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Mit dem mir mehr als vertrauten leisen Geräusch schlossen sich die Fahrstuhltüren und sperrten die Außenwelt für ein paar Sekunden aus. Ich lehnte mich gegen die Wand und wartete darauf, dass er mich in die dritte Etage brachte. Natürlich hätte ich auch dieses Mal das Treppenhaus benützen können, aber die Stufen hinaufzugehen war meiner Meinung nach viel anstrengender als sie hinunterzueilen. Einmal pro Tag reichte definitiv und nicht umsonst hieß es Sport sei Mord. Und vier ganze Stockwerke hinter mich zu bringen war in einer kleinen Kabine bei weitem unbeschwerlicher als zu Fuß. Außerdem sparte ich dadurch Zeit, etwas, was ich momentan nicht wirklich hatte. Ich hatte schon viel zu viele Minuten bei Abby verbracht, da wollte ich nicht noch mehr davon fürs Treppensteigen verwenden. Zusätzlich würde es keinen guten Eindruck machen, wenn ich vollkommen außer Atem im Großraumbüro ankommen und Agent Fornell bereits anwesend sein würde. Vielleicht sollte ich in Zukunft nicht so viele Hamburger mit Pommes essen und stattdessen auf vitaminreichere Kost umsteigen. Ein Besuch im Fitnessstudio könnte auch nicht schaden, wobei, wenn ich genauer darüber nachdachte, ich mir das Geld eigentlich sparen könnte, wenn ich da an gewisse nächtliche Aktivitäten dachte. Immerhin verbrannte man damit ebenfalls genug Kalorien und es machte außerdem viel mehr Spaß als sich in einem großen Raum auf einem Laufband oder Trainingsfahrrad abzustrampeln – umgeben von vor Kraft strotzenden Männern und solchen, die versuchten, ihren Bierbauch loszuwerden.
Ich schüttelte unwillkürlich den Kopf, um diese Bilder aus meinem Gehirn zu bringen und ließ meinen Blick zu der gegenüberliegenden Wand des Fahrstuhls schweifen. Noch vor wenigen Stunden hatte mich Gibbs dagegen gedrängt nur um mich gleich darauf leidenschaftlich zu küssen und sich zu entschuldigen – eine Sache, die er normalerweise nie machte. Es war schon erstaunlich dass er einfach so seine Regeln brach. Zuerst Regel Nummer 12 – worüber ich mich bestimmt nicht beschwerte – und dann auch noch Regel 3. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt meinen, Jethro wurde durch meinen äußerst positiven Einfluss noch richtig nett – ein Ausdruck, den ich mit ihm vor Wochen nie in Verbindung gebracht hätte. Ein Beweis dafür, dass sich Menschen durchaus ändern konnten. Und selbst Abby war aufgefallen, dass Gibbs glücklicher war als sonst.
Ein Grinsen huschte über meine Lippen, als ich daran dachte, wie sie mich noch vor ein paar Minuten derart stürmisch umarmt hatte. Dass sie herausgefunden hatte, was zwischen mir und Jethro lief, hatte mich zuerst ein wenig erschreckt, zumal ich geglaubt hatte, wir würden unsere Rollen überzeugend spielen – abgesehen von der Sache mit dem Bleistift. Aber Ziva würde ich sicher nicht gleich auf die Nase binden, dass ich in Zukunft keine Freundin mehr haben würde. Genauso wie die junge Goth hatte sie scharfe Augen und ihr entging nichts. Wenn ich ehrlich sein sollte, wäre es mir durchaus Recht, wenn es nicht nur Abby und Ducky wüssten. Vor allem auf McGees Gesichtsausdruck war ich mehr als gespannt. Ob er wohl röter als eine Tomate werden und unverständliches Zeug stammeln würde? Vielleicht sollte ich mir einen Fotoapparat mitnehmen und diesen Moment für die Nachwelt festhalten. Aber bis es soweit sein würde, musste ich Gibbs erst einmal wieder zurückbekommen, um ihn dann mit einem leidenschaftlichen Kuss zu belohnen, so wie es Abby vorgeschlagen hatte. Mein Grinsen wurde breiter, als ich an die Freude in ihren Augen dachte, die aufgeblitzt war. Sie gönnte uns unser Glück unübersehbar und es war gerade das, was mich rührte. Ich konnte froh sein, eine so gute Freundin zu haben – meine beste, wenn ich ehrlich war.
Das leise Pling des Fahrstuhls riss mich schließlich aus meinen Gedanken über die Forensikerin und ließ mich in die Realität zurückkehren. Obwohl die Fahrt bis in die dritte Etage nur ein paar Sekunden gedauert hatte, war sie mir endlos lange vorgekommen. Als ich die kleine Kabine verließ, wünschte ich mir jedoch unwillkürlich, dass sie noch nicht zu Ende wäre. Wie gegen eine unsichtbare Wand geprallt, blieb ich stehen und versuchte das Bild zu verarbeiten, das sich mir bot. Gleichzeitig stieg Wut in mir auf und ich ballte meine Hände zu Fäusten. In meiner Kehle stieg ein Knurren auf, das ich allerdings hinunterschluckte, als mir bewusst wurde, dass ich mich wie ein kleines Kind aufführte und nicht wie ein professioneller Bundesagent. Aber der Anblick des Mannes, der es sich auf meinem Stuhl hinter meinem Schreibtisch gemütlich gemacht hatte und seelenruhig in sein Handy sprach, löste in mir einfach den Wunsch aus, mich wie ein halsstarriges Kleinkind zu benehmen und nicht wie ein Erwachsener. Dabei war mir nur allzu bewusst, dass ich meine Abneigung in den Griff bekommen musste, wollte ich die Hilfe des FBIs in Anspruch nehmen. Dennoch würde ich sicher nicht stumm die Tatsache hinnehmen, dass sich dieser aufgeblasene Typ an meinem Platz wie zu Hause fühlte. Und nicht einmal McGee oder Ziva schienen etwas dagegen zu tun, dass er sich so breit machte, geschweige denn Fornell, der an der Kante von Davids Schreibtisch lehnte, die Arme vor seiner Brust verschränkt hatte und einen imaginären Punkt weiter hinten im Großraumbüro anstarrte. Egal woran er dachte, es war keine angenehme Sache, wie mir seine angespannte Körperhaltung verriet. Aber bevor ich mich mit dem Älteren der beiden beschäftigte, musste ich den Störenfried von meinem Platz vertreiben.
Mit großen Schritten ging ich auf die kleine Gruppe zu und baute mich vor Sacks auf, wobei ich nur knapp dem Drang widerstand, meine Hände in die Hüften zu stemmen, so wie es meine Großmutter immer gemacht hatte, wenn ich wieder einmal etwas angestellt hatte, wobei jedes Mal ihr italienisches Temperament zum Vorschein gekommen war, wenn sie mit mir geschimpft hatte.
Der dunkelhäutige Agent sah zu mir auf und hob eine Hand zum Gruß, während er gleichzeitig seinem Gesprächspartner lauschte, dessen Stimme leise an mein Ohr drang – allerdings waren die Worte unverständlich. „Verdammt, was machen Sie hier?" pflaumte ich ihn an, was ihm lediglich das Heben einer Augenbraue entlockte. „Wonach sieht es denn aus?" fragte er mit ruhiger Stimme, wobei er den unteren Teil seines Handys abdeckte, damit es die Person am anderen Ende der Leitung nicht hören konnte. Ich spürte förmlich die Blicke meiner Kollegen und von Fornell auf meinem Rücken, die sich wahrscheinlich über meine kindische Art amüsierten – oder sich fragten, ob ich noch alle Tassen im Schrank hatte.
„Für mich sieht es so aus, als ob sie sich an MEINEM Platz ausbreiten, so als ob es Ihrer wäre, was aber nicht der Fall ist. Also bewegen Sie gefälligst Ihren Hintern und pflanzen ihn woanders hin, bevor ich das selbst in die Hand nehme." Hinter mir erklang Zivas belustigtes Schnauben, das ich jedoch ignorierte. Sacks kniff seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, verabschiedete sich knapp von seinem Gesprächspartner, klappte sein Handy zu und beugte sich vor, um seine gesamte Aufmerksamkeit mir zu schenken. „Was ist eigentlich Ihr Problem, Agent DiNozzo?" fragte er und hob erneut eine Augenbraue. Ich stützte mich mit meinen Händen auf der Tischplatte ab und brachte mein Gesicht nahe an seines. „Mein Problem sitzt auf dem Stuhl direkt vor mir", erwiderte ich leise, aber deutlich genug. „Was regen Sie sich so auf? Es waren immerhin Sie, der uns um Hilfe gebeten hat." „Wobei ich aber nicht an Sie gedacht habe, sondern an kompetente FBI Agenten." Der letzte Satz hatte gesessen, das sah ich deutlich an dem angriffslustigen Funkeln in seinen dunklen Augen. Sacks presste seine Lippen so fest zusammen, dass sie beinahe blutleer wirkten und nur mehr ein schmaler Strich waren. In diesem Moment hätte es mich nicht gewundert, wenn sich seine Hand um seine Waffe gelegt und sie gezogen hätte, um mich damit zu erschießen. Sein Blick war so kalt, dass ich eigentlich zu einer Eissäule hätte erstarren müssen und beinahe bereute ich es, die Worte ausgesprochen zu haben – aber eben nur beinahe. Mir war bewusst, dass ich auf die Hilfe des FBI angewiesen war, wenn ich Gibbs' Leben retten wollte und um ihn wieder zurückzubekommen, würde ich es wahrscheinlich mit dem Teufel höchstpersönlich aufnehmen. Deswegen überlegte ich mir ernsthaft, mich bei dem Agent zu entschuldigen, auch wenn mir ständig eingetrichtert worden war, dass dies ein Zeichen der Schwäche sei. Aber Jethro war nicht hier und er würde es auch nie erfahren. Aber noch bevor ich meinen Mund aufmachen konnte, mischte sich Fornell ein. „Ich dachte, wir sind in einer Bundesbehörde und nicht in irgendeiner billigen Seifenoper." In seiner Stimme schwang unüberhörbar ein amüsierter Tonfall mit, aber dennoch entging mir nicht, dass er in dieser Sekunde nicht gerade die Geduld in Person war. Zu meiner Freude zuckte Sacks ein wenig zusammen, schenkte mir einen letzten mörderischen Blick und lehnte sich dann auf meinem Stuhl zurück, ohne jedoch Anstalten zu machen, aufzustehen. Ich presste meine Kiefer so fest zusammen, dass sie fast schmerzten, widerstand aber dem Drang, einen weiteren Kommentar abzugeben. Meinen Stolz hinunterschluckend, richtete ich mich auf und drehte mich um, sodass ich den kleineren Mann fixieren konnte, der sich mittlerweile von Zivas Schreibtisch abgestoßen hatte. „Haben Sie etwas gegen billige Seifenopern, Fornell?" wollte ich wissen, womit ich ihm ein kleines Lächeln entlockte. „Sie gehören nicht gerade zu den Sendungen, die ich mir ansehe", erwiderte er und steckte seine Hände in die Manteltaschen. Von einer Sekunde zur anderen wurde sein Gesichtsausdruck ernst und er sah zu Jethros Schreibtisch, bevor er sich wieder auf mich konzentrierte – mit einem Blick in den Augen, den ich nicht deuten konnte.
„Es hat tatsächlich jemand geschafft, Gibbs zu entführen?" fragte er und runzelte die Stirn. „Wie haben die das bloß geschafft?" „Wenn ich ihn gefunden habe, werde ich ihn das sicher fragen", meinte ich und setzte mich auf die Tischplatte meines Schreibtisches, wobei ich Sacks damit den Rücken zukehrte. Diesen schien das jedoch nicht zu stören, da er immer noch keine Anstalten machte, aufzustehen. ‚Und ich werde Gibbs anschließend fest in meine Arme nehmen', fügte ich in Gedanken hinzu, was mir einen kleinen angenehmen Schauer über den Rücken jagte. Nach außen blieb ich allerdings ruhig und holte das Handy aus meiner Hosentasche, welches Tobias sofort interessiert musterte. „Dieses kleine Ding wollen sie wieder zurückhaben", fuhr ich fort und klappte es auf und zu, damit meine Finger etwas anderes zu tun hatten, als nur rastlos auf der Platte herumzutrommeln. „Und Sie werden es den Typen einfach so vorbeibringen?" ertönte Sacks' Stimme hinter meinem Rücken, gefolgt von einem leisen Geräusch, als er endlich aufstand, den Tisch umrundete und damit in mein Blickfeld kam. „Das habe ich vor", sagte ich und betrachtete das Handy, mit dem alles angefangen hatte. Die Gangster waren gierig danach und ich würde dafür sorgen, dass ihnen diese Gier zum Verhängnis wurde. Verbrechen zahlten sich einfach nicht aus und das würden sie an diesem Nachmittag lernen.
„Aber nicht alleine, sonst hätten Sie Agent McGee nicht gesagt, er solle mich anrufen", meinte Fornell und nahm seine Hände wieder aus den Manteltaschen, nur um seine Arme wieder vor der Brust zu verschränken. „Ich dachte mir, das FBI könnte mir ein wenig Rückendeckung geben. Zwar muss ich alleine dort auftauchen, was aber nicht bedeutet, dass niemand ein paar Minuten später ebenfalls aufkreuzen darf." „Und wieso gerade wir?" wollte Sacks wissen und hob seine Augenbrauen. „Weil es hier im Grunde auch um Jeremy McDonald geht und es seine Kumpels sind, die Gibbs festhalten. Von mir aus können Sie gern die Lorbeeren einheimsen, wenn Sie die Gangster verhaften. Mir geht es nur darum, meinen Boss da rauszuholen." „Dass wir so einfach die Lorbeeren einheimsen werden, wird Gibbs aber nicht gefallen", sagte Fornell und fuhr sich über sein kurzes Haar. „Er wird es verstehen", erwiderte ich und klappte das Handy in meiner Hand endgültig zu. Am liebsten würde ich es in einem Fass voller Säure versenken, um es zu vernichten.
„Meinst du wirklich?" mischte sich Ziva ein und musterte mich skeptisch. „Glaub mir, er wird es verstehen", wiederholte ich und betonte jedes einzelne Wort, um ihr damit zu signalisieren, dass ich nicht weiter darüber diskutieren würde. Eine Tatsache, die sie mit einem Schulterzucken quittierte.
„Wenn Sie von ein paar Minuten reden, wie viele meinen Sie da?" brachte Fornell das Gespräch wieder auf den Fall. „Fünfzehn", antwortete ich knapp. „Das gibt den Männern genug Zeit, sich zu vergewissern, dass ich alleine aufgetaucht bin." „Und was ist, wenn sie dich und Gibbs woanders hinbringen?" fragte McGee vorsichtig. „Abby stattet mich mit einem kleinen Peilsender aus. Ihr werdet also immer wissen, wo ich bin." „Und was ist, wenn sie euch vorher umlegen?" Ziva hob eine ihrer Augenbrauen und wartete auf eine Antwort. „Dann hat Ducky an diesem Nachmittag und in der Nacht viel Arbeit", erwiderte ich in einem Anflug von Galgenhumor, wobei ich wusste, dass dieser Satz nicht gerade angemessen war. Mir war nur allzu bewusst, dass ich diesen Tag nicht überleben und in einem Leichensack enden könnte.
„Das ist nicht witzig, Tony", meinte meine junge Kollegin und sah mich vorwurfsvoll an, worauf ich nur mit einem Schulterzucken reagierte. Es war eben meine Art, mit solchen Dingen so umzugehen. „Werden Sie mir helfen?" wandte ich mich schließlich an Fornell, der ohne zu zögern nickte, was mich ein wenig verwunderte. Er schien nicht einmal wirklich darüber nachgedacht zu haben. „Agent Sacks, rufen Sie das Einsatzkommando an. Sagen Sie denen, dass wir sie brauchen. Wo sollen wir hinkommen?" fragte er mich, worauf ich ihm die Adresse nannte. „Abby überprüft gerade, was dort ist und wem das Gebäude gehört", fügte ich noch hinzu, während ich zusah, wie Sacks sich ein paar Schritte entfernte und anfing zu telefonieren, was mich seltsamerweise darauf brachte, dass jemand fehlte. Ich war so von Rons Dreistigkeit, sich meinen Platz unter den Nagel zu reißen, abgelenkt gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass sie nur zu zweit gekommen waren.
„Wo ist eigentlich Agent DeLay?" fragte ich neugierig und ließ meinen Blick durch das Großraumbüro schweifen, ob ich ihn vielleicht irgendwo übersehen hatte. Aber ich konnte den großen, braunhaarigen Mann nirgendwo entdecken. „Er geht einem Hinweis nach", antwortete Fornell und fügte, als er mein Stirnrunzeln bemerkte hinzu: „Kurz nachdem wir hier weggefahren sind, hat er einen Anruf von einem seiner Informanten bekommen und wollte diesen treffen. Vermissen Sie ihn etwa?" Ich lächelte kurz und schüttelte den Kopf. Allerdings konnte ich nicht verhindern, dass mich erneut eine ungute Ahnung überkam. Wieso hatte ich auf einmal das Gefühl, dass es kein Informant war, der DeLay angerufen hatte. Der eisige Blick, mit dem er mich vor ein paar Stunden gemustert hatte, kam mir wieder in den Sinn. Hatte ich ihn mir vielleicht doch nicht eingebildet, so wie ich geglaubt hatte? War dieser Agent vielleicht doch nicht so harmlos wie er aussah? War es möglich, dass er…?
Meine Gedanken wurden jedoch durch etwas Weißes abgelenkt, das in mein Blickfeld kam, weshalb ich meine Aufmerksamkeit auf die Person richtete, die soeben das Großraumbüro betreten hatte. Abby eilte mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu, wobei man meinen könnte, dass sie keine Plateaustiefel trug, sondern Turnschuhe. Sicher zum hundertsten Mal fragte ich mich, wie sie es schaffte, sich nicht die Füße zu brechen, wenn sie auf diesen Monsterschuhen herumlief. Der Anblick der jungen Frau zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen und ich ließ mich von meinem Schreibtisch gleiten.
„Hast du etwas herausgefunden?" kam ich gleich auf den Punkt, ohne mich mit langen Vorreden aufzuhalten. Abby schürzte ihre Lippen und sah mich tadelnd an. „Du bist genauso ungeduldig wie Gibbsman", sagte sie und hob in gespielter Entrüstung ihren rechten Zeigefinger. „Da kann ich ihr nur zustimmen", mischte sich McGee ein, woraufhin mein Kopf in seine Richtung wanderte und ich ihn regelrecht mit meinen Augen fixierte. „So, tust du das?" Meine Stimme hatte einen gefährlichen Ton angenommen und ich musste ein Grinsen unterdrücken, als Tim meinem Blick auswich und seine Schuhe musterte. Anscheinend hatte ich das Niederstarren von Jethro schon übernommen und schaffte es damit, meinen jungen Kollegen einzuschüchtern. Wenn die Situation nicht so ernst wäre, würde ich glatt darauf herumreiten, aber so wandte ich mich wieder an Abby, die belustigt zwischen mir und McGee hin und her sah. „Hast du nun etwas herausgefunden?" „Wie man es nimmt", antwortete sie und hob entschuldigend ihre Arme. „Die Adresse gehört zu einem zweistöckigen Gebäude, das schon seit mehreren Jahren leer steht. Eine Firma mit dem Namen J & G Company hat es vor etwa 18 Monaten gekauft. Ich habe ein wenig tiefer gegraben und festgestellt, dass dieses Unternehmen nicht existiert." Obwohl ich bereits damit gerechnet hatte, überkam mich dennoch Enttäuschung. Es wäre auch zu schön gewesen, jetzt schon zu erfahren, wer hinter der ganzen Sache steckte. Dann hätten wir uns noch viel besser vorbereiten können, aber so konnten wir nur hoffen, dass alles glatt über die Bühne gehen würde.
„Trotzdem gute Arbeit, Abbs", lobte ich die junge Frau, was ihr ein breites Lächeln entlockte. „Endlich jemand, der meine Arbeit anerkennt", sagte sie fröhlich und hüpfte aufgeregt auf und ab, wobei mir vom Zusehen bereits schwindelig wurde. Gleich darauf wurde ich aber von Sacks abgelenkt, der zu uns stieß. „Das Einsatzkommando ist bereit. Wir treffen sie auf halber Strecke auf einem verlassenen Fabrikgelände. Dort können wir noch einmal alles besprechen." Ich nickte dankbar und sah auf meine Uhr. Ich hatte nicht mehr ganz eine Stunde Zeit und obwohl ich wusste, dass ich viel zu früh dort sein würde, steckte ich das Handy in meine Hosentasche und schnappte mir meine Jacke. „Ich werde dann mal fahren. Nicht, dass ich in einen Stau gerate und deswegen zu spät komme." Wenn Gibbs wegen so einer Kleinigkeit wie einer Verkehrsüberlastung sterben sollte, würde ich mir das nie verzeihen.
Abby griff in eine Tasche ihres Laborkittels und zog eine silberne Uhr hervor. „Da ist ein Peilsender eingebaut. Falls diese Typen sich entscheiden sollten, euch woanders hinzubringen, werden wir dennoch wissen, wo ihr euch aufhaltet." „Danke", sagte ich knapp, nahm die Uhr und tauschte sie gegen meine andere aus. „Viel Glück. Und bring Gibbs wieder zurück", meinte sie, kam auf mich zu und drückte mir einen kleinen Kuss auf die rechte Wange. „Und vergiss nicht, was ich vorher gesagt habe", flüsterte sie mir ins Ohr. „Bestimmt nicht", erwiderte ich genauso leise und schenkte ihr ein kleines Lächeln. „Ich werde mich melden, wenn ich angekommen bin. Haltet die Ohren steif." „Das gilt auch für dich, Tony", meinte Ziva. „Wir werden dir den Rücken stärken." Ich nickte als Zeichen, dass ich ihnen vertraute, schüttelte Fornell die Hand und zu meiner Überraschung warf ich Sacks einen versöhnlichen Blick zu, den er mit einem schiefen Lächeln quittierte. „Pass auf dich auf", rief mir Abby hinterher, als ich bereits zum Fahrstuhl eilte, dessen Türen aufgingen, als ich ihn erreichte, Ducky heraustrat und beinahe in mich hineinlief. Seine klugen Augen schienen mich förmlich zu röntgen, was mich inne halten ließ. „Abby hat mir die Sache mit Gibbs erzählt", sagte er schließlich und blickte mich eingehend an. In der ganzen Aufregung hatte ich ganz vergessen, es ihm zu berichten, dass sein bester Freund in Schwierigkeiten steckte, weswegen mich plötzlich Schuldgefühle überkamen. „Es tut mir leid. Ich hätte…" Aber er stoppte mich, indem er einen Finger hob. „Schon in Ordnung. Du hattest in der letzten Stunde andere Sorgen als zu mir in die Pathologie zu kommen, um mir zu sagen, dass Jethro entführt wurde." Ich starrte dennoch beschämt zu Boden und fühlte mich mies. Ducky hatte mich ständig unterstützt, hatte mir Ratschläge bezüglich Gibbs gegeben und dann vergaß ich einfach, mich eine Minute lang mit ihm zu unterhalten.
Ich schüttelte den Kopf und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. „Ich kann mir vorstellen, dass du auf die Kidnapper mehr als wütend bist", fuhr er fort, da ich nichts erwiderte. Seine sanfte Stimme verleitete mich dazu, aufzublicken. In seinen Augen lag nichts weiter als Sorge, also schien er es mir wirklich nicht übel zu nehmen, dass ich es versäumt hatte, ihn auf den neuesten Stand zu bringen. „Egal was dich dort erwartet, tu nichts Unüberlegtes." Er sprach nachdrücklich und musterte mich eingehend. „Lass dich nicht von deiner Wut leiten, sondern höre auf deinen Verstand. Hass kann dich von Innen heraus zerfressen und dich blind für die wesentlichen Dinge machen. Vergiss das nie, Tony." Für ein paar Sekunden schwieg ich, nickte aber schließlich. „Ich werde es mir merken", flüsterte ich, was ihn sichtlich zufrieden stellte. „Und jetzt zeig es den Verbrechern und hol Gibbs zurück. Zeig ihnen, dass sich niemand ungestraft mit dem NCIS anlegt." „Das werde ich, Ducky", sagte ich und lächelte. „Da habe ich überhaupt keinen Zweifel. Sei vorsichtig." „Aber immer doch." Entschlossen drückte ich auf den Knopf, um die Türen des Fahrstuhls zu öffnen, die sich in der Zwischenzeit wieder geschlossen hatten. Ein letztes Mal blickte ich zu dem Pathologen, der mir aufmunternd zunickte, bevor ich in den Aufzug trat, um in die Tiefgarage hinunterzufahren. Bei dem Gedanken daran, dass ich bald den Männern gegenüberstehen würde, die seit gestern hinter mir her waren, zogen sich meine Eingeweide schmerzhaft zusammen. Auch wenn ich das FBI als Rückendeckung hatte, wusste ich nur zu gut, dass diese Sache tödlich enden konnte. 15 Minuten würde es dauern, bis der ganze Spuk vorbei sein würde – 15 Minuten, in denen ziemlich viel passieren konnte. Während mich der Fahrstuhl stetig nach unten brachte, hoffte ich, dass ich dieses Gebäude das nächste Mal lebend betreten würde – und nicht in einem Leichensack.

Fortsetzung folgt...
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