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Während der dreißig Minuten, die die Fahrt zu meinem Haus dauerte, sah ich sicher mindestens 20 Mal in den Rückspiegel, um sicher zu gehen, dass mir Gibbs folgte. Er hatte darauf bestanden, seinen eigenen Wagen zu nehmen und ich wusste nicht, ob ich das als gutes oder als schlechtes Zeichen auffassen sollte. Es war beinahe so, als ob er damit rechnete, bald wieder aufzubrechen. „Jetzt mal nicht gleich den Teufel an die Wand", murmelte ich und schaltete das Radio ein, um mich ein wenig abzulenken. Die Scheibenwischer schafften es nur mit Mühe, den Regen von der Windschutzscheibe zu wischen und die Straßenverhältnisse verschlechterten sich auch zusehends. Ständig kamen neue Berichte von lokalen Überflutungen und Sperren. Wenigstens war die Strecke, die ich immer fuhr, halbwegs befahrbar, bis auf den dichten Verkehr, der um diese Uhrzeit herrschte.
Je näher wir meinem Haus kamen, desto größer wurde meine Nervosität. Eigentlich hatte ich mir die richtigen Worte zu Recht legen wollen, aber irgendwie fühlte sich mein Gehirn wie leergefegt an. Egal wie hartnäckig ich versuchte, mir Sätze parat zu legen, es funktionierte einfach nicht. Irgendwann gab ich es auf und konzentrierte mich nur noch auf den Verkehr.
Eine halbe Stunde später, nachdem ich beim Hauptquartier weggefahren war, bog ich in die ruhige Straße ein, in der mein Haus lag. Die Dämmerung war nun vollkommen hereingebrochen und verlieh – gepaart mit den dunklen Wolken – dem Abend etwas Düsteres. Die Laternen verströmten nur wenig Licht und waren durch den Regen verschwommen zu erkennen. Die meisten Fenster der anderen Häuser waren beleuchtet und jeder der Bewohner hielt sich im Inneren auf. Normalerweise war um diese Uhrzeit mindestens ein Rasenmäher zu hören, aber heute war niemand unterwegs – außer er hatte das Bedürfnis, sich eine Lungenentzündung zu holen.
Ich stellte meinen Wagen in der Einfahrt ab und sah im Rückspiegel, dass Gibbs hinter mir hielt. Um mir Mut zu machen, holte ich tief Luft, zog den Schlüssel ab, schnappt mir meine Sachen und öffnete die Tür. Prompt schlug mir Regen ins Gesicht und durchnässte mich innerhalb von Sekunden. „Na toll", sagte ich und wartete auf Jethro, der ebenfalls ausstieg und auf mich zukam. Aber plötzlich veränderte sich die Atmosphäre und mir stellten sich sämtliche Nackenhaare auf. Ein kalter Schauer, der nichts mit dem Wetter zu tun hatte, lief mir über den Rücken. Das Gefühl beobachtet zu werden ergriff von mir Besitz und verdrängte die Nervosität der letzten Minuten aus meinem Inneren. Ich sah mich um, konnte aber durch den dichten Regen nicht viel erkennen. Es war ruhig in der Straße, bis auf das monotone Rauschen des Wassers von oben.
„Alles in Ordnung?" fragte mich mein Boss und blieb neben mir stehen. Ich riss mich von meiner Nachbarschaft los und da ich niemanden sonst sah, schob ich meine Reaktion auf meine flatternden Nerven. „Sicher. Alles bestens." Gemeinsam eilten wir zu der Tür, die ich in Rekordtempo aufschloss, und bevor ich sie wieder zumachte, sah ich erneut nach draußen, konnte aber niemanden erkennen. Davon überzeugt, dass ich überreagiert hatte, sperrte ich das nasskalte Wetter aus und schaltete das Licht ein, das den Vorraum in angenehme Helligkeit tauchte. Links führte eine Treppe – neben der ich meinen Rucksack zu Boden fallen ließ - in die obere Etage und rechts befand sich eine Tür, hinter der sich ein Schrank verbarg. In eben jenen hängte ich auch unsere beiden tropfnassen Jacken und führte meinen Gast in das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer. Auch hier schaltete ich das Licht ein, das die Einrichtung aus der Dunkelheit hervorholte. Die breite Glastür, die auf die Terrasse hinausführte, war von dem Regen nass und spiegelte das Innere des Raumes wider. Gegenüber befand sich ein gemauerter Kamin, den ich vor allem im Winter gerne benutzte. Rechts neben dem Kamin war ein hohes Regal, das mit Büchern gefüllt war – überwiegend Krimis. In der Mitte des Wohnzimmers standen ein großes helles Sofa, zwei dazupassende gemütliche Sessel und ein rechteckiger Holztisch, auf dem sich einige DVDs stapelten. Mein ganzer Stolz war der Flachbildfernseher, der in angemessenem Abstand vor der Couch stand.
Die in hellem Gelb gestrichenen Wände wurden von einigen Bildern verziert, die vorwiegend Landschaften oder Autos zeigten. Gibbs sah sich interessiert um und nickte dann anerkennend. „Nicht schlecht", sagte er und betrachtete die DVDs, die auf dem Tisch lagen. „Eigentlich lasse ich die nicht so herumliegen, aber ich hatte gestern keine Zeit mehr, sie wegzuräumen. Außerdem habe ich nicht damit gerechnet, heute Besuch zu haben." „Nein?" fragte er nach. Ich schüttelte den Kopf und erwiderte: „Setz dich schon mal hin. Ich hole das Bier." Ich ging auf die Tür zu, die in die Küche führte, als mich seine Stimme inne halten ließ: „Also, worüber willst du mit mir sprechen?" Irritiert drehte ich mich um. Auf Jethros Lippen bildete sich ein kleines Lächeln, als er mein verdutztes Gesicht sah. „Wir beide wissen, dass das Bier nur eine Ausrede war, Tony. Also, worüber willst du mit mir sprechen?" Und da war er wieder, dieser verdammte große Kloß in meinem Hals, der mir fast die Luft abschnürte. Seine Worte hatten mich vollkommen unvorbereitet getroffen und ich wusste nicht richtig, was ich jetzt machen sollte. Sollte ich ihm widersprechen oder gleich zur Sache kommen? Aber was sollte ich nur sagen?
„Ähm, tja", begann ich zögerlich und verwünschte meine Stimme, die auf einmal kratzig klang. Nervös fuhr ich mir durch die nassen Haare und beobachtete Gibbs, der sich auf das Sofa setzte und mir gespannt entgegenblickte. „Hat es dir die Sprache verschlagen?" fragte er amüsiert und hob eine Augenbraue. „So ähnlich", gab ich zu und ging schließlich langsam auf ihn zu. Ich wusste, ich könnte mich jetzt auf einen der Sessel niederlassen, etwas Abstand zwischen uns bringen, aber bei dem Gespräch, was ich mit ihm führen würde, wollte ich in seiner Nähe sein. Deshalb setzte ich mich neben ihn und drehte mich so, dass ich ihm direkt ins Gesicht sehen konnte – ein Gesicht, das mich Tag und Nacht verfolgte. In seinen Augen lag ein neugieriger Ausdruck, gepaart mit einer Zärtlichkeit, die mir einen wohligen Schauer verursachte. Ob er wohl ahnte, was ich gleich sagen würde? Ich holte tief Luft und obwohl ich keinen blassen Schimmer hatte, wie ich anfangen sollte, begann ich trotzdem zu sprechen.
„Du hast mir gerade einen Strich durch die Rechnung gemacht. Eigentlich wollte ich mir bei dem Bier die richtigen Worte zu Recht legen aber nun bleibt mir nichts übrig, als ein wenig zu improvisieren." Ich hielt inne und als Jethro den Mund aufmachte, fuhr ich ganz schnell fort, ohne ihm die Chance zu lassen, etwas zu erwidern. „Nein, lass mich bitte ausreden, bevor ich wieder den Faden verliere. Bei unserem Gespräch vor etwa drei Wochen im Krankenhaus habe ich dir gesagt, ich würde etwas Zeit brauchen, um mir über meine Gefühle dir gegenüber klar zu werden, erinnerst du dich?" Er legte seinen Kopf ein wenig schief und nickte. „Ja, ich erinnere mich sogar an jedes einzelne Wort." Sein Blick wurde intensiver und das Blau in seinen Augen begann zu funkeln. Für einen kurzen Moment verlor ich mich darin, bevor ich mir klar wurde, weshalb ich mit Gibbs auf der Couch saß. Ich räusperte mich und sprach weiter: „Nun, es ist so, dass ich mir jetzt über meine Gefühle im Klaren bin. In meinem Inneren herrscht kein Chaos mehr." Auf meinen Lippen bildete sich ein Lächeln und ich spürte, wie mich die Nervosität verließ und ich immer entspannter wurde. „Die letzten Tage waren die schönsten in meinem Leben, auch wenn du mich wie immer herumgescheucht, mich angeschrien und mir Kopfnüsse verpasst hast. In letzter Zeit bin ich sogar am Morgen viel leichter aufgestanden, da ich wusste, ich würde dich sehen, in deiner Nähe sein." Ich hielt inne und sah Gibbs direkt in seine Augen, die mich noch immer intensiv musterten, aber nicht verrieten, was er von meinem kleinen Monolog hielt. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und holte noch einmal tief Luft, bevor ich die Worte über meine Lippen brachte, die alles verändern würden, egal wie er darauf reagieren würde. „Was ich damit sagen will, ist, Jethro, ich liebe dich."

Fortsetzung folgt...
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