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Irgendwo in Washington D.C.
10:28 Uhr


Der Regen trommelte monoton gegen das Fenster seines Büros, in dem es ziemlich düster war, da er keine Lampen eingeschaltet hatte. Das einzige Licht kam von dem Computerbildschirm, den er seit geraumer Zeit leicht geistesabwesend anstarrte. Durch die geschlossene Tür drangen leise das Klingeln der Telefone und die Stimme seiner Arbeitskollegen an sein Ohr. Normalerweise ärgerten ihn diese Geräusche immer, aber heute nahm er sie nur als Summen wahr, so als ob Bienen um ihn herumschwirrten. Seine Laune war an einem Tiefpunkt angelangt, die ihm selbst unheimlich war.
Normalerweise war er oft ziemlich gut drauf, brachte seine Kollegen – die jedoch nichts von seinen kriminellen Machenschaften wussten und auch nichts davon ahnten – regelmäßig mit Witzen zum Lachen, aber heute war dies anders. Zu viel war in den Morgenstunden schief gelaufen.
Es hatte schon damit angefangen, dass dieser Marine geglaubt hatte, ihn aufs Kreuz legen zu können. Nun, dafür hatte er seine gerechte Strafe erhalten – eine Kugel mitten in seine Stirn, die sein erbärmliches Leben innerhalb einer Sekunde beendet hatte. Der entsetzte Ausdruck in seinen Augen würde ihn wohl noch eine Weile verfolgen, aber nicht, weil er mit Schuldgefühlen zu kämpfen hatte, sondern weil er diesen Anblick amüsant fand. Oh ja, er liebte es, wenn die Menschen Angst vor ihm hatten - was aber nicht nur darauf zurück zu führen war, dass er beinahe zwei Meter groß war. Die meisten fürchteten sich vor seiner Waffe, die er immer wieder gerne zog. Selbst seine beiden Handlanger suchten das Weite, wenn er wütend war, tarnten dies aber immer mit der Ausrede, noch etwas erledigen zu müssen. Und sie dachten jedes Mal, es würde ihm nicht auffallen, diese Idioten.
Er schüttelte kurz den Kopf, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und brachte seine Gedanken wieder auf den richtigen Kurs. Immerhin hatte er jetzt andere Probleme als die Angst seiner Untergebenen. Wieso hatte er heute Morgen nicht schon viel früher bemerkt, dass sie beobachtet wurden? Und wieder von so einem Wurm, der um sein Leben gebettelt hatte. Hatte er wirklich gedacht, er würde nicht herausfinden, wo dieser Clive wohnte? Hatte dieser Typ noch nie was von Autokennzeichen gehört? Wobei, konnte man die Schrottlaube, die dieser gefahren hatte, noch als Auto bezeichnen? Er würde sich nicht einmal in so ein Ding reinsetzen, geschweige denn damit fahren.
Als die drei den Kerl endlich in diesem Einkaufszentrum erwischt hatten, mussten sie feststellen, dass er das Handy, mit dem er den Mord gefilmt hatte, jemandem anderen zugesteckt hatte. Und dabei hatte er gedacht, Erickson hätte kein Gehirn, da er die restliche Nacht über in seiner Wohnung geblieben war und nicht das Weite gesucht hatte. Und ausgerechnet kurz bevor sie ihn gestellt hatten, musste er anfangen zu denken. Wie er heute wieder einmal feststellen musste, war die Welt einfach ungerecht.
Obwohl er nicht sicher war, wie viel man auf dem Video sehen konnte oder was alles aufgenommen worden war, wusste er, dass er ein riesiges Problem hatte. Immerhin war es heutzutage möglich, die Qualität von solchen Filmen und unscharfe Bilder zu verbessern. Egal was er dafür tun musste, er musste den Typen, der das Handy momentan hatte, unbedingt finden. Einen Mann, dessen Foto er seit mehreren Minuten wie gebannt anstarrte. Grüne Augen blickten ihm aus einem attraktiven Gesicht entgegen, die braunen Haare waren nass und zerzaust und in seinen Händen hielt er zwei Kaffeebecher, die er sich aus dem kleinen Coffeeshop besorgt hatte, was die Überwachungskamera aufgenommen hatte. Das Band hatte er sich ohne Schwierigkeiten aneignen können. Einen der Sicherheitsmänner hatte er sogar persönlich gekannt und eine kleine Lügengeschichte später hatte er den Film in den Fingern gehabt. Und den hatte er sich in der letzten Stunde mehrmals angesehen und besonders die Szene, wo Clive mit dem anderen zusammengestoßen war und obwohl man es nicht sah, wusste er, dass das Handy in der Jackentasche des Mannes verschwunden war. Ob er es schon gefunden hatte? Diese Möglichkeit bestand durchaus, aber daran wollte er lieber nicht denken. Jedes Mal, wenn seine Gedanken in diese Richtung abschweiften, hatte er das Gefühl, ein tonnenschweres Magengeschwür zu entwickeln.
Ein leises Piepsen ließ ihn zusammenzucken, aber gleich darauf bildete sich ein breites Grinsen auf seinen Lippen. Die schlechte Laune, die ihn seit den Morgenstunden verfolgte, war auf einmal verflogen und ein Triumphgefühl breitete sich in seinem Inneren aus. Beinahe hätte er laut aufgelacht, hielt sich aber zurück, immerhin wollte er keine Aufmerksamkeit erregen.
„Habe ich dich", murmelte er, setzte sich aufrecht hin und tippte etwas in seine Tastatur. Das Bild aus der Überwachungskamera verschwand, dafür erschien ein Neues, das aber den gleichen Mann zeigte – einen Mann, der nicht länger namenlos war. Die letzten 30 Minuten hatte er damit zugebracht, herauszufinden, wer der Typ war und endlich hatte er Erfolg gehabt. Und dabei hatte er gedacht, Fortuna hätte ihn endgültig verlassen.
Gleich darauf gefror ihm aber das Grinsen auf seinem Gesicht und er ballte seine Hände zu Fäusten. „Verdammt, verdammt, verdammt", fluchte er vor sich hin und knallte die Faust auf den Tisch aus edlem Holz. Anscheinend würde er doch nicht so ein leichtes Spiel haben, wie er zuerst angenommen hatte. Was hatte er nur angestellt, dass sich plötzlich alles gegen ihn verschwor?
Wütend schnappte er sich sein Handy, klappte es auf und wählte die Nummer von Gary, einen seiner beiden Handlanger. Während er dem Freizeichen lauschte, starrte er weiter das Foto und die grünen Augen an, die ihn zu verhöhnen schienen. Ärger, aber auch gleichzeitig Angst stiegen in ihm auf. Das anfängliche Problem hatte sich zu einer wahren Katastrophe entwickelt.
„Was gibt es?" riss ihn Gary aus seinen Gedanken und erneut zuckte er zusammen. Der Angerufene klang verschlafen und das machte ihn noch wütender. Während er dem Weltuntergang entgegensah, hielt der andere einfach seelenruhig ein Nickerchen. „Wir haben mächtige Probleme", sagte er und tippte nervös mit den Fingern seiner linken Hand auf dem Tisch herum. „Was für Probleme?" wollte sein Gesprächspartner sofort wissen und gähnte herzhaft. „Ich habe endlich den Namen des Mannes herausgefunden, der jetzt das Handy hat." „Und weshalb regst du dich dann auf? Das ist doch eine gute Nachricht." „Das ist eine beschissene Nachricht!" schrie er, zügelte aber kurz darauf die Lautstärke, da er sich erinnerte, nicht alleine in dem Gebäude zu sein. „Sein Name ist Anthony DiNozzo und er ist Bundesagent", fuhr er ruhiger fort, obwohl es ihn immense Überwindung kostete. Auf einmal kam ihm sein Büro noch viel düsterer vor, das erste Mal in den letzten drei Monaten, seit er es bekommen hatte. Damals war er stolz darauf gewesen, aber jetzt engten ihn die Wände ein und selbst die Schränke, die Couch und die beiden Besucherstühle kamen ihm bedrohend vor.
„Scheiße", entfuhr es Gary, dem dämmerte was das bedeutete. „Ist er beim FBI?" „Nein, NCIS." „Ein Navycop?" Da der Jüngere für zwei Jahren selbst bei der Navy gewesen, aber unehrenhaft entlassen worden war, wusste er natürlich sofort, wofür die vier Buchstaben standen. Seine Müdigkeit war von einer Sekunde auf die andere verflogen.
„Genau. Hör mir jetzt gut zu. Du und Jerry werdet ihm von nun an überallhin folgen. Lasst ihn ja nicht aus den Augen." „Und was ist mit dem Handy? Sollen wir ihn nicht einfach umlegen und es uns schnappen?" Ein verlockender Vorschlag, das musste er zugeben, aber noch war es zu riskant. „Nein. Und schon gar nicht am helllichten Tag. Es wäre ein Wunder, wenn ihr ihn alleine erwischen würdet. Ihr wartet bis Mitternacht und stattet ihm dann einen Besuch ab." „Aber was ist, wenn er das Handy bereits gefunden hat?" „Das wissen wir nicht und deswegen werdet ihr ihm auch auf Schritt und Tritt folgen. Wenn er es tatsächlich bereits entdeckt hat, dann müssen wir uns was anderes überlegen und außerdem herausfinden, wer noch davon weiß. Wenn ihr ihn umlegt und er hat ohne unser Wissen noch jemandem davon erzählt, hat sich unser Problem nicht erledigt, du verstehst?" „Aber sicher, Boss. Keine Bange, Jerry und ich werden das Kind schon schaukeln." „Das hoffe ich", sagte er, als der andere bereits aufgelegt hatte.
Noch immer wütend klappte er das kleine Gerät zu und legte es auf den Tisch. Er konnte es einfach nicht glauben, dass alles schief lief. Jetzt musste er auch noch einen Bundesagenten verschwinden lassen – nachdem er das Handy gefunden hatte. Vielleicht hatte er Glück und niemand wusste von dem Video. Ansonsten konnte er gleich seinen Hals in jene Schlinge stecken, die Unheil verkündend über seinem Kopf baumelte.
„Anthony DiNozzo", murmelte er leise und bleckte seine Zähne. „Ich freue mich bereits darauf, dir eine Kugel durch dein Gehirn zu jagen, Bundesagent hin oder her." Er hob seine rechte Hand, bildete mit seinen Fingern eine Waffe und zielte genau zwischen die Augen. „Peng!"

Fortsetzung folgt...
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