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Das laute Klingeln der Türglocke ließ mich ungewohnt heftig zusammenzucken und Gibbs und ich fuhren auseinander. Ich brauchte ganze zwei Sekunden, bevor ich realisierte, dass unsere Kollegen angekommen waren. Während unseres Kusses hatte ich doch tatsächlich vergessen, dass wir noch Besuch erhalten würden, auch wenn dieser Besuch nicht freiwilliger Natur war. Am liebsten würde ich sie einfach draußen stehen lassen, denn ich wusste, wenn sie mein Haus betraten, würde die grausame Wirklichkeit zurückkehren. Ziva und McGee würden in den verschiedenen Räumen nach eventuellen Spuren suchen und versuchen herauszufinden, wie der Einbrecher es geschafft hatte, bei mir einzudringen. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, wie es für Opfer eines Verbrechens war, wenn man in ihrem Haus alles auf den Kopf stellte, um irgendwelche Hinweise zu finden. Und heute Nacht betraf es mich selbst. Meine beiden Kollegen würden wohl jeden Winkel durchsuchen und dabei keine Rücksicht auf meine Privatsphäre nehmen. Allerdings würden sie wohl keine prekären Sachen bei mir finden, denn meine ganzen Herrenmagazine hatte ich nach dem Undercovereinsatz entsorgt. Zwar fand ich noch immer, dass die Bilder in den Zeitschriften nett anzusehen waren, aber sie reizten mich überhaupt nicht mehr. Seit dem Abend, an dem ich mit Jethro zum ersten Mal intim geworden war, interessierten mich weder Playboy noch FHM oder die ganzen anderen Hochglanzmagazine, die es zu kaufen gab. Für mich waren sie jetzt nur mehr bunt bedrucktes Papier.
„Ich glaube, unsere Zweisamkeit ist dahin", sagte mein Freund und riss mich damit aus meinen Grübeleien. Ich seufzte leise und löste mich sanft aus seiner Umarmung. „Und ich glaube, wir sollten sie nicht allzu lange im Regen stehen lassen", erwiderte ich und wollte schon aufstehen, als er mir eine Hand auf meinen Unterarm legte. „Lass mal, ich gehe schon." Ohne mir die Chance der Widerrede zu lassen, stand er auf und sah sich noch einmal kurz um, bevor er sich zu mir umdrehte. „Du hast nicht zufällig eine Ahnung, wo mein Polo Shirt ist, oder?" fragte er und runzelte die Stirn. Bei seinen Worten erinnerte ich mich wieder daran, dass ich es, bevor mich der Einbrecher überrascht hatte, auch nicht gesehen hatte. „Tut mir leid, ich habe keine Ahnung", antwortete ich ihm und sah zu, wie er sich sein Jackett nahm. „Das letzte Mal, dass ich es in der Hand gehabt habe, war, als ich es dir ausgezogen habe. Aber ich bin mir sicher, dass es wieder auftauchen wird."
Es klingelte erneut und gleich darauf war ein Klopfen zu hören. „Ich schätze mal, da wird jemand ungeduldig", gab ich ein wenig hämisch von mir und beobachtete Gibbs, wie er sich seine Haare richtete. Ich konnte mir richtig gut vorstellen, wie Ziva ärgerlich ihr Gesicht verzog, weil sie so lange warten musste. McGee würde sich nervös umsehen und sich fragen, weshalb niemand öffnete und Ducky wäre die Ruhe selbst und würde wahrscheinlich auch in einer Minute noch an der selben Position stehen, während er den anderen eine seiner unendlich langen Geschichten erzählte.
Innerhalb von Sekunden verwandelte sich Jethro wieder in den brummigen Chefermittler, aber ich wusste, wie es in seinem Inneren wirklich aussah. Er zupfte sein Jackett gerade und ging dann zur Tür, um die anderen einzulassen. Ihre Stimmen drangen an meine Ohren, aber ich konnte die Worte nicht verstehen - allerdings bemühte ich mich auch nicht sonderlich, mich darauf zu konzentrieren. Ich versuchte mir stattdessen eine Ausrede einfallen zu lassen, weshalb der Pathologe nicht in meinem Gesicht herumdrücken sollte.
Schritte näherten sich und ich sah Ziva, McGee und Ducky, gefolgt von Gibbs und Palmer, mein Wohnzimmer betreten. Sie hatten die komplette Ausrüstung dabei, bereit, sie zu verwenden. Tim und die Ex-Mossad Agentin blickten sich neugierig um und Palmer schien nur Augen für meine Krimisammlung zu haben. „Ich bin beeindruckt", sagte die junge Frau schließlich und wandte ihre Aufmerksamkeit mir zu. „Ich hätte eher angenommen, du würdest wie in einem Hühnerstall leben." Unwillkürlich lachte ich auf und erntete dafür einen mörderischen Blick. „Es heißt Schweinestall", korrigierte ich sie und schenkte ihr ein hämisches Grinsen. „Ist doch egal wie es heißt. In beiden stinkt es bestialisch", gab sie bissig zurück. „Übrigens, du hast da ein wunderschönes Veilchen, Tony", setzte sie hinzu und jetzt war es an ihr, mich anzugrinsen. „Das tut sicher weh." Ich öffnete bereits meinen Mund, um ihre eine Retourkutsche zu verpassen, aber Gibbs kam mir zuvor. „Seid ihr beiden endlich fertig?" fragte er und in seiner Stimme war sein üblicher schroffer Ton zurückgekehrt. Er schenkte uns beiden einen funkelnden Blick und ich konnte nicht einmal sagen, ob er echt oder gespielt war. Aber darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken und ignorierte mein Herz, das angefangen hatte, schneller zu schlagen, als der schlecht gelaunte Chefermittler an die Oberfläche zurückgekehrt war. Irgendwie machte ihn das noch attraktiver.
„Tschuldigung, Boss", sagte ich und sah ihn gespielt zerknirscht an. Seine Mundwinkel zuckten leicht, aber er hatte sich gleich darauf wieder unter Kontrolle. „Ziva und McGee, ihr kümmert euch um die Fotos, Laser und Skizzen. Der Tote liegt in der Küche." Jethro zeigte auf die entsprechende Tür. „Ducky, würdest du dir die Verletzungen von Tony ansehen? Es könnte sein, dass seine Nase gebrochen ist." „Ach was", erwiderte ich. „Mir geht es bestens. Es wird nicht…" Ich unterbrach mich aber selbst, als sich Gibbs zu mir hinunterbeugte und leise sagte: „Das hatten wir vorhin doch schon einmal. Lass dich von Ducky untersuchen. Es ist nur zu deinem Besten." Sein Atem strich warm über meine Haut und ich konnte nur mühsam verhindern, dass ich ihn an mich zog. Er sah mich voller Liebe an – die anderen bemerkten davon nichts, da er ihnen den Rücken zukehrte - und ich wurde weich wie Butter. „Na schön, du hast mich überredet", gab ich schließlich nach und er nickte zufrieden. „Ich bin bei Ziva und McGee in der Küche und bringe sie auf den neusten Stand." Damit winkte er seinen Kollegen zu, ihm zu folgen und verschwand durch die Tür. „Und was soll ich machen?" fragte Palmer und trat von einem Fuß auf den anderen. „Sie können schon einmal eine oberflächliche Untersuchung vornehmen", antwortete Ducky. Jimmy fing an zu strahlen und in seiner Überschwänglichkeit wäre er beinahe gestolpert. Ein Hauch von Rot überzog seine Wangen und auch er verschwand schließlich. Zurück blieben der Pathologe und ich.
„Nun, dann wollen wir mal sehen", sagte er und setzte sich zu mir auf die Couch. „Wie ist das überhaupt passiert?" wollte er wissen, legte seinen Hut auf den Tisch und nahm mein Gesicht in seine Hände, um es in die richtige Position zu bringen. „Ich hatte das Pech, dass der Einbrecher ausgerechnet mit der Hand zugeschlagen hat, in der er die Waffe gehalten hat", antwortete ich ihm. „Er hat mich mit dem Lauf getroffen." „Kein Wunder, dass du so ein hübsches Veilchen hast, wie es Ziva so nett ausgedrückt hat." Er drückte an der Prellung herum und ich zuckte zusammen, verkniff mir aber einen Schmerzensschrei. „Hmmm", machte Ducky und ließ von mir ab. „Das ist nichts Ernstes. Die Prellung wird noch ein paar Tage wehtun und in allen Farben schillern, aber dann verschwinden. Deine Nase hat auch etwas abbekommen?" „Ja, ich habe ziemlich viel geblutet, aber Jethro hat mich wunderbar verarztet. Kaum zu glauben, dass er sich plötzlich so viele Sorgen um mich macht." Ducky, der seine Hände bereits erhoben hatte, um sich an die Untersuchung zu machen, hielt inne und in seine Augen trat Verständnis. „Ah", sagte er und ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. „Dann warst du also heute Abend nicht alleine?" Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Ich schüttelte den Kopf und lächelte glücklich. „Nein, war ich nicht. Ich habe deinen Rat befolgt und mit ihm gesprochen. Und du hattest Recht. Es ist alles gut geworden." „Na, das wurde aber auch Zeit", meinte der Pathologe und tätschelte mir väterlich den Oberschenkel. „Ihr beiden habt auch lange dafür gebraucht. Aber ihr wollt es den anderen wohl noch nicht sagen?" „Wir wollen noch ein wenig warten. Jethro meinte, dass es sinnvoller wäre, wenn sich Ziva und McGee auf ihre Arbeit konzentrieren und nicht darauf, dass wir jetzt ein Paar sind." „Und was ist mit Abigail?" „Sie wird es mit den anderen erfahren." „Und du bist damit einverstanden?" wollte Ducky wissen und begann nun, an meiner Nase herumzudrücken, was erstaunlicherweise gar nicht so wehtat. „Na ja, mir wäre es schon lieber, wenn es alle wüssten, aber ich verstehe Gibbs. Ich denke, auf die paar Tage mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an. Und ich wollte mich nicht mit ihm darüber streiten. Nicht jetzt, wo wir endlich zueinander gefunden haben." „Das kann ich gut nachvollziehen, Anthony. Weißt du, dass erinnert mich an eine Geschichte aus dem Jahre 1978. Damals hat die gute Inez…" „Und, wie sieht es aus?" drang eine Stimme an unsere Ohren und unterbrach damit Ducky mitten im Satz. Nicht gerade unglücklich darüber, drehte ich mich um, nachdem mich der Pathologe losgelassen hatte. „Ah, Jethro. Nun, es ist nichts Schlimmes. Seine Nase ist definitiv nicht gebrochen. Außerdem habe ich erfahren, dass du bereits tolle Vorarbeit geleistet hast." Er klang ein wenig vorwurfsvoll, da ihm Gibbs anscheinend nicht erzählt hatte, dass er die ganze Zeit bei mir gewesen war. „Ich konnte Tony doch schlecht verbluten lassen", erwiderte er und überging den Tonfall seines Freundes. Er kam auf mich zu, setzte sich neben mich und nahm meine Hand in seine, obwohl Ziva und McGee sich im Nebenraum aufhielten. Diese Geste ließ Duckys Ärger sofort verpuffen und er musterte uns lächelnd. „Ich habe dich noch nie so glücklich gesehen, Jethro", sagte er und beugte sich ein wenig vor. „Nicht einmal, als du deine dritte Frau losgeworden bist. Ich freue mich wirklich für euch beide." Damit stand er auf und schnappte sich seine schwarze Tasche. „Es wird Zeit, dass ich mich um den anderen Patienten kümmere."
„Duck?" Er drehte sich noch einmal zu uns um. „Ja?" „Ich hätte dir vorhin sagen sollen, dass ich den Abend bei Tony verbracht habe und…" „Schon in Ordnung, Jethro. Du brauchst dich nicht zu entschuldigen." Mit diesen Worten verließ er das Wohnzimmer, um den anderen Gesellschaft zu leisten.
„Habe ich so ausgesehen, als ob ich mich entschuldigen wollte?" fragte er mich stirnrunzelnd. „Oh ja, das hast du. Kaum zu glauben, dass du eine weitere deiner Regeln brechen wolltest. Ich habe anscheinend einen positiven Einfluss auf dich." Grinsend beugte ich mich vor und küsste ihn, um zu verhindern, dass er etwas erwidern konnte. Für einen kurzen Moment presste er sich an mich, löste sich dann aber wieder. „Ich bin froh, dass du nicht ins Krankenhaus musst", sagte er und zerzauste mir die Haare. „Und ich erst. Los, sehen wir mal, ob die anderen bereits meine Küche verwüstet haben." Ich stand auf und zog Gibbs mit auf die Füße. Vor der Tür ließ ich ihn los und beobachtete amüsiert, wie er wieder eine griesgrämige Miene aufsetzte. „Habe ich schon einmal erwähnt, dass du unheimlich sexy bist, wenn du so dreinblickst?" fragte ich. Bei meinen Worten durchfuhr ihn sichtbar ein Schauder und ich grinste zufrieden. Mit dem Wissen, dass ich es geschafft hatte, Leroy Jethro Gibbs für kurze Zeit aus dem Konzept zu bringen, öffnete ich die Küchentür und betrat den Raum, in dem der Mann lag, den ich erstochen hatte.

Die Küche hatte ihr Erscheinungsbild nicht verändert. Die Schränke und der Tisch waren noch immer dieselben, genauso wie die Fliesen und die Deckenlampen, die die Szene in ein helles Licht tauchten. Die Atmosphäre allerdings war nicht mehr die gleiche. War mir der Raum vorher warm und einladend vorgekommen, so hatte er jetzt etwas davon verloren. Er wirkte auf mich kälter und mein Körper überzog sich unwillkürlich mit einer Gänsehaut. Der Regen, der weiterhin vehement gegen das Fenster trommelte, verlieh dem Ganzen einen zusätzlichen unheimlichen Touch. Ducky und Palmer knieten neben dem Toten und begutachteten ihn von allen Seiten. Ziva schoss Fotos, während McGee damit beschäftigt war, den Tatort zu skizzieren. Bei dem Wort Tatort lief mir ein weiterer eisiger Schauer über meinen Rücken. Mir hatte es noch nie etwas ausgemacht, den Schauplatz eines Verbrechens zu betreten, da ich es jedes Mal schaffte mich persönlich zu distanzieren, aber in dieser Nacht war alles anders. Ich hoffte noch immer, dass das alles ein schlechter Traum war und ich bald in meinem Bett aufwachen würde, zusammen mit Gibbs, der mich mit seinen starken Armen umschlang. Aber ich wusste, dass dies nur eine Wunschvorstellung meinerseits war, aber wenigstens half der Gedanke an meinen Freund gegen die Kälte, die mich überzog. Da ich unter der Tür stehen geblieben und nicht weitergegangen war, stand er dicht hinter mir. Ich spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken und seine Hände legten sich beruhigend auf meinen Rücken, wobei diese Geste die anderen nicht sehen konnten. Er drückte leicht zu und ich verstand. In dem Wissen, dass er bei mir war, trat ich einen weiteren Schritt vor, wodurch unser Körperkontakt zwar unterbrochen wurde, aber die Wärme, die er in mir hinterlassen hatte, blieb zurück.
Wie zuvor auch schon, setzte ich mich auf den Tisch, auf dem noch immer das mit meinem Blut getränkte Geschirrtuch lag, und sah zu, wie Ducky das Messer aus dem Rücken des Toten entfernte und es kurz betrachtete. Die lange Klinge war rot von Blut und schimmerte leicht in dem hellen Licht. „Wisst ihr, dass erinnert mich an ein Ereignis, das schon ziemlich lange zurück liegt. Damals habe ich noch in Edinburgh Medizin studiert und in den Ferien habe ich im dortigen Leichenschauhaus gearbeitet, um mir ein wenig Geld zu verdienen. Bereits damals habe ich gewusst, dass ich einmal Pathologe werden wollte." „Wirklich, Doktor?" fragte Jimmy interessiert, sah seinen Vorgesetzten gespannt an und schien an seinen Lippen zu hängen. Auch McGee und Ziva hatten in ihrer Arbeit inne gehalten und lauschten seinen Worten. „Aber sicher, Mister Palmer. In dem Sommer, in dem ich dort gearbeitet hatte, erschütterte eine Reihe von Morden Edinburgh. Ein Serienmörder ging um und er tötete nach und nach anscheinend wahllos Männer mit einfachen Küchenmessern – mit Messern wie dem hier." Er hielt den besagten Gegenstand noch weiter in die Höhe und versicherte sich, dass ihn auch jeder sehen konnte. „Was passierte dann?" fragte Tim, der vollkommen vergessen hatte, was seine Aufgabe war. Den Block und Bleistift in seiner Hand beachtete er gar nicht mehr. „Nun, mein guter Timothy, es stellte sich heraus, dass…" „Was es auch immer war, es ist nun vorbei. Können wir uns jetzt wieder der Arbeit widmen und herausfinden, wer hinter Tony her ist und was es mit dem Handy auf sich hat?" Gibbs, der bereits die lange Geschichte seines Freundes von weitem gerochen hatte, hatte ihn einfach – auf seine ihm unnachahmliche nette Art – unterbrochen. „Aber sicher, Jethro", meinte Ducky, warf uns beiden einen vielsagenden Blick zu und reichte Ziva das Messer, die es in einen Beweismittelbeutel steckte und es sicher in ihrem Rucksack verstaute.
„Was kannst du uns sagen?" wollte Gibbs wissen und kniete sich neben den Pathologen auf den Boden. „Nun, ich glaube, es gibt nichts, was ihr nicht schon wisst. Euch dürfte der Todeszeitpunkt hinlänglich bekannt sein. Aber um es dir noch einmal zu bestätigen, ist der Mann kurz nach Mitternacht gestorben, und zwar durch einen Stich in den Rücken. Welche Ursache den Tod herbeigeführt hat, kann ich noch nicht genau sagen. Es könnte sein, dass die Klinge von hinten das Herz durchbohrt hat oder auch eine wichtige Arterie zerstört wurde, in dessen Folge er dann verblutet ist. Eine Lungenverletzung kann ich ebenfalls nicht ausschließen. Das endgültige Ergebnis erhältst du wie immer nach der Autopsie." „Was auch immer die Ursache war, Tony hat jedenfalls super gezielt", sagte Ziva und schoss von meinem etwas ärgerlichen Gesichtsausdruck ein Foto. „Er ist ja nicht umsonst mein bester Agent", erwiderte Gibbs und erstickte somit den Streit im Keim, der unweigerlich entstanden wäre. Auf meinen Lippen bildete sich ein breites Grinsen. „Hast du gehört, Ziva? Ich bin sein bester Agent." „Ich bin ja nicht taub", gab sie bissig zurück und machte erneut ein Foto, sodass ich für eine Sekunde wegen dem Blitzlicht halb blind war. „Könntest du endlich damit aufhören?" Jetzt war ich wirklich wütend. Reichte es nicht, dass sich in meiner Küche ein Toter befand? Musste meine Kollegin auch noch Scherze darüber machen? Jethro schenkte uns beiden einen gefährlich funkelnden Blick und als er sicher war, dass wir beide uns nicht weiter angiften würden, sagte er: „Ziva, sieh dich ein wenig um. Vielleicht findest du Hinweise darauf, wie der Mann eingebrochen ist. McGee, mach endlich die Skizze fertig und hör auf, Löcher in die Luft zu starren." „Ähm… geht klar, Boss", meinte der Angesprochene, lief leicht rot an und senkte seinen Kopf, um dies zu verbergen.
„Mister Palmer, ich denke, Sie können jetzt die Trage hereinholen." Ducky sah zu seinem Assistenten, der sich erhob und gemeinsam mit der Agentin aus der Küche verschwand. Anschließend drehte der Pathologe den Toten auf den Rücken und griff nach der Maske, um sie ihm vom Kopf zu ziehen.
„Warte, das würde ich gerne übernehmen", sagte ich und rutschte vom Tisch. Er hielt mitten in der Bewegung inne und sah mich verständnisvoll an. „Nun, wenn das dein Wunsch ist, Anthony, dann walte deines Amtes." Ich musste wegen seiner Wortwahl lächeln und auch Gibbs' Mundwinkel zuckten leicht. Mit einem Schritt war ich bei ihnen und kniete mich gegenüber von meinem Freund auf den Boden, der mir ein Paar Gummihandschuhe reichte und mir einen aufmunternden Blick schenkte. Wie schon unzählige Male zuvor, zog ich mir die Handschuhe an, griff ohne zu zögern nach der Skimaske und zerrte sie dem Einbrecher vom Kopf. Sein Gesicht sah genauso aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Er hatte eine hohe Stirn, ausgeprägte – beinahe grobschlächtige – Wangenknochen und schmale Lippen. Die dunklen Augen waren noch offen und starrten leblos zur Decke. Durch die linke buschige Braue zog sich eine Narbe und teilte sie somit. Seine dunkelbraunen Haare waren kurz geschnitten und zeigten bereits die ersten Anzeichen einer Glatze, obwohl er sicher nicht älter als Anfang 30 war.
„Sieht wie ein richtiger Schläger aus", meinte McGee, klappte den Block zu und verstaute ihn in seinem Rucksack. „Es ist ein Wunder, dass du nicht mehr abbekommen hast, Tony." „Ich würde es eher als Zufall bezeichnen, Bambino", erwiderte ich und gab ihm die Maske, die er sofort in einen Beutel steckte. „Gibbs hat uns erzählt, dass dieser Kerl versucht hat, dich zu erwürgen. Du kannst wirklich von Glück reden, dass du noch lebst." „Ich weiß", murmelte ich, erhob mich, zog die Gummihandschuhe wieder aus und warf sie in einen Mülleimer. Tim hatte vollkommen Recht. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich würde jetzt hier auf dem Boden liegen. Seine Worte bewirkten, dass sich meine Vorwürfe und Schuldgefühle in Luft auflösten und ich mich wie befreit fühlte. Dankbarkeit erfüllte mein Inneres und deshalb klopfte ich meinem jungen Kollegen kumpelhaft auf die Schulter, der mich deswegen mehr als verwundert ansah. Allerdings bekam er keine Gelegenheit, sich zu erkundigen, ob bei mir vielleicht eine Sicherung kaputt gegangen war, denn die Tür schwang auf und in der Erwartung, Jimmy wäre mit der Trage zurück, drehte ich mich um. Aber es war nicht der Autopsie Gremlin – wie ich ihn immer nannte – sondern Ziva. Sie hielt etwas in der Hand, das mich beinahe zur Salzsäule erstarren ließ. Ein kurzer Blick zu Gibbs genügte mir, um mir zu verraten, dass er ebenfalls kurzfristig aus dem Konzept gebracht worden war, obwohl man es ihm äußerlich nicht ansehen konnte. Aber seine Augen hatten sich unmerklich geweitet und für eine Sekunde war Schrecken darin aufgeblitzt. Genauso wie ich hatte er erkannt, was sie zwischen ihren Fingern hielt.
„Sag mal, Tony", begann die junge Frau und kam feixend auf mich zu. „Seit wann trägst du denn ein Poloshirt?" Sie wedelte mit dem Kleidungsstück vor meiner Nase herum und unwillkürlich bildete sich in meinem Hals ein dicker Kloß. „Und ich habe immer angenommen, dass Gibbs der Einzige wäre, der so etwas anzieht." „Wo hast du das gefunden?" fragte ich mit leicht kratziger Stimme, wie ich beschämt feststellte. Ziva entging das keineswegs und sie interpretierte es natürlich falsch. Jetzt nahm sie auch noch an, dass ich heimlich Poloshirts trug. Ich wusste, ich könnte mit einem Satz das Missverständnis aufklären, aber ich hielt an Gibbs und meinem Vorsatz fest, unseren Kollegen noch nicht zu sagen, dass wir zusammen waren.
„Hinter deinem Fernseher", antwortete sie und grinste noch breiter. „Ich frage mich, wie es dorthin gekommen ist." Hilfesuchend sah ich einen nach dem anderen an. McGee stand der Mund offen und er schien erst verdauen zu müssen, was er soeben erfahren hatte. Jethro gab sich äußerlich wie immer, aber ich konnte förmlich die sich drehenden Rädchen hinter seiner Stirn sehen. Und Ducky schien sich köstlich zu amüsieren, wie mir das Funkeln in seinen Augen verriet. Ihm war sofort klar, dass das Shirt Gibbs gehörte und wie es hinter meinem Fernseher gekommen war.
„Nun, ich habe…" begann ich, planlos darüber, was ich sagen sollte, aber ich wurde schließlich gerettet – in Form von Jimmy, der mit der Trage gegen den Türrahmen stieß und alle damit ablenkte. Ich nutzte den Sekundenbruchteil aus, den Ziva brauchte, um zu erkennen, wer das Geräusch verursacht hatte und riss ihr das Shirt aus der Hand, öffnete einen der Schränke und stopfte es hinein – so nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn. Mein Boss blickte mich mit erhobener Augenbraue an und ich zuckte einfach mit den Schultern. Uns beiden war klar, dass wir unser Versteckspiel wohl nicht lange durchziehen würden können, aber bis die Sache mit dem Handy geklärt war, würden wir es für uns behalten – auch wenn es mir schwer fiel. Ich musste höllisch aufpassen, dass man mir meine Gefühle nicht von meinem Gesicht ablesen konnte. Immerhin war ich nicht so ein großer Meister wie Gibbs, wenn es darum ging, sie zu verstecken.
Palmer sah irritiert von einem zum anderen und bevor er sich erkundigen konnte, was hier vor sich ging, erhob sich Ducky. „Da sind Sie ja endlich. Haben Sie sich etwa auf dem Weg nach draußen verlaufen?" „Ähm… nein, Doktor", erwiderte sein Assistent und stellte die Trage neben dem Toten ab. „Aber die Tür des Trucks hat leicht geklemmt." Sein Vorgesetzter schüttelte leicht den Kopf und gemeinsam begannen sie, die Leiche in dem Sack zu verstauen.
„Solltest du nicht nach Hinweisen suchen, wie der Kerl es geschafft hat, bei mir einzubrechen?" wandte ich mich an Ziva, die nun mit leeren Händen vor mir stand. Ihr Blick sagte mir allerdings, dass sie es nicht vergessen würde, was sie in meinem Wohnzimmer gefunden hatte. Und ich hatte so das Gefühl, dass sie mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf ansprechen würde. Jedenfalls solange, bis Jethro und ich unser kleines Geheimnis lüften würden.
„Vielleicht solltest du das selbst übernehmen", erwiderte sie hämisch. „Wer weiß, welche Sachen ich sonst noch bei dir finde. Anscheinend hast du Vorlieben, von denen keiner von uns weiß." Sie schaffte es einfach nicht, ihren Mund zu halten und ärgerlich öffnete ich bereits meinen, um ihr meine Meinung zu sagen, wurde aber von Gibbs unterbrochen. „Sind wir hier etwa im Kindergarten?" fragte er schroff und an seiner Schläfe pochte sichtlich eine Ader – kein gutes Zeichen. Ich schluckte und hoffte inständig, dass nicht ich der Grund dafür war, dass er plötzlich wütend war. „McGee, hilf Ziva. Es müssen doch irgendwo Spuren sein, die dieser Kerl hinterlassen hat. Und wenn es geht, bevor die Sonne aufgeht." „Sind schon weg, Boss", sagte Tim und verließ dich Küche, gefolgt von Ziva, die mir noch einen letzten Blick schenkte.
„Und was machst du?" fragte ich und sah zu, wie Jimmy den Reißverschluss des Leichensackes schloss. Auf den Fliesen waren eine Blutlache und die Scherben des Glases, das ich fallen gelassen hatte, zurückgeblieben. Ansonsten gab es keine Anzeichen dafür, dass hier ein Kampf stattgefunden hatte.
„Mister Palmer und ich werden ins Hauptquartier fahren", sagte Ducky, bevor Gibbs die Möglichkeit hatte, mir eine Antwort zu geben. „Ich werde noch heute Nacht mit der Autopsie beginnen. Gegen Mittag wird es die endgültigen Ergebnisse geben." Er kam auf mich zu und tätschelte mir den Oberarm. „Sieh zu, dass du ein wenig schläfst, Tony", schlug er vor. „Ich werde es versuchen", erwiderte ich, wobei ich jedoch wusste, dass es schwer werden würde, auch nur ein Auge zu schließen. Anscheinend zufrieden mit meiner Antwort, nickte er, verabschiedete sich und gemeinsam mit Jimmy trug er die Trage aus der Küche. Erleichtert atmete ich auf, denn jetzt, wo die Leiche weg war, kam mir die Küche auf einmal gar nicht mehr so kalt vor.
Da wir alleine waren, ließ Jethro seine griesgrämige Miene fallen, kam auf mich zu und umarmte mich fest. „Das war ganz schön knapp", sagte er flüsternd. „Was meinst du?" Unwillkürlich schmiegte ich mich an ihn. „Das mit dem Poloshirt." „Oh", gab ich von mir und fing leise an zu lachen. Jetzt im Nachhinein kam mir die ganze Situation mehr als komisch vor. „Ziva nimmt nun an, dass ich, wenn ich alleine bin, so etwas anziehe." Ich spürte deutlich, wie seine Schultern bebten. „Ja, das ist natürlich schrecklich", erwiderte er und ich konnte das Lachen förmlich in seiner Stimme hören. „Womit ich nicht gemeint habe, dass es schlimm ist, wenn man Poloshirts trägt", verteidigte ich mich, löste mich sanft aus der Umarmung und sah ihm in die belustigt funkelnden Augen. „Dir passen sie hervorragend." Ich gab ihm einen kurzen Kuss, öffnete den Schrank, in dem ich das Kleidungsstück verstaut hatte und holte es heraus. „Hier. Ich denke, das hast du vorhin gesucht." Er nahm es und legte es, anstatt es sich anzuziehen, über die Lehne eines Stuhles.
„Tony?" „Ja?" Überrascht von seinem plötzlich ernsten Ton, hob ich eine Augenbraue. Er atmete sichtlich tief ein und aus, bevor er sagte: „Ich hatte heute wirklich Angst, dich zu verlieren. Als du nach mir geschrieen hast und ich die Panik in deiner Stimme gehört habe, hatte ich gedacht, du würdest sterben." Jetzt war ich es, der ihn fest umarmte. Seine Worte rührten mich auf eine Weise, die ich nie für möglich gehalten hatte und sein Geständnis, dass er um mich Angst gehabt hatte, brachte mir erneut nahe, dass er mich liebte. „Es ist ja noch einmal alles gut gegangen", flüsterte ich in sein Ohr. „Außerdem, so schnell wirst du mich nicht los." Gibbs gab ein belustigtes Schnauben von sich und ich fing an zu lächeln. „Das will ich auch hoffen", murmelte er, drückte mich ein letztes Mal fest an sich und ließ mich schließlich los. Er sah sich kurz um. „Um auf deine Frage von vorhin zurückzukommen, was ich jetzt machen werde: ich denke, deine Küche könnte eine Reinigung gebrauchen." „Da kann ich dir nur Recht geben." „Dann sollten wir uns an die Arbeit machen." „Du willst wirklich meine Küche putzen?" Jethro legte seinen Kopf schief und musterte mich. „Ich habe mir eher vorgestellt, dass ich mir zuerst einen Kaffee mache, während du schon einmal anfängst. Und nachher helfe ich dir dann." Gespielt verärgert verzog ich meinen Mund. „Du willst dich doch nur drücken", meinte ich leicht schmollend. „Sieh mich nicht mit diesem Dackelblick an, Tony. Du weißt genau, dass ich dem nicht widerstehen kann." „Ach, wirklich?" Ein Grinsen machte sich auf meinen Lippen breit und jetzt bemerkte er, dass ich ihn nur veräppelt hatte – was mir prompt eine Kopfnuss einbrachte. Gleich darauf fuhr er mir aber an der schmerzenden Stelle sanft durch die Haare, zog mich an sich und küsste mich leidenschaftlich, ungeachtet dessen, dass Ziva und McGee jederzeit hereinplatzen konnten. Ich presste mich an ihn und fühlte mich plötzlich ganz schwindelig. Obwohl es nicht der richtige Ort war, schaffte er es, dass in mir Verlangen nach mehr aufstieg. Ich stöhnte leise in seinen Mund hinein und er vertiefte den Kuss noch um eine Spur.
„Wenn du dich jetzt jedes Mal so für eine Kopfnuss, die du mir verpasst, entschuldigst, kannst du mir in Zukunft noch mehr geben", keuchte ich an seinen Lippen, als wir uns wieder voneinander gelöst hatten – mangels Sauerstoff. Seine blauen Augen waren vor Leidenschaft verhangen und seine Begierde war unübersehbar. „Das hättest du wohl gerne", erwiderte er genauso atemlos, grinste aber bei seinen Worten. Liebevoll zerzauste er mir meine Haare und langsam kehrte ich wieder in die Realität zurück. „Machst du mir auch einen Kaffee mit?" fragte ich deshalb. „Sicher." Widerwillig ließ er mich los und wandte sich meiner Kaffeemaschine zu. Meine Erregung ignorierend, suchte ich Putzmittel, um damit meine Küche wieder auf Vordermann zu bringen – 30 Sekunden später tauschten Gibbs und ich die Rollen, da er sich mit meiner neumodischen Kaffeemaschine nicht auskannte. Tja, die Technik hatte eben auch seine Vorteile.

Fortsetzung folgt...
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