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Washington D.C.
Kurz vor 11 Uhr


Fette Ratten und abgemagerte, herumstreunende Katzen waren die einzigen sichtbaren Lebewesen, die sich in der Nähe der alten Fabrikhalle, die sich inmitten eines weitläufigen, großen Geländes befand, aufhielten und versuchten, irgendwo Nahrung zu finden. Der Asphalt, der sich unter der Schneedecke verbarg, war rissig und an vielen Stellen aufgebrochen. Während der wärmeren Monate konnte man jede Menge vertrocknete Gräser bestaunen, deren braune Halme teilweise durch den hohen Schnee lugten. An manchen Stellen waren die pulvrigen Flocken von Tierpfoten und Fußabdrücken platt getrampelt und zeugten davon, dass jemand hin und wieder das verlassene Gelände besuchte, um meistens irgendwelchen illegalen Geschäften nachzugehen.
Die Fassade des rechteckigen, langen Gebäudes bestand aus rotbraunen Ziegeln, die mit grauem Beton verputzt worden waren, der jedoch bereits abbröckelte und vor allem an den Ecken fehlten große Stücke, so als ob vor langer Zeit jemand mit einem Fahrzeug dagegen gekracht wäre. Zusätzlich waren die Wände mit Graffitis beschmiert, deren Bedeutungen manchem Menschen die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte. Die großen Fenster der Halle waren zwar verschmutzt und man konnte dadurch nicht in das Innere blicken, aber sie waren ausnahmslos alle intakt – bis auf ein paar harmlose Sprünge im Glas. Bei verlassenen, alten Gebäuden war es äußerst selten, dass die Fenster heil waren, da es immer Personen gab, die es witzig fanden, diese mit Steinen einzuwerfen. Aber irgendetwas musste sie daran hindern, das an diesem Ort zu machen, der den Eindruck erweckte, vollkommen verlassen zu sein. Sah man jedoch genauer hin, konnte man Anzeichen von menschlichem Leben erkennen. Die Abdrücke, die hin und wieder auf dem Gelände auftauchten, wurden in der Nähe der Halle mehr, durchbrochen von Reifenspuren, die vor einem großen Tor endeten, das geschlossen und zusätzlich mit einem großen Vorhängeschloss gesichert worden war und ziemlich neu aussah, worauf die wenigen Kratzer, die es aufwies, hindeuteten.
In der gesamten Umgebung war es unheimlich ruhig – nur ab und zu konnte man einen Wagen hören, der in der Ferne vorbeifuhr, sich aber nur selten hierher verirrte. Niemand näherte sich freiwillig diesem Gelände – selbst Obdachlose und Drogendealer schienen zu spüren, dass es für ihre Gesundheit nicht gut war, sich an diesem Ort aufzuhalten, und suchten schleunigst das Weite.
Ein Mann jedoch ignorierte die bedrohliche Atmosphäre, die über dem Gelände lag und nicht einmal von der Sonne verdrängt wurde. Die Fabrikhalle warf lange Schatten auf die Schneedecke, die an dieser Stelle schmutzig wirkte und nicht vor sich hinglitzerte.
Langsam ließ er den dunkelblauen Gebrauchtwagen ausrollen und hielt neben dem Maschendrahtzaun, der einige Lücken aufwies, aber dennoch das gesamte Areal umgab. Mit einer entschlossenen Bewegung stellte er den Hebel des Automatikgetriebes auf parken und drehte den Schlüssel, um den Motor abzustellen – somit kehrte die Stille wieder zurück, die ihm ein wenig aufs Gemüt drückte. Grundsätzlich hatte er nichts gegen Ruhe – vor allem, wenn er nachdenken musste – aber wenn sie derart unheimlich war, konnte er das nicht ausstehen, dennoch widerstand er dem Drang, das Radio einzuschalten. Ein Lied, egal welche Richtung, würde er noch weniger ertragen können, zeigte es doch, dass sich die Welt weiterdrehte, während er das Gefühl hatte, für ihn wäre sie untergegangen. Die Entscheidung, die er gestern in dem Park getroffen hatte, hatte verhindert, dass er letzte Nacht auch nur ein Auge zumachen hatte können. Immer wieder hatte er sich die Konsequenzen durch den Kopf gehen lassen, hatte er doch deutlich gewusst, was er damit anrichten würde. Seine Eingeweide waren seit Stunden ein einziger großer Knoten und verhinderten, dass er etwas essen konnte. Alleine der Gedanke an Nahrung bereitete ihm Übelkeit und ließ ihn mehrmals heftig schlucken. Psychischer Schmerz hielt ihn seit gestern gefangen und quälte ihn mehr als das Wissen über die Konsequenzen, die seine Entscheidung mit sich brachte. Nicht nur für ihn hatte an diesem Morgen die Welt in Trümmern gelegen, er hatte keine Ahnung was die Zukunft bringen würde und in sein vorheriges Leben zurückzufinden, nachdem er das Versprechen erfüllt hatte, würde ein großer Kampf werden. Es gab Menschen, die ihn wahrscheinlich verachteten, wenn sie die Wahrheit erfuhren – das war auch der Grund, weshalb ihn enorme Zweifel plagten, ob er die richtige Entscheidung gefällt hatte. Jetzt, Stunden später, dachte er bereits darüber nach, was er in diesem Moment machen würde, wenn er sein normales Leben einfach weitergeführt hätte. Wahrscheinlich würde er um diese Zeit Schnee schaufeln oder womöglich in der Küche stehen, um etwas zu kochen. In letzter Zeit war er ein wenig häuslich geworden, eine Eigenschaft von ihm, die er früher nicht wirklich besessen hatte, aber es hatte sich mittlerweile vieles geändert und er wusste nur zu genau, dass er alles wegen eines Versprechens aufs Spiel setzte. Aber nun war es zu spät, um es rückgängig zu machen und er musste einfach das Beste aus der Situation machen, was danach kam… damit konnte er sich später befassen.
Ein leiser Seufzer kam ihm über die Lippen und er schüttelte den Kopf, um die Bilder, die in seinem Gehirn entstanden, zu verdrängen. Sie würden ihn nur quälen und das würde ihn daran hindern, logisch zu denken, etwas, das von nun an überlebenswichtig war. Bevor er einen Rückzieher machen konnte, zog er den Schlüssel ab, öffnete die Autotür und prompt schlug ihm eiskalte Luft entgegen, die ihn unwillkürlich erschauern ließ, obwohl er einen warmen Mantel trug. Er sog sie tief in seine Lungen, linderte damit ein wenig den Schmerz in seinem Inneren und entkrampfte seine Eingeweide, die sich nun nicht mehr wie ein harter Knoten anfühlten – im Gegenteil. Jetzt schien es ihm, als ob sie sich wie Würmer in seinem Bauch herumschlängeln würden.
Mit einem leisen Knall, der in der Stille jedoch laut widerhallte und eine Katze in der Nähe aufschrecken ließ, die sich mit einem wütenden Fauchen aus dem Staub machte, schloss er die Wagentür. Er ließ seinen Blick über das Gelände schweifen und prägte sich alles ein. Es war die perfekte Umgebung, um sich zu verstecken – kein Wunder, dass sein alter Freund hier seine Zelte aufgeschlagen hatte. Die Überraschung, als er gestern erfahren hatte, dass dieser noch am Leben war, hatte ihn mit Wucht getroffen – im selben Moment war ihm bewusst geworden, dass der Zeitpunkt, das Versprechen einzulösen, endlich gekommen war. Innerhalb von Stunden war alles Schlag auf Schlag gegangen und jetzt stand er hier, vor dem Gebäude, in dem sich der Mann aufhielt, von dem er einst geglaubt hatte, ihn zu kennen und ihm vertrauen zu können. Und dann hatte sich herausgestellt, dass er seinen Tod nur vorgetäuscht hatte und jetzt auf der anderen Seite des Gesetzes stand. Dabei hatte Darien Hayden Coolidge ständig geschworen, nie kriminell zu werden. In all den Jahren, die sie miteinander verbracht hatten, hatte er behauptet, Kriminelle nicht ausstehen zu können und dass es nur gerecht sei, wenn sie ihr restliches Leben hinter Gittern verbringen mussten – oder sie die Todesstrafe ereilte. Er war ein Verfechter des Gesetzes gewesen, hatte aber nie Anstalten gemacht, der Polizei beizutreten. Stattdessen hatte er auf großem Fuß gelebt und das viele Geld, das er von seinem verstorbenen Vater geerbt hatte, verprasst. Die vielen Dollars hatten ihn schlussendlich verändert und irgendwann hatte ihn die Nachricht erreicht, dass Darien tot sei. Er war selbstverständlich bei seinem Begräbnis gewesen, hatte miterlebt, wie alle getrauert hatten und dann musste er gestern erfahren, dass alles nur Schein gewesen war und sein alter Freund in den letzten Jahren zum Kopf einer gefährlichen Verbrecherorganisation geworden war, die mehr als einmal Tod und Zerstörung gebracht hatte.
Jetzt war er hier, vor dem Gebäude, in dem sich Coolidge und ein paar seiner Männer aufhielten und wahrscheinlich gerade dabei waren, den nächsten Coup vorzubereiten, aber das würde er zu verhindern wissen und gleichzeitig sein Versprechen erfüllen, in der Hoffnung, bald wieder an seinen normalen Platz im Leben zurückzukehren, an dem er noch nie so glücklich wie zuvor gewesen war. Er konnte einfach nur hoffen, dass man ihm verzeihen würde, was er so vielen Menschen antat, indem er Darien das Handwerk legen wollte. Insgesamt vier Personen wussten davon, dass er hier war, beziehungsweise, was er hier machte, alle anderen hatten nicht die geringste Ahnung und mittlerweile wünschte er, er hätte es ihnen erzählt. Sie hätten ihn sicher verstanden und er hätte ihnen dadurch jede Menge Leid erspart, aber nun war es zu spät, nun konnte er nur noch das Beste aus der Situation machen.
Entschlossen eilte er durch den hohen Schnee, der seine Hose ein wenig durchnässte und quetschte sich durch eine Lücke in dem Maschendrahtzaun, der einzige sichtbare Zugang zu dem Gelände. Zwar gab es ein Tor, das jedoch mit einer dicken, silbernen Kette gesichert war und den Eindruck erweckte, sogar einem Bolzenschneider standzuhalten. Ohne sich auch nur einen Kratzer einzufangen oder sich seine Kleidung zu zerstören, kam er auf der anderen Seite an, sich der Tatsache bewusst, dass er nicht mehr unentdeckt war. Obwohl er sich noch gute 10 bis 15 Meter von der Halle entfernt befand, konnte er die Blicke auf sich spüren, die jeden seiner Schritte verfolgten. Die unheimliche Atmosphäre wurde noch unangenehmer und unwillkürlich stellten sich seine Nackenhärchen auf. Die Sonne blendete ihn, aber dennoch sah er weiterhin zu dem breiten, verschmutzten Fenster, durch das er beobachtet wurde, ungeachtet dessen, dass er die Person nicht erkennen konnte, aber dennoch wusste er, dass dessen Augen auf ihm klebten. Ein netter Empfang war ihm jetzt schon sicher und er konnte sich glücklich schätzen, dass er sich entschieden hatte, seine Waffe nicht mitzunehmen. Das hätte mehr als unangenehm werden können. Diese Männer waren Verbrecher und wenn sie dachten, jemand würde kommen, um sie hochzunehmen, dann würden sie erst schießen, bevor sie darüber nachdachten. Er konnte nur hoffen, dass er heil bei der Tür ankommen und nicht zuvor blutüberströmt im Schnee liegen würde.
Kopfschüttelnd vertrieb er diese nicht gerade angenehmen Bilder aus seinem Gehirn und näherte sich langsam dem Gebäude, immer darauf bedacht, dass man seine Hände sehen konnte und er dadurch das Risiko vermindern wollte, dass man annahm, er wäre kurz davor, aus seiner Manteltasche eine Pistole zu ziehen, um damit wild um sich zu ballern.
Darien war sicher bereits darüber informiert worden, dass Besuch im Anmarsch war und er konnte sich gut vorstellen, dass er ziemlich überrascht sein würde, ihn hier zu sehen, gleichzeitig würde er sich auch freuen, immerhin waren sie jahrelang durch dick und dünn gegangen. Er konnte nur hoffen, dass das sein Freund nicht vergessen hatte und nicht sofort Verdacht schöpfen würde, dass er auf einmal hier auftauchte.
Schritt für Schritt ging er auf die Halle zu und blieb schließlich vor einer grauen Metalltür stehen, die den Eindruck erweckte, einer Kanonenkugel stand zu halten. Über ihm war eine Lampe angebracht, von der allerdings die Glühbirne fehlte. Stattdessen konnte er ein kleines, rotes Licht erkennen, das zu einer Überwachungskamera gehörte. Wenn man nicht genau hinsah, könnte man sie glatt übersehen und er konnte sich vorstellen, dass das nicht die einzige Kamera war, die auf dem Gelände versteckt war.
Sein Herz fing unwillkürlich schneller zu schlagen an und trotz des kalten Wetters wurde ihm warm, als er hörte, wie auf der anderen Seite der Tür geräuschvoll ein Riegel zurückgeschoben wurde, gefolgt von einem Schlüssel, der umgedreht wurde. Eine Sekunde später wurde sie schwungvoll aufgerissen und er stand zwei muskulösen Männern gegenüber, die einheitlich mit blauen Jeans und schwarzen Hemden, die ihnen eine Nummer zu klein waren und deren Nähte beinahe platzten, gekleidet waren. Beide hatten krumme Nasen und grobschlächtige Wangenknochen. Der Linke hatte eine Glatze und seine Augenbrauen waren in der Mitte der Stirn zusammengewachsen, wohingegen der Rechte lange, braune Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren, und dünne Augenbrauen vorzuweisen hatte. Beide hielten Maschinengewehre in ihren Händen und machten den Eindruck, sie gleich einsetzen zu wollen. Die Tatsache, dass sie es nicht machten, verriet ihm, dass Darien ihn erkannte hatte. Jeder andere wäre wahrscheinlich längst liquidiert worden.
Die beiden Männer musterten ihn abfällig mit kalten, grauen Augen, so als ob sie ein besonders ekliges Insekt vor sich hätten. Ohne dass er sich wehrte, ließ er es zu, dass ihn der Linke grob am Arm packte und in das Innere des Gebäudes, das überraschend sauber war, zog. Die Wände waren vor kurzem neu verputzt worden und an ihnen hingen gut ein Dutzend große Poster von nackten Frauen, die sich aufreizend in verschiedensten Stellungen präsentierten und kokett in die Kamera lächelten. Überall standen willkürlich verstreut Sofas verschiedenster Formen und Größen herum, teilweise zerschlissen, teilweise brandneu. Mindestens genauso viele runde Tische waren in der weitläufigen Halle verteilt. Deren Oberflächen waren mit Getränkeflaschen, Pizzaschachteln und Fastfoodtüten übersät. In der rechten hinteren Ecke waren sechs Computer mit Bildschirmen aufgestellt worden, auf denen man das Gelände außerhalb des Gebäudes betrachten konnte – inklusive seines Gebrauchtwagens.
Wegen der schmutzigen Fenster war es leicht dämmrig und diese Düsterkeit wurde nicht einmal durch die beiden Lampen, die eingeschaltet worden waren, vertrieben. Über allem hing ein Geruch aus Essensresten, altem Öl und leicht abgestandener Luft. Es war überraschend warm und nicht eisig kalt, so wie er sich das vorgestellt hatte – irgendjemand hatte wohl dafür gesorgt, dass die Heizung einwandfrei funktionierte.
Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, stieß ihn der Mann, der ihn am Oberarm gepackt hatte, mit dem Gesicht voran gegen die Wand, während sein Kumpel die Tür gewissenhaft verschloss und ihm damit verdeutlichte, dass er so leicht nicht mehr hinauskam. Große, raue Hände tasteten ihn überall ab, suchten an jeder nur erdenklichen Körperstelle nach eventuell versteckten Waffen oder sonstigen Gegenständen, aber außer seinen Autoschlüsseln wurden sie nicht fündig. Nicht einmal einen Ausweis hatte er eingesteckt, diesen bewahrte er in dem Nachttisch neben seinem Bett in der Wohnung, die er neu gemietet hatte, auf. Er mochte das Apartment nicht sonderlich, aber es diente seinem Zweck und wenn er sein Versprechen erfüllt hatte, würde er wieder von dort verschwinden, um es nie wieder zu betreten.
Nachdem der Mann keine Waffen gefunden hatte, ließ er ihn los und er wagte es, sich umzudrehen. Obwohl sein Begrüßungskomitee die Maschinengewehre gesenkt hatte, entging ihm nicht, dass sie sie blitzschnell zum Einsatz bringen konnten, wenn es nötig wäre, aber momentan schien er für sie keine Bedrohung darzustellen – wenn die nur wüssten…
Erst jetzt bemerkte er die anderen Personen, die sich in der Halle aufhielten. Drei saßen auf einem Sofa und starrten auf einem kleinen Fernseher, um irgendeine Sitcom zu verfolgen und zwei weitere befanden sich vor den Computern, um die Außenwelt im Auge zu behalten. Dass er nach hier drinnen gekommen war, war leichter gegangen als er sich vorgestellt hatte, aber noch war er nicht auf der sicheren Seite.
„Lee!" Unwillkürlich zuckte er zusammen, als er seinen Spitznamen vernahm, den ihm Darien verpasst hatte, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Er war auch der Einzige, der ihn so nannte, oder so nennen durfte. Seit Jahren hatte er nicht mehr daran gedacht und ihn so unverhofft zu hören, versetzte ihm einen kleinen Stich. Für seinen alten Freund schien alles in Butter zu sein, während er ihm am liebsten den Hals umdrehen wollte.
Er hob den Kopf und beobachtete, wie Darien eine Metalltreppe, die ins Obergeschoss führte und das ausgebaut worden war, herunterkam und ihn breit angrinste. Dieser hatte sich in all der langen Zeit, seit sie sich nicht gesehen hatten, kaum verändert. Sein Körper war genauso muskulös wie er es in Erinnerung hatte, wenn nicht so sogar durchtrainierter. Die blauen Augen strahlten intensiver denn je und gepaart mit seinen blonden Haaren, die bis auf den Kragen seines dunkelroten Hemdes reichten, wirkte er wie ein sich in den 40ern befindender Playboy. Schon jeher war Darien attraktiv gewesen und die Frauen hatten ihn richtiggehend angehimmelt. Noch immer verströmte er den Charme, den er früher ständig zur Schau gestellt hatte. Er schien nicht gealtert zu sein, aber je näher er kam, desto deutlicher bemerkte er die kleinen Falten, die sich um Mund und Augen eingegraben hatten. Also hatte auch ihn nicht das Alter verschont.
Sein Freund kam auf ihn zu, das Grinsen wurde breiter und eine Sekunde später fand er sich in einer innigen Umarmung wider, die ihm höchst zuwider war, war Darien doch schuld, dass er so vielen Menschen Schmerz bereitete und er deswegen selbst litt. Aber er machte gute Miene zum bösen Spiel und drückte seinen alten Freund an sich, tat so, als ob er sich freuen würde, Coolidge nach so langer Zeit wiederzusehen.
„Du hast dich überhaupt nicht verändert", sagte er schließlich, als er losgelassen worden war und er schaffte es, ein Lächeln zu Stande zu bringen, auch wenn es sich mehr als falsch anfühlte. Aber es schien zu wirken, jedenfalls klopfte ihm Darien kumpelhaft auf die Schulter. „Du siehst auch noch genauso aus, wie ich dich in Erinnerung habe, Lee. Bis auf die Haare. Aber das steht dir gut. Was machst du hier?" Da war sie, die Frage, die er gefürchtet hatte, aber gleich darauf hellte sich das Gesicht seines Gegenübers auf. „Sag nicht, du hast…" „Doch habe ich. Ich dachte mir, es ist an der Zeit, eine Veränderung durchzumachen und als ich erfahren habe, dass du noch lebst und…" Er brach ab und zuckte seine Schultern. „Wieso wundert es mich nicht, dass du herausgefunden hast, dass ich nicht tot bin und mich hier aufhalte? Du warst schon immer der Klügere von uns, Lee. Ich habe gewusst, dass du dich irgendwann einmal entscheidest, bei mir einzusteigen und deinen alten Job aufzugeben. Der passt einfach nicht zu dir." Er nickte nur, da er auf die letzte Aussage nichts erwidern wollte, würde es ihm doch nur viel zu sehr weh tun. Wenn Darien nur wüsste. Er liebte seinen Job und dieser war es auch, der ihn hierher geführt hatte, um den anderen Mann endlich seiner gerechten Strafe zukommen zu lassen. Aber noch war es nicht so weit, noch war es zu früh.
„Was hältst du von einem Glas Bourbon? Den trinkst du doch weiterhin, oder?" „Klar", antwortete er und steckte seine Hände in die Manteltaschen, um das leichte Zittern zu verbergen. „Normalerweise trinke ich keinen Alkohol am Vormittag", fuhr Darien fort und legte einen Arm um seine Schultern. „Aber unser Wiedersehen müssen wir feiern. Und dabei erzählst du mir, was dich dazu veranlasst hat, dich zu entscheiden, dein Leben derart zu verändern." Hayden führte ihn auf die Metalltreppe zu, aber bevor sie sie erreichten, hielt er inne und drehte sich zu seinen Männern um, die sie die ganze Zeit über beobachtet hatten. Er stieß einen lauten Pfiff aus, damit sie ihm auch ja zuhören würden und sich nicht auf etwas anderes konzentrierten. „Leute, ab heute haben wir neuen Zuwachs!" rief er, in dem Bestreben, dass ihn jeder verstand. „Darf ich euch vorstellen? Ein alter Freund von mir, Leroy Jethro Gibbs."

Fortsetzung folgt...
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