- Text Size +
Quantico
15:39 Uhr


Der Raum, in dem Chris auf dem Stützpunkt in Quantico seit etwa drei Stunden saß, war äußerst spärlich möbliert. Sonnenlicht kam nur durch ein kleines Fenster, vor dem zusätzlich eine Jalousie angebracht worden war, die das Licht in Streifen auf den grauen, rechteckigen Tisch warf, der in der Mitte des Zimmers stand. Sonst gab es noch zwei äußerst ungemütliche Metallstühle und eine vertrocknete Topfpflanze in einer Ecke, die ihre einstmals grünen Blätter – die jetzt braun waren - traurig nach unten hängen ließ und nicht gerade dazu beitrug, die Atmosphäre aufzuhellen, sondern sie eher noch trostloser machte. Aber das störte Chris nicht – im Gegenteil. Er fand, dass es die passende Umgebung war, um Männer zu verhören, die eventuell einen Mord begangen hatten. Die leichte Dämmrigkeit machte sie leicht unruhig und es kam nicht selten vor, dass jemanden der Schweiß auf der Stirn ausbrach. Dennoch war dieser Raum noch freundlicher als der Ort, an dem der junge Mann vor Jahren einmal selbst in L.A. vernommen worden war, nachdem man ihn bei einem Einbruch erwischt hatte. Noch heute konnte er den abgestandenen Kaffee, die körperlichen Ausdünstungen und die Angst der Verhafteten riechen, die vor ihm in dem Raum unerbittlich weichgeklopft worden waren, so lange, bis sie ein Geständnis abgelegt hatten. Damals war es nicht die Sonne gewesen, die ihm ins Gesicht geschienen hatte, sondern das Licht einer nackten Glühbirne, die alles kalt und leblos gemacht hatte. Und noch dazu war es ein alter Detective gewesen, der ihn verhört hatte und dessen Bauch über seine abgewetzte Hose gequollen war. Während er immer dieselben Fragen gestellt hatte, hatte er sich einen Donut nach dem anderen in den Mund gestopft und Kaffee aus einer Tasse getrunken, die ausgesehen hatte, als ob sie schon länger nicht mehr gespült worden war. Das aufgedunsene und teigige Gesicht des Polizisten hatte Chris noch immer deutlich im Gedächtnis und erinnerte ihn daran, dass er Menschen, die diesen Beruf ausübten, eigentlich nicht ausstehen konnte – bis er gestern drei Bundesagenten kennengelernt hatte, die so ganz anders waren als die sonstigen Gesetzeshüter. Und jetzt saß er in Quantico und war dabei, selbst Verhöre durchzuführen, um einen Mörder zu überführen. Ein weiterer Beweis, dass das Leben Wendungen nahm, mit denen man ursprünglich nicht rechnete. Aber er war sich mehr als bewusst, dass er nur vorgab, ein Bundesagent zu sein und dafür, dass er solche Befragungen noch nie gemacht und sie nur im Fernsehen in verschiedensten Filmen und Serien mitverfolgt hatte, schlug er sich gar nicht so schlecht – abgesehen davon, dass sein sechster Sinn bis jetzt noch nicht reagiert hatte.

Acht Männer hatte Chris in den letzten drei Stunden vernommen - wobei er bei dem Ersten ungewohnt nervös gewesen war, dass sich aber rasch wieder gelegt hatte – und das Einzige was es ihm eingebracht hatte, waren schmerzende Muskeln, die bereits gegen den unbequemen Stuhl protestierten. In seinem Kopf begann es unangenehm zu pochen, sein Magen forderte langsam sein Recht auf Nahrung ein und zusätzlich spürte er, wie er müde wurde, etwas was ihn keineswegs wunderte. Immerhin hatte er letzte Nacht nicht viel geschlafen und die fehlende Ruhe forderte ihren Tribut. Aber er hatte noch ein Verhör vor sich und der Feierabend schien in weiter Ferne zu sein. Chris wusste nicht, wie weit Gibbs war, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass dieser bereits fertig war. Die beiden hatten sich die insgesamt 18 Männer aufgeteilt und jeder nahm sich neun vor, in der Hoffnung, so schneller fertig zu sein. Trotzdem saß er schon seit geraumer Zeit in diesem kleinen Raum und sehnte sich nach frischer Luft, einem großen Hamburger und ein kühles Bier. Stattdessen musste er sich mit einem Glas Wasser begnügen, gepaart mit Marines, deren Leben nicht gerade aufregend war. Keiner der acht Männer, die er verhört hatte, schien etwas mit dem Mord an dem Commander zu tun zu haben und sie machten auf ihn auch nicht den Eindruck, besonders gewalttätig zu sein. Strafzettel wegen falschem Parken oder zu schnellem Fahren waren die einzigen Vergehen, die sie sich geleistet hatten, wobei das nur auf vier der Männer zutraf. Die anderen hatten so weiße Westen, als ob sie gerade aus der Reinigung gekommen wären und der Letzte auf der Liste schien sich ebenfalls nichts zu schulden gekommen lassen zu haben.

Chris seufzte leise und betrachtete die Akten und Notizen, der er sich gemacht hatte. Im Fernsehen sah das Ganze immer viel spannender aus, als es in Wirklichkeit war. Und irgendwie schien sich keiner einen Reim darauf machen zu können, weshalb jemand den Commander umbringen hätte sollen und keiner der acht Männer hatte ihn in Norfolk gekannt – jedenfalls behaupteten sie das. Chris hatte jedoch gespürt, dass sie die Wahrheit gesagt hatten, wobei ihn das ein wenig entmutigt hatte. Wieso konnte nicht jemand ein Schild auf dem Rücken kleben haben, auf dem Ich bin der Mörder stand? Es würde die ganze Sache einfacher machen und er könnte endlich aus diesem Raum verschwinden.
Ein Gähnen bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche und ließ ihn den Mund aufreißen, den er jedoch sofort wieder zuklappte, als es leise klopfte und eine Sekunde später ein junger Mann eintrat, der das kleine Zimmer gleich noch viel kleiner erschienen ließ. Er war fast zwei Meter groß und seine muskulöse Brust sprengte beinahe das Hemd seiner Uniform, dessen Knöpfe gefährlich gespannt waren. Die Hände waren riesig und erinnerten Chris ein wenig an die Größe von Mülleimerdeckeln. Gespannt beobachtete er den Neuankömmling, wie er die Türe leise schloss und sich auf dem Stuhl niederließ, wobei er einen leisen Pfeiflaut von sich gab, so als ob es ihm Mühe bereitete, seinen muskulösen Körper zu bewegen. Graue Augen musterten ihn von oben bis unten, schienen sich jeden Zentimeter von ihm einzuprägen. Die dunklen Haare des Mannes waren kurz geschnitten und ließen ihn älter wirken als er war. Das breite Gesicht wurde von einer krummen Nase dominiert, die irgendwann einmal gebrochen worden aber nicht wieder richtig zusammengewachsen war.

„Petty Officer First Class Theodore Diggs?" fragte Chris, obwohl er genau wusste, wen er vor sich hatte – immerhin hatte er die Akte vor ein paar Minuten überflogen, um sich mit den Daten des Mannes vertraut zu machen. „Der bin ich, Sir", erwiderte dieser, faltete seine Hände zusammen und legte sie auf den Tisch, wobei für einen kurzen Moment ein tiefer Schnitt am Mittelfinger zu erkennen war, der noch ganz frisch und nicht verheilt war. Es dauerte nicht einmal den Bruchteil einer Sekunde, aber es reichte aus, um Chris' Herz schneller schlagen zu lassen. Seine Muskeln spannten sich unwillkürlich an und Adrenalin begann durch seinen Körper zu strömen. Vergessen war die Müdigkeit, die Langeweile und der Hunger. Stattdessen ergriff ihn Aufregung und er musste aufpassen, damit man nicht auf seinem Gesicht ablesen konnte, was gerade in ihm vorging. Obwohl er mit dem Verhör noch gar nicht angefangen hatte, so wusste er bereits, dass er einen Treffer ins Schwarze gelandet hatte. Sein Instinkt sagte ihm laut und deutlich, dass vor ihm der Mörder des Commanders saß, auch wenn er es zu diesem Zeitpunkt nicht beweisen konnte. Die Verletzung am Finger konnte sich dieser überall zugezogen haben, aber dennoch war sich Chris sicher, dass der Schnitt entstanden war, als sein Gegenüber dem Opfer das Messer in das Herz gerammt hatte. Er wusste, dass er jetzt vorsichtig vorgehen musste – das zerstörte Wohnzimmer und der eingeschlagene Schädel hatten sich deutlich genug in sein Gehirn eingebrannt, um ihm zu sagen, dass der Mann vor ihm gewalttätig war und mit seinen großen Händen ihn locker mit einem Schlag ins Reich der Bewusstlosigkeit befördern konnte, etwas, vorauf er gut und gerne verzichten konnte.

Deshalb setzte er eine freundliche Miene auf und zwang seine Muskeln, sich wieder zu entspannen. Mit ein wenig Glück hatte Diggs nichts mitbekommen, wobei er sich vorstellen konnte, dass diesen grauen Augen nichts entging. „Ich bin Special Agent DiNozzo", stellte er sich vor, sich an seine guten Manieren erinnernd. Die Worte hinterließen jedoch einen faden Geschmack in seinem Mund, als ihm klar war, dass er dies in Wirklichkeit nicht war. Eigentlich sollte sein Bruder jetzt hier sitzen, um den Mann zu verhören und nicht er. Aber es war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich Gedanken über Tony zu machen und somit konzentrierte er sich wieder auf die Gegenwart.
Chris schlug die Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag, auf und überflog noch einmal die Informationen, obwohl er sie bereits auswendig kannte. „Sie sind seit zwei Jahren hier in Quantico?" fragte er, darauf bedacht, zuerst nette Konversation zu machen und den anderen in Sicherheit zu wiegen. „Das ist richtig, Sir", antwortete dieser sofort, rutschte aber etwas nervös auf dem Stuhl umher. „Und vorher waren Sie in Norfolk?" „Das war ich. Allerdings habe ich mich nicht sonderlich mit meinem Vorgesetzten verstanden, weshalb ich um Versetzung angesucht habe." „Haben Sie angegeben, dass Sie nach Quantico wollten?" fragte Chris und schlug die Akte wieder zu. Er beobachtete genau, wie sein Gegenüber hart schluckte, wobei dessen Adamsapfel wild auf und ab hüpfte. „Ja, habe ich", erwiderte er nach ein paar Sekunden Überlegung. „Wieso gerade Quantico und nicht irgendwo anders?" bohrte er weiter, sich der steigenden Nervosität des anderen nur allzu bewusst. Dafür, dass er kaltblütig jemanden ermordet hatte, hatte er sich nicht gerade unter Kontrolle. Diggs warf einen flüchtigen Blick aus dem kleinen Fenster, bevor er sich wieder auf die Befragung konzentrierte. Die etwas düstere Atmosphäre schien ihm gar nicht zu behagen und langsam begann sich Schweiß auf seiner Oberlippe zu bilden. „Keine Ahnung", meinte er schließlich und sah Chris fest in die Augen. „Ich wollte nur von Norfolk weg. Es war mir egal, wo hin ich komme. Quantico ist mir damals spontan eingefallen." Der Ältere nickte und machte sich ein paar Notizen, obwohl er jedes einzelne Wort in seinem Gehirn abspeicherte. Der fehlende Grund – er glaubte dem Mann keine Sekunde, dass es etwas mit seinem Vorgesetzten zu tun gehabt hatte - weshalb der Petty Officer von Norfolk wegwollte, bestärkte ihn in der Vermutung, dass er sich nur wegen dem Commander hierher versetzen hatte lassen. Aber weshalb? Wo war das Motiv?

„Ist Ihnen heiß?" fragte Chris unvermittelt und blickte zu dem Petty Officer, der mittlerweile seine Finger wieder entfaltet hatte und damit lautlos auf der Tischplatte herumtrommelte. „Sie können sich ruhig etwas zu trinken nehmen, wenn Sie wollen." Dabei zeigte er auf den Krug mit Wasser und auf ein frisches Glas. Diggs entspannte sich ein wenig und raffte sich zu einem Lächeln auf, bevor er das Angebot annahm, sich ein Glas füllte und es mit wenigen Schlucken um die Hälfte leerte. Chris unterdrückte mit Mühe ein Grinsen, immerhin hatte er ihm nicht ohne Hintergedanken etwas zu trinken angeboten. Abby würde es ein Leichtes sein, eine DNA Probe zu nehmen, um sie mit dem Blut zu vergleichen, das sie auf dem Messer gefunden hatte.
„Wie sind Sie mit Commander Emmerson ausgekommen? Gab es irgendwelche Probleme?" brachte er das Gespräch wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. Der Petty Officer schüttelte den Kopf, bis er sich darauf besann, dass es klüger wäre, die Frage mit Worten zu beantworten. „Nein, gab es nicht. Das heißt, ich bin gut mit dem Commander ausgekommen. Er war ein fairer Mann und hat jeden respektiert. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ihn jemand ermordet hat." Bei diesen Worten setzte er einen betroffenen Gesichtsausdruck auf und er schaffte es sogar, dass in seine grauen Augen eine Spur Trauer trat. ‚Wirklich gut', dachte Chris und klopfte mit dem Kugelschreiber auf dem Tisch herum. ‚Aber nicht gut genug.' In den letzten 15 Jahren hatte er so viele Menschen getroffen, die ihm falsche Gefühle vorgegaukelt hatten, dass er Lügen mittlerweile eine Meile gegen den Wind riechen konnte. Der Mann vor ihm war ein hervorragender Schauspieler – sah man davon ab, dass er nervös mit dem Glas herumspielte – aber trotzdem wusste er, dass er nicht die Wahrheit sagte. Chris ließ sich nicht anmerken, dass er ihm nicht glaubte, sondern nickte verständnisvoll und machte sich erneut ein paar Notizen. Aus den Augenwinkeln bekam er mit, wie der andere immer wieder zu dem Fenster sah und dann zur Tür, so als ob er nur eine günstige Gelegenheit abwarten würde, um zu fliehen. Selbst ein Blinder würde bemerken, dass dieser Mann Dreck am Stecken hatte und er stellte sich nicht gerade geschickt an, um es zu verbergen. Im Fernsehen waren die Mörder immer viel schlauer, jedenfalls wirkten sie dort nie so nervös. Also beschloss Chris, seine Taktik ein wenig zu ändern.

„Geht es Ihnen nicht gut, Petty Officer?" fragte er freundlich und setzte eine besorgte Miene auf. Diggs zuckte leicht zusammen, bevor er ratlos seine Augenbrauen hob. „Wie bitte?" „Ich habe gefragt, ob es Ihnen nicht gut geht. Sie machen auf mich den Eindruck, als ob Ihnen ein wenig übel wäre." „Nein, mir geht es gut", erwiderte er ohne zu zögern, aber der große Schluck Wasser, den er gleich darauf trank, strafte seine Worte Lügen. „Es ist nur ein wenig heiß hier drinnen." „Leider klemmt das Fenster und lässt sich deswegen nicht öffnen. Es war auch kein anderer Raum frei, also müssen wir wohl oder übel mit diesem hier Vorlieb nehmen." Theodore nickte abwesend und zupfte ein wenig am Kragen seines Uniformhemdes herum. „Weshalb sind Sie so nervös, Petty Officer?" wollte Chris wissen und beugte sich ein wenig vor. „Ich… ich bin nicht nervös", antwortete der andere stotternd und fing erneut an, mit dem Glas zu spielen. „Da habe ich aber einen anderen Eindruck. Man könnte glatt annehmen, dass Sie mehr wissen, als Sie zugeben." „Was?" Erschrocken weitete der Mann seine Augen und hätte um ein Haar das Glas umgeworfen. „Ich weiß gar nichts."
„Hatten Sie Probleme mit dem Commander, Petty Officer?" fragte Chris erneut, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und drehte den Kugelschreiber, den er in seinen Fingern hielt, hin und her. „Das habe ich Ihnen doch bereits gesagt und Sie haben es sich sogar notiert!" Seine Stimme wurde immer lauter und Wut ließ ihn seine Hände zu Fäusten ballen. „Beantworten Sie einfach die Frage", meinte Christopher ruhig, obwohl sein Herz ein wenig schneller schlug, als ihm bewusst wurde, dass er den Mann gegen sich aufbrachte. Dieser schüttelte den Kopf und zischte: „Nein, habe ich nicht! Ich hatte keine Probleme mit dem Commander! Sind Sie jetzt zufrieden?!" „Ich wollte nur sicher gehen. Vielleicht hätten Sie ja Ihre Aussage von vorhin ändern wollen. Wo waren Sie gestern zwischen sieben und neun Uhr morgens?" „Wollen Sie mir etwa unterstellen, ich hätte den Commander ermordet?!" Diggs erhob sich ein wenig, stützte seine Hände auf den Tisch und beugte sich weit vor, aber Chris ließ sich nicht einschüchtern. Stattdessen drehte er weiter den Kugelschreiber in seinen Fingern und bemühte sich, nicht ebenfalls laut zu werden. „Ich unterstelle Ihnen rein gar nichts. Es ist eine Routinefrage, die wir jedem stellen. Also, wo waren Sie gestern zwischen sieben und neun Uhr morgens?"
Der Petty Officer ließ sich wieder auf seinen Stuhl zurücksinken und fuhr sich mit einer seiner großen Hände über sein Gesicht. „Ich war bei mir zu Hause. Meine Schicht hat erst um 12 Uhr angefangen." „Gibt es irgendwelche Zeugen, die bestätigen können, dass Sie zu Hause waren?" Chris beugte sich wieder vor und machte sich ein paar Notizen. „Mein bester Freund hat bei mir übernachtet. Wir waren die gesamte Nacht und auch den Morgen über zusammen. Sie können ihn gerne fragen." „Das werde ich auch tun. Wie heißt Ihr Freund?" „Harold Paulsen. Er ist ebenfalls Petty Officer und seit einem halben Jahr hier in Quantico. Wir kennen uns aber schon seit der High School und ich habe ihn dazu überredet, zu den Marines zu gehen." Diggs entspannte sich wieder und seine Wut von vorhin war verschwunden.

Chris jedoch presste für einen kurzen Moment seine Kiefer zusammen, als ihm klar wurde, dass dieser Mann anscheinend ein hieb und stichfestes Alibi hatte. Aber weshalb sagte ihm sein Instinkt dann, dass er der Mörder war? Konnte es sein, dass sein Freund ebenfalls in der Sache mit drinnen steckte? „Wie kann ich Petty Officer Paulsen erreichen?" Diggs nannte ihm eine Telefonnummer, mit dem Hinweis, dass Harold heute seinen freien Tag hatte und wahrscheinlich in seiner Wohnung zu erreichen sei. „Kann ich jetzt gehen?" Chris hob seinen Kopf und fixierte den anderen mit seinen Augen. Am liebsten würde er nein sagen, würde ihn hier festhalten, so lange, bis er das Alibi überprüft hatte und dessen Schwachstelle gefunden hatte, um ihn dann wegen Mordes zu verhaften. Aber momentan sah er einfach keine Möglichkeit, ihm ein Geständnis zu entlocken, deshalb nickte er einfach. „Ja, Sie können gehen. Aber halten Sie sich vor Verfügung, für den Fall, dass ich noch weitere Fragen habe." Die Erleichterung stand seinem Gegenüber förmlich ins Gesicht geschrieben, als er sich erhob. „Eines noch, Petty Officer", meinte Chris und legte seine Hände auf den Tisch. „Wie haben Sie sich den Schnitt an Ihrem Finger zugezogen?" Diggs zuckte zusammen und blickte leicht erschrocken auf seine Verletzung, aber eine Sekunde später hatte er sich wieder gefasst. „Ich habe mich vorgestern Abend geschnitten, als ich mir Essen zubereitet habe. Wieso?" „Nur so aus Interesse", erwiderte er, hob eine Augenbraue und ließ den anderen damit wissen, dass er ihm kein Wort glaubte. Der Mann drehte sich um, riss die Tür auf und stürmte hinaus, wobei er beinahe Gibbs über den Haufen gerannt hätte, der draußen gewartet hatte, einen Becher Kaffee in der Hand haltend. Kopfschüttelnd sah er ihm nach, wobei sich ein Lächeln auf seine Lippen stahl, bei dem Gedanken, dass sein Agent den anderen wohl ziemlich auf die Palme gebracht haben musste – ein Gefühl, das er selbst nur zu gut kannte.

„Und, wie ist es gelaufen?" fragte er und betrat den Raum. „Bestens", erwiderte Chris, bückte sich und holte ein Paar Latexhandschuhe - die er sich rasch anzog - aus seinem Rucksack, bevor er das benutzte Glas nahm, aufstand und zu der verkümmerten Pflanze in der Ecke ging. Darauf bedacht, die DNA Spuren nicht zu vernichten, leerte er das Wasser in die trockene Erde, die wahrscheinlich seit Wochen dadurch wieder etwas Flüssigkeit bekam. Anschließend kehrte er zum Tisch zurück und beförderte einen Beweismittelbeutel zu Tage. „Ich schwöre dir, das ist unser Mann", fuhr er fort und tütete das Glas ein. „Petty Officer Theodore Diggs ist der Mörder von Commander Emmerson."
Gibbs drehte sich um und blickte zur Tür hinaus, aber derjenige, der ihn beinahe gerammt hätte, war nicht mehr zu sehen. „Wie kommst du darauf, dass er der Mörder ist, DiNozzo?" wollte er wissen und nahm einen großen Schluck von seinem Kaffee. „Mein Instinkt sagt es mir", antwortete Chris und begann, die gesamten Akten zu einem Stoß aufzutürmen. „Ich schwöre dir, er ist es. Zwar behauptet er, ein Alibi zu haben und gestern mit seinem besten Freund zusammengewesen zu sein, aber…" „Aber du glaubst ihm nicht", vollendete der Chefermittler den Satz. „Nicht eine Sekunde lang. Du hättest ihn mal sehen sollen. Er hat mehr geschwitzt als ein Marathonläufer auf der Zielgeraden und er war ziemlich nervös, so als ob er gewusst hätte, das ich weiß, dass er der Mörder ist." „Na schön", meinte Gibbs und fuhr sich mit einer freien Hand durch seine Haare. „Und wie willst du deine Theorie beweisen?" Chris grinste breit und hob die Beweismitteltüte mit dem Glas hoch. „Ganz einfach. Ich habe den Petty Officer dazu gebracht, ein Glas Wasser zu trinken, was bedeutet, wir haben seine DNA. Abby kann überprüfen, ob sie mit derjenigen von dem Blut übereinstimmt."
Jethro trank seinen Kaffee aus und warf den Becher in einen Mülleimer, bevor er kritisch das Glas betrachtete. „Dir ist aber schon klar, dass dieser Beweis vor Gericht nicht zugelassen wird, da du kein Einverständnis von dem Petty Officer erhalten hast, eine DNA Probe zu nehmen." „Das ist mir durchaus bewusst. Ich bin mir jedoch sicher, dass er gestehen wird, wenn wir ihn damit konfrontieren, dass seine DNA mit der auf dem Messer übereinstimmt. Und vielleicht bekommen wir auch seinen Freund dazu auszusagen, dass er ihm ein Alibi beschafft hat." „Und alles nur, weil dein Instinkt dir sagt, dass Diggs der Mörder ist?" Chris kniff seine Augen zusammen und krampfte seine Finger um das Beweisstück. „Ich weiß, wie das klingt, Boss, aber ich schwöre dir, er ist der Mörder. Meinem Instinkt konnte ich schon immer vertrauen und er hat mich nie im Stich gelassen. Lass uns dieser Spur einfach folgen."

Gibbs betrachtete den jungen Mann genau und er wusste nur zu genau, dass man sich auf sein Bauchgefühl verlassen sollte. Außerdem war es wirklich der einzige Hinweis, dem sie nachgehen konnten. Seine Verhöre mit den anderen neun Männern waren nicht erfolgreich gewesen. Von daher hatte er gehofft, dass Tony mehr Erfolg gehabt hatte und dass schien auch der Fall zu sein. Innerlich war er sogar stolz auf ihn, dass er so weit gedacht hatte und Diggs dazu gebracht hatte, etwas zu trinken, damit sie seine DNA hatten, die jedoch vor Gericht nicht verwertbar sein würde. Deshalb mussten sie dem Petty Officer ein Geständnis entlocken, um ihn überführen zu können. Und dafür mussten sie sein Alibi zum Einsturz bringen. Aber Jethro war bewusst, dass sie so lange warten mussten, bis Abby die Ergebnisse der DNA Überprüfung hatte, was wiederum bedeutete, dass das bis morgen dauern würde. Auch wenn er nicht allzu viel von Forensik verstand, so hatte er mittlerweile mitbekommen, dass Wissenschaft Zeit brauchte und man eine DNA Analyse nicht innerhalb von wenigen Stunden durchführen konnte.
„Na schön, da es die einzige Spur ist, die wir haben, werden wir ihr auch nachgehen", sagte Gibbs schließlich und schenkte Chris ein anerkennendes Nicken. Dieser konnte nicht anders als breit zu grinsen. Zu wissen, dass sie bald des Rätsels Lösung haben würden, erfüllte ihn mit Befriedigung, aber gleichzeitig auch mit ein wenig Wehmut, als er an seine Entscheidung dachte, die er auf der Fahrt hierher gemacht hatte. Auch wenn es ihn ein wenig schmerzte, als er daran dachte, die Menschen zu verlassen, durch die er nach so langer Zeit erfahren hatte, was es hieß, sich geborgen zu fühlen und respektiert zu werden, wusste er, dass es die richtige Entscheidung war, Tony sein Leben wieder zurückzugeben, Washington den Rücken zuzukehren und sich irgendwo anders eine neue Existenz aufzubauen, in der Hoffnung, endlich den ganzen Hass und Frust - die Gefühle, die ihn seit Jahren von innen heraus zerfraßen - hinter sich zu lassen.

Fortsetzung folgt...
You must login (register) to review.