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Die Musik, die ich durch mein Handy schallen gehört hatte, war auf ein erträgliches Maß heruntergedreht worden und Abby wirbelte sofort herum, als sich die Tür zischend öffnete. Im Gegensatz zu gestern sah sie heute viel besser aus, keine Strähnen hatten sich aus ihren Rattenschwänzen gelöst und sie trug wieder Make-up. Sie wirkte wie immer, wäre da nicht der traurige Ausdruck in ihren Augen, den sie mit einem Lächeln zu überspielen versuchte.
Genauso wie bei Kates Tod schien sie auch diesmal eine eigene Methode gefunden zu haben, um mit dem Verlust zurecht zu kommen und ich beneidete sie dafür, dass sie es irgendwie schaffte, trotz allem in der Realität zu bleiben und nicht ständig mit ihren Gedanken in die Vergangenheit abdriftete, so wie ich es machte, egal ob ich es wollte oder nicht.
Das Bild, das ich in Jethros Schreibtisch gefunden hatte, hatte sich förmlich in meine Netzhaut eingebrannt und ich konnte nicht umhin, an diesen Abend zu denken, obwohl ich versuchte, alles aus meinem Gehirn zu verbannen und im Hier und Jetzt zu bleiben. Aber es fiel mir unglaublich schwer, mich auf etwas zu konzentrieren und versuchte ich es noch so hart. Ducky hatte gemeint, dass es besser werden würde, dass ich mit dem Schmerz besser umgehen könnte je mehr Zeit verstrich, momentan hatte ich jedoch das Gefühl, dass es nur eine leere Phrase gewesen war. Für ein paar Stunden war es tatsächlich besser gewesen, aber seit ich das Foto gefunden hatte, gepaart mit Abbys Anruf, der mich davon überzeugt hatte, dass es kein Unfall gewesen war, war alles wieder schlimmer geworden.
Gleichzeitig war ich erleichtert, dass Gibbs nicht die Schuld daran hatte, was passiert war, dass er zwar einen schrecklichen Fahrstil aber den Wagen immer unter Kontrolle hatte. Die Straßenverhältnisse konnten noch so schlecht sein, aber er hatte immer gewusst, wie er das Auto lenken musste, um nicht im Graben zu landen. Er hatte nie einen Unfall gebaut und war jedes Mal heil am Ziel angekommen. Es hätte mich gewundert, wenn es diesmal anders gewesen wäre.
Irgendwo dort draußen gab es eine Person, die dafür gesorgt hatte, dass Gibbs von der Straße abgekommen war, dass sich mein gesamtes Leben in einen Scherbenhaufen verwandelt hatte und ich würde denjenigen finden, egal wie lange es dauern würde.
Ich hatte noch nie das Bedürfnis nach Rache verspürt, aber diesmal war es so weit, diesmal lechzte ich danach, meinen Zeigefinger um den Abzug zu krümmen, um dem Bastard, der für alles verantwortlich war, eigenhändig eine Kugel zwischen die Augen zu jagen, ungeachtet dessen, welche Konsequenzen es mit sich bringen würde. Ich wusste, dass Jethro es sicher nicht gewollt hätte, in welche Richtung meine Gedanken verliefen, aber ich konnte nicht anders. Und es war gerade mein Bedürfnis nach Rache, das mich aufrecht hielt, das mich dazu brachte, einen Fuß vor den anderen zu setzen und dem schwarzen Abgrund zu entkommen, der weiterhin allgegenwärtig war.

Abby wartete mehr oder minder geduldig darauf, dass wir ihre heiligen Hallen betreten hatte und ich wollte gerade McGee sagen, er solle die Musik komplett ausschalten, als mir die Worte im Hals stecken blieben. Mit geweiteten Augen blickte ich das Bild auf dem großen Plasmabildschirm an und meine Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen, als ich den ausgebrannten Wagen erkannte. Das Armaturenbrett war zu einer schwarzen Masse geschmolzen und der gesamte Innenraum war verschwunden, es gab keine Sitze mehr, nur mehr verkohlte Überreste davon. Der normalerweise dunkelblaue Lack war gesprungen, sodass der Metallrahmen des Autos sichtbar war. Die Türen waren ausgebaut worden, genauso fehlte die Motorhaube, die gesamte Forderfront war eingedellt und zeigte davon, mit welcher Wucht der Wagen gegen den Baum gekracht sein musste. Vom Motorblock selbst war ebenfalls nicht mehr viel übrig, außer den verschiedenen Teilen, die Abby auf einem Tisch in ihrem Labor ausgebreitet hatte, um sie zu untersuchen. Jedenfalls glaubte ich, dass sie vom Motor stammten.
„Mein Gott", flüsterte McGee neben mir und genauso wie ich hatte er nur Augen für das Wrack, das einmal ein wunderbarer Dienstwagen gewesen war. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so schlimm sein würde", sagte Ziva und trat nach vorne, um sich die Überreste genauer anzusehen. Wie ich hatte weder sie noch Tim es geschafft, hinunter in die Garage zu gehen, da ich sie den ganzen letzten Tag über beschäftigt gehalten hatte – und ich selbst hatte es nicht über mich gebracht, dass Auto persönlich zu betrachten.
Es jetzt so vor mir zu sehen – und sei es nur auf einem Foto – ließ unwillkürlich die gesamte Szene vor meinen Augen entstehen, das laute Reifengequietsche, der Knall, als der Wagen mit dem Baum kollidierte, das Feuer, das sich rasend schnell ausbreitete. Es war wie in einem schlechten Film und in diesem war Jethro noch am Leben, spürte wie ihn die Flammen von allen Seiten einengten, ohne dass er eine Chance hatte, ihnen zu entkommen.
Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde wich mir das gesamte Blut aus dem Gesicht und ich stolperte zurück, bis sich die Kante des Tisches, auf dem die Einzelteile des Motors lagen, gegen meine Hüfte drückte. Ich krallte meine Finger darum, versuchte Halt zu finden und die Schreie meines Freundes aus meinem Gehirn zu verbannen, versuchte mir nicht vorzustellen, wie er gelitten hatte. Was war, wenn Ducky unrecht hatte? Was war, wenn er doch bei Bewusstsein gewesen war? Wenn er alles gespürt hatte?

Abby schien blitzschnell zu bemerken, dass mich der Anblick des Wracks aus der Bahn warf, weshalb sie sich ganz schnell umdrehte und der Bildschirm mit einem Tastendruck schwarz wurde, aber der zerstörte Wagen hatte sich in mein Gehirn eingebrannt. Ich schüttelte meinen Kopf, zwang mich in der Realität zu bleiben, zwang mir nicht vorzustellen, wie es sein musste, hilflos zu verbrennen.
„Es tut mir so leid, Tony", sagte die Forensikerin und erleichtert stellte ich fest, dass ich ihre Stimme nicht wie durch Watte wahrnahm, sondern in voller Lautstärke. „Ich hätte wissen müssen, dass…" Ich winkte ab und richtete mich zu meiner vollen Größe auf. Ich durfte nicht schwächeln, sonst würde ich das alles nicht überstehen, würde nicht durchhalten, bis derjenige, der dafür verantwortlich war, seine gerechte Strafe bekommen hatte.
„Was hast du herausgefunden?" fragte ich stattdessen, mit einer Stimme, die für meinen Geschmack viel zu heiser war. Abby kaute auf ihrer Unterlippe herum, nicht sicher, ob sie mit den Informationen herausrücken sollte, aus Angst, es könnte mir nur schaden. „Abbs, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit", entfuhr es mir ein wenig unfreundlich, was mir gleich darauf wieder leid tat. Aber sie schien mir nicht böse zu sein, sondern nickte und drehte sich um. Das Geräusch ihrer tippenden Finger übertönte für ein paar Sekunden die, meiner Meinung nach, grausige Musik und auf ihrem Bildschirm erschien eine komplizierte Graphik, die jede Menge Zahlen und chemische Namen enthielt, die ich nicht einmal aussprechen konnte.
„Oh Mann", meinte McGee, dem diese komplizierten Formeln anscheinend etwas sagten, nur Ziva und ich blickten ziemlich ratlos aus der Wäsche. „Also, ich habe gestern den ganzen Tag damit verbracht, mir den Wagen von Gibbs anzusehen und damit meine ich jeden Millimeter", begann Abby und gestikulierte dabei mir ihren Händen. „Kannst du dir vorstellen, aus wie vielen Teilen so ein Auto besteht, auch wenn ein Teil davon verbrannt ist? Das alles zu katalogisieren und zu untersuchen war enorm viel… Aber ich weiche mal wieder vom Thema ab, oder?" fragte sie, als sie meinen ungeduldigen Gesichtsausdruck bemerkte.
„Was bedeuten nun die ganzen Zahlen und chemischen Formeln?" wollte ich wissen und gab ihr somit eine Antwort auf ihre vorherige Frage. Genauso wie Ducky schmückte Abby gerne Themen aus, vor allem wenn es etwas mit Kriminaltechnik zu tun hatte. Normalerweise hörte ich ihr gerne zu, auch wenn ich nicht verstand, worum es ging, aber diesmal drängte die Zeit.

„Das ist die Zusammensetzung des Sprengstoffes, den ich an dem Wagen gefunden habe", sagte sie schließlich und die Worte trafen mich mitten ins Herz. Jetzt war es offiziell, es war Mord – jemand hatte Jethro absichtlich aus dem Leben gerissen. Obwohl ich damit gerechnet hatte, wurden meine Knie weich und ich ließ mich erneut gegen den Tisch sinken. Sprengstoff… was bedeutete, der Wagen war nicht langsam in Flammen aufgegangen, sondern war explodiert. Aber warum war er von der Straße abgekommen? War der Sprengsatz schon vorher in die Luft gegangen und der Wagen war deshalb gegen den Baum gekracht? Aber Kyle Zeke hatte gesagt, die Flammen waren erst dann entstanden, als das Auto bereits von der Straße abgekommen war. Irgendwie verstand ich gar nichts mehr. Wie war das nur möglich, dass ein Zeuge behauptete, Jethro sei gegen einen Baum gekracht, aber die Beweise besagten etwas anderes? Ohne Grund hatte er sicher nicht die Kontrolle über den Wagen verloren. Außer Kyle Zeke hatte gelogen und war in diese ganze Sache verstrickt.
„Also war es Mord", stellte Ziva fest und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Kannst du herausfinden, ob der Sprengsatz explodiert ist, bevor oder nachdem Jethro mit dem Baum kollidiert ist?" fragte ich und richtete mich wieder ein wenig auf. Abby schüttelte ihren Kopf und blickte mich entschuldigend an. „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht, aber ich habe eine Theorie", meinte sie und blickte gespannt in die Runde, so als ob sie erwarten würde, dass jemand raten wollte, was sie sich ausgedacht hatte.
Aber als niemand auch nur ein Wort sagte, zuckte sie die Schultern und fuhr fort: „Ich habe Spuren von Sprengstoff an zwei Stellen gefunden. Einmal unter dem Kotflügel des rechten hinteren Reifens und einmal in der Nähe der Benzinleitung. Ich würde sagen, dass zuerst der Zünder beim Reifen explodiert ist, weshalb unser Bossman die Kontrolle über seinen Wagen verloren hat und gegen den Baum gekracht ist. Und kurz danach hat dann der zweite Zünder das Benzin entzündet, warum der Wagen schlussendlich in Flammen aufgegangen ist. Jedoch muss die Menge so gering gewesen sein, damit nicht alles in die Luft geflogen ist. Und ich habe Reste von Zeitzündern entdeckt, von daher hat sich der Täter auch nicht in der Nähe aufhalten müssen."
„Aber er hat es irgendwie geschafft, Jethro nach Norfolk zu lotsen", sagte ich und fuhr mir durch meine Haare. Jemand hatte das ganze wie einen Unfall aussehen lassen wollen und ich fragte mich unwillkürlich, ob der Sprengsatz bereits Samstagnacht angebracht worden war, als Gibbs bei mir gewesen oder erst, nachdem er in Norfolk angekommen war. Vielleicht hatte er auf jemanden gewartet und in der Zwischenzeit hatte jemand die Vorrichtungen angebracht. Aber wie war das nur möglich? Mein Freund hatte doch sonst immer einen untrüglichen Sinn dafür, wenn etwas nicht stimmte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass hinter der ganzen Sache mehr steckte als nur ein simpler Anschlag mit Sprengstoff. Etwas stimmte nicht und die Geschichte hatte mehr Lücken als ein Schweizer Käse.
Wenn eine Explosion stattgefunden hatte, warum hatte Kyle Zeke nichts erwähnt? Er hatte nur lediglich ausgesagt, der Wagen sei in Flammen aufgegangen und wenn ich mich nicht irrte, müsste er mitbekommen haben, wenn der hintere Reifen auf einmal explodiert war, zumal sicher eine Rauchwolke zurückgeblieben wäre. Ich war mir sicher, dass er gelogen, dass er nicht die Wahrheit gesagt hatte. Ich hatte gespürt, dass dieser überhebliche Kerl etwas verschwieg, aber warum? War er bedroht worden oder steckte er selbst dahinter? Aber es gab nirgendwo eine Verbindung zu Gibbs, nichts deutete daraufhin, dass sich die beiden kannten.

„Kannst du herausfinden, woher der Sprengstoff stammt?" fragte ich Abby und löste mich von dem Tisch. Es wurde Zeit, endlich etwas zu unternehmen und herauszufinden, warum ich so ein ungutes Gefühl bei dieser Sache hatte.
„Das wird schwierig werden", antwortete sie und seufzte leise. „Die verwendeten Substanzen kann man sich überall kaufen. Es ist nichts Ausgefallenes verwendet worden. Aber vielleicht finde ich etwas." Ich nickte und wandte mich an Ziva und McGee. „Wir fahren zu Kyle Zeke. Ich will noch einmal mit ihm sprechen. Er hat nichts von einer kleinen Explosion erwähnt und er müsste mitbekommen haben, wenn der hintere Reifen in die Luft geflogen ist. Aber vorher muss ich noch etwas anderes erledigen", fügte ich hinzu und ließ meine Schultern ein wenig hängen, als mir klar wurde, dass ich jemanden ausgelassen hatte.
„Und was?" wollte die Israelin wissen. „Ich muss Direktor Shepard sagen, dass Jethro nicht bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Jetzt kann ich nur hoffen, dass sie uns nicht abzieht." Und die Gefahr, dass sie es machte, war riesengroß. Aber vielleicht schaffte ich es ja sie davon zu überzeugen, dass ich das Recht hatte, den Mistkerl, der mir Gibbs genommen hatte, zur Rechenschaft zu ziehen. Und falls sie mich doch abziehen würde, würde ich auch so Mittel und Wege finden, um weiterzuermitteln. Nichts und niemand würde mich aufhalten, bis ich die Wahrheit herausgefunden hatte.

Fortsetzung folgt...
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