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„Jetzt komm mir nicht wieder mit so einer fadenscheinigen Ausrede!" schrie meine derzeitige Freundin so laut ins Telefon, dass ich die Befürchtung hatte, mein Trommelfell werde gleich platzen. Ziva, die ihren Platz direkt gegenüber von mir hatte, konnte sich ein Grinsen nicht mehr verkneifen, als ich den Hörer ein wenig von meinem Ohr weg hielt.
„Beruhige dich, Melinda", versuchte ich die Situation ein wenig zu entspannen, nur schien sie diesmal wirklich auf 180 zu sein. Ich sah die junge Frau vor mir, wie sie in ihrer kleinen Wohnung auf und ab trippelte, ihre langen Beine in hochhackige Pumps gezwängt, die farblich zu dem engen Minirock passten. Ihr süßer runder Po würde bei jedem Schritt hin und her wackeln und sicher ringelte sie sich gerade eine Strähne ihrer langen blonden Locken um einen ihrer Finger, während sie mit schriller Stimme mit mir schimpfte.
„Ich soll mich beruhigen?!" kreischte sie so laut, dass ich zusammenzuckte. „Wir haben diesen Abend seit einer Woche geplant und du hast mir versprochen, da zu sein! Wenn du nicht mit mir zusammen sein willst, dann sag es doch gleich!" Ich verdrehte meine Augen gen Himmel und betete, dass endlich Rettung nahen würde, egal in welcher Form. „Brauchst du Hilfe?" fragte meine Kollegin und grinste noch breiter. Ich schnitt ihr eine Grimasse und widmete mich erneut dem Problem namens Melinda. „Natürlich will ich mit dir zusammen sein, Baby", erwiderte ich und fragte mich gleichzeitig, ob das überhaupt stimmte. Was faszinierte mich eigentlich an dieser Frau – außer ihr üppiger Vorbau? Nun, ihre nervtötende Stimme war es garantiert nicht.
„Nenn mich nicht Baby, wenn wir uns streiten!" Ich war jetzt echt kurz davor, einfach aufzulegen. Was regte sie sich überhaupt so auf? Okay, wir hatten wirklich seit einer Woche vorgehabt, an diesem Abend gemeinsam essen zu gehen, aber ich konnte doch nicht ahnen, dass Gibbs uns gleich zu Überstunden verdonnerte, nur weil wir einen neuen Fall bekommen hatten.
Kaum hatte ich an den Chefermittler gedacht, stand er auch schon vor mir und starrte finster auf mich herunter, zweifelsohne, weil ich die Füße auf dem Tisch hatte. Ich schluckte den Kloß hinunter, der sich in meinem Hals urplötzlich gebildet hatte und setzte mich sofort aufrecht hin. Sein Blick war wieder einmal mehr als tödlich und so hielt ich es für besser, nicht so auszusehen, als ob ich hier rumlümmeln würde.
„Mitkommen, DiNozzo", befahl der Chefermittler knapp und der Ton in seiner Stimme ließ keine Verzögerung zu. Wollte er mich jetzt bestrafen, nur weil ich die Füße auf dem Tisch gehabt hatte? Oder hatte ich sonst irgendetwas angestellt, von dem ich noch nichts wusste?
„Hör zu, ich muss Schluss machen. Wir…" „Wage es ja nicht, aufzulegen!" kreischte mir Melinda erneut ins Ohr. „Sofort!" befahl Jethro und ging davon. Ich wusste, wenn ich ihn nicht rechtzeitig einholen würde, bevor er sein Ziel erreichte – wo das auch immer sein mochte – konnte ich mich auf eine Kopfnuss der Superlative gefasst machen. „Wir reden später weiter", sagte ich und legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten. Erleichtert darüber, dieses Gespräch endlich hinter mich gebracht zu haben, stand ich auf und eilte Gibbs nach, der bereits hinter der nächsten Ecke verschwunden war.
Verwundert registrierte ich, dass er einen der Verhörräume ansteuerte, die Tür aufmachte und mir ungeduldig entgegenblickte. „Heute noch, Tony." ‚Der ist wohl heute Morgen mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden', dachte ich und betrat den spärlich eingerichteten Raum. Unwillkürlich dachte ich daran, wie ich hier gesessen hatte und verhört wurde, weil man mich wegen Mordes verdächtigt hatte. War ich denn schon wieder in so eine Situation geraten? Wenn dem so wäre, würde ich jetzt lieber die Auseinandersetzung mit Melinda fortführen. Ich hatte jedoch keine Chance zur Flucht, denn der Chefermittler warf die Tür mit einem lauten Krachen, das mich zusammenzucken ließ, ins Schloss und schmiss die beiden Akten, die er in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch. Anschließend trank er einen großen Schluck Kaffee, atmete tief durch und schien sich langsam zu beruhigen. Da er immer noch keine Anstalten machte, ein Wort zu sagen, überlegte ich, weshalb er so schlecht gelaunt war und da kam mir plötzlich in den Sinn, dass heute sein Hochzeitstag mit Ex-Frau Nummer zwei war. Und ich hatte das Vergnügen, mit ihm alleine in dem Verhörraum zu sein, ohne Hilfe in Sicht.
Die Stille wurde immer drückender und so beschloss ich, den Anfang zu machen, in der Hoffnung, ich würde meinen Kopf behalten. „Weshalb wolltest du mich sprechen?" fragte ich und stellte erleichtert fest, dass sich Gibbs nicht auf mich stürzte, sondern sich auf einen Stuhl niederließ. „Setz dich", sagte er überraschend ruhig, und das Gefühl, irgendetwas angestellt zu haben, verstärkte sich noch mehr. „Habe ich etwas verbrochen?" Über Jethros Gesicht huschte ein kurzes Lächeln und er erwiderte: „Wie kommst du darauf?" „Nun, wir sind hier in einem Verhörraum, du hast Akten dabei und siehst aus, als ob dir eine gemeine Laus über die Leber gelaufen ist. Könnte aber auch daran liegen, dass dich sicher Ex-Frau Nummer zwei…" „Setz dich, DiNozzo", unterbrach er mich und blickte mich aus funkelnden blauen Augen an. Die Tatsache, dass ich beinahe seinen Hochzeitstag erwähnt hätte, schien ihn nicht sonderlich aus der Bahn zu werfen, was mich ein wenig beunruhigte.
Zögernd ließ ich mich auf dem anderen Stuhl nieder und stellte erleichtert fest, dass ich mit dem Rücken zu dem Einwegspiegel saß, was bedeutete, ich war nicht hier, um verhört zu werden.
„Ich hatte gerade eine nette Unterredung mit Direktor Sheppard", begann Gibbs und trank erneut einen Schluck Kaffee. Da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte, schwieg ich und wartete, dass er fortfahren würde. Er öffnete die beiden Akten, holte zwei Bilder daraus hervor und drehte sie mir zu, so dass ich die beiden Gesichter mustern konnte, die mit Schnittwunden übersät waren. „Die wurden heute bei Ducky abgeliefert, oder?" fragte ich. Zu diesem Zeitpunkt waren wir ebenfalls in der Pathologie, da wir uns das Ergebnis der Autopsie von einem ermordeten Commander anhören wollten. Verwirrt blickte ich zu dem Chefermittler. „Was haben wir damit zu tun? Dieser Fall wurde uns nicht übertragen." „Jetzt schon." Er trank seinen Kaffee aus und stellte den leeren Becher neben sich. „Und was ist mit unserem Fall?" „Den übernimmt ein anderes Team." Schön und gut, aber das erklärte noch lange nicht, weshalb er mich alleine sprechen wollte, noch dazu in einem Verhörraum.
„Die Namen der beiden lauten Rafe Cooper…", Gibbs zeigte auf den Mann mit den grauen Haaren „… und Nathan Edison. Jedenfalls steht das in ihrem Pass." „Falsche Identitäten?" fragte ich. „Ja. Es wurden die Fingerabdrücke überprüft und insgesamt kamen 10 Namen dabei heraus. Jedes mal haben sie ihr Aussehen ein wenig verändert und sich neue Namen zugelegt. Die beiden Männer sind gesuchte Waffenschmuggler." „Und wieso übernimmt nicht die Polizei den Fall?" wollte ich wissen und betrachtete stirnrunzelnd die Bilder. „Weil sie militärische Waffen schmuggeln, besonders solche, die aus den Beständen der Navy verschwinden." „Wie sind sie gestorben?" „Bei einem Autounfall heute Nacht. Anscheinend ist der Wagen wegen überhöhter Geschwindigkeit von der Straße abgekommen und gegen einen Baum geprallt. Direktor Sheppard ist der Ansicht, dass sich die beiden nicht zufällig hier aufhielten, sondern dabei waren, einen Auftrag auszuführen." Mein Gesicht hellte sich auf und Freude durchflutete mich. Kam jetzt das, was ich dachte, das jetzt kam?
Gibbs schien zu ahnen, was in mir vorging, denn er schüttelte leicht den Kopf und fuhr fort: „Wir sollen uns als Rafe Cooper und Nathan Edison ausgeben, um so an die Hintermänner ran zu kommen." Ein breites Grinsen huschte über mein Gesicht und ich erwiderte: „Klasse. Ich liebe Undercovereinsätze." Das würde sicher aufregend werden, das spürte ich genau. Aber die nächsten Worte holten mich auf den Boden der Tatsachen zurück. „Freu dich nicht zu früh, DiNozzo. Ich habe dir noch nicht alles erzählt." Verwirrt hob ich eine Augenbraue. Was kam denn noch? Gibbs räusperte sich und er fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare. Täuschte ich mich, oder wirkte er eine Spur verlegen? „Die beiden da…", er deutete auf die Bilder, „… waren ein Paar." Zuerst dachte ich, ich hätte mich verhört, aber seine Miene ließ keinen Zweifel zu. „Du meinst, sie waren schwul?" „So direkt wollte ich das eben nicht ausdrücken. Aber ja, das waren sie." „Oh", meinte ich dazu und auf einmal wurde mir bewusst, was das bedeutete. „Das ist jetzt nicht dein Ernst." „Das habe ich zu Jen auch gesagt." Ich konnte gerade noch verhindern, dass mir der Unterkiefer auf die Tischplatte krachte. Meine Freude über den Undercovereinsatz hatte sich in Entsetzen umgewandelt. „Also, wir beide sollen…", begann ich, brach aber ab, weil ich die Worte nicht über meine Lippen brachte. Allein die Vorstellung, mich als jemanden auszugeben, der auf Männer stand, fand ich abartig. Jethro lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schien erleichtert, endlich die Worte losgeworden zu sein. „Damit ich das richtig verstehe", wagte ich einen erneuten Versuch, wobei meine Stimme ungewohnt kratzig klang. „Direktor Sheppard will, dass wir beide uns als homosexuelle Waffenschmuggler ausgeben? Sie will, dass wir so tun, als wären wir ineinander verliebt und ein Paar?" Gibbs nickte zur Bestätigung und ich lachte daraufhin laut auf, obwohl mir gar nicht danach zu Mute war.
„Vergiss es, Boss. Frag doch McGee, ob er da mitmacht." „Seien wir ehrlich, McGee würde doch gar nicht zu mir passen", erwiderte er und blickte mich aus seinen blauen Augen an. „Außerdem hat er nicht einmal entfernt Ähnlichkeit mit einem dieser Männer." „Etwa ich?" fragte ich etwas zu laut. Das Ganze war doch der reinste Witz. Wie konnte die Direktorin nur für eine Sekunde annehmen, ich würde da mitmachen?
„Ein wenig schon", sagte der Chefermittler ungewohnt sanft. Ich schnaubte verächtlich. „Verdammt, Tony, meinst du, mir gefällt das? Aber es ist nun mal unsere einzige Möglichkeit, an die Hintermänner ran zu kommen. Und denk daran, was diese Waffen anrichten, wenn sie in die falschen Hände geraten – was sie ohne Zweifel auch werden." „Das ist nicht fair", murmelte ich. „Ich weiß, aber genauso hat mich Jen auch dazu gebracht, bei diesem Irrsinn mitzumachen." Sollte mich dieses Geständnis etwa umstimmen? Unwillkürlich sah ich Gibbs und mich vor mir, wie wir Hand in Hand eine Straße entlanggingen und hin und wieder zärtliche Küsse austauschten. Mich schüttelte es und ich fuhr mir über die Augen, um dieses Bild aus meinem Kopf zu vertreiben.
„Das ist doch absurd", sagte ich. „Ich kann doch nicht so tun, als ob ich schwul wäre. Weiß Direktor Sheppard nicht… ich meine, ihr ist schon klar, dass ich auf Frauen stehe, oder?" „Glasklar, genauso wie mir." Ich schüttelte den Kopf und blickte auf die Tischplatte. „Für mich ist das Ganze auch nicht einfach – zumal du nicht rothaarig bist." Abrupt sah ich auf. „Das ist nicht witzig, Boss." „Wie dem auch sei, vielleicht hilft es dir, eine Entscheidung zu fällen, wenn du weißt, dass die beiden eine Suite im Four Seasons reserviert haben." Mir klappte der Mund auf und ich spürte, wie ich weich wurde. „Im Four Seasons? Eine Suite?" Ich kam mir wie ein Papagei vor, da ich seine Worte wiederholte. „Ja, und der NCIS würde die Kosten übernehmen." Unwillkürlich fing ich zu grinsen an, als ich daran dachte, wie ich von vorne bis hinten bedient wurde, wahrscheinlich von hübschen Kellnerinnen und dann erst die Zimmermädchen. Aber dann fiel mir wieder ein, dass ich denen ja nicht nachsehen durfte, immerhin wäre ich ja... Nein, ich würde den Satz jetzt nicht vollenden.
Ich blickte zu Gibbs, der mich erwartungsvoll musterte. „Müssen wir im selben Bett schlafen?" fragte ich und dachte an das Schlafzimmer, in dieser bestimmt großartigen luxuriösen Suite. „Wahrscheinlich. Wir müssen ja den Schein wahren." Ich schluckte. „Und was ist mit… du weißt schon…" Ich beugte mich ein wenig vor, aus Angst, irgendwer könnte uns belauschen. „… Händchen halten oder… ein wenig kuscheln?" Bei diesen Worten kam ich mir mehr als albern vor und schon allein bei der Vorstellung so zu tun, als ob ich meinen Boss lieben würde, verspürte ich den Drang, laut loszuschreien. Aber Gibbs schien sich ebenfalls nicht wohl in seiner Haut zu fühlen, was mich ein wenig beruhigte. „Nur wenn es die Situation erfordert. Und, machst du es?" Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen. Später würde ich mich sicher dafür hassen. „Dafür bekomme ich aber eine fette Gehaltserhöhung." Ein Lächeln huschte über seine Züge und er sagte: „Mal sehen. Also kann ich Direktor Sheppard sagen, dass du dabei bist?" Ich seufzte und nickte. „Ja, das kannst du ihr sagen." Er stand auf und ich erhob mich ebenfalls. Auf einmal kam mir der Raum sehr klein vor und ich brauchte dringend frische Luft. Ich eilte zu der Tür, riss sie auf und stürmte auf den Gang hinaus. „Tony?" Gibbs' Stimme ließ mich inne halten und ich drehte mich noch einmal um. Er stand hinter mir, den leeren Kaffeebecher in der einen Hand, die Akten in der anderen. „Wir treffen uns in 20 Minuten bei Abby." Ich nickte, als Zeichen dafür, dass ich ihn verstanden hatte, und eilte davon. Vorbei an McGee und Ziva, die mir sicher verwundert hinterher sahen und zum Treppenhaus, denn der Fahrstuhl war mir jetzt definitiv zu langsam.
Immer wieder spukten mir dieselben Wörter im Kopf herum: Ich, Anthony DiNozzo, würde so tun, als ob ich homosexuell wäre. Das war der Witz schlechthin. Aber wenigstens würde das Ganze im Four Seasons über die Bühne gehen – eine kleine Entschädigung für die Strapazen, die sicher auf mich zukommen würden. ‚Womit habe ich das nur verdient?' fragte ich mich und entschied, die Schuld auf meine Auseinandersetzung mit Melinda zu schieben.

Genau 19 Minuten nach dem Gespräch mit Gibbs betrat ich Abbys geheiligte Hallen, mit einem Kaffeebecher in der Hand. Normalerweise trank ich ihn mit Haselnusssirup, aber heute brauchte ich ihn schwarz und stark. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich bei diesem Undercovereinsatz mitmachte. Aber Jethro hatte Recht, wenn er behauptete, McGee würde nicht zu ihm passen. Er war einfach nicht der Typ, dem man eine homosexuelle Rolle abkaufen würde und er hatte wirklich keine Ähnlichkeit mit einem der Toten. Schon alleine die Vorstellung, die beiden würden in einer Ecke wild knutschen, war lachhaft. Aber der Gedanke, dass mir das passieren könnte, hatte mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und hatte dazugeführt, dass ich mich jetzt mit Koffein voll pumpte, obwohl mir der Sinn nach etwas Hochprozentigem stand. Nur wäre es nicht angebracht, wenn ich diesen Einsatz stockbetrunken angehen würde, auch wenn es ihn sicher um einiges leichter machen würde.
Mit der Hoffnung im Gepäck, in den nächsten Tagen Gibbs nicht küssen zu müssen, trat ich vollends in den Raum und erst jetzt bemerkte ich, dass keine laute Musik mein Gehör peinigte. Normalerweise dröhnte ein Song aus den Lautsprechern, von dem man den Text nur erahnen konnte, aber heute war alles still. Eine Sekunde später kannte ich den Grund. Ziva und McGee standen bei Abby und sahen mir mit neugierigen Blicken entgegen. Die leicht fassungslose Miene Tims, das kleine Zucken um Davids Mundwinkel und das erwartungsvolle Grinsen der Forensikerin verrieten mir, dass sie bereits über den Einsatz Bescheid wussten. Wenigstens würde es mir erspart bleiben, sie aufzuklären, dass ich in den nächsten Tagen schwul wäre – eine Tatsache, mit der ich mich immer noch nicht anfreunden konnte und es nie würde.
„Was ist?" fragte ich und zog eine Augenbraue in die Höhe. „Habe ich irgendwo einen schwarzen Fleck in meinem Gesicht, oder weshalb starrt ihr mich alle so an?" McGee musterte daraufhin verlegen seine Schuhe und Ziva gab es vollends auf, ihr Grinsen zurückhalten zu wollen. Abby hingegen kam auf mich zu und nahm mich fest in den Arm. „Das ist so tapfer von dir, Tony", sagte sie und drückte mich an sich. „Dass du so etwas machst." „Ja, das hätten wir dir alle nie zugetraut", mischte sich die junge Agentin ein. „Es muss für dich sehr schwer sein, so zu tun, als ob du auf Männer stehen würdest." Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand. „Freut mich, dass du dich köstlich amüsierst. Stell dir vor, Gibbs hätte meinen Vorschlag angenommen und McGee zu seinem Partner auserkoren", sagte ich, als mich Abby wieder losgelassen hatte. „Was?" Tim hob abrupt seinen Kopf und starrte mich erschrocken an. „Du hast mich schon richtig verstanden, Bambino. Aber der Boss hätte gemeint, dass du…" Bevor ich jedoch den Satz zu Ende bringen konnte, traf mich harter Klaps auf den Hinterkopf. „Wenn es nach mir ginge, würde keiner bei diesem idiotischen Einsatz teilnehmen", sagte Gibbs leise hinter mir. Er ging an mir vorbei, trank einen Schluck aus seinem Kaffeebecher und wandte sich an Abby: „Wie weit bist du?" Aufgeregt hüpfte sie zu ihrem Computer und tippte etwas in die Tastatur. „Ich bin gerade dabei, eure Fingerabdrücke unter den neuen Decknamen zu speichern. Die Pässe und Führerscheine sind in Arbeit." Sie blickte auf ihre Armbanduhr. „Sie müssten in etwa drei Stunden fertig sein. Und da wäre noch etwas." Die junge Frau drehte sich um und blickte mich an. Das Funkeln in ihren Augen gefiel mir gar nicht und so beschloss ich, erst einmal einen Schluck Kaffee zu trinken, der bereits leicht ausgekühlt war. „Nathan Edison oder wie sein richtiger Name auch immer lauten mag, das wissen wir ja nicht, da er oft seine Identität gewechselt hat und keiner kann deshalb sagen, wie…" „Abbs!" unterbrach ich sie in bester Gibbs Manier. „Komm auf den Punkt." „Tschuldigung. Also, was ich damit sagen wollte, ist, dass dieser Mann einen Ohrring trägt. Und, na ja…" Sie verzog ihren dunkel geschminkten Mund ein wenig, „… du hast keinen." „Das ist mir bewusst", erwiderte ich, aber dann dämmerte mir, was sie damit sagen wollte. „Nein, nein und nochmals nein. Da muss es eine andere Lösung geben." „Tut mir leid", meinte Abby, tippte etwas in ihre Tastatur und auf dem Plasmabildschirm erschienen 10 Bilder von Nathan Edison. „Jedes Mal hat er sein Aussehen geändert, also, sich die Haare wachsen oder schneiden lassen, färbige Kontaktlinsen benutzt, solche Sachen eben, aber er hat immer diesen silbernen Ohrring getragen. Tja, und es wäre schon ein wenig auffällig, wenn er plötzlich kein Loch mehr im Ohr hätte." Ich schluckte, trank meinen Kaffee in einem Zug aus und schmiss den Becher in den nächstbesten Mülleimer.
„Hast du etwa Angst vor dem einen kleinen Piekser, Tony?" fragte Ziva eine Spur gehässig und grinste mich an. „Nein, habe ich nicht, Officer David. Aber ich bevorzuge es, keine Löcher in meinem Körper zu haben, egal welcher Art." „Jetzt stell dich doch nicht so an", mischte sich die Forensikerin ein. „Es tut nicht sonderlich weh und außerdem kannst du den Ohrring nach dem Einsatz wieder entfernen und es wird nach einiger Zeit wieder zuwachsen. Und wer weiß, vielleicht gefällt es dir sogar nach ein paar Tagen und du lässt ihn drinnen. Ich finde, er wird dir garantiert stehen. Ich meine, du bist einfach der Typ, der…" „Abbs", unterbrach sie diesmal Gibbs und sah mich schließlich abwartend an.
„Ich schätze mal, ich sollte froh sein, dass er kein Augenbrauenpiercing hat." „Heißt das, du machst es?" „Wenn ich schon so tue, als ob ich homosexuell wäre, dann ist so ein Ohrring noch das kleinere Übel." „Klasse." Abby sprang aufgeregt auf und ab, was mir gegen meinen Willen ein Lächeln auf die Lippen zauberte. „Dann hol ich mal die Ausrüstung. Die hat mir vor Jahren einmal ein Freund besorgt und seither habe ich einigen Bekannten bereits jeglichen Körperschmuck verpasst." „So genau wollte ich das nie wissen", meinte Gibbs und trank seinen Kaffee aus. Die Forensikerin eilte in den anderen Raum und fing an, in einem Schrank zu kramen.
„Und was ist unsere Aufgabe bei diesem Einsatz?" fragte McGee. „Du wirst im Hauptquartier die Stellung halten und von hier den Einsatz koordinieren", antwortete Jethro und schmiss den Becher weg. „Und Ziva wird sich als Zimmermädchen ausgeben." Mir entfuhr ein lauter Lacher, als ich ihr entsetztes Gesicht sah. „Das ist nicht dein Ernst, Gibbs", sagte sie. „War an meinen Worten etwas misszuverstehen, Officer David?" Er funkelte sie aus seinen blauen Augen an und ich genoss es, einmal nicht derjenige zu sein, der in diesen Genuss kam. „Kann das nicht McGee machen? Er hat doch das letzte Mal den Zimmerservice perfekt gespielt und…" „Du wirst um 18 Uhr im Four Seasons sein und die Suite, die sich Rafe Cooper und Nathan Edison reserviert haben, auf Wanzen durchsuchen." Nach schier endlosen Sekunden nickte sie. Anschließend wandte sich der Chefermittler mir zu. „Direktor Sheppard besorgt uns einen Sportwagen. Nicht dasselbe Modell, was die beiden gefahren haben, aber ein ähnliches." Mein Grinsen wurde noch breiter, bei der Vorstellung, hinter dem Lenkrad eines ultraschnellen Autos zu sitzen. „Um 19 Uhr werden wir von hier abfahren. Bis dahin kannst du die Zeit nutzen, und dir alles besorgen, was du in den nächsten Tagen so brauchst. Hat noch wer Fragen?" „Nein", antwortete Ziva und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich sah sie schon vor mir, in der Uniform der Zimmermädchen, wie sie im Bad die benützten Handtücher gegen Neue austauschte.
Ohne ein weiteres Wort verließ er das Labor, zweifelsohne, um sich einen weiteren Becher Kaffee zu besorgen. Abby kam gleich darauf zu uns zurück, mit einem Gerät in der Hand, was mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Aber da meine beiden Kollegen immer noch anwesend waren, wollte ich nicht zeigen, wie mulmig mir zu Mute war.
Die Forensikerin ging zu einem Tisch, nahm einen kleinen Gegenstand und gab ihn mir kurz darauf. „Hier", sagte sie. Es war ein silberner Ohrring. „Ist das etwa der gleiche, den dieser Edison getragen hat?" „Ja. Aber keine Sorge, ich habe ihn vorher desinfiziert." „Klasse." Misstrauisch betrachtete ich den Ring, den zuvor ein Toter getragen hatte.
„Es wäre besser, wenn du dich setzen würdest." Widerstrebend ließ ich mich auf einen Stuhl nieder. „Und du bist sicher, dass du weißt, was du tust." „Keine Bange, Tony, ich bin ein Profi." Abby nahm mit einer Hand mein rechtes Ohrläppchen und setzte das Mörderinstrument an. In mir stieg ein wenig Angst auf, denn ich hatte die Befürchtung, dass es trotzdem schmerzen würde. Ich schluckte, schloss die Augen, um die interessierten Mienen von Ziva und McGee auszublenden, und wartete darauf, dass sie sich an die Arbeit machte – was sie ein paar Sekunden später auch tat.

Fortsetzung folgt...
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