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Es war beinahe 12 Uhr mittags und Gibbs hatte Ziva und McGee vor einer halben Stunde losgeschickt, um Theodore Diggs und Harold Paulsen zu einem Verhör zu bringen, das hoffentlich die Wahrheit an Tageslicht bringen würde. Chris hatte die beiden Agenten beobachtet, wie sie zum Fahrstuhl gegangen war, Tim mit einem nicht gerade glücklichen Gesichtsausdruck bewaffnet, da die junge Frau die Wagenschlüssel an sich gebracht hatte. Beide hatten mit Hilfe von Schere-Stein-Papier ausgelost, wer fahren durfte und McGee hatte verloren, was er mit einer sauren Miene zur Kenntnis genommen hatte. Chris fragte sich, weshalb es ihm wohl so viel ausmachte, dass Ziva hinter dem Steuer saß. Sie konnte doch keinen schlechteren Fahrstil als Gibbs haben und der war jedes Mal unterwegs, so als ob der Teufel hinter ihm her wäre. Wieso konnte der Chefermittler nicht ihn damit beauftragen, mit ihr mitzukommen? Wieso McGee? Nicht, dass er etwas gegen den jungen Mann hatte – in den letzten beiden Tagen war er ihm richtig ans Herz gewachsen – aber so könnte er wenigstens noch ein wenig in der Nähe der Israelin sein, bevor er Washington verließ. Aber vielleicht war es auch ganz gut, dass sie nicht zusammen in einem Auto saßen. Wer wusste schon, was dann passieren würde. Immerhin hatte er es erst vor kurzem geschafft, die Sache mit dem Kuss aus der Welt zu räumen, da wollte er nicht wieder etwas machen, das alles nur noch schlimmer werden ließ. Nach langem Überlegen fand er es mittlerweile besser, hier im Büro zu sitzen, unter der Aufsicht von Gibbs, dessen Blicke er hin und wieder auf sich spüren konnte, während der den dritten Kaffee innerhalb von wenigen Stunden trank. Nicht zum ersten Mal fragte sich Chris, wie es dieser Mann aushielt, so viel Koffein zu konsumieren, ohne einen Herzinfarkt zu bekommen. Den Chefermittler vermisste er jetzt schon, seine teilweise schlechte Laune, diese blauen Augen, die ihn förmlich röntgen, wenn er ihn ansah und die Verbissenheit, mit dem er den jetzigen Fall bearbeitete. Und dann war da noch die sensiblere Seite an ihm, die er gestern kennengelernt hatte, als sie beide ihm Fahrstuhl gewesen waren. Gibbs war seit langem der Erste gewesen, der sich Sorgen um ihn gemacht und ihm angeboten hatte, mit ihm über alles zu reden. Wenn dieser jemals die Wahrheit herausfinden sollte, dann hoffte er, dass er die Beweggründe des Jüngeren wenigstens zu verstehen versuchte und ihn nicht gleich durch sämtliche Bundesstaaten nachjagte, um ihn zu fassen. Aber darüber würde er sich erst Gedanken machen, wenn es wirklich so weit war und vorausgesetzt, sie schafften es, ihn zu finden, was, zugegeben, nicht leicht sein würde. Er würde es schon so einrichten, dass er von der Bildfläche verschwand und keine Spuren hinterließ, die darauf hindeuten würden, wo er sich aufhielt. Nicht einmal er selbst wusste, wo er hin wollte. Aber eines war ihm klar: in L.A. konnte und wollte er nicht bleiben. Nicht, nachdem Tony wusste, dass er dort die letzten Jahre verbracht hatte und diese Stadt würde sicher der erste Ort sein, wo sie nach ihm suchen würden.

Chris seufzte leise und fuhr sich mit einer Hand über seine Augen. Der Schlafmangel machte sich langsam bemerkbar und er sehnte sich nach ein paar Stunden Ruhe. So groß der Drang auch war, seinen Kopf einfach auf die Tischplatte zu legen, wusste er doch, dass ihm Gibbs wahrscheinlich ein paar Sekunden später einen saftigen Klaps verpassen würde, mit den Worten, dass er zu Hause schlafen konnte und nicht im Büro. Oh ja, die rüde Art dieses Mannes würde er garantiert vermissen.
Er unterdrückte ein Gähnen und öffnete eine der Schreibtischschubladen, um sich einen Schokoriegel herauszuholen, dessen Vorrat wieder aufgefüllt war, sogar mehr, als er vorher gewesen war. Da würde es nicht auffallen, wenn eine der Süßigkeiten fehlte. Außerdem brauchte er jetzt unbedingt etwas Zuckerhaltiges, um wieder klarer denken und sich anschließend wieder auf den Fall konzentrieren zu können. Die letzten Stunden hatte er damit verbracht, noch einmal alles Relevante über die beiden Verdächtigen durchzugehen, um sicher zu gehen, dass sie nichts übersehen hatten und nachher bei den Verhören keinen Fehler machten. Vor etwa 30 Minuten hatte er erneut mit der Mutter von Karen Paulsen telefoniert, um möglicherweise etwas Neues über den Hintergrund des Selbstmordes herauszufinden, aber die ältere Frau hatte nur einsilbige Antworten gegeben und ihm deutlich gemacht, dass sie nicht willens war, diese schmerzhafte Erinnerung wieder hervorzukramen. Sie hatte nicht einmal wissen wollen, weshalb sich der NCIS dafür interessierte und hatte einfach aufgelegt, ohne sich zu verabschieden, was Chris' Laune nicht gerade förderlich gewesen war. Aber egal wie wenig er von der Frau erfahren hatte, er würde sich die Chance, den Mörder hinter Gitter zu bringen, nicht nehmen lassen, weshalb er die Müdigkeit in einen hinteren Winkel seines Körpers verbannte, während er den Schokoriegel mit großen Bissen verschlang. Es ging doch nichts über etwas Süßes, damit sich die Stimmung wieder besserte und es schien wirklich gut zu funktionieren. Mit einem gezielten Wurf verbannte er die Verpackung in den Mülleimer, bevor er sich erneut den Akten der beiden Marines widmete. Allerdings blieb ihm nur Zeit, einen kurzen Blick auf das Bild von Theodore Diggs zu erhaschen, als ihn Gibbs' Stimme auffahren ließ und er sich unwillkürlich fragte, ob er etwas falsch gemacht hatte.

„Tony?" „Ja, Boss?" fragte Chris automatisch, hob seinen Kopf und sah zum dem älteren Mann, der ihn schon wieder von oben bis unten zu mustern schien und nicht zum ersten Mal überkam ihn der Gedanke, ob er vielleicht in seinem Gehirn wie in einem offenen Buch lesen konnte. Nun, vielleicht würde er ihn doch nicht so sehr vermissen, wie er vorher geglaubt hatte.
„Geh zu Abby hinunter und sieh nach, ob die Ergebnisse von der DNA Analyse vorliegen", befahl Jethro in bester Chefermittlermanier und konnte sich ein Grinsen nur knapp verkneifen, als der Jüngere sofort aufsprang, aber innehielt, bevor er zum Fahrstuhl ging. „Und was ist, wenn es noch kein Resultat gibt?" wollte Chris wissen und hoffte, nichts Falsches gesagt zu haben, da sich der andere unvermittelt vorbeugte und seine Augenbrauen hob. „Dann bleibst du solange unten, bis es ein Resultat gibt. Und wenn es noch länger als 30 Minuten dauern sollte, dann mach ihr ein wenig Feuer unterm Hintern. Ich will das Ergebnis haben, bevor Ziva und McGee mit den beiden Verdächtigen zurück sind."
„Alles klar", erwiderte Chris und hoffte, dass er nicht allzu lange im Labor bleiben musste. Von allen war Abby diejenige, die am meisten Verdacht geschöpft hatte, dass es nicht Tony war, der die letzten Tage an dem Platz im Büro gesessen hatte. Außerdem konnte er ihren Musikgeschmack nicht leiden, hatte er doch das letzte Mal Stunden gebraucht, um das eine Lied, das er am Dienstag gehört hatte, aus seinem Kopf zu bringen. Um Gibbs jedoch nicht zu verärgern, eilte er ohne ein weiteres Wort zum Fahrstuhl, der nicht lange auf sich warten ließ und ihn innerhalb von ein paar Sekunden in die Forensik hinunterbrachte. Wie bei seinem letzten Besuch konnte man bereits vom Gang aus die lauten Töne eines Songs hören, den man so im Radio nie spielen würde, außer es wäre ein Sender extra für Goths. Aber wofür gab es einen praktischen Stoppknopf an dieser Anlage, mit dem man den Krach abstellen konnte? Für Chris war es ein Rätsel, wie Abby so arbeiten konnte und vor allem, wie sie sich bei so einer Musik konzentrieren konnte. Komischerweise schien sie dadurch noch effizienter und kreativer zu sein. Bald würde er ja nicht mehr hier sein, um sich diese ganzen Songs anhören zu müssen, wobei er jedoch zugeben musste, dass er die Forensikerin wohl ein wenig vermissen würde, obwohl sie ihm gegenüber misstrauisch war. Einfach ihre gesamte Art brachte ihn sofort dazu, seine schlechte Laune zu vergessen und zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht – genauso wie jetzt. Er betrat das Labor, dessen Fenster von der lauten Musik zu vibrieren schienen und konnte nicht anders als zu grinsen. Abby lief wie ein Wirbelwind von einem Gerät zum anderen, wobei ihre Rattenschwänze lustig tanzten und sich ihr weißer Laborkittel aufbauschte. Heute trug sein eine lange schwarze Hose, die ihre Plateauschuhe fast zur Gänze verdeckte, und ein dazupassendes, ebenfalls schwarzes T-Shirt, auf dem er übliche große Totenkopf prangte. Ein Nietenhalsband vervollständigte ihr Outfit, das sie nicht wie eine Laborratte aussehen ließ, sondern eher, als ob sie zu einer wilden Party eingeladen worden wäre.

Wie auch schon beim ersten Mal, war sie derart in ihre Arbeit vertieft, dass sie ihren Besuch nicht bemerkte, weshalb Chris einfach in den anderen Raum ging und entgegen seinem vorherigen Wunsch, die Musik nur herunterdrehte und nicht ausschaltete. So waren im Hintergrund noch die Instrumente zu hören, jedoch in einem erträglichen Maß und es war allemal besser als gänzliche Ruhe.
Abby, aufgeschreckt durch die plötzliche Stille, wirbelte herum und ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, das dank des Make-ups blass wirkte und sich der dunkel geschminkte Mund davon abhob. „Hey, Tony", begrüßte sie den Neuankömmling und er befürchtete bereits, sie würde ihn erneut wie vorgestern stürmisch umarmen, aber diesmal verzichtete sie darauf. „Wie geht's, wie steht's?" fuhr sie fröhlich fort und eilte zu einem der zahlreichen Geräte, das einen langen Piepston von sich gegeben hatte. Ein paar Handgriffe später verstummte es wieder und summte leise vor sich hin.
„Alles bestens", antwortete Chris, als sie sich wieder zu ihm umdrehte und ihn erneut einer eingehenden Musterung unterzog, die noch intensiver war als die von Gibbs. Um nicht zu zeigen, wie unwohl er sich fühlte, setzte er ein entwaffnendes Grinsen auf, lehnte sich mit der Hüfte gegen einen der Tische und umfasste die Kante mit seinen Händen, so als ob er daran Halt suchen würde.

Abby hingegen schaffte es nicht, ruhig stehen zu bleiben, was wohl daran lag, dass sie heute bereits zwei große Becher CafPow getrunken hatte und sich das Koffein schon langsam auswirkte, wodurch sie etwas hibbelig war. Irgendwie fühlte sich ihr Körper an, als ob hunderte Ameisen darüber krabbeln würden, wodurch ihre Haut leicht kribbelte. Oder vielleicht waren es bereits Entzugserscheinungen, da sie seit einer knappen Stunde kein CafPow mehr zu sich genommen hatte. Hätte ihr Tony nicht eines mitnehmen können? Sie brauchte jetzt unbedingt etwas Zuckerhaltiges und so öffnete sie die Dose mit ihren Schleckern, die eine Totenkopfform hatten, und steckte sich einen in den Mund. Für einen kurzen Moment schloss sie genießerisch die Augen, während der süße Geschmack ihre Sinne überflutete und sie glücklich aufseufzen ließ. Aber es war nur ein leidiger Ersatz ihres CafPows. Es war an der Zeit, ihre heiligen Hallen zu verlassen und sich selbst eines zu besorgen, da anscheinend niemand daran dachte, dass sie Bedürfnisse hatte, die befriedigt werden mussten. Da hieß es wohl mal wieder: Selbst ist die Frau.
Mit der Zunge schob Abby gekonnt den Schlecker in ihre linke Mundhälfte, drehte sich wieder um und erneut fiel ihr Blick auf Tony, der an dem Tisch lehnte und sich leicht abwesend in dem Raum umsah. Sie hatte ihn seit Dienstag nicht mehr gesehen, aber sie hatte nicht vergessen, dass er anders gewesen war und auch jetzt ließ sie das Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmte. Zwar funkelten seine Augen wie eh und je und auf seinen Lippen lag das ihr allzu vertraute DiNozzolächeln, aber seine Haare waren weiterhin länger als sie es in Erinnerung gehabt hatte und die Bräune seiner Haut war ebenfalls nicht verblasst. Und erst jetzt fiel ihr auf, dass man so eine gesunde Farbe nicht von irgendeinem Sonnenstudio bekommen konnte, sondern nur von viel Zeit im Freien. Und dann war da der leicht ruhelose Blick, den er bereits vorgestern an den Tag gelegt hatte, aber er wirkte wenigstens nicht mehr ganz so bedrückt. Seine Körperhaltung war entspannt und eine Last schien von seinen Schulter genommen worden zu sein. Gibbs hatte ihr nicht erzählt, ob er mit seinem Agent gesprochen hatte und vielleicht sollte sie ihn danach fragen. Ihr silberhaariger Fuchs wusste sicher mehr, was mit Anthony in letzter Zeit los war, zumal ihr McGee erzählt hatte, er hätte ihn auf einmal Tim genannt. Zwar hatte er versucht, dies als Scherz abzutun, aber keiner der beiden hatte wirklich daran geglaubt. Selbst dem jungen Agenten war aufgefallen, dass mit dem Italiener etwas nicht in Ordnung war, aber genauso wie die anderen hatte er keine Ahnung gehabt, was nicht stimmen könnte. Abby hatte noch immer das Gefühl, dass ein anderer Mann vor ihr stand und nicht Tony, aber das war unmöglich, entschied sie eine Sekunde später. Es konnte ihn ja schließlich nicht doppelt geben, weshalb sie ihre Überlegungen auf den Entzug von ihrem Lieblingsgetränk schob. Aber hatte sie sich nicht schon immer auf ihren Instinkt verlassen können, auch wenn sie zuviel oder zu wenig CafPow intus hatte? Obwohl ihr Verstand ihr davon abriet, beschloss sie dennoch, ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Es war immerhin leicht feststellbar ob es wirklich DiNozzo war, der sich in diesem Labor aufhielt und würde er ihre Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantworten, musste sie wohl oder übel einsehen, dass sie sich zum ersten Mal geirrt hatte. Aber vorher wollte sie herausfinden, weshalb es Tony zu ihr verschlagen hatte, bevor sie anfing ihn auseinanderzunehmen.

Chris beobachtete belustigt, wie Abby ihre schlanken Finger in eine durchsichtige Dose voller Schlecker steckte, einen herausholte und ihn in ihrem Mund verschwinden ließ. Noch immer war es ihm ein Rätsel, wie so jemand Wissenschaftlerin sein konnte, wo sie doch eher auf eine Kostümparty gepasst hätte und nicht in ein Labor. Aber wie er aus Erfahrung wusste, konnte der äußere Schein trügen und die inneren Werte verschleiern. Die Forensikerin war eine der Menschen, die ihr Herz am richtigen Fleck hatte und man sich glücklich schätzen konnte, sie als Freundin zu haben.
Leicht abwesend ließ er seinen Blick durch den großen Raum schweifen und prägte sich jedes Detail ein, damit er alles immer in seinem Gedächtnis behielt und sich daran erinnern konnte, an welchem Ort er seit Jahren endlich wieder einmal so etwas zu Zugehörigkeit gespürt hatte. Sein Instinkt sagte ihm erneut, dass es nicht richtig war, dass er einfach so verschwand, dass er doch hier bleiben und für das einstehen sollte, was er getan hatte und vielleicht würde sich dann alles zum Guten wenden, aber wie sooft in den letzten Tagen ignorierte er seine innere Stimme und blieb bei seinem Plan, den er nicht mehr umändern würde.

„Was hat dich denn zu mir verschlagen?" riss Abby Chris aus seinen Grübeleien und erst jetzt bemerkte er, dass er aufgehört hatte, den Blick im Labor schweifen zu lassen und stattdessen zwei Skelettfiguren anstarrte, die vollkommen identisch waren und neben der großen Dose mit Schleckern standen. Sie waren aus irgendeinem weißen Material – wahrscheinlich Plastik – aufgebaut und grinsten ihn beinahe höhnisch an, jedenfalls kam es ihm so vor. Genauso wie Tony und er glichen sie sich bis ins letzte Detail und wenn sie Namen gehabt hätten, hätte man sie wohl trotzdem nicht auseinanderhalten können. Sie erinnerten ihn ein wenig an die Teddybären, die er und sein Bruder von ihrem Großvater geschenkt bekommen hatten als sie fünf Jahre alt gewesen waren. Diese hatten sich ebenfalls bis aufs Haar geglichen und Chris hatte das Stofftier überall hingeschleppt, auch wenn sein Vater immer behauptet hatte, so etwas gehöre sich für einen Jungen nicht. Und als er fast sieben gewesen war, hatte er seinen Bären während des Besuches auf einem Jahrmarkt verloren und war deswegen untröstlich gewesen. Tony, der sich mittlerweile mehr für irgendwelche Comicfiguren als für Teddys interessiert hatte, hatte ihm seinen geschenkt. Auf dieses Stofftier hatte er besonders Acht gegeben und als er älter geworden war, hatte er es in seinem Schrank aufgehoben. Falls niemand auf die Idee gekommen war, sein Zimmer auszuräumen, müsste der Bär noch immer links hinten hocken, um auf seinen Besitzer zu warten.

„Erde an Tony!" Abby wedelte mit ihrem Totenkopfschlecker vor seinen Augen herum und zog somit komplett die Aufmerksamkeit auf sich. Die Vergangenheit verschwand wieder in einen hinteren Teil seines Gehirnes und er konzentrierte sich auf die Gegenwart. „Entschuldige, ich war ein wenig in Gedanken", erwiderte er schließlich und schenkte der Goth ein, wie er hoffte, entwaffnendes Lächeln, das sie mit einem Nicken zur Kenntnis nahm. „Das war nicht zu übersehen. Also, was hat dich zu mir verschlagen?" wiederholte sie ihre vorherige Frage und lutschte erneut an der Süßigkeit. Für einen kurzen Moment wusste Chris selbst nicht, weshalb er in die Forensik gefahren war, bis ihm der Fall einfiel und Gibbs' Befehl, Abby Feuer unter dem Hintern zu machen, falls die Resultate der Analyse noch nicht vorliegen sollten.
„Der Boss schickt mich, damit ich nachsehe, wie weit du mit dem DNA Vergleich bist und ich soll dich ein wenig antreiben, wenn du noch keine Ergebnisse hast und dir ausrichten, dass du nur mehr eine halbe Stunde hast." Die Forensikerin legte ihren Kopf schief und musterte ihn eingehend, so als ob er Schuld sei, dass sie auf einmal unter Druck stand. „Man kann die Wissenschaft nicht hetzen", meinte sie schließlich streng mit einem erhobenen Zeigefinger und sah für einen Augenblick wie eine Lehrerin aus, der einem unverbesserlichen Schüler klarmachte, wie das Ein mal Eins funktionierte und der es auch nach der dritten Erklärung nicht verstanden hatte.
„Das habe ich Gibbsman bereits hundert Mal gesagt", fuhr sie fort und piekste Chris überraschend fest ihren Finger in seine Brust. „Ähm, ja", erwiderte dieser und rieb sich mit einer Hand über die leicht schmerzende Stelle. Auch wenn Abby nicht so aussah, so schien in ihrem schlanken Körper jede Menge Kraft zu stecken und er wollte lieber nie herausfinden, wozu sie noch fähig war, wenn ein einzelner Stupser mit ihrem Finger bereits weh tat. „Heißt das, du hast noch keine Ergebnisse?" Sie seufzte leise und schüttelte ihren Kopf. „Nein, habe ich nicht. Aber es dauert nicht mehr lange, also keine Bange. Es kann sich nur noch um Minuten handeln." ‚Hoffentlich', dachte er und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass er das Resultat am liebsten jetzt schon hätte, immerhin war ihm in den letzten Tagen klar geworden, dass man Gibbs nicht warten lassen sollte, wenn einem etwas an der eigenen Gesundheit lag.

„Sag mal, Tony", meldete sich Abby nach ein paar Sekunden Schweigens wieder zu Wort und drehte den Schlecker, der bereits auf die Hälfte geschrumpft war, in ihrer rechten Hand. Sie hatte sich mit ihrer Hüfte gegen ihren Schreibtisch gelehnt, sodass sie sich jetzt direkt gegenüber standen, etwa zwei Meter Abstand zwischen ihnen, der Chris jedoch viel zu klein war. Sie hatte erneut einen Ausdruck in ihren großen Augen, den er nicht deuten konnte, der ihm aber überhaupt nicht gefiel. Obwohl ihre Stimme einen leichten Plauderton enthielt, war ihm sofort klar, dass das nur eine Finte war – und er sollte Recht behalten.
„Triffst du dich noch hin und wieder mit Doktor Brad Pitt?" fragte sie und setzte eine überzeugend neugierige Miene auf. Und da war er wieder: dieser Blick des Unverständnisses in seinen grünen Augen, den sie bereits vor zwei Tagen gesehen hatte. Sie bemerkte ganz genau, wie der junge Mann die Kante des Tisches fest umkrallte und seine Knöchel dabei weiß hervortraten. Seine gesamte Körperhaltung versteifte sich und er wirkte gespannt wie ein Bogen. Eine Sekunde später war der Spuk jedoch wieder vorbei. Das Lächeln, das sie so sehr an ihm mochte und das sein ganzes Gesicht aufhellte, war wieder da und er verschränkte seine Hände locker vor seiner Brust.
Chris hatte nicht verhindern können, dass er kurz sein Gleichgewicht verloren hatte. Die Frage nach einem gewissen Doktor Brad Pitt war wie aus der Pistole geschossen gekommen und er war sich nicht sicher, ob diese Person überhaupt existierte. Den einzigen Brad Pitt den er kannte, war der Schauspieler und nicht irgendein Arzt – aus welchem Fachgebiet auch immer. Oder war diese Namensgleichheit nur ein Zufall? Oder spielte Abby ein makaberes Spiel mit ihm, da sie ihm gegenüber weiterhin misstrauisch war? Er hätte es wissen müssen, dass sie weiterbohren würde, war sie doch Wissenschaftlerin, deren Aufgabe es war, Antworten auf Ungereimtheiten zu finden und Probleme zu lösen, auch wenn sie noch sie kompliziert waren. Es war definitiv eine gute Entscheidung, bald von hier zu verschwinden und Tony wieder an seinen ursprünglichen Platz zurückzulassen. Wenn jemand herausfinden konnte, dass dieser nicht in diesem Labor war, sondern jemand anderes, dann war es die Forensikerin, die noch immer darauf wartete, dass er das Wort ergriff.

Chris löste seine Hände von dem Tisch und verschränkte sie locker vor seiner Brust, wobei er erneut das entwaffnende Lächeln aufsetzte. „Sollte ich?" stellte er schließlich eine Gegenfrage, von der er hoffte, dass es nicht die falsche Reaktion war. „Nun ja", erwiderte Abby langsam, lutschte kurz an ihrem Schlecker, bevor sie fortfuhr: „Immerhin war er der Arzt, der dich behandelt hat, als du dir die Lungenpest eingefangen hattest und laut Kate habt ihr euch hervorragend verstanden. Sie hat damals gemeint, ihr wärt richtig dicke Freunde geworden."
Chris konnte nichts gegen seine Augen machen, die sich unwillkürlich weiteten und zusätzlich verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. Hatte er das eben richtig verstanden? Tony hatte die Lungenpest gehabt? Er hatte sich eine altertümliche Krankheit, die eigentlich als ausgestorben galt, einfangen und sie überlebt? Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass er im Geschichtsunterricht einmal gehört hatte, dass diese Form der Pest die Schlimmste sei und ganze Städte ausgerottet hatte und sein Bruder sollte es irgendwie geschafft haben, sich damit zu infizieren? Und Chris hatte davon nichts gewusst, hatte nicht gewusst, dass Anthony praktisch dem Tode von der Schippe gesprungen war. Schuldgefühle, dass er nicht bei ihm gewesen war, überkamen ihn und ließen einen großen Kloß in seinem Hals entstehen. War er wirklich so nahe daran gewesen, Tony zu verlieren? Aber gleich darauf fragte er sich, wie sich dieser mit der Lungenpest hatte anstecken können. Man holte sich diese Krankheit nicht mal eben wie eine Grippe. War das Ganze vielleicht doch eine Finte von Abby?
„Jetzt sag nicht, du erinnerst dich nicht mehr daran", sagte sie schließlich, als von ihm keine Reaktion kam, sah von dem geschockten Gesichtsausdruck ab. „Hast du denn wirklich dieses verrückte Miststück vergessen, die den Brief zum NCIS geschickt hat, mit einem Lippenstiftabdruck auf dem Umschlag und in dem jede Menge Pestbakterien enthalten gewesen waren? McGee macht sich heute noch hin und wieder Vorwürfe, dass er dir den Brief überhaupt ausgehändigt hatte. Und was ist mit Kate? Hast du etwa auch vergessen, dass sie die ganze Zeit bei dir geblieben ist, obwohl sie genau gewusst hatte, dass sie sich anstecken hätte können? Sie hat das Risiko auf sich genommen, nur um dir beizustehen, als du angefangen hast, dir die Seele aus dem Leib zu husten. Wir alle haben gedacht, du würdest sterben, Tony! Und du stehst da und siehst mich an, als ob es für dich das erste Mal wäre, dass du gehört hast, dass du die Pest hattest!"

Gegen ihre Angewohnheit war Abby immer lauter geworden, aber gleich darauf zuckte sie innerlich zusammen, als sie den verletzten Ausdruck in den grünen Augen bemerkte. War sie etwa zu weit gegangen? Hatte sie es übertrieben, in dem Bedürfnis herauszufinden, was mit ihrem Freund los war?
Chris war für ein paar Sekunden sprachlos, dass die junge Frau vor ihm tatsächlich angefangen hatte, ihn anzuschreien, aber es bewies ihm, dass es wohl keine Finte war, dass sein Bruder wirklich die Lungenpest gehabt hatte. Würde Abby sonst so reagieren? Gleich darauf kam ihm eine nächste Frage in den Sinn: wer war Kate? Als die Forensikerin den Namen erwähnt hatte, war für einen kurzen Moment Traurigkeit über ihr Gesicht gehuscht, die jedoch von der Wut abgelöst worden war.
„Es tut mir leid", sagte er schließlich leise und blickte betreten zu Boden. „Es ist nur so, dass es ein Abschnitt meines Leben war, an den ich nicht gerne erinnert werde und ihn deshalb am liebsten für immer vergessen würde." Die Lüge kam ihm glatt über die Lippen, aber es fühlte sich nicht richtig an. Es war das erste Mal seit langem, dass er sich beinahe dafür verachtete, nicht die Wahrheit zu sagen. Wie hatte er in den letzten Jahren ständig so unaufrichtig sein können, ohne sich schlecht zu fühlen? Was war nur mit ihm geschehen? Wo war seine Skrupellosigkeit geblieben? Und er hätte schwören können, dass der Schutzschild, den er um sich aufgebaut hatte, Risse bekommen hatte und davor stand, ganz einzustürzen. Wie hatte das nur passieren können?

Abby seufzte leise und beruhigte sich wieder. Der plötzliche Ernst in seiner Stimme ließ die Wut in ihr verpuffen und sie wusste, dass sie ein wenig zu weit gegangen war. Ihr Freund hatte Recht: es war eine Sache, an die wohl keiner gerne erinnert wurde, schon gar nicht sie, war doch kurz danach Kate erschossen worden. Das nannte sie pure Ironie des Schicksals. Da hatte sie das Glück, sich nicht mit den Pestbakterien zu infizieren, wurde aber bald darauf von einer Kugel aus dem Leben gerissen. Und da machte sie ihm Vorwürfe, dass er sich nicht daran erinnern wollte?
„Dir braucht nichts leid zu tun", meinte Abby, steckte sich den Schlecker in ihren Mund, kam auf Chris zu und umarmte ihn fest. „Ich hätte nicht davon anfangen sollen. Verzeihst du mir?" Er konnte nicht anders, als zu lächeln. Die junge Goth war schon ein Phänomen. Diese Stimmungsschwankungen waren einmalig. „Aber sicher verzeihe ich dir", erwiderte er leise und drückte den schlanken Körper fest an sich, bis sie sich aus der Umarmung löste und einen Schritt zurücktrat.
„Hast du nicht Lust, mit mir Kate zu besuchen? Ich meine, es ist immerhin fast ein Jahr her, seit sie uns verlassen hat. Sie wird sich sicher freuen, uns zu sehen." Abby wusste selbst nicht, warum sie den Vorschlag gemacht hatte, aber irgendwie hatte sie auf einmal das Bedürfnis, zu ihrer Freundin zu gehen und ihr einen großen Strauß schwarzer Rosen mitzubringen. Sie vermisste sie immer noch schrecklich und wünschte sich, diesen einen verhängnisvollen Tag hätte es nie gegeben. Ihnen allen wäre dadurch jede Menge Schmerz erspart geblieben.
Chris wusste einfach nicht, was er sagen sollte, hatte er doch keine Ahnung, wer Kate war. So wie es sich anhörte, war sie ebenfalls eine Agentin gewesen, hatte den NCIS aber verlassen. Aber sie zu besuchen kam für ihn nicht in den Sinn, würde er doch heute Abend aus der Stadt verschwinden, von daher durchforstete er sein Gehirn nach einer passenden Ausrede, als ein eindringliches Piepsen die Stille durchbrach und beide zusammenzucken ließ. Die DNA Analyse hatte sich den passenden Augenblick ausgesucht, um ein Ergebnis auszuspucken und er war mehr als froh darüber. Abby hüpfte sofort zu ihrem Computer und tippte etwas in ihre Tastatur, nur um gleich darauf ihre Arme in die Luft zu strecken und drehte sich breit grinsend um.

„Ich bin die Beste!" rief sie, wobei sie beinahe den Schlecker verloren hatte, der noch immer in ihrem Mund steckte. Deshalb nahm sie ihn ganz schnell heraus und legte ihn auf den Tisch. Nachher hatte sie noch genügend Zeit, ihn in Ruhe zu genießen. „Oder besser gesagt: du bist der Beste, Tony! Du hattest Recht! Diggs ist der Mörder von Commander Emmerson! Seine DNA stimmt mit der auf dem Messer überein!" Das breite Grinsen übertrug sich auf Chris, der sofort vergaß, dass er vor ein paar Minuten ganz schön in Bedrängnis geraten war. Das Wissen, dass sein Instinkt doch noch funktionierte, verdrängte die letzten Momente aus seinem Gedächtnis und er war wieder ganz bei dem Fall.
„Das ist großartig. Jetzt können wir ihn festnageln. Vielen Dank, Abby", sagte er und nahm das Blatt Papier entgegen, das sie ihm reichte und auf dem das Ergebnis schwarz auf weiß gedruckt war. „Immer wieder gerne", erwiderte sie und sah zu, wie er aus ihrem Labor ging. Bevor er die Tür jedoch erreicht hatte, rief sie aus einem Impuls heraus: „Und vergiss nicht ein paar Pralinen zu besorgen! Kate wird sich garantiert darüber freuen!" Chris nickte abwesend, seine Augen huschten über die Zeilen auf dem Papier und er registrierte nicht einmal wirklich die Worte, die seine Ohren erreicht hatten. Für ihn zählte nur mehr, dass er dabei war, einen Mörder zu überführen und dass er Recht gehabt hatte, was seine Theorie über Diggs betraf. Jetzt mussten sie nur noch beweisen, dass sein Alibi getürkt war. Er eilte aus dem Labor, nicht wissend, dass er mit dem kurzen Nicken einen Stein ins Rollen gebracht hatte, der bald eine Lawine auslösen würde, die nicht mehr aufzuhalten sein würde.

Abby blickte ihm nach, unfähig zu glauben, was sich vor ein paar Sekunden abgespielt hatte. Noch immer sah sie das kurze Nicken, mit dem er zugestimmt hatte, für Kate Pralinen zu besorgen – für Kate, die seit einem Jahr tot war. Wie konnte er da einfach zustimmen, auch wenn er etwas abgelenkt gewesen war und die Ergebnisse gelesen hatte. Tony wusste doch genau, was mit Caitlin passiert war, war er doch damals auf dem Dach gewesen und hatte jede Menge Blut von ihr ins Gesicht bekommen, als die Kugel sie im Kopf getroffen hatte. War er wirklich nur so auf das Stück Papier in seinen Händen konzentriert gewesen und hatte nicht einmal mitbekommen, was sie gesagt hatte? Aber Abby hatte doch deutlich gerufen und sich damit versichert, dass man ihre Worte klar verstehen konnte. Sie hätte sogar einen Becher CafPow darauf verwettet, dass es eine Person, die in diesem Moment an dem Labor vorbeigegangen wäre, genauso mitbekommen hätte.
Was war nur mit Tony los, dass er anscheinend vergessen hatte, dass Kate tot war? Stirnrunzelnd und nicht wissend, was sie von allem halten sollte, drehte sie sich um, nahm ihren Schlecker und dabei fiel ihr Blick auf die beiden Skelette, die auf dem Regal über ihrem Schreibtisch standen. Die Figuren hatte sie im Internet erworben. Als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie sich gleich in sie verliebt und als sie sie endlich in den Händen gehalten hatte, hatte sie ihnen die Namen Robby und Bobby verpasst. Sie sahen vollkommen gleich aus, glichen sich wie ein Ei dem anderen und Abby hätte sie selbst nicht unterscheiden können, hätte sie nicht gewusst, dass Bobby der Linke war.
Ein paar Sekunden lang betrachtete sie die Figuren und dachte noch einmal über die letzten Tage nach. So weit sie wusste, benahm sich Tony seit Dienstag anders, hatte seit diesem Tag längere Haare und braunere Haut. Außerdem war da die Tatsache, dass er McGee Tim genannt hatte. Und Gibbs hatte ihr noch am selben Abend anvertraut, dass Anthony anscheinend keinen blassen Schimmer gehabt hatte, dass sein Boss ein Boot in seinem Keller baute. Und dann heute, der Blick des Unverständnisses, als sie die Lungenpest erwähnt hatte und sie den Eindruck gehabt hatte, er hatte keine Ahnung, wovon sie überhaupt sprach. Jetzt, wo sie länger darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass DiNozzo ständig ausweichende Antworten gegeben hatte, es aber immer so gedreht hatte, dass sie es ihm abgekauft hatte. Und Kate… Abby hatte das Gefühl, dass der Agent diesen Namen zum ersten Mal gehört hatte, obwohl sie zwei Jahre zusammengearbeitet hatten und durch dick und dünn gegangen waren. Wie kam es, dass er ihren Vorschlag, Pralinen für eine Verstorbene zu besorgen, mit einem Nicken quittiert hatte? Tony war wirklich nicht er selbst. Es schien fast so, als ob ein anderer Mann in seinem Körper steckte. Aber wie war das nur möglich? Wenn klonen möglich wäre, würde sie sofort…

Abby fiel der Schlecker aus den Fingern, als sich diese öffneten, unfähig, ihn weiter zu halten, als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Die beiden identischen Skelette betrachtend, rutschte ein Puzzleteil nach dem anderen an seinen Platz und fügte sich zu einem gesamten Bild zusammen. „Nein, das ist nicht möglich", flüsterte sie, drehte sich um und starrte auf den Fleck, an dem Tony noch vor Minuten gestanden hatte. Zwar würde ihr Geistesblitz erklären, weshalb er auf einmal nicht mehr wusste, dass Gibbs ein Boot baute oder dass Kate tot war, aber dennoch hatte sie Zweifel. Seit sie Anthony kannte, hatte er nie sonderlich viel von seiner Familie erzählt und auch immer behauptet, er sei ein Einzelkind gewesen. Was wäre aber, wenn er doch Geschwister hatte, oder besser gesagt: einen Bruder? Was wäre, wenn es auf diesem Planeten einen Mann gab, der genauso wie ihr Freund aussah, der ihm genauso glich, wie sich die beiden Skelette glichen, die sie sich gekauft hatte? Konnte es wirklich möglich sein, dass…?
„Zwillinge", murmelte Abby immer wieder vor sich hin und obwohl sie wusste, dass ihre Theorie riesige Lücken aufwies, ließ sie dieser Gedanke nicht mehr los. Das laute Klopfen ihres Herzen übertönte sogar die Musik, die noch immer im Hintergrund lief, die sie aber schon lange nicht mehr wahrnahm. Zu sehr war sie damit beschäftigt, eine Logik in diese ganze Geschichte zu bringen. Was war aber, wenn sie sich irrte? Wenn sie einfach nur unter CafPow Entzug litt und zu viel in die Sache hineininterpretierte?
„Ich brauche einen Beweis", sagte sie und runzelte ihre Stirn, in dem Bemühen, diesen zu finden. Ein paar Sekunden später hellte sich ihre Miene auf und sie klatschte in ihre Hände. Es gab eine ganz einfach Methode, um zu beweisen, ob es wirklich Tony war, der soeben ihr Labor verlassen hatte und der nur wegen irgendetwas total durch den Wind war oder ob es tatsächlich einen Zwilling gab, von dessen Existenz sie nur nichts gewusst hatten.
Noch immer ganz betäubt von ihrer Erkenntnis, eilte Abby in den anderen Raum, holte ihr Fingerabdruckset und kehrte gleich darauf zu dem Tisch zurück, an dem vor kurzem der junge Mann gelehnt und dessen Oberfläche er mehr als einmal angegriffen hatte. Glichen sich eineiige Zwillinge wie ein Ei dem anderen, so gab es doch etwas, an dem man sie unterscheiden konnte: Fingerabdrücke - und diese würden die Wahrheit ans Licht bringen, davon war Abby fest überzeugt.

Fortsetzung folgt...
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