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Washington D.C.
Freitag, 31. Januar
09:10 Uhr


Ich konnte mich nicht erinnern, jemals zwei Stunden zu spät gekommen zu sein. Um kurz nach neun Uhr öffneten sich die Türen des Fahrstuhls und entließen mich in ein geschäftiges Großraumbüro, wo alles wie gewohnt vonstatten ging. Ich war froh, endlich der kleinen Kabine entkommen zu können, hatte ich doch das Gefühl gehabt, in einen engen Käfig eingesperrt zu sein. Ich war von einer Wand zur nächsten geeilt und war sogar drei Mal im Kreis herumgelaufen, um die Zeit, die der Aufzug von der Tiefgarage in die dritte Etage gebraucht hatte, tot zu schlagen. Normalerweise neigte ich nicht zu Klaustrophobie, aber diesmal wäre es beinahe so weit gewesen, dass ich geglaubt hätte, mich würde dort drinnen etwas erdrücken. Vielleicht lag es aber auch an der Wut, die seit gestern mein allgegenwärtiger Begleiter war und die mich nicht mehr loszulassen schien.
Durch meinen neuerlichen Heulanfall am Vorabend war es mir gelungen, etwas von dem Schmerz loszuwerden, der mich aufzufressen gedroht hatte. Ich wusste nicht, wie lang ich neben meinem Sofa gesessen hatte, aber als ich mich wieder halbwegs beruhigt hatte, hatte ich mich befreiter gefühlt. Der Ärger auf Gibbs und auch auf mich selbst, dass ich es überhaupt zuließ, dass er mich derart verletzte, war zwar allgegenwärtig geblieben, aber ich hatte dennoch klarer denken können, hatte mich nicht mehr so sehr von meinen Gefühlen beeinflussen lassen. Hatte ich mich vorher noch verabscheut, weil ich zu schwach gewesen war, um gegen die Tränen anzukämpfen, so war ich im Endeffekt froh gewesen, den Kampf verloren zu haben. Sie hatten die tiefe Wunde, die Jethro hinterlassen hatte, gereinigt und ich hatte danach nicht mehr das Bedürfnis verspürt, ständig auf etwas einzuschlagen. Für ein paar Stunden hatte ich es geschafft, die Wut in meinem Inneren einzusperren.
Beinahe emotionslos hatte ich die Scherben aufgeräumt, die entstanden waren, als ich Gibbs' Bild gegen die Wand geschleudert hatte. Ich hatte die Splitter umgehend in den Mistkübel geschmissen und wäre fast so weit gegangen, das Foto in der Mitte auseinander zu reißen und es ebenfalls zu entsorgen, aber eine innere Stimme hatte mich aufgehalten, hatte mir zugeflüstert, dass ich das Bild vielleicht noch einmal brauchen würde. Ich hatte zwar nicht gewusst wozu, dennoch hatte ich meinem Instinkt vertraut und hatte es schließlich, anstatt es in einem Mülleimer zu entsorgen, unversehrt in der obersten Schublade einer Kommode im Wohnzimmer verstaut.
Anschließend hatte ich eine lange heiße Dusche genommen und hätte ich nicht daran gedacht, was Jethro und ich dort drinnen hin und wieder gemacht hatten, hätte ich mich wahrscheinlich sogar erfrischt gefühlt. Aber da die erste Wut abgeklungen war, hatte mich auf einmal wieder alles an meinen Freund erinnert, es gab keinen Raum, in dem ich nicht an ihn denken musste und in dem er nicht ständig allgegenwärtig zu sein schien. Es war beinahe wie ein Fluch, an ihn zu denken, obwohl ich es gar nicht wollte. Ich hätte ihn am liebsten aus meinem Kopf verbannt, aber es hatte einfach nicht geklappt. Genauso wenig wie die Liebe zu ihm konnte ich seine Präsenz einfach ausblenden.
Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte mich in meinen Wagen gesetzt und wäre Stunde um Stunde herumgefahren, aber der dichte Schneefall hatte mich davon abgehalten. Es wäre viel zu gefährlich gewesen, sich hinters Steuer zu setzen, noch dazu, wenn man nicht einmal drei Meter weit sah. Jethro hatte mich verletzt, er hat einen Undercoverauftrag mir vorgezogen, hatte mir vorgegaukelt, er wäre tot, aber dass ich seinetwegen einen Unfall verursachen würde, wollte nicht einmal ich selbst.
Anstatt meinen Mustang zu starten hatte ich den Fernseher in Betrieb genommen und hatte darüber nachgedacht, wie es weitergehen sollte, während im Hintergrund irgendein Film gelaufen war, den selbst ich nicht einmal gekannt hatte. Stunde um Stunde hatte ich auf meiner Couch gesessen und hatte gegrübelt, war aber trotzdem nicht zu einer Lösung gekommen. Alleine wenn ich daran gedacht hatte, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen, hatte sich mein Herz schmerzhaft zusammengezogen. Gibbs ließ mich absichtlich leiden, dennoch schaffte ich es nicht, mir ein Leben ohne ihn vorzustellen, auch wenn ich nicht wusste, wie das aussehen sollte. Ich hatte doch nicht einmal eine Ahnung, wie ich ihm das nächste Mal unter die Augen treten sollte, ohne gleich wieder wütend zu werden.
Der Undercoverauftrag war bestimmt irgendwann zu Ende und er würde anschließend sicher wieder an seinen Platz als Teamleiter zurückkehren. Nur, konnte ich unter diesen Umständen weiter unter ihm arbeiten, von ihm Befehle entgegennehmen, in dem Wissen, was er mir angetan hatte? Würde ich es schaffen Tag für Tag in das Büro zu kommen und ihn anzusehen, ohne daran zu denken, was passiert war? Die Antwort darauf lautete definitiv nein. Wir hatten uns zusammen viel zu viel aufgebaut, als dass wir beide einfach in den Alltag zurückkehren konnten, so wie es vor unserer Beziehung gewesen war.
Die einzigen plausiblen Möglichkeiten waren eine Versöhnung oder eine Versetzung meinerseits in ein anderes Team. Allerdings konnte ich an eine Versöhnung momentan noch nicht denken, genauso wenig wie an eine Versetzung. Ich wollte meine Freunde nicht zurücklassen und ich wusste, ich würde mich in keinem anderen Team derart Zuhause fühlen. Irgendwann hatte ich schließlich beschlossen, das ganze auf mich zukommen und das Schicksal entscheiden zu lassen, was nun aus Jethro und mir werden sollte. Irgendeine Lösung würde sich sicher ergeben und ich hoffte innerlich auf einen guten Ausgang, auch wenn ich momentan nicht wirklich daran glauben konnte.

Irgendwann zwischen vier und fünf Uhr morgens war ich schließlich bei laufendem Fernseher auf dem Sofa eingeschlafen und war um kurz vor acht Uhr wieder munter geworden, mit einem schmerzenden Rücken, da die Couch nicht so bequem war wie mein Bett und es schon die vierte Nacht in Folge gewesen war, die ich darauf verbracht hatte. Ich hatte mich wie erschlagen gefühlt und nicht einmal eine Dusche hatte das geändert.
Anfangs hatte ich die Hoffnung gehegt, es wäre alles nur ein Traum gewesen, dass Gibbs noch tot war und ich mir nur vorgestellt hatte, dass wir uns im Park getroffen hatten, aber das fehlende Bild auf dem Kaminsims und ein einzelner Glassplitter am Boden hatten mich eines besseren belehrt. Es war alles Wirklichkeit und das war der Zeitpunkt gewesen, wo mich die zweite Welle grenzenloser Wut überrollt hatte. Ich hatte geflissentlich die Anrufe von Ziva und McGee ignoriert, die zweifelsohne hatten fragen wollen, wo ich war und ob es mir gut ging, da der Dienst immerhin um sieben anfing und ich gesagt hätte, ich wäre am Morgen pünktlich im Büro. Die Dusche hatte mich so weit beruhigt, dass ich eine Schüssel Cornflakes und eine Tasse Kaffee zu mir nehmen hatte können, bevor ich meine Sachen geschnappt hatte und ins Büro gefahren war.
Ich wusste nicht, wie ich meinen Kollegen beibringen sollte, dass es keinen Mörder gab, dass Gibbs noch am Leben war und uns alle an der Nase herumgeführt hatte. Aber ich wusste, ich konnte es ihnen nicht verschweigen, nicht, wenn sie alle darauf versessen waren, einen Täter zu finden, der nicht vorhanden war. Bevor ich jedoch die Bombe platzen lassen würde, würde ich einen Teil meiner Wut an Direktor Shepard auslassen. Immerhin war sie mit schuld an dem ganzen und sie war es gewesen, die Jethro von dieser Organisation und der Bombe erzählt hatte. Hätte sie geschwiegen, hätte sie sich einen anderen Agenten gesucht, wäre alles nie passiert und Gibbs und ich hätten eine wunderbare Woche miteinander verbringen können, anstatt getrennt zu sein.
Ich wusste, ich würde vielleicht eine Grenze überschreiten, wenn ich ihr direkt ins Gesicht sagen würde, was ich von ihren Methoden hielt, aber ich würde nicht anders können. Sollte sie mich ruhig feuern, dann wäre immerhin das Problem gelöst, wie ich ihn Zukunft wieder mit Jethro zusammenarbeiten sollte.

Ich stürmte aus dem Fahrstuhl, an Agenten vorbei, die mir verwundert hinterher sahen und ließ meinen Rucksack heftiger als sonst auf den Boden knallen. Jetzt, wo ich mich wieder im Großraumbüro befand, hatte ich mich nicht mehr so gut unter Kontrolle und als ich nach oben blickte, wo das Direktorinnenbüro lag, musste ich die Kiefer zusammenpressen, damit mir kein Knurren entfuhr. Ich spürte, wie sich meine Wangen röteten und ich am liebsten einen lauten Schrei ausgestoßen hätte.
„Wo bist zu gewesen?" fragte Ziva verwundert und runzelte die Stirn, als ich meine Jacke auszog und sie mit Wucht auf den Stuhl warf. „Zuhause", antwortete ich ruppig und zur Sicherheit legte ich meine Waffe auf den Tisch. Ich wollte oben keine unbedachte Bewegung machen, die darauf hindeuten könnte, ich hätte die Absicht, die Pistole zu benutzen. „Ist alles in Ordnung?" wollte McGee besorgt wissen und zog den Kopf ein wenig ein, als ihn mein wütender Blick traf. „Klar, alles bestens", erwiderte ich eine Spur zynisch und erhielt ein Stirnrunzeln von Ziva. „Wieso sollte auch nicht alles in Ordnung sein?" Ich holte meinen Dienstausweis hervor, damit ich nicht auf die Idee kommen konnte, ihn der Direktorin auf ihren Tisch zu knallen, mit den Worten, das ich kündigen würde.
„Nun ja, du verhältst dich ein wenig seltsam. Du hast unsere Anrufe nicht beantwortet und es ist bereits nach neun, also…" begann die Israelin, brach aber ab, als ich ihr einen zornigen Blick schenkte. Ich biss mir auf die Unterlippe, um keine flapsige Antwort zu geben. Es war nicht die Schuld meiner Kollegen, dass ich auf 180 war und es war nicht richtig, meine Wut an ihnen auszulassen.
Ohne ein weiters Wort zu sagen drehte ich mich um und eilte auf die Treppe zu, die mich eine Etage höher bringen würde – in die Höhle des Löwen oder in diesem Fall, in die Höhle der Löwin. „Tony, wo willst du hin?" rief mir McGee nach und beobachtete mich, wie ich immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben lief. „Zur Direktorin", erwiderte ich, wobei ich den Titel ein wenig gehässig aussprach. „Und bemüht euch nicht, weiter nach Verdächtigen zu suchen. Das ist nicht mehr nötig", fügte ich hinzu und bemerkte, wie zwei verwirrte Gesichter zu mir herauf sahen? „Tony, was…?" Aber ich drehte mich wieder um, sodass Ziva automatisch mitten in ihrer Frage unterbrach.
Ohne die beiden darüber aufzuklären, was ich gemeint hatte, lief ich die restlichen Stufen hinauf, vorbei am MTAC und riss förmlich die Tür, die zu Cynthias Reich führte, auf. Die Sekretärin zuckte erschrocken zusammen, als ich so plötzlich auftauchte, einfach an ihr vorbeistürmte und innerhalb weniger Sekunden die Tür zu Jens Büro erreichte. „Agent DiNozzo, Sie können da nicht…" „Was?! Führt die Direktorin denn wieder ein Telefonat, das ich nicht mitbekommen soll?!" Cynthia starrte mich mit offenem Mund an, während ich die Tür zum Büro aufriss und sie gleich darauf wieder laut ins Schloss warf. Der große Raum war sonnendurchflutet, nachdem am Morgen der Schneefall aufgehört und einem blauen Himmel Platz gemacht hatte.
Hinter dem Schreibtisch saß Jen, ihre Lesebrille auf der Nase und las eine Akte, die vor ihr lag. Sie runzelte ungehalten die Stirn, da ich wieder einmal ohne zu klopfen hereingekommen war und noch dazu die Tür mit einem Knall geschlossen hatte. „Was für ein Spiel wird hier überhaupt gespielt?!" schrie ich sie an, bevor sie auch nur den Mund aufmachen konnte. Für eine Sekunde blickte sie mich überrascht an, als ich meine Stimme derart gegen sie erhob, kniff aber sofort ihre Augen zusammen, sodass sie nur noch schmale Schlitze waren.
„Was soll das, Agent DiNozzo?" fragte sie und war bewundernswert ruhig, auch wenn sich ihre Wangen röteten und sie sichtlich Mühe hatte, nicht aufzuspringen. Es war wohl das erste Mal, seit sie Direktorin war, dass sie jemand anschrie – und noch dazu ein Untergebener. „Was das soll?! Ich kann Ihnen sagen, was das soll, obwohl Sie das sicher am besten wissen! Sie spielen seit Sonntag ein falsches Spiel mit uns allen!" Jens Augen weiteten sich geschockt und ihr Gesicht nahm ein ungesundes Weiß an. „Ich habe gestern wirklich gedacht, ich hätte mich für immer von Jethro verabschiedet! Eine tolle gefühlvolle Rede, die Sie da abgehalten haben, nur für die falsche Person! Und ich habe Ihnen Ihre eigene Trauer auch noch abgekauft! Haben Sie eigentlich eine Ahnung, was ich in den letzten Tagen durchgemacht habe?! Zu glauben, ich hätte die Liebe meines Lebens verloren?! Und dann ist das alles nur für einen dämlichen Undercoverauftrag! Und Sie fragen sich auch noch, was das soll und warum ich hier so reinplatze!"
Meiner Tirade folgte eine Stille, die nicht drückender hätte sein können. Mein Atem ging keuchend und ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt, was ich nicht einmal mitbekommen hatte. Jen blickte mich noch immer mit großen Augen an und ich wusste, dass ich sie überrascht hatte, dass sie nie damit gerechnet hätte, dass ich die Wahrheit erfahren würde. Sie war mittlerweile so blass wie ein Gespenst und war keineswegs mehr die Ruhe in Person. Ohne den Blick von mir abzuwenden, schlug sie die Akte zu und knallte dabei mit der flachen Hand auf den Tisch, wo sie gleich darauf ihre Brille hinschmiss.
„Sie wissen davon?" fragte sie total perplex, aber es war offensichtlich, dass sie keineswegs darüber erfreut war – im Gegenteil. Dass es mir Gibbs verraten hatte, würde ihn wohl in Schwierigkeiten bringen, aber momentan war mir das ziemlich egal. „Ja, ich weiß davon und ich kann Ihnen auch verraten von wem! Von einem gewissen Leroy Jethro Gibbs, der eigentlich tot sein sollte!" Jens ohnehin schon blasse Gesichtsfarbe wurde noch blasser und ihre Brust begann sich schnell zu haben und zu senken. Erst jetzt erkannte ich, dass sie damit gerechnet hatte, dass ich es von selbst heraus gefunden hatte und sie die Möglichkeit, dass es mir mein Freund selbst gesagt hatte, nicht einmal einkalkuliert hatte.

„Jethro hat… er hat es Ihnen gesagt?" fragte sie und war noch immer viel zu verblüfft, um sich darüber aufzuregen, dass ich sie angeschrien hatte. Es war das erste Mal, dass ich sie so erlebte, völlig neben der Spur und nicht wissend, was sie überhaupt sagen sollte. „Woher sollte ich es denn auch sonst wissen?!" fragte ich zynisch und verschränkte meine Arme vor der Brust, da ich schon wieder das Bedürfnis verspürte, auf etwas einzuschlagen. „Von alleine wäre ich nie darauf gekommen! Woher auch?! Die Möglichkeit, dass er seinen Tod nur vorgetäuscht hat, habe ich kein einziges Mal in Erwägung gezogen! Ich hätte nie geglaubt, dass er mir so etwas antun würde! Und Sie haben ihn wahrscheinlich auch erst auf diese Idee gebracht! Ihnen ist sicher die ganze Zeit klar gewesen, dass diese ganze Sache unsere Beziehung auf eine harte Probe stellen würde!"
Ich ließ meine Arme sinken, stützte mich auf dem Schreibtisch ab und beugte mich nach vorne, sodass Jen in den vollen Genuss meines wütenden Blickes kam. In diesem Moment vergaß ich vollkommen, dass sie meine Vorgesetzte war und ließ mich nur noch von meinen Gefühlen leiten.
„Das war doch die ideale Gelegenheit, um uns auseinander zu bringen, nicht wahr?! Sie sind doch eifersüchtig gewesen, als sich Jethro schlussendlich für mich entschieden hat! Ich habe es Ihnen angesehen, Sie haben innerlich gekocht, dass er auf einmal so glücklich ist – mit einem seiner männlichen Agents. Ihre Beziehung hat damals nicht funktioniert, aber dafür diejenige von Jethro und mir umso besser! Es war wohl kein gutes Gefühl, ihn zu verlieren, oder?! Was erwarten Sie sich von dieser Sache?! Das ich ihm den Laufpass gebe und er zu Ihnen zurückkommt?!" fragte ich gehässig.
„Sie überschreiten eindeutig Ihre Kompetenzen, Agent DiNozzo!" schrie sie mich an und sprang auf, sodass wir auf gleicher Augenhöhe waren – ein Zeichen dafür, dass ich nicht in der Position war, um so mit ihr umzuspringen. Ihre blassen Wangen hatten sich gerötet und in ihren Augen lag ein Ausdruck, der mir gar nicht gefiel. In diesem Moment würde es mich nicht wundern, wenn sie mich auf der Stelle feuern würde.
„Wie können Sie mir auch nur eine Sekunde lang unterstellen, ich würde sie beide auseinanderbringen wollen?! Und woher wissen Sie überhaupt von…? Nein, lassen Sie mich raten! Das hat Ihnen Jethro auch gesagt, oder?! In letzter Zeit scheint er ja ziemlich gesprächig zu sein!" fügte sie sarkastisch hinzu, aber ihre Stimme blieb trotzdem unnatürlich laut. Ich konnte nicht erkennen, ob sie wütend auf mich war oder auf Gibbs, der mir alles erzählte, sei es von seiner früheren Affäre mit Jen oder von dem Undercoverauftrag.
„Sie sollten von alldem nie etwas erfahren", fuhr die Direktorin ruhiger fort, blieb aber weiter stehen, sodass ich mich aufrichtete, um sie wieder mit meiner Körpergröße zu überragen, was mir wenigstens das Gefühl gab, wieder etwas mehr Kontrolle zu haben. „Jethro hätte es Ihnen nicht sagen dürfen, jedenfalls nicht so lange, bis alles vorüber ist. Das gefährdet nur den Einsatz." „Hier geht es nicht um den verdammten Einsatz!" Frustriert warf ich meine Arme in die Luft, nur um mir gleich darauf meine Haare verzweifelt zu zerzausen. „Wie haben Sie es hinbekommen, dass er sich für diesen Auftrag entscheidet?! Haben Sie ihm ein höheres Gehalt geboten?! Ein neues Haus oder einen neuen Wagen?!" Aber sobald ich die Worte ausgesprochen hatte, wurde mir bewusst, wie lächerlich sich das anhörte. Gibbs hätte mich nicht so leiden lassen, nur damit er mehr bezahlt oder einen größeren Bootskeller bekam.

Jen kniff ihre Augen zusammen und zu meiner größten Überraschung schüttelte sie ihren Kopf und seufzte. „Sie haben keine Ahnung, oder? Sie haben keinen blassen Schimmer, warum sich Jethro wirklich dazu entschieden hat, den Auftrag anzunehmen. Ich kann verstehen, dass Sie stinkwütend sind, auf mich und auf… Ihren Freund." Ich erkannte sofort, dass die letzten beiden Worte dazu dienen sollten, mich zu besänftigen, aber sie versetzten mir nur einen schmerzhaften Stich in der Brust. „Aber es geht hier um viel mehr als um Ihre Beziehung und das sind hunderte von Menschenleben. Ich habe Jethro die Wahl gelassen, habe ihm angeboten, dass es ein anderer Agent machen könnte und ich kann Ihnen versichern, dass ihm die Entscheidung, es selbst zu machen, nicht leicht gefallen ist. Er hat von Anfang an gewusst, was er aufs Spiel setzt."
Jen sprach vollkommen ruhig und ließ sich wieder auf ihren Sessel fallen. „Dann erklären Sie mir, weshalb er es gemacht hat!" verlangte ich, obwohl es nicht klug war, weiterhin herumzuschreien, aber irgendwie konnte ich nicht anders. Zu wissen, dass sie die ganze Zeit im Bilde gewesen war und keine Andeutungen gemacht hatte, mich aufzuklären und dass sie einfach zugesehen hatte, wie schlecht es mir ging, machte mich rasend.
„Es wäre besser, wenn Jethro Ihnen das selbst erklären würde. Sie sollten das Recht haben, es von ihm zu erfahren." „So wie ich das Recht hatte, von ihm zu erfahren, dass er noch lebt?! Wie haben Sie sich das überhaupt vorgestellt?! Dass ich ihm glücklich um den Hals fallen und ihm alles verzeihen würde, da ich viel zu froh sein würde, dass er noch am Leben ist?! Aber soll ich Ihnen etwas verraten?! Auch ich habe Gefühle und Grenzen, die nicht unendlich groß sind!"
Jen öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen oder eher um mich schroff in meine Schranken zu weisen, da die Muskeln an ihrem Hals stark hervortraten und ihre Wangen erneut rot geworden waren. Ich wusste, sie versuchte mich irgendwie zu beruhigen und mir ihr Handeln verständlich zu machen, aber genauso wie gestern machte ich wieder alle Schotten dicht. Es war ein Fehler, mich nur von meinen Gefühlen leiten zu lassen und nicht den Verstand einzusetzen, aber es fiel mir unglaublich schwer, mich zu konzentrieren, obwohl ich eine Erklärung haben wollte. Die Aussicht jedoch, diese von Gibbs zu erhalten, machte mir ein wenig Angst. Ich wusste nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich ihn sehen sollte.
Das Telefon klingelte, ließ uns beide zusammenzucken und die Worte, die Jen zu mir sagen wollte, verließen nie ihren Mund. Stattdessen behielt sie mich weiterhin im Auge, während sie zum Hörer griff und ein unfreundliches „Shepard" hineinbellte. Es war ihr sichtlich egal, wer am anderen Ende der Leitung war und wen sie wahrscheinlich mit ihrer Art vergraulen würde.
Eine Sekunde später jedoch verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck und ich wusste sofort, wer dran war, obwohl kein Name gefallen war. Ich verschränkte demonstrativ meine Arme vor der Brust und blickte finster vor mich hin.
„Ich weiß bereits, was du gemacht hast, also sind Erklärungen überflüssig… ja, er ist hier und macht mir buchstäblich die Hölle heiß… das ist nicht witzig, Jethro." Beinahe hätte sich auf meinen Lippen ein kleines Lächeln gebildet, als ich Jens frustrierten Gesichtsausdruck sah, aber gleich darauf erinnerte ich mich wieder daran, worum es eigentlich ging, weshalb ich meine Kiefer fest aufeinanderpresste und stur geradeaus aus dem Fenster sah, hinaus auf den blauen Himmel.

„Weißt du eigentlich, dass du den ganzen Auftrag gefährdest? Ich habe dir von vornherein gesagt, dass du niemanden einweihen sollst und warum zum Teufel hast du Agent DiNozzo überhaupt von unserer Beziehung erzählt?!" Sie war definitiv wütend auf Gibbs, vor allem, da er intime Details ausgeplaudert hatte und nicht alles nach ihren Plänen verlief.
„Du hattest kein Recht dazu und... Moment mal, was willst du damit sagen, du kommst hierher? Du kannst hier doch nicht einfach so hereinspazieren!" Ich drehte abrupt meinen Kopf, als ich ihre Worte vernahm und mein Herz fing unwillkürlich schneller zu schlagen an. Leichte Panik stieg in mir auf, als mir bewusst wurde, dass ich Jethro wirklich bald wiedersehen würde, obwohl ich noch gar nicht bereit dazu war. Sicher, ich wollte endlich eine Erklärung haben, aber würde ich es auch schaffen, ihm zuzuhören, ohne auszurasten, ohne daran zu denken, wie sehr ich wegen ihm gelitten hatte – und noch immer litt? Noch dazu war die Wut in meinem Inneren noch nicht verraucht und ich wusste, ich musste diese erst einmal unter Kontrolle bringen, bevor ich Gibbs unter die Augen treten konnte.
„Na schön, wenn du unbedingt hier auftauchen musst, dann sorg gefälligst dafür, dass dich niemand sieht. Und ich werde Miss Sciuto anweisen, die Kameras zu manipulieren. Ich will nicht, dass noch jemand vorzeitig erfährt, dass du noch lebst, außer dein Team. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das noch verheimlichen lässt, nachdem Agent DiNozzo die Wahrheit kennt. 20 Minuten." Jen lauschte und blickte mich stirnrunzelnd an. „Nein, nicht früher. Du wirst doch wohl 20 Minuten warten können? Und du gehst nur zu Abby ins Labor und nirgendwo sonst hin, verstanden? Gut." Ohne sich zu verabschieden, knallte sie den Hörer zurück und beugte sich nach vorne.
„So wie es aussieht, werden Sie bald Ihre Erklärung bekommen", sagte sie und schien irgendwie erleichtert darüber zu sein. Ich hingegen schnaubte und schüttelte den Kopf, da ich noch immer nicht wusste, wie ich es schaffen sollte, vernünftig zu denken, wenn Jethro in meiner Nähe war. Ich musste mit jemandem darüber reden und mir fiel nur eine einzige Person ein, die mir helfen konnte, mit meiner Wut umzugehen.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte ich mich um, stürmte auf die Tür zu und riss sie auf. Cynthia starrte mich erneut mit offenem Mund an, aber ich ignorierte sie. Mir war es egal, ob sie etwas von dem Streit mitbekommen hatte oder ob sie wusste, dass Gibbs noch am Leben war. Wichtig war jetzt nur, dass ich meine Gefühle unter Kontrolle brachte, um mir endlich die Erklärung anhören zu können und ich hoffte für Jethro, dass er einen wirklich triftigen Grund hatte, warum er mir derart weh tat.

Fortsetzung folgt...
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