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Kurz nach 20 Uhr

Das Entsetzen, welches mich gepackt hatte, war jetzt, Stunden später, immer noch nicht von mir gewichen – im Gegenteil. Je mehr sich der Zeiger der Ziffer 10 näherte, desto nervöser wurde ich. Ich hatte keine Ahnung, wie es in so einem Schwulenclub zuging oder welche Sitten es da gab. Die Aussicht, einen überfüllten Raum betreten zu müssen, wo ich jederzeit von Männern angebaggert werden konnte, gefiel mir überhaupt nicht und wenn ich ehrlich war, würde ich jetzt eine ordentliche Schießerei bevorzugen oder einen Fallschirmsprung aus einem außer Kontrolle geratenen Flugzeug. Alles war besser als die Erfahrung, die ich in nicht einmal zwei Stunden machen musste und auf die ich gut und gerne verzichten konnte.
Gibbs hingegen schien die ganze Sache gelassener zu sehen. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass er nicht erschrocken wäre, als wir erfahren hatten, was das für ein Club war, aber er hatte sich viel schneller erholt als ich und ging die Sache viel nüchterner an – und mit seiner gewohnt schroffen Art. Äußerlich wirkte er beherrscht, aber wer wusste schon, wie es in seinem Inneren aussah? Vielleicht war er sogar noch nervöser als ich und bei dieser Vorstellung musste ich mir mehr als einmal ein Grinsen verkneifen. Alleine der Gedanke, dass Jethro ein derartiges Lokal besuchen würde, war mehr als komisch. Würde er dort überhaupt hinein passen? Ich konnte mir vorstellen, dass er mit seinen grauen Haaren aus der Menge herausstechen würde wie ein Blutfleck auf unberührtem Schnee. Vielleicht sollte ich ihm den Vorschlag machen, seine Haare noch zu färben, wobei ich mir sicher war, dass er mir dafür einen saftigen Klaps auf den Hinterkopf verpassen würde. Aber auch eine Kopfnuss würde ich jetzt in dieser Situation bevorzugen – gepaart mit der Gefahr einer Gehirnerschütterung.
Obwohl es bereits nach 20 Uhr war, verspürte ich überhaupt keinen Appetit. Gibbs hatte sich eine Kleinigkeit zum Essen bestellt, aber ich habe keinen Bissen davon angerührt. Eine seltene Situation, da ich praktisch immer Hunger hatte. Aber seit dem Gespräch mit Abby hatte ich eher das Gefühl, ein Magengeschwür zu entwickeln.
Ziva war um 19:30 Uhr in unser Zimmer gekommen, erneut mit dem süßen Zimmermädchenoutfit bekleidet. Diesmal hatte sie sich extra umgesehen, damit sie niemand bemerkte, wenn sie zu uns kam und auch am Flur war keine Person gewesen. Denn ihr Besuch würde sicher etwas länger dauern und damit sich keiner wunderte, weshalb eine Hotelangestellte so lange zum Aufräumen brauchte, war sie von Anfang an diskret vorgegangen.
„Hörst du mir überhaupt zu, Tony?" Zivas Stimme riss mich aus meinen Überlegungen und ich blinzelte verwirrt. Sie wedelte mit einer Hand vor meinen Augen herum und grinste dabei. „Na, bist du mit deinen Gedanken bereits in dem Club? Ich wette, du hättest es lieber, wenn es dort viele Frauen gäbe, die du anschmachten könntest. Ups, ich vergaß, du darfst ihnen ja nicht nachschauen." Ihr Lächeln wurde immer breiter. „Mach dich nur über mich lustig, Officer David", erwiderte ich betont gleichgültig. „Vielleicht kommt irgendwann ein Fall, wo du vorgeben musst, homosexuell zu sein – vielleicht mit Abby?" fügte ich kurz darauf noch hinzu. Das Grinsen verschwand aus ihrem Gesicht und ich hätte schwören können, dass sich ein Blitz aus ihren dunklen Augen in meine bohrte.
„Könnten wir wieder zum Thema zurückkommen oder wollt ihr euch weiter aufführen, als ob ihr im Kindergarten wärt?" fragte Gibbs wütend und das Funkeln in seinen Augen machte dem von Ziva ganz schön Konkurrenz. „Tschuldigung, Boss", sagte ich und nahm die Brille von meiner Kollegin entgegen, die ich bereits bei unserem gemeinsamen Undercovereinsatz getragen hatte. „Die hat mir Abby mitgegeben. So können wir alles auf dem Bildschirm mitverfolgen, was in dem Club passiert und vielleicht finden wir Männer, die vorbestraft sind oder polizeilich gesucht werden." „Und wieso kann die nicht Gibbs tragen?" „Weil ich nicht der Typ für Brillen bin, DiNozzo." „Ah, jetzt verstehe ich, weshalb du dir nie eine kaufst, obwohl du weitsichtig bist. Und habe gedacht, du bist nicht eitel." Für diesen Kommentar bekam ich prompt einen Klaps auf den Hinterkopf und ich verfluchte mich dafür, dass ich mich entschieden hatte, mich neben Jethro auf das Sofa zu setzen.
Um ihr hämisches Grinsen nicht zu zeigen, kramte Ziva erneut in ihrer weißen Schürze, holte eine kleine Schachtel heraus und öffnete sie. Darin lagen zwei Ohrstöpsel. „So können wir mithören, was in eurer Nähe gesprochen wird und wir können uns ebenfalls mit euch unterhalten. Falls etwas schief laufen sollte, werden zwei Agenten in der Nähe warten und sofort eingreifen." „Ich denke nicht, dass wir heute Abend in Schwierigkeiten geraten werden." „Außer wir werden von Männern abgeschleppt, die uns vernaschen wollen." Prompt erhielt ich eine weitere Kopfnuss. „Könntest du das lassen?" fragte ich erbost und rieb mir die schmerzende Stelle. „Ja, wenn du aufhörst, blöde Kommentare von dir zu geben, DiNozzo." „Also nie", erwiderte Ziva gehässig und grinste breit.
„Wir sollten uns langsam auf den Weg machen", sagte Jethro nach einem kurzen Blick auf die Uhr. „Ich will mich vorher noch ein wenig in dem Club umsehen, bevor wir uns zu Tisch 27 begeben." Meine Nervosität hatte durch die kleinen Streitereien mit Ziva ein wenig nachgelassen, aber bei diesen Worten kam sie doppelt so heftig zurück. Mein Herz schlug mit einer derart hohen Frequenz, die ich nie für möglich gehalten hätte und meine Hände wurden leicht feucht. „Tja, dann sollten wir uns mal umziehen", meinte ich so locker wie möglich und stand auf. „Ich werde ins Hauptquartier zurückfahren." Die junge Frau ging zur Tür, öffnete sie und drehte sich noch einmal um. „Viel Glück und natürlich Spaß." Bevor ich ihr eines der Kissen, die zahlreich auf der Couch lagen, nachschmeißen konnte, war sie verschwunden.


21:30 Uhr

Gibbs hatte unseren Wagen etwa einen Block vom Blue In entfernt geparkt und kramte nun nach seinem Handy, um McGee zu sagen, dass wir so weit wären. Während er wählte, betrachtete ich ihn etwas genauer. Heute Abend hatte sich Jethro erneut dazu entschlossen, eine blaue Jeans anzuziehen und dazu ein graues Hemd, welches seine blauen Augen betonte, die jetzt konzentriert durch die Windschutzscheibe blickten. Ich musterte sein Profil, beobachtete, wie er mit den Fingern der freien Hand auf dem Lenkrad herumtrommelte, um seine Ungeduld zu bezähmen, da Tim nicht sofort abhob. In meinem Magen stieg plötzlich ein Kribbeln auf, so als ob hunderte Ameisen darin herumlaufen würden und zum ersten Mal wurde mir bewusst, wie attraktiv Gibbs wirklich war. Eine Sekunde später erreichte seine Stimme mein Ohr, als er beinahe schrie: „Wieso hat das so lange gedauert, McGee?!" Abrupt riss ich meinen Blick von ihm los und starrte aus dem Seitenfenster in die Nacht hinaus. Was war denn nur mit mir los? Seit wann fand ich meinen Boss attraktiv? Und was sollte dieses alberne Kribbeln? Mit einer Hand fuhr ich mir über mein enganliegendes schwarzes T-Shirt, in der Hoffnung, so die Ameisen vertreiben zu können – vergeblich. Ich war mehr als durcheinander und wünschte, ich könnte mich irgendwo verkriechen, um alleine zu sein, um Gibbs' Gegenwart zu entfliehen. ‚Das ist doch verrückt', dachte ich und richtete mich auf. ‚Neben dir sitzt dein Vorgesetzter, der immer schlechte Laune hat, also hör auf, dich aufzuführen wie ein Idiot.' Ich fuhr mit einer Hand über meine Augen und schluckte, um meinen trockenen Hals zu befeuchten.
„Hör mit dem Rumgestottere auf, McGee", sagte Jethro und unwillkürlich glitt mir ein Grinsen über das Gesicht. Ich konnte mir vorstellen, wie mein junger Kollege nervös im Videokonferenzraum stand und alles beobachtete, was mich wieder daran erinnerte, dass ich eine Brille trug. Ich musste zugeben, sie ließ mich intelligent aussehen. „Wir machen uns jetzt auf den Weg." Er legte ohne ein weiteres Wort auf und steckte das Handy zurück in seine Hosentasche. „Alles klar, Tony?" „Sicher. Ich kann es kaum erwarten, da rein zu kommen." Ich öffnete die Tür und stieg aus. Warme Nachtluft empfing mich und linderte meine Nervosität ein wenig. Der erste Weg in diesem Club würde mich garantiert an die Bar führen, wo ich mir etwas Hochprozentiges bestellen würde. Vielleicht würde ich es dann besser hinbekommen, schwul zu sein.
Gibbs kam an meine Seite und sah mich an. „Hör zu, wir gehen da jetzt rein, schnappen uns das Kuvert und verschwinden wieder. Die paar Minuten wirst du wohl durchhalten, oder?" Ich nickte und er schien dies als Zustimmung aufzufassen. „Na los, bringen wir es hinter uns", sagte ich und streckte ihm meine linke Hand entgegen. Der Chefermittler zog eine Augenbraue nach oben, umschloss aber nach einer Sekunde meine Finger mit den seinen. „Es muss schließlich echt wirken", meinte ich und versuchte das Kribbeln zu ignorieren, das bei der Berührung unserer Hände erneut in mir aufgestiegen war.
So, als ob wir alle Zeit der Welt hätten, gingen wir die Straße entlang, auf der zahlreiche Nachtschwärmer unterwegs waren – überwiegend Männer, wie ich kurz darauf feststellte. Wir kamen dem Club immer näher und als wir um eine Ecke bogen, leuchtete vor uns ein blauer Schriftzug mit den Worten ‚Blue In' über einer Tür auf, die offen stand und laute Musik ins Freie ließ. Links stand ein Türsteher, der uns misstrauisch musterte, uns aber nicht aufhielt, als wir auf ihn zusteuerten und den Club betraten. Anscheinend war er mit unserer Erscheinung zufrieden oder er hatte den Befehl, uns durchzulassen.
Hand in Hand gingen Gibbs und ich einen kurzen Gang entlang, der von Lampen an der Decke erhellt wurde. Unsere Schritte wurden von einem dicken roten Teppich gedämpft, wobei man uns bei dieser lauten Musik ohnehin nicht hören konnte. Die Wände waren in weiß gestrichen und in regelmäßigen Abständen hingen Aktbilder von Männern an der Mauer. „Nette Umgebung", drang Abbys Stimme in mein Ohr und ich zuckte leicht zusammen. Ich hatte komplett vergessen, dass sie sich mit uns unterhalten konnte. „Aber das Lied könnte besser sein. Ist nicht gerade mein Fall." „Wir sind nicht hier, um uns über deinen Musikgeschmack zu unterhalten, Abbs", sagte Gibbs und dank der neumodischen Technik konnte ich ihn ebenfalls verstehen. „Alles klar bei euch?" fragte Ziva. „Sicher", erwiderte ich und schob einen schwarzen Vorhang zur Seite, der uns den Weg versperrte. „Wow", entfuhr es mir und ich vergaß für einen Moment, dass sich hier nur Männer aufhielten. Der Club war auf zwei Etagen aufgeteilt. Links und rechts führten zwei Treppen ins Obergeschoss. Die Stufen waren ebenfalls mit rotem Teppich ausgelegt. Vor uns erstreckte sich eine riesige Tanzfläche, auf der sich zahlreiche Männer rhythmisch zu der Musik bewegten. Viele hatten einen Partner und ließen ihre Körper, wie bei einem Paarungstanz, aneinander reiben. Bunte Lichter verliehen ihnen seltsame Farben, genauso wie die sich wild drehende Diskokugel.
Rechts hinten befand sich eine lange Bar, vor der viele Hocker aufgestellt waren, die alle besetzt waren. An der linken Wand waren Bänke mit roten Überzügen befestigt, auf der sich die Tänzer ausruhen konnten. Aber nirgendwo waren Tische mit Nummern, also nahm ich an, dass sie sich im Obergeschoss befinden mussten. Ob es da ein Restaurant gab?
„Schade dass das ein Schwulenclub ist. Die Location ist echt klasse", sagte Abby aufgeregt. „Los, mischt euch ins Getümmel." Ich warf Gibbs einen kurzen Blick zu und immer noch Hand in Hand gingen wir los, umrundeten die Tanzfläche und steuerten die Bar an. Auf dem Weg dorthin rempelte mich ein Typ mit langen braunen Haaren an. Er grinste mich an und fuhr sich langsam mit der Zunge über seine Lippen. Was er von mir wollte, war mehr als deutlich und ich musste mich zusammenreißen, um ihm nicht meine Faust ins Gesicht zu schlagen. Jethro zog mich weiter und der Kerl winkte mir hinterher. „Das ist ja abartig", sagte ich. „Was erwartest du, DiNozzo. Wir sind hier in einem Schwulenclub." „Ja, Tony. Die stehen halt auf dich", ertönte Zivas Stimme in meinem Ohr und ich sah sie ganz genau vor mir, wie sie breit grinste.
Unbeschadet erreichten wir die Bar und Gibbs ließ meine Hand los. Erleichtert nahm ich mir die Cocktailkarte, die vor meiner Nase stand und überflog die Getränke und blieb bei einem hängen: den Blue In Spezial. Da schien viel Alkohol drin zu sein und so winkte ich dem muskulösen Barkeeper, der auf seiner Glatze eine Schlange tätowiert hatte und bestellte den Cocktail. Mein Boss hingegen blieb bei einem einfachen Bier.
„Hey, Süßer", sagte jemand rechts neben mir und durch die laute Musik konnte ich ihn kaum verstehen. Ich drehte meinen Kopf und sah einen etwa 40-jährigen Mann vor mir, der gute 10 Zenitmeter kleiner war als ich. Die blonden Haare hatte er zu einer Stachelfrisur aufgetürmt und seine braunen Augen musterten mich von oben bis unten. Sein Körper steckte in einer schwarzen Lederkleidung und die Ausbuchtung in seiner Hose machte deutlich, dass er an mir interessiert war. Ich fühlte mich gar nicht mehr wohl in meiner Haut. „Bist du alleine hier?" wollte er mit sinnlicher Stimme wissen und lächelte schief. „Ähm", brachte ich nur heraus. „Nein, er ist mit mir hier", erwiderte Gibbs neben mir und beugte sich vor, um den Mann mit seinen blauen Augen zu fixieren. Ich fragte mich, wie er bei diesem Lärm überhaupt mitbekommen hatte, dass ich angesprochen worden war. Aber ich hatte schon immer gewusst, dass sein Gehör besser als seine Augen war. „Such dir deinen eigenen Freund", meinte er schroff, legte besitzergreifend einen Arm um meine Schultern und zog mich an sich – wodurch ich mich seltsam beschützt fühlte. Der Typ hob abwehrend die Hände. „Bin schon weg."
Zivas Kichern drang an mein Ohr. „Hat es Spaß gemacht?" Das war der reinste Albtraum und als der Barkeeper endlich den blaufärbigen Cocktail vor mich hinstellte, sog ich gierig an dem bunten Strohhalm, der es irgendwie schaffte, an den vielen Früchte und den Schirm vorbeizukommen. Die Flüssigkeit war stark, schmeckte leicht nach Cocos und Wärme breitete sich in meinem Magen aus. „Suchen wir Tisch 27", schlug Gibbs vor, nahm seine Bierflasche und führte mich durch die Männermenge, wo mich hin und wieder ein gieriger Blick traf.
„Jetzt könnte ich eine Dusche vertragen", sagte ich, als wir eine der Treppen erreicht hatten und nach oben gingen. Kurz darauf gelangten wir in die erste Etage und ich blieb wie angewurzelt stehen. Es handelte sich um einen großflächigen Balkon, der – wie könnte es auch anders sein – mit rotem Teppich ausgelegt war. Hier oben war die Musik nicht ganz so laut und man konnte beinahe eine normale Unterhaltung führen, nur tat das hier anscheinend niemand. Vor uns standen etwa ein dutzend Tische und bei jedem befand sich ein langes Sofa, worauf mehrere Leute Platz fanden. Mehr als die Hälfte war besetzt - von knutschenden männlichen Pärchen. Ich spürte, wie mir alle Farbe aus dem Gesicht wich und ich musste mich zusammenreißen, um nicht zurückzuweichen.
„Weißt du, was das ist?" fragte ich Gibbs entsetzt und drehte mich zu ihm um. „Ich bin ja nicht blind", antwortete er und seine Stimme klang seltsam belegt. Also fühlte er sich genauso unwohl wie ich, was mich ein wenig beruhigte. „Und ich glaube, ich habe gerade Tisch 27 entdeckt." Ich folgte seiner ausgestreckten Hand zu einem Platz in der linken hinteren Ecke, der nur darauf wartete, von uns eingenommen zu werden.
In der Hoffnung, das Bild würde sich verändern, schloss ich meine Augen, zählte bis drei und öffnete sie wieder. Aber alles war gleich geblieben, die sich wie wild küssenden Männer, die gemütlichen Sofas und der Tisch 27. Gibbs und ich waren in einer Knutschecke gelandet und es gab anscheinend nur einen Weg, um an das Kuvert zu gelangen…

„Komm mit", sagte Gibbs leise, nahm mich an der Hand und zog mich mit sich. Zuerst glaubte ich, dass wir zu dem Tisch gehen würden, aber wir steuerten eine Tür an, die ich vorher nicht bemerkt hatte, da ich von dem Anblick, der sich mir bot, zu entsetzt gewesen war. In silbernen Lettern stand Toilette auf dem schwarzen Holz und ich fragte: „Was wollen wir da drinnen?" „Wir haben noch sieben Minuten bis 22 Uhr und wir werden jetzt besprechen, wie wir das Ganze angehen." „Das wollte ich gerade ebenfalls vorschlagen", sagte McGee und erinnerte mich erneut daran, dass uns jeder zuhören konnte.
Jethro öffnete die Tür und schubste mich beinahe in den Raum, dessen Boden mit glitzernden hellbraunen Fliesen ausgelegt war. Die Wände waren in einem dazupassenden Gelbton gestrichen und es hingen ebenfalls Aktbilder von Männern an der Mauer. Rechts von der Tür befanden sich zwei Waschbecken mit einem großen Spiegel und anschließend fünf Kabinen. Die Toilette wurde von zahlreichen kleinen Lämpchen in der Decke beleuchtet.
Gibbs ließ mich los und öffnete jede Kabinentür, um zu prüfen, ob wir alleine waren. „Keiner da", meinte er kurz darauf und kam wieder zu mir. Ein wenig erleichtert lehnte ich mich an ein Waschbecken, trank einen großen Schluck des Cocktails und fragte leicht panisch: „Wieso müssen die unbedingt den Briefumschlag unter dem Tisch einer Knutschecke anbringen?" „Anscheinend wollen sie euch testen", antwortete Abby. „Du weißt schon, ob ihr auch die seid, für die ihr euch ausgebt." „Na klasse. Meinst du, es wäre auffällig, wenn wir uns dort einfach hinsetzen, unsere Drinks zu uns nehmen, das Kuvert schnappen und wieder abhauen, ohne dass wir… nun ja, fummeln?" wandte ich mich an Gibbs, der begonnen hatte, in dem Raum auf und ab zu laufen. „Mehr als auffällig", brummte er und nahm einen Schluck Bier. „Was machen wir jetzt?" „Wir können das Ganze abbrechen", meldete sich auf einmal Direktor Sheppard. „Ich würde verstehen, wenn ihr das nicht machen wollt und wir finden bestimmt einen anderen Weg, um an die Hintermänner heranzukommen. Schlussendlich liegt die Entscheidung bei euch." Ich sah zu Jethro, der stehen geblieben war und mich ansah. „Was meinst du?" fragte er mich und ich zuckte lediglich die Schultern. „Ich weiß nicht." Das Angebot, die Aktion abzubrechen, war mehr als verlockend, denn die Aussicht, in ein paar Minuten mit Gibbs wild rumzuknutschen, war nicht gerade verlockend und bereitete mir Übelkeit. Andererseits war das unsere Chance, die Verbrecher endlich dingfest zu machen. Vor meinen Augen sah ich unschuldige Menschen, die durch die Waffen in einem anderen Land umkamen oder schwer verletzt wurden. Ich hörte die Schreie der Verwundeten, die Hilferufe von Kindern, die ihre Eltern verloren hatten. Und um das verhindern zu können, brauchte ich nur einen Mann zu küssen – meinen Vorgesetzten, der mir tagtäglich eine Kopfnuss verpasste. Was war schon ein Kuss im Vergleich zum Tod von hunderten unschuldigen Menschen? Ich blickte zu Gibbs, sah ihm in seine blauen Augen und fällte eine Entscheidung. „In Ordnung", sagte ich und richtete mich auf. „Ziehen wir es durch." Überrascht hob er seine Augenbrauen. „Bist du dir sicher?" „Nein, aber es ist unsere einzige Möglichkeit, diese Männer zu finden. Bist du dir denn sicher?" Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. „Nein und die Aussicht, dich zu küssen, gefällt mir gar nicht, DiNozzo. Aber wie du bereits erwähnt hast, ist es unsere einzige Chance." „Also macht ihr es?" fragte Ziva und ihre Stimme klang ungewohnt verblüfft. „Ja", sagte ich bestimmt, obwohl mir dieses winzige Wörtchen mehr als schwer fiel. Ich konnte es nicht glauben, dass ich dieser Aktion tatsächlich zugestimmt hatte. „Ich weiß das zu schätzen, aber ihr braucht…" begann Jen, aber ich unterbrach sie prompt, was ich noch nie getan hatte und Gibbs zu einem weiteren Lächeln brachte. „Aber nur unter einer Bedingung", meinte ich. „Wenn wir das durchziehen, dann ohne dass uns jemand dabei zuhört oder zusieht." Ich blickte zu Gibbs, der nach ein paar Sekunden zustimmend nickte. „In Ordnung." „Das geht nicht", mischte sich McGee ein. „Wenn… nun ja… wenn etwas schief gehen sollte oder ihr in Schwierigkeiten kommt, werden wir das nicht wissen und können euch nicht helfen." „Wir kommen schon zurecht", erwiderte der Chefermittler. „Das könnt ihr nicht machen", versuchte Sheppard, uns umzustimmen. „Wir melden uns, sobald wir den Club verlassen haben." Jethro nahm seinen Stöpsel aus dem Ohr und streckte mir die Hand entgegen. Ich entfernte meinen eigenen, gab ihm das winzige Gerät und er ging zu einer der Kabinen, warf sie in die Toilette und spülte sie hinunter. „Sehr effektiv, Boss", sagte ich, nahm die Brille herunter, klappte sie zusammen und steckte sie in meine Hosentasche. „Meinst du, die haben dort draußen Wanzen angebracht oder beobachten uns?" „Keine Ahnung", erwiderte er. „Vielleicht gehören einer oder mehrere Männer zu den Verbrechern." „Das heißt, ab jetzt wieder unsere Decknamen?" „Genau." Ich atmete tief durch, nahm noch einen Schluck der blauen Flüssigkeit. „Na dann, bringen wir es hinter uns." Gibbs nickte zögerlich, was ich bei ihm noch nie gesehen hatte. „Nervös?" fragte ich, als er mich erneut bei der Hand nahm. „Das geht dich gar nichts an, DiNozzo." „Stell dir einfach vor, ich wäre rothaarig", erwiderte ich und mit diesen Worten brachte ich ihn tatsächlich zum Lachen.

Kurz darauf traten wir aus der Toilette und gingen ohne Umschweife zu Tisch 27. Ein weiteres Pärchen war in der Zwischenzeit heraufgekommen und hatte sich einen Platz gesucht und sie waren bereits mit sich beschäftigt. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen und ich wünschte mir, ganz weit weg zu sein. Ich bereute meine Entscheidung jetzt schon, aber ich wusste, es gab kein Zurück mehr. Außerdem verließ sich Direktor Sheppard sicher auf uns, dass wir das Kuvert besorgen würden.
Ich hatte das Gefühl, ein Felsbrocken so groß wie der Mount Everest drückte mir auf die Brust und erschwerte mir das Atmen, aber trotzdem ließ ich mich brav neben Jethro auf dem Sofa nieder, das überraschend weich und gemütlich war - es wäre perfekt für ein Nickerchen. Er stellte die Bierflasche auf den Tisch, bückte sich und tat so, als ob er sich den rechten Schuh neu binden würde. „Alles klar, es ist hier", sagte er gleich darauf und richtete sich auf. Seine Stimme drang nur gedämpft zu mir durch, was einerseits auf die Musik zurückzuführen war, die von unten heraufdröhnte und andererseits auf das laute Rauschen meines Blutes in den Ohren. Ich unterdrückte den Impuls, den Cocktail in einem Zug auszutrinken, stellte das Glas auf den runden Tisch und drehte mich zu Jethro um. Er rückte näher an mich heran, sodass wir nur noch ein paar Zentimeter Luft zwischen unseren Gesichtern hatten. Mein Herzschlag erhöhte sich um ein Vielfaches und ich ballte meine Hände zu Fäusten, um ihr Zittern zu unterdrücken. Gibbs' Atem strich warm über meine Haut und ich blickte in seine blauen Augen, in denen ich eine Spur Angst erkannte - also war er genauso nervös ich. ‚Das ist doch Wahnsinn', dachte ich, als ich meinen Kopf nach vor beugte. Eine Sekunde später trafen sich unsere Lippen und meine erste Reaktion war: zurückzucken. Jethro schien zu spüren, was ich vorhatte und legte blitzschnell eine Hand in meinen Nacken und zog mich näher zu sicher heran, sodass ich keinen Ausweg mehr hatte.
Seine Lippen waren überraschend weich und lagen zärtlich auf meinen. Ich schloss zögerlich meine Augen und spürte, wie ich mich zuerst anspannte und schließlich entkrampfte. Gibbs' Finger streichelten sanft meinen Nacken und jagten mir einen Schauer über den Rücken. Unwillkürlich rückte ich noch näher an ihn heran und umfasste mit meiner rechten Hand seinen Unterarm. Mir wurde leicht schwindelig und die Ameisen in meinem Magen kamen erneut zurück. Sie strömten aus und überzogen meinen gesamten Körper mit einem Kribbeln. Unser Kuss war verhalten, aber trotzdem schaffte er es, eine Barriere in meinem Gehirn zu durchbrechen. Meine Zurückhaltung wurde immer schwächer und ich öffnete meinen Mund, um mit meiner Zungenspitze seine Unterlippe entlangzustreichen. Jethro schien die Botschaft zu verstehen, denn kurz darauf gewährte er mir Einlass. Sein Geschmack überflutete meine gesamten Sinne – eine Mischung aus Bier und sein ureigenes männliches Aroma. Seine Zunge strich seitlich an meiner entlang, zuerst langsam und dann immer fordernder. Unser Kuss wurde leidenschaftlicher und mein Körper reagierte mit einer Intensität darauf, die ich nie für möglich gehalten hätte. Erregung stieg in mir auf und breitete sich rasend schnell aus. Die Musik und Hintergrundgeräusche wurden immer leiser und drangen nur mehr als Summen an mein Gehör. Ich vergaß die Umgebung und spürte einfach Gibbs' Nähe, seinen Körper und seine weichen Lippen. Meine Finger fuhren seinen Unterarm, den sie vorher umschlossen hatten, hinauf, seinen Bizeps, Schulter und seitlich am Hals entlang, um schließlich seinen Hinterkopf zu erreichen. Ich vergrub meine Hand in seinen Haaren und zog ihn noch näher zu mir heran, aus Angst, er würde sich zurückziehen.
Während unsere Zungen einen kleinen Kampf ausfochten, ließ er meinen Nacken los und schickte seine Finger über meinen Rücken auf Erkundungstour. Ich spürte, wie er sich meiner Hüfte näherte, mein T-Shirt ein wenig nach oben schob und sich seine Hand warm auf meine Haut legte. Diese Berührung riss mich abrupt in die Wirklichkeit zurück und ich löste meine Lippen von seinen. Ich öffnete meine Lider und sah direkt in Gibbs' blaue Augen, die ein wenig verschleiert wirkten. Sie hatten eine ungewohnt dunkle Farbe angenommen, aber vielleicht lag das auch nur an dem gedämpften Licht, welches hier oben herrschte. Wir beide atmeten schwer - wobei ich mir in meinem Fall sicher war, dass dies nicht nur von Sauerstoffmangel herrührte – und mein Herz schlug wie wild in meiner Brust. Mein Gegenüber hatte auf mich eine Anziehungskraft, die ich nie für möglich gehalten hätte und auf einmal störte es mich gar nicht mehr, dass er meine bloße Haut berührte. Meine eigene Hand war noch immer in seinen grauen Haaren vergraben und wir blickten uns seit mehreren Sekunden tief in die Augen, ohne dass ich das Bedürfnis hatte, dies zu unterbrechen. Der ganze Auftrag rückte in den Hintergrund und für mich zählte auf einmal nur das Hier und Jetzt. Erstaunen lag in Jethros Augen, ein Gefühl, das ich nur zu gut kannte.
Ich öffnete meinen Mund, um etwas zu sagen, aber er legte mir prompt einen Finger auf meine Lippen. Wir beide wussten, ein einziges Wort und die Stimmung wäre zerstört. Als er sicher war, dass ich nicht sprechen würde, legte er seine Hand an meine linke Wange und streichelte mit dem Daumen sachte über meine Haut – ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen. Das Blau seiner Augen wurde noch um einen Tick dunkler und erinnerte mich an einen wunderbaren Sommerhimmel im August. Die Zeit schien mit einem Mal still zu stehen und ohne nachzudenken, zog ich Gibbs' Kopf wieder zu mir heran. Er ließ es widerstandslos geschehen und kurz darauf trafen sich unsere Lippen zu einem weiteren leidenschaftlichen Kuss.

Fortsetzung folgt...
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