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Gibbs stand vor Dariens Wohnungstür, sein Zeigefinger schwebte ein paar Millimeter über dem Klingelknopf, den er einfach nicht drücken konnte. Er starrte das massive Holz der Tür vor sich an und wünschte sich, er könnte da mit ein paar Agenten reinstürmen und seinen alten Freund verhaften. Aber damit würde er das Todesurteil von hunderten von Menschen unterschreiben und das konnte und wollte er nicht verantworten. Nur, warum fiel es ihm dann so schwer, diesen Knopf zu drücken, da reinzugehen und Darien erneut vorzugaukeln, dass sie wieder die besten Kumpels waren?
Jethro seufzte leise und ließ seinen Arm sinken, so als ob dieser plötzlich Tonnen zu wiegen schien. Es war fast 15 Uhr und die Sonne schien durch ein breites Fenster am Ende des Flures, erhellte den grünen Teppich und die beigefarbenen Wände, spendete den Pflanzen, die zwischen den einzelnen Wohnungstüren standen, Licht. Obwohl alles freundlich war, es keine dunklen Ecken gab, so hatte er doch das Gefühl, sich in einer finsteren Höhle zu befinden, in der ein gefährliches Tier hauste. Und im Prinzip traf das auch zu. Darien war gefährlich, wartete nur darauf, seine Reißzähne in das Fleisch seiner Opfer zu schlagen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie viele Menschen starben.
Alleine die Aussicht, gleich wieder mit Coolidge in einem Raum zu sein, ihm in die Augen zu blicken, verwandelte seinen Magen in einen harten Klumpen und ließ Übelkeit in ihm aufsteigen. Wenn es nach Gibbs ginge, wäre er jetzt nicht hier, würde nie wieder an diesen Ort zurückkehren, würde nie wieder dem Mann gegenüberstehen, der verantwortlich dafür war, dass er seinen Neffen, seine Schwester und beinahe auch Tony verloren hatte. Wie sehr wünschte er sich, seine bloßen Hände um Dariens Hals zu legen und so lange zuzudrücken, bis diesem die Luft ausging und auf dem Boden zusammensackte. Aber so sehr Jethro Coolidge mittlerweile auch verabscheute, musste er seine Rolle noch ein weiteres Mal durchziehen, in dem Bewusstsein, dass er anschließend in sein altes Leben zurückkehren konnte und es jemanden gab, der ihn mit offenen Armen empfangen würde.
Trotz des Ernsts der Situation glitt Gibbs ein Lächeln über die Lippen und für einen Moment verlor er sich in den Erinnerungen der letzten Nacht. Ungeachtet dessen, dass er nur wenige Stunden geschlafen hatte – aber diese dafür umso besser – fühlte er sich richtig erfrischt und es schien ihm, als ob ein tonnenschweres Gewicht von seiner Brust verschwunden wäre. Das hatte nicht nur damit zu tun, dass er Tony wieder zurückhatte, sondern auch, dass er ihm endlich seine Vergangenheit anvertraut und von Shannon und Kelly erzählt hatte.
Jethro hatte in den letzten sieben Monaten immer wieder darüber nachgedacht, Anthony alles von seiner Familie zu berichten, aber irgendwie hatte er den Mut nicht aufbringen können, aus Angst, es könnte ihre Beziehung beeinflussen und dass sein Freund nicht damit zurecht kam, dass es noch jemand anderen gab, den er grenzenlos geliebt hatte und noch immer liebte. Aber letzte Nacht, als er in Tonys Armen gelegen hatte, war ihm bewusst geworden, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war.
Er hatte es auch gar nicht mehr länger verschweigen wollen, schon alleine deswegen, weil Anthony zu ihm zurückgekehrt war und ihm verziehen hatte. Ihre Wiedervereinigung am Friedhof würde er nie vergessen, genauso wenig wie die unglaubliche Erleichterung und das Glück, das ihn überschwemmt hatte, als ihn Tony an sich herangezogen und geküsst hatte. In diesem Moment hatte Gibbs gewusst, dass alles gut werden würde, dass sie die Sache mit Darien gemeinsam überstehen würden - Anthony war sein Fels in der Brandung, sein Engel, der ihm das Leben gerettet hatte.
In der letzten Nacht hatte er sich einfach fallen lassen, in dem Bewusstsein, dass er aufgefangen wurde, aber schließlich war er es gewesen, der seinen Freund gehalten hatte, als er weinend in seinen Armen zusammengebrochen war. Der Anblick der Tränen hatte ihn tief getroffen und für ein paar Sekunden hatte er seine eigenen Bedürfnisse vergessen, hatte die Lust ignoriert, die durch seine Blutbahn geströmt war und hatte Tony einfach nur umarmen wollen, aber als dieser den Kopf geschüttelt hatte, hatte Jethro begriffen, dass Anthony die Erfüllung noch mehr brauchte als er selbst.
Du bist das Beste, was mir je passieren konnte… Diese Worte hatten sich unauslöschlich in sein Gehirn eingebrannt und in diesem Moment hatte er erkannt, dass er den jungen Mann in seinen Armen noch mehr liebte als er zunächst angenommen hatte. Und genau da hatte er beschlossen, Tony noch in derselben Nacht von Shannon und Kelly zu erzählen, ihm seine ganze Vergangenheit zu offenbaren, in dem Wissen, dass er verstanden und nicht weggeschickt werden würde. Jahrelang hatte er die damaligen Geschehnisse für sich behalten, hatte sich nicht einmal Ducky anvertraut, hatte den Schmerz des Verlustes in seinem Inneren eingesperrt, der nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet hatte, herausgelassen zu werden.
Und bei Gott, es hatte sich so gut angefühlt, sich endlich alles von der Seele zu reden und diese offen zu legen, die Tränen zuzulassen, der so lange unterdrückt hatte. Anthony hatte einfach nur zugehört und ihn schließlich in seine Arme genommen, hatte ihm den Trost gespendet, den er in all den Jahren nicht gefunden hatte. Es war wie eine Befreiung gewesen und er hatte erkannt, dass er grenzenloses Glück hatte, seinen Freund zu haben, der es schaffte, dass er sich durch einfache Gesten geborgen fühlte. Und er war so dämlich gewesen und hatte das alles auf Spiel gesetzt.
Andererseits war ihm bewusst, dass die Geschehnisse der letzten Tage sie noch fester zusammengeschweißt hatte und ein Band hatte entstehen lassen, das niemand mehr zerstören konnte. Und schon gar nicht Darien. Dieser hatte ihm bereits zwei geliebte Menschen genommen, aber in diesem Fall dazu beigetragen, ihn und Tony noch näher zusammenzubringen. Was aber nicht hieß, dass er Coolidge je vergeben würde. Dieser würde im Gefängnis landen und in einer kleinen Zelle verrotten, während er selbst ein glückliches Leben führen würde.

Das Lächeln auf Gibbs' Lippen wurde breiter, als er an Tony und ihren gemeinsamen Morgensport dachte, ganz zu schweigen von den freudigen Gesichtern der anderen, als sie küssend im Fahrstuhl ertappt worden waren. Abby war wie eine Rakete mit zu viel Antrieb gewesen und hätte ihn beinahe umgeworfen, als sie ihn umarmt hatte. Und ihre Bemerkung darüber, dass sie liebend gerne eine Fliege sein würde, hatte ich richtiggehend amüsiert - vielleicht sollte er in Zukunft das Schlafzimmer auf irgendwelche Insekten untersuchen, ehe er mit Anthony schlief. Er sah jetzt schon eine Fliege mit Rattenschwänzen und einem winzigen CafPow Becher vor sich, die auf der Wand klebte und ihre Augen gespannt auf das Geschehen unter sich richtete.
Jethro musste ein Lachen unterdrücken, da er wusste, dass jedes Geräusch über die kleine Wanze an seinem Hemd übertragen wurde. Diese funktionierte einwandfrei, wie er kurz vorher mit einem kurzen Telefonat überprüft und dabei noch einmal Tonys Stimme gelauscht hatte, der ihm ein weiteres Mal gesagt hatte, dass er ihn liebte. Es war Gibbs unendlich schwer gefallen, seinen Freund in der Forensik zurückzulassen, um in das schäbige Mietsapartment zu fahren, um sich umzuziehen und auch den anderen Wagen zu holen, den Darien mit einem GPS Sender ausgestattet hatte. Er freute sich jetzt schon auf den Moment, wo er Coolidge Handschellen anlegen und ihm seine Rechte vorlesen konnte.
Aber um das durchführen zu können, musste er in diese Wohnung hineingehen, endlich herausfinden, wo dieser Mistkerl den nächsten Anschlag geplant hatte und dann konnte er seine Maske fallen lassen, wieder in die Rolle des Bundesagenten schlüpfen, der er war. Das Gesicht von Darien, wenn dieser erkannte, dass er verloren hatte, würde er sicher nie vergessen und in mit Befriedigung erfüllen, dass er das Versprechen nach all den Jahren nun doch einhalten hatte können.

Gibbs gab sich einen inneren Ruck und mit dem Wissen, dass Tony nicht weit entfernt war und alles mitbekommen würde, was in dieser Wohnung vor sich gehen würde, hob er ein zweites Mal seinen rechten Arm, um den Zeigefinger auf den Klingelknopf zu drücken. Diesmal zögerte er keine Sekunde, auch weil er wusste, dass das nichts bringen und er das Unvermeidliche nur in die Länge ziehen würde. Außerdem hasste Darien Unpünktlichkeit und er wollte nicht auf einen schlecht gelaunten Mann treffen, der bereits bei einem falschen Wort an die Decke ging.
Der schrille Klang der Klingel ertönte und erinnerte ihn an diesem Tag mehr denn je an das Kreischen einer Säge, die dabei war, Knochen zu durchtrennen. Es war ein grauenhafter Ton und er war froh, diesen zum letzten Mal gehört zu haben – außer es ging irgendetwas schief und Darien hatte es sich anders überlegt, würde ihm doch nicht anvertrauen, wo die nächste Bombe hochgehen würde. Wenn er ehrlich war, hatte weder Jen noch er bis jetzt diese Möglichkeit in Betracht gezogen und er hoffte, dass das nie geschehen würde. Noch länger den Freund von Coolidge zu mimen, würde ihm ziemlich schwer fallen. Das Bedürfnis, seine Faust in das Gesicht dieses Mannes zu schlagen, wurde mit jeder Sekunde größer.
Die sich öffnende Tür riss Jethro aus den Gedanken, die sich um eine gebrochene Nase Dariens handelte, als eben jener plötzlich vor ihm stand und breit grinste, dabei zwei Reihen weißer Zähne enthüllte, die ihn mehr denn je als gefährliches Raubtier wirken ließen. Die blonden Haare standen ein wenig von seinem Kopf ab und das schwarze Hemd hatte ein paar Falten vorzuweisen, aber ansonsten war Darien wie aus dem Ei gepellt. Die hellblauen Augen funkelten ihn fröhlich an und es war gerade das, was Gibbs auf einmal alarmierte. Sein Instinkt sagte ihm sofort, dass etwas nicht stimmte, auch wenn alles normal wirkte und nichts Ungewöhnliches an den Mann vor ihm zu sein schien. Aber seit Gibbs auf Darien getroffen war, hatte ihn dieser noch nie fröhlich angefunkelt, so als ob er gleich ein Geschenk auspacken dürfe, von dem er wusste, dass es etwas enthielt, das er sich schon seit Ewigkeiten gewünscht hatte.
„Lee, da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du hättest es vergessen", sagte Darien gut gelaunt und trat zur Seite, damit Jethro in die Wohnung gehen konnte, die sich seit Donnerstag Nachmittag nicht verändert hatte. Die Vorhänge waren zugezogen und sperrten das Sonnenlicht aus, trotzdem war es hell und freundlich, auch wenn er wie im Flur das Gefühl hatte, eine Höhle zu betreten. „Als ob ich den heutigen Tag je vergessen könnte", erwiderte er schließlich, zog seinen Mantel aus und warf ihn über die Lehne der Couch, was Darien mit einem Stirnrunzeln quittierte – er konnte es nicht ausstehen, wenn etwas herumlag. Trotzdem nahm er nicht das Kleidungsstück, um es an einen Haken neben der Tür, die er hinter sich schloss, aber nicht absperrte, zu hängen.
„Willst du etwas trinken? Wie wäre es mit einem Glas Scotch oder Wein, um sich ein wenig aufzuwärmen? Draußen ist es ja eisig kalt." „Nein danke. Du weißt doch, dass ich normalerweise keinen Alkohol vor dem Sonnenuntergang zu mir nehme", sagte Jethro, auch wenn er einen edlen Tropfen durchaus gebrauchen konnte. Aber er musste einen klaren Kopf behalten und außerdem hatte er eine viel bessere Methode um sich aufzuwärmen. Er musste nur an Tony denken, der unten im Wagen saß und auf ihn wartete und das wärmte ihn besser als jeder Alkohol es vermocht hätte.
„Wie du willst. Aber ich kann dir sagen, dir entgeht einiges. Vielleicht nachher, um zur Feier des Tages anzustoßen?" bohrte er unnachgiebig nach und betrat den Flur, in dem sich Gibbs schon am Dienstag umgesehen hatte. Und er wusste, würde er jetzt sagen, dass er auch nachher nichts möchte, wäre das mehr als verdächtig. Immerhin war die Bombe für Darien ein Grund zum Anstoßen und er selbst musste nun auch so tun, als ob er aufgeregt sei bei dem Gedanken, etwas in die Luft zu sprengen.
„Klar", antwortete er deswegen und erhielt ein zufriedenes Kopfnicken. „Wusste ich es doch", meinte Darien amüsiert, aber Gibbs achtete nicht sonderlich darauf, als er erkannte, wo ihn sein alter Freund hinführte. Sein Herz begann unverhofft schneller zu schlagen und Adrenalin strömte durch seine Adern, aber äußerlich blieb er vollkommen ruhig, ließ sich nicht anmerken, welcher Aufruhr in seinem Inneren auf einmal herrschte.

Coolidge legte seine Hand auf die Klinke der Tür, die zu dem Raum führte, den Jethro am Dienstag verschlossen vorgefunden hatte und von dem er unbedingt wissen wollte, was sich darin befand, das so wichtig war, dass er abgesperrt gewesen war. Oder aber sein alter Freund hatte ihm einfach nicht über den Weg getraut und gespürt, dass er herumschnüffeln würde, sollte er die Gelegenheit dazu bekommen.
Das Zimmer war wichtig, das hatte er bereits vor ein paar Tagen erkannt und dass ihn Darien jetzt da rein führte, war eine weitere Bestätigung dafür. Dort musste er also wirklich Pläne für den Anschlag aufbewahren, warum sonst wollte er Gibbs in diesem Raum alles erzählen? Wenn er ihm schon alles anvertraute, dann auch die Sachen, die Darien versperrt aufbewahrte, damit sie niemand sah, außer er wollte es selbst so. Obwohl ihn diese Tatsache beruhigen sollte, war genau das Gegenteil der Fall. Jethro wusste nicht, warum er auf einmal so misstrauisch war, warum er in dem fröhlichen Funkeln in Coolidges Augen eine Bedrohung sah. Am liebsten würde er auf seinen Instinkt hören und seine Kollegen alarmieren, aber er wusste, somit wäre die Chance herauszufinden, wo die Bombe hochgehen würde gleich null. Was auch immer Darien vorhatte, Gibbs musste da durch, durfte sich nicht anmerken lassen, dass er Gefahr roch.
Die Theorie, dass sein alter Freund doch mitbekommen hatte, dass er belogen wurde, war gar nicht mehr so abwegig, aber irgendwie spürte er, dass es nicht damit zu tun hatte, dass er Tony vorzeitig gesagt hatte, dass er noch am Leben war. Aber wann hatte er einen Fehler gemacht? Wenn es so wäre, warum hatte er dann keine Kugel im Kopf? Warum war er nicht beseitigt worden? Oder lagen seine Nerven einfach blank? Auch wenn Darien keine Anzeichen machte, ihn gleich zu erschießen, würde er in seiner Wachsamkeit nicht nachlassen – schon gar nicht so kurz vor dem Ziel.

Coolidge drückte die Klinke hinunter, die Tür schwang lautlos auf, was Jethro nicht im Mindesten überraschte. Warum sollte er den Raum auch versperrt lassen, wenn er alleine Zuhause war? Und wie das Glas auf dem Schreibtisch aus dunklem Holz bewies, hatte sich Darien vor kurzem hier aufgehalten, bevor Gibbs geläutet hatte. Im Aschenbecher daneben befand sich eine halbgerauchte Zigarette, von der ein dünner Rauchfaden aufstieg und damit die Luft leicht verpestete.
In einer Ecke stand eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder und einem runden Glastisch, auf dem die Fernbedienung lag, die zu dem Fernseher gehörte, der gegenüber auf einem Regal stand, dessen restlicher Platz mit jeder Menge Bücher vollgestellt war. Der Boden bestand aus einem dunklen Parkett, der jedoch größtenteils von einem Orientteppich verdeckt wurde, der perfekt mit der gesamten Einrichtung harmonierte.
Genauso wie im Wohnzimmer waren die Vorhänge zugezogen und verwehrten somit einen Blick nach draußen, trotzdem gelangte genug Licht in den Raum und enthüllte die Pinnwand, die gegenüber der Tür aufgehängt worden war - die Fotos, die darauf befestigt waren, trafen Gibbs bis ins Mark. Überall waren ausgebrannte Gebäude zu sehen, blutüberströmte Leichen, Menschen, denen Gliedmaßen fehlten und pures Leid, das man selbst auf den Bildern erkennen konnte. Ihm drehte sich der Magen um und er hatte alle Mühe, sich nicht auf dem teuren Orientteppich zu übergeben. Darien war wohl noch verrückter als er gedacht hatte und ein wahrer Psychopath. Wie konnte er nur solche Bilder aufhängen? Sich an dem Schmerz anderer erfreuen? Es machte ihn krank, sich in diesem Raum aufzuhalten und am liebsten hätte er diesen nie betreten, hätte nie gesehen, was sich hier befand.
Jethro spürte förmlich, wie ihm die Farbe aus dem Gesicht wich und ihm leicht schwindelig wurde. Darien hingegen setzte sich einfach auf den Stuhl hinter seinem Schreibtisch und lehnte sich in diesen zurück – das Funkeln in seinen Augen war intensiver geworden und er musterte seinen Besucher von oben bis unten. „Geht es dir nicht gut, Lee?" fragte er eine Spur hämisch, so als ob er genau wusste, warum Gibbs auf einmal blass geworden war. Seine Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, er lehnte sich noch weiter zurück und legte seine Fingerspitzen aneinander.
Gibbs riss mit aller Kraft seinen Blick von den Bildern los und wandte sich zu dem blondhaarigen Mann um, der ihm jetzt noch viel fremder vorkam. Was war nur aus dem Darien geworden, mit dem er durch die Bars gezogen war und jede Menge Spaß gehabt hatte? Wo war die Person, die früher jegliche Gewalt verabscheut hatte?
„Mir geht es prima", schaffte es Jethro schließlich zu antworten, auch wenn er den Schrecken nicht ganz aus seiner Stimme verbannen konnte. Er hatte das Gefühl, die Leichen auf den Bildern würden ihn ansehen und mit ihren Fingern nach ihm greifen. Seine Knie waren ungewohnt weich, trotzdem schaffte er es so gelassen wie möglich zu dem Stuhl vor dem Schreibtisch zu gehen und sich darauf niederzulassen, genau gegenüber von Darien, der ihn noch immer anblickte.
„Wirklich? Du siehst ein bisschen blass aus", meinte dieser und hob seine Augenbrauen. „Wahrscheinlich hat dich meine selbstgemachte Fotocollage ein wenig geschockt, oder? Aber so geht es jeden, der diesen Raum zum ersten Mal betritt. Ich hingegen finde sie sehr gelungen und zeigt davon, wie verbohrt die Regierung doch ist. Um all das verhindern zu können, hätten sie doch nur etwas zahlen müssen."
Gibbs umklammerte die Lehne seines Stuhles so fest, dass sie sich unangenehm in seine Hände bohrte und er wünschte sich, Coolidge würde endlich aufhören davon zu prahlen, wie viele Menschen er umgebracht hatte und zur Sache kommen. Er konnte es nicht abwarten, aus diesem Raum hinauszukommen, weg von den Bildern. Sicher, er hatte im Laufe seiner Karriere als Bundesagent und auch als Marine viele Tote gesehen, aber diese Situation war anders - alleine wegen dem Foto, das das Einkaufszentrum zeigte, wo sein Neffe ums Leben gekommen war. Wenn alles vorbei war, würde er eine lange Dusche nehmen, in der Hoffnung, so den Ekel loszuwerden, der ihn überkommen hatte.

„Und wo wir gerade beim Thema sind", fügte Darien hinzu, öffnete eine Schublade und holte ein Foto heraus, das erst vor kurzem aufgenommen worden sein musste. Darauf war ein großes, gläsernes Gebäude zu sehen, mit einem weitläufigen Parkplatz davor, wo an den Rändern hohe Schneeberge waren, die ein Schneepflug dort aufgetürmt hatte. Überall standen Fahrzeuge herum, Leute gingen durch eine Drehtür ein und aus – Frauen, Männer und Kinder.
Jethro erkannte dieses Bauwerk sofort und sein Magen zog sich noch fester zusammen. Mittlerweile wünschte er sich ein großes Glas Alkohol herbei, als ihm bewusst wurde, was das nächste Ziel von Coolidges Anschlag sein würde – das Einkaufszentrum, in dem James Jr. gestorben und das neu aufgebaut worden war.
„Du willst also das Einkaufszentrum im Norden Washingtons in die Luft jagen?" fragte Gibbs, aber nur damit seine Leute mitbekamen, was das Ziel war und sofort Maßnahmen ergreifen konnten. „Ich dachte, das war schon einmal eines deiner Ziele", meinte er nach ein paar Sekunden und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass es ihn bis ins Innerste schockierte, wenn er daran dachte, wie viele Menschen sterben könnten, wenn Darien seinen Plan in die Tat umsetzte. Aber wenigstens tappten sie jetzt nicht mehr im Dunkeln und sein alter Freund hatte keinen Schimmer, dass Jethro eine Wanze bei sich trug. So wie Coolidge in seinem Sessel saß, war er einfach nur überheblich und von sich selbst überzeugt, glaubte, keinen Fehler zu machen – welch ein Irrtum.
„Genau das habe ich vor", antwortete Darien emotionslos und lehnte sich wieder zurück – seine Hände verschränkte er in seinem Schoss. „Das war damals ein Meisterstreich von mir und ich träume heute noch davon, als ich die Explosion von einem sicheren Punkt aus beobachtet habe. Dieser gigantische Feuerball, einfach herrlich. Richie ist mit der Bombe fast fertig und wird sie morgen im Heizungsraum deponieren. Kannst du dir vorstellen, welche Explosion das geben wird? Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist, Lee? Du bist richtig blass um die Nase."
Gibbs zitterte innerlich förmlich, während er nach außen alles versuchte, ruhig zu bleiben, sah man von seiner schwindenden Gesichtsfarbe ab. Er war nur froh, dass Darien endlich alles ausgespuckt hatte und somit die ganze Sache in ein paar Minuten vorbei sein würde. Er brauchte nur noch ein paar Minuten warten, bis seine Kollegen die Wohnung stürmen würden – in ein paar Minuten konnte er zu seinem Tony zurückkehren.
„Ich bin nur etwas überrascht, dass du dir dieses Einkaufszentrum ausgesucht hast. Das ist alles", sagte er schließlich und versuchte sich ein wenig zu entspannen. Diesmal würde niemand zu Schaden kommen, es würde keine Opfer geben. „Das kann ich mir vorstellen. Aber soll ich dir noch etwas sagen, Lee? Das ist nicht der einzige Grund, warum du auf einmal so blass geworden bist, nicht wahr?" Der scharfe Ton in Dariens Stimme ließ sofort alle Alarmglocken in Gibbs' Innerem schrillen und er versteifte sich unwillkürlich. Das Funkeln in den Augen seines alten Freundes wurde stechend und das Grinsen unglaublich höhnisch.
Sein Gegenüber beugte sich ein wenig nach vorne und bewegte dabei unmerklich seine rechte Hand. „Ich denke, es hat eher damit zu tun, dass du vor fünf Jahren bei der Explosion jemanden verloren hast, nicht wahr? Wie war noch gleich sein Name? Ah ja, James Jr. Ich wette, deine Schwester war untröstlich. Die gute Jamie. Meinst du, sie schmort in der Hölle, weil sie sich umgebracht hat?"
Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde sprang Jethro von dem Sessel auf, wollte sich über den Tisch stürzen und Darien eigenhändig den Hals umdrehen. Rasende Wut überflutete ihn, er wollte den Mann vor sich einfach nur ins Jenseits schicken, wollte ihm das Genick brechen. Aber bevor er seinen Wunsch auch nur annähernd in die Tat umsetzen konnte, blickte er in die Mündung einer Waffe, die Coolidge blitzschnell aus der noch immer offenen Schublade hervorgeholt hatte. Das Geräusch, mit dem sie entsichert wurde, hallte laut in Gibbs' Ohren wider und ließ ihn abrupt innehalten.
„Das Spiel ist aus, Special Agent Leroy Jethro Gibbs. Und du bist eindeutig derjenige, der verloren hat", sagte Darien eiskalt und brach anschließend in schallendes Gelächter aus, das in dem Raum wie ein lautes Donnergrollen ertönte.

Fortsetzung folgt...
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