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„Stimmt etwas nicht?" Gibbs' Stimme hallte viel zu laut in Zivas Ohren wider. Sie und McGee saßen in dem Dienstwagen, der auf einer kleinen Anhöhe geparkt war und von dieser Position aus konnten sie das gesamte Areal überblicken. Sämtliche Gebäude wurden lediglich vom bleichen Halbmond beleuchtet, der hoch am Himmel stand.
Die junge Frau hob ein Fernglas an ihre Augen und versuchte durch die offene Tür in das Innere der Lagerhalle zu spähen, was jedoch auf Grund des ungünstigen Winkels nicht möglich war. „Sagen Sie uns das", antwortete ein Mann in dem Moment, in dem die Tür zur mittleren Lagerhalle geschlossen wurde und das bisschen Licht, welches nach draußen gedrungen war, durch nächtliche Schwärze ersetzt wurde. Ziva spürte sofort, dass etwas nicht stimmte und ihr stellten sich sämtliche Nackenhaare auf. Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass der Einsatz gerade nach hinten losging. Sie ließ das Fernglas sinken und blickte zu McGee, der neben ihr saß und konzentriert die Vorgänge im Inneren der Lagerhalle mit Hilfe eines Laptops verfolgte. Auf seinem Kopf hatte er ein Headset, über das er mit Abby in Kontakt stand. Sein Gesicht erschien in dem Licht des Bildschirmes ungewöhnlich bleich, was aber auch daran liegen konnte, dass er soeben eine Großaufnahme einer der Männer vor sich hatte, der sich Tony gefährlich näherte und plötzlich eine Waffe in der Hand hielt.
„Was soll das?" fragte der Agent und leichte Panik schwang in seiner Stimme mit. Anscheinend schienen die beiden gerade zu realisieren, dass sie in ziemlichen Schwierigkeiten steckten. Für eine Sekunde erschien Gibbs auf dem Bildschirm, der von einer zweiten Person in Schach gehalten wurde. „Verdammt", sagte McGee und versuchte nicht den Eindruck zu erwecken, er wäre nervös, obwohl seine Hände leicht zu zittern anfingen. „Was ist los?" wollte Ziva wissen und beugte sich zu ihrem Kollegen hinüber, damit sie auf den Laptop blicken konnte. Sie bekam gerade noch mit, wie ein Riese auf DiNozzo zuging und selbst aus dieser Entfernung ließ ihr der Typ einen kalten Schauer über den Rücken jagen. Seine Miene war unbewegt, strahlte aber dennoch eine Aura des Bösen aus, die ihnen mehr als unheimlich war. Eine große Hand erschien auf dem Bildschirm. Innerhalb einer Sekunde war der Verbrecher verschwunden und die beiden sahen nur noch grauen Betonboden.
„Hey!" rief Tony wütend und erinnerte sie daran, dass sie ihre Kollegen immer noch hören konnten. „Verdammt, was soll das?" fragte er. Ein paar Sekunden später war ein lautes Krachen zu hören, und auch die Stimmen waren verstummt. Stille breitete sich im Inneren des Wagens aus und hinterließ zwei Agenten, die erst realisieren mussten, was da gerade geschehen war. McGee saß leicht geschockt da und begann auf die Tastatur einzuhämmern, in der Hoffnung, wieder eine Verbindung herstellen zu können. Aber er wusste, dass es sinnlos war. Die Männer hatten die Ohrstöpsel entfernt und sie zerstört.
„Abby, bekommst du ein Signal?" fragte er in das Headset. „Nein, ich fürchte, wir haben den Kontakt verloren." Ihre sonst so fröhliche Stimme wurde nun von Angst beherrscht. „Was ist da nur passiert?" „Ich denke, ihre Tarnung ist aufgeflogen", antwortete Ziva und strich sich eine Strähne ihres Haares, die ihr ins Gesicht gerutscht war, hinter das rechte Ohr. Außen hin wirkte sie kühl und ruhig, aber in ihrem Inneren brodelte es. Ihr war bewusst, dass ihre Kollegen in Lebensgefahr schwebten, aber sie wusste, wenn sie jetzt etwas überstürzen würden, wären die beiden innerhalb von Sekunden tot – wenn das nicht bereits der Fall war. Eine nie gekannte Furcht überkam sie und nur mit Mühe schaffte sie es, sie zurückzudrängen. Panik würde die Situation nur verschlimmern und so atmete sie tief durch, um ihr Gehirn zu logischem Denken zu zwingen.
„Hast du den Typen identifizieren können, der Tony bedroht hat?" fragte Ziva, wieder ganz die professionelle Agentin. „Ja, habe ich", antwortete Abby prompt und Aufregung ersetzte die Angst in ihrer Stimme. „Ich schicke die Daten auf McGees Computer." Kurz darauf erschien ein Foto auf dem Bildschirm, das genauso wie das lebende Subjekt mehr als bedrohlich wirkte. Er war noch jünger, aber unverkennbar der Gangster, obwohl er auf dem Bild fast schulterlange blonde Haare hatte und ein einfaches weißes T-Shirt trug.
„Marvin Brown, 36 Jahre alt", begann die Forensikerin. „Geboren und aufgewachsen in Houston. Bereits im Alter von 16 Jahren hat er das erste Mal im Gefängnis gesessen - wegen Diebstahls. Seitdem wuchs sein Vorstrafenregister, das jetzt länger als mein neuer schwarzer Schal ist, der übrigens äußerst…" „Abby!" unterbrach sie McGee. „Bleib beim Thema." „Entschuldige. Also, wo war ich? Ah ja, Marvin saß bis vor zwei Jahren wegen Einbruchs und Körperverletzung. Ab diesem Zeitpunkt verliert sich seine Spur. Es gibt keine bekannte Adresse und bei seinen Eltern ist er auch nicht untergekommen, da beide vor vier Jahren bei einem Autounfall getötet wurden. Die einzige Verwandte die er noch hat, ist seine Schwester Melinda, 30 Jahre alt, wohnhaft in Washington. Wartet, ich schicke euch ein Bild." Ein paar Sekunden später wurde ein Gesicht neben Marvin sichtbar, was Zivas Herzschlag in die Höhe jagte. „Mein Gott", flüsterte sie und blickte zu McGee, der sie verständnislos betrachtete. „Was ist?" fragte er und runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht vorstellen, weshalb seine Kollegin so geschockt von dieser Frau war, zumal sie sehr attraktiv war. Sie war das genaue Gegenteil ihre Bruders – zierlich und hatte ein liebliches Gesicht. Nur die blonden Haare und die hellblauen Augen wiesen darauf hin, dass sie verwandt waren.
„Das ist Tonys Freundin", antwortete Ziva und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass sie diese Tatsache komplett aus der Ruhe brachte. „Ich habe sie einmal gesehen, als sie ihn vom Hauptquartier abgeholt hat. Das war vor ungefähr zwei Wochen." Sie schauderte bei der Erinnerung, dass der Begrüßungskuss der beiden viel länger ausgefallen war, als es üblich war. Tim begriff, was seine Kollegin damit sagen wollte. Geschockt blickte er auf das Foto der jungen Frau, die aussah, als ob sie keiner Fliege etwas zu Leide tun konnte. „Glaubst… glaubst du etwa, sie steckt in dem Waffendeal mit drinnen?" wollte er wissen und kratzte sich am Kopf. „Wie drückt es Gibbs immer so schön aus: es gibt keine Zufälle und ich denke, in diesem Fall trifft das ebenfalls zu." „Das ist ja echt verrückt. Tony hat eine Freundin, die kriminell ist", meinte Abby. „Ob er das weiß?" „Nun, wahrscheinlich findet er es in diesem Moment heraus", erwiderte Ziva und fuhr sich mit einer Hand über ihr Gesicht. Jetzt war ihr auch klar, weshalb die Tarnung der beiden aufgeflogen war und sie hatte das Gefühl, dass ihnen die Zeit davon lief. „Hat Melinda auch ein Vorstrafenregister?" fragte sie neugierig. „Allerdings, jedoch nicht so ellenlang wie das ihres Bruders", antwortete McGee, der die Informationen von seinem Laptop abrief. „Im Alter von 20 Jahren beging sie innerhalb von einem Monat 10 Ladendiebstähle und saß deswegen einmal kurz im Gefängnis. Anschließend ist sie von Houston nach Washington gezogen und wurde eines Tages aufgegriffen, als sie versuchte, Diebesgut außer Landes zu schmuggeln. Seit etwa einem Jahr ist sie wieder auf freiem Fuß und seitdem hat sie nicht einmal einen Strafzettel kassiert." „Sieht so aus, als ob sie sich mit ihrem Bruder zusammengetan hat", sagte Ziva. „Jetzt können wir nur hoffen, dass sie genug an Tony hängt, um ihn so lange am Leben zu lassen, bis wir da drinnen sind. Das Ganze gilt natürlich auch für Gibbs", fügte sie nach einem Seitenblick von McGee hinzu. „Los, holen wir sie da raus." Tim ließ sich das kein zweites Mal sagen, verabschiedete sich von Abby und stieg gemeinsam mit seiner Kollegin aus, die soeben mit den anderen Agenten in Kontakt trat, die auf dem gesamten Gelände verstreut waren. Vorsichtig gingen sie den kleinen Hügel hinunter und gelangten durch das offene Tor auf das Areal. Das einzige Geräusch kam von ihren Schritten und den zirpenden Grillen.
Es dauerte nicht lange, bis sie mit der Verstärkung vor dem Lagerhaus ankamen, in dem Tony und Gibbs verschwunden waren. Zwei der Männer schafften es innerhalb kürzester Zeit die nicht sehr stabile Tür einzutreten. Mit gezückten Waffen stürmten sie das Gebäude, fanden jedoch nur einen schwarzen Lieferwagen, der Holzkisten enthielt. Die Luft roch muffig und abgestanden. Die zahlreichen Taschenlampen der Agenten vertrieben die Dunkelheit und sie durchsuchten strategisch die große Halle.
„Ziva, ich habe etwas gefunden", sagte McGee und hielt die Brille in der Hand, die er vor ein paar Sekunden vom Boden aufgehoben hatte. Die Gläser waren leicht zerkratzt, aber ansonsten wirkte sie unversehrt. „Nur, wo sind sie?" fragte er schließlich, nachdem er die Brille in die Tasche seiner Jacke gesteckt hatte. Die junge Frau drehte sich einmal im Kreis und bemerkte den Gang, der links abzweigte. „Ich schätze, sie sind da lang", meinte sie und deutete in die Dunkelheit hinein. „Das ist jedenfalls der einzige Weg und sie haben garantiert die Lagerhalle nicht verlassen, da wir es sonst mitbekommen hätte. Außerdem sind die Waffen noch hier." Tim nickte zustimmend und winkte den Agenten, die noch immer verstreut herumliefen. „Na, dann mal los", meinte Ziva und entsicherte ihre Waffe. Sie wollte auf alle Fälle vorbereitet sein, falls sie auf einen der Verbrecher oder vielleicht auf die ganze Bande stoßen sollte. Innerlich betete sie, dass Tony und Gibbs noch am Leben waren, auch wenn die Chance dafür nicht allzu gut stand.

Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit stillstand, sämtliche Geräusche traten in den Hintergrund und ich konzentrierte mich nur auf die junge Frau. Sie wirkte entspannt, wie sie so vor mir saß und die Waffe direkt auf mich richtete, die für ihre kleine Hand beinahe zu groß war. Ihre langen Beine, die von einem für sie ungewöhnlich schlichten Rock verhüllt wurden, hatte sie lässig übereinander gelegt. Die bloße Haut an ihren Unterschenkeln schimmerte leicht in dem hellen Licht der Glühbirne – genauso wie die blonden Haare. Ihr dezent mit rotem Lippenstift geschminkter Mund verzog sich zu einem hämischen Grinsen, als sie meinen fassungslosen Gesichtsausdruck bemerkte. Obwohl wir über einen Monat zusammen gewesen waren und ziemlich viel Zeit miteinander verbracht hatten, hatte ich das Gefühl, eine Fremde vor mir zu haben. Zusammen mit den engen Miniröcken, die sie so gerne getragen hatte, war ihr dümmliches Blondinenimage verschwunden, welches sie ständig an den Tag gelegt hatte und hatte einer eiskalten Entschlossenheit Platz gemacht. Ihre hellblauen Augen, die mich oft voller Humor gemustert hatten, erinnerten mich jetzt an Eiskristalle und anstatt dass mir der Blick einen wohligen Schauer über den Rücken jagte, stellten sich auf meiner Haut sämtliche Härchen auf. Melinda schien mein Unbehagen zu spüren, denn ihr Lächeln wurde noch breiter, wobei es jedoch ihre Augen nicht erreichte. Ihr vorher so liebliches Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, den ich noch nie gesehen hatte und der mir mehr Angst machte, als die Tatsache, dass unsere Tarnung aufgeflogen war oder dass ich von einem riesigen Kerl festgehalten wurde, der mir langsam die Blutzufuhr des Armes abschnitt.
Nach endlosen Sekunden stellte die junge Frau ihre Füße nebeneinander auf den Boden, stand auf und kam langsam auf mich zu, wobei die Waffe ständig auf meine Brust zeigte. Sie war um einen Kopf kleiner und musste deshalb zu mir aufsehen, was sie aber nicht sonderlich zu stören schien. Einen Schritt vor mir blieb sie stehen, hob ihren freien Arm und strich mir federleicht mit einem Finger über mein Gesicht. Noch vor Tagen hätte ich diese Berührung genossen, aber jetzt rief sie in mir das genaue Gegenteil hervor. Ich versteifte mich und versuchte so zu tun, als ob sie in mir keine Empfindung hervorrufen würde. Melindas Blick schweifte zu meiner blutigen Nase, die sie mit einem leichten Stirnrunzeln zur Kenntnis nahm und sah dann zu dem Mann, der mich noch immer festhielt. „Marvin, ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht immer so hart zuschlagen", sagte sie und ließ mich los. Selbst ihre Stimme hatte sich geändert. Sie war nicht mehr schrill, sondern tiefer und ein wenig rauchig. Der Eindruck, eine fremde Person vor mir zu haben, verstärkte sich noch mehr.
„Tut mir leid, aber er ist ein Bulle und die kann ich überhaupt nicht ausstehen", antwortete der Angesprochene und verstärkte seinen Griff, sodass ich leicht zusammenzuckte. „Und wie ich bereits vorhin erwähnt habe, sind wir keine Bullen sondern Bundesagenten", erwiderte ich ärgerlich. „Da gibt es einen bedeutenden Unterschied, aber den werden Sie wahrscheinlich…" „Tony", unterbrach mich Gibbs und schüttelte warnend seinen Kopf. In seinen Augen lag ein ungekannter besorgter Ausdruck und da diese Sorge mir galt, hielt ich prompt den Mund. Mir war klar, wenn ich die Wörter, die mir auf der Zunge lagen, aussprechen würde, war eine blutige Nase noch das kleinste Übel. Deshalb presste ich vorsichtshalber meine Lippen aufeinander und schwieg. Mit einem Mal war der Streit zwischen uns nur mehr zweitrangig und mir wurde bewusst, dass wir jetzt zusammenhalten mussten, um diese Situation zu überstehen. Tief in meinem Inneren hoffte ich, dass es in Zukunft eine Gelegenheit geben würde, bei der ich mich mit Jethro aussprechen konnte, aber bis es so weit war, mussten wir einer verrückten Bande von Waffenhändlern entkommen, die wahrscheinlich von einer Frau geleitet wurde, mit der ich im letzten Monat mehrmals im Bett gewesen war. Ekel packte mich, als ich daran dachte und ich schluckte ein paar Mal, um den bitteren Geschmack in meinem Mund loszuwerden.
Melinda wandte sich von mir ab und sah zu meinem Boss, der direkt neben mir stand und von einem weiteren Mann festgehalten wurde. Der Dritte hatte vor etwa einer Minute den Raum verlassen und war seitdem nicht wieder aufgetaucht. Mir war auch egal, wo er war, denn somit standen unsere Chancen, von hier zu entkommen, besser, als wenn wir es mit vier Personen zu tun hatten.
„Sie sind sicher Special Agent Gibbs", stellte die junge Frau fest und blickte in sein regloses Gesicht. Verschwunden war der besorgte Ausdruck und in seinen Augen lag ein kaltes Funkeln, das dem Melindas in nichts nachstand. „Tony hat mir bereits sehr viel von Ihnen erzählt und nicht alles davon war nett. Er behauptet, Sie würden ihn ständig mit Kopfnüssen bestrafen und die zahlreichen Überstunden, die Sie ihm aufgebrummt haben, waren für unsere Beziehung nicht unbedingt förderlich." Jethro sah zu mir und hob eine Augenbraue. „Ach, hat er das gesagt?" fragte er mit ruhiger Stimme, aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er innerlich brodelte wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. „Nun, dass mit den Kopfnüssen will ich nicht abstreiten, aber nicht alle Überstunden gehen auf mein Konto." Verwirrt trat Melinda einen Schritt zurück. „Was soll das heißen?!" fuhr sie ihn an und wedelte dabei mit der Waffe vor seinem Gesicht herum. „Das heißt", übernahm ich die Antwort, wobei ich Gibbs verfluchte, dass er unbedingt die Wahrheit sagen musste, „dass ich manchmal freiwillig länger gearbeitet habe." Sie verstand die Botschaft hinter den Worten und ihre Augen funkelten zornig. „Ich habe ja gewusst, dass du nicht mit mir zusammen sein willst!" schrie sie mich an und ihre mir allzu bekannte schrille Stimme kehrte wieder zurück. „Du enttäuschst mich wirklich, Tony!" Ich schnaubte und erwiderte: „Ach ja? Und was ist mit dir? Ich bin nicht derjenige, der verschwiegen hat, dass er seinen Lebensunterhalt mit kriminellen Machenschaften verdient. Und ich habe das Gefühl, dass unsere Beziehung von vornherein eine Lüge war, oder?" Überrascht stellte ich fest, dass Schmerz in ihren Augen aufglomm und ihre Hand, die die Waffe hielt, fing leicht zu zittern an. „Zugegeben, ich habe dich damals in der Bar deswegen angesprochen, weil ich wusste, dass du beim NCIS arbeitest", sagte sie und straffte ihre Schultern. „Ich hatte gedacht, wenn du dich in mich verliebst, würde ich dir mühelos entlocken können, was ihr alles bei euren Ermittlungen über Schmugglereien mit Waffen herausfindet und ob ein Verdacht besteht, ob ihr uns zu nahe kommt. Aber mit der Zeit wurdest du mir richtig sympathisch und ich habe angefangen dich zu mögen." Ihre Stimme war immer leiser geworden. Ihre Worte trafen mich härter als Marvins Schlag vor ein paar Minuten. Ich fühlte mich beschmutzt und ausgenutzt, obwohl ich bereits länger wusste, dass ich Melinda nicht liebte und auch nie geliebt hatte. Dennoch schmerzte mich das Wissen, dass sie nur mit mir zusammen gewesen war, um mir Informationen zu entlocken. „Und das soll ich dir glauben?" fragte ich laut und bemerkte mit einer gewissen Genugtuung, wie sie zusammenzuckte. „Es ist die Wahrheit", meinte Melinda und ließ die Waffe ein wenig sinken. „Ich habe zu meinem Bruder gesagt, dass ich nach diesem Deal aussteigen werde, weil ich in Betrachtung gezogen habe, mit dir ein neues Leben zu beginnen." Ihre Worte berührten mich auf eine seltsame Art, aber dennoch verdrängten sie das Gefühl, ausgenutzt worden zu sein, nicht. „Dein Bruder?" fragte ich überrascht. „Das bin ich", antwortete Marvin hinter mir und sein warmer Atem strich mir über mein linkes Ohr. „Aber dann musste ich etwas erfahren, was mich sehr verletzt hat und weshalb ich meine Entscheidung wieder rückgängig gemacht habe." Melinda trat einen Schritt zurück und sah abwechselnd zu Gibbs und mir, der dem Gespräch zwischen uns schweigend gelauscht hatte. „Anscheinend stehst du neuerdings auf Männer", sagte sie verächtlich und hob erneut ihre Waffe. „Ich habe Marvin in den Club geschickt, damit er Nathan und Rafe beobachtet und ein paar Fotos schießt, um sicher zu gehen, dass sie auch wirklich die sind, die sie eben sind. Die Idee mit der Knutschecke kam von mir. Und als er mit den Bildern zurückkam und sie mir zeigte, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen." Melinda wurde immer lauter und ihre Stimme hallte laut in dem kleinen Raum wider. „Zuerst dachte ich, es wäre ein dummer Scherz, aber mein Bruder versicherte mir, dass diese Szene echt war. Zu diesem Zeitpunkt ging er noch davon aus, dass wirklich Rafe und Nathan in dem Club waren, aber ich belehrte ihn eines Besseren. Kannst du dir vorstellen, was das für ein Schock für mich gewesen ist, als ich erkannt habe, dass mein Freund minutenlang mit einem Mann rumknutscht?! Und Marvin hat gemeint, dass ihr nicht mehr die Finger voneinander lassen konntet. Mir wurde bewusst, dass ihr euch nur als die beiden Waffenschmuggler ausgebt, aber dennoch hat es mich verletzt. Ich habe immer geglaubt, du würdest auf Frauen stehen und ich habe niemals damit gerechnet, dass du für einen Undercovereinsatz so weit gehst. Ich habe mir einzureden versucht, dass alles nur gespielt war, aber Marvin versicherte mir, dass der Kuss zwischen euch beiden mehr als nur echt war." Obwohl mir ihre Worte Unbehagen einflößen sollten, taten sie es nicht - ich fühlte mich nicht einmal schuldig. „Soll ich mich jetzt etwa entschuldigen?" fragte ich und erwiderte trotzig ihren Blick. „Das kannst du vergessen. Und soll ich dir noch etwas verraten? Ich habe Gibbs' Küsse mehr genossen als deine." Ich war mächtig sauer und das ließ ich die junge Frau spüren, obgleich ich in dieser brenzligen Situation den Mund nicht so weit aufreißen sollte. Jethro hielt für einen kurzen Moment die Luft an und stieß sie dann in einem Zug wieder aus. Marvin hingegen versetzte mir einen harten Schlag in meine rechte Seite, der mich halb einknicken ließ. „So redest du nicht mit meiner Schwester", zischte er boshaft. Gnadenlos durchfuhr mich der Schmerz, aber ich richtete mich wieder auf und ignorierte ihn einfach. Melinda sah mich verletzt an und eine Sekunde später kehrte die eiskalte Entschlossenheit zurück. Sie hob die Waffe, sodass die Mündung direkt auf mein Herz zielte, welches anfing, wie wild in meiner Brust zu schlagen. Mir war bewusst, dass ich den Bogen gerade gewaltig überspannt hatte, aber meine Worte waren lediglich die reine Wahrheit gewesen.
Ich sah zu Gibbs, der meinen Blick erwiderte und erneut erschien der besorgte Ausdruck in seinen Augen. Er ballte seine Hände zu Fäusten, denn auch ihm war nicht entgangen, dass sich die Stimmung in dem Raum plötzlich verändert hatte. Spannung lag in der Luft, die beinahe knisterte und nur darauf wartete, sich zu entladen. „Ich bin von dir enttäuscht, Tony", sagte Melinda erneut und seltsam ruhig, aber dennoch drohend. „Marvin hat mir vorgeschlagen, euch beide sofort umzulegen, aber ich wollte unbedingt sehen, wie du darauf reagierst, wenn du erfährst, dass ich nicht die bin, für die du mich gehalten hast. Und dein Gesichtsausdruck war eine kleine Entschädigung dafür, dass du mich derart verletzt hast." Adrenalin rauschte durch meine Adern, als sie die Waffe entsicherte. Das Geräusch hallte laut in dem Raum wider und ließ mich zusammenzucken. Gibbs neben mir spannte sich an und sagte: „Legen Sie die Waffe nieder. Wir finden auch anders eine Lösung." „Halten Sie die Klappe!" herrschte sie ihn an. „Sie sind doch an allem schuld! Aber ich kann Ihnen sagen, dass Sie Tony niemals bekommen werden! Wenn ich ihn nicht haben kann, dann wird das niemand!" Schweiß bildete sich auf meiner Stirn, als mir bewusst wurde, was sie damit meinte. „Melinda, das bringt…" „Hör auf!" schrie sie und nickte Marvin zu, der mich daraufhin losließ und zur Seite trat. Bevor ich auch nur realisieren konnte, dass ich nicht weiter festgehalten wurde, bog sie ihren Zeigefinger über den Abzug und kurz darauf ertönte ein lauter Knall, der von den Wänden um ein Vielfaches verstärkt wurde.

Fortsetzung folgt...
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