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Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller auf mich gezogen - ich kam mir unwillkürlich so vor, als ob mich ein heller Scheinwerfer anstrahlen würde. Es war mir trotz allem nicht leicht gefallen, in die Forensik zu kommen, das hatte alleine schon mein Zögern bewiesen, als ich den Knopf im Fahrstuhl für das richtige Stockwerk gedrückt hatte. Ducky war das nicht entgangen, hatte aber nichts gesagt und auch nicht die Aufgabe, die Etage auszuwählen, übernommen. Er hatte es mir überlassen, wusste er doch, dass ich den Schritt übernehmen musste und schlussendlich hatte ich es geschafft, wenn auch nur schwer – wusste ich doch, wer im Labor auf mich warten würde. Ich konnte nicht umhin, doch ein wenig Angst vor der Erklärung zu verspüren. Immerhin hing immens viel davon ab und diese würde entscheiden, wie es mit Gibbs und meiner Beziehung weitergehen sollte. Ich hoffte noch immer, dass es ein Grund war, den ich verstand und der mir sein Handeln näher brachte.
Und jetzt stand ich da, in der Forensik, mit vor der Brust verschränkten Armen und fragte mich genauso wie Abby, wer Darien war. Diesen Namen hatte ich noch nie gehört, aber er musste der Anlass sein, warum Jethro den Undercoverauftrag angenommen hatte und bei dem er sich eingeschleust hatte, nicht umsonst hätte Jen die Befürchtung geäußert, dieser würde den Braten riechen, wenn er wieder anfing, herumzuschnüffeln. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass Gibbs in Gefahr war, da er mir gesagt hatte, dass er noch lebte. Aber warum hatte er das gemacht, bevor der Auftrag zu Ende war? Wieso ging er das Risiko ein, aufzufliegen, wo er doch anscheinend wusste, welche Konsequenzen sein Handeln hatte? Ich hoffte, dass ich auch dafür eine Erklärung erhalten würde.

Ich ließ meinen Blick über alle Anwesenden schweifen, die sich um Jethro gruppiert hatten. Jen stand direkt bei ihm, die Hände in die Hüften gestemmt und schien noch immer wütend darüber zu sein, dass jetzt sämtliche Teammitglieder wussten, dass ihr Boss noch am Leben war – geschweige denn, dass ich von der Affäre der beiden im Bilde war.
Abby wirkte erfreut, dass sie ihren silberhaarigen Fuchs wieder hatte und der neugierige Ausdruck, der sich auf ihrem Gesicht breit gemacht hatte, als sie den Namen Darien gehört hatte, war weiterhin präsent. Ziva befand sich ein wenig abseits und beobachtete das Geschehen. Von allen Beteiligten wirkte sie am Ruhigsten und ich wünschte mir, ich könnte genauso alles lässig sehen. Aber ich hatte mir ihre Reaktion auch gar nicht anders vorgestellt. Sie hatte eine Ausbildung beim Mossad und war bestens mit Undercovereinsätzen vertraut und dass man dafür hin und wieder seinen Tod vortäuschen musste. Vielleicht hatte sie in der Vergangenheit selbst einmal diese Erfahrung gemacht, weshalb sie für die Situation Verständnis aufbrachte.
Meine Augen wanderten weiter zu McGee, der seine Hände in seinen Hosentaschen vergraben hatte und wütend Gibbs betrachtete. Seine Wangen hatten eine leichte rote Farbe und mich hätte es nicht gewundert, wenn die Blitze, die aus seinen Augen sprühten, meinen Freund getroffen hätten. Von allen hatte er am meisten mitbekommen, wie schlecht es mir in den vergangenen Tagen gegangen war, alleine schon deswegen, weil er mich im Verhörraum gefunden hatte, wie ich kurz davor gewesen war, einfach alles aufzugeben. Er hatte mich wieder aufgebaut, hatte mir versichert, dass ich stark genug war, um das zu überstehen und es hätte mich ziemlich gewundert, hätte er die Tatsache, dass Gibbs noch am Leben war, ruhig hingenommen. Unwillkürlich stieg unglaubliche Dankbarkeit in mir auf und ich verspürte sogar eine Spur Zuneigung zu dem Mann, den ich anfangs immer gehänselt hatte, der aber mittlerweile ein wirklich guter Freund geworden war.
Und schließlich blickte ich zu Jethro, der inmitten der kleinen Gruppe stand und mich über die Köpfe aller fixierte. Die Erleichterung, die er empfand, dass ich ihn nicht sofort wieder anschrie, war deutlich greifbar und in seinen Augen lag der mir bekannte liebevolle Ausdruck, der ausreichte, um meine Knie weich werden zu lassen. Obwohl unter meiner Oberfläche weiterhin Wut brodelte, so konnte ich nicht umhin, dass mich eine Welle der Sehnsucht überrollte, als ich ihn so vor mir stehen sah, in einer Jeans und einem weißen Hemd, das ihm ein lockeres Aussehen verlieh. Mein Herz sagte mir, dass ich auf ihn zugehen und ihn fest umarmen sollte, aber mein Verstand war da anderer Meinung. Dieser wollte endlich den Grund erfahren, warum ich so leiden hatte müssen – und es in gewisser Weise immer noch tat.
Aber ich erkannte, dass die Wut, die gestern und auch heute Morgen in mir gekocht hatte, gesunken war und ich wusste, dass das Duckys Verdienst war. Ich hatte keine Ahnung, ob ich jetzt hier stehen würde, wenn ich nicht zuvor mit ihm geredet und er mir nahe gelegt hätte, mir Gibbs' Erklärung anzuhören. Zusätzlich hatte die Anwesenheit des Pathologen eine beruhigende Wirkung auf mich, weswegen ich mich schließlich in Bewegung setzte und näher an die kleine Gruppe herantrat.
Abby blickte zwischen meinem Freund und mir hin und her und sie schien die Spannung zwischen uns förmlich zu spüren, da die Neugierde aus ihrem Gesicht verschwand und einem leichten Stirnrunzeln Platz machte. Aber sie schien keineswegs überrascht zu sein, dass dicke Luft herrschte, also wusste sie davon, dass ich gestern Gibbs so manche Sachen an den Kopf geworfen hatte. Jetzt, wo ich wieder logischer denken konnte, tat es mir sogar ein wenig leid, dass ich ihn als Bastard bezeichnet hatte. Aber in meiner grenzenlosen Wut hatte ich ihm einfach genauso weh tun wollen wie er mir und dies war sicherste Weg gewesen, es zu machen. Aber jetzt war es zu spät es zurückzunehmen, genauso wie es zu spät war, den Einsatz rückgängig oder die letzten Tage ungeschehen zu machen.

„Wieso hast du vorhin nichts gesagt?" fragte mich McGee eine Spur vorwurfsvoll und verschränkte seinerseits die Arme vor der Brust. Das Rot in seinem Gesicht wurde weniger, hinterließ aber weiterhin ein helles Rosa. „Ich wusste nicht wie", antwortete ich ehrlich, behielt aber Jethro im Auge, der sich gegen Abbys Schreibtisch lehnte und ständig den Eindruck machte, irgendetwas sagen zu wollen. „Ich dachte, es wäre besser, wenn ihr es selbst seht." „Und hast uns dabei ins offene Messer laufen lassen. Ich hatte für ein paar Sekunden das Gefühl, ein Gespenst vor mir zu haben", meinte Ziva, klang dabei aber nicht so vorwurfsvoll wie Tim. „Das dachte ich gestern auch", erwiderte ich leise und blickte Gibbs an, der bei meinen Worten leicht zusammenzuckte.
Es war irgendwie seltsam, dass er auf einmal wieder bei uns war, hier im Labor stand, als ob er nie weggewesen wäre. Nach fünf qualvollen Tagen war das Team erneut vollständig und hatte ihren offiziellen Leiter zurück. Es machte mir nichts aus, auf den Posten des Senior Field Agents abgeschoben zu werden, wobei es mir momentan schwer fiel, überhaupt an die Arbeit zu denken. Noch waren wir meilenweit davon entfernt, in den Alltag zurückzukehren und vieles hing auch davon ab, was ich in Kürze erfahren würde. Im Prinzip hielt Gibbs unsere Zukunft in Händen und er war sich dessen unbestreitbar bewusst.
„Also, wer ist denn nun Darien?" fragte Abby und die Neugierde war auf ihr Gesicht zurückgekommen. Jetzt, wo sie eingesehen hatte, dass sie keine Zeugin einer herzzerreißenden Versöhnungsszene wurde, lehnte sie sich neben Jethro an den Tisch und blickte ihren Boss wissbegierig an. Dieser seufzte kurz und sah zu Jen, so als ob er sich von ihr die Erlaubnis holen wollte, um darüber sprechen zu dürfen. Aber ich wusste, würde sie den Kopf schütteln, hätte er trotzdem eine Erklärung abgegeben. Er hatte sich ihr gestern und auch heute bereits widersetzt, indem er mich in den Park gelotst hatte und hierher gekommen war.
„Darien ist der Kopf einer Verbrecherbande, deren Mitglieder offiziell für tot erklärt worden sind", begann er und blickte dabei mich an, so als ob er nur mit mir reden und die anderen gar nicht mehr wahrnehmen würde. „In vier Tagen soll ein Anschlag auf ein noch unbekanntes Ziel stattfinden, wenn nicht bis dahin 50 Millionen gezahlt werden. Die einzige Chance, um dieses Ziel zu erfahren, war, jemanden einzuschleusen." „Und das musstest ausgerechnet du sein?" rutschte es mir unwillkürlich heraus und ich verschränkte erneut meine Arme vor der Brust. „Hätte es keinen anderen Agent gegeben, der das übernehmen konnte? Oder wollte die Direktorin den Besten für diesen Job haben?" „Agent DiNozzo…" begann diese gefährlich ruhig, wurde aber von Jethro wirsch unterbrochen, der sich aufrichtete und dabei eine Spur bedrohlich wirkte. Mein Herz begann schneller zu schlagen, aber nicht, weil ich Angst vor ihm hatte, sondern weil er auf einmal unglaublich sexy war.
„Diesen Auftrag hätte auch jemand anderes machen können", sagte er und seine Worte versetzten, obwohl ich mit ihnen gerechnet hatte, einen schmerzhaften Stich. „Aber ich wollte ihn selbst übernehmen, weil…" Er seufzte ein zweites Mal, straffte seine Schultern und blickte an mir vorbei zu Ducky, der sich bis jetzt ruhig verhalten hatte. „Es gibt da dieses Versprechen", meinte er mehr zu dem Pathologen als zu uns anderen und auf dessen Gesicht trat innerhalb des Bruchteils Verständnis. Die beiden schienen auf einmal ein Geheimnis zu teilen, das niemand sonst kannte.
„Jethro, willst du damit sagen, dass Darien…?" begann Ducky, ließ die Frage aber in der Luft verklingen, als er ein Kopfnicken erhielt. Traurigkeit breitete sich auf seinen Zügen aus und ich konnte verwirrter nicht sein. „Könnte uns vielleicht jemand einweihen?" wollte McGee ungeduldig wissen und unterbrach somit den Blickkontakt zwischen Gibbs und dem Pathologen, der sich räusperte: „Nun, meine Lieben, ich habe da ein starkes Verlangen nach einer Tasse Tee. Und ich bin mir sicher, dieser wird sich hervorragend dazu eignen, eine Geschichte zu erzählen, die ein wenig Licht in diese Angelegenheit bringen wird."
Ich wusste sofort, was er damit bezweckte und die leichte Panik von vorhin kam zurück. Wie konnte er mir das nur antun? Wieso ließ er mich mit Jethro alleine in der Forensik zurück? Obwohl die Räumlichkeiten groß waren, so würden sie mir doch viel zu klein vorkommen. Ich brauchte doch wenigstens ein wenig Unterstützung. „Wer will noch einen Tee?" fragte Ducky und blickte erwartungsvoll von einem zum anderen. Bei Abby fiel als erster der Groschen und sie hüpfte auf den älteren Mann zu. „Ich, Duckman. Hast du auch welchen mit CafPow Geschmack?" „Nun, meine liebe Abigail, ich fürchte, den muss man noch erfinden. Aber ich hoffe, Earl Grey tut es auch." „Das hört sich doch gut an", meinte Ziva und nahm McGee am Arm, der noch immer ein wenig auf dem Schlauch stand, bis er bemerkte, dass es darum ging, dass Gibbs und ich alleine reden konnten.
„Direktor? Ich bin mir sicher, Sie können mir beim Erzählen helfen", sagte der Pathologe und ich wusste, Jen passte es überhaupt nicht, die Forensik zu verlassen, andererseits erkannte sie, dass sie nur stören würde. Mit einem letzten Blick auf Gibbs ging sie voraus, gefolgt von den anderen. Abby blieb noch kurz bei mir stehen und flüsterte in mein Ohr: „Hals und Beinbruch." Dann war auch sie verschwunden und zurück blieben Jethro, ich und eine wirklich grausige Musik, die ich erst jetzt bemerkte, die aber das drückende Schweigen zwischen uns ein wenig lockerte, weshalb ich sie auch nicht ausschaltete.

Gibbs lehnte sich wieder an Tisch mit dem Computerbildschirm und seine blauen Augen bohrten sich förmlich in meine. In ihnen lagen Hoffnung, Traurigkeit, Liebe, Zärtlichkeit und Verzweiflung – Gefühle die ich nur zu gut kannte, hatte ich sie doch selbst durchgemacht. Meine Knie wurden weich wie Butter und ich spürte, wie ich ein wenig schwach wurde. Ich war noch immer wütend auf ihn, dennoch konnte ich nicht leugnen, dass ich mich nach ihm sehnte, nach seiner Umarmung und Berührung, geschweige denn nach seinen Lippen. Unser letzter Kuss schien Lichtjahre zurückzuliegen und für einen Moment wollte ich meiner Sehnsucht einfach nachgeben, stattdessen ging ich auf den Tisch zu, wo am Dienstag noch die Überreste des Motors verteilt gewesen waren, setzte mich darauf und wartete, dass ich endlich eine Erklärung bekam.
„Tony", sagte er und mein Name strich wie eine Liebkosung über meine Haut, ließ mich erschauern. Es war offensichtlich, dass er nicht wirklich wusste, wo er anfangen sollte und bevor wir noch morgen am selben Fleck standen und uns gegenseitig musterten, übernahm ich die Initiative. „Also, was ist das für ein Versprechen?" fragte ich schließlich ruhig und merkte, wie sich Jethro ein wenig entspannte, aber gleichzeitig die Traurigkeit in seinem Blick stärker wurde. „Ich nehme an, dass es der Grund ist, warum du das alles machst, richtig?" Er nickte zur Bestätigung und seufzte ein drittes Mal.
„Vor etwa fünf Jahren gab es eine Explosion in einem Einkaufszentrum, bei dem hunderte von Menschen ums Leben gekommen sind", begann er mit ungewohnt leiser Stimme und ich versteifte mich unwillkürlich. „Ich habe davon gelesen. Damals war ich noch in Baltimore und es wurde mindestens eine Woche im Fernsehen gezeigt. War dieser Darien verantwortlich?" Ich spürte, wie die Neugier gegenüber der Wut Oberhand gewann und ich wurde ein wenig ungeduldig. „Ja, das war er, Tony, aber das ist nicht der Grund, warum ich dir das angetan habe." Er holte tief Luft und auf einmal schien sämtliche Spannung aus seinen Schultern zu weichen. „Bei dieser Explosion… also, ich hatte einen Neffen, sein Name war James Jr. und… er war erst zwölf Jahre alt, Tony. Ein aufgeweckter Junge und ich habe ihn vergöttert. Ich habe gehofft, dass er entkommen ist, aber… sie haben seine Leiche etwa 17 Stunden nach der Explosion gefunden."
Seine Worte waren mit so einer Traurigkeit ausgesprochen, dass sie mich mitten in mein Herz trafen. Ich konnte nicht anders, als ihn stumm anzusehen, während er vor mir stand und voller Bitterkeit war. Mit allem hatte ich gerechnet, mit jeder Erklärung, aber nicht mit dieser. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass wir noch nie über seine Familie geredet hatten und mir wurde klar, warum er geschwiegen hatte. Weil die Erinnerungen zu schmerzhaft waren, um sie ans Tageslicht zu holen und ich konnte mir nicht einmal vorstellen, wie es für Jethro gewesen sein musste, am Samstag zu erfahren, dass der Schuldige endlich einen Namen hatte. Unwillkürlich stieg Mitleid in mir auf, aber ich unterdrückte es, da ich wusste, es war das Letzte, was er jetzt brauchen konnte.
„Meine Schwester war am Boden zerstört", fuhr er mit etwas kräftigerer Stimme fort, da ich nichts sagte, sondern ihn nur anblickte. „Sie hatte bereits ihren Ehemann verloren und dann, ein paar Jahre später, auch noch ihren Sohn. An diesem Tag ist für uns beide eine Welt zusammengebrochen, für Jamie allerdings eine viel größere. Ein Kind zu verlieren… es gibt nichts Schlimmeres." Ein weiterer trauriger Schatten huschte über sein Gesicht und ich stellte erschrocken fest, dass seine Augen feucht glitzerten. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen und ich spürte, wie meine Wut auf Gibbs immer mehr verrauchte, als ich das Ausmaß erkannte, als ich registrierte, weshalb er diesen Auftrag angenommen hatte.
„Jamie hat mich gebeten ihr etwas zu versprechen." „Und das war, den Verantwortlichen zu finden, oder?" fragte ich leise und wurde mit einem Kopfnicken belohnt. „Weiß sie schon, wer…?" „Sie hat sich umgebracht, Tony, etwa zehn Monate nach James' Tod. Sie hat sich nie davon erholt, ihren Sohn verloren zu haben." Gibbs fuhr sich über seine Augen und richtete sich ein wenig auf und ich merkte, wie wieder etwas Spannung in seine Muskeln zurückkehrte.

Ich saß da und wusste nicht, was ich sagen sollte. Hier hatte ich sie also, die Erklärung, warum er unbedingt selbst den Auftrag übernehmen hatte wollen, warum er diesen Darien zur Strecke bringen wollte. Und ich hatte meinen Freund noch nie so gesehen, so traurig und voller Gram seine Familie verloren zu haben. In der Nacht war ich noch unzählige Varianten durchgegangen, hatte mir überlegt, welchen Grund er hatte, mir weh zu tun, aber dass er durch Darien seinen Neffen und indirekt auch seine Schwester verloren hatte… nicht einmal im Traum hatte ich diese Möglichkeit einkalkuliert. Ich verstand sogar ein wenig, warum ihm dieses Versprechen wichtiger war als ich, dennoch…
„Du hättest es mir sagen sollen", durchbrach ich schließlich unser Schweigen und ich spürte, wie die Wut wieder ein wenig zurückkehrte. Ich verstand Jethros Standpunkt, aber ich verstand nicht sein Handeln, ich verstand nicht, warum er einfach geschwiegen hatte, anstatt sich mir anzuvertrauen. „Ich hätte hervorragend den trauernden Freund spielen können! Verdammt, ich hätte dich unterstützt, wenn du mir am Samstag einfach nur die Wahrheit erzählt hättest!" „Ich weiß", erwiderte er eine Spur verzweifelt. „Aber wie Jen vorhin gesagt hat, hat Darien herumgeschnüffelt und ich hatte einfach Angst, er könnte es herausfinden. Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen, Tony." „Ach ja? Und warum hast du dich dann doch entschlossen, mir vorzeitig zu sagen, dass du noch am Leben bist?" fragte ich ein wenig zynisch und verschränkte erneut die Arme vor der Brust. „Wenn du doch Angst davor hast, dass mir etwas passiert?" „Weil ich es nicht mehr ertragen habe können zu wissen, dass du meinetwegen so leidest. Seit Samstag renne ich mit dem Wissen herum, dass ich verantwortlich bin, dass es dir schlecht geht, dass du trauerst. Gott, Tony, es… es tut mir leid. Ich habe riesigen Mist gebaut und ich hätte es dir wirklich sagen müssen. Es tut mir so schrecklich leid. Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen."
„Dafür ist es wohl ein wenig zu spät, oder?" meinte ich dazu nur und glitt vom Tisch herunter. Ich wusste, es kostete ihn viel Überwindung sich zu entschuldigen, sah er so etwas normalerweise als Schwäche an, aber ich war noch nicht bereit dazu, diese zu akzeptieren. Ich hatte in den letzten Minuten so viel erfahren, dass mir der Kopf schwirrte und es wäre ein Fehler, ihm zu verzeihen, ehe ich alles durchdacht hatte, ehe ich damit klar kam, was zwischen uns vorgefallen war.

Auf Jethros Gesicht breitete sich Schrecken aus und er trat einen kleinen Schritt nach vorne. „Ich kann doch nicht mehr tun als mich zu entschuldigen. Soll ich etwa auf meine Knie sinken und dich anflehen?" Ich schüttelte den Kopf und brachte wieder etwas mehr Distanz zwischen uns. „Nein, Jethro, du kannst nichts anderes machen, als dich zu entschuldigen, aber ich kann sie nicht akzeptieren – noch nicht." „Tony…" „Weißt du, was mir seit gestern klar geworden ist? Wir sind doch das perfekte Beispiel für deine Regel Nummer 12. Liebe zwischen Kollegen… ich verstehe jetzt mehr denn je den Grund, warum du sie aufgestellt hast."
Zu dem Schrecken kam Panik dazu und Gibbs wirkte auf einmal verloren und ich konnte die Angst spüren, die von ihm ausging – Angst davor, was meine Worte bedeuten konnten. Mir tat es weh ihn so zu sehen, aber momentan konnte ich nicht anders.
„Das war es also?" fragte er mit ungewohnt schwacher Stimme. „Du willst einen Schlussstrich ziehen? Alles wegschmeißen, was wir uns gemeinsam aufgebaut haben?" „Ich bin nicht derjenige, der alles weggeschmissen hat – für einen Undercoverauftrag." „Du willst es also beenden?" Die Frage schwebte zwischen uns und damit verknüpft war eine folgenschwere Bedeutung. Ein einfaches Ja würde wirklich alles zu Nichte machen, ein Kopfnicken würde schon ausreichen, um unsere Beziehung in einen endgültigen Scherbenhaufen zu verwandeln und bei dem Gedanken daran zogen sich meine Eingeweide zusammen und mein Herz schrie förmlich vor Schmerz.

„Ich… ich weiß nicht, was ich will. Ich muss erst einmal mit allem klar kommen, alles durchdenken. Es tut mir wirklich leid, was du durchmachen musstest und ich kann dich verstehen, Jethro. Aber momentan ist mir das alles zu viel. In den letzten Tagen bin ich von einem Gefühlschaos ins Nächste gestürzt, ohne dass ich richtig zu Atem kommen konnte. Ich brauche ein wenig Zeit, um das alles zu verdauen, bevor ich wirklich weiß, wie es weitergehen soll." „Tony, bitte…" „Es tut mir leid, Jethro." Mit diesen Worten drehte ich mich um, ließ ihn stehen und ging zur Tür, aber bevor sie sich zischend öffnen konnten, hielt ich inne, als ich seine Worte vernahm, die mich beinahe zum Umkehren bewegt hätten.
„Ich liebe dich, Tony." Ich verharrte reglos, meine Hände zu Fäusten geballt und mein Herz klopfte wie verrückt. Vier Worte, die so viel bedeuteten und von denen ich gedacht hatte, sie nie wieder zu hören. Die Sehnsucht wurde größer und ich verspürte den fast unwiderstehlichen Drang, ihn zu umarmen und zu trösten, ihm das Leid abzunehmen, das entstanden war, als er seine Familie verloren hatte. Aber gleichzeitig riet mir mein Verstand, einfach weiterzugehen, daran zu denken, was er mir angetan hatte, dass ich es gewesen war, der in den letzten Tagen so gelitten hatte.
Einfach so umzudrehen und ihm zu verzeihen, ohne mit den neuen Tatsachen zurecht zu kommen, wäre ein Fehler und diese konnten sich verheerend auswirken. Ich musste alleine sein, musste über alles nachdenken, bevor ich eine endgültige Entscheidung treffen konnte.
Es kostete mich viel Überwindung, aber schließlich setzte ich einen Fuß vor den anderen und ließ Jethro alleine in der Forensik zurück. Die Türen öffneten sich und ich trat auf den Gang hinaus, wo vor dem Fahrstuhl eine kleine neugierige Gruppe stand – Ziva, McGee und Abby. Dass ich alleine aus dem Labor kam, war Zeichen genug und der hoffnungsvolle Ausdruck auf dem Gesicht der jungen Goth verschwand innerhalb einer Sekunde. „Ihr seid ja so stur!" rief sie und es hätte mich nicht gewundert, wenn sie mir ihren Zeigefinger in die Brust gebohrt hätte. „Ducky hat uns alles erzählt, Tony und Gibbs… das muss ja schlimm für ihn gewesen sein und…" „Ich weiß, Abbs. Meinst du, ich kann nicht verstehen, was er durchgemacht hat, nachdem ich selbst die Erfahrung gemacht habe, wie es ist, um einen geliebten Menschen zu trauern." „Aber warum…?" „Weil ich erst einmal alles auf die Reihe bekommen muss, deswegen. Gestern noch dachte ich, ich hätte mich von ihm verabschiedet und heute… es ist mir ein bisschen zu viel auf einmal."
„Aber ihr seid doch noch zusammen, oder?" fragte Ziva und legte ihren Kopf schief. Ich blickte über meine Schulter und sah Jethro, der mit dem Rücken zu mir stand, seine Arme auf Abbys Tisch abgestützt hatte und seinen Kopf hängen ließ. Erneut durchfuhr mich unglaubliche Sehnsucht und ich war erneut versucht, ihr einfach nachzugeben. „Ja, wir sind noch zusammen", antwortete ich leise und drehte mich wieder zu der kleinen Gruppe um. „Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt nach Hause fahre. Ich muss ein wenig alleine sein." „Ruf an, falls du etwas brauchst", sagte McGee und klopfte mir aufmunternd auf die Schulter. Ich nickte, drückte auf den Knopf für den Fahrstuhl, dessen Türen sich sofort öffneten. Ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen, betrat ich die Kabine und schloss meine Augen, als sich die Türen wieder schlossen.
In meinem gesamten Leben war ich noch nie so ratlos gewesen und ich wusste noch immer nicht, was ich machen sollte. Ich hatte gedacht, Gibbs' Erklärung würde mir einen Weg weisen, stattdessen stand ich weiterhin vor einer Weggabelung – die eine Richtung führte mich zu einem Leben ohne Jethro, die andere brachte mich geradewegs in seine Arme zurück. Nur, welche war die Richtige?

Fortsetzung folgt...
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