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Um Punkt elf Uhr öffneten sich die Türen des Fahrstuhls und entließen drei Personen in Anzügen und Krawatten, deren Körper in identische schwarze Mäntel gehüllt waren. Da ich eine wunderbare Sicht zum Fahrstuhl hatte, war ich der Erste, der die Ankunft des FBI bemerkte und war mehr als überrascht, dass Fornell nicht alleine gekommen war. Aber gleich darauf verwandelte sich die Überraschung in Ärger, als ich den Mann, von dem ich gehofft hatte, ihn nie wiedersehen zu müssen, links neben dem Agent erkannte. Groß, muskulös und mit einer dunklen Hautfarbe ausgestattet kam Ron Sacks mit seinen beiden Kollegen auf mich zu. Unwillkürlich verspannte ich mich, setzte mich aufrecht hin und versuchte die mehr als unangenehmen Erinnerungen zurückzudrängen, die ohne Vorwarnung mein Gehirn überfluteten. Ein Verhörraum in diesem Gebäude, der mir an diesem Tag ziemlich beengend vorgekommen war, was auch kein Wunder war, immerhin war ich damals der Verdächtige gewesen und beschuldigt worden, eine Frau ermordet und ihre Beine abgeschnitten zu haben. Sacks und ich alleine in dem Raum, wo er mich unerbittlich verhört und mich von vornherein für schuldig befunden hatte, noch bevor man überhaupt richtig mit den Ermittlungen begonnen hatte.
Eine kleine Zelle, in der ich für meinen Geschmack viel zu viele Stunden hatte verbringen müssen, mit keiner Möglichkeit, mich abzulenken – abgesehen von Gibbs und McGee, die mir einen Besuch abgestattet und mir versichert hatten, dass alles wieder gut werden würde. Jethro, der mir meine Lieblingspizza mitgebracht und mich mit einer Kopfnuss aufgemuntert hatte. Das alles war Monate her, aber dennoch war es eine schmerzhafte Erinnerung, von der ich hoffte, sie würde nie wieder an die Oberfläche kommen. Ich hatte schon lange nicht mehr an Chip gedacht, der es so eingefädelt hatte, dass ich wegen Mordes beschuldigt worden war, aber jetzt, wo Agent Sacks so unverhofft auftauchte, kam alles wieder hoch und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Meine ganze Verachtung, die ich gegen ihn verspürte, legte ich in den Blick mit dem ich ihn jetzt bedachte. Sollte er ruhig mitbekommen, dass er auf meiner Beliebtheitsskala ganz unten rangierte.
Sacks hatte sofort gemerkt, dass ich ihn gesehen hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde versteifte er sich, bevor er sich wieder fing und mich mit einem leicht herablassenden Blick bedachte. Meine Verachtung war also nicht einseitig.
Mit Mühe ignorierte ich Ron und konzentrierte mich auf den dritten Agenten im Bunde, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Er war mit Abstand der Größte des Trios – sicher über 1,90 Meter – und auch der Jüngste. Die leicht gelockten hellbraunen Haare streiften den Mantelkragen und waren perfekt frisiert. Das Gesicht wurde von hohen Wangenknochen dominiert, die ihn aber attraktiv wirken ließen. Die Lippen hätten etwas voller sein können, aber nichts desto trotz passten sie zu ihm. Seine graublauen Augen sahen sich neugierig in dem Großraumbüro um – ein sicheres Zeichen dafür, dass er noch nie hier gewesen war. Sein Erscheinungsbild wurde von einem dunklen Anzug und einer perfekt gebundenen Krawatte vervollständigt. Auf mich machte er einen durchaus netten Eindruck, was man von Sacks Äußerem auch behaupten konnte, aber warf man einen Blick hinter die Fassade, kam ein ganz anderer Charakter zum Vorschein. Deshalb beschloss ich, auch dem Neuen nicht zu vertrauen.
Ich drehte meinen Kopf und sah zu Gibbs, der den Besuchern mit widerwilliger Miene entgegenblickte. Auch wenn zwischen ihm und Fornell so etwas wie Freundschaft herrschte – was beide aber nie zugeben würden – war es unverkennbar, dass er nicht gerade erfreut war, dass er diesmal mit dem Agent zusammenarbeiten musste. Es war allen klar, dass wir uns selbst über Jeremy McDonald schlau machen konnten, aber mit Hilfe des FBI würde es wesentlich schneller gehen, weshalb Jethro über seinen Schatten gesprungen war.
McGee und Ziva hatten ebenfalls bemerkt, dass wir Besuch hatten und vergaßen für den Moment die Akten vor ihren Nasen. Der Chefermittler stand schließlich auf und blieb zwischen meinem und Davids Schreibtisch stehen. „Agent Fornell", sagte er knapp und zu meiner größten Verblüffung schüttelten sich die beiden die Hände. Anscheinend mochten sie sich doch mehr als ich angenommen hatte. „Gibbs", erwiderte der andere genauso kurz angebunden und zeigte auf seine zwei Begleiter. „Agent Andrew Joseph DeLay. Agent Sacks kennen Sie ja bereits." „Wie wahr", meinte ich laut genug, dass es alle verstehen konnten. „Pech für Sie, dass ich diesmal nicht unter Mordverdacht stehe, sodass wir nicht erneut ein nettes Gespräch im Verhörraum führen können." „Tony!" Gibbs warf mir einen warnenden Blick zu und ich spürte förmlich, wie er noch etwas sagen wollte, es sich aber verkniff. Ich schluckte die Worte, die mir auf der Zunge lagen, hinunter und begnügte mich damit, Ron, der keine Miene verzog, seine Augen aber zu Schlitzen zusammenkniff, böse anzufunkeln.
„Agent Sacks und Agent DeLay bearbeiten den Fall McDonald und sind seit Monaten hinter ihm her", erklärte Fornell, weshalb er in Begleitung erschienen war. „Und plötzlich rufen Sie an und fordern Informationen über den Mann. Weshalb interessiert sich auf einmal der NCIS für einen mehrfach gesuchten Mörder, der meines Wissens noch nie etwas mit der Navy oder dem Marine Corps zu tun hatte?" „Jetzt hat er schon etwas damit zu tun", erwiderte Gibbs ungerührt und bedachte den anderen mit einem durchdringenden Blick. Am Telefon hatte er sich mehr als kurz gefasst und nicht gesagt, weshalb das FBI hierher kommen sollte. Verständlich, dass Fornell überrascht war. „Was soll das heißen?" „Das soll heißen, dass Jeremy McDonald letzte Nacht bei Tony eingebrochen ist und ihn beinahe umgebracht hat." Drei Augenpaare waren plötzlich auf mich fixiert, wobei das Hauptinteresse der Prellung auf meiner Wange galt. Ich kam mir unwillkürlich wie ein Ausstellungsstück in einem Museum vor. „Sieht schmerzhaft aus", sagte Agent DeLay die ersten Worte, seit er das Großraumbüro betreten hatte. „Muss eine harte Faust gehabt haben." „Es war eher der Lauf seiner Waffe, der mich getroffen hat", erwiderte ich und widerstand dem Drang, die Verletzung zu berühren. „Und woher sind Sie sich so sicher, dass es McDonald war, der bei Ihnen eingedrungen ist?" fragte Sacks und musterte mich abschätzig. „Ganz einfach." Meine Stimme hatte einen spöttischen Unterton angenommen, der mir erneut einen warnenden Blick von Gibbs einbrachte, aber ich ignorierte ihn. „Er hatte eine unangenehme Begegnung mit einem Messer aus meiner Küche und hat deshalb einen gratis Fahrschein in die Pathologie erhalten." Zivas Mundwinkel zuckten belustigt, McGee sah mich amüsiert an und selbst Jethro musste sich ein Lächeln verkneifen. „McDonald ist tot?" fragte DeLay und seine Augen weiteten sich überrascht. „Mausetot", war mein trockener Kommentar dazu. „Sie haben ihn einfach erstochen?" fragte Sacks nach, nicht sicher, ob er alles richtig verstanden hatte. „Das habe ich doch gerade gesagt, oder? Und falls Sie vorhaben, mich wegen Mordes zu verhaften, sollte ich vorher zu meiner Verteidigung vorbringen, dass es Notwehr war." „Niemand hat vor, Sie zu verhaften, Agent DiNozzo", meinte Fornell und hob eine Augenbraue. „Ich sollte mich eher dafür bedanken, dass Sie uns mühsame Arbeit abgenommen haben. Ich nehme an, dass wir die Leiche von McDonald mitnehmen können?" „Nicht so schnell", mischte sich nun wieder Gibbs ein. „Er ist nicht einfach so in Tonys Haus eingebrochen, sondern hat etwas gesucht." Tobias sah ihn etwas verwundert an, schwieg jedoch und wartete darauf, dass er weiterredete. Sacks hingegen verzog keine Miene und ließ nicht erkennen, was er dachte, was bei DeLay anders war. Er musterte mich neugierig und es schien ihm förmlich unter den Fingernägeln zu brennen zu erfahren, worum es im Detail ging.
„Er hat ein Handy gesucht, das mir gestern Morgen jemand unbemerkt in die Jackentasche gesteckt hat", übernahm ich die Erklärung und spürte für einen kurzen Moment erneut den heftigen Rempler, bevor ich mich wieder auf das Hier und Jetzt konzentrierte. „Ich habe es heute gefunden, bevor ich mein Haus verlassen habe." Dass Gibbs bei mir gewesen war, erwähnte ich nicht. Die Letzten, denen ich einen Einblick in mein Privatleben gewähren wollte, waren die FBI Agenten.
Bei meinen Worten verengten sich DeLays Augen für einen kurzen Moment zu Schlitzen und ich hatte das Gefühl, er würde mich eiskalt ansehen. Meine Nackenhärchen stellten sich auf, als sich unsere Blicke trafen und mein Magen krampfte sich unwillkürlich zusammen, so fest, dass er sich beinahe in einen harten Knoten verwandelte. Mein Herzschlag beschleunigte sich und eine innere Stimme flüsterte mir ins Ohr, dass dieser Agent vor mir genau wusste, wovon die Rede war. Aber gleich darauf verflüchtigte sich dieses komische Gefühl wieder, als ein verwirrter Ausdruck in die graublauen Augen trat und er mich wieder freundlich ansah. Plötzlich kam mir meine Reaktion mehr als lächerlich vor und ich schob es auf die Tatsache, dass ich nicht genügend Schlaf in dieser Nacht gehabt hatte und dass ich von Gangstern verfolgt wurde. Irgendwie schien ich auf einmal gegenüber jedem mir Fremden argwöhnisch zu sein.
„Ein Handy?" fragte Fornell und riss mich somit aus meinen Gedanken. „Ja", antwortete Gibbs, der von meinem kurzen inneren Kampf anscheinend nichts mitbekommen hatte. „Abby hat ein Video darauf gefunden, allerdings hat es keine gute Qualität, was aber nicht heißt, dass man nichts erkennen kann. Sie ist gerade dabei, es so weit zu verbessern, dass man mehr Details sehen kann."
„Und was ist auf dem Video zu sehen?" wollte Sacks wissen und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Ein Mord", sagte ich knapp, wobei ich weiterhin DeLay im Auge behielt. Aber diesmal verhielt er sich normal, schien nicht zu wissen, wovon die Rede war. Seine Miene wurde neugierig und es war ersichtlich, dass der Agent jetzt vollkommen in seinem Element war, dass er begierig war, mehr darüber zu erfahren. Jetzt war also der Zeitpunkt gekommen, wo sich das FBI einmischen wollte, obwohl sie damit überhaupt nichts zu tun hatten. Das schien auch Gibbs so zu sehen, denn er trat einen Schritt auf Fornell zu und nahm mir somit die Sicht auf den großgewachsenen Agent.
„Kann ich Sie unter vier Augen sprechen, Tobais?" Dieser überlegte ein paar Sekunden und nickte schließlich. „Üblicher Konferenzraum?" Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um, gefolgt von Jethro, der mir noch einen kurzen Blick zuwarf, ehe er mit Fornell im Fahrstuhl verschwand.
„Ich dachte, die wollten in einen Konferenzraum?" fragte DeLay und blickte mich verwundert an. Ich grinste und zuckte mit den Schultern. „Das ist ihr Konferenzraum", kam es von McGee, der bis jetzt schweigend gelauscht hatte und als ihn plötzlich viele Augenpaare anblickten, zog er es vor, sich wieder auf eine Akte zu konzentrieren.
„Sicher nicht so gemütlich wie ein Verhörraum", sagte Sacks und sah mich spöttisch an. „Machen Sie nur so weiter und es könnte sein, dass es gleich einen guten Grund gibt, weshalb ich in so einem gemütlichen Raum sitze", erwiderte ich patzig und nahm mir eine Akte. „Ist das eine Drohung, Agent DiNozzo?" „Fassen Sie es auf, wie Sie wollen, Agent Sacks." Ein paar Sekunden sahen wir uns eindringlich an, wobei aus seinen Augen Funken sprühten, bis ich schließlich den Kopf schüttelte und mich auf die Akte konzentriere. Wieso musste dieser aufgeblasene Typ auch auftauchen? Hätte er nicht dort bleiben können, wo der Pfeffer wächst?
„Da scheinen sich ja zwei gerne zu haben", sagte DeLay und ich konnte förmlich das Grinsen in seiner Stimme hören. Na super, wieder jemand, der sich auf meine Kosten amüsierte. Auch wenn er einen durchaus netten Eindruck machte, so war er doch vom FBI – ein Grund, ihn nicht zu mögen.

Fortsetzung folgt...
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