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Die kurze Zeitspanne, die der Schuss brauchte, um in dem Keller zu verhallen, kam mir wie eine Ewigkeit vor und die Geschehnisse vor meinen Augen liefen in Zeitlupe ab. Das laute Geräusch ließ mich, obwohl ich damit gerechnet hatte, zusammenzucken und ich sah bereits vor mir, wie die Kugel in Gibbs' Körper eindrang, sein Herz durchschlug und hinten wieder austrat – aber so weit kam es nicht. Es war nicht mein Freund, der von dem Geschoss getroffen wurde, sondern Gary, der dadurch keine Gelegenheit mehr erhielt, seine Waffe abzufeuern. Wie in Trance bekam ich mit, wie sein Kopf auf der rechten Seite in einem Regen aus Blut, Knochensplittern und Gehirnmasse regelrecht explodierte und das Projektil, das ihn tödlich verwundet hatte, austrat und irgendwo in dem Raum landete. Sein Fall zu Boden dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, aber mir kam es wie Minuten vor. Der leblose Körper knallte mit einem plumpen Geräusch auf die Erde und blieb reglos liegen. Die Waffe war ihm aus den schlaffen Fingern gefallen und innerhalb kürzester Zeit breitete sich eine große Blutlache um seinen Kopf aus, die dem Betonboden eine widerliche Farbe verlieh.
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich zuerst zu Gary, dessen Gesicht eine Spur Überraschung zeigte und dann zu Jethro, der ebenfalls den Toten anstarrte und schließlich meinem Blick begegnete. Seine Miene spiegelte für einen kurzen Moment Unverständnis wider und ich wusste, dass er sich wahrscheinlich fragte, weshalb nicht er es war, der jetzt tot war. Aber schließlich drehte er seinen Kopf und sah zu der offenstehenden Tür, die uns einen Flur zeigte, der nicht länger leer war, sondern in dem sich mindestens ein halbes Dutzend Personen aufhielten, alle bewaffnet und bereit, ihre Pistolen auch einzusetzen. Aber ich interessierte mich nur für einen Mann, konzentrierte mich auf denjenigen, der Gibbs' Leben gerettet hatte. Fornell stand auf der Schwelle zu dem Raum, seine Pistole noch immer erhoben, aber er hatte seine Aufmerksamkeit nicht auf Gary gerichtet, dessen Leben er innerhalb einer Sekunde ausgelöscht hatte, sondern starrte mit vor Ungläubigkeit verzogenem Gesicht in meine Richtung und erst jetzt bemerkte ich, dass ich noch immer gegen die Wand gedrängt wurde, sich der Lauf einer Waffe, der jetzt eine Spur zitterte, gegen meine Stirn presste und mir eine kräftige Hand beinahe die Luft abschnürte.
Ich ließ meinen Blick zu DeLay zurückwandern, der aber nicht mich sondern Tobias ansah. Sein Atem ging in keuchenden Stößen und ich konnte Panik auf seinem Gesicht erkennen. Es war mehr als offensichtlich, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass noch irgendetwas schief gehen könnte, sondern dass er der festen Überzeugung war, dass er die Oberhand behalten würde, aber jetzt stürzte sein gesamtes Leben wie ein Kartenhaus zusammen, das einer starken Windböe ausgesetzt worden war. Die Tatsache, dass er ein korrupter FBI Agent war, war nicht mehr länger geheim und nach den verblüfften Mienen der Bundesagenten, die jetzt in den Raum stürmten, hatte keiner auch nur ansatzweise damit gerechnet, dass einer von ihnen zur Gegenseite übergewechselt war.
Seit der Schuss erklungen war, der Gary getötet hatte, waren insgesamt nur wenige Sekunden vergangen, aber sie hatten ausgereicht, um allen vor Augen zu führen, was es bedeutete, dass DeLay in diesem Raum war, die Waffe gegen meine Stirn presste und mich fast erwürgte. Und ich wusste, auch beim FBI konnte man korrupte Kollegen nicht ausstehen, waren sie doch ein Schandfleck für die Bundesbehörde und zogen ihren Ruf in den Dreck. Deshalb wunderte es mich auch nicht, dass es nicht lange dauerte, bis DeLay und ich von schwerbewaffneten Agenten umkreist waren, die nur darauf warteten, einen Schuss abzugeben. Selbst Fornell und Sacks waren darunter, genauso wie Ziva und McGee, die mit ihrer Kleidung so gar nicht zu den mit voller Kampfmontur ausgestatteten Männern passten.
„Verdammt, A.J., was soll der Mist?" Sacks war der Erste, der schließlich das Wort ergriff, seine Stimme vor Unglauben ungewöhnlich hoch. Es war ihm anzusehen, dass er sich hintergangen fühlte, immerhin hatte er lange mit dem Mann zusammengearbeitet, von dem sich plötzlich herausgestellt hatte, dass er zusätzliches Geld mit kriminellen Machenschaften verdiente. Die Frage riss ihn aus seiner Starre und er umklammerte meinen Hals eine Spur fester, sodass ich ein Würgen kaum mehr unterdrücken konnte. Aus den Augenwinkeln bekam ich mit, wie Gibbs versuchte, sich zu befreien, aber jeder schien sich nur auf mich und DeLay zu konzentrieren.
Fornells Gesichtsausdruck verwandelte sich rasch von ungläubig zu wütend und er ließ seine sonst so undurchschaubare Maske fallen. In seine Augen trat ein gefährliches Funkeln und plötzlich kam er mir so gefährlich wie ein hungriger Löwe vor. „A.J., lassen Sie die Waffe fallen", sagte er mit bemerkenswerter ruhiger Stimme und kam ein wenig näher, wodurch DeLay sofort den Druck der Waffe gegen meine Stirn erhöhte. „Keinen Schritt weiter", zischte er und spannte seinen Zeigefinger um den Abzug. Ich begann leicht panisch an seinem Handgelenk zu zerren, aber er ließ nicht locker. „Ich werde ihn erschießen, sollte einer vor euch nur eine kleine Bewegung machen." „Du wirst hier nicht rauskommen", ergriff erneut Sacks das Wort, blieb aber auf seiner Position stehen. „Nimm die Waffe runter, dann können wir über alles reden." „Über alles reden, ja?!" schrie DeLay und ich konnte förmlich spüren, wie die Panik in ihm immer weiter anstieg, da er langsam realisierte, dass er verloren hatte. „Wenn Sie Agent DiNozzo erschießen, kommen Sie hier nicht mehr lebend raus", mischte sich Fornell ein und umfasste seine Waffe fester. „Glauben Sie, dass interessiert mich?! Ich werde sicher nicht in den Knast gehen!"
Der Mann vor mir war so mit seinen ehemaligen Kollegen beschäftigt, dass er keine Augen mehr für mich hatte. Deshalb riskierte ich es und rutschte ein wenig an der Wand herum, aber nicht einmal das schien er zu registrieren. DeLay stand – mit leicht gespreizten Beinen - nicht ganz eine Armlänge von mir entfernt und es war genau diese Distanz, die ihm zum Verhängnis werden würde. Vorsichtig, damit er nichts mitbekam, winkelte ich mein rechtes Bein an und brachte es in Position. Die Einzigen, die mich beobachteten, waren Ziva und McGee und sie erkannten sofort, was ich vorhatte. Sie nickten mir zu und ich zögerte nicht mehr länger.
„Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie beschlossen haben, ein korruptes Arschloch zu werden", sagte ich mit verächtlicher Stimme und noch während DeLay seinen Kopf zu mir umdrehte, ließ ich mein rechtes Bein nach oben schnellen und traf ihn mit dem Unterschenkel genau im Solarplexus. Der Schlag war nicht so fest, wie ich es gerne gehabt hätte, aber er reichte aus, ihn schmerzhaft aufschreien zu lassen und dass sich sein Griff um meinen Hals lockerte. Die Waffe glitt von meiner Stirn und ehe er auch nur die Möglichkeit hatte, sich zu erholen, wurde er von mehreren FBI Agenten auf den Boden gezerrt. Ich bekam nur am Rande mit, wie ihm Fornell höchstpersönlich Handschellen anlegte und ihm irgendwelche verächtlichen Worte ins Ohr zischte. DeLay wehrte sich heftig gegen die harten Griffe und stieß zahlreiche Verwünschungen aus, gegen mich und seine ehemaligen Kollegen, aber das interessierte mich herzlich wenig. Ich vergeudete nicht einmal Zeit damit, Luft in meine Lungen zu saugen, sondern löste mich sofort von der Mauer und eilte auf Ziva und McGee zu, die etwas abseits von dem Geschehen standen und noch immer nicht so richtig fassen konnten, dass es ein FBI Agent gewesen war, der hinter der ganzen Sache gesteckt hatte. Noch dazu einer, der vor Stunden im Hauptquartier gewesen war, sich nett mit jedem unterhalten und nicht den Eindruck eines skrupellosen Killers erweckt hatte.
„Gib mir dein Messer", fuhr ich die junge Frau unbeabsichtigt heftig an und streckte meinen rechten Arm aus. „Was?" fragte sie ein wenig irritiert, da sie sich auf die Szene vor ihr konzentriere und nicht wirklich mitbekommen hatte, dass ich vor ihr stand. „Gib mir dein verdammtes Messer!" schrie ich sie an und in meinen Augen musste ein unheilverkündender Ausdruck stehen, denn ohne zu zögern zog sie es aus der Scheide an ihrer Hüfte und reichte es mir, wobei sie aber ihre Lippen spitzte und mir damit signalisierte, dass sie es nicht gut hieß, dass ich sie so angeschnauzt hatte. Aber ich hielt mich nicht mit Entschuldigungen auf, entriss ihr die Waffe und stürmte zu Gibbs, der mich mit erhobenen Augenbrauen ansah, sich aber ein Grinsen nicht verkneifen konnte, da er noch nie miterlebt hatte, dass ich derart laut geworden war.
„Ein wirklich guter Schlag, Tony", sagte er anerkennend, aber ich ging nicht auf die Worte ein, schien sie nicht einmal richtig mitzubekommen. Wichtig war jetzt nur Jethro endlich zu befreien, ihn aus seiner misslichen Lage zu erlösen. Mit ungewohnt zittrigen Händen begann ich das Seil durchzuschneiden und innerhalb von zwei Sekunden fielen seine Arme nach unten, wobei er einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken konnte, als seine überstrapazierten Schultergelenke bewegt wurden. Ohne lange nachzudenken, warf ich das Messer auf den Boden, wo es mit einem scheppernden Geräusch landete und löste den Strick von seinen Handgelenken, deren Haut aufgescheuert war und noch immer leicht blutete. Meine Hände zitterten immer mehr und ich spürte, wie die gesamte Anspannung der letzten Minuten von mir abfiel und ich erst jetzt realisierte, wie knapp ich davor gestanden hatte, Gibbs für immer zu verlieren - ein Gedanke, der mein Herz schmerzhaft zusammenkrampfen ließ und mir schier den Atem raubte. Ich wusste nicht, was ich getan hätte, wäre er wirklich gestorben, hätte ihn die Kugel aus Garys Waffe in sein Herz getroffen.
Hinter mir waren die aufgeregten Stimmen der FBI Agenten zu hören, die damit beschäftigt waren, DeLay aus dem Raum zu zerren, der es mittlerweile aufgegeben hatte, Verwünschungen auszustoßen. Sie schienen sich auf nichts anderes mehr zu konzentrieren und keiner machte auch nur den Versuch, mir zu helfen.
Irgendwie schaffte ich es jedoch, Gibbs mit meinen bebenden Händen von dem Seil zu befreien, das ich achtlos auf den Boden schleuderte, so als ob ich mich daran verbrannt hätte und umschlang ihn, ohne lange darüber nachzudenken, mit meinen Armen. Ich presste seinen wunderbar lebendigen und warmen Körper an meinen, krallte meine Finger in sein Poloshirt und erneut stiegen mir Tränen in die Augen, aber diesmal nicht vor Verzweiflung, sondern vor Erleichterung. Ich wusste, dass uns jeder zusehen, uns jeder beobachten konnte, wie ich mich an Jethro wie an einen Rettungsring klammerte, aber das war mir egal. Wichtig war nur, dass er lebte und nicht tot auf dem Boden lag. Wie aus weiter Ferne hörte ich Zivas Stimme, die irgendetwas zu uns sagte, aber weder mein Freund noch ich reagierten darauf. Selbst als sie sich mit einem lauten Räuspern meldete und so versuchte, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ignorierten wir sie.
Ohne zu zögern legte Gibbs seine Arme um mich und hielt mich fest, ließ seine Finger beruhigend über meinen Rücken streicheln, was meine Knie butterweich werden ließen. Meine Beine gaben schließlich unter meinem Gewicht nach, die gesamte Kraft schien aus meinem Körper zu strömen und ohne uns voneinander zu lösen, glitten wir langsam auf den Boden, wo er sich sanft aus meiner Umarmung befreite und mein Gesicht mit seinen Händen umfasste. Zärtlich wischte er mit seinen beiden Daumen die Tränen von meinen Wangen und begann mit der rechten Hand liebevoll durch meine zerzausten Haare zu streichen. „Es ist vorbei, Tony", sagte er leise und seine blauen Augen blickten mich voller Liebe an. „Es ist vorbei."
Ich schluckte das Schluchzen hinunter, das sich in meiner Kehle gebildet und sich einen Weg an die Oberfläche gesucht hatte und erwiderte mit ungewohnt schwacher Stimme: „Ich dachte, ich würde dich verlieren. Ich… ich habe dich bereits auf dem Boden liegen sehen, deine Augen leer und stumpf. Als… als der Schuss erklungen ist, dachte ich, die Kugel hätte dein Herz getroffen, hätte dich mir genommen. Ich dachte… dachte…" Die Worte kamen immer schneller über meine Lippen und ich fing unkontrolliert zu stottern an. „Gott, es ist alles meine Schuld. Wenn ich doch nur…"
„Nichts ist deine Schuld", erwiderte Gibbs leise und streichelte sanft meine rechte Wange. „Doch ist es. Ich hätte nicht gewusst, was ich tun würde, hätte er dich erschossen. Zu wissen, dass es meine Schuld wäre, dass du…" Aber ich kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu bringen. Unvermittelt beugte sich Jethro nach vorne und stoppte mein Gebrabbel, indem er seine Lippen auf meine presste. Für die Dauer eines Herzschlages war ich viel zu überrascht, um irgendwie zu reagieren, aber schließlich schloss ich meine Augen, vergrub meine Hände in seinen Haaren und zog ihn nahe zu mir heran. Ich konnte die Blicke von allen förmlich auf uns beiden spüren, wie sie uns ungläubig anstarrten und versuchten zu realisieren, welches Schauspiel sich ihnen gerade bot. Aber mir war es egal, dass es in diesem Raum gerade vor FBI Agenten wimmelte, dass ihn unserer Nähe ein Toter lag und dass wir beide beinahe hier den Tod gefunden hätten. Es zählten nur mehr Jethro und ich und unser Kuss, der voller Liebe war und der mir endgültig bewies, dass die Sache vorbei war, dass wir in Sicherheit waren. Sein unverwechselbarer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus, als er mit seiner Zunge in ihn eintauchte und gab mir die Kraft, die vorher aus meinem Körper geströmt war, wieder zurück. Die Ereignisse der letzten Minuten rückten in den Hintergrund und ich versank in dem Kuss, der der Schönste war, den ich je erlebt hatte. Er war sowohl voller Leidenschaft als auch von den Gefühlen beherrscht, die wir füreinander hegten und dass mich Gibbs vor allen küsste, war der größte Liebesbeweis, den er mir überhaupt machen konnte. Wir besiegelten hier und jetzt, an diesem mehr als ungemütlichen Ort, vor allen anderen unsere Liebe und ließen jeden einzelnen damit wissen, dass wir ein Paar waren. Unbeschreibliches Glück durchströmte mich, als mir klar wurde, dass es nun offiziell war und wir uns nicht mehr länger zu verstecken brauchten.
Ich verzog meine Lippen zu einem Lächeln, was Jethro schließlich dazu veranlasste, sich von mir zu lösen. Glücklich sah er mich an und streichelte erneut meine rechte Wange. Meine Hände waren noch immer in seinen Haaren vergraben, aber ich nahm sie nicht weg, sondern liebkoste seinen Hinterkopf mit meinen Fingern. Ich war weiterhin im Zauber dieses Augenblickes gefangen und bemerkte nicht einmal, dass es mittlerweile mucksmäuschenstill geworden war, nur das stetige Tropfen von Wasser war zu hören.
„Ich liebe dich, Tony", sagte Gibbs leise, aber ich wusste, dass es jeder in dieser Stille vernommen haben musste. So wie vor ein paar Minuten schon einmal, legte ich meine Stirn an seine und mein Lächeln wurde breiter. „Ich liebe dich auch", hauchte ich und gab ihm einen kurzen, zärtlichen Kuss, bevor ich mich wieder von ihm löste und hinzufügte: „Dir ist schon klar, dass wir nicht alleine sind." Er gab ein Brummen von sich, weshalb ich annahm, dass er genau wusste, dass uns viele Augenpaare anstarrten. „Aber ehrlich gesagt, ist mir das egal", meinte er schließlich und war sichtlich von seinen eigenen Worten überrascht. „Mir auch", gab ich zu und atmete befreit durch.
Langsam kehrte ich wieder in die Realität zurück, hörte immer mehr Geräusche, wie das Schaben von Füßen auf dem Beton, spürte die feuchte Luft um uns herum und die Kälte des Bodens, auf dem wir saßen. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Zittern, aber dennoch entging es Gibbs nicht, der mich deswegen anlächelte. „So gerne ich dich auch berühre", sagte ich schließlich und löste meine Hände von seinen Haaren, „aber langsam wird mir wirklich eiskalt und ich habe nicht diese Sache hier überstanden, nur um mir den Tod durch Erfrieren zu holen." In Jethros Augen trat ein amüsiertes Funkeln. „Dir scheint es ja wieder bestens zu gehen", meinte er und drückte mir sanft meine Wange, bevor er mich losließ. „Und du hast Recht. Es wird wirklich ein wenig ungemütlich und ich habe nichts gegen eine wärmere Umgebung einzuwenden. Und gegen einen Kaffee", fügte er hinzu und brachte mich leise zum Lachen. Es hätte mich auch gewundert, wenn er sein Lieblingsgetränk nicht vermisst hätte. „Den hast du dir wirklich verdient", erwiderte ich und umfasste seine rechte Hand mit meiner linken. „Und jetzt lass uns von hier verschwinden. Ich bin froh, wenn wir endlich aus dem Keller rauskommen." Gibbs gab ein zustimmendes Brummen von sich und gemeinsam standen wir von dem harten und kalten Boden auf – unsere Finger waren weiterhin miteinander verschlungen.
Bei dem Bild, das sich mir bot, als ich wieder mehr sah als die blauen Augen meines Freundes, konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Ich verfluchte die Tatsache, dass ich keinen Fotoapparat dabei hatte, um diesen Moment für die Nachwelt festzuhalten. Ziva hatte ihre Augen so weit aufgerissen, dass sie beinahe übergroß wirkten und der Arm mit ihrer Waffe hing an ihrer Seite herunter, so als ob sie nicht recht wusste, was sie mit ihm anstellen sollte. Es war das erste Mal, dass ich sie sprachlos erlebte und ich freute mich jetzt schon darauf, wenn ich sie damit aufziehen konnte.
McGees Gesicht hatte eine wunderschöne rosa Farbe angenommen und sein Unterkiefer war so weit nach unten gesunken, dass ich die Befürchtung hatte, er würde sich ihn bald ausrenken. Seine Augen huschten rastlos zwischen mir, Gibbs und unsere miteinander verschränkten Hände hin und her. Über seine Lippen kamen komische Geräusche und erst nach einer Sekunde realisierte ich, dass er versuchte etwas zu sagen, aber dadurch, dass er seinen Mund nicht in seine Ausgangsposition brachte, bekam er kein Wort hervor. Seine gesamte Körperhaltung war steif und es hätte mich nicht gewundert, wenn er wie ein Brett nach hinten gefallen wäre, würde man ihm einen Stoß versetzen.
Sacks schien ebenfalls sprachlos zu sein, allerdings hatte er seine Mimik besser unter Kontrolle als meine beiden Kollegen. Nur seine Augen waren geweitet und in ihnen stand noch größeres Unglauben geschrieben als vorher, als er entdeckt hatte, dass sich DeLay als kriminell entpuppt hatte. Die Tatsache, dass ich vor seiner Nase einen Mann geküsst hatte, schien ihn aus der Bahn geworfen zu haben und er war immer noch dabei, sein Gleichgewicht zu finden.
Fornell hingegen war der Einzige, der nicht im Mindesten überrascht wirkte, sondern eher zufrieden. Seelenruhig steckte er seine Waffe in das Holster zurück und eines von seinen seltenen Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Mir war sofort klar, dass er bereits vorher gewusst hatte, wie Gibbs und ich zueinander standen und ich hatte das Gefühl, dass er es herausgefunden hatte, als mein Boss und er das Gespräch in dem Fahrstuhl geführt hatten. Jetzt verstand ich auch, weshalb er sich so schnell bereit erklärt hatte, uns zu helfen. Aber ich war Jethro nicht einmal ansatzweise böse, dass er es Tobias gesagt hatte, dass wir zusammen waren, zu groß war die Erleichterung, dass er nicht tot war und ich ihn lebendig nach Hause bringen konnte.
Die anderen FBI Agenten waren mittlerweile aus dem Raum verschwunden, genauso wie DeLay, der sich sicher wünschte, uns nie begegnet zu sein. Man legte sich eben nicht ungestraft mit dem NCIS an und schon gar nicht mit Gibbs. Diese Lektion hatte er heute gelernt, aber sie würde ihm nichts mehr nützen. Denn ich war mir sicher, dass er für den Rest seines Lebens hinter Gitter wandern würde, wo er keinen Schaden mehr anrichten konnte.
„Bambino, mach deinen Mund zu, bevor sich eine Fliege hineinverirrt", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen, als wir die kleine Gruppe erreicht hatten. McGees Gesichtsfarbe verwandelte sich von rosa in ein helles Rot und er brachte ein leises „ähm" hervor, bevor er es irgendwie schaffte, seinen Unterkiefer halbwegs wieder in seine Ausgangsposition zu bekommen. Allerdings waren seine Augen weiterhin auf Gibbs' und meine Hände fixiert.
Meine Worte hatten Ziva aus ihrer Starre gerissen und sie blinzelte ein paar Mal, bevor sich auf ihrem Gesicht ein hämisches Grinsen breit machte. „Ha!" stieß sie hervor und fuchtelte mit der Waffe vor meinem Gesicht herum. „Ich wusste es! Von wegen zwischen dir uns Gibbs läuft nichts!" Sie piekste mir mit einem Zeigefinger in die Brust. „Auf meinen Instinkt konnte ich mich schon immer verlassen!"
Jethro warf mir einen Blick mit erhobenen Augenbrauen zu, den ich mit einem Schulterzucken quittierte. Schließlich wandte ich mich an Fornell und reichte ihm meine freie Hand, die er nahm und schüttelte. „Vielen Dank. Ich schulde Ihnen etwas", sagte ich, worauf Tobias den Kopf schüttelte. „Im Gegenteil, Agent DiNozzo. Ich schulde Ihnen etwas, da wir durch Sie herausgefunden haben, dass DeLay ein falsches Spiel getrieben hat. Keine Ahnung, wie er es geschafft hat, das vor uns zu verbergen. Aber ich freue mich schon darauf, es aus ihm herauszuquetschen." „Seien Sie aber nicht zu feinfühlig", meinte ich und ließ seine Hand wieder los. „Bestimmt nicht. Da können Sie sich darauf verlassen. Gibbs", wandte er sich an meinen Freund und klopfte ihm auf die Schulter. „Schön, Sie lebendig wiederzuhaben. Und versauen Sie es sich nicht." Fornell deutete mit seinem Kopf in meine Richtung, bevor er Sacks winkte, ihm zu folgen. Dieser schüttelte den Kopf und zu meiner Verblüffung grinste er mich freundlich an. „Ich habe Sie komplett falsch eingeschätzt, Agent DiNozzo. Im Grunde sind Sie ein anständiger Kerl." Ich brauchte einen Moment, bevor ich die Worte wirklich verstanden und verarbeitet hatte. „Das kann ich nur zurückgeben", erwiderte ich schließlich, woraufhin er nickte und seinem Boss nach draußen folgte.
„Du scheinst Konkurrenz zu bekommen, Gibbs", sagte Ziva und hob ihr Messer vom Boden auf, das ich vorhin fallen gelassen hatte. „Wenn du nicht aufpasst, spannt er dir noch Tony aus." „Na, das soll er einmal versuchen", meinte Jethro und schenkte mir einen liebevollen Blick. „Ich schätze, Sacks würde nicht lange leben, wenn er es versuchen würde, oder?" fragte ich und seufzte leise. Ich spürte, wie sich Müdigkeit in mir ausbreitete und ich mich immer mehr nach einer ausgiebigen Dusche sehnte – zu zweit, versteht sich. Als Antwort auf meine Frage drückte mein Freund meine Hand. „Und jetzt lasst uns endlich von hier verschwinden. Ich habe keine Lust, hier zu übernachten." „Dein Wort in Gottes Ohr." Bevor wir den Raum jedoch verließen, ließ ich noch einmal meinen Blick über alles schweifen, über die schmutzigen Betonwände, über Gary, der darauf wartete, dass man ihn ins Leichenschauhaus brachte und über den Boden, wo schon wieder eine fette Ratte ihre Runden drehte. Ich wusste, es würde ein wenig dauern, bis ich alles so weit verarbeitet hatte, dass ich nicht mehr an diese ganze Sache denken musste. Aber jetzt hatte ich ja Gibbs und alleine seine Anwesenheit half mir, dass dieser Ort nicht mehr so trostlos wirkte wie am Anfang.
„Alles in Ordnung?" fragte er und sah mich besorgt an. „Ja, alles bestens", erwiderte ich wahrheitsgemäß und lächelte. „Und jetzt lass uns gehen. Es wird Zeit, dass wir von hier verschwinden." Und ohne lange darüber nachzudenken, zog ich ihn einfach durch die Tür und den Gang entlang, der in die Freiheit führte.

Die Luft, die in meine Lungen strömte, als wir das alte Haus endgültig verließen, hatte noch nie so herrlich frisch gerochen. Die Wolkendecke war stellenweise aufgerissen und zeigte Flecken blauen Himmels. Ein paar Sonnenstrahlen hatten bereits ihren Weg zur Erde gefunden und ließ die Temperatur ansteigen. Obwohl es noch immer ein wenig kühl war, so war es hier draußen nach dem kalten Keller herrlich warm. In diesem Moment fühlte ich mich unglaublich entspannt. Das schlechte Wetter war verschwunden, mein Leben war nicht länger in Gefahr und ich hatte endlich meine große Liebe gefunden. Gibbs war an meiner Seite, hielt weiterhin meine Hand und passte sich automatisch meinem Schritttempo an, als ich zu dem Dienstwagen ging, mit dem ich hierher gefahren war, was Stunden zurückzuliegen schien, aber nicht länger als 30 Minuten her war. In dieser Zeitspanne war so viel passiert und ich hatte einen wahren Gefühlssturm durchlebt, der sich jedoch wieder gelegt hatte.
Auf der Straße wimmelte es von FBI Agenten, die sich bereit machten, das Haus auseinanderzunehmen und auf weitere Spuren zu durchsuchen. Es war mir nur Recht, dass es diese Bundesbehörde übernehmen würde, sich um alles zu kümmern. Zum ersten Mal war ich froh, dass sie sich einmischten und uns die Arbeit abnahmen.
Als wir den Wagen erreicht hatten, drehte ich mich um und blickte meinen beiden Kollegen entgegen, die auf uns zukamen. Ziva und McGee waren mit Fornell hierher gefahren, würden aber jetzt mit uns zurückkehren. Allerdings würde ich nicht zulassen, dass sich die junge Frau hinter das Steuer setzte. Ich überlebte doch nicht einen verrückten, korrupten FBI Agenten, um dann bei einem Autounfall zu sterben. Gibbs, der das anscheinend genauso sah, schlüpfte sofort wieder in die Rolle des Chefermittlers. „McGee, du fährst." „Alles klar, Boss", erwiderte Tim, der anscheinend seine Sprache wiedergefunden hatte, aber noch immer ziemlich durch den Wind war. „Ähm… wohin?" „Wohin wohl?" meinte ich und verpasste ihm aus einem Impuls heraus eine Kopfnuss. „Zurück zum Hauptquartier natürlich." „Kein Krankenhaus?" McGee hatte zwar wieder gelernt zu reden, aber ganze Sätze schien er trotzdem noch nicht zu Stande zu bringen. Er sah zu Gibbs, der ein wenig lädiert wirkte und dessen Unterarme weiterhin mit Blut bedeckt waren.
„Erwähn das Wort bloß nicht in meiner Gegenwart", sagte ich angewidert und öffnete die linke Hintertür. Alleine die Vorstellung, auch nur ein Krankenhaus betreten zu müssen, ließ mich erschauern. „Ich denke, es reicht, wenn uns Ducky durchcheckt", meinte Gibbs und folgte mir in das Innere des Wagens. „Was heißt hier uns?" wollte ich wissen und rückte ganz nahe an ihn heran. „Mir geht es bestens. Ich brauche niemanden, der mich untersucht." Jethro brachte seinen Mund an mein Ohr und flüsterte: „Bist du dir da sicher, Tony? Ich würde dich nachher gerne untersuchen." Seine Worte jagten mir einen heißen Schauer durch meinen Körper und ließen mich erbeben. „Aber vorher soll Ducky sicherstellen, dass dir nichts fehlt. Okay?" Da ich meiner Stimme nicht ganz traute, nickte ich und seufzte glücklich, als er einen Arm um meine Schultern legte und mich nahe zu sich zog – auf das Anschnallen verzichteten wir diesmal, da McGee nicht die Angewohnheit hatte, jede noch so kleine Verkehrsregel zu missachten. Meine linke Hand positionierte ich auf seinem Oberschenkel und streichelte ihn sanft, wodurch er leicht erzitterte.
Zufrieden grinste ich und gab ihm einen zärtlichen Kuss, den wir auch nicht unterbrachen, als Ziva und McGee vorne einstiegen. Erst ein lautes Räuspern ließ uns auseinander fahren. Meine Kollegin hatte sich zu uns umgedreht und schüttelte ihren Kopf. „Was ist?" fragte ich und versuchte Gibbs' Finger zu ignorieren, die meinen rechten Oberarm streichelten. „Und ihr beide seid wirklich… ihr wisst schon…" Ich hob eine Augenbraue, weshalb sie sich entschied, hinzuzufügen: „So richtig zusammen?" „Ja", antworteten Jethro und ich synchron. „Und was ist mit Regel Nummer 12?" wollte sie wissen, unfähig ihren Mund zu halten. „Das ist meine Regel, Ziva. Also kann ich sie auch brechen, wenn ich will. Außerdem hat jede Regel auch eine Ausnahme und diese Ausnahme sitzt gerade neben mir. Können wir jetzt endlich fahren?" In Gibbs' Stimme war der übliche schroffe Ton zurückgekehrt, den ich an ihm so sehr liebte. Die junge Frau nickte zögerlich, nicht ohne vorher ihre Lippen zu schürzen, drehte sich nach vorne und schnallte sich an.
„Hast du nicht gehört, Bambino?" wandte ich mich an McGee, dessen Augen richtiggehend am Innenspiegel zu kleben schienen und der die Vorgänge im hinteren Teil des Wagens wie in Trance beobachtete. „Oder hast du vergessen, wie man Auto fährt? Du weißt schon, dass man dazu den Schlüssel drehen muss, damit der Motor anspringt und… Au!" rief ich empört, als mir Gibbs eine saftige Kopfnuss verpasste. „Wofür war das denn?" „Dafür, dass du dich so kindisch benimmst." Ziva konnte sich ein Kichern nicht verkneifen und drehte sich noch einmal zu uns um, während Tim endlich den Motor anließ und seinen Blick nach vorne richtete – wenn auch etwas verstört.
„Ihr beide seid wie Feuer und Luft. Kein Wunder, dass ihr euch verknallt habt." „Es heißt, wie Feuer und Wasser", korrigierte ich sie, musste ihr aber Recht geben. Gibbs und ich konnten gegensätzlicher nicht sein und es war gerade das, was ich so anziehend fand.
Ziva warf mir einen ärgerlichen Blick zu, da ich sie wieder einmal ausgebessert hatte und murmelte etwas, dass sich anhörte wie „Amerikaner und ihre dämlichen Redewendungen." Ich schenkte ihr ein breites Grinsen, woraufhin sie sich nach vorne drehte und es bevorzugte, aus dem Seitenfenster zu starren.
McGee hatte endlich das Gaspedal gefunden und gondelte langsam die Straße entlang, in dem Bestreben, keinen FBI Agenten über den Haufen zu fahren. Aber ich regte mich über die lahme Geschwindigkeit nicht auf, sondern legte meinen Kopf auf Gibbs' Schulter, der sanft mit seiner Hand durch meine Haare fuhr. Sein warmer Körper presste sich an meinen und erneut fanden unsere Finger zueinander, um sich zu verschränken. In seinen Armen fühlte ich mich wunderbar sicher und je weiter wir uns von dem halbverfallenen Haus entfernten, desto entspannter wurde ich. Glücklich schloss ich die Augen, in dem Bewusstsein, dass alles vorbei war und uns nichts mehr passieren konnte. Und während wir Richtung Hauptquartier fuhren, glitt ich in einen leichten Schlaf, geborgen in den Armen des Mannes, mit dem ich in Zukunft mein Leben verbringen würde.

Fortsetzung folgt...
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