- Text Size +
Irgendwo in Washington
Zur selben Zeit


Ein lautes und vor allem nervtötendes Klingeln riss ihn aus seinem wohlverdienten tiefen Schlaf. Er lag in seinem äußerst breiten, gemütlichen Bett, in dem sicher drei Personen Platz finden konnten. Das Licht seiner teuren Nachttischlampe hüllte die Umgebung in ein gedämpftes und angenehmes Licht. Das Buch das er angefangen hatte zu lesen, bevor ihn Morpheus mit seinen Armen umschlungen hatte – Mord im Orientexpress von Agatha Christie - ruhte aufgeschlagen auf seiner Brust. Im Hintergrund lief leise klassische Musik und lullte ihn mit weichen Tönen vollkommen ein. Aber da war das schrille Klingeln seines Handys, das die Idylle, die er sich mit viel Geld geschaffen hatte, störte. In seinem Job verdiente er nicht so viel, dass er sich den ganzen Luxus leisten konnte, den er sich gönnte, aber dank der kriminellen Machenschaften, die er nebenbei fabrizierte, scheffelte er ziemlich viel Kohle. In seiner Kindheit war er arm gewesen, seine Eltern hatten für einen lausigen Hungerlohn gearbeitet und ihren Sohn mehr schlecht als recht durchgefüttert. Aber das war jetzt vorbei. Er konnte sich leisten was er wollte, allerdings brachte dies auch Einschränkungen mit sich. So lud er nie seine Arbeitskollegen zu sich nach Hause ein, aus Angst, sie würden dahinter kommen, weshalb er sich so viel mehr kaufen konnte als die anderen. Wenn er sich schon mit ihnen traf, dann nur in einer Bar.
Mit geschlossenen Augen und leise vor sich hinfluchend, tastete er blind nach seinem Handy, klappte es auf und brummte ein ärgerliches „Ja." Zuerst hörte er nur ein lautes Rauschen, statisches Knistern und dann lautes Atmen. Er wollte schon wieder auflegen, als er endlich eine Stimme vernahm. „Boss, ich bin es, Gary." Mit einem Mal war er munter und vergessen war seine Wut, dass er aus dem Schlaf gerissen worden war. Jetzt erinnerte er sich auch wieder, weshalb er sich überhaupt ein Buch geschnappt und zu lesen begonnen hatte – weil er auf eine Nachricht seiner Männer gewartet hatte. Er öffnete seine Augen und setzte sich auf. Vor ihm schälten sich die teuren Möbel des Schlafzimmers aus der Dämmerung und erinnerten ihn daran, dass er all dies von einer Sekunde auf die andere verlieren konnte. „Habt ihr das Handy?" fragte er sofort und schwang seine Beine über den Rand der gemütlichen Matratze. Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen und plötzlich überkam ihn ein ungutes Gefühl. Sein jahrelang antrainierter Instinkt sagte ihm, dass etwas schief gelaufen war. Gegen seinen Willen verkrampfte sich sein Magen schmerzhaft und ballte sich schließlich zu einem großen Knoten zusammen.
„Es ist etwas dazwischengekommen", meldete sich Gary nach endlos erscheinenden Sekunden. Seine Stimme klang ungewohnt ängstlich, so als ob er seinen maßlosen Zorn fürchten würde. „Was ist passiert?!" schrie er ins Handy, nicht einmal darum bemüht, leise zu sein. „Jerry ist tot", kam nach einem kurzen Zögern die Antwort. „Dieser verdammte Bundesagent hat ihn einfach abgestochen. Ich bin draußen geblieben und habe die Umgebung im Auge behalten. Man weiß ja nie, wer so vorbeikommt. Und dabei habe ich durch das Küchenfenster mitbekommen, wie dieser DiNozzo auf Jerry eingestochen hat. Er hat ihn einfach umgebracht!" Jetzt war es an Gary zu schreien. Immerhin hatte er gerade seinen Freund verloren, der mit ihm seit Jahren durch dick und dünn gegangen war. Sie hatten zusammen so viel erlebt und nun würde er wieder alleine durch die Welt wandern müssen.
„Wieso bist du auch draußen geblieben?!" schrie er seinen Mitarbeiter an, sprang auf und begann, in seinem Schlafzimmer auf und ab zu gehen. Er hatte ja gewusst, dass irgendetwas schief gehen würde. Hätte er die ganze Sache doch nur selbst in die Hand genommen.
„Es war Jerrys Idee gewesen. Er hat gemeint, er würde das alleine hinbekommen und ich habe ihm vertraut. Außerdem war noch jemand anderes in dem Haus und er hat befürchtet, wenn wir beide einbrechen würden, dann wäre die Gefahr, dass wir entdeckt werden, viel zu groß."
Der Mann rang nach Atem und unterdrückte seine Wut. Verdammt, wieso hatte Gary nur auf seinen Freund gehört? Immerhin war dieser nicht ganz dicht in der Birne. Allerdings hatte er gerade etwas erfahren, was für ihn neu war. „Was soll das heißen, bei DiNozzo war noch jemand anderes? Hatte er etwa Damenbesuch?" „Nein, es war keine Frau bei ihm, sondern ein Mann. Wenn ich mich nicht täusche, war es sein Boss. Wie war sein Name gleich noch mal?" „Gibbs", erwiderte er ohne lange nachzudenken und vor seinen Augen entstand das Bild des NCIS Chefermittlers. „Genau, der war es. Die beiden haben den Abend gemeinsam verbracht und keiner der beiden hat das Haus verlassen." „Sie haben wahrscheinlich nur ein Bier miteinander getrunken." Er verstand nicht, weshalb Gary derart aufgeregt war, nur weil zwei Arbeitskollegen miteinander etwas tranken. Himmel, er tat es ja auch ständig, nur nicht bei sich zu Hause, sondern in einer Bar. „Ich muss dich enttäuschen, Boss. Die beiden haben kein Bier miteinander getrunken, sondern sind regelrecht übereinander hergefallen, wenn du verstehst was ich meine. Jerry und ich haben eine kleine Runde um das Haus gedreht, wobei uns natürlich keiner gesehen hat, bei dieser Dunkelheit und dem Regen. Jedenfalls konnten wir problemlos einen kurzen Blick ins Wohnzimmer werfen und die beiden waren ziemlich miteinander beschäftigt."
Ihm fiel beinahe die Kinnlade hinunter, als der gewaltige Redefluss von Gary an seine Ohren drang. Vor seinen Augen entstand das Bild von Anthony DiNozzo, der auf ihn eher den Eindruck eines Schürzenjägers machte und der jeder jungen Frau unter den Rock blickte. „Soll das heißen, er hat eine Affäre mit seinem Vorgesetzten?" fragte er sicherheitshalber noch einmal nach. „Das habe ich doch gerade gesagt, oder etwa nicht?" Sein Untergebener klang leicht beleidigt und in seiner Aufregung, ihm alles zu erzählen, schien er vergessen zu haben, dass sein Freund vor kurzem getötet worden war.
Diese neue Information musste er erstmal verdauen und so setzte er sich wieder auf das Bett. Am Nachmittag hatte er sich über die Agenten in dem Team, zu dem DiNozzo gehörte, erkundigt und dabei herausgefunden, dass Gibbs dreimal verheiratet gewesen war. Und jetzt hatte er etwas mit einem seiner Mitarbeiter? Die Welt war schon verrückt. Andererseits eröffneten sich damit ganz neue Möglichkeiten, endlich an das Handy zu kommen. Momentan schien es nicht so zu sein, als ob es bereits gefunden worden war, aber was noch nicht war, konnte ja noch werden.
„Wo bist du?" fragte er, stand erneut auf und öffnete seinen Kleiderschrank. An Schlaf war jetzt nicht mehr zu denken. „Ich bin auf dem Weg zu unserem Versteck. Wieso?" „Gut. Warte dort auf mich. Ich bin so schnell ich kann bei dir." „Was hast du vor, Boss?" wollte Gary wissen, dem natürlich nicht entgangen war, dass ihn etwas in Aufregung versetzte. Außerdem war die Wut aus seiner Stimme verschwunden. „Das werde ich dir nachher erklären", erwiderte er und unterbrach – ohne sich zu verabschieden – die Verbindung. Er warf das Handy auf sein Bett uns schnappte sich eine frische Hose. In dieser Nacht hatte er zwar einen Fehlschlag einstecken müssen, aber dies würde sich bald ändern. Während er sich anzog, verfeinerte er den Plan, der sich vor ein paar Minuten in seinem Gehirn gebildet hatte. Das Schicksal würde sich bald zu seinen Gunsten wenden, das spürte er genau.

Fortsetzung folgt...
You must login (register) to review.