass ich meine Gefühle unter Kontrolle brachte, um mir endlich die Erklärung anhören zu können und ich hoffte für Jethro, dass er einen wirklich triftigen Grund hatte, warum er mir derart weh tat.

Fortsetzung folgt...
Chapter 34 by Michi
Ich lief die Treppe von der obersten Etage ins Großraumbüro hinunter und unwillkürlich kam es mir so vor, als ob ich vor der Direktorin flüchten würde. Genauso wie bei Jethro gestern konnte ich nicht länger in ihrer Nähe bleiben, war sie doch im Prinzip die Wurzel allen Übels. Wäre sie nicht auf die Idee gekommen, Gibbs von dem Auftrag zu erzählen, wäre er die ganze Woche über bei mir gewesen und ich hätte nicht umsonst trauern müssen. Aber wenigstens verstand sie meine Wut, auch wenn sie darüber nicht erfreut war, dass ich es wagte, mich ihr entgegenzusetzen. Immerhin war sie ja die Direktorin und normalerweise war sie es, die andere in ihre Schranken verwies und nicht umgekehrt. Aber ich war über den Punkt hinaus, wo ich mir noch Gedanken machte, wer hier das Sagen hatte. Ich war einfach nur stinkwütend auf Jen und auch auf Jethro, dass sie es gewagt hatten, mit uns allen ein derart falsches Spiel zu spielen.
Und wenn sie jetzt auch wütend auf Gibbs war, da er mir trotz ihres Verbotes gesagt hatte, dass er noch am Leben war, dann sollte mir das nur Recht sein. Über die Konsequenzen, die sein Handeln zur Folge hatte, machte ich mir keinen Kopf und auch nicht darüber, ob der ganze Auftrag eventuell den Bach hinuntergehen würde. Momentan machte ich mir eher Sorgen darüber, wie ich meine Wut in den Griff bekommen konnte, um mir seine Erklärung anzuhören.
Ich steckte buchstäblich in der Zwickmühle. Einerseits wollte ich endlich, dass Licht in die ganze Angelegenheit kam, andererseits wusste ich nicht, wie ich es schaffen sollte, Jethro unter die Augen zu treten, ohne ihn erneut anzuschreien, so wie ich es gestern getan hatte. Es kam mir ungewohnt schwer vor, meinen Verstand einzusetzen, aber wenn ich daran dachte, dass ich meinen Freund bald wiedersehen würde, konnte ich nicht umhin zuzugeben, dass die Panik, die mich vorhin überrollt hatte, stärker wurde.
Und noch dazu würden jetzt auch meine Kollegen von der ganzen Sache erfahren, würden herausfinden, dass ihr Boss noch lebte, anstatt in einem Sarg unter zwei Meter Erde begraben zu sein. Sie alle waren nicht so sehr mit ihm verbunden wie ich es war, dennoch hatten sie genauso getrauert und mitbekommen, wie schlecht es mir in den letzten Tagen gegangen war. Vor allem McGee hatte das am meisten bemerkt, insbesondere am Dienstag, als er mich im Verhörraum getröstet und wieder aufgebaut hatte. Er war eine wichtige Stütze gewesen, auch wenn er manchmal unbeholfen im Angesicht meines Schmerzes gewesen war. Wenn einer auf Gibbs wütend werden würde, dass er seinen Tod nur vorgetäuscht hatte, dann Tim. Die Zeiten, wo er vor dem Chefermittler Angst gehabt hatte, waren vorbei und in den letzten Monaten war er immer selbstsicherer geworden.
Allerdings wusste ich noch immer nicht, wie ich ihnen beibringen sollte, dass Jethro noch lebte. Wahrscheinlich war es am besten, wenn sie es mit eigenen Augen zu sehen bekamen, anstatt dass ich irgendwelche Erklärungen versuchte. Zumal es mir sicher schwer fallen würde, alles mit ruhiger Stimme zu erläutern, wenn ich jetzt schon wieder das Bedürfnis hatte, auf irgendetwas einzuschlagen. Es wurde wirklich Zeit, dass ich meine Gefühle in den Griff bekam, bevor ich zu Abby hinunter gehen würde. Außerdem wollte ich nicht unbedingt die Freude aller mitbekommen, wenn sie erfuhren, dass ihr Boss noch am Leben war.
Vor allem die Forensikerin würde aus dem Häuschen sein, wenn ihr geliebter silberhaariger Fuchs plötzlich vor ihr stehen würde. Von all meinen Freunden konnte ich mir bei ihr am ehesten Vorstellen, dass sie nicht ganz so wütend werden würde. Abby hatte es schon immer fertig gebracht, für gewisse Situationen großes Verständnis aufzubringen und diesmal würde es wahrscheinlich auch nicht anders sein.

Mit einem finsteren Gesichtsausdruck, den ich vorher bereits in Jens Büro aufgesetzt hatte, eilte ich zu meinem Schreibtisch, nahm meinen Dienstausweis und steckte ihn wieder in meine Hosentasche. Etwas zu heftig zog ich die oberste Schublade auf und verstaute darin meine Dienstwaffe, ehe ich sie wieder mit einem lauten Knall schloss und schließlich den verwunderten Blicken von Ziva und McGee begegnete.
„Was ist überhaupt los, Tony?" wollte die Israelin wissen und schenkte mir ein Stirnrunzeln. „Du kommst über zwei Stunden zu spät, mit einer Laune, die unter dem Gefrierpunkt liegt und du sagst uns auch noch, es ist nicht mehr nötig, nach Verdächtigen zu suchen. Außerdem bist du wütend zur Direktorin hinaufgegangen und du hast so ausgesehen, als ob du ihr am liebsten den Hals umdrehen würdest. Was geht hier vor sich? Haben wir etwas verpasst?"
„Was hier vor sich geht?" fragte ich zynisch und blickte demonstrativ auf meine Uhr. „Geht in etwa 19 Minuten zu Abby hinunter, dann werdet ihr herausfinden was los ist und warum ihr nicht mehr weiter nach Jethros Mörder suchen müsst." Ich konnte nicht umhin, das Wort höhnisch zu betonen, was mir noch mehr verwunderte Blicke einbrachte. „Und dann werdet ihr auch verstehen, warum ich nicht gerade bester Laune bin", fügte ich hinzu und umrundete meinen Schreibtisch. Ziva und McGee sahen sich ratlos an und ich konnte es ihnen nicht einmal verübeln. Momentan mussten vor ihren Augen jede Menge Fragezeichen herumtanzen, aber sie würden noch bald genug Antworten finden.
„Tony, wo willst du hin?!" rief mir McGee nach, als ich meine beiden Kollegen zurückließ und zum Fahrstuhl eilte. „Zu Ducky", antwortete ich ärgerlich und biss mir gleich darauf auf meine Unterlippe. Ich sollte aufhören, meine Wut an den anderen auszulassen. Sie konnten am wenigsten dafür, was passiert war und es reichte bereits, dass sie wahrscheinlich genauso schockiert sein würden wie ich, wenn sie Jethro gegenüber standen.
Ungeduldig hämmerte ich auf den Knopf für den Fahrstuhl, der sich zu meinem Glück nicht gegen mich verschworen hatte und dessen Türen sich sofort öffneten. Ich stürmte in die kleine Kabine, drückte auf den Knopf für die Pathologie und sah dabei zu, wie sich die Türen viel zu langsam schlossen. Der Aufzug setzte sich in Bewegung und ich atmete ein paar Mal tief durch, versuchte mich zu beruhigen, obwohl ich liebend gerne auf die Wände eingeschlagen hätte. Aber ich musste endlich lernen, mit meinen Gefühlen umzugehen, weshalb ich mich damit begnügte, meine Hände zu Fäusten zu ballen und unruhig auf der Stelle herumzutreten.
Die Fahrt in den Keller dauerte nur ein paar Sekunden, dennoch kam es mir wie eine kleine Ewigkeit vor und als das leise Pling ertönte, stürmte ich aus der Kabine, kaum dass sich die Türen geöffnet hatten – und wäre beinahe mit Ducky zusammengestoßen, der vor dem Fahrstuhl mit einigen Glasröhrchen in der Hand gewartet hatte. Ich konnte gerade noch ausweichen und verhindern, dass durch unsere etwaige Kollision die Behälter auf den Boden fielen und zerbrachen. So wie es aussah, war der Pathologe damit beschäftigt, die Vorräte auszusortieren und neu zu katalogisieren.

„Ist etwas passiert, Tony?" fragte er sofort, als er meinen finsteren Gesichtsausdruck bemerkte, der ihm verriet, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. In seine Augen trat ein Ausdruck von Sorge und er musterte mich von oben bis unten. „Und ob etwas passiert ist", antwortete ich und versuchte die Wut aus meiner Stimme zu verdrängen, aber der Ältere bemerkte sie sofort. „Ich komme mir im Moment ziemlich veräppelt vor", sagte ich und warf frustriert meine Arme in die Luft, um meine Worte damit zu unterstreichen. „Ich brauche deine Hilfe, Ducky." „Nun, das ist wohl offensichtlich, mein Lieber. Aber ich denke, es ist besser, wenn wir das nicht auf dem Flur besprechen." Er nickte in Richtung Pathologie und setzte sich unverzüglich in Bewegung. Die Türen öffneten sich mit einem Zischen und er strebte ohne zu zögern zu seinem Schreibtisch, wo er die Glasröhrchen vorsichtig platzierte, damit sie nicht auf den Boden rollen konnten. Während sich Ducky anschließend an den Tisch lehnte, konnte ich nicht ruhig stehen bleiben, sondern lief auf und ab.
„Glaubt er etwa, er kann hier einfach so auftauchen, in der Hoffnung, es wird alles gut werden, dass ihm jeder um den Hals fällt?" begann ich, ohne dem Pathologen auch nur die Chance zu lassen, etwas zu sagen. „Aber ich verwette ein Monatsgehalt, dass nicht jeder mit Freude reagieren wird! Nicht nach dem, was er mir angetan hat! Und die Direktorin… sie wusste natürlich die ganze Zeit Bescheid! Hat zugesehen, wie ich am Boden zerstört war und noch dazu war sie es, die mir gesagt hat, dass Jethro tot ist, wo sie es doch besser wusste! Und wie konnte sie es nur wagen, diese Rede bei der Beerdigung zu halten?! Für jemanden, der sich bester Gesundheit erfreut! Aber ich hätte von Anfang an wissen müssen, dass etwas nicht stimmt! Und er hat einfach zugelassen, dass ich derart leide, dass ich um ihn trauere, wo er doch die ganze Zeit am Leben ist! Kannst du dir das vorstellen?! Am Leben!!!"
Ich hielt in meiner Wanderung inne, als ich aus den Augenwinkeln bemerkte, wie sich Ducky versteifte, sich kerzengerade aufrichtete und mich mit leicht geöffnetem Mund anstarrte. Es war wohl das erste Mal, dass er sprachlos war und auch die Tatsache, dass nach zehn Sekunden immer noch Schweigen herrschte, bestärkte mich in der Vermutung, dass ich ihn aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Erst jetzt erkannte ich, dass es besser gewesen wäre, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, aber ich hatte mir endlich den ganzen Frust von der Seele reden wollen und dass der Pathologe ja nicht wusste, was gestern Abend vorgefallen war, hatte ich für einen kurzen Moment vergessen.
Seine normalerweise gesunde Gesichtsfarbe nahm ein gespenstisches Weiß an und ich glaubte für den Bruchteil einer Sekunde, dass er einfach zusammenklappen würde. Aber stattdessen ließ er sich in den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen, während er mich weiterhin ungläubig anblickte.
„Tony, was…? Willst du damit etwa sagen…? Wiederhol das noch einmal", brachte er schließlich einen ganzen Satz zu Stande. Ich seufzte, fuhr mir mit meinen Fingern durch die Haare und lehnte mich meinerseits an einen der Stahltische. Jetzt, wo ich nicht mehr der Einzige war – abgesehen von Jen – der wusste, dass Gibbs nicht tot war, fühlte ich mich gleich um einiges besser und ich spürte regelrecht, wie mir eine ungeheure Last von den Schultern genommen wurde.
„Jethro lebt, Ducky. Er ist kerngesund und hat keinen einzigen Kratzer am Körper. Gestern haben wir jedenfalls nicht ihn begraben." „Und die Direktorin wusste davon?" „Natürlich wusste sie davon. Deshalb komme ich mir auch so veräppelt vor. Ich bin so was von stinkwütend, auf sie und auf Jethro. Weißt du, was das Schlimmste ist? Das Ganze ist für einen Undercoverauftrag und noch dazu war es seine Entscheidung, diesen zu machen. Er hat mich absichtlich so leiden lassen! Absichtlich!"
Erneut breitete sich Schweigen aus und ich konnte die Räder, die sich hinter Duckys Stirn drehten, förmlich vor mir sehen. Er schien nicht besonders wütend zu sein, dass sein bester Freund seinen Tod nur vorgetäuscht hatte, oder aber er hatte seine Gefühle viel besser im Griff als ich Allerdings war der Pathologe derjenige, der für fast jede Situation noch mehr Verständnis aufbrachte als Abby und er betrachtete immer alles mit Logik.

„Ich bin mir sicher, dass Jethro eine gute Erklärung dafür hat, weshalb er für einen Undercoverauftrag seinen Tod vortäuscht", sagte er schließlich und fuhr sich durch seine Haare. „Ich kenne ihn jetzt seit über 10 Jahren und bin mir sicher, dass viel dahinter stecken muss, dass er dich so leiden lässt, Tony." „Ich weiß", gab ich zu und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Nur das Problem ist, ich war gestern viel zu wütend, um mir irgendeine Erklärung anzuhören. Und ich habe keine Ahnung, wie ich es schaffen soll, ihn nachher zu sehen. Ich habe Angst, Ducky, Angst davor, dass ich etwas Unüberlegtes sagen oder tun werde. Und ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, ihm unter die Augen zu treten, ohne gleich wütend zu werden. Gestern dachte ich für einen kurzen Moment, dass alles wieder gut wäre, als ich erkannt habe, dass er echt und nicht nur eine Einbildung ist. Aber als ich erfahren habe, weshalb er noch am Leben ist, da… ich konnte einfach nicht mehr in seiner Nähe sein. Es tat einfach so schrecklich weh."
„Und jetzt befürchtest du, dass es dir erneut so ergehen wird", stellte er fest und ich nickte. „Es ist auch dein gutes Recht, sauer zu sein und ich schätze mal, du hast das Jethro auch spüren lassen." „Ich habe noch nie jemanden so angeschrien wie ihn. Ich komme mir irgendwie verraten vor." Ducky seufzte leise, stand auf und lehnte sich neben mich an den Stahltisch. „Liebst du ihn noch, Tony?" fragte er unverhofft und gegen meinen Willen breitete sich bei seinen Worten eine leichte Wärme in meinem Inneren aus. „Ja, das tue ich", antwortete ich ohne zu zögern. „Und deswegen tut es ja so schrecklich weh." „Nun, Liebe kann man nicht einfach so abstellen und es ist verständlich, dass es schmerzt, was er dir angetan hat und dass du wütend auf ihn bist. Ich denke, das beste Mittel, um diese Wut in den Griff zu bekommen, ist, dass du dir Jethros Erklärung anhörst. Egal wie schwer es ist, ihm unter die Augen zu treten", unterband er meinen Versuch, Widerspruch einzulegen.
Das Gesagte in die Tat umzusetzen würde nicht einfach werden, aber es war wohl wirklich die einzige Möglichkeit, endlich mit meinen Gefühlen umzugehen. Gibbs bald wiederzusehen, machte mir noch immer ein wenig Angst, vor allem da ich mich weiterhin zu ihm hingezogen fühlte, aber es ließ sich schlecht vermeiden, vor allem wenn wir auf einen grünen Zweig kommen wollten.
„Du hast Recht", erwiderte ich schließlich und richtete mich ein wenig auf. Die ganze Sache kam mir auf einmal gar nicht mehr so aussichtslos vor und ich spürte regelrecht, wie ich mich ein wenig entspannte. Es war die richtige Entscheidung gewesen, mit Ducky über alles zu reden, mit jemandem, der von Anfang über Gibbs' und meine Beziehung Bescheid gewusst hatte. Er war es auch gewesen, der mich dazu gebracht hatte, vor sieben Monaten den ersten Schritt zu machen und ich war ihm noch heute dafür dankbar. Er war schon immer der Vermittler zwischen uns gewesen und ich war mir sicher, dass er diese Rolle auch weiterhin innehaben würde.
„Wie kommt es, dass du so ruhig bist? Ich meine, du hast doch auch um Jethro getrauert", fragte ich und blickte den Pathologen stirnrunzelnd an. „Nun, mein lieber Anthony, das liegt wohl daran, dass ich erst so richtig realisieren muss, dass Gibbs noch lebt und ich wahrscheinlich eher gewillt bin, mir den Grund für sein Handeln anzuhören. Nachher habe ich noch immer Zeit, mit ihm zu schimpfen." Die Art wie er es sagte, so als ob er ein unartiges Kind dafür schelten wollte, dass es einen Keks gestohlen hatte, ließ mich unwillkürlich lächeln. Auch wenn Ducky äußerlich der gutmütige Mann war, konnte ich mir durchaus vorstellen, dass er laut werden konnte, wenn er wollte. Aber in mancher Hinsicht war er viel vernünftiger als ich und ich wusste, egal welche Entscheidung ich bezüglich Jethros und meiner Beziehung machen würde, er würde mich dabei unterstützen.
„Du hast gesagt, Gibbs kommt hierher?" wollte der Pathologe wissen und richtete sich ein wenig seine Fliege. „Ja, er geht zu Abby. Sie wird die Überwachungskameras ein wenig manipulieren, damit niemand sonst vorzeitig mitbekommt, dass er noch lebt." „Nun, dann werden wir ihnen einen Besuch abstatten, nicht wahr?" Dabei hob er seine Augenbrauen und auch wenn sich noch immer etwas in mir dagegen sträubte, nickte ich. Allerdings war die Panik fast verebbt und meine Wut so weit auf einen niedrigen Level gesunken, dass ich das Gefühl hatte, mir die Erklärung anhören zu können, ohne gleich wieder aus der Haut zu fahren. Wie es danach weitergehen würde, würde sich noch herausstellen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 35 by Michi
Abby beugte sich über ein Mikroskop, um sich jeden Millimeter des Zeitzünders anzusehen, mit dem Gibbs' Wagen in die Luft gesprengt worden war, während sie abwesend die Melodie eines Liedes mitsummte, das im Hintergrund leise lief. Es kam ihr nicht richtig vor, bereits einen Tag nach der Beerdigung ihre heißgeliebte Musik auf volle Lautstärke aufzudrehen. Das wäre ja so, als ob ein Ehemann gleich nach dem Tod seiner Frau wieder heiraten würde – was es ohne Zweifel durchaus gab, immerhin wimmelte es auf der Welt vor verrückten Menschen. Aber sie gehörte definitiv nicht zu den Verrückten und wollte an diesem Tag auch nicht damit anfangen.
Es war schon seltsam, dass es auf einmal keinen silberhaarigen Fuchs mehr gab, der sie im Labor besuchte, grummelnd nach Ergebnissen fragte und ihr einen großen Becher CafPow mitbrachte, auf den sie bereits sehnsüchtig gewartet hatte. Seit sie am Sonntag erfahren hatten, dass Gibbs nicht mehr lebte, hatte sich irgendwie alles verändert. McGee war ernster geworden, verfiel öfters in nachdenkliches Schweigen, Ziva drohte nicht mehr sooft Leuten, die ungefragt in ihre Nähe kamen, mit dem Umbringen, Ducky erzählte viel mehr Geschichten als sonst und hatte dabei einen traurigen Gesichtsausdruck aufgesetzt und Tony… Tony war ein Kapitel für sich.
Der sonst so lebenslustige und fröhliche Halbitaliener war nur mehr ein Schatten seiner Selbst, in seinen grünen Augen lag eine Trauer, die ihr jedes Mal das Herz schmerzhaft zusammenzog und sie hatte durch seine starke Fassade hindurchgesehen und bemerkt, dass er sich öfters nur mit größter Willenskraft aufrecht halten konnte.
Ihn so zu sehen, war für Abby das Schlimmste, vor allem, weil sie gedacht hatte, dass Anthony endlich das private Glück gefunden hatte, das er verdiente. Er und Jethro waren einfach das Traumpaar schlechthin, harmonierten sowohl im Büro als auch Zuhause und meisterten jede schwierige Situation. Es hatte sie so gefreut, die beiden derart glücklich zu sehen und sie hätte alles darauf verwettet, dass die Beziehung der beiden für die Dauer bestimmt war, aber anscheinend hatte das Schicksal andere Pläne parat. Von einer Minute zur anderen war für alle eine Welt zusammengebrochen und Abby musste gestehen, dass sie erst seit der Beerdigung so richtig realisiert hatte, dass ihr Bossman nicht mehr zurückkommen würde.
Obwohl die Beerdigung äußerlich wunderschön gewesen war, hatte sie es doch gehasst zuzusehen, wie sich Tony von seinem Freund verabschiedet hatte und sie hatte trotz seiner Sonnenbrille ganz deutlich die Tränen gesehen, die er vergossen hatte. Der Moment, wo er die Rose geküsst hatte, hatte sich für immer in ihr Gedächtnis eingebrannt und am liebsten hätte sie ihn ganz fest umarmt, um ihm zu sagen, dass wieder alles gut werden würde.
Aber wie sollte man jemandem sagen, dass alles wieder in Ordnung kam, wenn es nicht stimmte? Gibbs war Tonys große Liebe gewesen und diese zu verlieren, zeichnete einen für das Leben. Sie hoffte so sehr, dass ihr Freund irgendwann einmal wieder lachen konnte, ohne dass es gezwungen wirkte. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, dass er für sich alleine sein wollte, obwohl sie es durchaus verstand. Aber was war, wenn er in ein schwarzes Loch fiel, ohne dass sie es merkten? Wie sollten sie ihn da herausholen, wenn er sich abkapselte? Oder war es möglich, dass er wieder ein wenig der alte Tony wurde, wenn sie endlich Gibbs' Mörder gefunden hatten?
Es wäre sicher für alle eine Erleichterung, würde derjenige, der für das ganze Leid verantwortlich war, endlich hinter Gittern sitzen. Vielleicht würde alles ein wenig seinen gewohnten Gang gehen, wenn der Schuldige gefasst war und Anthony auch offiziell ihr neuer Teamleiter war. Sie würde auf gar keinen Fall einen anderen Boss als den jungen Mann akzeptieren und die Direktorin brauchte nicht auf die Idee zu kommen, ihnen irgendeinen fremden Agenten vor die Nase zu setzen, nur weil dieser mehr Dienstjahre und Erfahrung hatte. Sie wusste, Tony war der Richtige für den Job und er konnte wunderbar Leute herumscheuchen. Außerdem war er so rücksichtsvoll und würde sie genauso mit CafPow versogen wie es Gibbs immer gemacht hatte. Den stechenden Blick hatte er auch schon halbwegs im Griff, nur an seiner noch nicht vorhandenen Koffeinsucht müssten sie ein wenig arbeiten, dann wäre alles perfekt.
Bei dem Gedanken daran musste Abby unwillkürlich lächeln, seufzte aber gleich darauf, als ihr bewusst wurde, dass sie aus Anthony einen zweiten Jethro machen wollte - nun, vielleicht sollte sie ihn dann braunhaariger Fuchs nennen.

Mit einer gekonnten Bewegung tauschte sie die Objekte unter dem Mikroskop und beugte sich wieder über das Okular, um sich den zweiten Zeitzünder anzusehen. Es war bereits das zehnte Mal, dass sie das tat, aber irgendwo musste es doch einen Hinweis geben, wo dieser gekauft worden war. Sie musste etwas finden, das sie weiterbringen konnte. Jeder Bombenbauer hinterließ ein Markenzeichen, aber hier fand sie absolut nichts.
Allerdings war die Bombe nicht das Einzige, was ihr Rätsel aufgab. Die Direktorin verhielt sich an diesem Tag sehr seltsam, wie sie fand. Wieso hatte sie die Überwachungskameras in der Tiefgarage, vor dem Labor und in der Forensik manipulieren sollen? Es war nicht allzu schwer gewesen, dies zu tun – es war immerhin nicht das erste Mal, dass sie so etwas machte – aber es hatte ihr Misstrauen erregt. Die Direktorin hatte allerdings nicht auf ihre Fragen geantwortet, egal wie sehr sie nachgebohrt hatte. War heute eine Übung, von der sie nichts wusste? Sollte es ein Test sein, um zu überprüfen, wie gut sie mit Computern umgehen konnte? Oder sollte die Sicherheit allgemein kontrolliert werden? Wenn dem so wäre, wieso hatte das Jen dann nicht gesagt? Wieso so eine Geheimniskrämerei darum machen? Oder war sie selbst noch wegen der Beerdigung durch den Wind, sodass sie nicht wusste, welchen Blödsinn sie ihren Mitarbeitern anschaffte?
Vielleicht war es an der Zeit, ein Gespräch von Frau zu Frau zu führen, beschloss Abby kurzerhand, konzentrierte sich jedoch wieder auf ihr Mikroskop. Über den Grund, warum sie die Überwachungskameras austricksen hatte sollen, konnte sie sich später noch Gedanken machen. Zuerst galt es, eine Spur zu finden, die sie zu Jethros Mörder führen würde.

Das Lied im Hintergrund wechselte zu einem langsamen Stück und Abby begann erneut, die Melodie mitzusummen, als sich hinter ihr die Türen leise zischend öffneten und sie Schritte vernahm. Sie konnte sich nicht erinnern, jemanden angerufen zu haben, da sie noch keine Ergebnisse hatte. Und hatten nicht Ziva und McGee gesagt, Tony wäre noch nicht hier? Selbst ihm sah es nicht ähnlich, so spät zu kommen, aber sie konnte es ihm nicht verübeln. Immerhin war gestern die Beerdigung gewesen und es hätte sie gewundert, wenn er an diesem Morgen nicht etwas länger schlafen würde.
Ohne auf ihren Besucher zu achten, schürzte sie die Lippen und kniff ihre Augen leicht zusammen, um das Objekt unter dem Mikroskop ganz genau zu untersuchen, als ihr ein leichter Geruch nach Sägespänen in die Nase stieg. Irritiert rümpfte sie die Nase, blickte kurz auf und sah zu dem Mann, der neben ihr stand, ehe sie sich wieder über das Okular beugte.
„Ich habe jetzt keine Zeit, Gibbs. Ich muss noch diesen Zeitzünder auf Spuren unters…" Mit einem Ruck richtete sich die junge Goth auf, mit so großen Augen, dass diese wie Murmeln wirkten, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade gesagt hatte und vor allem, wen sie da gerade angesehen hatte. Langsam, so als ob sie einer Bombe gegenüberstehen würde, die bei der kleinsten Bewegung explodieren könnte, drehte sie sich um und blickte in ein Gesicht, von dem sie gedacht hatte, es nie wieder zu sehen. Blaue Augen funkelten sie freundlich – und vor allem lebendig – an und sie konnte nicht anders, als mit offenem Mund den Mann vor ihr anzustarren, der eine Erscheinung ihres Gehirns sein musste. Es konnte nicht anders sein. Das war bestimmt nur eine Wahnvorstellung, hatte sie immerhin kurz vorher noch über die Beerdigung nachgedacht.
Abby boxte sich zum Zeichen, das sie nur träumte, mit der Hand kräftig auf den linken Oberarm, so hart, dass sie einen leisen Schmerzenslauf nicht unterdrücken konnte, blinzelte ein paar Mal, aber das Bild blieb gleich. Die blauen Augen funkelten sie noch immer an, auf dem ihr wohlbekannten Mund lag ein kleines Lächeln und sie konnte seinen Atem leicht auf ihrer Haut fühlen.
„GIBBS!" schrie sie laut und ihre Stimme überschlug sich fast vor Freude. Ehe ihr Verstand überhaupt realisieren konnte, was da vor sich ging, stürzte sie nach vorne und warf ihre Arme um seinen Hals, drückte seinen Körper so fest wie sie konnte an ihren eigenen. „DU LEBST!!! Oh mein Gott, das gibt es doch nicht! Ich habe mir immer wieder vorgestellt, dass du hier auftauchst, aber dass es auf einmal Realität wird?! Gibbs!!! Du bist es wirklich!!!" Sie drückte ihn noch fester, sodass Jethro der Atem aus der Lunge gequetscht wurde.
„Du hast mir auch gefehlt, Abbs", brachte er ein wenig keuchend hervor und erwiderte die Umarmung der Forensikerin. Er hatte damit gerechnet, dass sie ihm um den Hals fallen würde, aber so heftig? Und wie lange würde ihre Freude andauern? Würde sie ihm, wenn sie die Wahrheit kannte, auch Sachen an den Kopf werfen, so wie es Tony getan hatte? Vorhin hatte er einfach gespürt, dass dieser bei Jen war und die Tatsache, dass er seinen Frust an ihr abgelassen hatte, hatte ihn ein wenig amüsiert, Vor allem deswegen, weil sich Anthony gegenüber der Direktorin anscheinend kein Blatt mehr vor den Mund nahm und sagte, was er dachte.
Es war eine Blitzentscheidung von ihm gewesen, zum Hauptquartier zu kommen und er wusste, dass es gefährlich war, aber er wollte die Chance nutzen, endlich Tony alles erklären zu können. Außerdem würde es sicher von Vorteil sein, wenn alle aus seinem Team wussten, dass er noch lebte.

„Oh Gott, weiß es Tony schon?!" rief Abby aufgeregt und ließ Gibbs wieder los, umfasste ihn aber bei den Schultern. „Er wird ausflippen, wenn er das erfährt!" Ein Schatten huschte über Jethros Gesicht und das Lächeln verschwand von seinen Lippen. Ein trauriger Ausdruck erschien in seinen Augen und er versuchte sich den Schmerz, den er gestern empfunden hatte und der jetzt wieder zurückkehrte, als ihn Anthony Bastard genannt hatte, nicht anmerken zu lassen, aber es war zu spät.
„Tony weiß es bereits", sagte er ungewohnt leise und trat einen Schritt zurück, sodass Abbys Hände von seinen Schultern rutschten. Sie verzog ihre dunkel geschminkten Lippen und legte ihren Kopf schief. „Oh oh. Das klingt nicht gut." „Es ist auch gar nicht gut. Ausgeflippt ist nicht einmal das richtige Wort, wie er reagiert hat." Gibbs lehnte sich gegen ihren Schreibtisch und umfasste die Kante so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. „Er hat mir buchstäblich die Hölle heiß gemacht, als er erfahren hat, dass ich…" Er brach ab, weil er nicht auch noch Abby gegen sich aufbringen wollte, aber sie hatte bereits einen unergründlichen Gesichtsausdruck aufgesetzt, der ihm verriet, dass sie so lange nachbohren würde, bis sie alles wusste.
„Dass du was?" fragte sie und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Jethro schüttelte kurz seinen Kopf und fügte sich in sein Schicksal. Er hatte von Anfang an gewusst, dass es nicht leicht sein würde, allen die Wahrheit zu sagen, aber da musste er jetzt durch. „Dass ich meinen Tod nur vorgetäuscht habe, Abbs. Für einen Undercoverauftrag", fügte er leise hinzu und zum ersten Mal versuchte er ihrem Blick auszuweichen, wollte nicht die aufsteigende Wut in ihren Augen sehen. Er wartete bereits auf das Donnerwetter, das die junge Goth über ihm entladen würde, aber alles blieb still, nur ihre schreckliche Musik war zu hören.
Es vergingen ein paar Sekunden, bevor er es wagte, seinen Blick zu ihr zurückschweifen zu lassen und sah sich einer Forensikerin gegenüber, die ihre Hände in die Hüften gestemmt hatte und ihn streng ansah, wobei sie ihre Lippen leicht gespitzt hatte. „Ich hoffe, du hast für dein Verhalten einen triftigen Grund, Leroy Jethro Gibbs", sagte sie gefährlich ruhig und kam ganz nahe an ihn ran. Wegen ihrer Plateaustiefel waren sie auf Augenhöhe, trotzdem fühlte er sich auf einmal ganz klein.
„Weißt du überhaupt, was wir in den letzten Tagen deinetwegen durchgemacht haben? Was Tony durchgemacht hat? Er war am Boden zerstört und nur der Wille, deinen… Mörder zu finden, hat ihn aufrecht gehalten. Ich dachte, es müsse eine Ewigkeit dauern, bis ich wieder halbwegs den fröhlichen Sunnyboy wiederhabe. Er hat so viel gelitten und…" „Glaub mir, ich mache mir deswegen schon genug Vorwürfe", unterbrach Gibbs Abbys Redefluss und richtete sich ein wenig auf, damit er wenigstens einen Zentimeter größer war. „Mir ist es nicht leicht gefallen, diese Entscheidung zu treffen, eben weil ich gewusst habe, was ich damit anrichte. Aber ich…"
Das Zischen der Tür ließ ihn mitten im Satz innehalten und er und die junge Goth wandten ihre Köpfe der Geräuschquelle zu und sahen sich McGee und Ziva gegenüber, die wie vor eine unsichtbare Mauer geprallt ruckartig stehen blieben und zu ihnen blickten, als ob sie Geister vor sich hätten. Tim klappte der Mund auf, während die Israelin große Augen bekam und nicht wusste, was sie mit der ganzen Situation anfangen sollte.

„Gibbs?" brachte sie schließlich hervor, während McGee ihn weiterhin seltsam anstarrte, aber sein Hals langsam rot wurde. „Du lebst?" fragte der Jüngere atemlos, blickte von Abby zu Ziva und zurück zu Jethro, dem nicht ganz wohl in der Haut war. Tim war offensichtlich dabei, wütend zu werden. „Jetzt verstehe ich auch, weshalb sich Tony so seltsam benommen hat", meinte Ziva und trat ein paar Schritte vor. „Warum er vorhin so zornig zu Jen gerauscht ist, völlig durch den Wind gewesen ist und unbedingt mit Ducky reden wollte. Er weiß es, nicht wahr?" Ihre Stimme war vollkommen ruhig und von allen schien sie am wenigsten überrascht zu sein, ihren Boss lebend wiederzusehen.
Gibbs nickte nur, behielt aber McGee im Auge, der seinen Mund endlich geschlossen hatte und langsam auf ihn zukam, mit einem Gesichtsausdruck, den er bei ihm noch nie wahrgenommen hatte. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was du angerichtet hast?" zischte er beinahe und er schien vollkommen vergessen zu haben, dass er seinen Vorgesetzten vor sich hatte. McGee spürte, wie seine Eingeweide anfingen zu brodeln, wie er dabei war, richtig wütend zu werden, auf den Mann, der ihm so viel beigebracht hatte, auf den Mann, der Tony in den letzten sieben Monaten so glücklich gemacht und ihm schließlich so weh getan hatte. Für ihn war offensichtlich, warum Gibbs noch lebte – auch wenn er es noch nicht richtig glauben konnte - und gerade das machte es für ihn derart schlimm.

„McGee", sagte Abby und versuchte ihn aufzuhalten, indem sie ihm am Arm packte, aber er riss sich sofort wieder los. „Nein, Abbs. Du hast nicht Tony heulend in einem Verhörraum vorgefunden", meinte er ziemlich laut und blickte die geschockte Forensikerin an – sie hatte immerhin bis jetzt nichts von dem Vorfall am Dienstag gewusst. Jethro hingegen fühlte sich, als hätte jemand einen Kübel eiskaltes Wasser über seinem Kopf ausgeleert als unwillkürlich das Bild eines weinenden Anthonys in seinem Gehirn aufstieg – sein Gesicht verdüsterte sich und ihn seinen Augen glomm Schmerz auf.
„Er hat sich dort verkrochen, als er erfahren hat, dass am Donnerstag die Beerdigung stattfinden wird! Ich habe ihn gefunden, als er wie ein Häufchen Elend in der Ecke gekauert, sich die Augen aus dem Kopf geheult und nicht mehr ein und aus gewusst hat! Ich hatte Angst, anfangs auch nur etwas zu sagen, da ich dachte, ich würde nur noch alles schlimmer machen! Tony ist mein Freund, Gibbs, und ich habe es gehasst, ihn so zu sehen, völlig am Boden zerstört! Und jetzt stellt sich heraus… stellt sich heraus, dass du nur deinen Tod vorgetäuscht hast! Ich dachte, ich kenne dich, aber das…!" „Es reicht, Agent McGee!" unterbrach Jen den aufgebrachten jungen Mann, der während seiner Tirade leicht rot angelaufen war und jetzt den Mund widerwillig zumachte, als die Direktorin auf die kleine Gruppe zukam, sich aber nur auf Jethro konzentrierte, der sich wünschte, im Moment irgendwo anders zu sein. Aber hatte er etwas anderes erwartet? Es war doch klar gewesen, dass sie auf ihn losgehen würden wie eine Schar Wespen auf süßen Honig. Sie alle hatten mitbekommen, wie schlecht es Tony die ganze Zeit gegangen war und er war schuld daran. Aber er hoffte noch immer, dass sich die Gemüter ein wenig beruhigen würden, wenn alle den Grund erfuhren, weshalb er das gemacht hatte.

„Bist du auch hier, um mit mir zu schimpfen?" fragte er Jen eine Spur zynisch und blickte sie herausfordernd an. Diese schüttelte leicht ihren Kopf und blieb vor ihm stehen, sodass McGee ausweichen musste, wollte er der Direktorin nicht in die Quere kommen. „Nein, das will ich nicht. Das hat bereits jemand anderes erledigt, aber ich kann dir sagen, dass ich enttäuscht von dir bin, Jethro. Ich habe dir von Anfang an verboten, vor allem Agent DiNozzo einzuweihen. Was passiert, wenn Darien erneut anfängt, herumzuschnüffeln? Meinst du nicht, er wird den Braten riechen?" „Wer ist Darien?" fragte Abby neugierig und blickte von einem zum anderen.
„Das würde ich auch gerne wissen", erklang eine weitere Stimme von der Tür aus und ließ alle herumfahren. Gibbs' Herzschlag setzte für einen kurzen Moment aus, nur um doppelt so schnell wieder weiterzuschlagen. Vor ihnen stand Tony, die Arme vor der Brust verschränkt und sah seinen Freund durchdringend aus seinen grünen Augen an. Zu Jethros großer Erleichterung war er sichtlich ruhiger als noch gestern Abend und er wertete das als gutes Zeichen. Er spürte, wie ihn eine Welle der Zärtlichkeit überrollte und am liebsten wäre er einfach zu Anthony gegangen und hätte ihn fest umarmt, aber er wusste, es wäre das Unklügste, was er in diesem Moment machen konnte.
Hinter Tony stand Ducky und für eine Sekunde tauschten sie einen Blick. Er war beruhigt, dass in dessen Augen keine Wut glitzerte. Der Pathologe hob überrascht seine Augenbrauen, als er Dariens Name vernahm, immerhin hatte er diesen persönlich gekannt, war dabei gewesen, als Gibbs die Nachricht von seinem Tod erhalten hatte. Aber gleich darauf konzentrierte sich Gibbs wieder auf Anthony, der ihn weiterhin ansah und zum Glück keine Anstalten machte, ihm erneut die Leviten zu lesen. Die Hoffnung, dass noch nicht alles verloren war, keimte in ihm auf und er spürte instinktiv, dass er endlich die Möglichkeit erhielt, seinem Freund alles zu erklären – und vielleicht würde sich danach alles zum Guten wenden.

Fortsetzung folgt...
Chapter 36 by Michi
Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller auf mich gezogen - ich kam mir unwillkürlich so vor, als ob mich ein heller Scheinwerfer anstrahlen würde. Es war mir trotz allem nicht leicht gefallen, in die Forensik zu kommen, das hatte alleine schon mein Zögern bewiesen, als ich den Knopf im Fahrstuhl für das richtige Stockwerk gedrückt hatte. Ducky war das nicht entgangen, hatte aber nichts gesagt und auch nicht die Aufgabe, die Etage auszuwählen, übernommen. Er hatte es mir überlassen, wusste er doch, dass ich den Schritt übernehmen musste und schlussendlich hatte ich es geschafft, wenn auch nur schwer – wusste ich doch, wer im Labor auf mich warten würde. Ich konnte nicht umhin, doch ein wenig Angst vor der Erklärung zu verspüren. Immerhin hing immens viel davon ab und diese würde entscheiden, wie es mit Gibbs und meiner Beziehung weitergehen sollte. Ich hoffte noch immer, dass es ein Grund war, den ich verstand und der mir sein Handeln näher brachte.
Und jetzt stand ich da, in der Forensik, mit vor der Brust verschränkten Armen und fragte mich genauso wie Abby, wer Darien war. Diesen Namen hatte ich noch nie gehört, aber er musste der Anlass sein, warum Jethro den Undercoverauftrag angenommen hatte und bei dem er sich eingeschleust hatte, nicht umsonst hätte Jen die Befürchtung geäußert, dieser würde den Braten riechen, wenn er wieder anfing, herumzuschnüffeln. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass Gibbs in Gefahr war, da er mir gesagt hatte, dass er noch lebte. Aber warum hatte er das gemacht, bevor der Auftrag zu Ende war? Wieso ging er das Risiko ein, aufzufliegen, wo er doch anscheinend wusste, welche Konsequenzen sein Handeln hatte? Ich hoffte, dass ich auch dafür eine Erklärung erhalten würde.

Ich ließ meinen Blick über alle Anwesenden schweifen, die sich um Jethro gruppiert hatten. Jen stand direkt bei ihm, die Hände in die Hüften gestemmt und schien noch immer wütend darüber zu sein, dass jetzt sämtliche Teammitglieder wussten, dass ihr Boss noch am Leben war – geschweige denn, dass ich von der Affäre der beiden im Bilde war.
Abby wirkte erfreut, dass sie ihren silberhaarigen Fuchs wieder hatte und der neugierige Ausdruck, der sich auf ihrem Gesicht breit gemacht hatte, als sie den Namen Darien gehört hatte, war weiterhin präsent. Ziva befand sich ein wenig abseits und beobachtete das Geschehen. Von allen Beteiligten wirkte sie am Ruhigsten und ich wünschte mir, ich könnte genauso alles lässig sehen. Aber ich hatte mir ihre Reaktion auch gar nicht anders vorgestellt. Sie hatte eine Ausbildung beim Mossad und war bestens mit Undercovereinsätzen vertraut und dass man dafür hin und wieder seinen Tod vortäuschen musste. Vielleicht hatte sie in der Vergangenheit selbst einmal diese Erfahrung gemacht, weshalb sie für die Situation Verständnis aufbrachte.
Meine Augen wanderten weiter zu McGee, der seine Hände in seinen Hosentaschen vergraben hatte und wütend Gibbs betrachtete. Seine Wangen hatten eine leichte rote Farbe und mich hätte es nicht gewundert, wenn die Blitze, die aus seinen Augen sprühten, meinen Freund getroffen hätten. Von allen hatte er am meisten mitbekommen, wie schlecht es mir in den vergangenen Tagen gegangen war, alleine schon deswegen, weil er mich im Verhörraum gefunden hatte, wie ich kurz davor gewesen war, einfach alles aufzugeben. Er hatte mich wieder aufgebaut, hatte mir versichert, dass ich stark genug war, um das zu überstehen und es hätte mich ziemlich gewundert, hätte er die Tatsache, dass Gibbs noch am Leben war, ruhig hingenommen. Unwillkürlich stieg unglaubliche Dankbarkeit in mir auf und ich verspürte sogar eine Spur Zuneigung zu dem Mann, den ich anfangs immer gehänselt hatte, der aber mittlerweile ein wirklich guter Freund geworden war.
Und schließlich blickte ich zu Jethro, der inmitten der kleinen Gruppe stand und mich über die Köpfe aller fixierte. Die Erleichterung, die er empfand, dass ich ihn nicht sofort wieder anschrie, war deutlich greifbar und in seinen Augen lag der mir bekannte liebevolle Ausdruck, der ausreichte, um meine Knie weich werden zu lassen. Obwohl unter meiner Oberfläche weiterhin Wut brodelte, so konnte ich nicht umhin, dass mich eine Welle der Sehnsucht überrollte, als ich ihn so vor mir stehen sah, in einer Jeans und einem weißen Hemd, das ihm ein lockeres Aussehen verlieh. Mein Herz sagte mir, dass ich auf ihn zugehen und ihn fest umarmen sollte, aber mein Verstand war da anderer Meinung. Dieser wollte endlich den Grund erfahren, warum ich so leiden hatte müssen – und es in gewisser Weise immer noch tat.
Aber ich erkannte, dass die Wut, die gestern und auch heute Morgen in mir gekocht hatte, gesunken war und ich wusste, dass das Duckys Verdienst war. Ich hatte keine Ahnung, ob ich jetzt hier stehen würde, wenn ich nicht zuvor mit ihm geredet und er mir nahe gelegt hätte, mir Gibbs' Erklärung anzuhören. Zusätzlich hatte die Anwesenheit des Pathologen eine beruhigende Wirkung auf mich, weswegen ich mich schließlich in Bewegung setzte und näher an die kleine Gruppe herantrat.
Abby blickte zwischen meinem Freund und mir hin und her und sie schien die Spannung zwischen uns förmlich zu spüren, da die Neugierde aus ihrem Gesicht verschwand und einem leichten Stirnrunzeln Platz machte. Aber sie schien keineswegs überrascht zu sein, dass dicke Luft herrschte, also wusste sie davon, dass ich gestern Gibbs so manche Sachen an den Kopf geworfen hatte. Jetzt, wo ich wieder logischer denken konnte, tat es mir sogar ein wenig leid, dass ich ihn als Bastard bezeichnet hatte. Aber in meiner grenzenlosen Wut hatte ich ihm einfach genauso weh tun wollen wie er mir und dies war sicherste Weg gewesen, es zu machen. Aber jetzt war es zu spät es zurückzunehmen, genauso wie es zu spät war, den Einsatz rückgängig oder die letzten Tage ungeschehen zu machen.

„Wieso hast du vorhin nichts gesagt?" fragte mich McGee eine Spur vorwurfsvoll und verschränkte seinerseits die Arme vor der Brust. Das Rot in seinem Gesicht wurde weniger, hinterließ aber weiterhin ein helles Rosa. „Ich wusste nicht wie", antwortete ich ehrlich, behielt aber Jethro im Auge, der sich gegen Abbys Schreibtisch lehnte und ständig den Eindruck machte, irgendetwas sagen zu wollen. „Ich dachte, es wäre besser, wenn ihr es selbst seht." „Und hast uns dabei ins offene Messer laufen lassen. Ich hatte für ein paar Sekunden das Gefühl, ein Gespenst vor mir zu haben", meinte Ziva, klang dabei aber nicht so vorwurfsvoll wie Tim. „Das dachte ich gestern auch", erwiderte ich leise und blickte Gibbs an, der bei meinen Worten leicht zusammenzuckte.
Es war irgendwie seltsam, dass er auf einmal wieder bei uns war, hier im Labor stand, als ob er nie weggewesen wäre. Nach fünf qualvollen Tagen war das Team erneut vollständig und hatte ihren offiziellen Leiter zurück. Es machte mir nichts aus, auf den Posten des Senior Field Agents abgeschoben zu werden, wobei es mir momentan schwer fiel, überhaupt an die Arbeit zu denken. Noch waren wir meilenweit davon entfernt, in den Alltag zurückzukehren und vieles hing auch davon ab, was ich in Kürze erfahren würde. Im Prinzip hielt Gibbs unsere Zukunft in Händen und er war sich dessen unbestreitbar bewusst.
„Also, wer ist denn nun Darien?" fragte Abby und die Neugierde war auf ihr Gesicht zurückgekommen. Jetzt, wo sie eingesehen hatte, dass sie keine Zeugin einer herzzerreißenden Versöhnungsszene wurde, lehnte sie sich neben Jethro an den Tisch und blickte ihren Boss wissbegierig an. Dieser seufzte kurz und sah zu Jen, so als ob er sich von ihr die Erlaubnis holen wollte, um darüber sprechen zu dürfen. Aber ich wusste, würde sie den Kopf schütteln, hätte er trotzdem eine Erklärung abgegeben. Er hatte sich ihr gestern und auch heute bereits widersetzt, indem er mich in den Park gelotst hatte und hierher gekommen war.
„Darien ist der Kopf einer Verbrecherbande, deren Mitglieder offiziell für tot erklärt worden sind", begann er und blickte dabei mich an, so als ob er nur mit mir reden und die anderen gar nicht mehr wahrnehmen würde. „In vier Tagen soll ein Anschlag auf ein noch unbekanntes Ziel stattfinden, wenn nicht bis dahin 50 Millionen gezahlt werden. Die einzige Chance, um dieses Ziel zu erfahren, war, jemanden einzuschleusen." „Und das musstest ausgerechnet du sein?" rutschte es mir unwillkürlich heraus und ich verschränkte erneut meine Arme vor der Brust. „Hätte es keinen anderen Agent gegeben, der das übernehmen konnte? Oder wollte die Direktorin den Besten für diesen Job haben?" „Agent DiNozzo…" begann diese gefährlich ruhig, wurde aber von Jethro wirsch unterbrochen, der sich aufrichtete und dabei eine Spur bedrohlich wirkte. Mein Herz begann schneller zu schlagen, aber nicht, weil ich Angst vor ihm hatte, sondern weil er auf einmal unglaublich sexy war.
„Diesen Auftrag hätte auch jemand anderes machen können", sagte er und seine Worte versetzten, obwohl ich mit ihnen gerechnet hatte, einen schmerzhaften Stich. „Aber ich wollte ihn selbst übernehmen, weil…" Er seufzte ein zweites Mal, straffte seine Schultern und blickte an mir vorbei zu Ducky, der sich bis jetzt ruhig verhalten hatte. „Es gibt da dieses Versprechen", meinte er mehr zu dem Pathologen als zu uns anderen und auf dessen Gesicht trat innerhalb des Bruchteils Verständnis. Die beiden schienen auf einmal ein Geheimnis zu teilen, das niemand sonst kannte.
„Jethro, willst du damit sagen, dass Darien…?" begann Ducky, ließ die Frage aber in der Luft verklingen, als er ein Kopfnicken erhielt. Traurigkeit breitete sich auf seinen Zügen aus und ich konnte verwirrter nicht sein. „Könnte uns vielleicht jemand einweihen?" wollte McGee ungeduldig wissen und unterbrach somit den Blickkontakt zwischen Gibbs und dem Pathologen, der sich räusperte: „Nun, meine Lieben, ich habe da ein starkes Verlangen nach einer Tasse Tee. Und ich bin mir sicher, dieser wird sich hervorragend dazu eignen, eine Geschichte zu erzählen, die ein wenig Licht in diese Angelegenheit bringen wird."
Ich wusste sofort, was er damit bezweckte und die leichte Panik von vorhin kam zurück. Wie konnte er mir das nur antun? Wieso ließ er mich mit Jethro alleine in der Forensik zurück? Obwohl die Räumlichkeiten groß waren, so würden sie mir doch viel zu klein vorkommen. Ich brauchte doch wenigstens ein wenig Unterstützung. „Wer will noch einen Tee?" fragte Ducky und blickte erwartungsvoll von einem zum anderen. Bei Abby fiel als erster der Groschen und sie hüpfte auf den älteren Mann zu. „Ich, Duckman. Hast du auch welchen mit CafPow Geschmack?" „Nun, meine liebe Abigail, ich fürchte, den muss man noch erfinden. Aber ich hoffe, Earl Grey tut es auch." „Das hört sich doch gut an", meinte Ziva und nahm McGee am Arm, der noch immer ein wenig auf dem Schlauch stand, bis er bemerkte, dass es darum ging, dass Gibbs und ich alleine reden konnten.
„Direktor? Ich bin mir sicher, Sie können mir beim Erzählen helfen", sagte der Pathologe und ich wusste, Jen passte es überhaupt nicht, die Forensik zu verlassen, andererseits erkannte sie, dass sie nur stören würde. Mit einem letzten Blick auf Gibbs ging sie voraus, gefolgt von den anderen. Abby blieb noch kurz bei mir stehen und flüsterte in mein Ohr: „Hals und Beinbruch." Dann war auch sie verschwunden und zurück blieben Jethro, ich und eine wirklich grausige Musik, die ich erst jetzt bemerkte, die aber das drückende Schweigen zwischen uns ein wenig lockerte, weshalb ich sie auch nicht ausschaltete.

Gibbs lehnte sich wieder an Tisch mit dem Computerbildschirm und seine blauen Augen bohrten sich förmlich in meine. In ihnen lagen Hoffnung, Traurigkeit, Liebe, Zärtlichkeit und Verzweiflung – Gefühle die ich nur zu gut kannte, hatte ich sie doch selbst durchgemacht. Meine Knie wurden weich wie Butter und ich spürte, wie ich ein wenig schwach wurde. Ich war noch immer wütend auf ihn, dennoch konnte ich nicht leugnen, dass ich mich nach ihm sehnte, nach seiner Umarmung und Berührung, geschweige denn nach seinen Lippen. Unser letzter Kuss schien Lichtjahre zurückzuliegen und für einen Moment wollte ich meiner Sehnsucht einfach nachgeben, stattdessen ging ich auf den Tisch zu, wo am Dienstag noch die Überreste des Motors verteilt gewesen waren, setzte mich darauf und wartete, dass ich endlich eine Erklärung bekam.
„Tony", sagte er und mein Name strich wie eine Liebkosung über meine Haut, ließ mich erschauern. Es war offensichtlich, dass er nicht wirklich wusste, wo er anfangen sollte und bevor wir noch morgen am selben Fleck standen und uns gegenseitig musterten, übernahm ich die Initiative. „Also, was ist das für ein Versprechen?" fragte ich schließlich ruhig und merkte, wie sich Jethro ein wenig entspannte, aber gleichzeitig die Traurigkeit in seinem Blick stärker wurde. „Ich nehme an, dass es der Grund ist, warum du das alles machst, richtig?" Er nickte zur Bestätigung und seufzte ein drittes Mal.
„Vor etwa fünf Jahren gab es eine Explosion in einem Einkaufszentrum, bei dem hunderte von Menschen ums Leben gekommen sind", begann er mit ungewohnt leiser Stimme und ich versteifte mich unwillkürlich. „Ich habe davon gelesen. Damals war ich noch in Baltimore und es wurde mindestens eine Woche im Fernsehen gezeigt. War dieser Darien verantwortlich?" Ich spürte, wie die Neugier gegenüber der Wut Oberhand gewann und ich wurde ein wenig ungeduldig. „Ja, das war er, Tony, aber das ist nicht der Grund, warum ich dir das angetan habe." Er holte tief Luft und auf einmal schien sämtliche Spannung aus seinen Schultern zu weichen. „Bei dieser Explosion… also, ich hatte einen Neffen, sein Name war James Jr. und… er war erst zwölf Jahre alt, Tony. Ein aufgeweckter Junge und ich habe ihn vergöttert. Ich habe gehofft, dass er entkommen ist, aber… sie haben seine Leiche etwa 17 Stunden nach der Explosion gefunden."
Seine Worte waren mit so einer Traurigkeit ausgesprochen, dass sie mich mitten in mein Herz trafen. Ich konnte nicht anders, als ihn stumm anzusehen, während er vor mir stand und voller Bitterkeit war. Mit allem hatte ich gerechnet, mit jeder Erklärung, aber nicht mit dieser. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass wir noch nie über seine Familie geredet hatten und mir wurde klar, warum er geschwiegen hatte. Weil die Erinnerungen zu schmerzhaft waren, um sie ans Tageslicht zu holen und ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie es für Jethro gewesen sein musste, am Samstag zu erfahren, dass der Schuldige endlich einen Namen hatte. Unwillkürlich stieg Mitleid in mir auf, aber ich unterdrückte es, da ich wusste, es war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte.
„Meine Schwester war am Boden zerstört", fuhr er mit etwas kräftigerer Stimme fort, da ich nichts sagte, sondern ihn nur anblickte. „Sie hatte bereits ihren Ehemann verloren und dann, ein paar Jahre später, auch noch ihren Sohn. An diesem Tag ist für uns beide eine Welt zusammengebrochen, für Jamie allerdings eine viel größere. Ein Kind zu verlieren… es gibt nichts Schlimmeres." Ein weiterer trauriger Schatten huschte über sein Gesicht und ich stellte erschrocken fest, dass seine Augen feucht glitzerten. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ich spürte, wie meine Wut auf Gibbs immer mehr verrauchte, als ich das Ausmaß erkannte, als ich registrierte, weshalb er diesen Auftrag angenommen hatte.
„Jamie hat mich gebeten ihr etwas zu versprechen." „Und das war, den Verantwortlichen zu finden, oder?" fragte ich leise und wurde mit einem Kopfnicken belohnt. „Weiß sie schon, wer…?" „Sie hat sich umgebracht, Tony, etwa zehn Monate nach James' Tod. Sie hat sich nie davon erholt, ihren Sohn verloren zu haben." Gibbs fuhr sich über seine Augen und richtete sich ein wenig auf und ich merkte, wie wieder etwas Spannung in seine Muskeln zurückkehrte.

Ich saß da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Hier hatte ich sie also, die Erklärung, warum er unbedingt selbst den Auftrag übernehmen hatte wollen, warum er diesen Darien zur Strecke bringen wollte. Und ich hatte meinen Freund noch nie so gesehen, so traurig und voller Gram seine Familie verloren zu haben. In der Nacht war ich noch unzählige Varianten durchgegangen, hatte mir überlegt, welchen Grund er hatte, mir weh zu tun, aber dass er durch Darien seinen Neffen und indirekt auch seine Schwester verloren hatte… nicht einmal im Traum hatte ich diese Möglichkeit einkalkuliert. Ich verstand sogar ein wenig, warum ihm dieses Versprechen wichtiger war als ich, dennoch…
„Du hättest es mir sagen sollen", durchbrach ich schließlich unser Schweigen und ich spürte, wie die Wut wieder ein wenig zurückkehrte. Ich verstand Jethros Standpunkt, aber ich verstand nicht sein Handeln, ich verstand nicht, warum er einfach geschwiegen hatte, anstatt sich mir anzuvertrauen. „Ich hätte hervorragend den trauernden Freund spielen können! Verdammt, ich hätte dich unterstützt, wenn du mir am Samstag einfach nur die Wahrheit erzählt hättest!" „Ich weiß", erwiderte er eine Spur verzweifelt. „Aber wie Jen vorhin gesagt hat, hat Darien herumgeschnüffelt und ich hatte einfach Angst, er könnte es herausfinden. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen, Tony." „Ach ja? Und warum hast du dich dann doch entschlossen, mir vorzeitig zu sagen, dass du noch am Leben bist?" fragte ich ein wenig zynisch und verschränkte erneut die Arme vor der Brust. „Wenn du doch Angst davor hast, dass mir etwas passiert?" „Weil ich es nicht mehr ertragen habe können zu wissen, dass du meinetwegen so leidest. Seit Samstag renne ich mit dem Wissen herum, dass ich verantwortlich bin, dass es dir schlecht geht, dass du trauerst. Gott, Tony, es… es tut mir leid. Ich habe riesigen Mist gebaut und ich hätte es dir wirklich sagen müssen. Es tut mir so schrecklich leid. Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen."
„Dafür ist es wohl ein wenig zu spät, oder?" meinte ich dazu nur und glitt vom Tisch herunter. Ich wusste, es kostete ihn viel Überwindung sich zu entschuldigen, sah er so etwas normalerweise als Schwäche an, aber ich war noch nicht bereit dazu, diese zu akzeptieren. Ich hatte in den letzten Minuten so viel erfahren, dass mir der Kopf schwirrte und es wäre ein Fehler, ihm zu verzeihen, ehe ich alles durchdacht hatte, ehe ich damit klar kam, was zwischen uns vorgefallen war.

Auf Jethros Gesicht breitete sich Schrecken aus und er trat einen kleinen Schritt nach vorne. „Ich kann doch nicht mehr tun als mich zu entschuldigen. Soll ich etwa auf meine Knie sinken und dich anflehen?" Ich schüttelte den Kopf und brachte wieder etwas mehr Distanz zwischen uns. „Nein, Jethro, du kannst nichts anderes machen, als dich zu entschuldigen, aber ich kann sie nicht akzeptieren – noch nicht." „Tony…" „Weißt du, was mir seit gestern klar geworden ist? Wir sind doch das perfekte Beispiel für deine Regel Nummer 12. Liebe zwischen Kollegen… ich verstehe jetzt mehr denn je den Grund, warum du sie aufgestellt hast."
Zu dem Schrecken kam Panik dazu und Gibbs wirkte auf einmal verloren und ich konnte die Angst spüren, die von ihm ausging – Angst davor, was meine Worte bedeuten konnten. Mir tat es weh ihn so zu sehen, aber momentan konnte ich nicht anders.
„Das war es also?" fragte er mit ungewohnt schwacher Stimme. „Du willst einen Schlussstrich ziehen? Alles wegschmeißen, was wir uns gemeinsam aufgebaut haben?" „Ich bin nicht derjenige, der alles weggeschmissen hat – für einen Undercoverauftrag." „Du willst es also beenden?" Die Frage schwebte zwischen uns und damit verknüpft war eine folgenschwere Bedeutung. Ein einfaches Ja würde wirklich alles zu Nichte machen, ein Kopfnicken würde schon ausreichen, um unsere Beziehung in einen endgültigen Scherbenhaufen zu verwandeln und bei dem Gedanken daran zogen sich meine Eingeweide zusammen und mein Herz schrie förmlich vor Schmerz.

„Ich… ich weiß nicht, was ich will. Ich muss erst einmal mit allem klar kommen, alles durchdenken. Es tut mir wirklich leid, was du durchmachen musstest und ich kann dich verstehen, Jethro. Aber momentan ist mir das alles zu viel. In den letzten Tagen bin ich von einem Gefühlschaos ins Nächste gestürzt, ohne dass ich richtig zu Atem kommen konnte. Ich brauche ein wenig Zeit, um das alles zu verdauen, bevor ich wirklich weiß, wie es weitergehen soll." „Tony, bitte…" „Es tut mir leid, Jethro." Mit diesen Worten drehte ich mich um, ließ ihn stehen und ging zur Tür, aber bevor sie sich zischend öffnen konnten, hielt ich inne, als ich seine Worte vernahm, die mich beinahe zum Umkehren bewegt hätten.
„Ich liebe dich, Tony." Ich verharrte reglos, meine Hände zu Fäusten geballt und mein Herz klopfte wie verrückt. Vier Worte, die so viel bedeuteten und von denen ich gedacht hatte, sie nie wieder zu hören. Die Sehnsucht wurde größer und ich verspürte den fast unwiderstehlichen Drang, ihn zu umarmen und zu trösten, ihm das Leid abzunehmen, das entstanden war, als er seine Familie verloren hatte. Aber gleichzeitig riet mir mein Verstand, einfach weiterzugehen, daran zu denken, was er mir angetan hatte, dass ich es gewesen war, der in den letzten Tagen so gelitten hatte.
Einfach so umzudrehen und ihm zu verzeihen, ohne mit den neuen Tatsachen zurecht zu kommen, wäre ein Fehler und diese konnten sich verheerend auswirken. Ich musste alleine sein, musste über alles nachdenken, bevor ich eine endgültige Entscheidung treffen konnte.
Es kostete mich viel Überwindung, aber schließlich setzte ich einen Fuß vor den anderen und ließ Jethro alleine in der Forensik zurück. Die Türen öffneten sich und ich trat auf den Gang hinaus, wo vor dem Fahrstuhl eine kleine neugierige Gruppe stand – Ziva, McGee und Abby. Dass ich alleine aus dem Labor kam, war Zeichen genug und der hoffnungsvolle Ausdruck auf dem Gesicht der jungen Goth verschwand innerhalb einer Sekunde. „Ihr seid ja so stur!" rief sie und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie mir ihren Zeigefinger in die Brust gebohrt hätte. „Ducky hat uns alles erzählt, Tony und Gibbs… das muss ja schlimm für ihn gewesen sein und…" „Ich weiß, Abbs. Meinst du, ich kann nicht verstehen, was er durchgemacht hat, nachdem ich selbst die Erfahrung gemacht habe, wie es ist, um einen geliebten Menschen zu trauern." „Aber warum…?" „Weil ich erst einmal alles auf die Reihe bekommen muss, deswegen. Gestern noch dachte ich, ich hätte mich von ihm verabschiedet und heute… es ist mir ein bisschen zu viel auf einmal."
„Aber ihr seid doch noch zusammen, oder?" fragte Ziva und legte ihren Kopf schief. Ich blickte über meine Schulter und sah Jethro, der mit dem Rücken zu mir stand, seine Arme auf Abbys Tisch abgestützt hatte und seinen Kopf hängen ließ. Erneut durchfuhr mich unglaubliche Sehnsucht und ich war erneut versucht, ihr einfach nachzugeben. „Ja, wir sind noch zusammen", antwortete ich leise und drehte mich wieder zu der kleinen Gruppe um. „Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt nach Hause fahre. Ich muss ein wenig alleine sein." „Ruf an, falls du etwas brauchst", sagte McGee und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Ich nickte, drückte auf den Knopf für den Fahrstuhl, dessen Türen sich sofort öffneten. Ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen, betrat ich die Kabine und schloss meine Augen, als sich die Türen wieder schlossen.
In meinem gesamten Leben war ich noch nie so ratlos gewesen und ich wusste noch immer nicht, was ich machen sollte. Ich hatte gedacht, Gibbs' Erklärung würde mir einen Weg weisen, stattdessen stand ich weiterhin vor einer Weggabelung – die eine Richtung führte mich zu einem Leben ohne Jethro, die andere brachte mich geradewegs in seine Arme zurück. Nur, welche war die Richtige?

Fortsetzung folgt...
Chapter 37 by Michi
Die Schatten in Gibbs' Bootskeller wurden länger, als die blasse Wintersonne ihren höchsten Punkt erreichte und sich wieder langsam gegen den Horizont neigte. Es war Nachmittag, nur ein paar Stunden nach seinem Gespräch mit Tony in der Forensik, dennoch kam es ihm wie eine Ewigkeit vor. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er gehofft, dass danach alles gut werden würde, dass ihn Anthony in die Arme schließen und ihn zum Zeichen, dass er ihm verziehen hatte, küssen würde. Er hatte es nicht für möglich gehalten, sich so sehr nach nur einem einzelnen Kuss zu sehnen, er wollte die weichen Lippen wieder spüren, wollte wissen, wie es war, wieder zu leben.
Jethro war richtig erleichtert gewesen, als sich Tony so bereitwillig auf den Tisch gesetzt hatte, um ihm zuzuhören, um sich endlich die Erklärung geben zu lassen, die er bereits gestern gerne von sich gegeben hätte. Nach dem Fiasko des vorherigen Abends hatte es eigentlich nicht mehr schlimmer kommen können, er hatte in seiner sonst nie vorhandenen Naivität geglaubt, dass nach dem tiefen Fall endlich ein Aufstieg erfolgte – aber nichts dergleichen war geschehen.
Sicher, Tony hatte ihm ruhig zugehört und Gibbs hatte gesehen, wie sehr es seinem jungen Freund zugesetzt hatte zu erfahren, was Jethros Schwester und seinem Neffen zugestoßen war. Keine Spur von Mitleid war in den grünen Augen aufgeblitzt, sondern nur Verständnis – es war gerade das gewesen, was ihn wieder aufgebaut hatte. Bis Anthony gesagt hatte, dass es zu spät war, um alles rückgängig zu machen. Er hatte bereits da gemerkt, dass seine Träume von einem versöhnenden Kuss zerstört worden waren.
Und dann die Bemerkung über Regel Nummer 12… in diesem Moment hatte er gedacht, in ein Loch zu fallen, als er die Bedeutung hinter den Worten verstanden hatte. Liebe zwischen Kollegen… war er vielleicht dazu verdammt, dass das nie funktionierte? Bereits bei Jen hatte sich herausgestellt, dass eine Affäre zwischen Mitarbeitern nicht gut gehen konnte, auch wenn es sich zu dem damaligen Zeitpunkt richtig angefühlt hatte. Und genauso war es jetzt mit Tony. Gibbs hatte gedacht, sie könnten es auf die Reihe bekommen, Berufliches von Privatem zu trennen, die Arbeit hinter sich lassen, wenn sie über die Schwelle des Hauses traten – sei es Anthonys oder sein eigenes. Es hatte alles wunderbar geklappt, bis am Samstag, wo es unvermeidlich gewesen war, dass sich die Sachen nicht mehr trennen hatten lassen.
An diesem Tag hatte er wirklich Mist gebaut, wie er selbst zugegeben hatte. Er hätte nicht auf Jen hören sollen, indem er zugestimmt hatte, niemandem zu sagen, was er vorhatte, sondern sich von seinem Instinkt leiten lassen. Vieles wäre ihm erspart geblieben und er würde jetzt nicht alleine in seinem Bootskeller sitzen, während Tony irgendwo anders war und vielleicht darüber nachdachte, die Beziehung endgültig zu beenden.
Jethro hatte gedacht, ihm zu sagen, dass er ihn liebte, würde ihn zum Umkehren bewegen und erneut war Hoffnung in ihm aufgestiegen, als Anthony tatsächlich stehen geblieben war, nur für ein paar Sekunden, um anschließend einfach aus der Forensik zu gehen – ohne ein Wort zu sagen. In diesem Moment hätte er sämtliche Gerätschaften in Abbys Labor demolieren, hatte seiner Wut, versagt zu haben, freien Lauf lassen wollen, aber die Tatsache, dass er anschließend wirklich tot wäre, hatte ihn davon abgehalten.
Er hatte der Tür den Rücken zugekehrt, hatte nicht sehen wollen, wie sein Freund im Fahrstuhl verschwand, um alles auf die Reihe zu bekommen, was er in nur wenigen Minuten erfahren hatte. Gibbs konnte es Tony nicht einmal verübeln, dass er derzeit nicht wusste, was er machen oder glauben sollte. Dieser war unbestreitbar von einem Gefühlschaos in das nächste gestürzt: grenzenloses Glück noch am Samstag, gefolgt von tiefer Trauer und unendlichem Schmerz, abgelöst von kurzer Freude und schließlich unbändige Wut. Und schließlich hatte er den Grund erfahren, warum er so leiden hatte müssen und der Schmerz, der weiterhin in den grünen Augen allgegenwärtig war, hätte ihn beinahe dazu gebracht, seinen Freund ganz fest in die Arme zu schließen, um ihm tausend Mal zu sagen, wie leid es ihm tat.

Nachdem Anthony gegangen war, hatte er sich schrecklich alleine gefühlt, ungeachtet der Tatsache, dass nicht einmal eine Minute später Abby, gefolgt von McGee und Ziva, hereingekommen war, um ihn fest zu umarmen und ihm zu sagen, wie leid ihr die ganze Sache täte. Gegen seine Gewohnheit dürfte sich Ducky in seinen Erzählungen relativ kurz gefasst haben und er war ihm deswegen ein wenig dankbar. Die kurze Ablenkung, die ihm die junge Goth gegeben hatte, hatte ihn davor bewahrt, sich gehen zu lassen und die Hoffnung vollends aufzugeben.
Noch dazu hatte sich kurz darauf McGee für seinen Ausbruch entschuldigt und beschämt zu Boden geblickt, obwohl ihm weiterhin anzusehen gewesen war, dass er es nicht richtig fand, was Gibbs getan hatte. Nur die Zuversicht Abbys, die gemeint hatte, Tony bräuchte bloß ein wenig Zeit, um sich alles durch den Kopf gehen zu lassen, hatte sich nicht wirklich auf ihn übertragen. Wenn die Beziehung tatsächlich vor dem Aus stand, war er auch noch selbst schuld.
Anthony bedeutete ihm mehr als alles andere auf dieser Welt und er hatte keine Ahnung, wie er es überleben sollte, wenn er ihn auch noch verlieren sollte. Jethro hatte es irgendwie geschafft, mit dem Tod von Shannon und Kelly zurecht zu kommen, hatte schweren Herzens akzeptiert, dass ein paar Jahre später James Jr. und Jamie von ihm gegangen waren und wäre daran fast zerbrochen, hätte ihn Ducky nicht immer wieder vor dem Fall in das schwarze Loch bewahrt. Und in dieses würde er unweigerlich stürzen, sollte Tony mit den Worten, dass er einen Schlussstrich ziehen würde, zu ihm kommen. Diesmal würde ihn noch so viel Arbeit nicht vor dem Untergang retten. Es schmerzte bereits jetzt schrecklich nur daran zu denken, dass alles vorbei sein könnte, sieben Monate des reinsten Glücks einfach weggeworfen, durch seine eigene Dummheit. Würde die Beziehung untergehen, würde er mit untergehen – so wie ein Kapitän mit seinem sinkenden Schiff.

Und jetzt war hier, in seinem Bootskeller, nachdem er noch Jenny gesagt hatte, dass er morgen erfahren würde, wo die nächste Bombe platziert werden sollte. Die Gelegenheit, noch einmal mit ihm in Abbys Labor sprechen zu können, hatte sie sich nicht nehmen lassen, um ihm die Leviten zu lesen, weil er Tony von ihrer früheren Affäre erzählt hatte. Ihre Tirade hatte er emotionslos über sich ergehen lassen, um sie anschließend einfach stehen zu lassen und das Hauptquartier zu verlassen, das Gebäude, in dem er sich in den letzten Jahren heimisch gefühlt hatte, das jetzt aber nur mehr aus Beton und Ziegeln zu bestehen und seine Freundlichkeit verloren zu haben schien.
Gibbs war direkt zu seinem Haus gefahren, in dem Bewusstsein, dass es durchaus gefährlich werden könnte, wenn Darien ihm immer noch nachschnüffelte, aber momentan war ihm das egal – alles war ihm egal. Was spielte es noch für eine Rolle, wenn sein alter Freund irgendwann dahinter kommen sollte, dass er ein falsches Spiel spielte? Wichtig war nur noch die Tatsache, dass er es versaut hatte und dabei war, Anthony zu verlieren.
Mit trübem Blick sah er sich in seinem Bootskeller um und die Vertrautheit des Ortes legte sich ein wenig wie Balsam auf seine Seele, die seit Stunden eine einzige klaffende Wunde war. Alles war normal, nichts hatte sich in seiner Abwesenheit verändert, abgesehen von ein paar Werkzeugen, die nicht an ihrem Platz waren und in einem kleinen Durcheinander auf der Werkbank lagen. Aber er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu ordnen, sondern sich an sein Boot gelehnt, die Augen geschlossen und sich einfach treiben lassen. Jethro hatte sich einfach seinen Gedanken überlassen, hatte es zugelassen, dass die glücklichen Erinnerungen aus seinem Unterbewusstsein auftauchten und er für kurze Momente vergaß, in welchem Schlamassel er steckte.
Irgendwann war er auf den Boden gesunken, hatte Tonys Foto aus seiner Brieftasche geholt und hatte das Gesicht betrachtet, das er so sehr liebte. An diesem Tag war nichts von dem breiten Lächeln zu sehen gewesen, geschweige denn das glückliche Funkeln in den grünen Augen. Eine Erinnerung nach der anderen hatte ihn überrollt, bis er erneut beinahe angefangen hätte, Tränen zu vergießen, so wie er es gestern im Park getan hatte. Obwohl er wusste, dass weinen keine Schwäche war, hatte er doch das Bild wieder verstaut und starrte seitdem auf die Wand seines Kellers, in der Hoffnung, in den Ritzen eine Lösung zu finden, die ihm den Weg zurück zu Tonys Herz weisen würde.

Gibbs war gerade dabei, den Weg einer großen Spinne zu verfolgen, die an der Mauer nach oben krabbelte, als er hörte, wie die Kellertür geöffnet wurde und gleich darauf Schritte auf der Treppe erklangen. Er musste nicht aufsehen, um zu erkennen, wer ihn besuchen kam – er wusste es instinktiv, bemerkte es an den Schritten, die Stufe für Stufe zu ihm herunterkamen.
„Bist du hier, um mir zu sagen, dass ich es versaut habe? Ich kann dir versichern, das weiß ich auch so", sagte er schließlich und behielt das Insekt im Auge, das gerade versuchte, in eine der Ritzen zu verschwinden, es aber nicht schaffte, da ihr Körper zu fett war. Für ein paar Sekunden herrschte Stille, schließlich setzte sich sein Besucher wieder in Bewegung und ging zur Werkbank, um dort seinen Hut abzulegen, gefolgt von dem hellbraunen Mantel, der seinen Platz auf dem einzigen Stuhl im Keller fand.
„Nun, Jethro, ich bin nicht hier, um dir zu sagen, dass du es versaut hast und ich werde dir auch nicht die Leviten lesen. Ich denke, das hat Tony bereits übernommen", erwiderte Ducky und erntete ein Schnauben. Der Pathologe lehnte sich an die Werkbank und blickte auf seinen Freund hinunter, der vollkommen verloren wirkte und wahrscheinlich eher unbewusst den silbernen Ring an seinem Finger hin und her drehte. Er hatte zuvor noch gar nicht bemerkt, dass er ihn wieder zurück hatte, was bedeutete, Anthony musste ihn ihm gegeben haben. ‚Wohl eher hingeworfen', fügte er in Gedanken hinzu und seufzte leise. Es war eine Qual, den beiden zuzusehen, wie sie sich gegenseitig Schmerzen bereiteten und um einander herumschlichen, anstatt einen Schritt nach vorne zu machen. Sicher, er verstand Tony durchaus, dass er verletzt war und dass er ein wenig Abstand brauchte, dennoch… Er konnte sehen, dass es beiden weh tat, getrennt zu sein, dass sie eigentlich einander brauchten, um diese Sache zu überstehen. In den letzten Tagen war so viel passiert und er hatte mitbekommen, wie der junge Halbitaliener gelitten hatte, wie die Wunden in seinem Inneren immer größer geworden waren und die Heilung für diese konnte er im Prinzip nur in den Armen seines Freundes finden.
Ducky hatte die beiden Sturköpfe schon einmal dazu gebracht, sich einzugestehen, dass es Liebe war, die sie für einander empfanden und sie in die richtige Richtung geschubst und jetzt würde er es wieder tun. Eher würde die Hölle zufrieren, als dass er zusehen würde, wie sich die beiden die Beziehung ruinierten, die sie so glücklich gemacht hatte.

Gibbs schüttelte leicht den Kopf, erhob sich ein wenig schwerfällig, nachdem er so lange auf dem Boden gesessen hatte und ging zu Ducky, um an ihm vorbei zu greifen und die Bourbonflasche aus dem Regal zu nehmen, die er immer dort aufbewahrte. Allerdings schraubte er nicht den Verschluss ab, um einen Schluck zu nehmen, so wie er es vorgehabt hatte, sondern betrachtete die bernsteinfarbene Flüssigkeit stirnrunzelnd. Komisch, so weit er sich erinnern konnte, war doch viel mehr in der Flasche gewesen, als er das letzte Mal hier gewesen war.
„Was ist denn damit passiert?" fragte er und wandte sich an Ducky, in dessen Augen ein wissender Ausdruck getreten war. „Wieso fehlt mehr als die Hälfte? Die Flasche war doch fast voll, als ich… nun ja, als ich gegangen bin." Er wollte die Worte, dass er seinen Tod vorgetäuscht hatte, nicht aussprechen. Der Pathologe räusperte sich ein wenig und blickte zum Boot, wo er am Sonntag Tony gefunden hatte, stockbetrunken und außer sich vor Trauer.
„Ich fürchte, der gute Anthony hat die Nachricht deines angeblichen Todes nicht sonderlich gut aufgenommen." Gibbs starrte seinen Freund für eine Sekunde fassungslos an, als er die Bedeutung hinter dem Satz erfasste. „Tony hat das getan?" fragte er nach, nicht sicher, ob er es richtig verstanden hatte. „Aber er mag doch gar keinen Bourbon." „In diesem Falle hat er wohl eine Ausnahme gemacht. Es hat mich große Mühe gekostet, ihn nach oben zu schaffen. Der Junge ist geschwankt, als ob er auf einem Schiff in Seenot gewesen wäre. Und er hat nicht einmal mehr gewusst, was er daherredet. Ich wollte eigentlich nie wissen, wie euer…" Ducky brach ab und wich verlegen Gibbs' Blick aus, der ihn förmlich zu durchbohren schien. „Wie unser was?" fragte dieser nach und stellte die Flasche wieder ins Regal zurück. Zu wissen, dass sich Tony mit seinem Bourbon betrunken hatte, hatte das Verlangen nach Alkohol zum Erlöschen gebracht.
„Wie euer Liebesleben aussieht", gestand der Pathologe, da er wusste, dass Jethro nicht locker lassen würde. Zu seiner Überraschung stahl sich ein Lächeln auf dessen Lippen und erhellte für kurze Zeit seine trübsinnige Miene. „Ziemlich abwechslungsreich", sagte Gibbs mehr zu sich selbst als zu seinem jahrelangen Freund und dachte unwillkürlich an den Abend zurück, an dem er Tony ans Bett gefesselt hatte, um ihn anschließend mit Eiswürfeln zu quälen. Und anschließend Honeydust… den Geschmack nach Honig hatte er bis heute nicht vergessen, geschweige denn, wie es sich auf Anthonys Haut angefühlt hatte.
„Das sind noch mehr Informationen, die ich nie haben wollte", erwiderte Ducky, freute sich aber innerlich, als er bemerkte, wie das Funkeln in die blauen Augen zurückkehrte und ein liebevoller Ausdruck auf Gibbs' Gesicht erschien. Er wollte nicht daran denken, welche Bilder wohl gerade im Gehirn seines Gegenübers entstanden waren, weshalb er sich auf den Stuhl setzte und geduldig abwartete, bis Jethro wieder in die Gegenwart zurückkehrte.

Seufzend schüttelte dieser den Kopf und lehnte sich wieder gegen sein Boot. „Ich schätze, du bist wegen Darien hier, oder, Duck?" fragte er und fuhr sich durch seine Haare. „Es hat mich überrascht, seinen Namen zu hören, vor allem, weil ich angenommen habe, dass er tot ist." „Da warst du nicht der Einzige." „Und er ist wirklich verantwortlich dafür, dass James Jr. bei der Explosion umgekommen ist? Und indirekt auch Jamie?" Gibbs nickte nur und ließ sich wieder auf den Boden gleiten. „Ich schwöre dir, als ich ihn am Sonntag das erste Mal nach so vielen Jahren wieder gesehen habe, hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht. Stattdessen habe ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Die letzten Tage… es war die Hölle, Duck. Die ganze Zeit habe ich gewusst, was ich euch allen antue, besonders Tony und… ich könnte mich für meine Dummheit selbst in den Hintern treten. Ich hätte es ihm sagen sollen, anstatt zu schweigen. Und jetzt habe ich den Salat."
„Das will ich nicht abstreiten, dass du einen Fehler begangen hast, indem du den Auftrag einfach so angenommen hast, Jethro. Aber ich weiß, wie wichtig dir das Versprechen war und noch immer ist und wie ich Darien kenne, hat er sicher deine ganze Geschichte überprüft, nicht wahr?" „Ja, das hat er und ich hatte einfach Angst, dass er darauf kommen könnte und Tony schließlich etwas antut. So skrupellos wie er geworden ist." „Dennoch hast du dich entschieden, die Wahrheit zu sagen?" „Das Wissen, was ich alles anrichte, wie sehr Tony wegen mir leidet, ist mir zu viel geworden. Es hat mich beeinflusst und selbst Darien hat gemerkt, dass etwas nicht mit mir stimmt. Ich hätte irgendeinen Fehler gemacht und das konnte ich nicht verantworten. Außerdem finde ich es nicht richtig, dass jemand anderes unter meinen Namen begraben wurde." Gibbs blickte zu seinem Freund, der ruhig in dem Sessel saß und ihn ansah. Von allen brachte Ducky am meisten Verständnis auf, hatte er doch miterlebt, wie es ihm nach James' Tod ergangen war – und auch nach Jamies.
„Ein Obdachloser", beantwortete er die unausgesprochene Frage, die im Keller herumschwebte. „Einer der vielen, die in diesem Winter erfroren sind. Und ja, der Pathologe in Norfolk war eingeweiht, genauso wie der Forensiker. Ich fühle mich so schuldig, was ich gemacht habe. Ich war so naiv zu glauben, dass, wenn Tony die Wahrheit erfährt, er mir verzeiht, aber stattdessen hat er mich stehen lassen."
Ducky seufzte leise und beugte sich ein wenig vor, sodass er Gibbs besser fixieren konnte. „Nun, der Junge ist verletzt worden. Er braucht ein wenig Zeit, um alles auf die Reihe zu bekommen. Ich bin mir sicher, es wird sich alles zum Guten wenden." „Deinen Optimismus will ich haben, Duck. Aber ich glaube nicht wirklich daran. Er hat mich gestern als Bastard bezeichnet. Mir macht es normalerweise nichts aus, mit den übelsten Schimpfnamen bedacht zu werden, aber es ist von Tony gekommen und… Gott, es hätte mir beinahe das Herz gebrochen." Unwillkürlich ballte er seine Hände zu Fäusten und hätte am liebsten auf dem Boden eingeschlagen. „Er war so wütend und ehrlich gesagt, mich würde es nicht wundern, wenn er einen Schlussstrich ziehen würde."
Verbittert hob er seine linke Hand und zeigte Ducky den silbernen Ring. „Den hat er mir praktisch vor die Nase geworfen. Und da habe ich zum ersten Mal erkannt, dass zwischen uns eine Kluft entstanden ist, die wir vielleicht nie wieder überbrücken können. Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Ich weiß nicht, was ich tun soll, falls ich Tony verliere."
Ihn so verzweifelt zu sehen, versetzte Ducky einen schmerzhaften Stich. Gibbs wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte, er bereute es und war dabei, eine Beziehung zu verlieren, die ihm alles bedeutete. Der Pathologe erkannte sofort, dass, wenn Anthony sich für ein Leben ohne Jethro entscheiden sollte, dieser in ein schwarzes Loch fallen würde – in das Loch, das seit James' und Jamies Tod allgegenwärtig war und jetzt wieder größer wurde, um ihn zu verschlingen. Aber noch mehr erkannte er, dass Gibbs morgen in der Gegenwart von Darien garantiert etwas Unüberlegtes machen, das seine Tarnung gefährden würde. Im Moment war er kein Bundesagent mehr, sondern ein Mann, der Angst hatte, seine große Liebe für immer zu verlieren. Und diese Angst würde sich auf alles auswirken. Er würde morgen nicht logisch denken können und Darien war klug genug, um alles zu durchschauen – und skrupellos genug, seinen alten Freund ohne mit der Wimper zu zucken einfach zu erschießen, wenn er bemerkte, dass er hinters Licht geführt worden war. Die einzige Möglichkeit, dass wirklich alles gut ausgehen würde, war, dass Tony zu Gibbs zurückkehrte, dass er ihm verzieh und sie in dieser Nacht beisammen waren, um gegenseitig ihre Wunden zu versorgen.

„Tony liebt dich, Jethro", sagte Ducky schließlich und beugte sich noch weiter vor. „Wenn es nicht so wäre, hätte er dich längst in die Wüste geschickt, anstatt sich alles durch den Kopf gehen zu lassen. Aber du musst auch seinen Standpunkt verstehen. Er ist in den letzten Tagen buchstäblich durch die Hölle gegangen, nur um gestern zu erfahren, dass du deinen Tod wegen einem Undercoverauftrag vorgetäuscht hast. Er kommt sich verraten vor und es tut ihm umso mehr weh, weil er dich noch immer liebt und das abgöttisch. Aber er wird zu dir zurückkommen, davon bin ich überzeugt." „Nur wann, Duck? Tony ist mein Leben und wie soll ich morgen Darien unter die Augen treten mit dem Wissen, dass ich es wahrscheinlich verbockt habe und mich nichts als ein leeres Haus erwartet, wenn ich zurückkomme?"
Der Pathologe stand auf, nahm seinen Mantel und schlüpfte hinein. „So schwer das auch für dich sein mag, ich bin doch ein wenig überrascht, dass für dich auf einmal das Glas halbleer anstatt halbvoll ist. Wo ist der starke Marine abgeblieben, als den ich dich kenne, der sich nie unterkriegen lässt? Hör auf, dich selbst verrückt zu machen. Was geschehen ist, ist geschehen und es bringt nichts, etwas nachzutrauern, das noch gar nicht verloren ist. Und wenn ich dir sage, dass alles gut werden wird, kannst du auch darauf vertrauen."
Die Worte kamen lauter aus seinem Mund als beabsichtigt, aber sie erzielten ihre Wirkung. Auf Gibbs' Gesicht erschien ein nachdenklicher Ausdruck und die Verzweiflung trat ein wenig in den Hintergrund. Ducky nahm seinen Hut und setzte ihn auf. Es war an der Zeit, Jethro alleine zu lassen, damit er sich den Kopf über das eben Gesagte zerbrechen konnte, um hoffentlich wieder nach vorne sehen zu können. Er hingegen würde einen zweiten Hausbesuch machen. Es wäre doch gelacht, wenn er die größten Sturköpfe der Welt nicht wieder zusammenbringen konnte.
„Du hast Recht", sagte der Jüngere schließlich und sah seinen Freund dankbar an. „Aber es fällt mir so schwer, daran zu glauben, dass alles wieder gut wird." „Ich schätze, du wirst erst daran glauben, wenn der Beweis vor deiner Nase steht. Und bis dieser kommt, darfst du eben nicht den Kopf hängen lassen. Nun denn, ich werde dich alleine lassen. Ich glaube, du wirst sicher ein wenig für dich sein wollen."
„Danke, Duck", sagte Jethro und verfolgte mit seinen Augen, wie der Pathologe die Treppe langsam nach oben ging und sich noch einmal umdrehte. „Gern geschehen." Er warf dem Ermittler ein aufmunterndes Lächeln zu, ehe er durch die Tür verschwand, eine etwas drückende Stille und einen nachdenklichen Gibbs hinterlassend, um dem nächsten Sturkopf eine kleine Gehirnwäsche zu verpassen.

Fortsetzung folgt...
Chapter 38 by Michi
Ich lag mit dem Rücken auf meiner Couch, starrte seit geraumer Zeit die Decke meines Wohnzimmers an, während im Hintergrund der Fernseher lief. Die Schatten wurden immer länger und langsam machte sich die Dämmerung breit, aber ich machte mir nicht die Mühe, eine Lampe anzuschalten.
Nach dem Gespräch mit Gibbs war ich ziellos herumgefahren und hatte dabei wahrscheinlich ganz Washington durchquert - ohne einen Zwischenstopp einzulegen. Und die ganze Zeit war mir die Unterhaltung mit Jethro durch den Kopf gegangen, seine Worte so klar in meinen Ohren, als ob er mit mir im Wagen gesessen hätte.
Ich konnte nicht anders als daran zu denken, wie es für ihn gewesen sein musste, seinen geliebten Neffen und kurz darauf seine Schwester zu verlieren, die sich von dem Tod ihres einzigen Kindes nicht mehr erholt hatte, obwohl ich mir vorstellen konnte, dass Gibbs alles in seiner Macht stehende getan hatte, um sie aufzumuntern und dabei hatte er sicher seine eigene Trauer in den Hintergrund gedrängt. Es war nicht schwer zu übersehen gewesen, dass diese Trauer noch immer da war, sie war in seinen Augen aufgeblitzt und in diesem kurzen Moment war er verletzlich gewesen, etwas, das ich an ihm bis jetzt noch nie wahrgenommen hatte. All die Jahre über, seit ich ihn kannte, war er der starke Marine gewesen, aber am heutigen Tag hatte er seine Maske mir gegenüber endgültig fallen gelassen, hatte mir gezeigt, was in seinem Inneren wirklich vorging und es war gerade das, was meine Wut auf ihn beinahe verpuffen hatte lassen, als ich meinen Wagen vor meinem Haus zum Stehen gebracht hatte.
Trotzdem war ich weiterhin unsicher, was ich machen sollte. Ich verstand Jethro, warum er das Versprechen einlösen wollte, obwohl seine Schwester bereits tot war und sie es nicht mehr mitbekommen würde, ob Darien sicher hinter Gittern saß. Es ging dabei auch um Gibbs' inneren Frieden, dass er es schlussendlich schaffen konnte, den Mörder seines Neffen zu verhaften und dabei hunderte von Menschenleben retten würde, die wahrscheinlich durch die nächste Bombe sterben würden. Ich war mir sicher, dass er nicht nur Jamie das Versprechen gegeben hatte, sondern auch sich selbst und die Verzweiflung, die ihn am Samstag überrollt hatte, war auch heute greifbar gewesen, als ich ihm gesagt hatte, ich bräuchte noch etwas Zeit.
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass es für Jethro unendlich schwer gewesen sein musste, mich zurückzulassen, mir vorzumachen, er sei bei einem Unfall getötet worden. Er war sich voll bewusst gewesen, was er mir antat und die Tatsache, dass er mir nicht gesagt hatte, was er vor hatte, war der Grund, warum ich weiterhin ein wenig wütend auf ihn war. Dass er mich beschützen hatte wollen, rührte mich zwar, aber ich konnte hervorragend auf mich selbst aufpassen und ich hätte wunderbar einen am Boden zerstörten Freund spielen können. Allerdings hätte es dazu kommen können, dass ich es gar nicht mitbekommen hätte, wäre jemand hinter mir her. Aber ich hätte mir lieber einen Kampf auf Leben und Tod geliefert als die Erfahrung zu machen, wie es war zu glauben, Gibbs für immer verloren zu haben.
Aber wenigstens hatte er seinen Fehler eingesehen, hatte zugegeben, dass es klüger gewesen wäre, mir alles zu sagen, anstatt mir so schrecklich weh zu tun und ich hatte in seinen Augen erkannt, dass es ihm wirklich leid tat. Alleine die Tatsache, dass er auf seine Knie fallen würde, damit ich ihm verzieh, hatte das bewiesen. Er war voller Reue und ich wusste, dass es ihm einen heftigen Stich versetzt hatte, als ich einfach die Forensik verlassen hatte, ohne auf sein Liebesgeständnis zu reagieren. Hätte ihm jemand einen Faustschlag verpasst, wäre die Wirkung nicht einmal halb so schlimm ausgefallen.
Aber es war richtig gewesen, ihn alleine zurückzulassen, um meinen Kopf frei zu bekommen, um mich nicht von seiner Gegenwart beeinflussen zu lassen. Wenn ich ihm verziehen hätte, ohne mich von meiner Wut zu befreien, wäre diese so lange unter der Oberfläche geschwelt, bis sie irgendwann explodiert wäre und das vielleicht bereits bei einem harmlosen Streit – an die folgende Auswirkung wollte ich gar nicht denken.
Trotzdem wusste ich noch immer nicht, welchem Weg ich folgen sollte, ob ich es riskieren sollte, zu Gibbs zurückzukehren, um vielleicht in Zukunft erneut verletzt zu werden. Wäre es nicht sicherer ohne Jethro zu leben - damit mein Herz nicht gebrochen werden konnte – und alles zu beenden, bevor es zu einem Fiasko werden konnte? Aber der Gedanke daran war so schmerzhaft, dass ich es einfach nicht fertig brachte, meine Schlüssel zu schnappen und zu ihm zu fahren, um einen Schlussstrich zu ziehen.

Deswegen lag ich bereits seit über einer Stunde auf meiner Couch, während im Hintergrund MTV lief, um mich mit Musik einzulullen. Ich wusste nicht, warum ich gerade diesen Sender ausgewählt hatte, anstatt einen Film laufen zu lassen, aber die verschiedenen Lieder hatten eine gewisse beruhigende Wirkung auf mich und es war das erste Mal seit Tagen, dass ich mich ein wenig entspannte.
Ich beobachtete die Schatten an der Wohnzimmerdecke, die immer länger wurden und mich langsam in Dunkelheit hüllten, um mir zu sagen, dass der Tag in ein paar Stunden zu Ende sein würde. Dass ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde, machte mir Angst und ich wollte nicht daran denken, was mich am Morgen erwarten würde. Und vor allem, was würde Jethro machen? Würde er zu Darien zurückkehren und so tun, als ob nichts gewesen wäre? Die Frage, die ich mir seit heute Vormittag stellte, kam mir wieder in den Sinn. Wer war dieser Darien überhaupt? Sicher, er war der Kopf einer skrupellosen Verbrecherbande, aber warum war es Jethro derart leicht gefallen, so schnell dort aufgenommen zu werden? Normalerweise würde es Monate dauern, um sich das Vertrauen eines solchen Mannes zu sichern, aber Gibbs wusste ja erst seit Samstag von Darien. Weshalb war es ihm also gelungen…?
Das Klingeln der Türglocke riss mich aus meinen Gedanken und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Gleich darauf schloss ich die Augen, als mir bewusst wurde, wer da vor der Tür stehen, wer mein Besucher sein könnte. Mein Herz fing schneller zu schlagen an und ich war versucht, das Klingeln einfach zu überhören, so zu tun, als ob ich nicht Zuhause sei. Allerdings würde das nicht viel nützen, wie mir gleich darauf einfiel, immerhin stand mein Mustang vor der Garage.
Frustriert fuhr ich mir über das Gesicht und setzte mich langsam auf. Wenn es wirklich Gibbs war, dann konnte ich ihm einfach wieder die Tür vor der Nase zuschlagen. Gleich darauf runzelte ich die Stirn. Wenn es tatsächlich Jethro war, warum kam er dann nicht einfach herein? Die Tür war nicht abgeschlossen und sonst hätte er seinen Schlüssel benutzen können. Oder wollte er, dass ich wusste, dass er hier war, anstatt mir unerwartet gegenüberzustehen? Aber ich wollte ihn nicht sehen – noch nicht. Bevor ich ihm wieder unter die Augen treten konnte, musste ich eine endgültige Entscheidung getroffen haben und das war in diesem Moment noch nicht der Fall.
Erneut klingelte es, weshalb ich schließlich aufstand, in den Vorraum ging und vor der Tür stehen blieb. Meine Hand zitterte ein wenig, als ich sie auf die Klinke legte und noch einmal tief durchatmete, um mich innerlich zu wappnen, gleich in blaue Augen zu blicken, bevor ich die Tür schließlich öffnete. Grenzenlose Erleichterung durchflutete mich, als ich erkannte, wer mein Besucher war und seine Hände gegen die abendliche Kälte tief in seinen Manteltaschen vergraben hatte.
„Anthony, mein Junge, wenn ich dich so ansehe, könnte ich fast glauben, du hattest jemand anderen erwartet", sagte Ducky und trat ein, als ich einen Schritt zur Seite machte, damit ich ihm nicht den Weg versperrte. Er nahm seinen Hut ab, legte ihn auf den Tisch neben der Tür, die ich schloss, um die kalte Luft auszusperren. Ich nahm seinen Mantel, den er mir reichte und hängte ihn in den Schrank. „Nun, das liegt wahrscheinlich daran, dass ich wirklich gedacht habe, es würde jemand anderes vor der Tür stehen", meinte ich ehrlich und ich erkannte sofort, dass er wusste, wen ich meinte.
Ich folgte ihm ins Wohnzimmer, wo er sich auf die Couch niederließ, auf der ich noch vor einer Minute gelegen hatte, um die Decke anzustarren. Der Himmel wurde immer schwärzer und da ich mir vorstellen konnte, dass Ducky nicht gerne im Dunkeln saß, schaltete ich das Licht ein, schnappte mir die Fernbedienung und stellte den Fernseher stumm, weshalb die Jungs von Take That aussahen, als ob sie einen Pantomimewettbewerb gewinnen wollten.
Ich setzte mich auf einen Stuhl gegenüber dem Pathologen, legte die Fernbedienung auf den Tisch zurück und wartete darauf, dass Ducky mir erzählte, warum er hier war. „Wie geht es dir?" fragte er, ließ sich in die Polster sinken und schlug seine Beine übereinander. Ich zuckte die Schultern, seufzte aber gleich darauf. „Besser, jetzt wo ich weiß, warum Jethro das alles gemacht hat. Es tut nicht mehr so weh und ich bin nicht mehr wütend auf ihn, das heißt, nicht mehr so stark wie noch gestern oder heute Vormittag. Trotzdem habe ich noch immer Probleme, die ganze Sache auf die Reihe zu bekommen. Ich denke bereits seit Stunden darüber nach wie es weitergehen soll, aber ich komme auf keine Lösung." „Denkst du ernsthaft darüber nach, eure Beziehung zu beenden?" wollte Ducky wissen und musterte mich eingehend. Ich seufzte erneut. „Ja, das tue ich, aber ich schaffe es nicht, den entscheidenden Schritt zu machen. Genauso wenig schaffe ich es jedoch, zu Jethro zurückzukehren. Ich stehe vor einer Weggabelung, wo der Wegweiser fehlt, der mir anzeigt, welche die richtige Richtung ist."
Ducky kratzte sich am Kopf und beugte sich ein wenig nach vorne, wobei sein Blick sanfter wurde. „So gerne ich es auch würde, die Richtung kann ich dir nicht zeigen, aber vielleicht kann ich dir ein wenig helfen, die richtige Entscheidung zu treffen. Jethro hat dir also von Jamie und ihrem Sohn erzählt?" Ich nickte und sah erneut die Trauer vor mir, die in seinen sonst so strahlenden blauen Augen aufgeblitzt war. „Ich war damals dabei, Tony. Die ganze Zeit nach der Explosion hat er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass James noch lebt, aber…" Ducky seufzte und wirkte auf einmal traurig. „Er war ein aufgeweckter Junge und klug für sein Alter. Jamie ist an seinem Tod zerbrochen und Gibbs beinahe ebenfalls. Er war am Boden zerstört, als er erfahren hat, dass sein Neffe ums Leben gekommen ist und zehn Monate später auch Jamie. Mich hätte es nicht gewundert, wenn er sich seine Dienstwaffe in den Mund gesteckt und abgedrückt hätte."
Seine Worte erschreckten mich zutiefst und ich versteifte mich unwillkürlich, als sich dieses Bild vor meinen Augen aufbaute. „Das Einzige, was ihn am Leben gehalten hat, war das Versprechen, das er Jamie gegeben hat, um es irgendwann einzulösen", fuhr er fort und ließ sich wieder zurücksinken. „Und jetzt ist wohl der Zeitpunkt gekommen. Aber es geht nicht nur um den Einsatz. Weißt du, es hat mich heute sehr verwundert zu hören, dass Darien noch lebt und noch dazu verantwortlich für James' Tod ist. Ich kann mir nicht einmal annähernd vorstellen, was in Jethro vorgegangen ist, als er das erfahren hat. Immerhin waren die beiden vor Jahren die besten Freunde."
Überrascht weiteten sich meine Augen und ich setzte mich gerade auf, als ich Duckys Worte vernahm. „Was?" fragte ich ungläubig und etwas außer Atem. Mein Gegenüber runzelte verwirrt die Stirn. „Hat dir Jethro das nicht gesagt?" Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir durch meine Haare. „Nein, das hat er nicht. Aber ich habe auch nicht gefragt und es hat sich keine Möglichkeit ergeben, dass… Darien und er waren wirklich einmal die besten Freunde?" Jetzt wurde mir auch klar, warum mein Freund innerhalb so kurzer Zeit in die Organisation aufgenommen worden war.
„Ja, das waren sie. Sie haben gemeinsam in Desert Storm gekämpft und auch danach waren sie unzertrennlich. Darien war ein netter Mann, aber irgendwann hat er sich komplett verändert und er hat mir sogar ein wenig Angst eingeflößt, wenn ich ihn gesehen habe. Mich wundert es nicht, dass er die Seiten gewechselt hat, aber auf diese Weise? Wir haben gedacht, er sei vor sechs Jahren gestorben, aber das war wohl ein großer Irrtum. Und zu erfahren, dass sein ehemaliger bester Freund dafür verantwortlich war, dass James gestorben ist und sich Jamie das Leben genommen hat, muss Jethro den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Ich verstehe jetzt mehr denn je, warum er den Auftrag angenommen hat, was aber nicht heißt, dass ich es gut finde, wie er die Sache angepackt hat."

Ich saß da, mit kerzengeradem Rücken und starrte Ducky mit großen Augen an. Darien und Gibbs… beste Freunde, wovon sich der eine als Verbrecher entpuppte. Wie musste sich Jethro am Samstag gefühlt haben, als er erfahren hatte, dass ein ehemaliger Freund schuld daran war, dass er seinen Neffen und seine Schwester verloren hatte. Ich bewunderte, dass er diesem Mann nicht gleich den Hals umgedreht hatte, als er ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Wie schaffte er es bloß, Darien gegenüberzutreten und so zu tun, als wäre alles in Ordnung? Was musste er in den letzten Tagen durchgemacht haben? Und mit einem Mal war ich mir sicher, dass ich nicht der Einzige gewesen war, der so unendlich gelitten hatte.
„Oh Mann", brachte ich schließlich hervor und ließ mich schwer gegen die Lehne des Sessels sinken. „Ich hatte ja keine Ahnung." Ducky beugte sich wieder nach vorne und blickte mich durchdringend, aber sanft, an. „Weißt du, Tony, Jethro hat viel durchgemacht und als er Jamie und James verloren hat, dachte ich, ich würde ihn nie wieder aufbauen können. Er war unausstehlich, hat jeden angebrummt und kein einziger Agent hat es lange ausgehalten mit ihm zu arbeiten. Es war fast unmöglich, ihn von dem schwarzen Loch fernzuhalten, das auch dich am Sonntag beinahe verschlungen hat. Aber weißt du, was dann geschehen ist?" Ich schüttelte den Kopf und blickte ihn neugierig an.
„Das Schicksal hat ihn nach Baltimore geführt, wo er auf einen Detective gestoßen ist, der ihn mit seiner kindischen Art ständig auf die Palme gebracht hat." Ich musste unwillkürlich grinsen, als ich seine Worte vernahm und dachte einen kurzen Moment an die erste Begegnung, dachte daran, als ich das erste Mal in diese blauen Augen gesehen hatte, die mich von Anfang an nicht mehr losgelassen hatten.
„Jethro hat dich zum NCIS geholt, weil er das Potenzial eines großartigen Agenten in dir gesehen hat und vor allem, weil er wieder jemanden gehabt hat, den er erziehen konnte. Du warst wie ein Kind in dem Körper eines erwachsenen Mannes, Tony. Er hat sich deiner angenommen und es war eine Freude zu sehen, als Gibbs wieder angefangen hat zu leben, als er eine neue Aufgabe gefunden hat." „Und schließlich ist Liebe daraus geworden", fügte ich hinzu und das Lächeln auf meinen Lippen wurde wärmer.
„Und schließlich ist Liebe daraus geworden", wiederholte Ducky und verschränkte seine Hände in seinem Schoß. „Du hast ihm praktisch das Leben gerettet, Tony. Du hast Jethro so unendlich glücklich gemacht und es war die reinste Freude zu sehen, wie er auf einmal sooft gelächelt hat, seine Augen vor Glück gefunkelt haben und er einem Menschen so viel Liebe schenkte. Ich weiß, dass er dich verletzt hat, indem er dir nichts von dem Auftrag erzählt hat, dass er dich bewusst so sehr hat leiden lassen, aber du solltest wissen, dass er es vielleicht nicht überleben würde, falls du wirklich vorhast, eure Beziehung zu beenden. Dich zu verlieren wäre wahrscheinlich sein endgültiger Untergang und nicht einmal ich würde es mehr schaffen, ihn zu retten. Aber egal wofür du dich entscheidest, ich werde es nicht verurteilen."
Ducky stand auf und automatisch wollte ich es ihm gleich tun, aber er winkte ab. „Lass nur, ich finde alleine den Weg hinaus. Ich lasse dich jetzt alleine, damit du dir in Ruhe ein wenig den Kopf darüber zerbrechen kannst, was ich gesagt habe. Ich wünsche dir viel Glück und bin mir sicher, du wirst die richtige Richtung einschlagen." Ich nickte nur abwesend und blickte Ducky nicht einmal nach, als er in den Vorraum ging, wo er sich anzog. Kurz darauf hörte ich die Tür aufgehen, nur um gleich darauf wieder leise ins Schloss zu fallen.
Ich saß da und starrte auf den Fernseher, ohne so richtig mitzubekommen, wer da stumm ein Lied zum Besten gab. Die Worte des Pathologen machten mich nachdenklich und erschreckten mich zugleich. Dass ich es gewesen war, der Gibbs praktisch das Leben gerettet hatte, war mir gar nicht in den Sinn gekommen. Was würde mit ihm passieren, wenn ich die Beziehung beenden würde? Würde er wirklich innerlich sterben, so wie es Ducky gemeint hatte? Alleine der Gedanke daran ließ mich beinahe aufschreien und ich fuhr mir verzweifelt durch die Haare, nur um gleich darauf nach der Fernbedienung zu greifen, um den Ton wieder anzuschalten. Leise und beruhigend kam die Musik aus den Boxen und ich seufzte. Was für ein Tag, was für ein Chaos, aber langsam kristallisierte sich ein Wegweiser heraus, auch wenn ich noch nicht sehen konnte, in welche Richtung er deutete.
Einem inneren Impuls folgend, legte ich die Fernbedienung zur Seite, stand auf und ging zur Kommode hinüber, wo ich die oberste Schublade aufzog und das Bild herausnahm, das ich heute Morgen beinahe entzwei gerissen hätte. Aber diesmal verhöhnte mich Gibbs' Lächeln nicht, das er auf diesem Foto auf den Lippen hatte. Ohne wirklich darüber nachzudenken, ging ich zur Couch zurück, ließ mich darauf fallen und legte das Bild auf den Tisch, während im Hintergrund Celine Dion ein Lied anstimmte, das ich vorher noch nie gehört hatte, dessen ruhige Melodie aber eine entspannte Wirkung auf mich hatte.

A mountain of stone, a door of steel
Can't stand in my way, I'd go on
Brutal machines, unbending laws
Can't slow me down, I'd go on


Ich saß da und blickte auf das Foto, blickte auf den Mann, den ich über alles liebte und dessen Schicksal mir nicht mehr aus dem Kopf ging, seit mir Ducky von Darien erzählt hatte, seit ich erfahren hatte, dass er praktisch von seinem besten Freund verraten worden war. Jethro und ich kannten uns jetzt seit mehr als vier Jahren und in dieser Zeit hatten wir so viel durchgemacht, sei es in der Arbeit oder auch privat. Aber egal wie schwer es gewesen war, gemeinsam hatten wir alles geschafft und seit wir ein Paar waren, war mir kein Hindernis zu hoch, keine Aufgabe unlösbar gewesen. Egal was passiert war oder noch passieren würde, es gab nichts, was mich daran hindern könnte, Gibbs weiterhin zu lieben – nur, würde diese Liebe reichen, um ihm endgültig zu verzeihen?

I've learned how to deal and when to fight
I know what's real, I know what's right
I'm not afraid, a wounded dove
I can be tender in a world so tough


Jethro hat mir so viel beigebracht, war mein Mentor, mein Freund, mein Gelieber und mein Lebenspartner und in all der Zeit, seit ich ihn kannte, hatte ich gelernt, wann ich um etwas kämpfen musste. Als ich ihn gestern im Park in den Armen gehalten hatte, als mir klar geworden war, dass er wirklich lebte, hatte ich innerlich verspürt, dass es nicht so einfach war, wie es auf den ersten Moment erschienen war, dass vor mir ein Kampf liegen würde, dessen Ausgang ich noch immer nicht kannte.
Ich hatte Angst, dass ich die falsche Entscheidung treffen, dass ich den Kampf schlussendlich verlieren würde, um mich selbst in den Abgrund zu reißen – und Gibbs. Andererseits löste sich die Angst wieder in Nichts auf, wenn ich daran dachte, wie es war, sicher und geborgen in seinen Armen zu liegen, in dem Wissen, dass wir zusammen alles schaffen konnten, egal wie schwer es werden würde. Die Welt war hart und ungerecht und ich war wahrscheinlich nicht immer stark genug, aber ich würde es sein - an Jethros Seite.

I'm sure I could face the bitter cold
But life without you, I don't know


Auf meinen Lippen bildete sich ein Lächeln, als ich weiterhin das Bild betrachtete, das vor mir auf dem Tisch lag, betrachtete die funkelnden blauen Augen, das Gesicht, das ich so sehr liebte und nach dem ich mich in den letzten Tagen so sehr gesehnt hatte, dass es einem körperlichen Schmerz gleichkam. Ich war mir sicher, dass ich auch alleine die Schwierigkeiten, die meinen zukünftigen Weg begleiten würden, meistern konnte, dass ich es vielleicht schaffen würde, ohne Gibbs weiterzumachen… aber ein Leben ohne ihn? Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren sollte.

The winds of the heart can blow me down
But I get right up and I stand my ground


Ich wusste, dass er mich liebte und ich liebte ihn. War das nicht genug? Reichte das nicht aus, um einfach zu ihm zurückzukehren, alles zu vergessen, was in den letzten Tagen passiert war? Jethro hielt mein Herz in seinen Händen und ich wusste, er könnte es in kleine Teile zerbrechen, die man nicht mehr reparieren konnte. Er könnte mich auch in Zukunft wieder verletzen… andererseits, würde uns diese Sache nicht noch enger zusammenschweißen? Wir hatten beide wertvolle Erfahrungen gemacht, die sich auf unser Leben auswirkten. Nach einem Fall kam immer ein Aufstieg… ich war weit gefallen und ich musste nur aufstehen und den Abhang wieder hinaufklettern, wo mich die helle Sonne des Glücks willkommen heißen würde.

I've tasted fear, my share of pain
The wasted tears of love in vain
I've held you tight, pushed you away
Now with all my might I beg you to stay


Ich hatte erfahren, wie es war, zu leiden, Angst zu haben, ja sogar Panik, als ich nicht gewusst hatte, wie ich reagieren würde, falls ich Gibbs wieder unter die Augen treten musste. Ich hatte gelernt wie es war, einen geliebten Menschen zu verlieren und gleichzeitig auch die Freude, ihn wieder zurück zu haben.
Liebe… sie konnte so unendlich weh tun und ich hatte wegen Jethro so viele Tränen vergossen, hatte um ihn getrauert, hatte gedacht, ihn für immer verloren zu haben. Es waren eigentlich verschwendete Tränen – hätte er mir doch nur gesagt, was er vorhatte. Er hatte mir das bewusst angetan und trotzdem verpuffte die Wut in meinem Inneren immer mehr.
Gestern hatte ich Gibbs fest in meinen Armen gehalten, hatte seinen Hals mit Küssen überhäuft, als mich grenzenlose Freude überrollt hatte, dass er noch lebte, dass er wieder bei mir war und ich ihn nicht wirklich in einem Sarg unter jeder Meng Erde begraben hatte. Und doch hatte ich ihn nach nur wenigen Minuten wieder von mir gestoßen, hatte ihn angebrüllt, hatte ihn als Bastard bezeichnet, hatte ihm damit wehgetan, so wie er mir wehgetan hatte.
Dennoch… jetzt wo ich hier saß, vor mir das Bild von Jethro, spürte ich regelrecht, wie ich anfing ihm zu verzeihen, sah den Wegweiser förmlich vor mir, der mir die richtige Richtung zeigte. Nur, war es zu spät? Konnte es sein, dass ich mit meiner heutigen Reaktion bereits alles kaputt gemacht hatte? Ja, ich hatte ihn von mir gestoßen, gestern und heute und erst jetzt wurde mir bewusst, was ich Gibbs und auch mir damit angetan hatte. Innerlich betete ich darum, dass ich keinen Fehler gemacht hatte, dass er bleiben würde und müsste ich ihn dafür anflehen, mit all meinem Willen, so würde ich es tun.

I'm sure I could face the bitter cold
But life without you, I don't know


Entschlossen nahm ich das Bild in meine Hand und fuhr zärtlich die vertrauten Züge nach, blickte in die Augen, die ich so sehr liebte, betrachtete den Mann, der für mich Leben bedeutete. Ich hatte heute bemerkt, kaum dass ich das Labor betreten hatte, dass er den Ring trug, den ich gestern im Park fallen gelassen hatte und er passte wie eh und je auf seinen Finger, zeugte davon, wie stark wir miteinander verbunden waren. Es war ein Zeichen meiner grenzenlosen Liebe zu Gibbs und es kam mir richtig vor, dass der Ring seinen Besitzer wieder zurückhatte, dass er dort war, wo er hingehörte.
Ich hatte in den letzten Tagen gelernt wie es war, alleine zu sein, alleine den Hindernissen, die sich einem in den Weg stellten, zu begegnen und sie zu meistern und ich wusste, ich könnte es wieder schaffen. Aber ein Leben ohne Jethro? Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren sollte.

I know what I want, I know what I need
But there's just one thing I must believe
Deep in the night by a dying flame
You will be there when I call your name


Und auf einmal wusste ich, was ich wollte, was ich brauchte. Mein Herz begann schneller zu schlagen, als sich vor meinem inneren Auge der Wegweiser endgültig verfestigte und mir zeigte, welche Richtung ich einschlagen sollte – eine Richtung, die in Zukunft sicher weiterhin holprig sein würde, aber von der ich wusste, dass sie die Richtige war.
In meinem Inneren breitete sich eine wohlige Wärme aus und seit Tagen war es das erste Mal, dass ich mich unglaublich wohl fühlte, wieder mit der Welt in Einklang war. Mein Lächeln wurde ungeheuer liebevoll und ich strich zärtlich über Jethros Gesicht, so als ob ich seine Wangen liebkosen würde.
Es würde bereits fortgeschrittener Abend sein, wenn ich zu ihm kommen würde, aber das war egal. Er war mein Licht, der mir den Weg erhellte und ich wusste, er würde bei mir sein, wenn ich ihn rief, seinen Namen sagte, mit all der Liebe, die ich für ihn empfand. Die Angst, dass es vielleicht zu spät sein könnte, war wie weggeblasen und ich spürte, dass alles gut werden würde, dass wir die Sache gemeinsam schaffen würden.



I'm sure I could face the bitter cold
But life without you, I don't know


Mich hielt nichts mehr auf meiner Couch, weshalb ich aufstand und zum Kamin eilte, wo ich das Bild sachte auf den Sims legte, ihm den ursprünglichen Platz zurückgab. Ich fühlte mich befreit, es gab kein Gewicht mehr, das mir das Atmen erschwerte, keine Wut, die mir die Sicht auf die Dinge verwehrte, keinen Schmerz, der mir sooft die Tränen in die Augen getrieben hatte.
Ich drehte mich um, schnappte mir automatisch die Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus, unterbrach damit Celine Dion am Ende ihres Liedes und wunderbare Ruhe kehrte ein. Achtlos warf ich die Fernbedienung auf das Sofa, eilte in den Vorraum, zog meine Jacke an und schnappte mir die Autoschlüssel.
Es war bereits dunkel draußen, als ich zu meinem Wagen lief. Am Himmel funkelten tausende von Sternen und ein bleicher Mond schickte sein Licht zur Erde. Es war eisig kalt, aber ich spürte es nicht, spürte nur die Wärme, die von meinem Herzen ausströmte und meinen gesamten Körper überzog.

Ich hatte in den letzten Tagen gelernt wie es war, alleine zu sein, alleine den Hindernissen, die sich einem in den Weg stellten, zu begegnen und sie zu meistern und ich wusste, ich könnte es wieder schaffen. Aber ein Leben ohne Jethro? Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren sollte. Deshalb würde ich auch dorthin zurückkehren wo mein Platz war, wo ich sicher war, wo ich mich geborgen fühlte – ich würde in seine Arme zurückkehren.

Fortsetzung folgt...
End Notes:
Dieser Teil enthält eine Songfic. Das Lied heißt "I don't know" von Celine Dion. Wer es hören möchte: es gibt auf Youtube ein Video ;-)
Chapter 39 by Michi
Glenwood Cemetry
19:18 Uhr


Im Gegensatz zum vorherigen Tag schien ein fast voller Mond vom Himmel, um die Erde mit seinem gespenstisch bleichen Licht zu überschütten. Keine Wolke verbarg sein Antlitz und das von den Sternen, die fröhlich vor sich hinblinkten. Es war ein ruhiger Abend, der Verkehr rauschte normal auf den vom Schnee befreiten Straßen und hinterließ ein beständiges Summen, das jedoch erstarb, kaum dass Gibbs das Gelände des Glenwood Cemetry betreten hatte. Je weiter er zwischen den zahlreichen Grabreihen entlangging, desto stiller wurde es, bis nur noch die Geräusche der Nacht zurückblieben und die Mauern des Friedhofs auch die letzten Geräusche der Autos absorbierten.
Ein sanfter aber eisiger Wind ließ die Äste der blätterlosen Bäume rascheln und Pulverschnee rieselte dem Gesetz der Schwerkraft folgend auf den Boden, um dort kleine Haufen zu bilden. Der Schnee vor den Gräbern war größtenteils platt gedrückt von den vielen Besuchern, die tagsüber nach den Verstorbenen gesehen hatten, um ihnen den neuesten Klatsch und Tratsch der Nachbarschaft zu erzählen oder einfach nur bewegungslos dazustehen und an die glücklichen Zeiten zu denken.
Obwohl es bereits Abend war, war Jethro nicht der einzige Mensch auf dem Gelände, sondern begegnete hin und wieder anderen Leuten, die in Jacken oder Mäntel eingemummt, langsam an ihm vorbeigingen und ihm nur einen flüchtigen Blick zuwarfen. An diesem Ort war es egal wer man war, hier teilte jeder das gleiche Schicksal… jemanden verloren zu haben, den man liebte und zu dem man für ein paar Minuten zurückkehren wollte.
Es war bereits fast ein Jahr her, seit Gibbs das letzte Mal an den Gräbern seiner Schwester und seines Neffen gewesen war. Er fühlte sich deswegen ein wenig schuldig, weil es so lange gedauert hatte, bevor er es endlich geschafft hatte, sich aufzuraffen und hierher zu fahren. In den letzten Monaten hatte er einfach nicht an das Versprechen denken wollen, hatte angefangen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und seit er Tony hatte, war er viel zu glücklich gewesen, um sich Gedanken um die Explosion zu machen. Nicht, dass er diese jemals vergessen hätte, aber es hatte nicht mehr so geschmerzt wie noch vor Jahren und sein junger Freund hatte ihm eher unbewusst gezeigt, was es bedeutete wieder zu leben. Er hatte akzeptiert, dass er das Versprechen vielleicht nie einlösen würde können, hatte sich damit abgefunden, dass der Tod von James und Jamie nie gerächt werden würde - bis Jen ihn am Samstag in ihr Büro geholt und ihn aus seiner heilen Welt gerissen hatte, die er sich mit Tony in den letzten sieben Monaten aufgebaut hatte.

Jethro seufzte leise und bog auf einen schmaleren Weg ein, von dem er wusste, dass er ihn zu seinem Ziel bringen würde. Seine rechte Hand, die den bunten Blumenstrauß hielt, den er kurz vorher in einem Supermarkt gekauft hatte, war bereits ein wenig gefühllos vor Kälte und er wünschte sich, er hätte sich Handschuhe mitgenommen. Es kam ihm noch eisiger als gestern vor – vielleicht lag es aber auch an der Taubheit in seinem Inneren, die sich dort festgesetzt hatte, seit ihn Anthony alleine in der Forensik zurückgelassen hatte.
Als Ducky vor Stunden gegangen war, war er lange im Keller sitzen geblieben, bis der Abend angebrochen und die Sonne komplett hinter dem Horizont verschwunden war. Der Raum hatte sich in Dunkelheit gehüllt und hätte kein Mond durch das Fenster geschienen, hätte er wahrscheinlich nicht einmal seine Hand vor Augen gesehen. Trotzdem hatte er kein Licht angemacht, hatte weiter die Wand vor ihm angestarrt, um sich Gedanken darüber zu machen, was ihm sein Freund gesagt hatte.
Es stimmte, es war noch nicht alles verloren. Tony hatte nicht die verhängnisvollen Worte gesagt, die ihre Beziehung beenden würden, von daher gab es keinen Grund, jetzt schon seinem Freund hinterher zu trauern. Aber Gibbs hasste es zu warten, er hasste es, sich vorzustellen, was passieren könnte, wenn Anthony seine Entscheidung getroffen hatte, er hasste es, nicht zu wissen, was auf ihn zukam. Und mit jeder Minute, die verstrichen war, war seine Hoffnung gesunken, dass er bereits heute erfahren würde, wie es nun zwischen ihnen weitergehen würde.
Die ganze Warterei hatte nur dazugeführt, dass ein Horrorszenario nach dem anderen vor seinem inneren Auge abgelaufen war, bis er es schließlich in seinem Keller nicht mehr ausgehalten und beschlossen hatte, James Jr. und Jamie wieder einmal einen kleinen Besuch abzustatten. Gibbs glaubte nicht, dass Tony in seiner Abwesenheit bei ihm vorbeischauen würde und er hatte keine Ahnung, ob er nachher wieder in sein Haus zurückkehren würde. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass Darien ihn in seinem Apartment anrufen würde und den Abend mit ihm verbringen wollte. Innerlich hoffte er jedoch, dass es so weit nicht kommen würde. Er war noch nicht bereit, Coolidge gegenüberzutreten, nicht, wenn er nicht wusste, ob er jemanden hatte, zu dem er nach allem heimkehren konnte. Von daher hatte er gehofft, dass sich Tony alles etwas schneller durch den Kopf gehen ließ, damit er endlich wusste, woran er war.
Gleichzeitig wusste Jethro, dass, falls ihre Beziehung nicht mehr zu retten war, er morgen unvorsichtig werden, und ihm alles egal sein würde. Sollte Darien ruhig herausfinden, dass er die ganze Zeit über gelogen hatte. Es würde keinen Unterschied machen, ob er lebend aus dessen Wohnung kommen würde oder nicht. Wenn Anthony ihn verlassen sollte, würde er in dem Moment sterben, wo der junge Mann aus seinem Leben verschwand.

Gibbs seufzte ein zweites Mal und zwang sich, sich nicht den deprimierenden Gedanken zu überlassen. Ducky hatte Recht… seit wann war für ihn das Glas halbleer und nicht halbvoll? Er konnte sich nicht erinnern, jemals so pessimistisch gewesen zu sein, aber nach dem was gestern und auch heute passiert war, konnte er einfach nicht anders. Wahrscheinlich würde er wirklich erst daran glauben, dass alles gut werden würde, wenn der Beweis direkt vor seiner Nase auftauchte.
Seine Schritte knirschten leise auf dem gefrorenen und plattgedrückten Schnee, als er sich zwei Gräbern näherte, die etwas abseits von den anderen standen und von einer Gruppe Trauerweiden abgeschirmt wurden. Seit er den Hauptweg verlassen hatte, war ihm keine Menschenseele mehr begegnet und nur seine Atemwölkchen vermischten sich mit der eisigen Luft. Die Flammen der Kerzen vor den vielen Gräbern flackerten gespenstisch in dem leichten Wind und erhellten ein wenig den Pfad, den er entlangschritt, bis er schließlich sein Ziel erreicht hatte. Beide Grabsteine vor ihm hatten eine Haube aus Pulverschnee und dank des Mondes konnte er die goldene Inschrift lesen, die die Namen und Geburts- und Sterbedaten für alle Ewigkeit zeigte.
Ein schweres Gewicht legte sich auf Gibbs' Brust, als er kurz an die Beerdigungen dachte, an die vielen Menschen, die gekommen waren, um mit ihm gemeinsam zu trauern. Beide Male hatte es geregnet, so als ob der Himmel genauso weinen würde. Seine Welt war damals wieder um ein Stückchen düsterer geworden, er hatte gedacht, nie wieder so richtig lachen oder glücklich sein zu können – bis Tony in Baltimore in sein Leben geplatzt war und ihn beinahe in die Verzweiflung gestürzt hätte, mit seinem ständigen Gerede über Filme und Frauen. Es wunderte ihn noch immer, dass er sich nach über drei Jahren in ihn verliebt hatte, in den Macho, der ihn sooft auf die Palme gebracht hatte und der der Rekordhalter von Kopfnüssen war.
Aber bei Gott, er bereute es keine Sekunde lang, dass er diesem Mann sein Herz geschenkt hatte. Sogar das Gequatsche von Filmen ertrug er viel leichter, einfach weil er es liebte, Anthonys Stimme zu hören, um ihn anschließend nach einigen Minuten mit einem Kuss zum Schweigen zu bringen. Er liebte alles an ihm, jeden exquisiten Millimeter, der sein Leben mit so viel Glück erfüllte.

„Hey, ihr beiden", sagte Jethro leise, bückte sich und legte den Strauß, dessen bunte Blumen wie ein Farbklecks auf dem weißen Schnee wirkten, zwischen die beiden Gräber. „Es tut mir leid, dass ich so lange nicht mehr hier war, aber ich hatte in letzter Zeit ziemlich viel zu tun." Er richtete sich wieder auf und blickte traurig auf die Grabsteine hinunter. Dass er auf einmal mit Toten redete, kam ihm in diesem Moment überhaupt nicht lächerlich vor und jetzt verstand er auch ein wenig Ducky, der sich immer mit seinen Patienten unterhielt. Sie konnten zwar nicht antworten, aber es reichte bereits, dass man eine Möglichkeit hatte, sich alles von der Seele zu reden.
„Jetzt ist endlich die Zeit gekommen, wo ich das Versprechen erfüllen kann, Jamie. Es hat lange gedauert, bis es so weit war und ich schwöre dir, ich werde Darien zur Rechenschaft ziehen. Aber ich habe dafür vielen Menschen weh tun müssen und ich hasse mich deswegen", sagte Gibbs leise und steckte seine Hände in die Taschen seines Mantels, um sie ein wenig aufzuwärmen. Sein Blick wurde trauriger, als er an Tony dachte, den er so sehr verletzt und der ihn als Bastard bezeichnet hatte, um anschließend den silbernen Ring einfach auf den Boden fallen zu lassen.
„Ihr fehlt mir so schrecklich und noch vor einem Jahr hätte ich bedenkenlos alles getan, um den Verantwortlichen zur Strecke zu bringen. Aber wieso musste es gerade jetzt passieren? Jetzt, wo ich selbst wieder glücklich gewesen bin? Ich habe endlich den Menschen gefunden, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte und dann taucht Darien auf - und ich habe einen riesigen Fehler begangen. Ich war so dämlich. Anstatt zu schweigen, hätte ich es Tony sagen sollen. Ich habe ihn verletzt und jetzt habe ich die Bescherung. Wieso habe ich mich bloß nur von meinen Gedanken nach Rache treiben lassen, anstatt logisch darüber nachzudenken? Dabei hätte ausgerechnet ich es besser wissen müssen."
Gibbs konnte nichts dagegen tun, dass seine Stimme auf einmal schwächer wurde und sich ein großer Kloß in seinem Hals festsetzte, der ihm das Schlucken fast unmöglich machte „Ich bin mir sicher, würdest du noch am Leben sein, würdest du Tony mögen. Du hattest schon immer eine Schwäche für Männer, die tief in ihrem Inneren noch ein Kind sind und ich kann dir sagen, er ist der größte Kindskopf auf dieser Welt – aber ein überaus liebenswerter. Weißt du, ich hätte damals auf dich hören sollen als du gesagt hast, ich sollte endlich aufhören, mich mit rothaarigen Frauen zu treffen und stattdessen in einer anderen Richtung suchen. Du hattest wie sooft Recht gehabt und jetzt bräuchte ich mehr denn je deinen Rat. Was soll ich denn nur machen? Was soll ich nur machen, falls ich Tony verliere? Ich liebe ihn doch so sehr und… und ich dachte, unsere Liebe wäre stark genug, um das alles zu überstehen. Ich war so naiv und jetzt…"
„Unsere Liebe ist stark genug", unterbrach ihn eine Stimme, die er überall wiedererkennen würde. Sein Herz setzte unwillkürlich einen Schlag aus, nur um gleich darauf mit doppelter Geschwindigkeit weiterzuschlagen. Für einen kurzen Moment blieb er bewegungslos stehen, hatte Angst, dass er sich die Worte nur eingebildet hatte, dass er sich einfach nur so sehr wünschte, dass Tony hinter ihm war. Gibbs schloss die Augen, zählte bis fünf und öffnete sie wieder. Erst dann drehte er sich um und das Gewicht auf seiner Brust, das ihm seit Minuten das Atmen so schwer machte, zersprang in tausend kleine Teile.
Unter einer der Trauerweiden stand Anthony, die Hände in seinen Jackentaschen vergraben und ein liebevolles Lächeln auf den Lippen, das in ihm eine Welle der Zärtlichkeit aufstiegen ließ. Er war sich auf einmal sicher, dass er sich die Worte nicht eingebildet hatte, dass Tony wirklich gesagt hatte, dass ihre Liebe stark genug sei und mit einem Mal war die ganze Angst, die ihn seit dem Vormittag fest im Griff hatte, verpufft. Unbändige Freude gepaart mit Unglauben, dass er seinen Freund wahrscheinlich nicht verlieren würde, überrollte ihn und er ließ es zu, dass Tränen in seine Augen stiegen – Tränen des grenzenlosen Glücks.

Ich stand unter der Trauerweide, deren hängende Äste meine Schultern berührten und blickte zu Jethro, der nur wenige Meter vor mir stand und mich mit einem ungläubigen Ausdruck in seinen Augen ansah. Die Atemwölkchen verließen in kurzen Abständen seinen Mund und die Spannung wich förmlich aus seinem Körper, machte grenzenloser Erleichterung Platz, die sich auf seinem Gesicht abzeichnete. Seine Wangen waren gerötet, aber ich war mir sicher, dass das nicht nur von der Kälte herrührte. Der Wind hatte seine Haare ein wenig zerzaust und er hatte seine Hände in den Taschen seines Mantels vergraben. Ihn so vor mir zu sehen, an den Gräbern seiner Schwester und seines Neffen bestätigte mir nur, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte, dass ich dem richtigen Weg gefolgt war. Ich hatte den Schmerz und die Wut hinter mir gelassen und spürte nur noch grenzenlose Liebe für diesen Mann. Ich hatte keine Ahnung, wie ich auch nur eine Sekunde lang darüber nachdenken hatte können, ihn zu verlassen, das Beste, was mir je passiert war, wegzuschicken.
Fünf lange Tage hatte ich gedacht, Gibbs für immer verloren zu haben und hatte mir ständig gewünscht, dass er zu mir zurückkehren würde, dass ich ihn wieder in den Armen halten konnte, wo ich mich jedes Mal so sicher gefühlt hatte. Ich hatte ihn einmal verloren, ein zweites Mal würde mir das nicht passieren. Egal was geschah, ich würde ihn nicht wieder gehen lassen, gemeinsam würden wir die Sache mit Darien überstehen. Dieser hatte Jethro schon einmal geliebte Menschen genommen, ein weiteres Mal würde ihm das nicht gelingen.

Ich musste zugeben, dass mich erneut Angst überfallen hatte zu spät zu kommen, als ich bei Jethros Haus angekommen war und kein Licht vorgefunden hatte, hinter keinem der Fenster. Ich hatte jeden Raum durchsucht, sogar den Bootskeller und mit jedem leeren Zimmer war meine Panik, dass ich meine Entscheidung nicht rechtzeitig getroffen hatte, größer geworden. Es war der einzige Ort gewesen, von dem ich mir sicher gewesen war, dass er sich dort aufhalten würde – bis ich auf die Idee gekommen war, Ducky anzurufen. Der Pathologe hatte schon immer ein Gespür dafür gehabt, wo sich Gibbs befand. Während ich ihm alles erklärte, hatte ich im Hintergrund seine Mutter gehört, die ihm befohlen hatte, ihr endlich ein Glas Scotch zu bringen und dem Klopfen nach zu urteilen, hatte sie dabei ständig mit ihrem Stock auf den Boden geschlagen. Aber Ducky hatte sich nicht davon ablenken lassen und ich hatte seiner Stimme die Erleichterung anhören können, als ich ihm gesagt hatte, dass ich zu Jethro zurückkehren würde. Meine anfängliche Panik, dass vielleicht doch alles zu spät war, verflog so schnell wie sie gekommen war, als mir der ältere Mann verraten hatte, dass ich am Glenwood Cemetry nachsehen sollte, wo James Jr. und Jamie begraben waren. Die Möglichkeit, dass Gibbs seine Familie trotz der Kälte besuchte, war seiner Meinung nach groß und ich hatte auf seinen Instinkt vertraut – und war nicht enttäuscht worden.
Ich hatte ihn tatsächlich auf dem Friedhof gefunden, wo er, alleine und vollkommen verlassen wirkend vor den beiden Gräbern gestanden und auf diese hinunter gesehen hatte, während er gleichzeitig leise vor sich hingesprochen hatte. Dank der Stille, die auf dem Gelände herrschte, hatte ich alles wunderbar verstehen können. Ich hatte mich unter eine der Trauerweiden gestellt und ihm zugehört, hatte ihn nicht unterbrechen wollen. Mit jedem Wort, das er von sich gegeben hatte, war mir bewusst geworden, dass Ducky Recht gehabt hatte. Ich war Jethros Rettung gewesen und hätte ich mich wirklich für die andere Richtung entschieden, wäre er innerlich gestorben. Ich schuldete dem Pathologen immens viel. Es war offensichtlich, warum er zu mir gekommen war und mir das alles erzählt hatte – um mir den Kopf zu waschen. Und ich war ihm unendlich dankbar dafür, dass er mir die Augen geöffnet hatte. Ohne ihn würde ich wahrscheinlich noch immer auf meiner Couch liegen und die Decke des Wohnzimmers anstarren, ohne eine Lösung zu finden. Mit allem Geld der Welt könnte ich nicht die Schuld begleichen, die ich bei ihm hatte, aber ich wusste, dass ich zu Gibbs zurückkehrte, war für ihn das größte Geschenk, das ich ihm machen konnte.

„Unsere Liebe ist stark genug", wiederholte ich meine Worte, trat unter dem Baum hervor und ging langsam auf ihn zu. Je näher ich ihm kam, desto schneller schlug mein Herz, desto sicherer war ich mir, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Er bewegte sich immer noch nicht, blickte mich einfach nur an und ich sah, dass er heftig schluckte, dass ein sichtbares Zittern durch seinen Körper lief. Der Schnee knirschte unter meinen Schuhen, aber ich nahm es nicht wahr, genauso wenig wie die Kälte oder den Wind, der mir die Haare zerzauste. Ich konzentrierte mich vollkommen auf Jethro und als ich vor ihm stehen blieb, trennten uns nur ein paar Zentimeter. Waren gestern noch Welten zwischen uns gelegen, so waren diese geschrumpft und ich spürte förmlich die Wärme, die von seinem Körper ausging. Sein Atem strich angenehm über meine Haut und die Liebe, die ich in diesem Moment empfand, ließ mich beinahe in die Knie gehen.
„Tony", flüsterte er mit heiserer Stimme und erst jetzt bemerkte ich, dass seine blauen Augen feucht waren. Ich löste meine rechte Hand aus meiner Jackentasche und legte sie auf seine linke Wange - und mit einem Mal schien die Welt still zu stehen. Tränen lösten sich aus seinen Augen, liefen nach unten und er umfasste meine Hand mit der seinen, drückte fest meine Finger. „Ich bin hier, Jethro", erwiderte ich genauso leise.
Ich hatte ihn noch nie weinen sehen und es versetzte mir einen kleinen Stich ins Herz, auch wenn ich mir sicher war, dass es Tränen der Erleichterung waren, Tränen des Glücks, dass er mich nicht verloren hatte, dass ich weiterhin bei ihm bleiben würde. Sachte strich ich mit meinem Daumen über seine Wangen, wischte die Tränen weg, so wie er es gestern bei mir gemacht hatte und lächelte ihn liebevoll an. Gott, wie hatte ich ihn vermisst, wie hatte ich es vermisst, ihn zu berühren, ihn zu streicheln, ihm zu zeigen, dass ich ihn über alles liebte.

„Es tut mir so leid, Tony", sagte er und schmiegte seine Wange fester an meine Handfläche. „Es tut mir so schrecklich leid." „Ich weiß", erwiderte ich, holte die andere Hand aus meiner Jackentasche und strich ihm die Haare aus der Stirn, blickte ihm dabei aber ständig in die Augen, in denen noch immer Tränen glitzerten. „Du hattest gestern recht. Ich bin ein Bastard. Wenn es nicht so wäre, hätte ich dir das nie angetan." „Ja, aber du bist mein Bastard, Jethro." Für die Dauer eines Herzschlages sah er mich verdutzt an, ehe seine Mundwinkel leicht zuckten und sich seine Lippen gleich darauf zu einem Lächeln verzogen, das mich mit größter Freude erfüllte.
Jetzt, wo ich vor ihm stand, hatte sich mein Herzschlag wieder beruhigt und es fühlte sich einfach richtig an, dass ich bei ihm war. „Es wird alles gut werden", sagte ich leise und trat noch näher an ihn heran, ließ meine linke Hand zu seinem Nacken wandern, wo ich leicht seine Haut streichelte. „Ich verzeihe dir, Jethro. Ich verzeihe dir." Seine Hand umklammerte bei meinen Worten noch fester meine Finger und ich übte etwas Druck in seinem Nacken aus, zog seinen Kopf nahe zu mir heran, um endlich das zu tun, wonach ich mich seit Tagen sehnte.
„Tony", flüsterte er, bevor ich seinen Mund mit meinem verschloss, meine Lippen zärtlich auf seine legte und ihn ganz nahe an mich zog. Ein Stromstoß durchfuhr meinen Körper, als mir bewusst wurde, dass ich ihn küsste, dass ich ihn wieder in meinen Armen hielt, etwas, von dem ich gedacht hatte, es nie wieder tun zu können. Es war alles so vertraut und dennoch irgendwie neu.
Gibbs ließ meine Hand los und schlag seine Arme um meine Taille, sorgte dafür, dass sich sein Körper gegen meinen presste. Ich ließ meine Hand hingegen auf seiner Wange ruhen, streichelte diese weiter, während ich anfing, seine Lippen mit meiner Zunge zu reizen. Sie waren noch genauso weich wie ich sie in Erinnerung hatte und als er sie bereitwillig öffnete, entschlüpfte mir unwillkürlich ein leises Stöhnen, als sein vertrauter Geschmack meine Sinne überflutete. Ich legte all die Verzweiflung und Sehnsucht, die ich in den letzten Tagen verspürt hatte, in diesen Kuss, drückte mich noch fester an ihn.
Ich konnte es nicht glauben, dass wir wieder vereint waren, dass ich ihn wieder spüren, dass ich seinen ureigenen Geschmack kosten durfte. Mir war es sogar egal, dass wir uns mitten auf einem Friedhof befanden, alles was zählte waren Jethro, ich und unsere Lippen, die sich zu einem Versöhnungskuss verschlossen hatten.
Ich ließ meine Zunge zärtlich mit seiner spielen, während sich seine Hände unter meine Jacke schoben und sich warm auf mein Kreuz legten. Wie oft hatte ich in den letzten Tagen von so einem Kuss geträumt? Wie oft hatte ich mir vorgestellt, wie es sein würde, ihn zu liebkosen, ihn in meinen Armen zu halten? Obwohl es sich ein wenig unwirklich anfühlte, so war ich mir vollauf bewusst, dass es kein Traum war, dass es die Wirklichkeit war, dass wir endlich wieder zusammen waren.

Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als wir uns voneinander lösten und ich in blaue Augen sah, die mich mit so viel Liebe anfunkelten, dass meine Knie butterweich wurden. Die Tränen waren vollends verschwunden, hatten reinstem Glück Platz gemacht und ich verzog meine Lippen zu einem Lächeln, als Jethro seine Hände noch ein Stück nach oben wandern ließ.
„Ich habe dich so vermisst", flüsterte er und im Gegensatz zu gestern, wo mich die Worte mit einer Eiseskälte überzogen hatten, riefen sie diesmal ein herrlich warmes Gefühl hervor. Ich ließ seine Wange los, legte meine beiden Arme um seinen Nacken und berührte spielerisch seine Nasenspitze mit meiner. „Ich liebe dich, Jethro", sagte ich und beobachtete mit Freude, wie sich seine Lippen zu einem strahlenden Lächeln verzogen, jenes Lächeln, das er nur für mich reserviert hatte und das mich jedes Mal beinahe dahin schmelzen ließ. „Ich liebe dich auch, Tony", erwiderte er und für ein paar Sekunden war nur unser beider Atem zu hören, während wir uns einfach ansahen und der Wind um uns herum stärker wurde, die Äste der Bäume lauter rascheln ließ. Und schließlich war es Gibbs, der sich nach vorne beugte, seine Lippen auf meine legte und wir in einem weiteren Kuss versanken, umgeben von zahlreichen Grabsteinen, von Dutzenden Kerzen und einem Mond, der unsere Wiedervereinigung mit seinem bleichen Licht begleitete.

Fortsetzung folgt...
Chapter 40 by Michi
Die Fahrt zurück zu meinem Haus verlief in angenehmem Schweigen, das Einzige, das zu hören war, war der abendliche Verkehr um uns herum. Es war nicht ganz ungefährlich, nur einen Wagen zu nehmen, da wir nicht einmal annähernd alle von Dariens Männern kannten und es sofort klar sein müsste, dass Gibbs seinen alten Freund nur anschwindelte, wenn sie uns zusammen sahen. Aber es war mir egal, für mich zählte einfach, dass wir ein paar unbeschwerte Stunden verbringen konnten, in denen wir die Welt ausschlossen und es genossen, einander wieder zu haben.
Nach einer halben Ewigkeit – jedenfalls war es mir so erschienen – und zahlreichen Küssen hatten wir es schließlich geschafft, uns halbwegs voneinander zu lösen. Am liebsten hätte ich ihn überhaupt nicht mehr losgelassen, aber uns beiden war bewusst, dass ein Friedhof nicht gerade der Ort war, um unsere Versöhnung gebührend zu feiern, außerdem war es eisig kalt und trotz Gibbs' Körperwärme hatte ich langsam angefangen zu frieren.
Wir hatten Hand in Hand die Gräber hinter uns gelassen und uns dafür entschieden, meinen Mustang zu nehmen und Jethros Wagen bis morgen auf dem Parkplatz stehen zu lassen. Es wäre sicherer gewesen, getrennt zu fahren, aber ich wollte ihn nicht aus den Augen lassen, wollte nicht von seiner Seite weichen. Ich war seit langem nicht mehr so glücklich gewesen und die letzten Tage waren für den Moment vergessen. Die Trauer, der Schmerz und die Sehnsucht waren verschwunden und hatten grenzenloser Freude Platz gemacht. Ich hatte meinen Jethro wieder zurück, würde auch weiterhin mein Leben mit ihm verbringen und musste nicht wieder in ein leeres Haus heimkehren, wo mich nichts weiter als drückende Stille erwartete. Alles fühlte sich wie ein böser Traum an, aus dem ich endlich aufgewacht war, der sich in den tiefen meines Bewusstseins zurückgezogen hatte und hoffentlich dort für immer eingesperrt blieb.

Die ganze Fahrt über hielt Gibbs meine Hand, ließ mich nicht mehr los, aus Angst, ich könnte mich doch wieder in Luft auflösen. Es war gar nicht so einfach, den Mustang mit nur einer Hand zu lenken und ich war deswegen vorsichtiger als sonst unterwegs, aber es war zu herrlich, wie sich seine Finger um meine schlossen, als ob unsere Hände wie füreinander geschaffen wären. Selbst diese einfache Geste hatte ich schrecklich vermisst und die Tatsache, dass Jethro öfters mit seinem Daumen über meinen Handrücken streichelte, überzog meinen Körper mit einem intensiven Prickeln, das ich genauso wie alles andere vermisst hatte. Die ganze Zeit über genoss ich seine Nähe und atmete den vertrauten Geruch nach Sägespänen – der sich im Inneren des Wagens nach nur wenigen Minuten ausgebreitet hatte - wie ein Lebenselixier ein. Diese Nacht würde nur uns gehören, niemand würde uns stören und wir würden für ein paar Stunden die restliche Welt aussperren. Was außerhalb der Mauern meines Hauses passieren würde, interessierte mich bis zum nächsten Morgen nicht die Bohne – die Realität würde erst dann wieder zurückkehren, wenn wir am nächsten Tag das Hauptquartier betreten würden, um mit den anderen darüber zu reden, wie wir Darien endgültig das Handwerk legen konnten.
Aber sämtliche Gedanken an diesen Mann verschwanden prompt aus meinem Gehirn, als ich meinen Mustang in der Auffahrt vor meinem Haus anhielt und den Motor abschaltete. Das gleichmäßige Brummen der Maschine erstarb und es blieb nichts weiter als Stille zurück, die durch unseren Atem durchbrochen wurde. Gibbs drückte meine Finger noch fester und ich drehte mich zu ihm um, wo ich einem Blick aus funkelnd blauen Augen begegnete. Auf meinen Lippen bildete sich ein zärtliches Lächeln, das er ohne zu zögern erwiderte. Noch immer sagte keiner ein Wort und ich ließ es zu, dass er mich mit sanfter Gewalt zu sich auf die andere Seite zog, um seine freie Hand in meinen Haaren zu vergraben und mir einen weiteren atemberaubenden Kuss zu schenken, der um einiges leidenschaftlicher war, als diejenigen am Friedhof.
Ich ignorierte die Handbremse, die sich unangenehm in meinen Oberschenkel bohrte und lehnte mich noch weiter hinüber, so weit es der Sicherheitsgurt zuließ. Wer hätte je gedacht, dass mein Mund so sensibel auf die Liebkosungen seiner Zunge reagieren würde und ehe ich mich versah, entschlüpfte meiner Kehle ein wohliges Stöhnen, das im Inneren des Mustangs widerhallte. Meine Jeans wurde etwas eng, aber auch das ignorierte ich, genauso wie die Tatsache, dass uns die Nachbarn beobachten konnten, würden sie einen Blick aus den Fenstern werfen.

„Das erinnert mich daran, dass wir noch nie Sex im Auto gehabt haben", sagte ich leicht keuchend, als Jethro meinen Mund wieder frei gegeben hatte und zärtlich mit seinen Fingern durch meine Haare fuhr. „Ist das auch eine deiner geheimen Fantasien?" wollte er wissen und blickte mich neugierig an. Seine Wangen waren durch den heißen Kuss ein wenig gerötet und in seinen Augen funkelte Lust, die mich ganz kribbelig machte. Ich grinste schelmisch und löste vorsichtig meine Hand aus der seinigen, um endlich den Sicherheitsgurt zu öffnen. „Oh ja. Stell dir mal vor, wie viel Spaß wir bei einer Observation haben könnten. Da würde die Zeit doch gleich viel schneller vergehen. Vor allem bei so einem Wetter könnten wir uns da wunderbar warm halten. Es gibt nicht zufällig in naher Zukunft irgendwelche Überwachungsaktionen?" „Tony?" „Ja?" „Hat dir schon einmal jemand gesagt, dass du zu viel redest?" Meine Hand verharrte auf der Türschnalle und ich sah zu meinem Freund hinüber, der mich amüsiert musterte. „Nun ja, ich glaube, du hast da mal etwas erwähnt. Ein- oder auch zweimal." „Ich glaube, ich muss etwas finden, womit ich deinen Mund beschäftigen kann." Unwillkürlich hob ich eine Augenbraue und alleine der tiefe Ton in seiner Stimme sorgte dafür, dass meine Hose noch enger wurde. Ein schiefes Grinsen breitete sich auf meinen Lippen aus und ich beobachtete, wie er sich von dem Gurt befreite.
„Was schwebt dir denn da so vor?" wollte ich wissen, zog den Schlüssel aus der Zündung und öffnete die Tür, sodass mir prompt eiskalte Luft entgegenschlug. „Gehen wir rein und ich werde es dir zeigen", erwiderte Jethro und ließ seine Augen begehrlich über meinen Körper wandern, bevor er ausstieg und die Tür mit einem leisen Knall schloss. Ich hingegen musste erst einmal den großen Kloß in meinem Hals hinunterschlucken und meine wenigen verbliebenen funktionierenden Gehirnzellen dazu bekommen, meine Muskeln in Gang zu setzen.
Mit etwas weichen Knien verließ ich meinen Mustang, sperrte ab und eilte zu Gibbs, der neben dem Wagen auf mich wartete und sofort meine Hand wieder in Beschlag nahm, als wir gemeinsam zur Tür gingen. Dort versuchte ich, den richtigen Schlüssel für das Schloss zu finden, was aber nicht ganz so leicht war, da er anfing, mit seinen Zähnen an meinem rechten Ohrläppchen zu knabbern, nur um gleich darauf mit seiner Zunge an meinem Ohrring herumzuspielen.
„Ich bin also der größte Kindskopf auf dieser Welt?" fragte ich, um mich ein wenig abzulenken. Jethro kommentierte meine Frage mit einem Saugen am Läppchen und ich hatte alle Mühe, meinen Rücken nicht gegen seinen Körper zu pressen und mich hier und jetzt verführen zu lassen. „Oh ja, das bist du", antwortete er leise, bevor er seine Zunge meinen Hals hinunterwandern ließ und eine feuchte Spur zog.
Ich biss mir auf die Unterlippe, um ein Stöhnen zu unterdrücken und schaffte es nach dem dritten Versuch, den richtigen Schlüssel ins Schloss zu stecken, das gleich darauf ein leises Knacken von sich gab. „Du hast etwas in der Richtung, dass du meinen Mund beschäftigen willst, erwähnt", brachte ich heiser hervor, öffnete die Tür und Gibbs musste von mir ablassen, um mir in den Vorraum zu folgen. Aber gleich darauf packte er mich an den Schultern, drehte mich um, drängte mich gegen die Tür, die mit einem lauten Krachen ins Schloss fiel und verschloss meine Lippen mit seinen. Die Schlüssel rutschten aus meinen Fingern, als ich seinen Nacken mit meinen Armen umschlang und den Kuss erwiderte – unser kleines Ritual, das er auch nach den fünf Tagen, die wir getrennt gewesen waren, nicht vergessen hatte.
Jethro presste seine Hüfte gegen meine und ich spürte deutlich seine wachsende Erektion an meinem Oberschenkel. Es war alles so vertraut, sein Geschmack, sein Geruch, seine Zunge, die meine liebkoste und die Härte seines Gliedes, das sich gegen mein Bein drückte, dennoch war es so, als ob wir uns wiederentdecken würden, als ob wir zum ersten Mal davor stehen würden, miteinander zu schlafen.

„Das ist wirklich eine gute Alternative, um mich zum Schweigen zu bringen", sagte ich schließlich atemlos, als sich Jethro von mir gelöst hatte und mich mit seinen blauen Augen anblickte, die dunkel vor Lust waren. Ein leises Lachen löste sich aus seiner Kehle und er gab mir noch einen kurzen Kuss, ehe er mich bei der Hand nahm und mich mit einem Ruck von der Tür wegzerrte. „Ich habe aber noch etwas ganz anderes im Sinn", erwiderte er eine Spur heiser, grinste mich breit an und strich sachte mit seinem Daumen über meine Lippen, um ihn gleich darauf in meinen Mund zu schieben. Mein Hals wurde staubtrocken, da ich ganz genau wusste, was er mit dieser Geste meinte und unwillkürlich begann ich an dem Finger zu saugen – und wurde prompt mit einem leisen Stöhnen belohnt. Mich wunderte es immer wieder, dass Jethro so intensiv reagierte, wenn ich an einem seiner Finger saugte oder knabberte.
Sein Atem wurde schneller und die Röte von vorhin kehrte auf seine Wangen zurück. Während ich sanft auf seinem Daumen herumbiss, öffnete ich den Reißverschluss meiner Jacke, zog sie aus und ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Gleich darauf schob ich meine Hände in seinen Mantel und um diesen loszuwerden, musste er seinen Daumen aus meinem Mund nehmen. Das Kleidungsstück landete eine Sekunde später neben meiner Jacke auf dem Boden.
„Was hältst du davon, wenn wir das nach oben verlegen?" fragte ich und verschränkte meine Finger mit den seinen. Als Antwort erhielt ich einen weiteren leidenschaftlichen Kuss, der meine Knie in Wackelpudding verwandelte und ich ließ mich widerstandslos zur Treppe ziehen. Ohne uns voneinander zu lösen, erklommen wir Stufe für Stufe. Es war nicht das erste Mal, dass wir uns auf den Weg nach oben küssten und auch diesmal schafften wir es, ohne zu stolpern oben anzukommen.
„Gott, wie habe ich das vermisst", sagte Gibbs mit vor Leidenschaft rauer Stimme und drängte mich eine Spur ungeduldig ins Schlafzimmer. „Wie habe ich dich vermisst", fügte er hinzu und überhäufte meine rechte Wange mit kleinen Küssen, ehe er seinen Mund weiter nach unten wandern ließ. „Ich habe dich auch vermisst", erwiderte ich heiser, tastete mit meiner Hand nach der kleinen Lampe am Nachttisch und ließ meinen Kopf, um ihm noch mehr von meinem Hals anzubieten, in den Nacken fallen, als ich endlich den Schalter gefunden hatte und sanftes Licht den Raum erhellte. Ohne Mühe fand er den sensiblen Punkt im Übergang zur Schulter, der mich jedes Mal verrückt werden ließ, wenn er anfing, mit seinen Zähnen daran herumzuschaben.
Mein gesamter Körper wurde von einer Welle heißer Lust überschwemmt und ich wurde immer härter, sodass sich mein Glied mittlerweile etwas schmerzhaft gegen meine Jeans presste. „Jethro", keuchte ich und rieb mich an seinem Oberschenkel, um ihm zu signalisieren, dass er sich ein wenig beeilen sollte. Aber ich erntete nur ein leises Lachen an meinem Hals und ein „mein ungeduldiger Tony", ehe er seine Lippen wieder auf meine Haut presste und jeden Millimeter zu liebkosen schien. Seine anfängliche Idee, meinen Mund zu beschäftigen, hatte er anscheinend vollkommen vergessen, stattdessen schien er ein Fünfgängemenü aus meinem Hals machen zu wollen.
Gibbs war so unglaublich zärtlich, dass ich glaubte, unter ihm dahinzuschmelzen. Seine weichen Lippen machten mich hilflos vor Lust und dabei hatte er gerade erst einmal angefangen. Um nicht völlig untätig zu sein, machte ich mich an den Knöpfen seines weißen Hemdes zu schaffen, das ihn so unglaublich attraktiv machte. Meine Finger zitterten leicht, als ich Zentimeter für Zentimeter seiner Brust entblößte und meine Hände anschließend darüber wandern ließ, die Wärme seiner Haut förmlich absorbierte. Ich spürte sein Herz, das schnell unter meiner Berührung schlug und er keuchte atemlos, als ich seine Brustwarzen mit meinen Daumen liebkoste. Es war eine der sensibelsten Stellen an seinem Körper und ich hatte ihn schon einmal zum Höhepunkt gebracht, indem ich mich nur mit meiner Zunge ganze zehn Minuten mit seinen Brustwarzen beschäftigt hatte – dabei hatte ich kein einziges Mal sein Glied berührt.

Sein Keuchen verwandelte sich in ein Stöhnen und er ließ von meinem Hals ab, um mir einen leidenschaftlichen Kuss zu schenken, während er seine Schultern ein wenig bewegte, sodass sein Hemd schließlich zu Boden fiel. Seine Erektion presste sich gegen meine und ich ließ seine Brustwarzen los, um meine Händen nach unten wandern zu lassen, wo ich seinen Hintern umfasste und ihn noch näher an mich zog. Wir begannen einen sinnlichen Tanz im Rhythmus unserer Zungen und ich hätte einfach so weiter machen können, mich vollkommen der Lust hingebend, die unsere Bewegungen in mir hervorriefen, aber das war mir nicht genug – bei weitem nicht.
Ich ließ Gibbs wieder los und machte mich an meinem eigenen Hemd zu schaffen, aber bevor ich auch nur den ersten Knopf erreichen konnte, erhielt ich einen Klaps auf meine Hände. Jethro löste seine Lippen von meinen und blickte mich mit verschleierten Augen an. „Das ist meine Aufgabe", sagte er und sah mich streng an, aber anstatt mich unwohl zu fühlen, rief das eine weitere Welle der heißen Lust hervor und ich biss mir ein zweites Mal auf die Unterlippe, um ein Stöhnen zu unterdrücken.
Jethro schaffte es immer wieder, dass er mich mit seiner tiefen und gleichzeitig sanften Stimme unglaublich anturnte und ich hatte mehr als einmal fast einen Orgasmus bekommen, wenn er mir auf dem Weg nach Hause im Auto erzählt hatte, was er mit mir vorhatte. Seine verführerische Stimme gepaart mit den Bildern, die seine Worte in mir hervorgerufen hatten, hatte ausgereicht, um mich beinahe in den Abgrund zu schicken.

Er trat einen Schritt zurück, umrundete mich und eine Sekunde später spürte ich, wie sich sein Oberkörper gegen meinen Rücken presste und sich sein hartes Glied gegen meinen Hintern drückte. Er zog mit einem Ruck das Hemd aus meiner Jeans, griff nach vorne und begann sich geschickt von unten nach oben vorzuarbeiten, öffnete einen Knopf nach dem anderen, während sich sein Mund der anderen Seite meines Halses widmete. Ich schloss genießerisch die Augen, überließ mich vollkommen seinen Zärtlichkeiten, die mir den Verstand raubten.
Seine Hände schoben sich zu beiden Seiten in das geöffnete Hemd und wanderten an meinen Seiten nach oben, seine Finger liebkosten meine Haut und er übte gerade genug Druck aus, um mich nicht zu kitzeln. Das Saugen am meinem Hals wurde stärker und ich war mir sicher, dass Gibbs dabei war, absichtlich Spuren zu hinterlassen, dass er mich markierte, um allen zu zeigen, dass ich ihm gehörte.
Mein Atem ging mittlerweile in keuchenden Stößen und ich war wie Butter in seinen Händen, war von diesen Zärtlichkeiten so erregt, dass ich beinahe alles machen würde, um endlich Erlösung zu finden. Meine Jeans war unglaublich eng geworden, aber ich wusste, sollte ich Anstalten machen, sie zu öffnen, würde ich erneut einen Klaps erhalten.
Ich verlor komplett das Zeitgefühl, ließ mich nur noch von meiner Lust leiten und als Jethro meine Brustwarzen zwischen seine Daumen und Zeigefinger nahm und leicht zusammenzwickte, stieß ich unwillkürlich einen leisen Schrei aus und meine Hüften zuckten nach vorne. „Du scheinst da ein wenig sensibel zu sein, Tony", flüsterte er in mein Ohr und wiederholte es ein zweites Mal, diesmal fester, aber nicht fest genug, um mir wehzutun. Ich versuchte nicht einmal eine Antwort, da meine Gehirnzellen gerade dabei waren, einen wunderbaren Tod zu sterben. Stattdessen fing ich an, meinen Hintern an seiner Erektion zu reiben und Gibbs biss mir unwillkürlich in meinen Hals, genau an die Stelle, an der er vorhin energisch gesaugt hatte.
„Aber ich kenne eine noch viel sensiblere Stelle an dir", meinte er heiser und eine Sekunde später wanderten seine Hände wieder über meinen Oberkörper, um sich gleich darauf auf mein Glied zu legen. Ohne zu zögern begann er mich zu streicheln und obwohl ich es nicht für möglich gehalten hatte, wurde ich noch härter. Ich stieß in seine Handfläche, die mich komplett bedeckte und fasste nach hinten, um mich buchstäblich in seinen Hintern zu krallen. Mir war so heiß, dass ich das Gefühl hatte, zu verglühen und ich spürte förmlich, dass es nicht mehr viel bedurfte und ich würde in meiner Hose kommen.

Aber anstatt mich mit der Hand zum Höhepunkt zu bringen, ließ er plötzlich von mir ab und trat einen Schritt zurück, sodass ich beinahe nach hinten gestolpert wäre. „Jethro", sagte ich enttäuscht und drehte mich zu ihm um. Er warf mir ein schiefes Lächeln zu und kam wieder näher, sodass ich seinen Atem auf meinem Gesicht fühlen konnte. „Ich habe dir ja vorhin gesagt, dass ich noch deinen gesprächigen Mund beschäftigen will", erwiderte er mit seiner Schlafzimmerstimme und ich schluckte unwillkürlich. Mein Hals wurde staubtrocken und eine Sekunde später erkannte ich, was er damit meinte – er übergab mir einfach so die Führung. Meine Wangen wurden ganz heiß und ich erwiderte sein Lächeln.
„Nun denn", meinte ich dazu und lehnte mich nach vorne, um ihm einen leidenschaftlichen Kuss zu schenken, ehe ich ihm einen Stoß versetzte, sodass er mit dem Rücken auf der Matratze landete. Langsam, um ihn ein wenig zu reizen, zog ich mir das Hemd aus und ließ anschließend aufreizend meine Hände über meinen Oberkörper wandern. Ich musste ein Grinsen unterdrücken, als sich Gibbs auf seine Unterlippe biss und mit großen Augen meine Bewegungen verfolgte. Obwohl keine Musik lief, fing ich an, meine Hüften in einem langsamen Rhythmus kreisen zu lassen, während ich gemächlich anfing, meinen Gürtel zu öffnen, ihn schließlich aus den Laschen zog und auf den Boden fallen ließ.
Jethros Atem beschleunigte sich und seine Hände gruben sich in die Decke, als ich den Knopf meiner Jeans öffnete, gefolgt vom Reißverschluss und schließlich meine Daumen und den Bund schob, nur um mich gleich darauf umzudrehen, was mir ein frustriertes Aufstöhnen einbrachte. Mein Grinsen wurde breiter und meine Hüften vollführten weitere kreisende Bewegungen, wobei ich genau spürte, dass Gibbs meinen Hintern nicht aus den Augen ließ. Um ihn zu quälen, zog ich langsam die Jeans nach unten und bückte mich dabei, sodass er einen fabelhaften Blick erhielt.
Mittlerweile konnte ich seinen keuchenden Atem hören und ich ließ mir besonders viel Zeit, um mich von meinen Schuhen zu befreien, ehe ich aus der Hose stieg und wie eine Bauchtänzerin die Arme über meinen Kopf streckte, mich umdrehte und erneut anfing, in einem unbestimmten Rhythmus zu tanzen. Mit jeder Bewegung näherte ich mich dem Bett, während ich meinen Zeigefinger befeuchtete und damit meine rechte Brustwarze umkreiste und die andere Hand zu meinen Boxershorts wandern ließ, die ich an seiner Seite Millimeter für Millimeter nach unten gleiten ließ, gefolgt von der anderen Seite, ehe ich die andere Hand zur Hilfe nahm und mich schließlich in all meiner Pracht meinem Freund präsentierte.

Auf seiner Stirn hatten sich Schweißtropfen gebildet und die deutliche Ausbuchtung in seiner Hose verriet mir, dass ihm meine kleine Showeinlage durchaus gefallen hatte. Er rutschte, ohne mich aus den Augen zu lassen, in die Mitte der Matratze, wohin ich ihm ohne zu zögern folgte, mich auf ihn legte und ihm einen heißen Kuss schenkte. Seine Hände wanderten über meinen entblößten Rücken, seine Fingernägel schabten über meine Haut und er streckte mir seine Hüften entgegen.
Nach einer schieren Ewigkeit löste ich meine Lippen von seinen, die von den vielen Küssen bereits geschwollen waren, widmete mich seinem Hals und speziell der Stelle unter seinem linken Ohrläppchen, von der ich wusste, dass es ihn fast verrückt machte, wenn ich ihn dort mit der Zunge liebkoste. Ich erhielt ein ersticktes Aufstöhnen und seine Finger gruben sich beinahe schmerzhaft in meine Schultern.
Langsam glitt ich nach unten, passte auf, dass ich ihn nicht unabsichtlich zum Höhepunkt brachte, indem ich mich zu sehr seinen Brustwarzen widmete und rutschte noch weiter hinunter, um schließlich das zu tun, was ich vorhin mit seinem Daumen gemacht hatte – ich würde meinen gesprächigen Mund beschäftigen. Ich machte mir an seinem Gürtel zu schaffen, während ich mich um seinen Nabel kümmerte und das brachte mir prompt ein weiteres lustvolles Keuchen ein. Ich erlebte es selten, dass er sich mir so vollkommen überließ, dass er sich bedenkenlos fallen ließ, in dem Bewusstsein, dass ich ihn auffangen würde.
Jethros Stöhnen reichte fast aus, dass ich meine Erektion an der Matratze gerieben hätte, so lange, bis mich ein intensiver Höhepunkt überrollt hätte, aber ich hielt mich mit Mühe zurück. Ich war unglaublich hart und ich sehnte mich danach, mich in ihm zu vergraben, aber auch in dieser Sache ließ ich mir Zeit. Zuerst würde ich Gibbs mit meinem Mund den Verstand rauben.
Geschickt öffnete ich seine Hose und zog sie ihm samt seiner Boxershorts nach unten, verschwendete nicht einmal eine halbe Minute damit, um ihn vollkommen nackt vor mir zu haben. Mir stockte buchstäblich der Atem, ihn so zu sehen, mir vollkommen ausgeliefert, mit dem Wissen, dass ich alles machen könnte.
Unbewusst leckte ich mir über meine Lippen, blickte in Jethros Augen, die mich voller Leidenschaft musterten, aber gleich darauf ließ er seinen Kopf in die Kissen zurückfallen, als ich gekonnt seine gesamte Länge in meinem Mund aufnahm und ein gedämpftes Stöhnen ausstieß, als mich sein ureigener Geschmack überflutete. Ich begann zu saugen und erhielt einen lustvollen Schrei als Belohnung, der sich in meinen Namen verwandelte und Gibbs hob sein Becken von der Matratze, drängte sich mir weiter entgegen.
Mit meinen Händen umfasste ich seine Hüften und drückte ihn zurück aufs Bett, während ich meinen Kopf langsam hob, sein Glied aus meinem Mund gleiten ließ und dabei die Unterseite mit meiner Zunge liebkoste, bis ich bei der empfindlichen Spitze angekommen war, über die ich sachte mit meinen Zähnen schabte, in dem vollen Bewusstsein, dass ich Jethro damit vollkommen verrückt machte. Erneut erklang mein Name im Schlafzimmer, gefolgt von einem erstickten Schrei, als ich meine Lippen fest um die Eichel schloss und sachte daran saugte, während die Finger meiner rechten Hand zärtlich seinen harten Schaft streichelten.
Ich ließ mir bewusst Zeit, setzte einen langsamen Rhythmus, mit dem ich meinen Kopf auf und ab bewegte, um ihm zu zeigen, dass ich mit meinem Mund viel bessere Dinge machen konnte als nur reden. Sein Stöhnen überschwemmte meinen Körper mit einer riesigen Welle der Lust und mehr denn je sehnte ich mich danach, mich in seiner engen Hitze zu vergraben.
Bevor ich meinem Wunsch nach Erfüllung nachgeben und mich selbst mit der Hand in den Abgrund treiben würde, ließ ich schließlich von Jethro ab, schob mich höher und presste meine Lippen auf seine, teilte mit ihm seinen eigenen Geschmack, der uns beiden den Atem raubte. Ohne mich von ihm zu trennen, griff ich zum Nachttisch, tastete blind nach dem Griff und zog die Schublade auf, nur um gleich darauf meine Finger um die Tube Gleitgel zu schließen. Ich küsste ihn weiter, genoss es, wie Gibbs ein weiteres Mal meinen Rücken liebkoste, während ich gekonnt die Tube öffnete und etwas von dem kühlen Gel auf meinem Zeigefinger verteilte.
Schließlich löste ich meinen Mund von seinem und beobachtete, wie sich seine Augen träge öffneten und mich voller Leidenschaft und Lust ansahen. Er winkelte seine Beine an, stellte seine Füße flach auf das Bett und hob seine Hüften, sodass ich ohne Probleme an mein Ziel kam. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, ließ ich einen Finger in ihn hineingleiten und stieß keuchend den Atem aus, als mich unglaubliche Hitze willkommen hieß. Jethro stöhnte begierig auf und krallte seine Hände in die Decke, sah mich aber die ganze Zeit über an. Seine Wangen hatten eine gesunde rote Farbe angenommen und ein Schweißfilm hatte sich auf seiner Stirn und Brust gebildet.
Gekonnt nahm ich einen zweiten Finger zu Hilfe, um ihn weiter vorzubereiten – und um ihn zu quälen. Ich wusste, er könnte mich auch so in sich aufnehmen, aber ich wollte ihn ein wenig zappeln lassen. Um eine Winzigkeit änderte ich schließlich den Winkel, Gibbs hob erneut seine Hüften vom Bett und schrie lustvoll auf, als ich den verborgenen Punkt in seinem Inneren gefunden hatte. „Komm schon, Tony", keuchte er und ich musste bei der Doppeldeutigkeit seiner Worte leise lachen.
Ich holte meine Finger wieder hervor und nahm erneut die Tube, um das Gel auf meinem Glied zu verreiben. Jethro schlang seine Beine um meine Hüften, als ich ihn in die richtige Position rückte. Erneut hielten wir Blickkontakt, als ich langsam in ihn hineinglitt, Zentimeter für Zentimeter. Meine Finger gruben sich in seine Haut, als ich die heiße Enge um mich spürte und mir entfuhr unwillkürlich ein lautes Stöhnen. Immer weiter schob ich mich in ihn hinein und Gibbs' Augen verschleierten sich, bis sie fast dunkelblau waren.
Mein Atem ging keuchend und ich ließ mich auf seinen Oberkörper fallen, als er mich vollkommen in sich aufgenommen hatte. „Oh Mann", stieß ich hervor und bemühte mich, nicht auf der Stelle zu kommen. Ich konnte es nicht glauben, dass ich wirklich in den Armen des Mannes lag, den ich über alles liebte, dass wir so intim verbunden waren, dass ich die Möglichkeit hatte, mit ihm langsam Liebe zu machen. Ich biss mir auf die Unterlippe und blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.
„Tony", flüsterte Jethro heiser und umklammerte mich noch fester mit seinen Beinen, zog mich näher zu sich heran. Ich stützte mich mit meinen Armen auf, schob mich ein Stückchen höher und küsste ihn, küsste ihn voller Verlangen, während ich anfing, mich sachte in ihm zu bewegen. Automatisch passte ich mich dem Rhythmus unserer Zungen an und beide stöhnten wir begierig auf, als ich das Tempo nach und nach erhöhte.

Ich löste meinen Mund von seinem und Jethro ließ seinen Kopf in das Kissen zurücksinken, schloss seine Augen und gab sich ganz unserem Tun hin. Er begegnete meinen Stößen, vergrub seine Hände in meinem Rücken und ich beobachtete die schiere Lust, die ihn überrollte, als ich den Winkel ein wenig änderte und erneut den sensiblen Punkt in seinem Inneren fand. Sein Stöhnen vermischte sich mit meinem und ich sah zu, wie er seinen Kopf in den Nacken legte, sich seine Brust schnell hob und senkte und sein Mund leicht geöffnet war. Ich konnte meinen Blick nicht von seinem Gesicht abwenden und bemerkte nur am Rande, wie er eine Hand von meinem Rücken löste, zwischen uns fasste und anfing, sich selbst zu streicheln.
Noch gestern hatte ich mich von ihm verabschiedet, hatte gedacht, ihn begraben zu haben, hatte gedacht, ihn verloren zu haben, ihn nie wieder lieben zu können, wie ich es in diesem Moment machte. Ihn so zu spüren, wie er mich heiß und eng umschloss, sich ganz meinen Bewegungen hingab, war beinahe zu viel. Mein Blickfeld wurde verschwommen, als erneut Tränen in meine Augen stiegen, die ich diesmal nicht mehr unterdrücken konnte. Haltlos strömten sie stumm über meine Wangen, während ich weiterhin in Jethro hinein- und aus ihm herausglitt, mit einem beständigen Rhythmus, der uns beide um den Verstand brachte.
Ich spürte seine Hand, die sich zwischen uns bewegte, hörte sein Stöhnen und schließlich tropften die ersten Tränen von meinem Kinn und landeten auf seinem Oberkörper. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde hörte die Bewegung seiner Finger auf und er öffnete seine Augen, um meinem Blick zu begegnen. Sorge überdeckte für kurze Zeit die Lust auf seinem Gesicht, aber als er sich aufsetzen wollte, schüttelte ich den Kopf und stieß härter in ihn hinein, rang ihm ein Stöhnen ab, als ich erneut den sensiblen Punkt in seinem Inneren traf.
Er löste seine linke Hand von meiner Schulter und wischte mir die Tränen von den Wangen, die allerdings gleich darauf wieder nass wurden. Zögernd fing er an, sich weiter zu streicheln, während er seinen Daumen zu meinen Lippen wandern ließ und diese sachte liebkoste. Meine Stöße wurden schneller, ich stöhnte begierig auf und traf mittlerweile mit jedem Stoß Jethros sensiblen Punkt. Seine Hand glitt von meiner Wange und er fiel zurück auf die Matratze. Die Bewegungen seiner Finger zwischen uns wurden ungestümer und ich spürte die ersten Vorläufer seines Höhepunktes, als er anfing, sich um mich zu kontrahieren.
Eine halbe Sekunde lang verharrte er regungslos, ehe er einen lustvollen Schrei ausstieß, sich seine Hüften von der Matratze hoben, sich sein Gesicht vor schierer Lust verzog und er sich zwischen uns heiß entlud. Ich spürte seinen warmen Samen auf meinem Bauch und durch den heftigen Orgasmus zog er sich noch fester um mich zusammen, sodass er unglaublich eng wurde, weshalb sich innerhalb kürzester Zeit in mir eine riesige Spannung aufbaute und sich mein gesamten Körper mit einem intensiven Prickeln überzog. Ich vergrub mich ein letztes Mal tief in Jethro, warf meinen Kopf in den Nacken und stieß einen lauten Schrei aus, als mich der Höhepunkt mit Wucht überrollte und ich mich in ihm ergoss, während weiterhin die Tränen umgehemmt über meine Wangen strömten. Welle um Welle heißer Lust überflutete mich, ließ mich beinahe hilflos zucken und ich hatte kurzzeitig das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Keuchend und vollkommen kraftlos ließ ich mich schließlich auf Gibbs' Oberkörper fallen, wo er mich sofort in eine enge Umarmung schloss und sanfte Küsse in meinen schweißnassen Haaren verteilte. Sein Atem ging genauso schnell wie meiner und er roch unglaublich gut, nach Sex, Sägespänen und einfach nur nach Gibbs.
„Oh Gott", schluchzte ich und drückte mein tränenüberströmtes Gesicht gegen seine Brust. „Shhhh. Ich bin hier, Tony", sagte er beruhigend und streichelte zärtlich meinen Rücken. „Lass mich nie wieder alleine", brachte ich hervor und krallte mich beinahe verzweifelt an ihm fest, während ich mich noch ein Stückchen tiefer in ihn hineinschob. „Lass mich bloß nie wieder alleine."
„Das werde ich nicht", erwiderte er ohne zu zögern, weshalb ich meinen Kopf hob und in seine Augen sah, aus denen die Lust verschwunden und in die die Liebe zurückgekehrt war. „Ich verspreche es dir, Tony. Ich werde dich nie wieder alleine lassen." Zärtlich wischte er mir die Tränen von meinen Wangen, nur um mich gleich darauf wieder in eine feste Umarmung zu schließen.
„Ich liebe dich, Jethro", sagte ich und küsste genau die Stelle wo sein Herz schlug. „Du bist das Beste, was mir je passieren konnte." „Mein Tony", flüsterte er und hielt mich noch fester, wiegte mich leicht hin und her. „Ich liebe dich auch", hauchte er schließlich und schmiegte seine Wange in meine Haare. „Ich lasse dich nie wieder gehen. Nie wieder." Ich schloss meine Augen, sicher in Jethros Umarmung und weiterhin unglaublich intim mit ihm verbunden. In diesem Moment war einfach alles perfekt…

Fortsetzung folgt...
Chapter 41 by Michi
Ich hatte mich schon lange nicht mehr so wohl gefühlt – mit der Welt im Einklang und vollkommen zufrieden. Sämtliche Spannung, die mich in den letzten Tagen begleitet hatte, war aus meinem Körper gewichen und in meinen Muskeln befand sich kein einziger Knoten mehr. Ich war erschöpft, trotzdem verspürte ich nicht annähernd den Wunsch zu schlafen. Es war einfach viel zu herrlich, in meinem weichen Bett zu liegen, die Decke bis auf die Hüften hinaufgezogen und Gibbs zu beobachten, der mich seinerseits nicht aus den Augen ließ.
Wir befanden uns Seite an Seite, teilten uns ein Kissen und eine Decke und sahen uns die ganze Zeit über stumm an, genossen einfach die Nähe des jeweils anderen. Es war unglaublich schön, ihn wieder zu haben, zu spüren, wie er mir zärtlich durch die Haare streichelte, während ich mit meinen Fingern seinen bloßen Oberarm hinauf- und hinunterwanderte, seine Körperwärme dabei förmlich absorbierte.
Noch immer konnte man die Leidenschaft, die uns vorhin ergriffen hatte, ein wenig riechen, obwohl ich mittlerweile das Fenster einen Spalt geöffnet hatte, um zu lüften. Ich wusste nicht, wie spät es war und mir war es im Prinzip auch egal. Es zählte nur, dass ich an der Seite des Mannes lag, der mir alles bedeutete und den ich nie wieder loslassen wollte. Das Versprechen, mich nie wieder alleine zu lassen, würde Jethro einhalten, da war ich mir sicher. Er war einer der Menschen, der sein Wort hielt, das bewies schon alleine die Sache mit seiner Schwester.
Ich holte tief Luft, sog förmlich den Duft des Duschgels und von Sägespänen ein und verzog meine Lippen zu einem liebevollen Lächeln, das er ohne zu zögern erwiderte. Seine Hand löste sich aus meinen Haaren und er legte sie auf meine Wange, streichelte zärtlich die Haut, während seine Augen vor Glück förmlich strahlten und ich wusste, dass in meinen eigenen dieselben Gefühle zu lesen waren.
Ich hatte genau erkannt, dass Gibbs von meinem Geständnis, dass er das Beste sei, was mir je passiert war, unglaublich gerührt gewesen war, alleine die feste Umarmung, in die er mich geschlossen hatte, war Beweis genug gewesen, gefolgt von kurzen Küssen, die er immer wieder in meine Haare gedrückt hatte. Er hatte mich gehalten, so als ob er mich in nächster Zeit nicht mehr loslassen wollte, während wir weiterhin verbunden gewesen waren – keiner hatte sich von dem anderen lösen wollen.
Aber irgendwann – nach einer Ewigkeit, wie mir schien – war uns beiden bewusst geworden, dass wir in Schweiß gebadet waren und Jethros Samen angefangen hatte, sowohl auf meiner als auch auf seiner Haut zu trocknen. Eine Dusche war unausweichlich gewesen und so hatte ich mich schweren Herzens aus ihm zurückgezogen, aber mit dem Wissen, dass wir es immer wieder wiederholen, uns so oft lieben konnten, wie wir wollten. Nichts und niemand würde uns mehr auseinanderbringen können, ich war mir sicher, dass wir alles überstehen konnten, wenn uns sogar der Tod nicht davon abhalten konnte, zusammen zu sein. Die Erfahrungen der letzten beiden Tage hatten uns fester zusammengeschweißt, hatten dafür gesorgt, dass zwischen uns ein noch stärkeres Band entstanden war, das die Kluft, die uns kurzfristig getrennt hatte, umgehend geschlossen hatte, um sie nie wieder aufbrechen zu lassen.

Unsere gemeinsame Dusche war herrlich gewesen, ich hatte beinahe vergessen wie befriedigend es sein konnte, jemandem den Rücken einzuseifen und dabei die Knoten aus den Muskeln wegzumassieren, während der warme Wasserstrahl auf unsere Köpfe niederprasselte. Es war nicht das erste Mal gewesen, dass wir uns auf diese Weise Zärtlichkeiten geschenkt hatten, aber es hatte sich irgendwie neu angefühlt – es war beinahe so, dass Jethros angeblicher Tod eine ganz neue Sicht auf sonst alltägliche Dinge geworfen hatte. Innerhalb einer Sekunde konnte sich das Leben verändern, sich von unbändigem Glück zu grenzenlosem Schmerz verwandeln, so wie es bei mir der Fall gewesen war. Aber ich hatte die Erfahrung machen dürfen, wie es war, dieses Leid wieder loszuwerden, indem ich Gibbs zurückbekommen hatte. Das Glück hatte erneut seinen angestammten Platz eingenommen, aber es war mit dem Wissen verbunden, dass es irgendwann ein weiteres Mal verschwinden könnte, nur dann vielleicht für immer.
Während Gibbs dabei gewesen war, ein wenig meine Schultern zu massieren, hatte das Knurren meines Magens das Wasserrauschen übertönt. Mein Freund hatte das ziemlich amüsant gefunden und hatte in meine Haare gelacht, während ich eher rosa angelaufen war, dass es doch jemanden gab, der unsere Zweisamkeit gestört hatte. Es war das erste Mal seit langem gewesen, dass ich wieder einen riesigen Hunger gehabt hatte, dass mein Appetit mit einem Schlag zurückgekehrt war und mich daran erinnert hatte, dass ich seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte.
Erneut hatte ich mich schweren Herzens von ihm getrennt, aber nur so lange, bis ich mir eine Boxershorts angezogen und eine riesige Pizza bei meinem Lieblingslieferanten bestellt hatte, die wir gemeinsam auf meiner Couch in Rekordzeit verdrückt hatten. Jethro schien genauso wie ich in den letzten Tagen nicht sonderlich viel zu sich genommen zu haben und auch sein Hunger war wohl schlagartig zurückgekommen.
Nach unserem etwas späten Abendessen hatten wir uns wieder ins Bett gelegt, Seite an Seite, ohne den anderen auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, so als ob wir beide noch immer ein wenig Angst hätten, es wäre nur ein Traum, dass wir wieder vereint waren, dass sich einer von uns doch noch in Luft auflösen würde.

Mein Lächeln wurde breiter, als Jethro seinen Zeigefinger zu meinen Lippen weiterwandern ließ, diese kurz liebkoste und zu meiner Wange zurückkehrte. Wir waren mittlerweile über sieben Monate zusammen und doch verwunderte es mich weiterhin, dass er so unendlich zärtlich sein konnte, dass er sogar eine romantische Ader besaß, von der ich vorher nie gewusst hatte, dass diese überhaupt existierte. Früher hatte ich in ihm nur den knallharten Chefermittler gesehen, der schlecht gelaunt herumgelaufen war und jeden angeknurrt hatte, aber mir gegenüber ließ er seine Maske bedenkenlos fallen. Inzwischen war mir klar, dass sein Gebaren nur ein Schutz davor war, verletzt zu werden.
Ich liebte die zerbrechliche Seite an ihm gleichermaßen wie seine bedrohlichen Blicke, wenn er einen Verdächtigen verhörte oder seine knurrende Stimme, wenn er Befehle erteilte und die nicht schnell genug ausgeführt wurden – dieser Mann war einfach perfekt, auch wenn er es mühelos schaffte, mich zu verletzen.
„Woran denkst du?" fragte Gibbs und durchbrach schließlich unser Schweigen. Seine Finger waren in meine Haare zurückkehrt und zerzausten sie leicht. „An dich", antwortete ich ehrlich, nahm meine Hand von seinem Oberarm und platzierte sie auf seiner Hüfte. Meine Worte zauberten ihm ein strahlendes Lächeln ins Gesicht, das wiederum mein Herz schneller schlagen ließ – wie ich es liebte, wenn er sich mir gegenüber so vollkommen öffnete.
„Und woran denkst du?" wollte ich wissen und rückte ein wenig näher an ihn heran, aus dem Bedürfnis heraus, noch mehr von seiner Körperwärme zu spüren. „Daran, welches Glück ich habe, dich zu haben, Tony", erwiderte er ohne zu zögern und mir schoss unwillkürlich die Röte ins Gesicht, was ihn leise lachen ließ. „Du bist mein Engel. Mein lebensrettender Engel", fügte er hinzu und gab mir kurz darauf einen kleinen Kuss auf meine Nasenspitze. Die Röte in meinen Wangen wurde tiefer und ich hatte das Gefühl, mein Herz würde dahinschmelzen.
„Und du bist mein Brummbär", meinte ich schließlich und Jethro hob überrascht seine Augenbrauen. „Brummbär?" wiederholte er amüsiert und auf meine Lippen kehrte das Lächeln zurück. „Oh ja. Du brummst immer gerne Leute an, vor allem, wenn dich jemand anruft und du nicht gestört werden willst. Das finde ich jedes Mal unglaublich sexy." „Sexy, hmmm?" Blitzschnell rollte er sich auf mich, drückte mich mit seinem Gewicht in die Matratze und grinste mich von oben herab an. „Unheimlich", sagte ich grinsend, vergrub meine Hände in seinen Haaren und zog seinen Kopf zu mir heran, um ihn zu küssen.
„Gott, ich liebe dich", meinte Gibbs schließlich keuchend, als ich ihn wieder freigab. „Gott? So weit ich mich erinnere, ist mein Name aber Tony", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen und erhielt genau das, was ich in den letzten Tagen seltsamerweise vermisst hatte – eine Kopfnuss, zwar nicht auf den Hinterkopf, da dieser in den Polster gepresst war, aber das war egal.
Ich lachte leise und schlang meine Arme um Jethro, als er sein Gesicht an meine Schulter schmiegte und glücklich seufzte. „Kindskopf", meinte er und ich spürte das stumme Lachen, das durch seinen Körper fuhr. „Aber ein liebenswerter", fügte ich hinzu und drückte ihn fester an mich, genoss es einfach, ihn in meinen Armen zu halten.

Die Minuten verstrichen, ohne dass jemand etwas sagte und ein Blick nach unten zeigte mir, dass Gibbs seine Augen geschlossen hatte. Aber ich wusste, dass er nicht schlief, dass er weiterhin wach war, schon alleine deswegen, weil seine Finger immer wieder meine Haut liebkosten. So schön es auch war, ihn in meinen Armen zu halten, dass er sich an mich schmiegte so wie ich es sooft bei ihm machte, ich musste ihn trotzdem etwas fragen etwas, das mir seit Duckys Besuch nicht mehr aus dem Kopf ging.
„Warum hast du mir eigentlich nicht erzählt, dass Darien und du beste Freunde ward?" rang ich mich schließlich durch, die Worte zu sagen, die mich beschäftigten, in dem Wissen, dass sie wohl die romantische Stimmung ein wenig zerstören würden. Jethro rührte sich für ein paar Sekunden überhaupt nicht und beinahe glaubte ich, dass er meine Frage nicht gehört hatte. Aber gleich darauf seufzte er, hob seinen Kopf und bettete sein Kinn auf meiner Brust, sodass er mich ansehen konnte.
„Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es selbst nicht einmal", antwortete er mit leiser Stimme und blickte mich beinahe entschuldigend an. „Ich habe nicht gewusst, wie ich es dir sagen soll und dann… nun ja, dann bist du bereits gegangen." Bei der Erinnerung daran, huschte ein trauriger Schatten über sein Gesicht, der aber so schnell wieder verschwand wie er gekommen war. „Es tut mir leid", meinte ich und verstärkte meine Umarmung, zeigte ihm, dass ich diesmal nirgendwo hingehen würde. „Du hattest ja alles Recht der Welt, mich einfach stehen zu lassen, Tony. Es braucht dir überhaupt nichts leid zu tun. Woher weißt du das von Darien und mir überhaupt?" fügte er hinzu, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. „Ducky", beantwortete er seine Frage von alleine und ich nickte. „Er war vorhin bei mir und hat mir die ganze Geschichte erzählt. Und auch, dass ich dir praktisch das Leben gerettet habe, als wir in Baltimore aufeinandergetroffen sind."
Ein zärtlicher Ausdruck trat in Gibbs' Augen und er lächelte mich liebevoll an. „Darum bist du ja auch mein lebensrettender Engel", sagte er, schob sich ein wenig nach oben und küsste mich gefühlvoll, streichelte erneut meine Haare und ich hätte beinahe wie ein Kater geschnurrt.
„Genauso wie du mir das Leben gerettet hast, hat mir das auch James Jr.", meinte er kurz darauf, stützte sich auf seine Arme ab und setzte sich schließlich auf. „Jethro?" fragte ich beinahe ängstlich, als ich die Veränderung in ihm wahrnahm, die Traurigkeit, die in ihm aufstieg und die selbst für mich greifbar war. „Was meinst du damit?" fügte ich vorsichtig hinzu, nicht sicher, ob er darüber reden wollte. Aber er blickte mir weiterhin fest in die Augen und fuhr sich mit einer Hand über sein Gesicht.
„Er war für mich mehr als nur ein Neffe, Tony. Er war…" Er brach ab und ich sah förmlich, wie die gesamte Spannung aus seinem Körper wich. Ich richtete mich auf und setzte mich im Schneidersitz ihm gegenüber auf die Matratze. „Ich habe dir heute Vormittag gesagt, es gibt nichts Schlimmeres, als ein Kind zu verlieren, erinnerst du dich?" „Ja, ich erinnere mich daran", erwiderte ich und rückte ein Stückchen näher an ihn heran. „Ich hatte…" Er brach ab, hob seine linke Hand und verschränkte deren Finger mit meinen. Ich wusste auf einmal, dass er dabei war, mir etwas Wichtiges zu erzählen, etwas, das in ihm diese Traurigkeit auslöste, die mein Herz schmerzhaft zusammenziehen ließ.
„Was ich dir jetzt sage, habe ich noch nie jemandem anvertraut. Nicht einmal Ducky." Sein Griff um meine Hand wurde stärker, so als ob sie ein Rettungsanker wäre. Ich saß einfach da und wartete darauf, dass er fortfuhr und obwohl ich neugierig war, drängte ich ihn nicht, ließ ihm die Zeit, die er brauchte, um sich zu sammeln, um die Worte zu finden, die er bis jetzt noch niemanden hören hatte lassen.
„Ich hatte einmal eine richtige Familie, Tony", sagte er schließlich leise und ungewohnt schwach. Der Ausdruck in seinen blauen Augen wurde noch trauriger und erneut glitzerten Tränen darin, was mir unglaublich nahe ging. Auf einmal war er unbeschreiblich verletzlich, noch verletzlicher als vorhin am Friedhof.
„Und damit meine ich nicht James Jr. und Jamie", fuhr er schließlich fort, holte tief Luft und schien sich wieder ein wenig zu fassen. „Ich… ich war nicht dreimal verheiratet, sondern viermal. Vor meinen Scheidungen hatte ich noch eine Frau und… eine Tochter. Ihre Namen waren Shannon und Kelly…"


Washington D.C.
Samstag, 01. Februar
08:10 Uhr


Das Klingeln meines Handys riss mich aus einem tiefen und vor allem traumlosen Schlaf. Für einen kurzen Moment wusste ich nicht, wo ich mich befand, aber der warme Körper, der an meinen Rücken geschmiegt war, brachte in Sekundenschnelle sämtliche Erinnerungen zurück – das Gespräch zwischen Gibbs und mir in der Forensik, Duckys erfolgreicher Versuch, mir den Kopf zu waschen, die Gräber von James Jr. und Jamie, Jethros und mein Versöhnungskuss, gefolgt vom mehr als leidenschaftlichen Sex und das Geständnis meines Freundes, eine geliebte Frau und eine Tochter gehabt zu haben, die er beide verloren hatte.
Shannon und Kelly… bei dem Gedanken an den unendlichen Schmerz in seinen Augen zogen sich meine Eingeweide zusammen. Ich hatte erlebt, wie es war, einen über alles geliebten Menschen zu verlieren, aber das war nichts im Vergleich zu dem Leid, das einen überrollte, wenn man sein eigenes Kind begraben musste. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung davon, was Gibbs durchgemacht hatte, als er in Kuwait erfahren hatte, dass seine Frau und Tochter ermordet worden waren.
Während er mir alles erzählt hatte, war ich einfach vor ihm gesessen, hatte ihm zugehört und seine Hand gehalten, an die er sich verzweifelt gekrallt hatte. Ich hatte mir so sehr gewünscht, ihm etwas von dem grenzenlosen Schmerz abnehmen zu können, der sich in seinen Augen abgezeichnet und der ihm immer mehr Tränen über die Wangen getrieben hatte.
Keine einzige Sekunde lang war ich ihm böse gewesen, dass er vorher nie etwas gesagt hatte, dass er in den ganzen sieben Monaten, in denen wir bereits zusammen waren, nie ein Wort erzählt hatte – wie hätte ich auch auf ihn wütend sein können? Ich verstand, warum er nie etwas erwähnt hatte, warum er Stillschweigen bewahrt hatte – um das Leid in seinem Inneren einzusperren, in der Hoffnung, dass es nie ans Tageslicht kommen würde.
Alleine die Tatsache, dass sich Jethro mir schließlich anvertraut hatte, zeigte davon, wie stark das Band zwischen uns geworden war, wie sehr er mir vertraute. Ich war jetzt der Einzige, der wusste, dass Gibbs einmal eine richtige Familie gehabt hatte und obwohl er nichts gesagt hatte, war mir sofort klar geworden, dass ich es für mich behalten sollte, dass es ein Geheimnis war, das nur wir beide kannten – so lange, bis er bereit dazu war, auch den anderen alles zu erzählen. Es musste ihn große Überwindung gekostet haben, sich alles von der Seele zu reden, mir zu zeigen, dass er bereites einmal beinahe in ein schwarzes Loch gefallen wäre. Er hatte mir sogar gebeichtet, dass er vorgehabt hatte, sich selbst zu erschießen, aber dass er es nicht fertiggebracht und sich dafür öfters gehasst hatte.
Die Tatsache, dass er versucht hatte, sich umzubringen, hatte mir einen heftigen Stich ins Herz versetzt und grausame Bilder vor meinen Augen entstehen lassen, die ich wohl nie wieder loswerden würde. Mittlerweile verstand ich mehr denn je, warum James Jr. Gibbs das Leben gerettet hatte. Er hatte in dem Jungen einen Ersatz für Kelly gesehen, hatte gehofft, so über all seinen Schmerz hinwegzukommen, bis ihm auch noch sein Neffe genommen worden war. Alleine ein Versprechen hatte ihn davon abgehalten, alles hinzuschmeißen und wie Ducky erwähnt hatte, war ich schließlich aufgetaucht.
Lebensrettender Engel… das war ich wohl wirklich und ich war einfach nur froh, dass ich Jethro nicht weggeschickt hatte, dass ich mich für ein Leben mit ihm entschieden hatte.
Irgendwann hatte er aufgehört zu erzählen, seine Stimme war zu schwach gewesen, um noch ein weiteres Wort hervorzubringen und ich hatte ihn einfach in meine Arme genommen, hatte ihn fest an mich gedrückt und gehalten, hatte versucht ihn zu trösten. Die Tränen, die auf meiner Haut gelandet waren, spürte ich jetzt – Stunden später – noch immer.
Das Wissen, dass es noch zwei Menschen gab, die er über alles liebte hatte, machte mir seltsamerweise nichts aus – im Gegenteil. Mir würde es eher Sorgen machen, wenn er nicht mehr an die beiden denken würde, wenn er sie einfach so aus seinem Leben gestrichen hätte. Ich war sogar dankbar, dass er es mir erzählt hatte, dass er mich an seiner Vergangenheit teil haben ließ, egal wie schmerzhaft diese war – es schweißte uns nur noch fester zusammen.
Noch immer bildete sich auf meinen Armen eine Gänsehaut, wenn ich an Jethros anschließende, verzweifelte Worte, dass ich ihn lieben sollte, dachte. Und ich hatte ihn geliebt, langsam und zärtlich, wie ich es vorher noch nie getan hatte, hatte ihm gezeigt, dass er noch am Leben war, dass ich bei ihm war und er mich nie verlieren würde, dass ich immer bei ihm bleiben würde.
Ich hatte förmlich gespürt, wie der Schmerz leichter für Gibbs zu ertragen geworden war, dass ihm ein Gewicht von der Brust genommen worden war und ich wusste, dass Shannon und Kelly von nun an auch ein Teil von mir sein würden. Anschließend hatte mir Jethro ein wenig von ihnen erzählt und sich dabei an mich gekuschelt, aber nicht, weil er verzweifelt gewesen war, sondern weil er es genossen hatte, in meinen Armen zu liegen, während er von seiner Familie gesprochen hatte. Die Traurigkeit war wieder verschwunden und hatte glücklichen Erinnerungen Platz gemacht, die er nur allzu gerne mit mir geteilt hatte. Und irgendwann waren wir schließlich eingeschlafen, sicher geborgen in den Armen des jeweils anderen…

Ein weiteres Klingeln zerriss die morgendliche Stille und ich verfluchte den Anrufer, wer auch immer es sein mochte. Jethro rührte sich hinter mir, knurrte etwas Unverständliches und schmiegte sich noch näher an mich. Auf meinen Lippen bildete sich ein Lächeln, aber als das dritte Klingeln ertönte, stöhnte ich frustriert auf, löste seine Hand von meinem Bauch und rutschte zur Bettkante, wo ich mich nach unten beugte und in dem Kleiderhaufen nach meiner Jeans suchte, in deren Tasche mein Handy war.
Ohne auf die Anrufer ID zu blicken, klappte ich es auf, während Gibbs wieder an mich heranrückte und erneut seine Hand auf meinen Bauch legte. „DiNozzo ist zurzeit nicht ansprechbar", brummte ich in das kleine Telefon hinein und versuchte Jethros Finger zu ignorieren, die langsam meine Haut streichelten, während er anfing, meinen Nacken zu küssen. Ich schluckte mühsam, als ich seine weichen Lippen spürte und ein intensives Prickeln überzog unglaublich schnell meinen gesamten Körper.
„Wirklich witzig, Tony", erklang McGees Stimme und ich schloss für ein paar Sekunden die Augen – die Realität hatte uns anscheinend wieder. „Was gibt es, Bambino?" fragte ich und biss mir gleich darauf auf meine Unterlippe, als Jethros Hand höher wanderte und sein Daumen anfing, meine linke Brustwarze zu liebkosen. Seine Zunge fuhr in der Zwischenzeit an meinem Nacken entlang und ich hatte alle Mühe, nicht einfach ins Handy zu stöhnen. Ich rutschte ein wenig hin und her, um Gibbs damit zu signalisieren, dass er aufhören sollte, aber er ließ sich davon nicht stören.
„Es ist bereits nach acht Uhr und Direktor Shepard wartet seit einer halben Stunde darauf, dass wir endlich durchgehen, wie wir heute Nachmittag bei Darien vorgehen werden. Außerdem… nun ja, es ist so, dass… wie soll ich sagen… also, wir erreichen Gibbs nicht. Nicht einmal auf dem Handy, das er für den Auftrag bekommen hat. Wir machen uns ein wenig Sorgen, immerhin könnte es sein, dass Darien…" „Keine Bange, Bambino, Jethro geht es hervorragend", stieß ich hervor, als dieser leicht in meine Brustwarze zwickte und anschließend seine Hand langsam nach unten wandern ließ. Ich begann, hart zu werden und versuchte, nicht allzu schnell zu atmen.
„Ähm, bist du dir sicher, Tony? Ich meine, gestern hat es noch den Anschein erweckt, dass du nicht sonderlich viel von ihm wissen wolltest." „Gestern war gestern. Glaub mir, ihm geht es hervorragend. Es besteht kein Grund zur Sorge, überhaupt kein Grund…" Die restlichen Worte gingen in ein Stöhnen über, das ich nicht mehr zurückhalten konnte, als sich Jethros Finger geschickt um mein Glied legten und ohne Umschweife begannen, es zu streicheln.
„Ähm, Tony, ist… ist a… alles in Ordnung?" hörte ich McGee wie aus weiter Ferne fragen und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er den Telefonhörer in der Hand hielt und sorgenvoll dreinblickte. „Mir ging es nie besser", brachte ich keuchend hervor und schluckte ein erneutes Stöhnen hinunter. Gibbs lachte an meinem Nacken, nur um gleich darauf energisch daran zu saugen.
„Bist du sicher? Du hörst dich, nun ja, ein wenig komisch an", erwiderte Tim und ich verlor für ein paar Sekunden den Faden, als Jethro anfing, die empfindliche Spitze meiner Erektion mit seinem Daumen zu liebkosen. „Ich bin mir absolut sicher. Sag… sag Direktor Shepard, wir sind in einer Stunde im Hauptquartier, McGee", meinte ich ganz schnell, bevor ich das Sprechen verlernte. „Wir?" „Ja, wir, Bambino", rief ich atemlos und ließ meinen Kopf gegen die Schulter meines Freundes fallen, der deswegen von meinem Nacken ablassen musste, sich aber gleich darauf mit meinem Hals beschäftigte, während ich durch seine Finger immer härter wurde.
Ein verlegenes „Oh" drang an mein Ohr, als bei Tim endlich der Groschen gefallen war, warum ich mir so sicher war, dass es Gibbs hervorragend ging – und ich ins Handy stöhnte, so als ob ich Telefonsex praktizieren würde.
„Mach 90 Minuten draus, McGee", sagte Jethro hinter mir klar und deutlich und ich musste unwillkürlich grinsen, als ich mir vorstellte, wie die Wangen des jungen Mannes feuerrot anliefen. „Ich glaube, eine Stunde wird nicht ausreichen", fügte mein Freund hinzu und knabberte gleich darauf an meinem Ohrläppchen. „Ähm… Tony, was…" „Du hast den Boss gehört, Bambino. 90 Minuten." Damit klappte ich das Handy zu, unterbrach das Gestotterte meines Kollegen und legte das Gerät auf den Nachttisch. Gleich darauf drehte ich mich um, sodass Gibbs' Hand von meinem Glied rutschte, aber dafür presste ich eine Sekunde später meine Hüfte fest gegen seine und rang ihm seinerseits ein Stöhnen ab.
„Jetzt wird sich McGee garantiert vorstellen, was wir hier machen", sagte ich und grinste breit. Alleine durch die Vorstellung von den krebsroten Wangen Bambinos hätte ich mich vor Lachen krümmen können - das war einfach zu köstlich. Wahrscheinlich würde er Gibbs' und meinem Blick in den nächsten Tagen geflissentlich ausweichen. „Soll er ruhig", murmelte Jethro an meinen Lippen, bevor er sie zu einem atemraubenden Kuss verschloss, während er sich schneller an mir rieb.
Ich ließ es widerstandslos zu, dass er mich nach ein paar Sekunden auf den Rücken drehte und sich auf mich legte, um mich mit seinem Gewicht tiefer in die Matratze zu pressen. „Guten Morgen, Tony", sagte er schließlich atemlos und blickte mich liebevoll an. Seine Haare waren vom Schlaf zerzaust und seine Haut herrlich warm, seine Stimme noch ein wenig heiser. Ich hob meine Hand und legte sie auf seine linke Wange. „Dir auch einen guten Morgen, Jethro."
Wie hatte ich es vermisst, in seinen Armen aufzuwachen, ihm einen guten Morgen zu wünschen und dafür einen heißen Kuss zu bekommen. „Und jetzt lass uns keine Zeit mehr verschwenden. Außerdem dürfen wir McGee nicht enttäuschen. Nicht, dass er sich umsonst vorstellt, welchen Morgensport wir betreiben", sagte ich und umschlag seine Hüften mit meinen Beinen, zog ihn ganz nahe an mich heran. „Dein Wunsch ist mir Befehl", erwiderte er und beugte sich zu mir herab. „Mein Engel", fügte er hinzu und erneut schien mein Herz von dem Kosenamen dahinzuschmelzen. „Brummbär", flüsterte ich zärtlich, bevor er meinen Mund zu einem weiteren Kuss verschloss – und wir schließlich dazu übergingen, unseren Morgensport zu betreiben.

Fortsetzung folgt...
Chapter 42 by Michi
Ich saß in meinem Mustang in der Tiefgarage des Hauptquartiers und wartete darauf, dass Gibbs zu mir stoßen würde. Es war fast zehn Uhr, was bedeutete, wir hatten die 90 Minuten Grenze somit überschritten und auch wenn Direktor Shepard deswegen sauer sein würde, war es das allemal wert gewesen. Jethro und ich hatten uns bewusst Zeit gelassen, hatten es weidlich ausgenutzt, dass wir noch ein Weilchen ungestört hatten sein können und wenn ich daran dachte, welche Sachen er mit seinem Mund angestellt hatte, wurde mir jetzt noch ganz heiß. Er schaffte es spielend leicht, mich mit seinen Berührungen beinahe in den Wahnsinn zu treiben und ich konnte nicht genug von seinen Lippen auf meiner Haut bekommen. Es war unglaublich, dass er auch nach über sieben Monaten noch so eine Wirkung auf mich hatte, dass ich es nicht leid war, mit ihm das Bett zu teilen.
Bei meinen früheren Beziehungen war das Feuer ständig rasch verloschen, die Leidenschaft hatte sich schnell abgekühlt und die Zahl meiner Ex-Freundinnen war stetig gestiegen. Dabei waren die meisten Frauen ziemlich experimentierfreudig gewesen und selbst ich hatte etwas dazugelernt, aber keine dieser Partnerschaften war so wie die mit Gibbs. Sicher, damals hatte ich hin und wieder geglaubt, verliebt zu sein, hatte gedacht, den Menschen fürs Leben gefunden zu haben, bis auch dieses Gefühl rasch wieder verklungen war. Ich hatte nie gewusst, warum ich einen derart hohen Frauenverschleiß gehabt hatte, warum ich es nicht geschafft hatte, eine Beziehung länger als nur für höchstens drei Monate aufrecht zu erhalten – bis die Sache mit Jethro passiert war und mir Ducky gesagt hatte, dass wir beide einfach nicht für Frauen bestimmt waren, sondern füreinander. Seine Worte waren die pure Wahrheit gewesen und es war herrlich, dass ich weiterhin Hals über Kopf in Gibbs verliebt war, dass das Feuer zwischen uns nicht erloschen war und dass ich ihn in meinem Leben brauchte wie die Luft zum Atmen.
Tief in meinem Inneren wusste ich, dass unsere Beziehung für die Ewigkeit geschaffen war, das zeigte alleine schon, dass ich auch nach sieben Monaten nicht genug von ihm bekommen konnte und dass wir einfach perfekt miteinander harmonierten. Alleine die Tatsache, dass mir Jethro von seiner Familie erzählt hatte, zeugte davon, dass er mir blind vertraute und sich mir gegenüber bedenkenlos öffnete. In der letzten Nacht hatte ich mehr über ihn erfahren als in den vier Jahren, seit ich ihn kannte. Er ließ mich an seiner Vergangenheit teilhaben und zeigte mir damit, wie wichtig ich für ihn war und immer sein würde. Wenn eine Beziehung all die Strapazen des Lebens überstehen würde, dann war es unsere. Meine Liebe zu Gibbs war stetig gewachsen und sie würde eher noch stärker werden, als dass sie abkühlen würde.
Jethro war definitiv der Richtige und er erfüllte mein Leben in einer Weise, die ich nie für möglich gehalten hatte. Andererseits hatte ich auch nie geglaubt, mich irgendwann einmal so richtig zu verlieben, mein Herz an jemanden zu verschenken, den ich vorhin nie so betrachtet hatte, wie ich es in der Gegenwart machte. Wer hätte je gedacht, dass ich mich in meinen Boss verknallen würde, wo dieser doch keine Möglichkeit ausgelassen hatte, mich herumzuscheuchen, mich meine Berichte neu schreiben zu lassen, nur weil ich mich einmal vertippt hatte und mir Kopfnüsse zu verpassen, da ich zuerst redete und dann nachdachte. All das hatte sich zwar nicht wirklich geändert, aber es war irgendwie anders, seine Stimme war nicht mehr so schroff und seine Worte wurden von einem liebevollen Blick begleitet. Ganz zu schweigen davon, dass er seine Hand auf meiner ruhen ließ, wenn er sich über mich beugte und mir zuhörte, wenn ich ihm neue Informationen erzählte. Wir waren einfach das perfekte Paar, wie es Abby einmal ausgedrückt hatte.

Ich seufzte und blickte in den Rückspiegel, in dem ich die Einfahrt im Auge behalten konnte. Ich hatte mich extra auf diesen Platz gestellt, da ich alles beobachten konnte und sofort mitbekam, wenn jemand anderes in die Tiefgarage fuhr. Vor ein paar Minuten hatte ich Gibbs angerufen und ihm gesagt, dass die Luft rein war und dass Abby die Videokameras ein weiteres Mal überlistet hatte, wie ich kurz zuvor von ihr persönlich erfahren hatte. Natürlich hatte sie es sich nicht entgehen lassen, mich gleich mit Fragen zu löchern, wie meine Versöhnung mit Jethro abgelaufen war, aber ich hatte sie unterbrochen, indem ich einfach das Handy zugeklappt und ihren Redefluss gestoppt hatte.
Die Idee, getrennt zum Hauptquartier zu fahren, war von meinem Freund gekommen, der seinen Wagen unmittelbar nach unserem Besuch in der Forensik wieder brauchte. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, ihn alleine zu lassen, aber ich hatte eingesehen, dass es sicherer war, wenn ich ein paar Minuten Vorsprung hatte, um zu überprüfen, ob sich niemand in der Tiefgarage aufhielt, um somit die Gefahr, dass einer der anderen Agenten vorzeitig erfuhr, dass Gibbs noch am Leben war, zu verringern.
Aber nicht nur das war der Grund, warum wir zu spät waren. Die Hauptursache lag darin, dass wir, nachdem wir uns geliebt hatten, noch eine Dusche genommen hatten, gefolgt von einem ausgiebigen Frühstück. Es war herrlich gewesen, wieder einen Kaffeeduft in der Küche gehabt zu haben und meine Cornflakes hatten schon lange nicht mehr so gut geschmeckt wie an diesem späten Morgen. Es war so, als ob Gibbs nie weggewesen wäre und ich hatte es mir nicht entgehen lassen, ihn zu beobachten, wie er seine Tasse Kaffee getrunken und dabei die Zeitung schnell überflogen hatte. Ich konnte es gar nicht mehr abwarten, wenn endlich wieder der Alltag einkehrte und Jethro auch offiziell am Leben am Leben sein würde. Die ganze Geheimniskrämerei gegenüber den anderen Agenten war nicht gerade einfach, schon gar nicht, wenn jemand ins Labor platzen konnte und erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, wie schwer es wirklich gewesen wäre, den trauernden Freund zu spielen, so zu tun, als ob Gibbs tot wäre. Ich hatte keine Ahnung, ob ich es geschafft hätte, das Glück vollkommen aus meinem Gesichtausdruck zu verbannen, geschweige denn das freudige Funkeln in meinen Augen zu eliminieren.

Erneut seufzte ich, blickte in den Seitenspiegel und versuchte mit meinen Händen meine Haare, die heute mehr denn je in alle Richtungen abstanden, in Form zu bringen. Ich hatte nicht wirklich mitbekommen, dass ein derartiges Chaos auf meinem Kopf herrschte, was wohl an dem heißen Abschiedskuss liegen konnte, den mir Gibbs am Friedhofsparkplatz gegeben hatte. Seine Finger hatte er wie sooft in meinen Haaren vergraben und sie komplett zerzaust, was ich erst jetzt bemerkte. Wie konnte man auch an eine Frisur denken, wenn die Erinnerung an Jethros weiche Lippen viel besser war? Die ersten paar Meilen war ich total verträumt gefahren, war mit den Gedanken bei meinem Freund, dem leidenschaftlichen Kuss und unseren Morgenaktivitäten gewesen. Die ganze Zeit über hatte ich ein Lächeln im Gesicht gehabt und der Verkehr war mir diesmal gar nicht so auf den Keks gegangen.
Ich gab es auf, meine Haare in Ordnung bringen zu wollen, die sowieso das zu machen schienen was sie wollten und zog stattdessen mein Hemd ein wenig zurecht, damit der Kragen den Knutschfleck an meinem Hals verdeckte, den Gibbs gestern Abend hinterlassen hatte. Aber im Prinzip war es ein sinnloses Unterfangen. Abby würde ihn auch so entdecken, selbst wenn ich mit einem Rollkragenpullover herumlaufen würde. Dieser würde wahrscheinlich nur noch mehr ihren Argwohn erwecken, vor allem, weil ich selbst im Winter meistens ein Hemd trug. Nur gut, dass sie meine Hüfte nicht zu sehen bekam, dort gab es gleich zwei Stellen, wo mich Jethro markiert hatte, ganz zu schweigen von dem leichten Gebissabdruck an der Innenseite meines rechten Oberschenkels. Unser Morgensport hatte Spuren hinterlassen, genauso wie sein gestriges beständiges Saugen an meinem Hals. Wie ich Abby kannte, würde dieser Knutschfleck bereits ausreichen, um sie aus dem Häuschen zu bringen und ich wollte gar nicht daran denken, was sie machen würde, würde sie die anderen Abdrücke an meinem Körper entdecken.
Alleine der Gedanke daran, wie diese entstanden waren, brachte mein Blut in Wallung und ich war froh, als ich das Brummen eines Motors und quietschende Reifen hörte. Ich musste nicht in den Spiegel blicken, um zu erkennen, wer in die Tiefgarage kam – es gab nur einen Menschen, der selbst hier unten so raste. Mein Herz vollführte einen freudigen Hüpfer und ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen, als Gibbs seinen Wagen neben meinem Mustang mit einem Ruck zum Stehen brachte und nur knapp die Betonmauer vor sich verfehlte.
Ich konnte nicht umhin, eine gewisse Erleichterung zu verspüren, dass er es unbeschadet zum Hauptquartier geschafft hatte. Auch wenn Darien nichts von diesem Auto wusste, wäre es immerhin möglich, dass Jethro von einem seiner Leute auf dem Weg vom Friedhof hierher gesehen worden war. Ich machte mir weiterhin Sorgen, dass seine Tarnung auffliegen könnte und dann würde es mehr als gefährlich werden. Ich würde wahrscheinlich erst so richtig durchatmen können, wenn dieser ganze Auftrag vorbei war und wir in unseren Alltag zurückkehren konnten.

Ich schnappte mir meinen Rucksack vom Beifahrersitz, zog den Schlüssel aus der Zündung und stieg aus, um zu Gibbs zu gehen, der neben seinem Wagen auf mich wartete und mir mit einem Lächeln entgegensah. „Nichts Verdächtiges?" fragte ich, hing mir den Rucksack über meine rechte Schulter und ließ die Schlüssel in meiner Hosentasche verschwinden. „Nein", antwortete er und nahm meine rechte Hand in seine linke. Seine Finger waren herrlich warm und ich drückte automatisch fester zu. „Es gab niemanden, der mich verfolgt hat. Jedenfalls habe ich nichts bemerkt und mich auch nicht beobachtet gefühlt." „Ah, dein berühmter Instinkt. Gut, dass der nicht versagt so wie deine Stimme, wenn ich mit dir Liebe mache", sagte ich grinsend und erhielt prompt einen Klaps auf meinen Hinterkopf. „Ist doch wahr", murrte ich, erhielt aber nur ein leises Lachen. „Muss ich dich etwa daran erinnern, dass du kein Wort mehr hervorgebracht hast, als ich vorhin…" „Sagt dir das Sprichwort: Ein Gentleman genießt und schweigt etwas?" unterbrach er mich, zog mich mit sanfter Gewalt zum Fahrstuhl und blickte mich mit erhobener Augenbraue an. „Ich wusste gar nicht, dass du ein Gentleman bist", entgegnete ich amüsiert und grinste ihn an. „Wenn ich mich recht erinnere, kommen die aus England, haben ein riesiges Schloss und tragen einen Zylinder auf dem Kopf. Und keiner der drei Punkte trifft auf dich zu – soweit ich weiß." Gibbs' Lachen wurde lauter, als er auf den Knopf für den Fahrstuhl drückte. Ich wurde nie müde, ihn so lachen zu hören, voller Freude und mit funkelnden Augen.
„Du bist ein unglaublicher Frechdachs, Tony", meinte er in dem Moment wo sich die Türen öffneten und den Blick auf die kleine Kabine freigaben. „Ich weiß ja, warum ich mich in dich verliebt habe", fügte er hinzu und zog mich in den Aufzug. „Weil du mich unwiderstehlich findest?" fragte ich und drückte auf den Knopf für die Forensik. „Das und weil du mich mit Leichtigkeit zum Lachen bringst. Außerdem schmeckst du unheimlich gut, deine Lippen machen mich verrückt, ich kann nie genug von deinen Küssen bekommen, geschweige denn von deinem Körper und…" Jethro drängte mich gegen die Fahrstuhlwand, sodass sich mein Rucksack ein wenig unangenehm in meinen Rücken bohrte. „Und?" brachte ich ein wenig atemlos hervor, als er seine freie Hand zu meinem Nacken wandern ließ. Seine Worte hatten mir die Röte in die Wangen getrieben und ich musste all meine Willenskraft aufbringen, damit meine Jeans nicht zu eng wurde.
„Und weil du der einzige Mensch bist, in dessen Armen ich mich unbeschreiblich geborgen fühle und der mir gezeigt hat, wie es ist, wieder zu leben", sagte er, bevor er seine Lippen auf meine presste, während uns der Fahrstuhl nach oben brachte. Ich ließ meinen Rucksack auf den Boden fallen und schlang meine Arme um seine Taille, zog ihn so nahe wie möglich an mich heran. Ich gab meinen Versuch zu verhindern, dass mein Blut nicht Richtung Süden rauschte, auf und erwiderte voller Verlangen den Kuss. Nur am Rande bekam ich mit, wie der Aufzug ein leises Pling von sich gab, das ankündigte, dass wir im gewünschten Stockwerk waren, dennoch ließen wir beide nicht voneinander ab.
„Du weißt aber schon, dass es Direktor Shepard nicht gerne sieht, wenn wir mitten im Hauptquartier herumknutschen?" fragte ich atemlos, als Gibbs meine Lippen wieder freigab. Er blickte mich mit erhobenen Augenbrauen an und ich zuckte die Schultern. „Egal", meinte ich, vergrub meine Hände in seinen Haaren und zog ihn wieder an mich, um ihn erneut zu küssen. Mir war vollauf bewusst, dass wir mittlerweile eine halbe Stunde zu spät waren und dass Jen deswegen sicher sauer war, aber ich wollte die uns verbleibende Zeit nutzen, ehe wir vollkommen in die Realität zurückkehren mussten.
Die Fahrstuhltüren schlossen sich wieder, ich ließ es zu, dass mich Jethro erneut gegen die Wand drückte und mir das Hemd an meiner linken Seite aus der Hose zog, um es nach oben zu schieben. Seine Hand legte sich warm auf meine Haut, seine Finger streichelten mich zärtlich und ich verlor immer mehr das Zeitgefühl. Irgendwann hörte ich wie durch Watte hindurch die Fahrstuhltüren aufgehen und ein lautes Räuspern, das nicht wirklich nett klang, unterbrach unsere Zweisamkeit.
Gibbs löste seine Lippen von meinen, wir drehten unsere Köpfe und sahen uns einer kleinen Gruppe von Menschen gegenüber, die wir nur allzu gut kannten. Abby grinste von einem Ohr zum anderen und wippte leicht auf ihren Fußballen auf und ab. Ziva blickte uns zufrieden an, ansonsten war ihre Miene vollkommen reglos. McGee wirkte ein wenig verlegen – zweifelsohne wegen dem kurzen Telefonat, das wir geführt hatten – und schien seinen Schuhen mehr Aufmerksamkeit zu schenken als dem Geschehen in seiner Nähe. Ducky lächelte uns freudig an und war sichtlich glücklich, dass er es geschafft hatte, Jethro und mich wieder zusammenzubringen. Direktor Shepard hingegen hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt und blickte uns eine Spur ärgerlich an. Von wem das Räuspern gekommen war, war ziemlich offensichtlich.
„Würdet ihr die Güte haben, endlich aus dem Fahrstuhl herauszukommen? Ihr seid ja schlimmer als pubertierende Teenager", sagte sie und verzog missbilligend ihre Lippen. „Gerade deswegen sind die beiden so süß", meinte Abby und ihre Stimme überschlug sich beinahe vor Freude. Ich blickte Gibbs an, der wegen dem Kommentar der Goth seine Augenbrauen hob. Seine Wangen waren von unserem leidenschaftlichen Kuss gerötet, seine Lippen leicht geschwollen und seine Haare ein einziges Chaos. „Ich schätze, unsere Zweisamkeit ist dahin", sagte er bedauernd und löste seine Hand von meiner Hüfte. Allerdings ließ er es sich nicht nehmen, mir noch einen kurzen Kuss zu geben, ehe er einen Schritt zurücktrat. Ich nahm meine Hände aus seinen Haaren und strich sie ein wenig glatt, damit er nicht mehr den Eindruck erweckte, in einen heftigen Sturm geraten zu sein. Anschließend zog ich mir das Hemd komplett aus der Jeans und verdeckte damit die verräterischen Spuren, die der Kuss hinterlassen hatte.

„Ich habe es ja gewusst!" rief Abby, stürmte auf uns zu und schloss Jethro in eine kurze heftige Umarmung, nur um mir gleich darauf um den Hals zu fallen. „Euch beide bringt so schnell nichts auseinander! McGee hat uns von dem Telefonat erzählt und ich schwöre, er ist noch nie so rot im Gesicht gewesen! Ich freu mich ja so für euch!" Sie ließ mich wieder los und schien sich nicht sonderlich daran zu stören, dass sich meine Erektion an ihren Oberschenkel gepresst hatte.
Stattdessen grinste sie mich wissend an und bevor ich es verhindern konnte, umfasste sie meinen Hemdkragen und zog ihn von meinem Hals weg. „Was für ein Prachtexemplar", sagte sie und grinste noch breiter. „Oh Mann, ich wünschte, ich wäre letzte Nacht eine Fliege an der Schlafzimmerwand gewesen." „Abby!" kam es erschrocken von McGee, dessen Wangen rosa angelaufen waren. Die Forensikerin ließ meinen Kragen wieder los und drehte sich um. „Was denn, Timmy?" wollte sie mit unschuldiger Stimme wissen, was mich zum Grinsen brachte. „Gibbsman, du hast wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Ich wette, eure Versöhnung war mehr als heiß." „Also wirklich", kam es entrüstet von Jen und ihre Worte ließen sogar Jethro grinsen. „Wo Abby recht hat, hat sie recht", sagte er, verließ den Fahrstuhl und warf der Direktorin einen vielsagenden Blick zu.
Ich bückte mich, hob meinen Rucksack auf und folgte ihm nach draußen, wo ich erneut seine Hand mit meiner umfasste. „Wisst ihr, das erinnert mich an eine Geschichte aus dem Jahre 1989", begann Ducky, während wir das Labor betraten, wo ich meinen Rucksack wieder auf den Boden fallen ließ, meine Jacke auszog und sie achtlos auf Abbys Stuhl warf. Gibbs entledigte sich seines Mantels und setzte sich mit mir auf einen freien Tisch, nur um gleich darauf seine Finger mit meinen zu verschränken. Unsere Oberschenkel berührten sich und am liebsten hätte ich Jethro gesagt, er sollte seinen Arm um meine Schulter legen, aber ich wusste, Jen würde uns dann wahrscheinlich in verschiedene Ecken des Raumes verbannen. Trotz der missbilligenden Miene, die sie aufgesetzt hatte, konnte ich erkennen, dass sie doch ein wenig erleichtert war, dass sich Gibbs und ich nicht mehr stritten. Vielleicht hatte sie sich wirklich damit abgefunden, dass sie ihn an mich verloren hatte.
„…und schließlich ist Boris nach Frankreich geflogen, um seinen Freund zu besuchen. Ich habe diesen leider nur einmal getroffen und ich kann euch sagen, die beiden waren noch schwerer auseinander zu bringen als unser Liebespaar hier", redete Ducky weiter, ohne darauf zu achten, dass ihm nicht wirklich jemand zuhörte. „Vielleicht sollte ich den guten Boris mal anrufen und fragen, wie es ihm geht. Ich habe schon lange nichts mehr von ihm gehört und es wäre interessant…" „Können wir uns auf das Wesentliche konzentrieren?" unterbrach ihn die Direktorin auf dieselbe nette Art und Weise, wie es Jethro sonst immer machte.
„Aber natürlich", sagte der Pathologe und bedeutete ihr mit einem Schlenker seiner Hand, dass sie an der Reihe war. „Während ihr beide euch entschieden habt, den gestrigen Tag im Bett zu verbringen…" „Nur die Nacht. Und den Morgen", korrigierte ich Jen, die nicht gerade erfreut wirkte, dass ich sie unterbrochen hatte. „Spart bloß nicht an den Details", meinte Abby und blickte von einem zum anderen. „Also bitte, wir sind doch nicht hier, um über das Liebesleben von Tony und Gibbs zu reden", mischte sich Ziva ein und erhielt ein bekräftigendes Nicken seitens McGee. Die Forensikerin verzog enttäuscht ihre Lippen und lehnte sich an ihren Tisch. „Inklusive heute Morgen dreimal", sagte ich zu Abby, deren Gesicht sich sofort aufhellte. Gibbs hob seine Augenbrauen und blickte mich amüsiert an. „Und was war mit der Dusche?" fragte er mich, in dem Bewusstsein, dass dort überhaupt nichts passiert war, aber er konnte sich eine kleine Rache an Jen nicht verkneifen, die unseren Kuss vorhin unterbrochen hatte.
„Dann waren es wohl viermal", ging ich auf sein Spiel ein und grinste. „Wow, an eurem Stehvermögen kann sich so mancher Mann eine Scheibe abschneiden", meinte Abby ehrfürchtig und ihr Blick wurde träumerisch. „Können wir uns jetzt wieder auf das Wesentliche konzentrieren?" lenkte Jen das Gespräch in die von ihr gewünschte Richtung, ohne zu registrieren, dass sie denselben Wortlaut vorher bereits einmal verwendet hatte. Sie war sichtlich genervt von den ständigen Abschweifungen und ihre Augen war ein gefährliches Funkeln getreten, das uns nahe legte, dass sie mit ihrer Geduld am Ende war.
„Können Sie das Hemd holen, Abby?" wandte sie sich an die Forensikerin, die nickte und in den anderen Raum hüpfte. „Also, während ihr gestern eure Versöhnung gefeiert habt, haben wir uns den Kopf darüber zerbrochen, wie wir heute am besten bei Darien vorgehen. Und Miss Sciuto ist die dabei die Idee gekommen, dass es von Vorteil ist, wenn wir eure Unterhaltung mitverfolgen und notfalls sofort einschreiten können." „Deswegen habe ich auch eine winzige Wanze als Knopf getarnt und diesen an dem Hemd befestigt", meinte Abby, als sie wieder zu uns zurückkam und dabei besagtes Kleidungsstück, das blau war, in Händen hielt. „Ich habe die anderen Knöpfe ausgetauscht, damit sie vom Aussehen her zu der Wanze passen. Hier", fügte sie hinzu und gab Gibbs das Hemd. „Ich habe extra blau für dich genommen. Das betont so schön deine Augenfarbe." Jethros Mundwinkel zuckten und ich gab der jungen Goth innerlich Recht.
„Während Gibbs bei Darien ist, werden Tony, Ziva und ich im Wagen etwa einen Block entfernt warten, um im Notfall eingreifen zu können, falls Darien doch den Braten riecht. Außerdem wird euer Gespräch hierher übertragen, wo Agenten bereitstehen, um sofort die Bombe zu suchen, wenn der Ort des Anschlags bekannt ist." „Wenn alles gut geht, bist du ab heute Abend wieder offiziell am Leben, Jethro", sagte Jen und lächelte das erste Mal, seit wir hier eingetroffen waren. „Und Darien wird im Knast verrotten und dafür büßen, was er deinem Neffen angetan hat", entgegnete Ziva und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Das wird für ihn eine viel schlimmere Strafe als der Tod sein. Immerhin ist er ein sehr freiheitsliebender Mensch", erwiderte Ducky und blickte zu Gibbs, der nickte. „Ja, das ist er. Er hasst es, irgendwo eingesperrt zu sein." „Dann müssen wir dafür sorgen, dass er eine extra kleine Zelle bekommt", meinte ich und drückte aufmunternd seine Hand.
„Und dann könnt ihr heute Abend ausgiebig feiern. Ich wünschte, ich wäre wirklich eine Fliege", sagte Abby und zwinkerte verschwörerisch. „Wohl eher eine Fledermaus. Au!" rief McGee, als er einen Boxhieb von der Goth auf seinen Oberarm kassierte. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, ließ Jethros Hand los und glitt vom Tisch herunter. „Ein Gentleman genießt und schweigt", wiederholte ich das Sprichwort, das vorhin mein Freund verwendet hatte. Dieser verpasste mir daraufhin einen Klaps auf meinen Hintern und stand ebenfalls auf.
„Ich schätze, es ist Zeit, dass ich mich auf den Weg mache", sagte er und blickte mich bedauernd an. „Ich weiß", erwiderte ich und ein Gewicht schien sich auf meine Brust zu legen. Wenn ich ehrlich zu mir selbst war, konnte Darien dort bleiben wo der Pfeffer wuchs. Ich wollte Gibbs nicht aus meinen Augen lassen, wollte ihn nicht alleine lassen, wollte in seiner Nähe sein. Die Tatsache, dass wir immer hören konnten, was er mit seinem alten Freund redete, beruhigte mich etwas, genauso wie die Aussicht, heute Abend wieder in seinen Armen einschlafen zu können. Nicht mehr lange und diese ganze Sache wäre endlich ausgestanden. Ich nahm mir ganz fest vor, Jethro zur Feier des Tages später einen weiteren Striptease zu gönnen, diesmal aber mit Musik und um einiges länger. Und vielleicht würde ich dann den schwarzen Tanga tragen, den ich mir vor kurzem heimlich besorgt hatte.
Ich musste ein Grinsen bei der Vorstellung unterdrücken, wie Gibbs große Augen bekam, wenn er mich in der knappen Unterwäsche sah und wenn es nach mir ging, konnte der Abend nicht schnell genug kommen.

„Sei vorsichtig", sagte ich schließlich und umarmte ihn fest. „Dann bekommst du nachher auch eine Belohnung", fügte ich verführerisch hinzu, weshalb Jethro unwillkürlich scharf einatmete. „Welche Belohnung?" fragte er mit heiserer Stimme. „Das ist eine Überraschung." Er löste sich aus meinen Armen und in seine Augen war ein verlangendes Funkeln getreten. „Wird mir die Überraschung gefallen?" „Oh ja. Du wirst im Anschluss mit einem breiten Grinsen durch die Gegend laufen", flüsterte ich in sein Ohr, sodass es die anderen nicht mitbekamen, vor allem Abby, die uns erwartungsvoll musterte. Das Funkeln wurde noch intensiver und ich merkte deutlich, dass ihn meine Worte alles andere als kalt ließen.
„Ich liebe dich, Tony." „Ich liebe dich auch." Jethro umfasste sanft mein Gesicht und küsste mich hingebungsvoll, bevor wir uns schweren Herzens voneinander trennen mussten. „Bis später", verabschiedete ich mich und erhielt ein Nicken, in dem ein Versprechen war, das Versprechen, dass er wieder zu mir zurückkehren würde. Er zog sich seinen Mantel an, nahm das blaue Hemd und ich blickte ihm ein wenig betrübt nach, als er das Labor verließ und gleich darauf im Fahrstuhl verschwand.
„Es wird schon alles glatt laufen", sagte McGee aufmunternd und ich seufzte. „Ich hoffe es. Ihn ein zweites Mal zu verlieren, würde ich nicht überleben. Keine Sekunde lang." „Kopf hoch, Tony", meinte Abby, kam auf mich zu und schloss mich in ihre Arme. „Gibbsman hat doch einen guten Grund, lebend aus dieser Sache herauszukommen. Immerhin weiß er, dass du auf ihn wartest. Was ist das eigentlich für eine Überraschung?" „Abby!" riefen wir allesamt im Chor. „Was denn?"

Fortsetzung folgt...
Chapter 43 by Michi
Gibbs stand vor Dariens Wohnungstür, sein Zeigefinger schwebte ein paar Millimeter über dem Klingelknopf, den er einfach nicht drücken konnte. Er starrte das massive Holz der Tür vor sich an und wünschte sich, er könnte da mit ein paar Agenten reinstürmen und seinen alten Freund verhaften. Aber damit würde er das Todesurteil von hunderten von Menschen unterschreiben und das konnte und wollte er nicht verantworten. Nur, warum fiel es ihm dann so schwer, diesen Knopf zu drücken, da reinzugehen und Darien erneut vorzugaukeln, dass sie wieder die besten Kumpels waren?
Jethro seufzte leise und ließ seinen Arm sinken, so als ob dieser plötzlich Tonnen zu wiegen schien. Es war fast 15 Uhr und die Sonne schien durch ein breites Fenster am Ende des Flures, erhellte den grünen Teppich und die beigefarbenen Wände, spendete den Pflanzen, die zwischen den einzelnen Wohnungstüren standen, Licht. Obwohl alles freundlich war, es keine dunklen Ecken gab, so hatte er doch das Gefühl, sich in einer finsteren Höhle zu befinden, in der ein gefährliches Tier hauste. Und im Prinzip traf das auch zu. Darien war gefährlich, wartete nur darauf, seine Reißzähne in das Fleisch seiner Opfer zu schlagen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie viele Menschen starben.
Alleine die Aussicht, gleich wieder mit Coolidge in einem Raum zu sein, ihm in die Augen zu blicken, verwandelte seinen Magen in einen harten Klumpen und ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Wenn es nach Gibbs ginge, wäre er jetzt nicht hier, würde nie wieder an diesen Ort zurückkehren, würde nie wieder dem Mann gegenüberstehen, der verantwortlich dafür war, dass er seinen Neffen, seine Schwester und beinahe auch Tony verloren hatte. Wie sehr wünschte er sich, seine bloßen Hände um Dariens Hals zu legen und so lange zuzudrücken, bis diesem die Luft ausging und auf dem Boden zusammensackte. Aber so sehr Jethro Coolidge mittlerweile auch verabscheute, musste er seine Rolle noch ein weiteres Mal durchziehen, in dem Bewusstsein, dass er anschließend in sein altes Leben zurückkehren konnte und es jemanden gab, der ihn mit offenen Armen empfangen würde.
Trotz des Ernsts der Situation glitt Gibbs ein Lächeln über die Lippen und für einen Moment verlor er sich in den Erinnerungen der letzten Nacht. Ungeachtet dessen, dass er nur wenige Stunden geschlafen hatte – aber diese dafür umso besser – fühlte er sich richtig erfrischt und es schien ihm, als ob ein tonnenschweres Gewicht von seiner Brust verschwunden wäre. Das hatte nicht nur damit zu tun, dass er Tony wieder zurückhatte, sondern auch, dass er ihm endlich seine Vergangenheit anvertraut und von Shannon und Kelly erzählt hatte.
Jethro hatte in den letzten sieben Monaten immer wieder darüber nachgedacht, Anthony alles von seiner Familie zu berichten, aber irgendwie hatte er den Mut nicht aufbringen können, aus Angst, es könnte ihre Beziehung beeinflussen und dass sein Freund nicht damit zurecht kam, dass es noch jemand anderen gab, den er grenzenlos geliebt hatte und noch immer liebte. Aber letzte Nacht, als er in Tonys Armen gelegen hatte, war ihm bewusst geworden, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Er hatte es auch gar nicht mehr länger verschweigen wollen, schon alleine deswegen, weil Anthony zu ihm zurückgekehrt war und ihm verziehen hatte. Ihre Wiedervereinigung am Friedhof würde er nie vergessen, genauso wenig wie die unglaubliche Erleichterung und das Glück, das ihn überschwemmt hatte, als ihn Tony an sich herangezogen und geküsst hatte. In diesem Moment hatte Gibbs gewusst, dass alles gut werden würde, dass sie die Sache mit Darien gemeinsam überstehen würden - Anthony war sein Fels in der Brandung, sein Engel, der ihm das Leben gerettet hatte.
In der letzten Nacht hatte er sich einfach fallen lassen, in dem Bewusstsein, dass er aufgefangen wurde, aber schließlich war er es gewesen, der seinen Freund gehalten hatte, als er weinend in seinen Armen zusammengebrochen war. Der Anblick der Tränen hatte ihn tief getroffen und für ein paar Sekunden hatte er seine eigenen Bedürfnisse vergessen, hatte die Lust ignoriert, die durch seine Blutbahn geströmt war und hatte Tony einfach nur umarmen wollen, aber als dieser den Kopf geschüttelt hatte, hatte Jethro begriffen, dass Anthony die Erfüllung noch mehr brauchte als er selbst.
Du bist das Beste, was mir je passieren konnte… Diese Worte hatten sich unauslöschlich in sein Gehirn eingebrannt und in diesem Moment hatte er erkannt, dass er den jungen Mann in seinen Armen noch mehr liebte als er zunächst angenommen hatte. Und genau da hatte er beschlossen, Tony noch in derselben Nacht von Shannon und Kelly zu erzählen, ihm seine ganze Vergangenheit zu offenbaren, in dem Wissen, dass er verstanden und nicht weggeschickt werden würde. Jahrelang hatte er die damaligen Geschehnisse für sich behalten, hatte sich nicht einmal Ducky anvertraut, hatte den Schmerz des Verlustes in seinem Inneren eingesperrt, der nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet hatte, herausgelassen zu werden.
Und bei Gott, es hatte sich so gut angefühlt, sich endlich alles von der Seele zu reden und diese offen zu legen, die Tränen zuzulassen, der so lange unterdrückt hatte. Anthony hatte einfach nur zugehört und ihn schließlich in seine Arme genommen, hatte ihm den Trost gespendet, den er in all den Jahren nicht gefunden hatte. Es war wie eine Befreiung gewesen und er hatte erkannt, dass er grenzenloses Glück hatte, seinen Freund zu haben, der es schaffte, dass er sich durch einfache Gesten geborgen fühlte. Und er war so dämlich gewesen und hatte das alles auf Spiel gesetzt.
Andererseits war ihm bewusst, dass die Geschehnisse der letzten Tage sie noch fester zusammengeschweißt hatte und ein Band hatte entstehen lassen, das niemand mehr zerstören konnte. Und schon gar nicht Darien. Dieser hatte ihm bereits zwei geliebte Menschen genommen, aber in diesem Fall dazu beigetragen, ihn und Tony noch näher zusammenzubringen. Was aber nicht hieß, dass er Coolidge je vergeben würde. Dieser würde im Gefängnis landen und in einer kleinen Zelle verrotten, während er selbst ein glückliches Leben führen würde.

Das Lächeln auf Gibbs' Lippen wurde breiter, als er an Tony und ihren gemeinsamen Morgensport dachte, ganz zu schweigen von den freudigen Gesichtern der anderen, als sie küssend im Fahrstuhl ertappt worden waren. Abby war wie eine Rakete mit zu viel Antrieb gewesen und hätte ihn beinahe umgeworfen, als sie ihn umarmt hatte. Und ihre Bemerkung darüber, dass sie liebend gerne eine Fliege sein würde, hatte ich richtiggehend amüsiert - vielleicht sollte er in Zukunft das Schlafzimmer auf irgendwelche Insekten untersuchen, ehe er mit Anthony schlief. Er sah jetzt schon eine Fliege mit Rattenschwänzen und einem winzigen CafPow Becher vor sich, die auf der Wand klebte und ihre Augen gespannt auf das Geschehen unter sich richtete.
Jethro musste ein Lachen unterdrücken, da er wusste, dass jedes Geräusch über die kleine Wanze an seinem Hemd übertragen wurde. Diese funktionierte einwandfrei, wie er kurz vorher mit einem kurzen Telefonat überprüft und dabei noch einmal Tonys Stimme gelauscht hatte, der ihm ein weiteres Mal gesagt hatte, dass er ihn liebte. Es war Gibbs unendlich schwer gefallen, seinen Freund in der Forensik zurückzulassen, um in das schäbige Mietsapartment zu fahren, um sich umzuziehen und auch den anderen Wagen zu holen, den Darien mit einem GPS Sender ausgestattet hatte. Er freute sich jetzt schon auf den Moment, wo er Coolidge Handschellen anlegen und ihm seine Rechte vorlesen konnte.
Aber um das durchführen zu können, musste er in diese Wohnung hineingehen, endlich herausfinden, wo dieser Mistkerl den nächsten Anschlag geplant hatte und dann konnte er seine Maske fallen lassen, wieder in die Rolle des Bundesagenten schlüpfen, der er war. Das Gesicht von Darien, wenn dieser erkannte, dass er verloren hatte, würde er sicher nie vergessen und in mit Befriedigung erfüllen, dass er das Versprechen nach all den Jahren nun doch einhalten hatte können.

Gibbs gab sich einen inneren Ruck und mit dem Wissen, dass Tony nicht weit entfernt war und alles mitbekommen würde, was in dieser Wohnung vor sich gehen würde, hob er ein zweites Mal seinen rechten Arm, um den Zeigefinger auf den Klingelknopf zu drücken. Diesmal zögerte er keine Sekunde, auch weil er wusste, dass das nichts bringen und er das Unvermeidliche nur in die Länge ziehen würde. Außerdem hasste Darien Unpünktlichkeit und er wollte nicht auf einen schlecht gelaunten Mann treffen, der bereits bei einem falschen Wort an die Decke ging.
Der schrille Klang der Klingel ertönte und erinnerte ihn an diesem Tag mehr denn je an das Kreischen einer Säge, die dabei war, Knochen zu durchtrennen. Es war ein grauenhafter Ton und er war froh, diesen zum letzten Mal gehört zu haben – außer es ging irgendetwas schief und Darien hatte es sich anders überlegt, würde ihm doch nicht anvertrauen, wo die nächste Bombe hochgehen würde. Wenn er ehrlich war, hatte weder Jen noch er bis jetzt diese Möglichkeit in Betracht gezogen und er hoffte, dass das nie geschehen würde. Noch länger den Freund von Coolidge zu mimen, würde ihm ziemlich schwer fallen. Das Bedürfnis, seine Faust in das Gesicht dieses Mannes zu schlagen, wurde mit jeder Sekunde größer.
Die sich öffnende Tür riss Jethro aus den Gedanken, die sich um eine gebrochene Nase Dariens handelte, als eben jener plötzlich vor ihm stand und breit grinste, dabei zwei Reihen weißer Zähne enthüllte, die ihn mehr denn je als gefährliches Raubtier wirken ließen. Die blonden Haare standen ein wenig von seinem Kopf ab und das schwarze Hemd hatte ein paar Falten vorzuweisen, aber ansonsten war Darien wie aus dem Ei gepellt. Die hellblauen Augen funkelten ihn fröhlich an und es war gerade das, was Gibbs auf einmal alarmierte. Sein Instinkt sagte ihm sofort, dass etwas nicht stimmte, auch wenn alles normal wirkte und nichts Ungewöhnliches an den Mann vor ihm zu sein schien. Aber seit Gibbs auf Darien getroffen war, hatte ihn dieser noch nie fröhlich angefunkelt, so als ob er gleich ein Geschenk auspacken dürfe, von dem er wusste, dass es etwas enthielt, das er sich schon seit Ewigkeiten gewünscht hatte.
„Lee, da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du hättest es vergessen", sagte Darien gut gelaunt und trat zur Seite, damit Jethro in die Wohnung gehen konnte, die sich seit Donnerstag Nachmittag nicht verändert hatte. Die Vorhänge waren zugezogen und sperrten das Sonnenlicht aus, trotzdem war es hell und freundlich, auch wenn er wie im Flur das Gefühl hatte, eine Höhle zu betreten. „Als ob ich den heutigen Tag je vergessen könnte", erwiderte er schließlich, zog seinen Mantel aus und warf ihn über die Lehne der Couch, was Darien mit einem Stirnrunzeln quittierte – er konnte es nicht ausstehen, wenn etwas herumlag. Trotzdem nahm er nicht das Kleidungsstück, um es an einen Haken neben der Tür, die er hinter sich schloss, aber nicht absperrte, zu hängen.
„Willst du etwas trinken? Wie wäre es mit einem Glas Scotch oder Wein, um sich ein wenig aufzuwärmen? Draußen ist es ja eisig kalt." „Nein danke. Du weißt doch, dass ich normalerweise keinen Alkohol vor dem Sonnenuntergang zu mir nehme", sagte Jethro, auch wenn er einen edlen Tropfen durchaus gebrauchen konnte. Aber er musste einen klaren Kopf behalten und außerdem hatte er eine viel bessere Methode um sich aufzuwärmen. Er musste nur an Tony denken, der unten im Wagen saß und auf ihn wartete und das wärmte ihn besser als jeder Alkohol es vermocht hätte.
„Wie du willst. Aber ich kann dir sagen, dir entgeht einiges. Vielleicht nachher, um zur Feier des Tages anzustoßen?" bohrte er unnachgiebig nach und betrat den Flur, in dem sich Gibbs schon am Dienstag umgesehen hatte. Und er wusste, würde er jetzt sagen, dass er auch nachher nichts möchte, wäre das mehr als verdächtig. Immerhin war die Bombe für Darien ein Grund zum Anstoßen und er selbst musste nun auch so tun, als ob er aufgeregt sei bei dem Gedanken, etwas in die Luft zu sprengen.
„Klar", antwortete er deswegen und erhielt ein zufriedenes Kopfnicken. „Wusste ich es doch", meinte Darien amüsiert, aber Gibbs achtete nicht sonderlich darauf, als er erkannte, wo ihn sein alter Freund hinführte. Sein Herz begann unverhofft schneller zu schlagen und Adrenalin strömte durch seine Adern, aber äußerlich blieb er vollkommen ruhig, ließ sich nicht anmerken, welcher Aufruhr in seinem Inneren auf einmal herrschte.

Coolidge legte seine Hand auf die Klinke der Tür, die zu dem Raum führte, den Jethro am Dienstag verschlossen vorgefunden hatte und von dem er unbedingt wissen wollte, was sich darin befand, das so wichtig war, dass er abgesperrt gewesen war. Oder aber sein alter Freund hatte ihm einfach nicht über den Weg getraut und gespürt, dass er herumschnüffeln würde, sollte er die Gelegenheit dazu bekommen.
Das Zimmer war wichtig, das hatte er bereits vor ein paar Tagen erkannt und dass ihn Darien jetzt da rein führte, war eine weitere Bestätigung dafür. Dort musste er also wirklich Pläne für den Anschlag aufbewahren, warum sonst wollte er Gibbs in diesem Raum alles erzählen? Wenn er ihm schon alles anvertraute, dann auch die Sachen, die Darien versperrt aufbewahrte, damit sie niemand sah, außer er wollte es selbst so. Obwohl ihn diese Tatsache beruhigen sollte, war genau das Gegenteil der Fall. Jethro wusste nicht, warum er auf einmal so misstrauisch war, warum er in dem fröhlichen Funkeln in Coolidges Augen eine Bedrohung sah. Am liebsten würde er auf seinen Instinkt hören und seine Kollegen alarmieren, aber er wusste, somit wäre die Chance herauszufinden, wo die Bombe hochgehen würde gleich null. Was auch immer Darien vorhatte, Gibbs musste da durch, durfte sich nicht anmerken lassen, dass er Gefahr roch.
Die Theorie, dass sein alter Freund doch mitbekommen hatte, dass er belogen wurde, war gar nicht mehr so abwegig, aber irgendwie spürte er, dass es nicht damit zu tun hatte, dass er Tony vorzeitig gesagt hatte, dass er noch am Leben war. Aber wann hatte er einen Fehler gemacht? Wenn es so wäre, warum hatte er dann keine Kugel im Kopf? Warum war er nicht beseitigt worden? Oder lagen seine Nerven einfach blank? Auch wenn Darien keine Anzeichen machte, ihn gleich zu erschießen, würde er in seiner Wachsamkeit nicht nachlassen – schon gar nicht so kurz vor dem Ziel.

Coolidge drückte die Klinke hinunter, die Tür schwang lautlos auf, was Jethro nicht im Mindesten überraschte. Warum sollte er den Raum auch versperrt lassen, wenn er alleine Zuhause war? Und wie das Glas auf dem Schreibtisch aus dunklem Holz bewies, hatte sich Darien vor kurzem hier aufgehalten, bevor Gibbs geläutet hatte. Im Aschenbecher daneben befand sich eine halbgerauchte Zigarette, von der ein dünner Rauchfaden aufstieg und damit die Luft leicht verpestete.
In einer Ecke stand eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder und einem runden Glastisch, auf dem die Fernbedienung lag, die zu dem Fernseher gehörte, der gegenüber auf einem Regal stand, dessen restlicher Platz mit jeder Menge Bücher vollgestellt war. Der Boden bestand aus einem dunklen Parkett, der jedoch größtenteils von einem Orientteppich verdeckt wurde, der perfekt mit der gesamten Einrichtung harmonierte.
Genauso wie im Wohnzimmer waren die Vorhänge zugezogen und verwehrten somit einen Blick nach draußen, trotzdem gelangte genug Licht in den Raum und enthüllte die Pinnwand, die gegenüber der Tür aufgehängt worden war - die Fotos, die darauf befestigt waren, trafen Gibbs bis ins Mark. Überall waren ausgebrannte Gebäude zu sehen, blutüberströmte Leichen, Menschen, denen Gliedmaßen fehlten und pures Leid, das man selbst auf den Bildern erkennen konnte. Ihm drehte sich der Magen um und er hatte alle Mühe, sich nicht auf dem teuren Orientteppich zu übergeben. Darien war wohl noch verrückter als er gedacht hatte und ein wahrer Psychopath. Wie konnte er nur solche Bilder aufhängen? Sich an dem Schmerz anderer erfreuen? Es machte ihn krank, sich in diesem Raum aufzuhalten und am liebsten hätte er diesen nie betreten, hätte nie gesehen, was sich hier befand.
Jethro spürte förmlich, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich und ihm leicht schwindelig wurde. Darien hingegen setzte sich einfach auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch und lehnte sich in diesen zurück – das Funkeln in seinen Augen war intensiver geworden und er musterte seinen Besucher von oben bis unten. „Geht es dir nicht gut, Lee?" fragte er eine Spur hämisch, so als ob er genau wusste, warum Gibbs auf einmal blass geworden war. Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, er lehnte sich noch weiter zurück und legte seine Fingerspitzen aneinander.
Gibbs riss mit aller Kraft seinen Blick von den Bildern los und wandte sich zu dem blondhaarigen Mann um, der ihm jetzt noch viel fremder vorkam. Was war nur aus dem Darien geworden, mit dem er durch die Bars gezogen war und jede Menge Spaß gehabt hatte? Wo war die Person, die früher jegliche Gewalt verabscheut hatte?
„Mir geht es prima", schaffte es Jethro schließlich zu antworten, auch wenn er den Schrecken nicht ganz aus seiner Stimme verbannen konnte. Er hatte das Gefühl, die Leichen auf den Bildern würden ihn ansehen und mit ihren Fingern nach ihm greifen. Seine Knie waren ungewohnt weich, trotzdem schaffte er es so gelassen wie möglich zu dem Stuhl vor dem Schreibtisch zu gehen und sich darauf niederzulassen, genau gegenüber von Darien, der ihn noch immer anblickte.
„Wirklich? Du siehst ein bisschen blass aus", meinte dieser und hob seine Augenbrauen. „Wahrscheinlich hat dich meine selbstgemachte Fotocollage ein wenig geschockt, oder? Aber so geht es jeden, der diesen Raum zum ersten Mal betritt. Ich hingegen finde sie sehr gelungen und zeigt davon, wie verbohrt die Regierung doch ist. Um all das verhindern zu können, hätten sie doch nur etwas zahlen müssen."
Gibbs umklammerte die Lehne seines Stuhles so fest, dass sie sich unangenehm in seine Hände bohrte und er wünschte sich, Coolidge würde endlich aufhören davon zu prahlen, wie viele Menschen er umgebracht hatte und zur Sache kommen. Er konnte es nicht abwarten, aus diesem Raum hinauszukommen, weg von den Bildern. Sicher, er hatte im Laufe seiner Karriere als Bundesagent und auch als Marine viele Tote gesehen, aber diese Situation war anders - alleine wegen dem Foto, das das Einkaufszentrum zeigte, wo sein Neffe ums Leben gekommen war. Wenn alles vorbei war, würde er eine lange Dusche nehmen, in der Hoffnung, so den Ekel loszuwerden, der ihn überkommen hatte.

„Und wo wir gerade beim Thema sind", fügte Darien hinzu, öffnete eine Schublade und holte ein Foto heraus, das erst vor kurzem aufgenommen worden sein musste. Darauf war ein großes, gläsernes Gebäude zu sehen, mit einem weitläufigen Parkplatz davor, wo an den Rändern hohe Schneeberge waren, die ein Schneepflug dort aufgetürmt hatte. Überall standen Fahrzeuge herum, Leute gingen durch eine Drehtür ein und aus – Frauen, Männer und Kinder.
Jethro erkannte dieses Bauwerk sofort und sein Magen zog sich noch fester zusammen. Mittlerweile wünschte er sich ein großes Glas Alkohol herbei, als ihm bewusst wurde, was das nächste Ziel von Coolidges Anschlag sein würde – das Einkaufszentrum, in dem James Jr. gestorben und das neu aufgebaut worden war.
„Du willst also das Einkaufszentrum im Norden Washingtons in die Luft jagen?" fragte Gibbs, aber nur damit seine Leute mitbekamen, was das Ziel war und sofort Maßnahmen ergreifen konnten. „Ich dachte, das war schon einmal eines deiner Ziele", meinte er nach ein paar Sekunden und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihn bis ins Innerste schockierte, wenn er daran dachte, wie viele Menschen sterben könnten, wenn Darien seinen Plan in die Tat umsetzte. Aber wenigstens tappten sie jetzt nicht mehr im Dunkeln und sein alter Freund hatte keinen Schimmer, dass Jethro eine Wanze bei sich trug. So wie Coolidge in seinem Sessel saß, war er einfach nur überheblich und von sich selbst überzeugt, glaubte, keinen Fehler zu machen – welch ein Irrtum.
„Genau das habe ich vor", antwortete Darien emotionslos und lehnte sich wieder zurück – seine Hände verschränkte er in seinem Schoss. „Das war damals ein Meisterstreich von mir und ich träume heute noch davon, als ich die Explosion von einem sicheren Punkt aus beobachtet habe. Dieser gigantische Feuerball, einfach herrlich. Richie ist mit der Bombe fast fertig und wird sie morgen im Heizungsraum deponieren. Kannst du dir vorstellen, welche Explosion das geben wird? Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist, Lee? Du bist richtig blass um die Nase."
Gibbs zitterte innerlich förmlich, während er nach außen alles versuchte, ruhig zu bleiben, sah man von seiner schwindenden Gesichtsfarbe ab. Er war nur froh, dass Darien endlich alles ausgespuckt hatte und somit die ganze Sache in ein paar Minuten vorbei sein würde. Er brauchte nur noch ein paar Minuten warten, bis seine Kollegen die Wohnung stürmen würden – in ein paar Minuten konnte er zu seinem Tony zurückkehren.
„Ich bin nur etwas überrascht, dass du dir dieses Einkaufszentrum ausgesucht hast. Das ist alles", sagte er schließlich und versuchte sich ein wenig zu entspannen. Diesmal würde niemand zu Schaden kommen, es würde keine Opfer geben. „Das kann ich mir vorstellen. Aber soll ich dir noch etwas sagen, Lee? Das ist nicht der einzige Grund, warum du auf einmal so blass geworden bist, nicht wahr?" Der scharfe Ton in Dariens Stimme ließ sofort alle Alarmglocken in Gibbs' Innerem schrillen und er versteifte sich unwillkürlich. Das Funkeln in den Augen seines alten Freundes wurde stechend und das Grinsen unglaublich höhnisch.
Sein Gegenüber beugte sich ein wenig nach vorne und bewegte dabei unmerklich seine rechte Hand. „Ich denke, es hat eher damit zu tun, dass du vor fünf Jahren bei der Explosion jemanden verloren hast, nicht wahr? Wie war noch gleich sein Name? Ah ja, James Jr. Ich wette, deine Schwester war untröstlich. Die gute Jamie. Meinst du, sie schmort in der Hölle, weil sie sich umgebracht hat?"
Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde sprang Jethro von dem Sessel auf, wollte sich über den Tisch stürzen und Darien eigenhändig den Hals umdrehen. Rasende Wut überflutete ihn, er wollte den Mann vor sich einfach nur ins Jenseits schicken, wollte ihm das Genick brechen. Aber bevor er seinen Wunsch auch nur annähernd in die Tat umsetzen konnte, blickte er in die Mündung einer Waffe, die Coolidge blitzschnell aus der noch immer offenen Schublade hervorgeholt hatte. Das Geräusch, mit dem sie entsichert wurde, hallte laut in Gibbs' Ohren wider und ließ ihn abrupt innehalten.
„Das Spiel ist aus, Special Agent Leroy Jethro Gibbs. Und du bist eindeutig derjenige, der verloren hat", sagte Darien eiskalt und brach anschließend in schallendes Gelächter aus, das in dem Raum wie ein lautes Donnergrollen ertönte.

Fortsetzung folgt...
Chapter 44 by Michi
Ziva, McGee und ich saßen im Dienstwagen etwa hundert Meter von dem Apartmentgebäude entfernt, in dem sich Dariens Eigentumswohnung befand. Es war komplett aus roten Backsteinen aufgebaut, mit einer großen gläsernen Eingangstür, durch die man das weitläufige Foyer sehen konnte. Das Bauwerk hatte insgesamt fünf Stockwerke, wobei das Dritte zur Hälfte Coolidge gehörte und die andere Wohnung irgendeinem alten reichen Knacker, der sich an einer Pension erfreute, wie wir bei der Recherche bezüglich der anderen Eigentümer erfahren hatten. Sämtliche Einwohner hatten keine Geldprobleme und konnten, wenn sie wollten, darin schwimmen. Es schienen alle ehrbare Bürger zu sein – jedenfalls von außen betrachtet. Wer wusste, was wir finden würden, würden wir tiefer graben, aber dazu hatten wir definitiv keine Zeit. Das Wichtigste war jetzt, Darien das Handwerk zu legen und endlich in den Alltag zurückzukehren.
Ich kniff meine Augen zusammen und blickte zu der dritten Etage hoch, wo alle Vorhänge zugezogen waren und somit einen Blick in das Innere verhinderten. Allerdings wäre das so oder so schwer gewesen, da die Sonne in einem Winkel am Himmel stand, sodass sie von den Fensterscheiben reflektiert wurde. Ich hasste es, hier unten sitzen zu müssen, während Jethro in diesem Gebäude war. Wir wussten alle, dass jederzeit etwas schief gehen konnte und mit jedem Wort, das zwischen Darien und Gibbs fiel, versuchte ich zu erkennen, ob dieser Lunte gerochen hatte.
Das Gespräch wurde klar und deutlich zu uns übertragen und jeder hatte einen kleinen Stöpsel im Ohr, mit dem wir alles mitverfolgen konnten, was zwischen den beiden besprochen wurde. Coolidges Stimme war tief, hatte einen eisigen Unterton, der nicht ganz von der Freundlichkeit überdeckt wurde, mit der er redete. Alleine dadurch stellten sich in meinem Nacken sämtliche Härchen auf und ich wünschte mir, dass er endlich das Ziel des nächsten Anschlags ausspuckte, anstatt Smalltalk über einen Scotch zu führen.
McGee hinter mir sprach leise mit Abby über seinen Laptop und überprüfte ständig die Verbindung zu Gibbs, um rechtzeitig erkennen zu können, wenn etwas nicht mit der Wanze stimmte. Dafür, dass Darien ein intelligenter Verbrecher sein sollte, war er ganz schön blöd. Nicht eine Sekunde lang schien er zu denken, dass er vielleicht bald verloren hätte, dass ihm jemand gewaltig in die Suppe spucken würde. Der heutige Tag würde sein letzter in Freiheit sein und er würde zukünftig nur mehr Selbstgespräche in seiner winzigen Einzelzelle führen können – irgendwo würden wir schon ein Plätzchen finden, wo ihm niemand zuhören wollte.
Ich war froh gewesen, als Jethro vorhin noch einmal angerufen hatte, um zu überprüfen, ob die Wanze auch einwandfrei funktionierte. Seine Stimme zu hören, hatte mich für kurze Zeit vor der Angst abgelenkt, dass etwas gewaltig schief gehen konnte. Ich hatte ihm viel Glück gewünscht und ihm noch einmal gesagt, dass ich ihn liebte, damit er ja nicht vergaß, dass ich auf ihn wartete und er somit jeglichen Blödsinn unterlassen sollte. Ich wusste, für ihn war es nicht leicht, dort erneut hineinzugehen und dem Mann gegenüberzutreten, der seinen Neffen und auch seine Schwester ermordet hatte. Es war bewundernswert, wie er die Maske des alten Freundes aufsetzte, so tun konnte, als ob alles in Ordnung war, wo doch in seinem Inneren der Wunsch nach Rache tobte.
Ich würde Gibbs so gerne beistehen, ihm dort oben die Rücken mit meiner Anwesenheit stärken, aber es musste wohl reichen, dass ich an ihn dachte und ihn stumm anflehte, bloß vorsichtig zu sein. Denn wie ich McGee vorhin im Labor gesagt hatte, würde ich es keine Sekunde überleben, sollte Jethro wirklich sterben. Ich hatte ihn einmal verloren, ein zweites Mal konnte ich die ganze Trauer und den Schmerz nicht mehr durchstehen – geschweige denn eine weitere Beerdigung. Sein Untergang wäre wohl auch mein Untergang…

„Wieso hast du Gibbs denn auf einmal doch verziehen?" fragte Ziva neben mir. „Was?" Irritiert riss ich meinen Blick von der Fassade des Gebäudes los und sah zu meiner Kollegin, die sich ihre Haare gerade zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich nur am Rande mitbekommen hatte, dass sie etwas gesagt hatte. „Na, du und Gibbs", wiederholte sie eine Spur ungeduldig und hob eine Augenbraue. „Warum hast du ihm nun doch verziehen, wo du gemeint hast, alles noch einmal durchdenken zu müssen?"
Ich schüttelte über die Neugier der Israelin den Kopf und lächelte sie breit an. „Sagt dir das Wort Privatsphäre etwas, Zivaaaa?" meinte ich und zog absichtlich ihren Namen in die Länge. Weshalb ich wirklich zu Jethro zurückgekehrt war, ging nur ihn selbst, mich und Ducky etwas an, der ja im Prinzip seine Finger im Spiel gehabt hatte. Hätte er mir nicht eine kleine Gehirnwäsche verpasst und mir Nahe geführt, was passieren würde, sollte ich mich für ein Leben ohne Gibbs entscheiden, würde ich hier nicht herumsitzen und mich auf unseren gemeinsam Abend freuen – und auf meinen Striptease, den er garantiert so schnell nicht mehr vergessen würde.
„Jetzt sei doch nicht gleich so verbohrt, Tony", erwiderte sie bissig und verzog ihre Lippen, da sie es nicht ausstehen konnte, wenn ich ihren Namen in die Länge zog. „Ich bin verbohrt? Wer hat denn vorhin gesagt, dass wir nicht im Labor sind, um Jethros und mein Liebesleben zu diskutieren", gab ich schlecht gelaunt zurück und blickte wieder geradeaus auf das Apartmentgebäude. „Hier geht es doch nicht um euer Liebesleben. Mich interessiert nur, warum du deine Meinung geändert hast. Nicht, dass es mich nicht freuen würde, aber…" „Sei doch mal still, Ziva", unterbrach sie McGee vom hinteren Sitz aus und was ich deshalb in meinem Ohr hörte, ließ mich augenblicklich aufrecht hinsetzen.
„Hat er gerade das Einkaufszentrum im Norden Washingtons gesagt?" fragte ich alarmiert und mein Herz begann schneller zu schlagen. „Ja, das hat er", meinte die Israelin und sie wirkte ebenfalls ein wenig geschockt. „Mein Gott", gab Tim seinen Kommentar dazu ab und starrte mich mit großen Augen an. „Ist das nicht das Einkaufszentrum, in dem Gibbs' Neffe…?" „Ja, das ist es", bestätigte ich atemlos, aber gleich darauf setzte mein Herz einen Schlag aus und Angst strömte durch meinen Körper, als ich die nächsten Worte Dariens vernahm. Dieser fing an, mit höhnischer Stimme von James Jr. und Jamie zu reden.
Eine mehr als ungute Vorahnung stieg in mir auf und ich wusste, dass es kein Zufall war, dass Coolidge auf einmal von Gibbs' Familie zu sprechen anfing, mit höhnischer Stimme erzählte, was vor etwa fünf Jahren geschehen war. Ich wusste, das Einkaufszentrum war neu errichtet worden und man hatte eine riesige Marmorplatte in der Eingangshalle an einer Mauer aufgehängt, zum Gedenken an die vielen Opfer, die es damals gegeben hatte. Dass dieses Gebäude erneut das Ziel eines Anschlags werden sollte, ließ Übelkeit in mir aufsteigen. Aber wenigstens würde es diesmal keine Toten geben, immerhin würden rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern würden, dass jemand zu Schaden kam. Morgen würden zahlreiche Agenten bereitstehen, um den Bombenbauer gebührend in Empfang zu nehmen.
Meinst du, sie schmort in der Hölle, weil sie sich umgebracht hat? Mein Blut gefror zu Eis, als ich die Frage hörte und ich fing innerlich zu zittern an, meine Finger krallten sich um das Lenkrad vor mir. „Er weiß es", flüsterte ich beinahe unhörbar, bekam wie aus weiter Ferne mit, wie jemand laut atmete und dann ein Geräusch erklang, so als ob einer der beiden ruckartig aufgestanden war. Mein Herz schlug unglaublich laut in meiner Brust und ich hatte das Gefühl, die Zeit würde still stehen.
Das Spiel ist aus, Special Agent Leroy Jethro Gibbs. Und du bist eindeutig derjenige, der verloren hat. Meine Eingeweide, verwandelten sich in riesige Eisklumpen, als hämisches Lachen in meinem Ohr erklang und mir vor Augen führte, dass die ganze Sache gerade vollkommen aus dem Ruder lief.
„Scheiße", entfuhr es McGee unwillkürlich und riss mich aus meiner Lethargie. Panik breitete sich in mir aus und ich wartete bereits auf einen Schuss, oder sonst irgendeinen Laut, der Jethros Tod begleitete. Aber nichts dergleichen geschah, nur Dariens schrilles Lachen und ein Atmen waren zu hören und dieses war das Schönste, was ich jemals wahrgenommen hatte, bedeutete es doch, dass Jethro noch lebte, dass ich ihn noch nicht verloren hatte. Aber wie lange würde das noch der Fall sein?
Blitzschnell öffnete ich die Wagentür und eisige Luft schlug mir entgegen. Aber das war nichts gegen die Kälte, die mich erfasste, wenn auch nur daran dachte, dass Gibbs in wenigen Sekunden sterben konnte. Darien wusste es, er hatte den Braten gerochen, er wusste, dass ihn sein alter Freund nur angelogen hatte. „Verstärkung ist unterwegs", sagte McGee, als er mir ins Freie gefolgt war. Ohne ihm auch nur zu antworten oder auf meine Kollegen zu warten, lief ich los, vorbei an Passanten, die mich mit großen Augen musterten, rannte auf das Gebäude zu, in dem sich mein Freund befand und vielleicht nicht mehr lebend herauskommen würde. Hinter mir hörte ich McGee keuchen, gefolgt von Ziva, die mir nachrief, ich solle doch warten. Aber den Teufel würde ich tun. Ich würde garantiert nicht stehen bleiben und damit wertvolle Sekunden vergeuden. Jethro war in Gefahr und mir war es egal, wenn ich mich unprofessionell verhielt, indem ich Hals über Kopf losrannte, ohne darüber nachzudenken, wie wir vorgehen sollten. Wichtig war nur, ihn da rauszuholen, ihn von Darien wegzubringen, bevor ihn dieser umbringen konnte. Die Panik in mir wurde stärker und ich rannte so schnell ich konnte. Ein paar Sekunden später stieß ich die Eingangstür zum Foyer auf, das verlassen vor mir lag. Es war sonnendurchflutet, Grünpflanzen lockerten die Atmosphäre auf und im hinteren Teil konnte ich Fahrstühle erkennen. Aber ich würde garantiert nicht auf diese warten. Stattdessen lief ich auf die Tür zu, auf der Treppenhaus stand, öffnete sie und spurtete die Stufen hinauf, gefolgt von Ziva und McGee, die alle Mühe hatten, mit meinem Tempo mitzuhalten.

Gibbs starrte in die Mündung der Waffe, die direkt zwischen seine Augen zielte und hatte das Gefühl, in einen langen, finsteren Tunnel zu sehen, in dem der Tod lauerte – und im Prinzip traf das auch zu. Darien musste nur den Abzug durchdrücken und innerhalb des Bruchteils einer Sekunde läge er mit einer Kugel im Kopf am Boden dieses abscheulichen Raumes. Er konnte nicht verhindern, dass sich seine Eingeweide vor Angst zusammenzogen, aber nicht vor seinem eigenen Ableben, sondern weil er an Tony dachte, der tränenüberströmt auf die Leiche seines Freundes blickte, Tony, der ein zweites Mal unglaubliche Trauer durchstehen müsste, Tony, der ihn über alles liebte und zu ihm zurückgekehrt war, nur um ihn vielleicht gleich wieder zu verlieren. Sollte er wirklich heute sterben, hoffte er, dass er Anthony noch einmal sagen konnte, wie sehr er ihn liebte und dass er stark bleiben und sich nicht aufgeben sollte.
Dariens schrilles Gelächter ging in ein hämisches Kichern über, das beinahe noch schlimmer war und ein amüsiertes Funkeln trat in seine hellblauen Augen, ließ ihn noch gefährlicher erscheinen. Die Waffe hielt er vollkommen ruhig, der Zeigefinger lag um den Abzug, aber er machte keine Anstalten, diesen zu betätigen – noch nicht. Was bedeutete, Jethro hatte noch Zeit und Zeit war jetzt das Wichtigste. Er wusste, Tony, Ziva und McGee hatten alles unten im Wagen mitbekommen und waren sicher bereits auf dem Weg hierher. Ein paar Minuten… er musste nur ein paar Minuten durchhalten, bis seine Verstärkung eingetroffen war. Er würde erst dann die Hoffnung aufgeben, wenn es zu spät war.
„Du solltest jetzt dein Gesicht sehen, Lee", sagte Darien und kicherte weiterhin, ließ damit die Abneigung in Gibbs noch mehr steigern. Wie hatte er es nur geschafft, diesem Mann gegenüber so zu tun, ihn noch zu mögen? Wie hatte er es nur hinbekommen, eine freundliche Maske aufzusetzen? Es war ihm ein Rätsel und er wusste, seine Miene spiegelte all den Hass wider, den er in diesem Moment empfand.
„Hör auf, mich Lee zu nennen", zischte Jethro verächtlich und beugte sich ein wenig weiter nach vorne, auch wenn er sich deswegen dem Lauf der Waffe näherte. „Du hast kein Recht mehr, diesen Namen in deinen Mund zu nehmen. Diese Zeiten sind vorbei." „Ach kommt schon, Lee", erwiderte Darien und grinste, als er die vor Wut geröteten Wangen des Agenten bemerkte. „Denk daran, was wir alles durchgestanden haben." „Für mich zählt das nicht mehr. Schon lange nicht mehr, vor allem, seit ich erfahren habe, dass du meinen Neffen auf dem Gewissen hast, du Mistkerl." Gibbs ballte seine Hände zu Fäusten und hätte sich am liebsten über den Schreibtisch gestürzt, würde da nicht eine Waffe auf seine Stirn zielen. Er hatte definitiv die schlechteren Karten, aber noch war nicht alles verloren, noch hoffte er darauf, dass ihn seine Freunde herausholen würden, so wie er sie immer aus allen möglichen Schwierigkeiten herausgeholt hatte. Sie würden sicher nicht zulassen, dass ihm etwas passierte, schon gar nicht Tony. Dieser würde in diesem Moment sicher wie eine Rakete die Stufen hinauf laufen und dabei alle Vorsicht in den Wind schießen.

„Das ist aber nicht nett, mich als Mistkerl zu bezeichnen. Eigentlich sollte ich derjenige sein, der dich so nennt. Immerhin warst du es, der mich hinters Licht geführt hat. Ich hätte es wissen sollen, bereits als du am Sonntag auf einmal in der Fabrik aufgetaucht bist. Der Special Agent, der so plötzlich die Seiten wechselt, wo doch sein Herz normalerweise für Gerechtigkeit schlägt. Aber du hast einen Fehler gemacht, Lee. Einen winzigen Fehler", wiederholte Darien leise und seine Stimme hatte alle Häme verloren, war nun eiskalt, noch kälter als die Temperaturen im Freien.
Gibbs stellten sich sämtliche Nackenhärchen auf und er musste den Kloß in seinem Hals hinunterschlucken, der sich dort gebildet hatte. Er dachte angestrengt nach… einen Fehler… welchen Fehler hatte er nur begangen? Was hatte seine Tarnung gefährdet? Die Entscheidung, Tony zu sagen, dass er noch am Leben war? Oder doch etwas ganz anderes? Aber er würde Darien nicht fragen, würde ihm nicht die Genugtuung lassen, keine Ahnung zu haben, wovon dieser redete. Coolidge hingegen war in seinem Element, weshalb er ohne zu zögern weitersprach, sich darüber aufplusterte, dass sein ehemaliger Freund doch nicht so klug war, wie es immer den Anschein erweckt hatte.
„Du hast in den letzten Jahren noch immer nicht gelernt, mit Computern umzugehen, nicht wahr, Lee? Sonst wüsstest du, dass es kleine, nette Programme gibt, mit denen man kontrollieren kann, wann zuletzt ein Computer eingeschaltet worden ist. Dein Unverständnis für Technik musste dir ja irgendwann das Genick brechen", fügte er hinzu und grinste schief.
Gibbs verpasste sich in Gedanken selbst eine Kopfnuss, als er sich an den Nachmittag am Montag erinnerte, wo er in der Fabrik herumgeschnüffelt hatte und dabei fast von einem dieser Wachhunde erwischt worden war, der ihm von Anfang an nicht über dem Weg getraut hatte. Er hatte gewusst, dass dieser nicht umsonst anschließend in den Raum gegangen war, wo er versuchte hatte, das Passwort von dem Computer zu knacken. Jethro hatte damals schon gespürt, das er einen Fehler begangen hatte, nur hatte er nicht mehr darüber nachgedacht, hatte es verdrängt, war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, Tony wieder zu bekommen. Es war ein weiterer Beweis dafür, dass Liebe blind machte und mit den Konsequenzen musste er jetzt wohl leben, aber die waren nicht so wichtig, wichtig war nur Anthony und dass er Gibbs verziehen hatte.
„Jetzt brauche ich wenigstens nicht mehr so zu tun, als ob ich dich mögen würde", zischte Jethro und blickte Darien direkt in die Augen. Dessen Lächeln verschwand von seinen Lippen und machte Verabscheuung Platz. „Für diese Vorstellung hast du wirklich einen Oscar verdient, das muss ich dir lassen. Ich habe es dir wirklich abgekauft, dass du zu mir überwechseln willst, bis du den Fehler mit dem Computer gemacht hast und ich meine Männer aufgetragen habe, ein bisschen nachzuforschen. Tja, so habe ich auch von deinem Neffen und deiner Schwester erfahren. Was für eine Ironie des Schicksals, noch dazu, wo ich das gleiche Einkaufszentrum noch einmal in die Luft jagen werde. Und soll ich dir noch etwas verraten, Lee? Vielleicht werde ich deinen geliebten Freund mit hochgehen lassen, direkt neben der Bombe."
„Bastard!" brüllte Jethro und die Angst in seinem Inneren erreichte eine Höhe, die er nie für möglich gehalten hatte. „Tony hat damit nichts zu tun! Lass ihn in Ruhe!" Darien spannte den Zeigefinger um den Abzug, als Gibbs sich auf ihn stürzen wollte, mit der Absicht, den Mann zu erwürgen, der seinen Anthony bedrohte. Hätte er nicht so einen starken Überlebenswillen, hätte er es wahrscheinlich zugelassen, dass Coolidge ihn erschoss. Aber er hielt mitten in der Bewegung inne, sein Atem ging keuchend und die Wut in ihm fraß ihn beinahe auf.
„Was wird wohl dein Freund dazu sagen, wenn ich ihm kurz vor seinem Tod verraten werde, dass du ihn belogen hast? Dass du ihn absichtlich trauern hast lassen? Welchen Hass musst du auf mich haben, dass du jemanden so weh tust? Weißt du, es hat mich überrascht, als ich erfahren habe, dass du auf einmal in anderen Gewässern fischst." „Ach, ist es jetzt schon ein Verbrechen, einen Freund zu haben?" fragte Jethro zynisch und war unendlich erleichtert, dass Darien nicht wusste, dass Tony in die ganze Sache eingeweiht war. Was wiederum bedeutete, Coolidge hatte keinen Schimmer davon, dass auch seine anderen Teammitglieder von dem Auftrag wussten. So wie es aussah, glaubte sein ehemaliger Freund, er würde auf eigene Faust handeln.
„Nein, ist es keineswegs. Ich habe dich nur nicht für den Typ gehalten, der sein Herz an einen Mann verschenkt. Noch dazu an einen deiner Agenten. Schade, dass du ihn nicht mehr sehen wirst, Lee. Es wird keinen Abschiedskuss geben, kein Ich liebe dich mehr. Du hast verspielt und nur damit du es weißt, du wirst schuld sein, dass dein Freund ebenfalls sterben muss. Nun denn, willst du noch etwas sagen, bevor ich dich erschieße?"
Darien ließ seine Waffe sinken, bis die Mündung direkt auf Jethros Herz zielte, das wie wild in seiner Brust schlug. Sein Hals war staubtrocken und er hatte das Gefühl, das Stunden vergangen wären, wo es doch nur wenige Minuten gewesen waren. Aber er erkannte, dass ihn Coolidge keine Kugel in den Kopf jagen würde, weshalb er eine Überlebenschance hatte. Er war nicht unvorbereitet hierher gekommen, hatte auf Jenny gehört, hatte etwas getan, was er nicht gerne machte.
„Ja, ich will dir noch etwas sagen", sagte Gibbs und blieb ruhig am Fleck stehen. „Fahr zu Hölle, Darien." Dieser blickte Jethro mit erhobenen Augenbrauen an, bevor er anfing zu lachen und den Finger um den Abzug spannte. „Nach dir, Lee", erwiderte er und drückte ohne mit der Wimper zu zucken ab. Ein lauter Knall ertönte, etwas Hartes traf Gibbs in die Brust und ließ ihn zu Boden gehen, wo er regungslos liegen blieb.

Mit gezückter Waffe betrat ich den kurzen Flur, der die beiden Wohnungen trennte, die sich in diesem Stockwerk befanden. Es war ruhig hier oben, ich konnte nur meinen eigenen Atem und die Unterhaltung zwischen Darien und Gibbs hören. Die Stimme meines Freundes war ruhig, er schien sich nicht aus der Fassung bringen zu lassen und je mehr er redete, desto mehr stiegen seine Chancen, dass wir ihm rechtzeitig helfen konnten. Seine Worte beruhigten mich, zeugten sie doch davon, dass er lebte, auch wenn mich Dariens Gerede ein wenig schockte. Dieser Mann hatte definitiv kein Gewissen und ich freute mich jetzt schon, wenn er endlich von seinem hohen Ross heruntergeholt wurde.
Leise eilte ich auf die Apartmenttür zu und gab Ziva mit dem Kopf ein Zeichen, diese zu öffnen. Sie nickte und streckte ihre Hand aus, die sie auf die Klinke legte, während McGee und ich uns links und rechts positionierten. Langsam drückte die Israelin den Griff nach unten und zu unser großen Überraschung schwang die Tür lautlos nach innen auf, gab den Blick auf ein großes, in schwarz-weiß eingerichtetes Wohnzimmer frei, das eine kalte Atmosphäre verströmte.
Ohne zu zögern betrat Ziva die Wohnung, ich folgte ihr mit Tim im Schlepptau. Leise Stimmen waren von einem Raum in der Nähe zu hören, der in dem Gang lag, der zum hinteren Teil des Apartments führte. Mein Herz klopfte wie verrückt, als ich mitbekam, wie Darien erzählte, wie er mich mit dem Einkaufszentrum in die Luft jagen wollte. McGee hinter mir sog scharf die Luft ein und ich gab ihn mit einem kurzen Blick zu verstehen, dass er ruhig sein sollte. Ihn schien es mehr zu schockieren, dass ich sterben sollte als mich selbst. Aber wer wusste, ob Darien es wirklich vorhatte? Immerhin war es möglich, dass er nur so daherredete, dass er Jethro absichtlich psychische Schmerzen zufügen wollte.
Dieser hatte einen einzigen winzigen Fehler gemacht, hatte versucht, sich zu einem Computer Zugang zu verschaffen, wo er doch gerade einmal wusste, wie man ein solches Gerät einschaltete. Ein kurzer Fehltritt mit einer großen Auswirkung. Aber gleich darauf durchfuhr mich Erleichterung, als ich erkannte, dass Coolidge keinen Schimmer hatte, dass ich eingeweiht war, dass wir alle davon wussten, dass Gibbs hier war. Dieser Mann unterschätzte ihn eindeutig, glaubte die Oberhand zu haben, dabei hatte er keinen Schimmer, dass er derjenige war, der verloren hatte und nicht mein Freund.
Ohne darauf zu achten, leise zu sein, lief ich in den Flur, die Waffe schussbereit erhoben und strebte auf die offene Tür zu, hinter der die Stimmen erklangen. Nur noch ein paar Sekunden, dann würde alles vorbei sein.
„Nun denn, willst du noch etwas sagen, bevor ich dich erschieße?" fragte Darien und für kurze Zeit verhinderte die Panik in mir, dass ich logisch denken konnte, dass ich mein Gehirn benutzte, anstatt mich von meinen Gefühlen zu leiten. Der Raum kam in mein Blickfeld, ich erkannte Gibbs, der vor dem Schreibtisch stand, seine Muskeln gespannt wie ein Flitzebogen. Darien zielte mit einer Waffe auf seine Brust, die sich schnell hob und senkte und ich konnte die Schweißtropfen erkennen, die sich auf seiner Stirn gebildet hatten. Ich drückte mich mit dem Rücken gegen die Wand und überlegte, ob ich einfach reinstürmen sollte. Aber was war, wenn Coolidge schneller war, wenn er einfach abdrückte?
„Ja, ich will dir noch etwas sagen", meinte Jethro ruhig und ich konnte sehen, wie er sich ein wenig entspannte. Verdammt, was machte er da? Warum stand er einfach so da und wartete darauf, dass Darien schoss? „Tony", wisperte Ziva neben mir und ich blickte sie an, riss für eine Sekunde den Blick von meinem Freund los. Sie sah mich fragend an und ich nickte langsam. Wir mussten das Risiko eingehen, so oder so, Coolidge würde wohl schießen und wir hatten immerhin das Überraschungsmoment auf unserer Seite.
„Fahr zu Hölle, Darien!" rief Gibbs und mein Herz setzte unwillkürlich einen Schlag aus. Ich wirbelte herum, verließ somit meinen Platz an der Wand, stand nun fast direkt vor der Tür, alle Vorsicht vergessen. „Nach dir, Lee", sagte Coolidge eiskalt und innerhalb des Bruchteils einer Sekunde erkannte ich, dass es zu spät war. Ein Knall zerriss die Stille und mit schreckgeweiteten Augen musste ich mit ansehen, wie die Kugel Jethro in die Brust traf und er zu Boden geschleudert wurde, wo er regungslos und mit geschlossenen Augen liegen blieb.

Fortsetzung folgt...
Chapter 45 by Michi
Ich hatte das Gefühl, die Zeit würde still stehen, aber gleichzeitig glaubte ich, alles würde sich rasend schnell um mich drehen. Mir stockte buchstäblich der Atem in der Kehle und ich dachte, ersticken zu müssen. Mit vor Unglauben weit aufgerissenen Augen starrte ich Gibbs an, der auf dem Boden lag und keinen Finger mehr rührte. Der Schuss hallte weiterhin laut in meinen Ohren, obwohl er schon lange verklungen war und nichts weiter als Stille hinterlassen hatte, die unglaublich drückend war.
In meinem Inneren breitete sich rasend schnell eine schiere Leere aus, so als ob jemand mit einem riesigen Löffel alles aus mir herausgekratzt hätte. Ein schweres Gewicht schien sich auf meine Brust zu drücken, presste mein Herz zusammen, von dem ich dachte, dass es gleich in tausend Scherben zerspringen würde. Meine Knie fingen zu zittern an, verwandelten sich in Butter und ich konnte nur mit Mühe verhindern, dass ich nicht einfach auf den Boden krachte. Tränen stiegen rasend schnell in meine Augen, sorgten für ein verschwommenes Blickfeld, sorgten dafür, dass ich Jethro nicht mehr deutlich erkennen konnte.
Unbeschreiblicher Schmerz durchfuhr mich, als mir bewusst wurde, was es bedeutete, dass mein Freund in diesem Raum lag und sich nicht mehr rührte - getroffen von einer Kugel, die ihn buchstäblich von den Beinen gerissen hatte. Panik durchströmte mich und ich konnte nur daran denken, was ich McGee vor ein paar Stunden in der Forensik gesagt hatte. Ich würde es keine Sekunde lang überleben, Gibbs noch einmal zu verlieren, würde es nicht schaffen, die ganze Trauer noch einmal durchzumachen, konnte den Schmerz, der schlimmer als alles andere war, kein weiteres mal ertragen.
Und jetzt stand ich hier, in diesem Flur und starrte auf Jethro, der wie tot nur ein paar Meter vor mir lag und sich keinen Millimeter rührte. Ich konnte nicht erkennen, ob sich seine Brust hob und senkte, wusste nicht, ob er atmete – das Einzige, das ich wusste, war, dass ich das Gefühl hatte, auseinanderzubrechen, hier und jetzt ebenfalls zu sterben. Ich begann haltlos zu zittern, die Tränen liefen mir über die Wangen und es gab nur einen Grund, warum ich mir nicht auf der Stelle meine Waffe an die Schläfe drückte und den Abzug durchzog – und dieser Grund stand nicht weit von mir entfernt und hatte noch immer seine Pistole auf die Stelle gerichtet, wo sich Gibbs vor wenigen Sekunden noch befunden hatte. Ein gehässiges Lächeln zierte seine Lippen und er starrte wie gebannt auf den leblosen Körper vor ihm – damit machte er einen riesigen Fehler. Darien konzentrierte sich so sehr auf seinen ehemaligen Freund, dass er noch immer nicht mitbekommen hatte, dass er nicht alleine war.
Ihn so zu sehen, voller Häme und Freude, Jethro erschossen zu haben, ließ eine unglaubliche Wut in mir entstehen und vermischte sich mit dem Schmerz in meinem Inneren, der beinahe unerträglich war. Gibbs hatte mir doch versprochen, mich nie wieder alleine zu lassen, ich hatte ihm gesagt, er würde eine Belohnung bekommen, wenn er vorsichtig war, ich hatte mich schon so darauf gefreut, ihn bald in meine Arme zu schließen und mit ihm nach Hause zu fahren. Das konnte doch nicht wahr sein, dass ich ihn schon wieder verlor, wo ich ihn doch erst wieder seit ein paar Stunden zurückhatte. War es unser Schicksal, dass wir nicht zusammen sein konnten? Warum wurde mir das angetan? War es denn zu viel verlangt, glücklich zu sein?

Ich wollte und konnte alles nicht noch einmal durchleben und wahrscheinlich war das auch der Grund, warum ich ohne nachzudenken einen lauten Schrei ausstieß, der all den Schmerz und die Wut enthielt, die ich in diesem Moment empfand. Ich schrie mir alles von der Seele und meine Stimme hallte laut von den Wänden wider. Darien zuckte erschrocken zusammen, drehte sich blitzschnell zur Tür und riss überrascht seine Augen auf, als er uns entdeckte. Ich spürte McGees Hand auf meinem rechten Unterarm, aber bevor er richtig zugreifen konnte, stürmte ich nach vorne, mir dessen bewusst, dass ich mich mehr als unprofessionell verhielt. Aber mir war das egal, sollte Coolidge auf mich schießen, sollte er mir doch eine Kugel in meinen Körper jagen, so wie er es bei Jethro gemacht hatte.
„Tony, nicht!" rief Ziva hinter mir, aber ich ignorierte sie, rannte auf den Mann zu, der mir meinen Freund genommen hatte, der dafür verantwortlich war, dass ich erneut diesen Schmerz in mir verspürte und alles was ich in diesem Moment wollte, war, ihm weh zu tun, ihm so weh zu tun, wie er es mit mir machte.
Darien erholte sich von seinem Schock in sekundenschnelle, riss seine Pistole herum, sodass die Mündung auf mich zielte, aber bevor er abdrücken konnte, hatte ich ihn erreicht, rammte ihm meine rechte Hand ins Gesicht, sorgte dafür, dass der Griff meiner Waffe ihm die Nase zerschmetterte. Das Knacken des Knochens war wie ein himmlisches Geräusch für meine Ohren und sein Schmerzensschrei war noch ein viel besseres Geschenk. Blut schoss ihm aus der Nase, floss ihm über Mund und Kinn und er ließ unwillkürlich die Waffe fallen, die mit einem Klappern auf dem Boden landete.
Darien keuchte, spuckte Blut auf den Boden, aber bevor er auch nur die Chance erhielt, sich zu erholen oder Herr seiner Schmerzen zu werden, rammte ich ihm meine linke Faust in den Magen, umklammerte seinen Hals mit meiner freien Hand und presste ihn mit dem Rücken gegen die Wand neben dem Fenster. „VERDAMMTER BASTARD!!!" brüllte ich ihn an, schloss meine Finger um seine Kehle und drückte ihm die Luftzufuhr ab. Ein Japsen entkam seinem Mund und er lief langsam rot an. Seine Augen weiteten sich geschockt und ich konnte eine Spur Angst darin erkennen. Verschwunden war die arrogante und coole Fassade, die er vorhin gezeigt hatte. Ohne lange darüber nachzudenken, hob ich meinen rechten Arm und drückte ihm die Mündung meiner Waffe gegen die Stirn.
„Wie fühlt sich das an, Mistkerl?! Wie fühlt es sich an, zu wissen, dass man gleich sterben wird?!" Dariens Versuch, etwas zu sagen, ging in einem Keuchen unter, als ich ihm immer mehr die Luft abschnürte. „Tony, hör auf", kam McGees Stimme links neben mir, aber ich ignorierte ihn. Ich wollte den Mann vor mir einfach leiden sehen, wollte ihn eigenhändig erschießen, wollte ihn dafür bestrafen, dass er mir Jethro genommen hatte und dass ich ein zweites Mal diesen unsäglichen Schmerz in mir fühlte.
Noch mehr Tränen strömten über meine Wangen und ich entsicherte die Waffe. Ich brauchte nur mehr den Abzug durchziehen und schon würde sich eine Kugel in Dariens Hirn bohren, würde ihn aus dem Leben reißen. „Nimm die Waffe runter, Tony", hörte ich Ziva hinter mir. Ich drehte mich nicht zu ihr um, wusste aber auch so, dass sie neben Gibbs kniete, dort wo ich jetzt eigentlich sein sollte. Aber ich konnte mich nicht dazu durchringen, den Bastard vor mir loszulassen.
Dessen Nase war nur mehr eine Masse aus Fleisch und Knochen und blutete heftig. Mir war es egal, dass etwas davon auf meine Jacke tropfte, mir war es egal, dass ich dabei war, jemanden vorsätzlich zu ermorden. Ich wollte einfach nur, dass dieser Schmerz in meinem Inneren aufhörte. Coolidges Gesicht nahm eine bläuliche Verfärbung an, als ihm der Sauerstoff ausging und mittlerweile kam nur mehr ein Röcheln aus seinem Mund. Seine Augen quollen aus seinen Höhlen und er hatte mein Handgelenk umfasst, versuchte damit, dass ich locker ließ. Aber er war nicht stark genug und in mir tobte eine Wut, die mir zusätzliche Kraft verlieh.
„Tony, das ist er nicht wert", sagte McGee mit ruhiger Stimme neben mir und legte mir eine Hand auf meine Schulter. „Lass mich!" schrie ich ihn an und krümmte den Zeigefinger um den Abzug. „Er hat Jethro umgebracht!" „Nein, Tony, er hat…" meinte Ziva hinter mir, aber ich schüttelte nur den Kopf, wollte ihre Worte nicht hören. Es fehlte nur noch ein winziger Druck meines Fingers und es würde vorbei sein. Ich presste die Mündung noch fester gegen Dariens Stirn und starrte ihm in die Augen, sah darin nur Kälte und eine Spur Todesangst.
Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust, mein Atem ging keuchend und Schweiß hatte sich auf meiner Stirn gebildet. „Mach keinen Mist", meinte McGee und seine Stimme nahm einen ungewohnten Befehlston an. „Sie werden niemandem mehr schaden!" schrie ich den Mann vor mir an und war wirklich dabei, ihm eine Kugel durch sein Hirn zu jagen, es fehlte nur noch ein kurzer Ruck meines Fingers - als ich ein leises Stöhnen, gefolgt von einem „Verdammt", hinter mir hörte.
Ich lockerte unwillkürlich meinen Griff um die Waffe und für einen Moment glaubte ich, zu halluzinieren. Meine Augen weiteten sich ungläubig und ich konnte dasselbe Gefühl auf Dariens Gesicht sehen. Dieser blickte über meine Schulter und stieß ein Knurren aus, das mir unwillkürlich einen Schauer über den Rücken jagte. Langsam, so als ob ich Angst hätte, hinter mir etwas Grässliches zu sehen, drehte ich meinen Kopf und sah, wie Ziva Gibbs half, sich aufzusetzen. Er hielt sich mit einem Arm seine Rippen und sein Gesicht hatte die sonst so gesunde Farbe verloren, aber ansonsten war er quicklebendig.
Mein Herz setzte einen Schlag aus und ich starrte ungläubig auf die Israelin und meinen Freund, der noch vor einer Minute wie tot dagelegen hatte, sich jetzt aber rührte und definitiv lebte. Meine Hand, die die Waffe hielt, fing an zu zittern, der Griff um Dariens Hals wurde lockerer und unendliche Erleichterung durchflutete mich. Die Tränen in meinen Augen wurden mehr, als ich erkannte, dass ich Gibbs nicht verloren hatte. Erst jetzt bemerkte ich auch so richtig, dass auf seinem Hemd kein Blut zu sehen war, nirgends war eine Spur von der lebensnotwendigen Flüssigkeit. Und auf einmal fiel der Groschen, warum er vorhin einfach stehen geblieben war, warum er so ruhig gewesen war, als ihn Darien bedroht hatte – er trug eine schusssichere Weste.
„Oh Gott, Jethro", schluchzte ich und ließ es widerstandslos zu, dass mir McGee die Waffe abnahm. Mein rechter Arm fiel schlaff nach unten, war auf einmal viel zu schwer und meine Finger lösten sich vollkommen von Coolidges Hals. Dieser sog keuchend Luft in seine Lungen und fing zu husten an, als etwas von dem Blut aus seiner Nase in seinen Hals gelangte.
Ich drehte mich vollends um, überließ es Tim, sich um Darien zu kümmern, den er sogleich nicht gerade feinfühlig umdrehte, mit dem Gesicht voran gegen die Wand presste und ihm Handschellen anlegte, während er ihm seine Rechte vorlas. Ich hingegen umrundete so schnell ich konnte den Schreibtisch und fiel neben Jethro auf meine Knie, ignorierte den Schmerz, der mir deswegen durch meine Gelenke fuhr. Mit Zivas Hilfe hatte er sich mittlerweile komplett aufrecht hingesetzt und hielt sich weiterhin mit einem Arm seine Rippen, genau an der Stelle, wo ihn die Kugel getroffen hatte und von der Weste abgefangen worden war.
„Oh Gott, Jethro", wiederholte ich schluchzend und blickte ihn seine blauen Augen, die mich herrlich lebend anfunkelten. Trotzdem hatte ich die Angst, dass er einfach umfallen würde, wenn ich ihn berührte. Ich konnte es nicht glauben, dass ich ihn erneut zurückhatte, wo ich doch gedacht hatte, ihn ein zweites Mal verloren zu haben. Nie würde ich es vergessen, wie er zu Boden geschleudert worden war, um leblos liegen zu bleiben. Ich wollte gar nicht daran denken, was geschehen wäre, hätte ihm Darien in den Kopf geschossen oder hätte er keine schusssichere Weste getragen.

Mein Freund hob seinen rechten Arm und legte seine Hand an meine linke Wange, streichelte sanft darüber, entfernte mit seinem Daumen die unzähligen Tränen, die aus meinen Augen geströmt waren. Seine Berührung war so zärtlich, seine Haut wo warm und ich konnte nichts gegen den Schluchzer machen, der erneut über meine Lippen kam. Mir war es egal, dass Darien hinter uns zu fluchen anfing, mir war es egal, dass sich Ziva neben mir befand und uns bei dieser intimen Geste beobachtete, es zählten nur noch Gibbs, ich und die Tatsache, dass er nicht erschossen worden war und dass jetzt alles vorbei war, dass wir zusammen nach Hause fahren konnten.
„Ich habe dir ja versprochen, dich nie wieder alleine zu lassen, Tony", sagte Jethro schließlich und ließ seine Hand weiter in meine Haare wandern. In seinen Augen lag unglaublich viel Liebe und würde ich nicht bereits knien, hätten spätestens jetzt meine Beine unter mir nachgegeben. Er zog sanft meinen Kopf zu sich heran, bis er auf seiner linken Schulter zu ruhen kam. Seine Finger streichelten weiter durch meine Haare und ich schlang meine Arme um ihn, passte auf, dass ich mich nicht zu sehr gegen seine schmerzenden Rippen presste.
„Ich habe es dir versprochen", wiederholte er leise und drückte mir einen zärtlichen Kuss auf meine Schläfe. „Ich weiß", flüsterte ich und schluchzte ein weiteres Mal. „Trotzdem habe ich gedacht… Oh Gott, ich habe geglaubt, dich schon wieder verloren zu haben." Gibbs hielt mich fester und ich schloss meine Augen, sog förmlich seinen vertrauten Duft ein, genoss seinen herrlich warmen Körper, spürte auch die harte schusssichere Weste, die ihm das Leben gerettet hatte.
„Aber jetzt ist alles vorbei", hauchte er in mein Ohr. „Und niemand wird uns mehr trennen können. Ich werde dich nie wieder alleine lassen, Tony. Nie wieder." Immer wieder sagte er die Worte, so als ob er sichergehen wollte, dass ich sie niemals vergaß. „Ich liebe dich", erwiderte ich und schmiegte mich an ihn. „Ich liebe dich auch, mein Engel", entgegnete Jethro und bei der Erwähnung des Kosenamens bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen. „Brummbär", flüsterte ich zärtlich und Gibbs fing leise zu lachen an, das aber schnell in ein schmerzhaftes Keuchen überging.

„Oh bitte, verschont mich mit dem Liebesgeschwafel oder ich muss gleich kotzen", erklang Dariens Stimme hinter uns und riss mich in die Realität zurück. Für einen kurzen Moment hatte ich doch tatsächlich vergessen, dass wir noch immer in diesem grässlichen Zimmer waren, in dem die Fotos von so vielen Opfern hingen. Vorsichtig löste ich mich aus Gibbs' Umarmung, nahm seine Hand in meine und half ihm aufzustehen. Hatte ich vorher noch das Gefühl gehabt, keine Kraft mehr in meinem Körper zu haben, könnte ich jetzt Bäume ausreißen.
Ich schlang einen Arm um Jethros Taille und beide blickten wir zu Coolidge, dessen Nase geschwollen und untere Gesichtshälfte voller Blut war. Meine Finger hatten Abdrücke an seinem Hals hinterlassen und es erfüllte mich mit Befriedigung, dass er in Handschellen vor uns stand, fest von McGee am Oberarm gepackt. „Von wegen es gibt kein Ich liebe dich mehr", schleuderte ich ihm entgegen und machte ihm damit deutlich, dass wir alles mit angehört hatten.
„Deine Arroganz musste dich ja irgendwann zu Fall bringen", sagte Jethro und drückte mich fester an sich, obwohl seine Rippen sicher dagegen protestierten. „Zu glauben, ich würde auf eigene Faust handeln, war dein Untergang, Darien. Du hast dich eindeutig überschätzt." „Das Spiel ist noch nicht aus, Lee", zischte Coolidge verächtlich und wehrte sich gegen den harten Griff von McGee, der aber nicht locker ließ. „Doch das ist es", erwiderte ich ruhig und grinste ihn an. „Und Sie sind eindeutig derjenige, der verloren hat." „Wie ich schon sagte: fahr zu Hölle, Darien", meinte Gibbs ungerührt und gab Tim mit einem Rucken seines Kopfes zu verstehen, den anderen endlich hinauszuführen. Ziva trat an die andere Seite von Coolidge, packte dessen Oberarm und gemeinsam mit McGee zerrten sie ihn richtiggehend hinaus. Die Flüche und Verwünschungen prallten an uns allen ab, wussten wir doch, dass es vorbei war. Ohne Darien war die ganze Organisation kopflos. Und morgen würde auch noch der Bombenleger in Empfang genommen werden, aber darüber sollten sich andere Gedanken machen. Ich wollte einfach nur einen ruhigen Sonntag haben – mit Jethro.
„Ich kann nicht glauben, dass es tatsächlich vorbei ist", sagte ich und verließ mit meinem Freund endlich den Raum, wo ich gedacht hatte, ihn erneut verloren zu haben. „Und ich kann es kaum erwarten, endlich in den Alltag zurückzukehren", erwiderte Gibbs, lächelte mich an und drückte mir einen sanften Kuss auf meine Wange. Ich seufzte glücklich, nahm meinen Arm von seiner Taille und verschränkte unsere Finger miteinander. „Lass uns nach Hause fahren", meinte ich, auch wenn es sinnvoller wäre, wenn sich Ducky die geprellten Rippen meines Freundes ansah. Ich hatte bereits selbst die Erfahrung gemacht, wie weh es tun konnte, wenn einen eine Kugel traf, während man eine schusssichere Weste trug. Ein Grund mehr, Gibbs heute von vorne bis hinten zu bedienen, nicht zu vergessen meinen Striptease, nach dem er überhaupt keine Schmerzen mehr haben würde, sondern nur ein glückliches Grinsen im Gesicht.
„Ja, lass uns nach Hause fahren", sagte er und zusammen verließen wir Dariens luxuriöse Wohnung, ließen die Geschehnisse der letzten Tage hinter uns, um einer gemeinsamen Zukunft entgegenzublicken.

Fortsetzung folgt...
Chapter 46 by Michi
Washington D.C.
Sonntag, 02. Februar
09:15 Uhr


Gibbs stand in der Tür zu seinem Schlafzimmer, einen Kaffeebecher in der Hand und betrachtete selig den schlafenden Tony. Dieser lag auf dem Bauch auf dem großen Bett, das Gesicht zur Tür gedreht und die Augen fest geschlossen. Sein Mund stand leicht offen und es entkamen leise Schnarchgeräusche, die darauf hindeuteten, dass er noch tief im Land der Träume war. Seine Haare waren ein einziges Chaos, ein Arm hing über die Matratze und die Finger berührten beinahe den Boden, wobei die andere Hand an der Stelle ruhte, wo Jethro vorhin noch gelegen hatte. Die Morgensonne ließ seine Haut leicht schimmern, die das Laken, das bis zur Hüfte hinuntergerutscht war, entblößte.
In diesem Moment empfand Gibbs so viel Liebe für den Mann vor ihm, dass es ihm beinahe den Boden unter den Füßen wegzog. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so viele Schmetterlinge in seinem Bauch gehabt hatte, geschweige denn, das Bedürfnis gehabt zu haben, einfach hier zu stehen und Anthony zu betrachten, während dieser friedlich schlief. Normalerweise schmiss er seinen Freund immer um spätestens acht Uhr aus den Federn, aber heute machte er eine Ausnahme. Sie hatten beide eine anstrengende Woche gehabt, vom Samstag gar nicht reden. Seine Rippen schmerzten noch immer und er hatte an der Stelle, wo ihn die Kugel getroffen hatte, einen riesigen blauen Fleck, der in den schönsten Farben schillerte. Ducky hatte ihn gestern am Abend noch untersucht, nachdem Tony darauf bestanden hatte und nur eine Prellung festgestellt und zum Glück keine gebrochene Rippe – so oder so, es schmerzte genug.
Jethro trug nicht gerne eine schusssichere Weste, aber in diesem Fall war er froh, auf Jen gehört zu haben, die ihn beinahe dazu genötigt hatte, eine unter dem Hemd anzuziehen. Er wollte gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn er nicht auf den Vorschlag der Direktorin eingegangen wäre. Es rann ihm kalt den Rücken hinunter, wenn er sich vorstellte, dass er nicht hier sein würde, um Tony zu betrachten, sondern bei Ducky in der Pathologie liegen würde. Es war schon schlimm genug gewesen, den Schmerz erneut an seinem jungen Freund wahrzunehmen, als dieser versucht hatte zu realisieren, dass Gibbs nicht tot war, dass ihn Darien nicht erschossen hatte. Auch wenn Anthony stark war, so hätte er es wahrscheinlich nicht überlebt, wäre Jethro gestern wirklich gestorben.
Aber jetzt war es vorbei, Darien saß sicher hinter Gittern und Jen hatte ihn soeben angerufen, dass der Bombenleger im Heizungsraum des Einkaufszentrums erwischt worden war. Es kam Gibbs noch immer ein wenig wie ein Traum vor, dass nun alles vorbei war, dass er wieder offiziell am Leben war und bereits morgen an seinem Platz im Großraumbüro zurückkehren würde. Er sehnte sich richtiggehend danach, wieder einen normalen Fall bearbeiten zu können und dabei seine Kollegen von einer Ecke in die nächste zu scheuchen.
Coolidge war dem FBI übergeben worden und die Bundesbehörde würde sich auch weiter um die Verbrecherorganisation kümmern. Es machte Jethro diesmal nichts aus, dass die anderen die Lorbeeren einheimsen würden, es zählte nur, dass er lebte, dass Tony bei ihm war und beide gesund und munter waren.

Ein breites Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er an den gestrigen Abend dachte, wie ihn Anthony auf das Bett verbannt, rockige Musik eingeschaltet und tatsächlich angefangen hatte, zu strippen. Alleine die geschmeidigen Bewegungen seines Freundes hatten ihn beinahe in den Wahnsinn getrieben und als der knappe schwarze Tanga zum Vorschein gekommen war, wäre er beinahe aus dem Bett gestürzt und hätte Tony am liebsten gleich am Boden genommen. Nie im Leben hätte er gedacht, von einem Striptease so angeturnt zu sein und er hatte aufpassen müssen, sich nicht selbst mit der Hand in den Abgrund zu stürzen. Bei Gott, er wäre beinahe gekommen, als er Tony in der knappen Unterwäsche gesehen hatte. Und Anthony hatte Recht gehabt: im Nachhinein hatte er ein breites Grinsen im Gesicht gehabt, das er einfach nicht mehr losgeworden war.
Trotz seiner schmerzenden Rippen hatte er seinen Freund geliebt, hatte ihm gezeigt, dass sie endgültig wiedervereint waren, dass es nichts und niemanden gab, der sie je auseinanderbringen würde. Es war noch schöner als am Freitag gewesen, in Tonys Armen zu liegen, vor allem weil damit das Wissen verbunden gewesen war, dass er sich nicht mehr länger zu verstecken brauchte. Er hatte sein Leben wieder zurück und er hatte Antony nicht verloren, so wie er anfangs befürchtet hatte. Alles war gut ausgegangen und Jethro verspürte mehr Liebe als zuvor für den jungen Mann, der auf seinem Bett lag und tief schlief. In diesem Moment sah er unglaublich unschuldig aus, wie jemand, der kein Wässerchen trüben könnte. Begehren stieg in ihm auf, aber er hielt sich zurück, trank stattdessen einen Schluck Kaffee, der noch nie so gut geschmeckt hatte.
Vor einer Woche um diese Zeit war er bereits in dem schäbigen Apartment gesessen, mit dem Wissen, was er Tony antat, dass dieser umsonst leiden würde. Fünf Tage, die ihm wie die Hölle vorgekommen waren und die er nur mit äußerster Willenskraft überstanden hatte. Aber es war auch etwas Gutes dabei herausgekommen. Die ganze Sache hatte ihn und Anthony noch näher zusammengeschweißt, Gibbs hatte ihm von seiner Familie erzählt, Jamie und James Jr. konnten endlich in Frieden ruhen und Darien würde nie wieder einen Fuß vor das Gefängnis setzen.
Jethro trank einen weiteren Schluck Kaffee, sah dabei zu, wie sich Tonys Rücken regelmäßig hob und senkte, wie das Schnarchen um eine Spur lauter wurde und er ein kurzes, grunzendes Geräusch von sich gab. Ein liebevolles Lächeln breitete sich auf den Lippen des Älteren aus und er musste unwillkürlich an das Lied denken, das er vorhin gehört hatte, als er sich sein Lieblingsgetränk gemacht hatte. Jedes einzelne Wort schien davon auf ihn und Tony zuzutreffen – es war ein Song, der haargenau auf die beiden abgestimmt und praktisch für sie geschrieben worden war.

Everytime our eyes meet
This feeling inside me
Is almost more than I can take
Baby when you touch me
I can feel how much you love me
And it just blows me away


Jedes Mal, wenn Anthony seinen Freund ansah, ihn mit seinen strahlenden grünen Augen anblickte, hatte er das Gefühl, sein Herz würde vor Zärtlichkeit übergehen, sein Körper vor Begehren verbrennen und die grenzenlose Liebe in ihm war manchmal beinahe zuviel. Obwohl sie jetzt schon über sieben Monaten zusammen waren, überraschte es Jethro noch immer, dass er so viel für einen einzelnen Menschen empfinden konnte und dass es ausgerechnet Tony war, der das bewerkstelligt hatte. Noch vor einem Jahr wäre es ihm lächerlich erschienen, hätte ihm jemand erzählt, was aus ihnen werden würde, dass er so viel Liebe für diesen Mann empfinden würde. Und Jethro wusste, dass es umgekehrt genauso war, dass Tony genauso verrückt nach ihm war. Er konnte es in jeder Berührung spüren, die ihm zuteil wurde, in jedem Kuss, den ihm Anthony schenkte und er konnte es fühlen, wenn sie miteinander schliefen. Die Liebe zwischen ihnen war greifbar und er bereute es keinen Moment lang, sein Herz an diesen Mann verschenkt zu haben.

I've never been this close to anyone or anything
I can hear your thoughts
I can see your dreams


Seid Shannon und Kellys Tod hatte Gibbs geglaubt, nie mehr jemanden so unglaublich nahe sein zu können, wie zu den beiden. Aber Tony hatte es geschafft, er hatte eine Tür zu seinem Herzen geöffnet, von der er eigentlich gedacht hatte, sie für immer verschlossen zu haben, aus Angst, erneut verletzt zu werden.
Aber jetzt gab es jemanden, zu dem er sich unbeschreiblich hingezogen fühlte und öfters glaubte er, dass er Anthony sogar näher stand als Shannon und Kelly, alleine schon, weil er ihm von ihnen erzählt hatte, sich ihm ohne zu zögern anvertraut hatte. Das Band, das sie verband, war unzerstörbar und er wusste, dass es auch für immer so bleiben würde.
Jethro betrachtete Tony, wie er schlief und leise vor sich hinschnarchte und er könnte schwören zu erkennen, was er träumte. Er hatte einen glücklichen Gesichtsausdruck und selbst im Schlaf zierte ein leichtes Lächeln seine Lippen. Gibbs konnte sogar die Gedanken lesen, die seinem Freund durch den Kopf gingen, wenn er wach war. Er konnte es von seinem Gesicht ablesen, von den Augen und von seinen Gesten. Es hatte ihm noch nie Schwierigkeiten bereitet, die Gedanken von anderen zu erkennen, aber Tony war für ihn wie ein offenes Buch und er war dankbar dafür – dankbar, dass ihm sein Freund daran teil haben ließ, was in seinem Kopf vorging, ohne dass er es erzählen musste.
Sie brauchten keine Worte, um einander zu verstehen – es reichte schon ein kurzer Blick, der alles offenbarte.


I don't know how you do what you do
I'm so in love with you, it just keeps getting better
I wanna spend the rest of my life with you by my side
Forever and ever
Every little thing that you do
Baby I'm amazed by you


Gibbs wusste nicht, wie Tony es anstellte, wie er es machte, dass er von ihm so verzaubert war, dass er ihm derart verfallen war. Er liebte diesen Mann über alles, hatte nicht einmal gewusst, dass er zu so einer tiefen Liebe überhaupt fähig war. Und er spürte tief in seinem Inneren, dass sie noch stärker wurde, mit jedem Tag, der verging, mit jeder Stunde, Minute und Sekunde, die er mit seinem Freund verbringen durfte.
Jethro seufzte leise und betrachtete den schlafenden Anthony und auch wenn er es vorher schon gewusst hatte, so wurde es ihm nun überdeutlich, dass er den Rest seines Lebens mit Tony verbringen wollte – für immer und ewig. Wie er es ihm versprochen hatte, würde er ihn nie wieder gehen lassen, würde dafür sorgen, dass sie immer zusammenblieben würden, um sich ein Leben voller Liebe zu teilen.
Egal was Tony auch machte, ob er Blödsinn daherredete, Ziva und McGee ärgerte, herzhaft lachte oder einfach nur stumm Gibbs beim Bootbauen zusah, der junge Mann verwunderte ihn immer wieder – mit seiner gesamten Art und er brauchte ihn nur anzulächeln und schon ging die Sonne in seinem Herzen auf.

The smell of your skin
The taste of your kiss
The way you whisper in the dark


Jethro löste sich von seinem Platz an der Tür, ging auf das Bett zu, stellte die Tasse auf dem Nachttisch ab und kniete sich vor Tony auf dem Boden. Tief sog er den Geruch ein, der sich ausgebreitet hatte, absorbierte das Kokosaroma, das von dem Mann vor ihm ausging.
Er liebte diesen Duft über alles, er liebte den Geschmack von Anthonys Küssen, er liebte es, wenn er ihm Dinge ins Ohr flüsterte, während sie gemeinsam im Dunkeln lagen und die Nähe zueinander genossen – er liebte einfach alles an Tony.

Your hair all around me, baby you surround me
You touch everyplace in my heart
Oh, it feels like the first time everytime
I wanna spend the whole night in your eyes


Gibbs schloss seine Augen, genoss es einfach, hier zu knien und Anthonys Geruch einzuatmen. Er fühlte, wie ihn die Gegenwart seines Freundes einnahm, spürte es in der Weise, wie er ihn überall mit seiner Anwesenheit berührte – spürte es in seinem ganzen Herzen.
Wenn ihn Tony berührte, ihn küsste, war es jedes Mal eine neue Erfahrung ihn so zu spüren, so als ob es das erste Mal wäre. Sieben Monate waren sie nun zusammen und trotzdem entdeckte er immer wieder etwas Neues an seinem Freund und sei es ein kleines Muttermal, das ihm vorher noch nie aufgefallen war. Und es wurde nie langweilig, in diese grünen Augen zu blicken, um in ihnen zu versinken. Er könnte stundenlang einfach neben Tony liegen und ihn stumm ansehen, einfach weil er glücklich war, wenn er nur diese Augen vor sich haben konnte.

I don't know how you do what you do
I'm so in love with you, it just keeps getting better
I wanna spend the rest of my life with you by my side
Forever and ever
Every little thing that you do
Baby I'm amazed by you


Gibbs wusste nicht, wie Tony es anstellte, wie er es machte, dass er von ihm so verzaubert war, dass er ihm derart verfallen war. Er liebte diesen Mann über alles, hatte nicht einmal gewusst, dass er zu so einer tiefen Liebe überhaupt fähig war. Und er spürte tief in seinem Inneren, dass sie noch stärker wurde, mit jedem Tag, der verging, mit jeder Stunde, Minute und Sekunde, die er mit seinem Freund verbringen durfte.
Langsam öffnete er seine Augen wieder, hob seinen rechten Arm und streichelte Tony zärtlich über die Wange. Seine Haut war herrlich warm und er genoss es, ihn zu liebkosen, während er noch tief schlief. Es war unglaublich befriedigend, Anthony einfach nur anzublicken, in seiner Nähe zu sein, zu wissen, dass es ihm gut ging.
Sein Herz schlug unglaublich schnell und er wusste mehr denn je, dass er mit Tony sein restliches Leben verbringen wollte. Sieben Monate waren sie zusammen und doch spürte er, dass sie beide bereit waren, den nächsten Schritt zu wagen – den Schritt, von dem Jethro gehofft hatte, das er vielleicht doch noch an seinem Geburtstag erfolgen würde.

Every little thing that you do
I'm so in love with you
It just keeps getting better
I wanna spend the rest of my life with you by my side
Forever and ever


Gibbs ließ seinen Zeigefinger zu Tonys Lippen weiterwandern und fuhr sie sachte entlang, so lange, bis sie sich zu einem Lächeln verzogen, das seinen Puls in ungeahnte Höhen katapultierte. Er konnte es nicht leugnen – er war bis über beide Ohren verknallt und es fühlte sich einfach herrlich an. Bereits dieses kleine Lächeln führte dazu, dass er glaubte, auf Wolke sieben zu schweben. Und er wusste, seine Liebe zu Anthony würde nur noch stärker werden, anstatt sich irgendwann abzukühlen – er war der Teil seiner Seele, der ihn vervollständigte, aus ihm einen ganzen Menschen machte.
Oh ja, er wollte definitiv mit dem jungen Mann alt werden, wollte mit ihm zusammen sein – für immer und ewig.

Every little thing that you do
Oh, every little thing that you do
Baby I'm amazed by you


Jethros Herz hüpfte vor Freude, als Tony langsam seine Augen aufmachte und ihn verschlafen anblickte. Unwillkürlich verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln, als er den verträumten Ausdruck in dem Grün sah, das er so sehr liebte. Anthony war sein Engel, sein Leben, seine Luft, die er zum Atmen brauchte. Sein Freund seufzte zufrieden, als Gibbs seine Lippen weiterhin mit dem Finger liebkoste und er verlor sich vollkommen in den Augen, in dem Blick, der voller Liebe war.
Tony brauchte nur zu lächeln und schon ging die Sonne in seinem Herzen auf. Die Entscheidung, die er vorhin getroffen hatte, war definitiv die Richtige gewesen und er würde dafür sorgen, dass alles perfekt war – für sie beide. Es sollte ein unvergesslicher Moment werden, an den sie sich immer erinnern würden. Zwar würde er Abbys Hilfe brauchen, um alles auf die Beine zu stellen, aber er wusste, sie würde Stillschweigen bewahren, auch wenn sie ihn wahrscheinlich vor lauter Glück in eine schraubstockfeste Umarmung schließen würde.

Jethro nahm seinen Finger von Tonys Lippen, beugte sich nach vorne und gab ihm einen zärtlichen Guten Morgen Kuss. Er versank förmlich in dem Geschmack, der auf einmal seine Sinne überflutete und war einfach nur glücklich, am Leben zu sein und Anthony zu haben. Und nicht mehr lange, dann würde er endlich das tun, wovon er seit seinem Geburtstag träumte…

Fortsetzung folgt...
End Notes:
Dieser Teil enthält eine Songfic. Das Lied heißt "Amazed" und stammt von Duncan James.
Auf Youtube gibt es ein Video davon, falls ihr es euch beim Lesen anhören wollt ;-)
Chapter 47 by Michi
Washington D.C.
Freitag, 14. Februar
19:17 Uhr


Valentinstag – für mich normalerweise ein Tag wie jeder andere. Früher, wenn ich zu diesem Zeitpunkt eine Freundin gehabt hatte, hatte ich ihr entweder einen Blumenstrauß oder eine Schachtel Pralinen geschenkt, damit sie mir nicht vorwerfen hatten können, ich würde mich nicht um sie kümmern. Ich hatte nie das Bedürfnis nach einem Candlelight Dinner, einem romantischen Abendessen oder einem ausgedehnten Bad zu zweit verspürt. Manchmal war es mir sogar lästig erschienen, unbedingt etwas kaufen zu müssen, damit die Frauen zufrieden gestimmt worden waren. Keine meiner unzähligen Freundinnen hatte mir soviel bedeutet, dass ich meine romantische Ader für diesen Tag ausgegraben hätte – wahrscheinlich lag es auch daran, dass ich in keine von ihnen so richtig verliebt gewesen war.
Allerdings hatte sich meine Einstellung mittlerweile geändert und ich hatte es überhaupt nicht erwarten können, diesen 14. Februar mit Gibbs zu verbringen und mit ihm zu feiern, war es doch unser allererster Valentinstag, seit wir ein Paar waren. Auf einmal fand ich es nicht mehr lästig, all die herzförmigen Sachen und den damit verbundenen Kitsch in den Geschäften zu sehen, geschweige denn, dass hohe Gekicher von jungen Frauen, die zusammen überlegten, was sie ihrem Liebsten schenken sollten. Selbst ich hatte mir überlegt, ob und was ich Jethro kaufen sollte. Ich war vor ein paar Tagen vor den Regalen in einem Supermarkt standen und hatte mir alles genau angesehen, hatte überlegt, was meinem Freund gefallen würde.
Vor allem bei den herzförmigen Pralinen hatte ich lange überlegt, ob ich sie nehmen sollte und mir dabei vorgestellt, wie sie Gibbs von meinen Körper aß. Er liebte es, Lebensmittel auf meiner Haut zu verteilen und sie dann genüsslich zu essen, wobei er mich damit jedes Mal halbwegs in den Wahnsinn trieb. Er hatte vor allem eine Vorliebe für Schokosoße und Schlagsahne und das waren die Abende, wo ich meistens ganze zwei Stunden brauchte, um zum Höhepunkt zu gelangen, da sich Jethro immer jede Menge Zeit ließ. Er wusste genau, dass er mich auf diese Weise am meisten quälen konnte und wenn er an einem Tag seine gemeine Seite hervorkramte, ließ er mich so lange zappeln, bis ich alles gemacht hätte, um die Erfüllung zu erlangen. Aber ich beschwerte mich keineswegs darüber, sondern genoss es in vollen Zügen, dass er mir solche Aufmerksamkeit schenkte und ich fühlte mich im Nachhinein herrlich entspannt und schlief immer wie ein Baby – sicher geborgen in den Armen meines Freundes.
Aber ich liebte es genauso, ihn um den Verstand zu bringen, vor allem mit Honeydust. Er war wie Wachs in meinen Händen, wenn ich das Pulver mit einer Feder auf seiner Haut verteilte und dafür sorgte, dass es für kurze Zeit den Geruch von Sägespänen überlagerte. Und genau dasselbe hatte ich mir für diesen 14. Februar ausgedacht, nachdem ich zu der Erkenntnis gekommen war, dass Gibbs sicher kein rotes Plüschherz haben wollte – allerdings hatte ich mir rote Plüschhandschellen zugelegt, mit denen ich ihn ans Bett ketten wollte, um ihn anschließend vollkommen mit Honeydust zu bedecken, in dem Bewusstsein, dass er sich nicht wehren und vollkommen meiner Willkür ausgeliefert war. Diesen Valentinstag würde er auf keine Fälle vergessen, egal wie viele noch folgen würden. Aber keiner würde mehr so wie der heutige werden, war es doch unser erster und der sollte immerhin perfekt werden.

Fast zwei Wochen war es her, seit Jethro und ich wieder in unser normales Leben zurückgekehrt waren und ich hätte nie gedacht, dass ich es derart vermisst hatte, einen Tatort zu untersuchen und gleich darauf eine Kopfnuss zu kassieren, weil ich vergessen hatte, meinen Skizzenblock einzupacken. Nicht, dass es mich stören würde, wusste ich doch, dass ich abends immer für jeden Klaps, den er mir untertags verpasst hatte, einen heißen Kuss als Entschädigung bekam.
Es war einfach herrlich, Gibbs wieder im Großraumbüro zu haben und nicht zu einem leeren Schreibtisch sehen zu müssen, wenn ich den Kopf hob. Als wir am Montag nach dem ereignisreichen Wochenende gemeinsam und Hand in Hand den Fahrstuhl in der dritten Etage verlassen hatten, hätte man eine Stecknadel fallen hören, so ruhig war es in unserer Nähe auf einmal geworden. Sämtliche Agenten hatten Jethro angeblickt, als ob sie ein Gespenst vor sich hätten und bei den vielen fassungslosen Mienen hätte ich am liebsten mehr als einmal losgelacht, hätte mir mein Freund nicht einen warnenden Blick zugeworfen.
Innerhalb von einer Stunde hatte sich die Nachricht des Undercovereinsatzes herumgesprochen, genauso wie die Neuigkeit, dass dadurch eine gefährliche Verbrecherorganisation zerschlagen worden war. Keiner schien sich wirklich daran zu stören, dass Gibbs seinen Tod vorgetäuscht hatte. Sie schienen eher viel zu froh zu sein, dass sich meine gedrückte Stimmung mit einem Schlag verflüchtigt hatte und ich wieder der allseits fröhliche DiNozzo war. Nichtsdestotrotz machten sie einen Bogen um meinen Freund, wenn er wieder einmal seine griesgrämige Miene aufgesetzt hatte und jedem einen bösen Blick zuwarf, der es wagte, ihn zu stören.
Es war, als ob er nie weggewesen wäre und ich hatte sogar mit Freuden den Truck aufgetankt, als wir noch am Montag einen neuen Fall bekommen hatten. Dass es noch vor kurzem anders gewesen war, fühlte ich mittlerweile wie ein schlechter Traum an, der nach und nach verblasste, aber wohl für immer im hinteren Winkel meines Bewusstseins verankert bleiben würde.
Die Tatsache, dass Gibbs beinahe erschossen worden war, hatte mir vor Augen geführt, wie schnell das Leben zu Ende sein konnte und dass man jede Minute genießen sollte, die einem auf dieser Erde blieb. Noch am Samstag hatte mir Jethro erzählt, dass ihn Jen noch einmal angerufen und ihn genötigt hatte, eine schusssichere Weste zu tragen. Wir alle hatten nichts davon gewusst, dass ihm die Direktorin heimlich, als sie ihm den Zweitwagen besorgt hatte, dort eine solche Weste im Kofferraum platziert hatte. Ich war ihr derart dankbar dafür gewesen, dass sie ihn dazu überredet hatte, eine anzuziehen, dass ich gleich am Montag zur ihr ins Büro hinaufgegangen war und mich bedankt hatte – und mich auch noch für meinen Wutausbruch entschuldigt hatte, wo ich ihr vorgeworfen hatte, Gibbs und mich auseinanderbringen zu wollen, in der Hoffnung, er würde zu ihr zurückkehren.
Jen hatte alles mit einem Kopfnicken zur Kenntnis genommen, meine Entschuldigung angenommen und mir nahe gelegt, Jethro nicht mehr gehen zu lassen, egal welcher Sturkopf er manchmal sein konnte. Sie hatte mir offen gesagt, dass sie es wunderbar fand, dass ihr ehemaliger Partner so glücklich war und endlich den Menschen, der mit ihm den Rest seines Lebens verbringen würde, gefunden hatte. Die Direktorin war mit schuld, dass ich so viel leiden hatte müssen, aber gleichzeitig hatte sie Gibbs das Leben gerettet und dafür war ich ihr immens dankbar. Wir hatten mit einem Handschlag besiegelt, das Vergangene ruhen zu lassen und einen Neustart zu versuchen. Seit dem war Jen viel freundlicher zu mir und ich hatte auch nichts dagegen, wenn sie Gibbs hin und wieder zu nahe an den Pelz rückte, wenn sie sich anhörte, wie die Ermittlungen in einem Fall standen. Ich musste nicht mehr auf sie eifersüchtig sein und sie hatte akzeptiert, dass sie Jethro an mich verloren hatte.

Der heutige Tag hatte sich ein wenig in die Länge gezogen, schon alleine deswegen, weil ich es nicht erwarten hatte können, dass es endlich Abend geworden war. Noch dazu war uns kein neuer Fall ins Haus geflattert und mir war nichts anderes übrig geblieben, als Berichte zu überarbeiten und mir alte Akten zu Gemüte zu führen. Außerdem hatte ich meinen Schreibtisch auf Vordermann gebracht und es endlich geschafft, ihn ein wenig von dem Chaos zu befreien, das ich so gerne hinterließ.
Aber das Beste war gewesen, dass ich Ziva und McGee nach meinem Willen hin- und herscheuchen hatte können, da Gibbs überraschend kurz nach Mittag erklärt hatte, er müsse noch etwas Dringendes erledigen und hatte mir kurzerhand die Leitung des Teams übertragen – mit dem Nachsatz, dass ich das nicht ausnützen und meine beiden Kollegen in Ruhe lassen sollte, was ich nicht wirklich getan hatte. Es hatte mir viel zu sehr Spaß gemacht, den beiden zu sagen, was sie tun sollten.
Ich hätte es sicher noch mehr genossen, hätte ich gewusst, was Gibbs so Wichtiges machen musste. Er hatte beinhart geschwiegen, als ich ihn gelöchert hatte und nicht einmal mein Dackelblick hatte geholfen, wo ihn dieser doch normalerweise weich wie Butter werden ließ. Stattdessen hatte er mir einen kurzen Abschiedskuss gegeben und mir gesagt, ich sollte am Abend bei ihm vorbeikommen und dabei meine enge schwarze Jeans und das schwarze Hemd tragen – die Sachen, von denen ich wusste, dass er mir sie jedes Mal am liebsten sofort vom Körper reißen wollte, wenn er mich darin sah. Es war ein sicheres Zeichen dafür, dass eine mehr als heiße Nacht vor mir liegen würde und gerade das hatte es mir so schwer gemacht, mich am Nachmittag auf die alten Akten zu konzentrieren.
Trotzdem wurmte es mich noch immer, dass ich nicht wusste, was Jethro zu tun hatte und warum er es mir nicht erzählte. Oder aber es war eine Überraschung – wobei er normalerweise Überraschungen hasste, bis aus wenige Ausnahmen. Vielleicht hatte ihm auch Jen aufgetragen, etwas zu erledigen, bevor wir in unser wohlverdientes Wochenende starten würden. Was immer es auch war, ich würde es herausfinden und musste ich noch so viel nachbohren.
Allerdings war Gibbs nicht der Einzige, der sich an diesem Tag ein wenig seltsam benahm. Abby war am Nachmittag ganze fünf Mal vom Labor heraufgekommen und hatte mich ständig neugierig, mit einem breiten Lächeln und einem Glitzern in den Augen angesehen, das mir irgendwie gar nicht behagt hatte. Sie hatte auf mich den Eindruck erweckt, irgendetwas erzählen zu wollen und würde deshalb gleich platzen. Aber statt den Mund aufzumachen und es mir zu sagen, hatte sie sich jedes Mal zu McGee gewandt und die beiden hatten eine Diskussion über Computer angefangen, wobei ich bereits nach dem ersten Satz den Faden verloren hatte.
Abbys seltsames Verhalten hatte ich schließlich auf den Valentinstag geschoben und vielleicht hatte sie ja einen neuen Freund, von dem sie hoffte, dass er ihr ein riesiges Geschenk machte. Trotzdem… ständig hatte ich das Gefühl gehabt, dass ihr Blick auf mir geruht hatte, wenn ich mich wieder mit den Akten beschäftigt hatte, aber weder Ziva noch Tim hatten eine Antwort darauf gehabt, warum die Forensikerin so aus dem Häuschen war, wobei sie sonst immer gleich herumerzählte, warum sie so hibbelig war. Ihr Schweigen darüber machte mich noch misstrauischer als Jethros plötzlicher Abgang kurz nach Mittag. Irgendetwas ging hier vor sich und ich würde nicht eher ruhen, bis ich wusste, was. Wüsste ich nicht, dass Gibbs nicht auf Geheimniskrämerei stehen würde, würde ich glatt annehmen, dass er und Abby unter einer Decke steckten.
Ich war wirklich versucht gewesen, die junge Goth so lange zu bereden, dass sie endlich mit der Sprache herausrückte, dass sie mir endlich verriet, warum sie sich so seltsam benahm, aber ich hatte erkannt, dass es sinnlos gewesen war, da sie sich nicht einmal durch einen CafPow weichklopfen hatte lassen. Sie hatte ihn nur genommen, sich meine Fragen bezüglich ihres Verhaltens angehört und nur gemeint, sie wäre einfach nur glücklich. Über das Warum hatte sie kein Wort verloren und mich aus ihrem Labor gescheucht, so als ob sie an etwas Geheimen arbeiten würde.
Hatte ich nichts aus Abby herausbringen können, so war ich mir sicher, dass ich bei Gibbs mehr Erfolg haben würde. Die Plüschhandschellen und das Honeydust hatte ich bereits vor ein paar Tagen unter ein paar meiner Shirts versteckt und somit würde ich die beiden Sachen schnell in Griffweite haben, um sie heute einsetzen zu können. Es ging doch nichts um ein wenig lustvolle Folter, um meinen Freund zum Reden zu bringen und ich würde es schamlos ausnutzen, dass er von Honeydust jedes Mal so unglaublich angeturnt war.

Mit einem sanften Ruck brachte ich meinen Mustang hinter Jethros Wagen in der Auffahrt seines Hauses zum Stehen, schaltete den Motor ab und blickte in den Rückspiegel, um meine Frisur zu überprüfen. Ich hatte es so hinbekommen, dass meine Haare lässig verwuschelt waren und hatte extra ein wenig von dem Parfüm, das nur für besondere Anlässe war, aufgetragen – immerhin war heute so ein besonderer Anlass. Unser allererster gemeinsamer Valentinstag, den wir wohl bis in die Morgenstunden feiern würden. Nicht, dass es mich stören würde, immerhin war morgen Samstag und wir hatten keinen Dienst, von daher konnten wir anschließend so lange schlafen wie wir wollten.
Ich grinste bei der Vorstellung, dass wir beide nicht viel Schlaf finden würden und riss mich von meinem Anblick im Spiegel los. Die Sonne war bereits untergegangen und hatte einem weiteren eisigen Abend Platz gemacht. Der Schnee war untertags ein wenig geschmolzen, aber er lag trotzdem noch zentimeterdick am Boden. Es war ruhig in dieser Wohngegend und ich liebte es, hier zu sein, in diesem Haus, in dem ich mich einfach pudelwohl fühlte.
Allerdings brannte heute hinter fast keinem der Fenster, die zur Straße hinausgingen, ein Licht, was ein wenig seltsam war. Nur unter der Eingangstür drang ein heller Schimmer nach draußen, das einzige Zeichen, dass jemand zu Hause war. Nicht einmal der Keller war beleuchtet und mein Herz begann vor Aufregung schneller zu schlagen. Irgendetwas hatte Gibbs für mich vorbereitet, das erkannte ich sofort. Ich war wohl nicht der Einzige, der sich Gedanken über unseren ersten gemeinsamen Valentinstag gemacht hatte und grenzenlose Neugierde überrollte mich, ließ mich blitzschnell aus dem Mustang aussteigen und zur Tür eilen.
Ich lauschte mit gespitzten Ohren, aber ich konnte nichts im Inneren hören, kein Geräusch, das mir eventuell verraten hätte, was auf mich warten würde. Vorsichtig, so als ob sie sonst explodieren würde, öffnete ich die Tür und herrliche Wärme empfing mich, als ich über die Schwelle trat. Die kleine Lampe, die auf einem Tisch neben der Tür stand, beleuchtete sanft den Vorraum und ich hielt mitten in der Bewegung, die Eingangstür mit dem Fuß zu schließen inne, als mein Blick auf die Treppe, die in den ersten Stock führte, fiel.
Meine Augen weiteten sich überrascht und ich blinzelte ein paar Mal, aus Angst, ich würde mich im falschen Haus befinden. Aber alles blieb gleich und eine Welle der Zärtlichkeit überrollte mich, als ich schließlich realisierte, dass Jethro wirklich etwas für mich vorbereitet hatte. Ein liebevolles Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und von meinem Magen strömte ein Schwarm Schmetterlinge aus, der meinen Körper mit einem Prickeln überzog.
Ich entledigte mich in Rekordzeit meiner Jacke und ließ sie achtlos auf den Boden fallen, wollte mich nicht umdrehen, um sie an einen der Haken neben der Tür, die ich schließlich mit einem Fußtritt schloss, hängen – viel zu sehr hatte ich die Befürchtung, es wäre nur ein Traum und ich würde an meinem Schreibtisch im Hauptquartier aufwachen.
Ich sah erneut wie gebannt auf die Spur aus roten Rosenblüten, die die Treppe nach oben führte und schließlich aus meinem Blickfeld verschwand. Die Fährte begann genau dort, wo ich in diesem Moment stand – kurz hinter der Tür. Der süße Duft der Blumen hatte sich schwach ausgebreitet und in diesem Moment empfand ich so viel Liebe für Jethro, dass meine Knie butterweich wurden. Mein Vorhaben, ihn mit Honeydust zu quälen, verpuffte in einer Rauchwolke – stattdessen wollte ich ihn in dieser Nacht langsam lieben, ihm dafür danken, dass er sich solche Mühe für mich gemacht hatte.
Es war das erste Mal, dass er eine solche Spur aus Rosenblüten gelegt hatte und ich hatte nicht einmal gewusst, dass er etwas derart Romantisches in petto hatte. Obwohl ich dachte, ihn mittlerweile zu kennen, überraschte er mich immer wieder und ich brannte darauf zu erfahren, was mich oben erwarten würde. Ich war mir sicher, dass Gibbs dort auf mich warten würde, sonst wäre er schon längst oben an der Treppe erschienen - ich hatte laut genug die Tür ins Schloss geworfen, um auf mich aufmerksam zu machen.
Vorsichtig, um die Spur nicht zu zerstören, trat ich über die Rosenblüten und ging auf die Treppe zu, stieg Stufe für Stufe hinauf, folgte der Fährte, die Jethro für mich gelegt hatte. Auch im Flur der ersten Etage brannte kein Licht und nur aus dem Schlafzimmer drang ein Flackern – hell genug, um die Blüten zu erkennen, die mich zu diesem Raum führten. Mein Herz schlug noch um einen Tick schneller, setzte aber gleich darauf für einen Schlag aus - und mir stockte buchstäblich der Atem, als ich das Schlafzimmer betrat.
Auf jeder erdenklichen Fläche der Einrichtung standen langstielige weiße Kerzen, die einen zarten Duft verströmten und eine unglaublich romantische Atmosphäre schufen. Die Vorhänge waren zugezogen und sperrten somit das helle Mondlicht aus. Das Bett war mit einer roten Seidenbettwäsche bezogen und auf dem Nachttisch standen eine noch geschlossene Flasche Champagner in einem Kühler und zwei dazupassende Gläser.
Die vielen Kerzen und die Bettwäsche erinnerten mich unwillkürlich an Gibbs' Geburtstag, nur dass ich damals keinen Champagner und Rosenblüten verwendet hatte – außerdem lag keine Ringschachtel mitten auf dem Bett.
Ich blickte schließlich zu Jethro, der neben dem Bett stand und mich liebevoll anblickte – und mir stockte erneut der Atem. Er trug das dunkelblaue Hemd, das ich so sehr an ihm mochte, das seine blauen Augen vorteilhaft betonte und dieselbe Wirkung auf mich hatte, wie meine schwarze Kleidung auf ihn. Er war so unglaublich attraktiv und ich konnte mich nur mit Mühe daran hindern, auf ihn zuzustürmen, ihn auf das Bett zu schubsen und ihm die ganzen Klamotten vom Leib zu reißen. Stattdessen ging ich langsam auf ihn zu und lächelte ihn meinerseits liebevoll an.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich war sprachlos und unglaublich ergriffen, dass es jemanden gab, der für mich etwas derartig Romantisches gemacht, mir gezeigt hatte, dass ich das Wichtigste für ihn war und er mich unbeschreiblich liebte. Da ich nicht mit Worten ausdrücken konnte, was es mir bedeutete, dass Jethro das alles für mich getan hatte, schlang ich, als ich ihn erreicht hatte, meine Arme um seine Taille und gab ihm den zärtlichsten Kuss, den er je von mir erhalten hatte – und dieser sagte mehr als tausend Worte.
Gibbs legte eine Hand auf meine rechte Wange, als ich mich wieder von ihm gelöst hatte und streichelte sanft meine Haut. Seine Augen funkelten mich mit so viel Liebe an, dass meine Knie butterweich wurden und ich ihn unwillkürlich noch näher an mich zog. „Ich hatte gehofft, dass du ein wenig von deinem Parfüm für besondere Anlässe verwendest", sagte er schließlich leise, beugte sich leicht nach vorne und schnupperte an meinem Hals. „Du riechst unglaublich gut", fuhr er fort und drückte mir einen zärtlichen Kuss, der mich erschauern ließ, an die Stelle knapp unter meinem rechten Ohrläppchen. „Du bist einfach wunderschön", flüsterte er und drückte einen weiteren kleinen Kuss unterhalb meines linken Ohrläppchens an meinen Hals. „Manchmal frage ich mich, warum du dich ausgerechnet in mich verliebt hast, in einen schlecht gelaunten, alten Bastard wie mich."
Jethro hob seinen Kopf und blickte mir direkt in meine Augen, lächelte leicht, als er meine roten Wangen bemerkte, die sich bei seinen Worten verfärbt hatten. Ich nahm einen Arm von seiner Taille und umschloss mit meiner Hand seine Finger, die weiterhin auf meiner Haut ruhten. „Du bist nicht alt, Jethro", erwiderte ich, drehte meinen Kopf und drückte einen Kuss auf seine Handfläche. „Du bist auch kein Bastard und ich habe mich in dich verliebt, weil du der Einzige bist, der mich vollkommen macht, mit dem ich lachen aber auch weinen kann", ich hielt inne und verzog meinen Mund zu einem schiefen Lächeln, „allerdings kann ich nicht abstreiten, dass du öfters schlecht gelaunt bist." Gibbs lachte leise, beugte sich nach vorne und gab mir einen Kuss, der in Windeseile leidenschaftlich wurde.
Ich ließ seine Hand los, legte sie auf seine Hüfte und ließ mich einfach fallen, ließ es zu, dass er die Führung über diesen Kuss hatte. Er vergrub seine Finger in meine Haare und zog meinen Kopf so nahe wie möglich zu sich heran.
„Herzlichen Glückwünsch zu unserem ersten gemeinsamen Valentinstag", sagte er schließlich etwas außer Atem, als er mich wieder freigegeben hatte. „Und du hast eindeutig dafür gesorgt, dass ich ihn nie vergessen werde", erwiderte ich und blickte zu all den Kerzen, die im Schlafzimmer verstreut waren. „Das ist einfach… ich weiß noch immer nicht, was ich sagen soll." „Dann kann ich nur hoffen, dass du deine Sprache bald wiederfinden wirst", meinte Jethro, ließ meinen Kopf los, löste meine linke Hand von seiner Hüfte und verschränkte unsere Finger miteinander.
„Denn diese wirst du gleich brauchen", fügte er hinzu und lächelte schief, als er meinen verwirrten Gesichtausdruck bemerkte – der noch verwirrter wurde, als ich bemerkte, wie plötzlich Nervosität in seine Augen trag. Er schluckte kräftig, räusperte sich und umschloss meine Hand noch fester. Ich wollte etwas sagen, erkannte aber, dass es klüger war, zu schweigen, abzuwarten, was Gibbs los werden wollte.
„Ich bin nicht gut in Reden halten, aber ich versuche es einfach", begann er und räusperte sich ein weiteres Mal. „Mir ist am Sonntag, also kurz nach dem Darien verhaftet worden ist, wieder einmal bewusst geworden, dass du das Wichtigste in meinem Leben bist, Tony und dass ich für immer mit dir zusammen sein will. Ich weiß, ich bin nicht der einfachste Mann und ich habe dich absichtlich verletzt, als ich vorgegeben habe, tot zu sein. Aber wie du bereits am Friedhof gesagt hast, war unsere Liebe stark genug, um alles zu überstehen und sie wird auch weiterhin stark genug sein, um durchzustehen, was die Zukunft für uns bereithält. Für mich war die Sache mit Darien und dass du mir verziehen hast, der Beweis, dass unsere Beziehung für die Dauer geschaffen ist und wie ich es versprochen habe, werde ich dich nie wieder alleine lassen. Ich liebe dich, Tony, mit meinem Herzen und mit meiner Seele und bei Gott, diese Liebe wird von Tag zu Tag immer tiefer. Du bist mein Leben und ich brauche dich wie die Luft zum Atmen."
Jethro hielt inne und mir klopfte mittlerweile das Herz bis zum Hals. Er blickte mich weiterhin liebevoll an, aber die Nervosität in seinen Augen war stärker geworden – und sie hatte sich auf mich übertragen. Mein Atem hatte sich beschleunigt und mit jedem Wort, das Gibbs gesagt hatte, war ich innerlich unruhiger geworden. Mein Herz hatte schon längst erkannt, worauf seine kurze Rede hinauslaufen würde, mein Verstand hingegen realisierte es noch nicht vollkommen, konnte nicht glauben, was sich gerade abspielte.

Jethro ließ meine Hand los, trat einen Schritt zurück und meine Augen weiteten sich ungläubig, als er langsam auf ein Knie herabsank. Ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen, ließ er seine Hand in seine Hosentasche gleiten und holte gleich darauf eine schwarze, kleine, quadratische Schachtel hervor. Er drehte sie und öffnete sie schließlich, brachte damit einen silbernen Ring zum Vorschein, der demjenigen, den ich ihm zu seinem Geburtstag geschenkt hatte, vollkommen glich. Er steckte in schwarzem Samt und glänzte leicht in dem Schein der vielen Kerzen.
Mein Atem ging mittlerweile ein wenig keuchend und ich sah zu Gibbs hinunter, aus dessen Augen jede Spur von Nervosität verschwunden war. „Anthony DiNozzo, willst du mich heiraten?" stellte er die Frage aller Fragen und von der ich in den letzten Monaten oft geträumt hatte. Nur war da ich derjenige gewesen, der auf ein Knie herabgesunken war, um die Worte zu sagen, die ich seit Jethros Geburtstag von mir geben hatte wollen.
Mein Herz klopfte wie verrückt und für einen Moment hatte ich das Gefühl, ich würde meine Sprache überhaupt nicht mehr finden. Mein Hals war staubtrocken und ich starrte für ein paar Sekunden auf meinen Freund hinunter, der vor mir kniete und um meine Hand anhielt, mir einen Heiratsantrag machte. Und auf einmal wurde auch meinem Verstand bewusst, dass es kein Traum war, dass es wirklich passierte, dass Jethro hier war, einen Ring in der Hand hielt und mich bat, ihn zu heiraten.
Auf meinen Lippen bildete sich das breiteste Lächeln, das ich je zu Stande gebracht hatte und mein Körper wurde von einer Welle des reinsten Glücks überrollt. Ich brauchte nicht einmal über die Antwort nachzudenken, folgte einfach meinem Herzen. „Ja", brachte ich schließlich hervor – zwei Buchstaben, die unser Leben für immer verändern würden. „Ja, ich will dich heiraten", wiederholte ich und meine Stimme überschlug sich beinahe vor Freude.
Gibbs' Gesicht schien auf einmal vor Glück nur so zu strahlen und jetzt war es an ihm, breit zu lächeln. Seine Augen funkelten mich voller Liebe an, er stand überraschend geschmeidig auf und nahm den silbernen Ring aus der Box, schloss die Schachtel und steckte sie in seine Hosentasche zurück. Er hielt das Kleinod so, dass ich problemlos die Innschrift erkennen konnte, die in das Metall eingraviert worden war. „In Liebe, Jethro?" fragte ich und sah ihn mit erhobener Augenbraue an. „Damit du das niemals vergisst", erwiderte er und ich musste unwillkürlich leise lachen, als er denselben Wortlaut verwendete wie ich an seinem Geburtstag. „Das würde ich auch so nie vergessen", meinte ich schließlich und mein Herz machte einen freudigen Hüpfer, als er meine linke Hand nahm und den Ring an meinen Ringfinger steckte – er passte einfach perfekt.
Mein Innerstes war noch immer mit Unglauben erfüllt, dass mir Gibbs tatsächlich einen Heiratsantrag gemacht hatte und ich wusste, ich brauchte sicher ein wenig, um alles zu realisieren. Voller Freude betrachtete ich den Ring an meinem Finger und ich konnte mich nicht erinnern, jemals so glücklich gewesen zu sein. „Ich liebe dich, Jethro", sagte ich schließlich und schlang meine Arme um seinen Nacken, zog ihn ganz nahe an mich heran. „Ich liebe dich auch, Tony", erwiderte er, beugte sich nach vorne und verschloss meine Lippen mit seinen. Mit diesem Kuss besiegelten wir unsere Verlobung und ich hatte das Gefühl, auf Wolke sieben zu schweben.
Und mit einem Mal war mir auch klar, warum Gibbs heute kurz nach Mittag aus dem Büro verschwunden war, warum er geschwiegen hatte, als ich ihn mit Fragen gelöchert hatte – er hatte die Stunden dazu genutzt, um alles perfekt zu machen, und das war es. Diesen Abend würde ich nie vergessen, würde mich immer daran erinnern, wie sein Gesicht gestrahlt hatte, als ich seinen Antrag angenommen hatte. Dieser Valentinstag war wirklich der Beste, den ich je erlebt hatte und jeder darauffolgende würde etwas Besonderes sein – jetzt gab es noch einen Grund mehr, den 14. Februar zu feiern.

„Wir werden heiraten", sagte ich voller Freude, als wir uns gelöst hatten und ich strahlte meinen Freund regelrecht an. ‚Deinen Verlobten', korrigierte ich in Gedanken. Es klang noch immer ein wenig ungewohnt, aber es war einfach unbeschreiblich schön. „Wir werden tatsächlich heiraten", wiederholte ich, so als ob ich meinen Verstand weiterhin davon überzeugen musste, dass ich nicht träumte.
„Ja, wir werden heiraten", erwiderte Jethro und streichelte mir liebevoll durch meine Haare. „Und damit du es weißt: ich habe nicht vor, dich in die Reihen meiner Ex-Frauen aufzunehmen." Ich lachte leise bei seinen Worten und berührte zärtlich seine Nasenspitze mit meiner. „Das ist aus zwei Gründen gar nicht möglich", meinte ich und grinste. „Und welche wären das?" wollte er wissen und ließ seine Hände zu meinen Hüften wandern, wo er mein Hemd nach oben schob und seine Finger auf meine bloße Haut legte. Ich schluckte mühsam und musste aufpassen, nicht mit den Gedanken abzuschweifen.
„Erstens: ich bin keine Frau", antwortete ich schließlich und keuchte leise, als Gibbs anfing, meinen Rücken zu liebkosen. „Und zweitens?" „Zweitens werde ich dich nie wieder gehen lassen. Du gehörst jetzt mir", fügte ich zärtlich hinzu und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Wange. Er seufzte glücklich und schmiegte sich an mich. „Das klingt doch perfekt", sagte er und drückte mich an sich. „Und du gehörst mir, Tony. Für immer und ewig."
Ich schloss kurz meine Augen, sog seinen Duft förmlich in mich ein, bevor ich mich aus seiner Umarmung löste und mit dem Kopf in Richtung Champagner nickte. „Ich glaube, es wird Zeit, dass wir anstoßen, oder?" Jethro nahm als Antwort meine Hand und zog mich zum Nachttisch, wo er die Flasche aus dem Kühler holte und sich geschickt am Korken zu schaffen machte. Ich schnappte mir die Gläser und zuckte gleich darauf kurz zusammen, als ein lauter Knall erklang und der Korken irgendwo im Schlafzimmer auf dem Boden landete.
Gibbs füllte die Flöten mit der goldenen Flüssigkeit, stellte die Flasche in den Kühler zurück und nahm eines der Gläser, das ich ihm reichte. „Auf uns", sagte ich und blickte ihm direkt in die Augen. „Auf unsere gemeinsame Zukunft", erwiderte Jethro, stieß sein Glas gegen meines und wir beobachteten uns gegenseitig, als jeder einen großen Schluck vom Champagner nahm. Dieser prickelte auf meiner Zunge und schmeckte einfach herrlich, sodass ich wahrscheinlich das ganze Glas in einem Zug geleert hätte, würde es mir Gibbs nicht aus den Fingern nehmen.
„Jetzt", meinte er und stellte die beiden Flöten auf den Nachttisch zurück. „Jetzt?" wollte ich wissen und grinste, als er mich an sich zog und voller Begehren anblickte. „Jetzt werden wir unsere Verlobung feiern. Und ich fürchte, wir werden in dieser Nacht nicht schlafen." Seine Worte schickten eine Welle der Lust durch meinen Körper und ich spürte, wie meine enge Jeans auf einmal noch enger wurde. „Wer braucht denn Schlaf?" brachte ich heiser hervor und ließ es widerstandslos zu, dass er mich zum Bett drängte, wo er mich sachte auf den Rücken legte und sich auf seinen Händen abstützte, um mich nicht zu zerquetschen.
Als Antwort auf meine vorherige Frage, presste er seine Lippen auf meine und küsste mich voller Liebe, Zärtlichkeit aber auch Leidenschaft. Dieser Kuss war einfach perfekt, genauso wie der Mann in meinen Armen – mein Freund, mein Verlobter und künftiger Ehemann.

Fortsetzung folgt...
Chapter 48 by Michi
Sechs Monate später…

14. August, ein Datum, das weder Jethro noch ich jemals vergessen werden – der Tag unserer Hochzeit. Die Sonne hatte mit uns um die Wette gestrahlt und ich konnte mich nicht erinnern, jemals so glücklich gewesen zu sein – noch glücklicher als zu dem Zeitpunkt, als mir Gibbs den Heiratsantrag gemacht hatte. Die letzten sechs Monate waren herrlich gewesen, obwohl uns teilweise harte Fälle ins Haus geflattert waren, die uns lange auf Trab gehalten hatten. Trotzdem hatte man gemerkt, dass etwas anders war, selbst den anderen Agenten war nicht entgangen, dass Jethro selbst am Montag nach unserer Verlobung keinen bösen Blick zustande gebracht hatte. Er war entspannt gewesen, hatte kein einziges Mal ins Telefon gebrummt und nicht einmal Ziva eine Kopfnuss verpasst, weil sie zu spät gekommen war. Und ich hatte die ganze Zeit über ein Dauerlächeln im Gesicht gehabt, das einfach nicht verschwunden war, egal wie hartnäckig ich versucht hatte, es zu unterdrücken – sogar alte Akten hatten meine gute Laune nicht trüben können.
Eine Stunde später, nachdem Gibbs alle in die Forensik beordert hatte, hatten schließlich auch die anderen erfahren, warum wir beide so glücklich waren. Abby hatte natürlich schon gewusst, dass er mich fragen würde, ob ich ihn heiraten wollte, immerhin hatte sie Jethro geholfen, einen Ring zu finden, der genauso wie derjenige aussah, den ich ihm geschenkt hatte. Noch dazu hatte sie die rote Bettwäsche besorgt und ihm einen Tipp gegeben, wo man langstielige weiße Kerzen kaufen konnte.
Es war kein Wunder, dass Abby am 14. Februar ständig ins Großraumbüro gekommen war, mich seltsam angeblickt hatte und dabei jedes Mal fast geplatzt war, da sie mir nicht hatte sagen dürfen, warum Gibbs am Nachmittag etwas erledigen hatte müssen und sie ständig ein breites Grinsen im Gesicht gehabt hatte.
Meine Worte „Jethro und ich werden heiraten" hatten Verblüffung bei Ziva und McGee, einen lauten Jubelschrei seitens der jungen Goth und ein zufriedenes Lächeln bei Ducky ausgelöst. Abby hatte sich mir buchstäblich an den Hals geworfen und immer wieder gerufen, dass sie gewusst hatte, dass ich ja sagen würde, dass ich es mir nicht entgehen lassen würde, ihren silberhaarigen Fuchs zu heiraten. Tim hatte mich, nachdem er realisiert hatte, dass Gibbs und ich uns wirklich verlobt hatten, fest umarmt und mir herzlich gratuliert und selbst Jethro hätte er beinahe in eine Umarmung geschlossen, wäre ihm nicht rechtzeitig klar geworden, dass er seinen Vorgesetzten vor sich hatte. Mit rosa angelaufenen Wangen hatte er ihm schließlich die Hand geschüttelt und gemeint, dass wir beide die richtige Entscheidung getroffen hatten.
Von Ziva hatte ich einen kleinen Kuss auf die Wange und Gibbs eine innige Umarmung erhalten – ein Zeichen dafür, dass sie sich richtig für uns gefreut hatte. Ducky hatte es sich nicht nehmen lassen, nachdem er uns gratuliert hatte, eine seiner langen Geschichten zu erzählen und diesmal hatten wir ihn gewähren lassen, hatten ihn nicht unterbrochen. Wir waren viel zu glücklich gewesen und hatten unsere Freude mit unseren Freunden teilen wollen.
Jen hatten wir in ihrem Büro Bescheid gesagt und sie war erst einmal überrascht gewesen – nicht, dass wir heiraten wollten, sondern eher weil wir diesen Schritt schon so bald gewagt hatten. Aber schließlich hatte sie uns alles Gute gewünscht und ich hatte ihr sofort angemerkt, dass sie es auch so gemeint hatte – und sie hatte gleich darauf hinzugefügt, dass wir jedoch weiterhin nicht im Hauptquartier herumknutschen durften, auch wenn wir dann verheiratet wären.
Die Einzigen, die sich nicht über die Nachricht, dass ich bald unter der Haube war, gefreut hatten, waren meine Eltern gewesen. Mein Vater hatte erschrocken reagiert, als ich ihm erzählt hatte, dass ich einen Mann heiraten würde und als er erfahren hatte, dass es noch dazu mein Boss war, war er beinahe an die Decke gegangen und hatte mir sogar angedroht, mich zu enterben. Es war sein Versuch gewesen, damit ich wieder zur „Besinnung" kam, aber ich hatte lediglich gemeint, dass es mir egal wäre, würde er mir nichts hinterlassen – ich würde Jethro gegen nichts in der Welt eintauschen, schon gar nicht gegen Millionen von Dollar.
Meine Mutter hatte es ruhiger aufgenommen, hatte mir gesagt, wenn es ein Mann war, mit dem ich richtig glücklich war, dann würde sie das akzeptieren und die Tatsache, dass ich homosexuell war, würde nichts daran ändern, dass ich ihr Sohn sei – es war das letzte Mal, dass ich in den letzten sechs Monaten mit ihnen gesprochen hatte. Aber das war schon in Ordnung, das Verhältnis zu meinen Eltern war nicht gerade das Beste gewesen und dass ich meinen Vorgesetzten heiraten wollte, hatte es wohl noch verschlimmert. Ich war in den vergangenen Jahren gut ohne die beiden zurecht gekommen und das würde sich auch jetzt nicht ändern.

Sechs Monate der Vorbereitung, um alles perfekt zu machen – mir war es wie eine Ewigkeit erschienen. Mit jedem Tag, der vergangen war, war ich nervöser geworden und die Freude größer. Kein einziges Mal hatte ich Zweifel gehabt, ob es das Richtige war, was Jethro und ich machten und ich hätte nie gedacht, dass es so herrlich sein konnte, verlobt zu sein. Früher hatte ich alleine bei diesem Wort innerlich aufgeschrieen, vor allem, wenn eine meiner Freundinnen davon angefangen hatte, aber jetzt hörte es sich einfach nur toll an.
Aber nicht nur mit der Hochzeit waren wir beschäftigt gewesen, sondern auch mit der Suche nach einem gemeinsamen Haus. Wir hatten relativ schnell eines gefunden, ein großes Gebäude mit einem Swimmingpool im Garten und einem riesigen Keller, der ideal war, um darin ein Boot zu bauen. Es sich zu leisten war kein Problem gewesen, da sowohl Jethro als auch ich unsere Häuser verkauft hatten – mit dem Glück, dass die neuen Besitzer von Jethros altem Zuhause erst im September einziehen würden. Somit hatten wir weiterhin darin wohnen können, während wir das andere Gebäude eingerichtet hatten – sämtliche Möbel hatten wir selbst zusammengebaut, die Wände gestrichen und die Fußböden neu verlegt.
Dabei hatten wir prompt eine helfende Hand von unseren neuen Nachbarn erhalten, einem schwulen Pärchen, das seit fünf Monaten verheiratet war und die es sich nicht hatten nehmen lassen, sich uns gleich vorzustellen. Jacob und Randy waren unglaublich nett und selbst Gibbs hatte sich innerhalb von wenigen Stunden mit ihnen angefreundet, nachdem er herausgefunden hatte, dass die beiden gerne segeln gingen und jede Menge von Booten verstanden. Jacob war freiberuflicher Programmierer und Randy hatte ein kleines Innenarchitektenbüro und uns gratis Tipps für die Einrichtung der einzelnen Räume gegeben. Mit Hilfe der beiden hatten wir es geschafft, dass unser neues Haus am Tag der Hochzeit bezugsfertig war und nur darauf wartete, von uns eingeweiht zu werden.

Die 24 Stunden vor der Trauung waren die reinste Folter gewesen, vor allem weil Abby darauf bestanden hatte, dass Jethro und ich diese getrennt verbringen sollten, so wie es Brauch war. Diese Stunden waren mir länger vorgekommen als die ganzen letzten sechs Monate, auch wenn sich die junge Goth und McGee viel Mühe gegeben hatten, mich abzulenken – mit jeder Menge Filme, Popcorn und Bier. Und die beiden hatten mich tatsächlich noch vor 22 Uhr ins Bett gesteckt, mit den Worten, dass ich für meinen großen Tag fit sein musste. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits das reinste Nervenbündel gewesen, dennoch hatte ich tief und fest geschlafen und war schließlich um kurz vor sechs aufgewacht. Da ich von Tim und Abby nichts gehört hatte, hatte ich kurzerhand Jethro – der bei Ducky übernachtet hatte – angerufen. Wenn ich ihn schon nicht sehen hatte können, so hatte ich wenigstens mit ihm reden können, hatte mich beschwert, dass mich meine beiden Bewacher wie ein kleines Kind um zehn ins Bett gebracht und mir nicht einmal eine Gute Nacht Geschichte erzählt hatten.
Gibbs hingegen war bis nach Mitternacht aufgeblieben, da Ducky einfach nicht aufgehört hatte, sein unerschöpfliches Wissen mit den anderen zu teilen, obwohl Ziva bereits auf der Couch eingeschlafen war. Wir hatten so lange geredet, bis ich McGee ins Bad hatte gehen hören und mich schließlich schweren Herzens von Gibbs verabschiedet hatte, aber mit dem Wissen, dass wir uns bald wiedersehen würden und noch vor Mittag verheiratet waren.
Und die Hochzeit war einfach traumhaft gewesen, viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte. Beide hatten wir ein kleines Fest gewollt, nur mit unseren Freunden und Randy und Jacob, die wir eingeladen hatten – und die sich sofort mit allen anderen hervorragend verstanden hatten, vor allem von Abby waren sie richtiggehend angetan gewesen. Sie und Ziva hatten wunderschön in ihren Kleidern ausgesehen und McGee hatte anfangs seine Augen nicht mehr von der jungen Goth lassen können. Alle hatten sich viel Mühe gegeben, die kleine Kirche mit Blumen zu schmücken und Abby hatte es sich nicht nehmen lassen, ein paar schwarze Rosen dazuzuschmuggeln, die ein wenig seltsam zwischen all der Farbenpracht gewirkt hatten.
Hatten meine Nerven am Vortag und am Morgen wie wild geflattert, so hatte sich meine Nervosität schlagartig gelegt, als ich Jethro in seinem schwarzen, maßgeschneiderten Anzug am Altar stehen gesehen hatte. Die ganze Zeit über, während ich auf ihn zugegangen war, hatte er mich nicht aus den Augen gelassen, hatte mich voller Liebe angeblickt und schließlich meine Hand in seine genommen, kaum dass ich ihn erreicht hatte.
Selbst während der Zeremonie hatten wir uns ständig angesehen, hatten den Worten des Priesters gelauscht und uns glücklich angelächelt. Als wir schließlich unsere selbstverfassten Ehegelübde aufgesagt hatten, war ein hörbares Schniefen von Abby gekommen und selbst meine Augen waren feucht geworden, ich hätte beinahe vor Glück mit der jungen Frau mitgeweint. Und den Moment, wo mir Jethro den goldenen Ring an den Finger gesteckt hatte, würde ich nie vergessen, genauso wenig wie seinen liebevollen Blick und die grenzenlose Freude in seinen blauen Augen, als ich seinen Ehering auf seinen Ringfinger hatte gleiten lassen.
Die Worte „Hiermit erkläre ich euch zu Ehemann und Ehemann" war mit einem noch lauteren Schniefen von Abby begleitet worden und unser darauffolgender allererster Kuss als Ehepaar hatte eine kleine Ewigkeit gedauert, war noch perfekter als unser Verlobungskuss gewesen. Tim als mein und Ducky als Gibbs' Trauzeuge hatten anschließend noch ihres Amtes gewaltet, bevor wir Hand in Hand und voller Freude die Kirche wieder verlassen hatten.
Der 14. August, der Tag an dem mich Jethro zum glücklichsten Menschen auf dieser Welt gemacht hatte, indem er mich zu seinem rechtmäßigen Ehemann genommen hatte – der Tag, der für immer in meinem Gedächtnis verankert sein würde, der Tag, an dem unser altes Leben geendet und unser gemeinsames begonnen hatte.

Gibbs hielt den Wagen ungewohnt sanft in der Auffahrt unseres neuen Hauses an, stellte den Motor ab, drehte sich zu mir um und drückte meine Finger – unsere Hände waren die ganze Fahrt über verschränkt gewesen. Es war kurz vor Mitternacht, der Mond warf sein helles Licht auf die Umgebung und wir waren die Einzigen, die um diese späte Zeit hier noch unterwegs waren. Randy und Jacob, die sich beide nicht mehr hinter das Lenkrad eines Autos setzen konnten, würden bei Ducky – bei dem wir gefeiert hatten – übernachten. Dieser hatte sich wirklich Mühe mit dem Essen gegeben und mehr als einmal seine Mutter aus der Küche verscheucht, die ihre Eigenkreationen hinzufügen hatte wollen.
Die Feier war wundervoll gewesen und ich hatte mich schon lange nicht mehr so gut amüsiert. Aber im Gegensatz zu den anderen waren Jethro und ich nach zwei Gläsern Champagner auf alkoholfreie Getränke umgestiegen, da wir in dieser Nacht viel mehr vorhatten als betrunken im Bett zu liegen.
„Wie fühlt es sich an, verheiratet zu sein?" fragte Gibbs und streichelte sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Auf meinen Lippen bildete sich ein breites Lächeln und ich seufzte glücklich. Verheiratet… es war noch immer ein wenig ungewohnt, wenn ich mir das Wort durch den Kopf gehen ließ, aber es hatte all seinen Schrecken, den ich früher immer verspürt hatte, verloren. Ich hatte nie heiraten und sesshaft werden wollen, aber damals war ich auch noch nicht in Gibbs verliebt gewesen, damals hatte ich auch nicht das Gefühl gehabt, meinen Seelenverwandten gefunden zu haben.
„Einfach herrlich", antwortete ich schließlich, hob meine linke Hand und betrachtete den goldenen Ehering an meinem Finger. „Früher hatte ich immer schreckliche Angst, wenn ich daran gedacht habe, mich an nur einen einzigen Menschen zu binden, aber jetzt ist es einfach nur wundervoll. Ich liebe die Ehe jetzt schon." Jethro lachte leise, beugte sich zu mir herüber und sorgte dafür, dass das Mondlicht seine Haare leicht schimmern ließ.
„Obwohl ich heute schon zum fünften Mal Ja, ich will gesagt habe, war es diesmal doch ganz anders", erwiderte er, nahm meine linke Hand und drückte einen zärtlichen Kuss auf den Ring. „Das liegt wohl daran, dass du vorher noch nie mich geheiratet hast", meinte ich und brachte ihn erneut zum Lachen. „Da gebe ich dir vollkommen Recht und genauso wie du liebe ich diese Ehe jetzt schon, Tony. Und ich liebe dich." „Ich liebe dich auch." Ich vergrub eine Hand in seinen Haaren, die er sich für den heutigen Tag schneiden hatte lassen, und verschloss seinen Mund mit meinem, küsste ihn voller Leidenschaft, legte das Versprechen hinein, dass ich ihn nie verlassen würde, dass das Einzige, was uns je scheiden würde, der Tod selbst war.
„Was hältst du davon, wenn wir das nach drinnen verlegen?" fragte Jethro nach ein paar Sekunden ein wenig atemlos. „Immerhin habe ich noch etwas für dich." Ich fing breit zu grinsen an und schiere Aufregung überrollte mich. In all meiner Freude, endlich Jethro geheiratet zu haben, hatte ich tatsächlich für ein paar Stunden unsere Flitterwochen komplett vergessen. Seit Wochen versuchte ich nun herauszubekommen, was er sich ausgedacht hatte. Etwa einen Monat nach unserer Verlobung hatte mich Gibbs gebeten, ihm die Organisation der Hochzeitsreise zu überlassen und mir versprochen, dass ich es nicht bereuen würde, wenn ich ihm freie Hand ließ. Es sollte eine Überraschung für mich werden, die ich am Abend unseres Hochzeitstages erhalten würde und obwohl ich bereits vor Monaten fast vor Neugierde geplatzt war, hatte ich ihm schließlich grünes Licht gegeben, einfach weil ich ihm vertraute, dass er aus unseren Flitterwochen ein unvergessliches Ereignis machen würde.
Allerdings war meine Ungeduld von Tag zu Tag größer geworden und ich hatte sogar angefangen, im gesamten Haus von Gibbs nach den Flugtickets zu suchen, oder wenigstens nach einem kleinen Hinweis, wohin es gehen würde. Bei meiner vierten Suchaktion hatte er mich schließlich erwischt, aber anstatt böse zu sein, hatte er es nur amüsant gefunden, dass ich so unglaublich neugierig war und mich schlimmer als ein Kleinkind verhielt. Nicht einmal mein Dackelblick oder eine Folter mit Honeydust hatten funktioniert, um ihm irgendetwas herauszulocken – er hatte stur geschwiegen.

„Worauf warten wir noch?" fragte ich voller Begeisterung, befreite mich von dem Sicherheitsgurt und öffnete in Windeseile die Wagentür, um auszusteigen. Die Nacht war herrlich warm, die Grillen zirpten, eine leichte Brise ließ die Blätter der Bäume rascheln und irgendwo bellte ein Hund. Über uns funkelten tausende Sterne, die von einem fast vollen Mond überstrahlt wurden. Ich sog die Luft tief in meine Lungen und versuchte meine Neugierde etwas zu bezwingen, während Gibbs den Wagen abschloss, zu mir kam und meine Hand in seine nahm.
Gemeinsam gingen wir über den gepflasterten Weg, der uns zur Türe führte und der auf beiden Seiten von einem saftig grünen Rasen und ein paar Blumen begrenzt wurde. Kein einziges Unkraut war zu sehen und es roch angenehm nach den bunten Gewächsen. Das Haus selbst erstreckte sich über zwei Stockwerke und ich hatte es mir nicht nehmen lassen, eines der Zimmer mit meinen zahlreichen DVDs in Beschlag zu nehmen. Jethro hatte jetzt einen doppelt so großen Bastelkeller und wir hatten gemeinsam das unfertige Boot zerlegt und ich wusste, es war nur eine Frage der Zeit, bis er anfangen würde, ein Neues zu bauen.
Neben der Tür befanden sich zwei Grünpflanzen und verdeckten ein wenig das Glas, das diese auf beiden Seiten einfasste. Gibbs steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn und die Tür schwang lautlos auf, gab den Blick auf einen großen Vorraum frei, der von dem hellen Mond beleuchtet wurde. Aber anstatt hineinzugehen, drehte er sich zu mir um und sah mich mit einem Funkeln in seinen Augen an. „Was ist?" wollte ich wissen und trat ein wenig näher an ihn heran. Seine Finger umfassten meine fester und ein kleines Lächeln erschien auf seinen Lippen.
„Das wäre jetzt der Zeitpunkt, wo der Bräutigam die Braut über die Schwelle trägt", sagte Jethro schließlich und meine Augen weiteten sich unwillkürlich, als ich die Bedeutung hinter den Worten erkannte. „Nun, ich sehe hier aber nur zwei Bräutigame", erwiderte ich ein wenig heiser und meine Wangen wurden verräterisch warm. „Außerdem bin ich doch viel zu schwer für dich", fügte ich hinzu und zog ihn zu mir heran. „Du wirst dir dabei noch wehtun und dann kann ich nicht die ganze Nacht Liebe mit dir machen." Gibbs schluckte hart bei meinem letzten Satz und das Funkeln in seinen Augen wurde stärker. „Die ganze Nacht, hmmm?" Jetzt war es an ihm, mit heiserer Stimme zu sprechen. „Mindestens", hauchte ich verführerisch und grinste, als ich merkte, dass er anfing, schneller zu atmen.
„Wenn ich es mir recht überlege", meinte er schließlich, ließ den Rest des Satzes aber unvollendet. Ich grinste noch breiter, als ich merkte, dass ich Jethro ein wenig aus dem Konzept gebracht hatte. Diesen Zustand nutzte ich prompt aus und zog ihn mit sanfter Gewalt über die Türschwelle, betrat mit ihm gemeinsam den Vorraum des Hauses, in dem es noch ein wenig nach Farbe roch. Eine leicht geschwungene Treppe führte in die erste Etage und die Holzstufen wurden von einem dunkelblauen Teppich geschützt. Neben der Tür waren an der Wand Haken für Jacken angebracht worden und darunter war genug Platz für Schuhe. Ein Tisch, auf den Gibbs die Schlüssel schmiss, vervollständigte die Einrichtung.
Er gewann seine Fassung schnell wieder und ich blieb mit dem Rücken zur Tür stehen, wartete darauf, dass er sich zu mir umdrehte, mich gegen das Holz drängte und somit dafür sorgte, dass die Tür mit einem leisen Krachen ins Schloss fiel. Eine Sekunde später presste er seine Lippen voller Verlangen auf meine, küsste mich derart leidenschaftlich, dass es mir beinahe den Boden unter den Füßen weggezogen hätte.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, als er meinen Mund wieder freigab und mit einer Hand sachte durch meine Haare streichelte. „Willkommen in unserem neuen Zuhause, Mister Gibbs", sagte er leise und zauberte mir mit seinen Worten ein Lächeln ins Gesicht. Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer und ich schmiegte meinen Kopf unwillkürlich an seine Handfläche. „Das gilt auch für dich, Mister DiNozzo", erwiderte ich, beugte mich leicht nach vorne und gab ihm einen zärtlichen Kuss.
Wir hatten uns entschieden, offiziell unsere Namen zu behalten und jetzt zu hören, dass er mich Mister Gibbs nannte, ließ meine Knie butterweich werden. Aber im Prinzip war es nicht wichtig, welchen Nachnamen wir hatten, wichtig waren nur die Ringe an unseren Fingern und dass wir endlich verheiratet waren.

„Und jetzt wird es Zeit, dass ich dich aufkläre, wohin unsere Flitterwochen gehen", sagte Jethro schließlich, drückte mir noch einen kurzen Kuss auf die Wange, ehe er mich von der Tür wegzerrte und in das große Wohnzimmer führte, von wo man einen herrlichen Blick auf den weitläufigen Garten mit dem Swimmingpool hatte, dessen Wasser von kleinen Lampen erhellt wurde und leichte Wellen schlug. Zwischen zwei Bäumen hing die Hängematte, die mir Abby zu meinem Geburtstag geschenkt hatte und wartete nur darauf, dass sich jemand hineinlegte, um die Seele baumeln zu lassen.
Gibbs schaltete das Licht ein und holte damit die Einrichtung aus der Dunkelheit, enthüllte den großen Fernseher – mein ganzer Stolz – die Bücherregale, den Kamin und die Sitzgruppe mit dem dunkelblauen Sofa, dazupassenden Sesseln und einem Holztisch, auf dem ein Strauß schwarzer Rosen stand, den Abby dort platziert haben musste. Auf der Karte, die sichtbar darin steckte, stand Viel Glück für eure gemeinsame Zukunft.
Jethro drückte mich sanft auf die Couch und verschwand gleich darauf in der angrenzenden Küche, wo ich ihn in einem der Schränke herumkramen hörte. Auf die Idee, dass er hier die Tickets versteckt hatte, war ich nie gekommen, vor allem, weil wir uns in den letzten Wochen oft in diesem Haus aufgehalten hatten und die Gefahr, dass ich darüber stolpern würde, doch ziemlich groß gewesen war.
Ein paar Sekunden später kam Gibbs wieder zurück und setzte sich neben mich auf das Sofa – in der Hand hielt er einen weißen Umschlag, den er mir reichte. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, so als ob er sich sicher war, dass mir gefallen würde, welcher Ort auf den Tickets stand.
„Ich habe mir gedacht, da dein Geburtstag genau in unseren Flitterwochen liegt, kombiniere ich es miteinander", sagte er und beobachtete, wie ich den Umschlag ungeduldig aufmachte und zwei Flugtickets daraus hervorzog. Mir schlug das Herz bis zum Hals und als ich schließlich las, wohin unsere Hochzeitreise ging, stockte mir unwillkürlich der Atem. Meine Augen weiteten sich ungläubig und mir klappte der Mund leicht auf. Immer wieder las ich die Buchstaben, so als ob ich nicht fassen konnte, dass ein langersehnter Traum meinerseits endlich in Erfüllung gehen würde.
Ich hob meinen Blick und sah zu Jethro, der mich noch immer anlächelte und sichtlich zufrieden mit meiner Reaktion war. „Das ist…" begann ich, brach aber ab, da ich nicht wirklich wusste, was ich sagen sollte. Aber gleich darauf bildete sich auf meinen Lippen ein breites Grinsen und schiere Freude überrollte mich. „Wir fliegen nach Hawaii!" rief ich begeistert und fiel meinem Mann buchstäblich um den Hals, so stürmisch, dass ich ihn beinahe umgeworfen hätte. „Ich fasse es nicht! Wir fliegen tatsächlich nach Hawaii! Das… das ist so was von großartig! Ich weiß nicht, wie ich dir dafür danken soll!"
Jethro erwiderte meine Umarmung und drückte einen Kuss in meine Haare. „Deine Freude ist Dank genug", erwiderte er, löste meine Arme von seinen Körper und schob mich ein Stückchen zurück. „Aber das ist noch nicht alles." „Nein?" wollte ich wissen und legte meinen Kopf schief. Neugierde kehrte zurück und ich wäre am liebsten auf und ab gehüpft. „Ich habe dir vorhin gesagt, da dein Geburtstag in die Flitterwochen fällt, habe ich dein Geschenk mit unserer Reise verbunden. Auch in dieser Sache hat mir Abby ein wenig geholfen, da ich überhaupt keine Ahnung von Magnum habe. Jedenfalls haben wir die Möglichkeit, an deinem Geburtstag die Drehorte zu besuchen und wenn du Glück hast, darfst du sogar eine kleine Runde mit dem Ferrari drehen."
Mein Unterkiefer wanderte endgültig nach unten und ich starrte Gibbs ungläubig an, versuchte an seinem Gesicht irgendeine Spur zu erkennen, dass er sich gerade einen Scherz erlaubte. Magnum… Drehorte… Ferrari… Die drei Worte spukten durch mein Gehirn und vertrieben für ein paar Sekunden die Vorstellung von einem wunderschönen fünf Sterne Hotel aus meinem Kopf. Mein Hals war auf einmal staubtrocken und ich war wirklich sprachlos, saß da, die Tickets in meinen Händen und wusste nicht, was ich sagen sollte.
„Ist das… das ist kein Scherz, oder?" brachte ich schließlich mühsam hervor und entlockte Jethro ein leises Lachen. „Nein, das ist kein Scherz, Tony. Und ich weiß jetzt schon, dass ich mir an diesem Tag sicher wünschen werde, nie diese Idee gehabt zu haben, da du mich garantiert ständig mit Magnum nerven wirst. Aber was tut man nicht alles für den Mann, den man über alles liebt." Auf einmal schien es, als ob mein Körper nur noch aus einer übergroßen Glücksblase bestehen würde. „Du bist der Beste, Jethro!" rief ich und fiel ihm zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit um den Hals. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was mir das bedeutet! Dafür werde ich mein ganzes Leben lang jeden Abend mit dir Liebe machen, dir zeigen, das ich dich über alles liebe!"
Ich löste mein Gesicht von seinem Hals und bevor er auch nur etwas sagen konnte, küsste ich ihn leidenschaftlich, küsste ihn so, dass ihm innerhalb von wenigen Sekunden die Luft wegblieb und er sich keuchend von mir lösen musste, um nicht zu ersticken. „Also, wenn du mich jeden Abend lieben willst, dann kannst du mich an deinem Geburtstag ruhig mit Magnum nerven", sagte er schließlich und grinste mich an. Ich lachte leise und ließ es zu, dass er mir die Flugtickets aus den Fingern nahm und auf den Tisch legte.
„Apropos Liebe machen. Hast du da vorhin nicht etwas erwähnt?" wollte er mit tiefer Stimme wissen und jagte mir damit einen heißen Schauer über meinen Rücken. Ich zerrte ein wenig an der Krawatte, die mir auf einmal die Luft abzuschnüren schien und räusperte mich vernehmlich.
„Ich glaube, es ist an der Zeit, unser neues Bett einzuweihen", fügte er hinzu, nahm meine Hand und stand auf, zog mich mit auf die Füße. „Wir könnten auch den Whirlpool einweihen oder die Dusche", schlug ich hoffnungsvoll vor und erhielt prompt ein Lachen. „Nun, wir haben ja noch die ganze Nacht Zeit", erwiderte Jethro und führte mich aus dem Wohnzimmer, schaltete im Vorbeigehen das Licht aus. „Mindestens die ganze Nacht", korrigierte ich ihn und folgte ihm die Stufen nach oben. „Und unser gesamtes Leben", meinte ich gleich darauf und drängte Gibbs, kaum dass wir den ersten Stock erreicht hatten, gegen die Wand. „Und unser gesamtes Leben", wiederholte er flüsternd, bevor ich seine Lippen mit meinen verschloss – und unsere Hochzeitsnacht einleitete.

The End!!!
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