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Es war kurz nach 10 Uhr, als Gibbs den Fahrstuhl verließ und mit wenigen Schritten die Pathologie betrat. Ducky hatte ihn vor ein paar Minuten angerufen und gemeint, er sei mit der Autopsie fertig. Nicht, dass es einen Zweifel an der Todesursache oder dem Zeitpunkt gab, aber er hatte so eine Ahnung, weshalb sein Freund wirklich mit ihm reden wollte. Und der Grund saß ein paar Stockwerke weiter oben an einem Schreibtisch, hatte gelangweilt seinen Kopf auf eine Hand gestützt und bearbeitete mehr als genervt die Akten vor seiner Nase. Jethro grinste, als er an Tony dachte und wie er ihn beinahe entsetzt angesehen hatte, als er von Abby zurückgekommen war und festgestellt hatte, dass er sich wieder einmal mit Schreibarbeit beschäftigen durfte. Der Ausdruck in den grünen Augen – die er so sehr liebte – hatte ihn mehr als amüsiert, auch wenn er dies hinter seiner üblichen Miene versteckt hatte. Und dann hatte sich Anthony wahrscheinlich eher unbewusst an ihm gerächt, als er seine Zunge betont aufreizend über den Bleistift hatte fahren lassen und ihm dabei sein breites DiNozzo Lächeln geschenkt hatte, was alleine schon gereicht hatte, dass ihm ganz heiß geworden war. Wenn da nicht die Sache mit dem Bleistift gewesen wäre, hätte er sich sicher innerhalb von einer Minute wieder abgekühlt, aber so hatte er für einen kurzen Moment doch tatsächlich gedacht, keine Luft mehr zu bekommen. Jethro wusste genau, woran Tony gedacht hatte, als er sich mit dem Schreibwerkzeug beschäftigt hatte und es war diese Tatsache gewesen, dass er vergessen hatte, dass er gerade telefonierte und die ihn für ganze 15 Minuten an den Schreibtisch gefesselt hatte, da man es ihm mehr als deutlich hätte ansehen können, dass er scharf gewesen war – noch schärfer, als nach dem leidenschaftlichen Kuss im Fahrstuhl. Er konnte es immer noch nicht ganz glauben, dass er plötzlich so auf DiNozzo reagierte, hatten sie doch jahrelang zusammengearbeitet ohne je auch nur daran zu denken, dass aus ihnen einmal etwas werden könnte. Jetzt war er einfach nur glücklich darüber, dass sie den Sprung ins kalte Wasser gewagt hatten.
Leise zischend öffneten sich die Türen der Pathologie und ließen ihn in den großen Raum eintreten, in dem es, im Gegensatz zum Großraumbüro, ziemlich ruhig war – sah man von Ducky ab, der sich über den Toten gebeugt hatte, ihm direkt ins Gesicht blickte und sagte: „Tja, mein Lieber, als du bei Anthony eingebrochen bist, hast du wohl nicht damit gerechnet, bei mir zu landen. Du siehst, man sollte sich nicht mit einem Bundesagenten anlegen. Schon gar nicht, wenn ein Zweiter im Haus ist. Das erinnert mich an eine Geschichte aus meiner Studienzeit. Damals war ich noch in Edinburgh und habe gerade das fünfte Semester meines Medizinstudium begonnen, als…" „Als du dich entschieden hast, lieber Pathologe als Arzt zu werden?" unterbrach ihn Gibbs und stellte sich gegenüber von Ducky an den Tisch. „Nein, Jethro, das habe ich erst viel später entschieden und zwar nachdem ich…" Als er die erhobene Braue seines Freundes sah, beschloss er, nicht weiter zu erzählen, da es wieder einmal offensichtlich war, dass sein Freund nicht die Geduld für eine seiner langen Geschichten hatte. Aber wofür gab es Tote, die ihm immer zuhörten und die ihn nicht unterbrechen konnten?
„Also, was gibt es?" wollte der Chefermittler wissen und betrachtete stirnrunzelnd die Leiche vor ihm. Mittlerweile hatte dessen Haut eine unnatürliche Blässe angenommen, die seine grobschlächtigen Wangenknochen noch besser zur Geltung brachte. Da er vollkommen nackt war, konnte man wunderbar die gut entwickelten Muskeln bewundern, die ihn selbst im Tod noch gefährlich wirken ließen. Tony konnte von Glück reden, dass er mit einer blutigen Nase und einer Prellung derart glimpflich davon gekommen war - wenn es darauf ankam, konnte er sich hervorragend selbst helfen. Er war nicht umsonst sein bester Agent. ‚Und dein fester Freund', fügte er in Gedanken hinzu und unterdrückte ein Lächeln.
„Es gibt nicht viel", meinte Ducky, der Gibbs genau beobachtet hatte und dem nicht entgangen war, dass er gerade versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. Es war ungewohnt, ihn derart gut gelaunt zu sehen, ungeachtet dessen, dass Tony in der Nacht jemanden getötet hatte. Er musste zugeben, dass Jethro die Liebe äußerst gut stand und egal wie sehr er sich auch bemühte, er konnte es nicht ganz verbergen. Dafür leuchteten seine Augen viel zu sehr und seine Körperhaltung war entspannter als sonst.
Der Pathologe räusperte sich und fuhr fort: „Der Todeszeitpunkt dürfte dir ja besser bekannt sein als mir. Das Einzige, worüber ich mir nicht ganz sicher war, war die Todesursache. Aber da ich unseren Unbekannten aufgeschnitten habe, habe ich jetzt auch darüber Klarheit. Das Messer hat die Lunge gestreift und ist dann in sein Herz eingedrungen. Der Mann ist innerhalb von Sekunden gestorben." „Glück für ihn, sonst hätte ich ihn mir vorgenommen", sagte Gibbs und ballte seine Hände zu Fäusten. Er hatte es noch nie leiden können, wenn sich jemand an einen seiner Agents vergriff. Kate war die Einzige gewesen, die unter seiner Führung gestorben war und der Teufel sollte ihn holen, wenn er zulassen würde, dass Tony dasselbe Schicksal ereilen sollte, nur weil ihm jemand ein brisantes Handy zugesteckt hatte.
Ducky lächelte wissend, zog die Latexhandschuhe aus und warf sie in einen Mülleimer. „Wie geht es Anthony?" fragte er und lehnte sich gegen den einzigen Schreibtisch, der sich in diesem Raum befand. „Ihm geht es bestens", antwortete Jethro und blickte zu seinem Freund, der ihn neugierig ansah. „Er scheint die Sache sehr gut zu verarbeiten. Jedenfalls ist er schon wieder frech wie eh und je und streitet sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Ziva." Der Pathologe lächelte noch breiter. Er hatte schon immer gewusst, dass Tony stark war und diesen Vorfall ohne weiteres verarbeiten würde. Dass es so schnell gegangen war, lag wohl größtenteils an Gibbs, der seinen Freund in dieser Nacht sicher nicht mehr alleine gelassen hatte. Es war ungewohnt aber dennoch schön mit anzusehen, wie er auf einmal so fürsorglich war. „Und wie geht es dir?" wollte Ducky wissen, wobei sein Gegenüber überrascht seine Augenbrauen hob. „Mir?" „Ja. Dir scheint die Sache mehr zu schaffen zu machen als Anthony." Jethro seufzte leise, fuhr sich mit einer Hand durch seine Haare und lehnte sich neben seinem Freund an den Schreibtisch. Irgendwie verspürte er gerade das Bedürfnis, sich irgendwo festzuhalten. „Das liegt wohl daran, dass ihm jemand nach dem Leben trachtet und nicht zu wissen, wer dahinter steckt, macht mich fast wahnsinnig. Ich hatte heute Nacht die Angst ihn zu verlieren. Als ich Tony so blutverschmiert in der Küche gefunden habe, hatte ich zuerst gedacht er wäre es, der schlimm verletzt ist. Ich hätte es nicht ertragen, ihn so bald zu verlieren, jetzt wo wir endlich…" Er brach ab, als ihm bewusst wurde, dass er, ohne lange darüber nachzudenken, über seine Gefühle redete, was er sonst nie tat. Aber er musste zugeben, dass es sich gut anfühlte, mit jemandem darüber zu sprechen. „Ich hasse es, wenn ich nichts tun kann, außer abzuwarten, was als nächstes passiert." Ducky legte ihm beruhigend eine Hand auf den linken Unterarm und drückte aufmunternd zu. „Es ist normal, dass du Angst um Tony hast, immerhin liebst du ihn. Da ist es mehr als verständlich, dass du es nicht abwarten kannst, herauszufinden, wer hinter allem steckt."
Jethro sah seinem Freund in die gütigen Augen und nickte. „Die Liebe bringt schon komische Seiten in mir zum Vorschein. Ich habe noch nie das Bedürfnis verspürt, jemanden alles von mir zu geben, um ihn damit glücklich zu machen und ich muss aufpassen, um nicht einfach die Maske fallen zu lassen und Tony vor allen anderen zu küssen. Und ich fühle mich sogar ein wenig schuldig, wenn ich ihm eine Kopfnuss verpasse, auch wenn er es verdient hat." Gibbs schüttelte ein wenig den Kopf, unfähig zu glauben, dass er gerade sein Herz ausschüttete. „Nun, mit der Kopfnuss kann ich dir keine Lösung verraten, außer sie nicht mehr auszuteilen. Aber wir beide wissen, dass du das nicht tun wirst. Was die andere Sache angeht. Ihr könntet es den anderen einfach sagen, dass ihr zusammen seid. Dann brauchst du auch nicht mehr darauf zu achten, ob du ihm liebevolle Blicke zuwirfst oder ihn berührst. Es wäre sicher für euch beide eine Erleichterung." „Ich weiß, Duck. Aber ich will, dass sich alle auf den Fall konzentrieren und nicht auf Tony und mich. Die paar Tage werden wir es schon irgendwie schaffen." ‚Und wofür gibt es einen Fahrstuhl, den man anhalten kann, wenn die Sehnsucht nach Berührungen zu groß wird?' fügte er in Gedanken hinzu und lächelte leicht. Vielleicht sollte er nachher wirklich mit seinem Freund im Aufzug verschwinden und dort zu Ende bringen, was sie heute Morgen angefangen hatten. Zugegeben, der Vorschlag hatte ihn ein wenig überrascht und der Ort war für ihn mehr als ungewöhnlich, aber er musste zugeben, es hatte einen gewissen Reiz. Er sah bereits vor sich, wie er Tony…
„Jethro?" fragte Ducky, dem nicht entgangen war, dass der andere mit seinen Gedanken ganz wo anders war und nach dem Lächeln auf seinen Lippen konnte er sich bereits vorstellen, an wen er dachte. Gibbs musste ein paar Mal blinzeln, um das mehr als verführerische Bild aus seinem Gehirn zu vertreiben und sah zu dem Pathologen. „Alles in Ordnung?" „Mir geht es bestens", erwiderte der Chefermittler. „Ich war nur gerade ein wenig abwesend." „Ja, das habe ich gemerkt. Bevor ich es vergesse, ich habe Mister Palmer vorher mit Fingerabdrücken unseres Unbekannten zu Abby geschickt. Danach habe ich ihn für ein paar Stunden nach Hause geschickt. Immerhin sind wir ja seid halb ein Uhr auf den Beinen. Hast du überhaupt heute Nacht noch geschlafen?" „Nein, habe ich nicht. Ich habe kein Auge zubekommen." „Und Anthony?" „Tony hat ganze Wälder abgesägt." Ducky lächelte bei diesen Worten, wurde kurz darauf aber wieder ernst. „Vielleicht solltest du dich auch ein wenig ausruhen. Du siehst erschöpft aus." „Ich habe keine Zeit zum Schlafen. Aber ich werde mir nachher einen Kaffee besorgen. Der wird mich schon wieder aufwecken." „Zu viel Koffein ist aber schädlich. Noch dazu in so einer großen Menge wie du sie konsumierst." „Ist das jetzt ein Ratschlag, dass ich nicht so viel Kaffee trinken soll?" fragte Jethro und stieß sich vom Schreibtisch ab. Es war an der Zeit, zu Abby zu fahren. Vielleicht hatte sie schon mehr über das Handy herausfinden können. „Du kannst es auffassen, wie du möchtest", erwiderte Ducky und beobachtete Gibbs, wie er sich der gläsernen Tür zuwandte, sich aber noch einmal umdrehte. „Findest du es nicht auch ein wenig komisch, dass aus Tony und mir so plötzlich ein Paar geworden ist?" stellte er die Frage, über die er schon seit längerem nachdachte. Der Pathologe schüttelte den Kopf. „Nein, nicht wirklich. Es war doch nur eine Frage der Zeit, bis ihr zueinander gefunden hättet." Überrascht hob Gibbs eine Augenbraue. „Was soll das heißen?" „Das soll heißen, dass es für mich nicht verwunderlich ist. Ihr beide hattet schon immer eine enge Beziehung zueinander und ich denke, früher oder später wärt ihr darauf gekommen, dass da mehr als Freundschaft ist. Wahrscheinlich hättet ihr noch Monate wenn nicht Jahre gebraucht, aber der Undercovereinsatz hat das Ganze beschleunigt. Habt ihr damals wirklich nur miteinander geschlafen, weil ihr wegen dem Kuss in dem Club so durcheinander wart? Oder war da nicht bereits mehr zwischen euch, ohne dass ihr es selbst gewusst habt und der Kuss hat es nur ans Tageslicht befördert?" „Eine berechtigte Frage", erwiderte Gibbs und runzelte die Stirn. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er darüber noch gar nicht nachgedacht. Wäre er mit Tony auch im Bett gelandet, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, dass da mehr als Freundschaft gewesen wäre? Wahrscheinlich nicht. „Du meinst also, wir wären auch ohne den Undercovereinsatz zusammengekommen?" Ducky nickte. „Früher oder später. Wie ich zu Anthony vor über drei Wochen im Krankenhaus bereits gesagt habe: ihr beide seid nicht für Frauen bestimmt, sonst wärst du nicht drei Mal geschieden und Tony hätte nicht zahlreiche Affären gehabt. Ihr habt nur einen Schubs in die richtige Richtung gebraucht." „Ich bin froh, dass es eher früher als später geschehen ist", erwiderte Jethro, noch immer erstaunt über die Worte seines Freundes. Aber er wusste, er hatte Recht, jede einzelne Silbe entsprach der Wahrheit. „Danke, Duck." Damit drehte er sich wieder um und verließ die Pathologie, um zu Abby zu fahren.
„Keine Ursache", meinte der Ältere und wandte sich an den Toten, beugte sich über ihn und sagte: „Ja ja, wo die Liebe hinfällt."

Nicht einmal eine halbe Minute später öffneten sich die Fahrstuhltüren erneut und Gibbs verließ die kleine Kabine, um kurz darauf die Forensik zu betreten, in der wieder einmal laute Musik spielte. Aber diesmal nahm er das gar nicht so wahr, da er mit seinen Gedanken noch bei dem Gespräch mit Ducky war. Er hatte sich in den letzten Wochen ein paar Mal gefragt, wieso er es in dem Hotel mit Tony so weit hatte kommen lassen, dass sie im Bett gelandet waren. Immer wieder hatte er es auf den Kuss, den Streit und den Alkohol geschoben, aber innerlich hatte er geahnt, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Aber er hätte es nie für möglich gehalten, dass er bereits damals unbewusst Gefühle für Tony gehabt hatte, aber jetzt, wo es Ducky erwähnt hatte, ergab alles einen Sinn. Und vielleicht war das auch der Grund gewesen, weshalb er sich auf den ganzen Einsatz überhaupt eingelassen und nicht stärker protestiert hatte, als Jenny ihm richtiggehend befohlen hatte, undercover zu gehen.
„Erde an Gibbs." Abbys Stimme und ihre Hand, die vor seinen Augen herumwedelte, rissen ihn aus seinen Gedanken und erst jetzt bemerkte er, dass er automatisch und ohne zu überlegen das Labor durchquert und die Musikanlage ausgeschaltet hatte. Er war so in seinen Überlegungen vertieft gewesen, dass er nicht einmal mitbekommen hatte, dass er noch immer neben der Anlage stand, anstatt bei der jungen Forensikerin, um sich ihre Ergebnisse anzuhören – wenn sie überhaupt schon welche hatte.
Jethro sah zu der Goth, die ihn erwartungsvoll ansah und dabei grinste, so als ob sie wüsste, dass seine Gedanken bei Tony gewesen waren. Um ihr nicht noch eine Gelegenheit zu geben, weiter zu spekulieren, weshalb er nicht geistig anwesend gewesen war, drehte er sich um und ging in den anderen Raum zurück, wohin ihn Abby sofort folgte. Diese stellte sich vor ihm hin und musterte ihren silberhaarigen Fuchs vom Kopf bis zu den Füßen. Irgendwie wirkte er ein wenig anders als sonst, nicht so grummelig und schlecht gelaunt. Vorher war er regelrecht an ihr vorbeigelaufen, hatte kein Wort gesagt, hatte einfach die Anlage ausgeschaltet und war mit einem Lächeln im Gesicht am Fleck stehen geblieben. Sie hatte zwei Mal seinen Namen gesagt und sich bereits überlegt, ihm einen kräftigen Faustschlag auf den Oberarm zu verpassen, hatte sich aber darauf beschränkt, mir ihren Händen vor seinen Augen herumzuwedeln, was schlussendlich auch funktioniert hatte. Sie hatte ihn noch nie so erlebt. Normalerweise war er immer im Hier und Jetzt und nicht in seinen Gedanken versunken, so wie Tony es öfters machte. Was war heute nur los? Abby konnte sich nicht vorstellen, dass es lediglich daran lag, dass der junge Agent in der Nacht jemanden erstochen hatte. Nach dem ungewohnt glücklichen Gesichtsausdruck – der jetzt wieder verschwunden war – war Gibbs nicht bei dem Fall gewesen, sondern ganz wo anders. Sie legte ihren Kopf leicht schief und betrachtete ihn noch einmal von oben bis unten, bis sie ihm direkt in die blauen Augen sah und da wusste sie, was mit ihm los war und ihr klappte vor Verblüffung der Mund auf.
„Hast du schon herausgefunden, was auf dem Handy drauf ist?" fragte Jethro und hob gleich darauf irritiert eine Augenbraue. Wieso starrte ihn die junge Frau so komisch an? Noch dazu mit offenem Mund? „Abbs?" Amüsiert beobachtete er, wie sie ein paar Mal blinzelte und ihren Unterkiefer wieder an seinen ursprünglichen Platz brachte. „Kaum zu glauben", sagte sie und schien gar nicht bemerkt zu haben, dass er sich über das Handy erkundigt hatte. „Zuerst Tony und jetzt auch noch du. Wow." Sie schüttelte ihren Kopf so heftig, dass ihre Rattenschwänze hin und her flogen und ihm alleine beim Zusehen leicht schwindelig wurde. Anstatt verärgert zu sein, dass er nicht die gewünschte Antwort bekam, runzelte er nur leicht die Stirn. Wie sollte er nur aus Abby schlau werden? Wie hatte es McGee einmal ausgedrückt? Ihr Verstand funktionierte wie ein Flipperautomat und jetzt wusste er genau, was Tim damit gemeint hatte.
Obwohl die Sache mit dem Handy mehr als wichtig war, wollte er doch zuerst wissen, was in ihr vorging und sie mit ihrer vorherigen Aussage ausdrücken hatte wollen. „Was soll das heißen, zuerst Tony und jetzt ich?" fragte er deshalb, weswegen Abby in ihrer Bewegung inne hielt und ihre dunkel geschminkten Lippen zu einem breiten Grinsen verzog. „Das soll heißen", begann sie langsam, hüpfte aufgeregt zu ihrem Schreibtisch, wo ein Becher CafPow stand, und trank einen Schluck, um die Spannung zu erhöhen. Aber als sie die leicht pochende Ader an Jethros Schläfe bemerkte, hielt sie es für ratsam, schnell weiterzureden. Ganz hibbelig stellte sie das große Behältnis wieder ab und wandte sich ihrem Boss zu, der noch immer auf eine Antwort wartete. Sie überlegte kurz und entschied, noch einmal von vorne anzufangen. „Tony ist verliebt", platzte es aus ihr heraus. „Kaum zu glauben, dass du das gar nicht weißt. Sonst erzählt er das ja gleich in aller Öffentlichkeit herum, wenn er eine neue Freundin hat. Ich schwöre dir, seine Augen strahlen mit so einer Intensität, die ich noch nie bei ihm gesehen habe und er hatte ein Dauerlächeln im Gesicht." Verträumt sah ihn Abby an und er musste sich ein Grinsen verkneifen. Sie hatte also gemerkt, dass Anthony verliebt war, was ihn nicht sonderlich verwunderte. Immerhin entging der jungen Frau so gut wie nichts und jetzt wusste er auch, weshalb sein Freund so lange im Labor gewesen war. Er hatte anscheinend eine ganze Fragerunde hinter sich, hatte es aber super gemeistert und nichts verraten, so wie er es ihm versprochen hatte. Und entgegen Abbys Ansicht wusste er nur zu genau, wie es um Tonys Gefühlswelt bestellt war, immerhin war er ja der Grund dafür. Aber gleich darauf schluckte er heftig, als ihm klar wurde, was das bedeutete. Wenn die Forensikerin es seinem Partner angesehen und sie gemeint hatte, er auch noch, dann war seine aufgesetzte griesgrämige Miene durchschaubar. Und ihm war klar, dass sie jetzt auch bei ihm unnachgiebig nachbohren würde und dass musste er unbedingt verhindern.
„Könnten wir jetzt wieder auf…", begann er, wurde aber sofort unterbrochen und die Hoffnung, sie abzulenken war dahin. Wenn sie einmal eine Fährte gewittert hatte, ließ sie so leicht nicht locker. „Gib es zu, mein silberhaariger Fuchs. Du bist ebenfalls verliebt. Ich schwöre dir, du hast dasselbe Leuchten in den Augen wie Tony und du bist nicht so brummig wie sonst. Sie muss ja eine Wucht sein, wenn sie es schafft, deine schlechte Laune zu dämpfen." Neugierig sah ihn Abby an und hüpfte wie ein Gummiball leicht auf und ab, wobei ihre Rattenschwänze lustig wippten. Sollte er wirklich zugeben, dass es ihn erwischt hatte oder lieber schweigen? Wieso musste man ihm auch anmerken, dass er verliebt war? Sonst hatte er auch keine Probleme seine Gefühle zu verstecken. Also, weshalb gerade jetzt? Vielleicht sollte er es einfach zugeben und damit die junge Frau zufrieden stellen, damit sie sich wieder auf den Fall konzentrieren konnten und nicht auf sein Privatleben.
Deshalb zuckte er mit den Schultern und nickte anschließend, anstatt es mit Worten auszudrücken. Abbys Gesicht hellte sich auf und sie fiel ihm stürmisch um den Hals. „Das ist ja klasse!" rief sie und drückte ihm beinahe die Luft ab. „Ich fasse es nicht. Es ist schon ungewöhnlich, dass sich Tony so richtig verknallt, aber du? Das ist wie das achte Weltwunder. Und noch dazu zum gleichen Zeitpunkt. Das nenne ich einen Zufall." Sie ließ ihn los und strahlte ihn an. „Ist sie wieder rothaarig?" fragte sie begierig und nahm ihm dadurch die Zuversicht, dass sie sich wieder auf das Handy konzentrierte. „Wie sieht sie aus? Ist sie nett? Ich will alles wissen. Tony hat nicht viel von seiner neuen Freundin erzählt, aber sie muss eine Wucht sein. Immerhin hat er ja einen Knutschfleck am Hals und… wie war das noch mal?" Sie hielt inne, tippte sich mit ihrem Zeigefinger an die Lippen und überlegte. Gibbs hingegen fing zu lächeln an, als Abbys Worte vollständig an sein Gehirn gedrungen waren. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er an seinem Freund ein Zeichen ihrer leidenschaftlichen Nacht hinterlassen hatte. Aber so hatte er wenigstens markiert, dass Anthony ihm gehörte, auch wenn die junge Frau annahm, es wäre eine sie, mit dem er im Bett gewesen war. Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie wüsste, dass er es gewesen war, der für den Knutschfleck verantwortlich war?
„Ah, jetzt fällt es mir wieder ein", unterbrach Abby Jethros Gedankengänge und lächelte erfreut. „Blaue Augen, so tief wie ein See und weiche Lippen, die einen ins Paradies schicken. So hat er sie beschrieben." Gibbs hob überrascht seine Augenbrauen. „Das hat Tony gesagt?" fragte er verblüfft und die junge Goth nickte heftig. „Ich schwöre dir, Gibbsman, das waren seine Worte. Er wird auf seine Tage noch richtig poetisch." Dem Chefermittler wurde ganz warm ums Herz und unbewusst fuhr er sich mit einem Finger über seine Lippen. Waren sie wirklich so weich, wie Tony behauptet hatte? Er konnte es nicht glauben, dass er ihn so beschrieben hatte, aber es gefiel ihm. Noch dazu hatte er sich mit seiner Wortwahl geschickt aus der Affäre gezogen. Vielleicht sollte er ihn nachher dafür belohnen. Im Fahrstuhl gab es schließlich niemanden, der sie beobachteten konnte. Ein heißer Schauer der Erregung jagte durch seinen Körper und mit Mühe riss er sich von der Vorstellung, seinen Freund in der kleinen Kabine zu verführen, los und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt.
„Und, wie sieht deiner neue Flamme aus?" bohrte Abby nach, die anscheinend nicht mitbekommen hatte, was ihre bzw. Tonys Worte in ihm ausgelöst hatten. Sie wartete förmlich auf einen Anhaltspunkt und wenn es Anthony geschafft hatte, sich aus der Affäre zu ziehen, dann konnte er es erst recht. „Keine roten Haare", sagte er deshalb, in der Hoffnung, sie würde dann endlich Ruhe geben. „Sondern kurze braune und grüne Augen. Und können wir uns jetzt endlich dem Handy zuwenden? Herauszufinden, wer Tony umbringen will und weshalb, ist für mich jetzt wichtiger als mein Privatleben."
Enttäuscht verzog Abby ihr Gesicht, nickte aber schließlich. Sie wusste, sie hatte ihren Spaß gehabt und Gibbs war erstaunlich geduldig gewesen, aber jetzt war es offensichtlich, dass er nicht weiter auf ihre Versuche, ihm etwas zu entlocken, eingehen würde. Aber immerhin hatte sie ja etwas erfahren, womit sie arbeiten konnte.
Sie drehte sich um und ging zu ihrem Computer. „Wirklich gute Wahl, Gibbsman. Ich bin stolz auf dich, dass du es diesmal nicht mit einer Rothaarigen versuchst. Mit denen scheinst du kein Glück zu haben. Braun ist eine viel bessere Farbe", konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen, wodurch sie ihm ein Lächeln entlockte, was sie aber nicht sah, da sie mit dem Rücken zu ihm stand und etwas in ihre Tastatur eintippte. Ja, braune Haare waren viel besser als rote. Noch dazu wenn sie verwuschelt waren und in alle Richtungen abstanden.
„Ich habe tatsächlich etwas auf dem Handy gefunden", fuhr Abby fort, während sie unermüdlich weiter tippte. „Es ist ein Video, was aber…" Weiter kam sie allerdings nicht, da sie ein lautes Piepsen ihres Computers unterbrach. Gleich darauf erschien das Bild des Mannes, der unten bei Ducky in der Pathologie lag und der bei Tony eingebrochen war. „Ha!" rief Abby laut und streckte ihre Hände in die Lüfte. „Wusste ich doch, dass ich dich irgendwo finden würde. Meinem Instinkt kann ich eben vertrauen. Oh oh", fügte sie jedoch eine Sekunde später hinzu, als sie ein Zeile las, die ihr, oder besser gesagt, Gibbs nicht gefallen wird.
„Was ist?" fragte dieser sofort und stellte sich neben die Forensikerin. „Die gute Nachricht ist, dass die Fingerabdrücke des Toten gespeichert gewesen sind und wir somit jetzt einen Namen haben. Die schlechte Nachricht ist…" Aber Abby brauchte nicht weiterzureden. Jethro hatte es bereits entdeckt und ihm war sofort klar, dass er seine Pläne, sich nachher mit Tony im Fahrstuhl zu amüsieren, wohl verschieben musste.

Fortsetzung folgt...
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