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Story Notes:
Das ist die FS zu "Verhängnisvolles Video" Die Story spielt 7 Monate danach und wie könnte es auch anders sein, ist sie aus der Sicht von Tony geschrieben^^ An dieser Story schreibe ich noch, von daher kann es sein, dass es immer etwas dauert, bis weitere Teile kommen. Der kursive Text sind Rückblenden. Was die Warnung betrifft: ich habe sie sicherheitshalber dazugefügt. Jetzt bleibt mir nur noch, euch viel Spaß beim Lesen zu wünschen!
Washington D.C.
East Potomac Park
Samstag, 25. Januar
21:12 Uhr


Der Winter hatte Washington fest im Griff. Die Temperaturen lagen schon seit fünf Tagen beständig unter dem Gefrierpunkt und ließen die Heizkosten in die Höhe schießen. Die Menschen, die unterwegs waren, hüllten ihre Körper in warme Jacken oder Mäntel und wickelten Schals um Mund und Nase um sich davor zu schützen, sich eine Grippe oder sonst eine Erkältung einzufangen. Viel nackte Haut hatte man in letzter Zeit nicht sehen können, außer von denjenigen, die das Bedürfnis verspürten, an Erfrierungen zu sterben.
Die Straßen waren vereist und die Streufahrzeuge teilweise machtlos gegen die glitzernde Schicht, welche den Asphalt überzog. In regelmäßigen Abständen konnte man die Sirenen der Einsatzfahrzeuge hören, die zu einem der sich ständig ereignenden Unfälle gerufen wurden. Die meisten davon passierten, weil die Lenker die gefährliche Situation unterschätzten und viel zu schnell unterwegs waren. Die Folgen waren Blechsalate, Verletzte und kilometerlange Staus, die selbst der geduldigsten Person an den Nerven zehrte.
Die Notaufnahmen der Krankenhäuser waren überfüllt von Menschen, die das Pech hatten auf den Bürgersteigen auf Eisplatten ausgerutscht zu sein und sich dabei Knochenbrüche oder andere Verletzungen zugezogen hatten. Die Leichenschauhäuser klagten ebenfalls über Platzprobleme, da täglich mehrmals Leichen von erfrorenen Obdachlosen gefunden wurden, die diesem kalten Wetter hilflos ausgesetzt waren und nirgendwo einen warmen Unterschlupf fanden.
Der Januar war zwar dabei langsam in den Februar überzugehen, aber eine Besserung der Lage war nicht in Sicht. Die bunten und fröhlichen Lichter, die Washington zu Weihnachten und Silvester verziert hatten, waren schon längst abmontiert worden und hatten teilweise trostlose Straßen hinterlassen, welche selbst am Tag düster wirkten und wo sich nur fette Ratten und Gesindel herumtrieben.
Obwohl es noch fast zwei Monate bis zum Frühling waren, gierten die Menschen bereits jetzt nach warmen Sonnenstrahlen. Sonnenstudios und Reisebüros erlebten geradezu einen Boom und sackten große Erträge ein, da viele in den Süden flohen.
Mitten in dieser deprimierenden Stimmung gab es einen Mann, dem das Alles momentan mehr als egal war. Ihn interessierten weder das kalte Wetter, der eisige Wind, der an seinem Mantel zerrte und ihn aufbauschte, noch die Verkehrsprobleme, mit denen sich die Polizei herumplagte. Zu sehr war er mit seinen Gedanken beschäftigt, die ihn seit Stunden quälten und ihn nicht mehr losließen. Gesellschaft hätte er zu diesem Zeitpunkt nicht ausgehalten, hätte es nicht ertragen, Stimmen zu hören oder Personen, die sich unbeschwert über verschiedenste Themen unterhielten und die scheinbar keine Probleme hatten. Der East Potomac Park schien ihm der ideale Ort zu sein, um vor allem zu fliehen, besonders weil er riesengroß war und um diese Uhrzeit hielt sich normalerweise kein Mensch hier auf. Außer er hatte den Wunsch, von irgendeinem Junkie überfallen und ausgeraubt zu werden, der sich auf diese Weise Geld für seine Drogensucht beschaffte. Sollte doch jemand versuchen, ihn zu überrumpeln, dann hätte er wenigstens eine Möglichkeit, seine Verzweiflung mit ein paar gut gezielten Schlägen abzureagieren – noch dazu könnte er behaupten, es wäre Notwehr gewesen. Aber niemand ließ sich blicken oder kam auch nur in seine Nähe, so als ob jeder spüren würde, dass er nicht zum Spaßen aufgelegt war.
Mit weit ausholenden Schritten ging er den Weg entlang, der von Laternen abschnittsweise erhellt wurde, bevor er wieder in Dunkelheit versank. Das Licht beleuchtete sein Gesicht, nur um es kurz darauf wieder in Schatten zu legen. Unter seinen Füßen knirschte der Kies, der gestreut worden war, um zu verhindern, dass man allzu leicht ausrutschen konnte. Am Rand seines Blickfeldes tauchten einsame Parkbänke auf, die selbst am Tag nicht besetzt waren, da das Holz viel zu kalt war. Er registrierte sie genauso wenig wie den Schnee, der auf den normalerweise grünen Wiesen lag und im Schein der Lampen vor sich hinglitzerte. Weiße Atemwölkchen stoben aus seinem Mund, um sich in Luft aufzulösen und für immer zu verschwinden. Die Hände hatte er tief in den Manteltaschen vergraben, aber ihm wäre es egal, wenn seine Finger abfrieren würden. Es wäre nur ein weiterer Schmerz, der zu demjenigen in seinem Inneren dazukommen würde.
Seit langer Zeit hatte er wieder das Bedürfnis laut loszuschreien, aber er hielt sich zurück. Stattdessen beschleunigte er seine Schritte noch mehr, sodass die blätterlosen Bäume, deren Äste gespenstisch in den dunklen Himmel ragten, schnell an ihm vorbeizogen. Sein Atem ging in keuchenden Stößen, aber er wurde nicht langsamer – im Gegenteil. Er rannte fast den Weg entlang, versuchte durch die körperliche Anstrengung den Aufruhr in seinem Inneren zu besänftigen, jedoch ohne Erfolg. Mit jedem Meter, den er zurücklegte, krampfte sich sein Herz mehr und mehr zusammen und ein riesiger Felsblock schien auf seiner Brust zu lasten. Das Atmen fiel ihm so unglaublich schwer und so blieb ihm nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben, um nicht zu ersticken. Vor ihm erstreckte sich ein Kinderspielplatz, der um diese Uhrzeit längst verlassen, aber tagsüber sicher mit vielen Kindern überfüllt war, ungeachtet dessen, dass es Winter war. Der Schnee war an vielen Stellen von kleinen Fußabdrücken platt gedrückt und hatte seine pulvrige Konsistenz verloren. Das Areal wurde von einer einzelnen Laterne erhellt, die den Rest in dämmrige Schatten tauchte. Der eisige Wind bewegte die Schaukeln wie von Zauberhand, sodass sie sich leise knarrend vor und zurück bewegten, wobei das Geräusch laut in der sonst so ruhigen Umgebung widerhallte.
Obwohl es düster war, beruhigte der Ort den Mann, der soeben seinen Kopf in den Nacken legte und zum Himmel emporblickte, in der Hoffnung, dort eine Lösung für seine Probleme zu finden. Die eiskalte Luft, die er gierig in seine Lunge sog, linderte den Schmerz in seinem Inneren ein wenig, vertrieb ihn aber nicht. Seine Augen ruhten am schwarzen Himmel. Als er aus seinem Wagen ausgestiegen war, hatten noch Abermillionen Sterne vom Firmament geblinkt, die einen hellen Mond umrahmt hatten, aber innerhalb kürzester Zeit waren Wolken aufgezogen und der Wind wurde stärker, zog an seinem Mantel und seinen Haaren. Aber er begrüßte die Kälte, die sich wie Balsam auf seinen Körper legte. Er konnte den Schnee bereits riechen, der bald fallen und Washington erneut in eine weiße Schicht tauchen würde. Die erste kleine Flocke landete auf seiner Nase, wo sie sofort schmolz und einen Tropfen hinterließ. Unwirsch wischte er sich das störende Nass von der Haut und senkte seinen Kopf wieder, bevor er Gefahr lief, einen steifen Nacken zu bekommen.
Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und steuerte auf den Spielplatz zu, wo er sich auf eine der Schaukeln setzte, die unter seinem Gewicht gefährlich knackte, was ihm aber egal war. Sollte sie doch zusammenbrechen und ihn begraben. Dann könnte er wenigstens vor der Entscheidung fliehen, vor der er stand. Wieso musste das Leben manchmal so schrecklich kompliziert sein?
Ein ungewohnt lauter Seufzer kam ihm über die Lippen und er senkte seinen Blick auf seine zitternden Hände, was aber nicht an der Kälte lag, sondern an dem Kampf, der in seinem Inneren tobte. Vor über einer Stunde hatte er von einer Chance erfahren, auf die er schon jahrelang wartete, aber jetzt, wo der Moment gekommen war, hatte er plötzlich Skrupel es durchzuziehen. Mittlerweile hatte sich alles verändert - sein Leben hatte sich verändert. Aber da war dieses Versprechen, das er vor Jahren jemandem gegeben und von dem er sich geschworen hatte, es nie zu brechen, sondern es zu erfüllen. Und jetzt war dieser Zeitpunkt gekommen, aber dennoch zögerte er. Niemand wäre ihm böse, wenn er einfach nichts unternehmen würde, denn die Person, der er das Versprechen gegeben hatte, war seit mehr als drei Jahren tot. Aber trotzdem fühlte es sich wie Verrat an, wenn er nur daran dachte, es nicht zu erfüllen - vor allem Verrat sich selbst gegenüber.
Ein weiterer Seufzer bahnte sich einen Weg an die Luft. Er griff in seine Manteltasche und holte einen kleinen Gegenstand heraus, den er sich auf die Handfläche legte. Normalerweise nahm er das glänzende Kleinod nie ab, aber vor einer Stunde hatte er es trotzdem getan, weil er gedacht hatte, sich daran die Haut zu verbrennen, dabei war es lediglich lauwarm. Liebevoll strich er mit dem Finger seiner linken Hand darüber, immer und immer wieder. Er wusste, dass es Personen gab, die er verletzen würde, würde er sich entscheiden, dass Versprechen einzulösen. Ihr Schmerz würde unendlich groß sein und es war dieses Wissen, das ihn derart quälte, und ihn in diesen Park getrieben hatte, wo er alleine sein konnte, wo ihn niemand sah.
Unwillkürlich ballte er seine rechte Hand zur Faust, so fest, dass sich der kleine Gegenstand schmerzhaft in seine Haut bohrte, aber er ließ nicht locker, hieß den körperlichen Schmerz willkommen. Er merkte nicht einmal, wie der Schneefall immer dichter wurde, die Flocken lautlos zu Boden schwebten und sich auf seinen Haaren und seinem Mantel niederließen. Während er einsam auf der Schaukel saß, unfähig die Kälte zu spüren, sondern nur den Gegenstand in seiner Faust und den Schmerz in seinem Inneren, traf er eine Entscheidung - eine Entscheidung, die viele Leben verändern würde, seines inklusive. Aber hatte er eine andere Wahl? Er war an das Versprechen gebunden, hatte es mit Blut besiegelt und jetzt holte ihn die Vergangenheit ein.
Auf einmal überkam ihn Traurigkeit und ein großer Kloß bildete sich in seinem Hals. Mühsam öffnete er seine Hand und blickte auf den kleinen Gegenstand hinunter, der jetzt ganz warm war und der ihm ein wenig Trost spendete. Die nächsten Tage, wenn nicht sogar Wochen, würden die reinste Qual werden, für ihn und für die Menschen, die am Boden zerstört sein würden.
„Es tut mir leid", flüsterte er, so als ob er sich bereits im Vorhinein dafür entschuldigen würde. Eine Träne löste sich aus seinem linken Auge, rann seine Wange hinab und tropfte auf seine geöffnete Hand. „Es tut mir leid."

Fortsetzung folgt...
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